Volume 1, No. 1, Art. 1 – Januar 2000
FQS – Idee, Realisierung, Perspektiven
Katja Mruck
Inhaltsverzeichnis
1. Idee: Zur kreativen Verbindung von qualitativer Forschung und Internet
2. Erste Schritte im Netz: Erfolge, Ernüchterung, Erfahrungen
2.1 FQS als Informations-, Interaktions- und Vernetzungsinstrument
2.2 Wunsch und Wirklichkeit: Der aktuelle Stand
2.3 Die Finanzierungsfrage
3. Perspektiven: FQS als bewußt provisorisches Konzept
3.1 Die Idee des "Prosuming"
3.2 Vom Text zum Hypertext: Technische und methodologische Herausforderungen
4. Zum ersten Band
1. Idee: Zur kreativen Verbindung von qualitativer Forschung und Internet
Die ersten Umrisse eines Konzeptes von FQS als einer (zunächst deutschsprachig geplanten) Online-Zeitschrift für qualitative Sozialforschung entstanden im Frühjahr 1999. Vorausgegangen war eine Annäherung an das Internet und seine Instrumente, die in gewisser Weise als prototypisch für den damals überwiegenden Stand der deutschsprachigen qualitativen Sozialforschung betrachtet werden kann: Erste Webseiten-"Basteleien" mit HTML wurden begleitet von zunächst sehr unsystematischen Recherchen, die mit wachsender Systematisierung zeigten, daß die offline sehr reichhaltigen und heterogenen deutschsprachigen qualitativen Forschungstraditionen und (-sub)kulturen im Netz nur vereinzelt und rudimentär anzutreffen waren bzw. daß qualitative Forscher(innen) mit den "Gesetzen" des Internet und des World Wide Web (wie wir selbst zu Beginn) wenig vertraut schienen. Umgekehrt entdeckte ich erstaunt, wo überall auf der Welt qualitativ Forschende – und dies manchmal über viele Jahre – online kommunizierten. Exemplarisch erwähnt seien an dieser Stelle die Mailingliste QUALRS-L (http://www.listserv.uga.edu/archives/qualrs-l.html), der Qualitative Research Webring und teilweise riesige Link-Sammlungen, die mehr oder weniger (un-) systematisch und (un-) gepflegt und zumeist englischsprachig im Internet zur Verfügung stehen. [1]
In der Folge bemühte ich mich zum einen um Kontakte zu Kolleg(inn)en, die diese Angebote im nicht-deutschsprachigen Raum entwickelt haben und unterhalten. Zum anderen begann ich, von diesen Vorbildern lernend, deren deutschsprachige Pendants zu initiieren: die Mailingliste QSF-L (http://www.qualitative-research.net/qf/qsf-l/qsf-l.htm) entstand ebenso wie der Webring Qualitative Forschung und eine Linksammlung Qualitative Sozialforschung im Rahmen von psychologie.de1). [2]
Ebenfalls beeindruckend waren englischsprachige Zeitschriften, die ich im Netz fand, so z.B. der von Ron CHENAIL herausgegebene Qualitative Report (http://www.nova.edu/ssss/QR/index.html). Doch zugleich erfuhr ich an den Angeboten, die ich im Laufe der Zeit kennenlernte, auch deren "Begrenztheit", und es waren diese Grenzen und die Faszination über das Internet und seine Möglichkeiten, die bei der Geburt der "Idee FQS" Pate standen:
Ganz überwiegend dauert (und dies nicht nur für den Bereich qualitativer Sozialforschung) ein bloßer Transport von Print-Medien und deren Aufbereitungs-, Organisations- und Vertriebsformen ins Internet fort.
Gerade im Bereich der englischsprachigen qualitativen Forschung existieren teilweise seit vielen Jahren etablierte Angebote: Sie stehen zur Verfügung und werden noch heute überwiegend so genutzt, wie sie irgendwann entwickelt und bereitgestellt wurden, d.h. es besteht – verglichen mit unserer Initiative aus einem "Internet-Entwicklungsland" – scheinbar wenig Innovationsdruck und/oder -bedarf.2)
Die mit dem Internet zugänglichen Informationen verdeutlichten auch, wie wenig deutschsprachige Ansätze im Bereich qualitativer Sozialforschung über die Sprachgrenze hinaus weltweit rezipiert wurden und werden. Dies gilt selbstverständlich in ähnlicher Weise für andere Länder und Wissenschaftskulturen, in denen nicht oder nicht überwiegend in englischer Sprache publiziert wird.
Umgekehrt erlebte ich, welche faszinierenden Möglichkeiten das Internet bieten kann, weltweit mit Kolleg(inn)en Kontakt aufzunehmen. Das Internet und seine Ressourcen erschienen mitunter als kreativer Ou-Topos, der neue Möglichkeiten des Experimentierens mit Raum, Zeit, Schreib-, Lese- und Interaktionsformen denkbar werden ließ. [3]
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen begann FQS sich als zunächst deutschsprachiges, dann bi- (und mittlerweile multilinguales) Konzept abzuzeichnen, und interessierte Kolleg(inn)en konnten für die Mitarbeit bei der Herausgabe und in der Redaktion gewonnen werden. FQS sollte ein Forum zur systematischen Information, Kommunikation und Vernetzung qualitativer Sozialforscher(innen) sein mit den Pfeilern
Interdisziplinarität und Internationalität
Nutzung der Besonderheiten des Internet und des WWW (direkte Interaktion, Platz-Ressourcen, Geschwindigkeit, Multimedia, Flexibilität usw.; siehe auch das FQS -Konzept). [4]
Die Idee, die besonderen Möglichkeiten des Internet im Rahmen eines Zeitschriften-Projektes zu nutzen, zu integrieren und weiterzuentwickeln, fand zunächst geteilte Resonanz:
Große deutsche Verlage, an die wir ab April 1999 mit einem ersten Konzept herantraten, reagierten eher zurückhaltend: Erfahrungen mit dem Internet und mit Online-Publikationen waren dort zumeist spärlich, die Heterogenität unserer Zielgruppe wurde als nachteilig für gezielte Marketing-Maßnahmen erachtet, der Publikationsmarkt schien aus Print-Medien-Perspektive gesättigt, bei einem Preis von max. 150,- DM und bei einer zu erwartenden Abonnent(inn)enzahl von max. 50 Personen, so eine damalige Schätzung von Seiten eines Verlages, sei das Projekt "unwirtschaftlich", usw.
Bei Kolleg(inn)en trafen wir einerseits auf höfliches Mißtrauen ("Vielleicht können wir in etwa einem Jahr noch einmal darüber sprechen?"), andererseits – und dies zu unserer Überraschung auch auf Seiten von Kolleg(inn)en, die aus anderen Ländern kommen und die wir auf mögliche Kooperationen u.a. im Rahmen des zu konstituierenden Wissenschaftlichen Beirates ansprachen – auf Interesse, Wohlwollen und Unterstützung. Wir lernten teilweise sehr unbürokratische, direkte und herzliche Kommunikationsformen kennen, die angesichts der überwiegenden Förmlichkeit und eher hierarchischer Umgangsweisen an deutschsprachigen Instituten erst irritierten, uns dann manchmal im Verkehr "zwischen den Welten" durcheinanderbrachten, aber insgesamt halfen, daß die Idee einer "echten" Peer-Kultur mehr und mehr an Kontur gewonnen hat. [5]
Mit den Beiratskolleg(inn)en, innerhalb der FQS-Redaktion, mit den Autor(inn)en und mit anderen, die sich für FQS interessieren, haben wir uns in einen Lernprozeß begeben, der zu einer sukzessiven Konzeptentwicklung und zu unterschiedlichen Kooperationen, Produkten, Erfahrungen und Entwicklungsperspektiven geführt hat. [6]
2. Erste Schritte im Netz: Erfolge, Ernüchterung, Erfahrungen
Dieser Lernprozeß ist – was die FQS-Redaktion angeht – fortdauernd, und er wirkt je nach Person(enkonstellation), Zeit und Aufgabe manchmal ent-täuschend, manchmal ermutigend. Ein wichtiges Hindernis, das neben anderen unsere Arbeit und uns selbst stets neu herausfordert, ist die (auch eigene) Tendenz, Offline-Erfahrungen und Gewohnheiten sehr selbstverständlich in das Internet hinein verlängern zu wollen, meist gefolgt von einem Innehalten und dann von Versuchen, bestehende Erfahrungen mit den Besonderheiten des Internet kreativ zu verknüpfen. Die Neigung zu Gewohntem und die ihr folgenden Lösungsversuche betreffen alle technischen, organisatorischen und inhaltlichen Belange von FQS. Dies soll an einigen Aspekten und ihrem aktuellen – und sicher vorläufigen – Stand skizziert werden. [7]
2.1 FQS als Informations-, Interaktions- und Vernetzungsinstrument
FQS ist – seit wir im Juni 1999 begonnen haben – unser Konzept umzusetzen und im Internet bekanntzumachen, auf ein kontinuierliches und kontinuierlich wachsendes Interesse gestoßen: Dies zeigen etwa die Zugriffszahlen auf unseren Server: Zwischen dem ersten Ins-Netz-Stellen der FQS-Seiten am 2. Juni 1999 und dem 31. Dezember 1999 haben über 3000 verschiedene Personen aus ca. 60 Ländern auf unseren Server zugegriffen, mit einem deutlichen Schwerpunkt in Deutschland, gefolgt von den USA, Großbritannien, Australien, Kanada, Österreich, der Schweiz, Spanien, den Niederlanden, Schweden, Griechenland, Japan, Neuseeland, Finnland und Belgien. Vermehrte Kontakte (Kooperationswünsche, Beitragseinreichungen usw.) gibt es darüber hinaus insbesondere mit Kolleg(inn)en aus südamerikanischen Ländern. [8]
Das große Interesse auch von deutschen Kolleg(inn)en, das uns mittlerweile zuteil wird, verweist auf sich abzeichnende Veränderungen: Neben den Zugriffszahlen erleben wir dies unmittelbar, wenn z.B. Beiratsmitglieder Informationen oder Texte über ihre FQS- Beiratswebseiten zur Verfügung zu stellen beginnen. Andere machen mit Links auf ihre Institutswebseiten aufmerksam, und obwohl kostenpflichtige Zugriffe auf die Volltexte erst mit der 2. FQS-Ausgabe anstehen werden, haben sich bereits einige Universitätsbibliotheken zu einem Abonnement von FQS entschlossen. [Anmerkung: Dieser Stand ist zwischenzeitlich veraltet: Alle Volltexte und alle Funktionen sind kostenfrei zugänglich.] Wie sehr der Gedanke und die Chance, die eigene Arbeit einem internationalen und interdisziplinären Publikum vorzustellen, trotz einem deutlichen Mehraufwand akzeptiert und realisiert wird, zeigt sich insbesondere daran, daß fast alle deutschsprachigen Autor(inn)en ihre Beiträge im ersten Band in deutscher und in englischer Sprache veröffentlichen. [9]
Auch ist teilweise eine Tendenz weg von einem verkürzten Verständnis des Internet und des WWW als Sammlung von Webseiten und als Medium zum Versenden elektronischer Nachrichten erkennbar. Für uns selbst vielleicht am überraschendsten ist, in welchem Ausmaß aus kurzen Online-Kontakten dann Online-Kooperationen entstehen, die sich schließlich auch in Offline-Kontakten und -Kooperationen niederschlagen können: So bedeutete der Wunsch, Internationalität und Interdisziplinarität nicht nur als Konzept zu entfalten, daß wir uns um deren konkrete Realisierung in allen Bereichen von FQS bemühten. Diese Bemühung hat Resonanz gefunden, und jeder FQS-Band wird jeweils von Kolleg(inn)en verschiedener Disziplinen und/oder Nationalitäten herausgegeben werden. Mit einigen dieser Kolleg(inn)en ist darüber hinaus eine Zusammenarbeit bei der Organisation von Workshops, Tagungen usw. zustande gekommen. Z.B. besuchten uns im Dezember Kolleg(inn)en aus mehreren deutschen Städten und aus Dänemark und Großbritannien. [10]
2.2 Wunsch und Wirklichkeit: Der aktuelle Stand
In einem Konzeptpapier vom Mai 1999 ist folgendes vermerkt:
FQS soll zu Beginn 2 x jährlich und perspektivisch 4 x jährlich erscheinen. Was den Umfang angeht, ist der Spielraum für eine Online-Zeitschrift variabler als für traditionelle Print-Medien; übersetzt in traditionelle Medien visieren wir (ebenfalls für den Anfang) max. 100 Seiten an. [11]
Ähnlich bemühten wir uns auch in anderen Bereichen um Vorgaben: Die Kurzbeiträge für Band 1 sollten ca. 1800 Worte umfassen, die Manuskriptgestaltung sollte in Anlehnung an die Richtlinien der American Psychological Association (APA) erfolgen usw. [12]
Bereits die Idee, FQS auch aus arbeitskrafthygienischen Gründen zunächst 2 x jährlich erscheinen zu lassen, erwies sich angesichts der dann eingehenden Band- und Kooperationsideen und -vorschläge bald als nicht haltbar: Selbst bei einem Erscheinen 3 x jährlich ist die Bandplanung über das Jahr 2003 hinaus bereits festgelegt, es ist zu vermuten, daß kurzfristige Eingaben zusätzliche Sonderausgaben u.ä. zur Folge haben werden. Was die Vorschläge zur Länge von Beiträgen angeht, dauerte es einige Zeit, bis wir Gewahr wurden, daß alte Text- und nicht neue Hypertext-Strukturen, daß alte Platz-Beschränkungen und nicht die Ressource Internet unseren anfänglichen Planungsbemühungen zugrunde lagen. Wer sich den 1. FQS-Band ansieht, wird feststellen, daß Kurzbeiträge um 1500 Worte neben Beiträgen mit ca. 10.000 Worten zu finden sind, daß traditionelle Textgestaltung neben dem Versuch der Verschachtelung von Texten in Hypertext steht.3) [13]
Diese sukzessive Anpassung des Konzeptes an die Bedarfe und Möglichkeiten des Internet, die Bemühung, Internationalität und Interdisziplinarität als Leitlinien auch in der konkreten Arbeit umzusetzen, bedeutet einen enormen Arbeitsaufwand, der mit dem Projekt FQS verbunden ist. So folgte der Freude über die Resonanz und über die Zahl der eingereichten Beiträge für Band 1 bald der Schreck über die riesigen Textberge, die zu reviewen waren, die vielen Artikel, die gleich in zwei Sprachen gegengelesen, kommentiert und formatiert werden mußten. Und statt der gewünschten Anlehnung an APA trafen wir beinahe so viele Stile wie Beiträge, eben weil "die qualitative Welt" nicht nach den Regeln einer Disziplin oder Nation verläuft (selbst für eine Nation oder Disziplin ist eine solche Einheitlichkeit nicht selbstverständlich). [14]
Erschwerend kommt hinzu, daß wir uns als Redaktion – was die inhaltliche und die formale Gestaltung von FQS angeht – erst zusammenfinden mußten und müssen: Standards zu entwickeln, zu begründen und zu vermitteln, setzt zunächst einen internen Einigungs- und Entscheidungsprozeß voraus. Dieser Prozeß steckt wie FQS selbst noch in den Anfängen. Der aktuelle Stand läßt sich von diesen Überlegungen ausgehend wie folgt skizzieren:
FQS-Schwerpunktausgaben erscheinen 3 x jährlich. Neben Beiträgen, die thematisch diesen Schwerpunktausgaben zugehören, können Einzelbeiträge jederzeit eingereicht werden; sie werden ins Netz gestellt werden, sobald sie den Review-Prozeß passiert haben (zum Review in FQS siehe PENICHE & BERGOLD in diesem Band). Was die Manuskriptgestaltung angeht, haben wir uns vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen auf ein Konzept geeinigt, das Grundzüge der Gestaltung und von uns vorgesehene und akzeptierte Variationen integriert und ab Mitte Februar 2000 die bisherigen Hinweise zur Manuskriptgestaltung ergänzen wird. In Vorbereitung sind auch Benutzungshinweise, die helfen sollen, sich in dem Online-Medium FQS zurechtzufinden. Dies betrifft u.a. die Zitation aus Beiträgen in Online-Journalen mittels Paragraphennummern, die in unserem Fall in eckigen Klammern am Ende von Absätzen zu finden sind, und die für HTML-Dokumente die in Print-Medien üblichen Seitenzahlen ersetzen. (Würden Sie z.B. den zuletzt gelesenen Satz zitieren wollen, wäre die Paragraphennummer "15".)
Mit der 2. Ausgabe sind bestimmte Angebote nur noch für Abonnent(inn)en von FQS frei zugänglich: Hierzu gehören die Volltexte sowohl von Beiträgen aus Schwerpunktausgaben als auch von Einzelbeiträgen, Reviews zu Medieneinheiten (Bücher, CDs, Filme, Zeitschriften, usw.), die Möglichkeit der unmittelbaren Kommentierung aller Beiträge über Discussionboards (die direkt von jedem Beitrag aus aufgerufen werden können) und die Teilnahme an Online-Chats, die wir sporadisch veranstalten werden. [Anmerkung: Dieser Stand ist zwischenzeitlich veraltet: Alle Volltexte und alle Funktionen sind kostenfrei zugänglich.]
Frei zugänglich bleiben die Abstracts (mindestens in deutscher und englischer Sprache), die Rubrik FQS-News mit Konferenz- und Workshop-Ankündigungen und -Berichten, Hinweisen auf Buchneuerscheinungen usw., Texte und Informationen, die von unseren Beirät(inn)en über deren FQS-Webseiten bereitgestellt werden und die – ab der zweiten Ausgabe für Nicht-Abonnent(inn)en auf Abstracts beschränkte – Möglichkeit der Suche im FQS-Archiv. [15]
Die wissenschaftliche Kommunikation über das Internet, ursprünglich "das Terrain, dem das Netz der Netze seinen Ursprung verdankt", ist mittlerweile, so Richard SIETMANN (2000) in einem gerade erschienenen Beitrag über "Unsichtbare Weichenstellungen im Cyberspace" –
"nurmehr eine Randerscheinung. Nun gerät auch die Nische in Gefahr. Mit dem Abschied von Gutenberg und der Migration des wissenschaftlichen Publikationswesens ins Internet wird sie der Cyber Economy unterworfen. Dabei tritt ein bislang verdeckter Strukturkonflikt zutage, der sich um die Frage rankt, wer in dem System was genau wofür bezahlt. Zwei Konzepte stehen sich unversöhnlich gegenüber: Pay-per-View oder free-for-all?"4) [16]
Die hier angerissene Frage nach einem kostenlosen Zugang einerseits, der für eine internationale und interdisziplinäre Vernetzung sicherlich förderlich wäre, und nach Finanzierungsmöglichkeiten für FQS andererseits hat uns von Beginn an begleitet. Sehr früh entschieden war, FQS als "echte Online-Zeitschrift" entwickeln zu wollen, dies zum einen, weil wir so bestimmten Grenzen und Zwängen von Print-Medien zu entgehen hofften, zum anderen sind Online-Medien wegen entfallender Lagerhaltungs- und Distributionskosten und der Möglichkeit anderer Werbungswege (z.B. über Mailinglisten) zunächst weniger kostenintensiv als Print-Medien. [17]
Gleichwohl ist angesichts der enormen Arbeitsbelastung eine finanzielle Sicherung für Sach- und perspektivisch auch für Personalkosten nötig, um zentrale Ankerpunkte des FQS-Konzeptes (Interdisziplinarität, Mehrsprachigkeit, Technikentwicklung) aufrechterhalten und weiterentwickeln zu können: Um eine Grundsicherung zu erreichen, haben wir ein Abonnement-Modell entwickelt, das es Abonnent(inn)en erlaubt, mit der Werbung neuer Abonnent(inn)en die Kosten von FQS bis auf ein 1/10 des Ausgangspreises zu reduzieren. [Anmerkung: Dieser Stand ist zwischenzeitlich veraltet: Alle Volltexte und alle Funktionen sind kostenfrei zugänglich.] [18]
Wir hoffen, FQS auf diese Weise zugleich für einen breiten Leser(innen)kreis erschwinglich zu machen und eine Abonnent(inn)enzahl zu gewinnen, die uns hilft, einige Grundkosten abzudecken. Zusätzlich diskutieren wir mittelfristig neben Abonnements – und teilweise statt Abonnements – verschiedene andere Finanzierungswege, und wir würden uns sehr wünschen, daß die Leser(innen) sich an diesen Diskussionen beteiligen. Hierzu gehören u.a.:
Werbung: Hier scheint wesentlich, daß einerseits die Belange der Werbekunden gewahrt werden, andererseits Werbung die Textrezeption nicht zu sehr stört. Dies bedeutet, daß wir auf eine automatische Einblendung von Werbung verzichten bzw. daß Werbung an ausgewählten und auch für mögliche Werbekund(inn)en interessanten Stellen der FQS-Seiten vorgesehen ist
Sponsoring von Einzelausgaben z.B. durch interessierte Verlage
Andere Formen des Sponsoring durch interessierte Einzelpersonen, Institutionen oder Unternehmen [19]
3. Perspektiven: FQS als bewußt provisorisches Konzept
"Der 'experimentelle' Charakter von FQS beinhaltet, daß es sich um ein offenes Projekt handelt, dessen inhaltliche und formale Gestaltung gemeinsam mit allen an FQS Beteiligten – Leser(inne)n, Autor(inn)en, Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates und der Online-Redaktion – weiterentwickelt werden soll."
Diese Überlegung, die am Anfang der Entwicklung des FQS-Konzeptes stand, hat nach wie vor einen zentralen und programmatischen Stellenwert für unsere Arbeit. Zu lernen und zu akzeptieren war und ist damit auch ein Verständnis von FQS als einem notwendigen Provisorium. Das betrifft alle Fragen von der Manuskriptgestaltung über die Finanzierung bis hin zum Reviewing und zur (wieder vorläufigen) Einigung auf inhaltliche Kriterien, auf die provisorische Identität des Produkts FQS also, die sich mit seinen Produzent(inn)en und mit deren Entwicklung verändern wird und soll. [20]
Einige Neuerungen, die mit der vorliegenden Ausgabe zur Verfügung stehen, wurden im vorangegangen erwähnt, so die verschiedenen von uns vorgesehenen Möglichkeiten des Review von Medieneinheiten, Suchmöglichkeiten, Benutzungshinweise oder die Kommentierung von Beiträgen über Discussionboards. Zusätzlich sind wir mit südamerikanischen Kolleg(inn)en im Gespräch, um zumindest die Abstracts perspektivisch auch in spanischer Sprache veröffentlichen zu können. Was die Entwicklung von FQS angeht, gilt ein wesentlicher Teil unserer Bemühung darüber hinaus dem Versuch, weiter systematisch Wissenschaftler(innen) auch aus solchen Ländern und Disziplinen für FQS zu interessieren, die bisher nicht oder kaum vertreten sind. In diesem Zusammenhang erscheint uns langfristig auch möglich und sinnvoll, universitäre und Praxis-Kulturen mehr als bisher miteinander ins Gespräch zu bringen. [21]
Die Qualität und Perspektive von FQS als einem Provisorium – als einem möglichst fehler- und entwicklungsfreundlichen Lernprozeß, der gegen den bloßen Transport von Offline-Gewohnheiten, gegen die Tendenz, das Vertraute einfach ins Netz zu verlängern, aufmerksam und kreativ zu bleiben versucht – steht und fällt mit der Teilhabe aller, die in irgendeiner Weise mit FQS assoziiert sind. Gemeinsam mit ihnen geht es darum, sukzessive die Möglichkeiten des Internet für qualitative Sozialforschung zu nutzen und zu entfalten. Der Begriff des "Prosuming" – d.h. zugleich Produzent(in) und Konsument(in) von FQS zu sein – verweist auf diese von uns gewünschte Gemeinsamkeit, die in der Zukunft zu fördern und voranzutreiben ein für uns zentrales Anliegen ist. [22]
3.2 Vom Text zum Hypertext: Technische und methodologische Herausforderungen
Einige technische Herausforderungen, die mit dem Internet, mit der Produktion von Text auch als Hypertext verbunden sind, wurden zuvor am Rande erwähnt, nämlich das Experimentieren mit Sinnen, Formen, Gestaltungsmöglichkeiten, usw. Im ersten Band finden sich einige erste Ansätze hierzu, insgesamt ist jedoch erkennbar, daß wir – mit unseren Beirät(inn)en, Autor(inn)en und Leser(inne)n – erst angefangen haben zu lernen, was es bedeuten könnte, mit Hypertext, Multimedia u.ä. "zu spielen". [23]
Band 1 berührt auch einige methodische und methodologische Herausforderungen, die uns als Gestalter(inne)n einer Online-Zeitschrift besonders am Herzen liegen, und die wir in der Folgezeit auch inhaltlich weiter diskutieren und entwickeln wollen: Neben der Beschäftigung mit der Nutzung von Medien (Webseiten, Mailinglisten, Webrings, Chats usw.) im Rahmen qualitativer Online-Forschung und neben dem Vorstellen und Diskutieren von Ansätzen der qualitativen Online-Lehre scheint hier eine sehr grundsätzliche methodologische Reflexion notwendig, die noch ganz in den Anfängen steckt und sich mit der Frage beschäftigt, was der Weg ins Internet, was der Übergang von Text zu Hypertext für alle Phasen des qualitativen Forschungsprozesses bedeutet: Wie und wie anders werden Online-Erhebungsverfahren konzipiert, genutzt und reflektiert? Welche methodologischen Implikationen und Konsequenzen hat es, wenn Hypertext statt Text als Basis qualitativen Forschens verwandt wird? Was bedeutet dies für Auswertungsstrategien? Wie ändern sich unsere Schreib-, Lese- und damit auch Denkgewohnheiten, wenn wir mehr und mehr Hypertexte verfassen? Und noch grundsätzlicher: Welche Konsequenzen hat das Internet für Samplingstrategien, für die kommunikative Bezogenheit von Forschungssubjekt und Beforschten (Internet und Gegenübertragung), für Gütekriterien, für sich ändernde wissenschaftliche Referenz(sub)kulturen (z.B. im Rahmen virtueller Forschungs- und/oder Validierungsgruppen)? [24]
Mit den hier nur bruchstückhaft gesammelten Fragen, die zugleich von uns als nötig erachtete (technische und) inhaltliche Perspektiven von FQS bezeichnen, beschäftigen sich teilweise bereits einige in Band 1 aufgenommene Artikel. Insgesamt haben Autor(inn)en aus neun Länder und ca. 15 Disziplinen mit knapp 30 Beiträgen (die häufig in deutscher und in englischer und zusätzlich in einem Fall in spanischer Sprache zur Verfügung stehen) zur Start-Ausgabe von FQS beigetragen. Diese Autor(inn)en sind unterschiedlichen Statusgruppen zugehörig, sie verfügen über sehr unterschiedliche Erfahrungen im Umgang mit qualitativen Forschungsmethoden, und sie erlauben gerade in dieser Unterschiedlichkeit, die uns für die Komposition des 1. Bandes wesentlich erschien, einen ersten Blick auf die Vielfalt, auf Berührungspunkte und auf Differenzen im Bereich qualitativer Sozialforschung. [25]
Die Beiträge sind als HTML- und als PDF-Dateien zugänglich. Jeder Beitrag kann von Leser(inne)n kommentiert und ergänzt werden, indem das Discussionboard-Icon am Beitragsbeginn angeklickt wird. Wir wünschen allen Leser(inne)n eine interessante Lektüre und uns selbst und den Autor(inn)en Rückmeldungen, die helfen, FQS in dem zuvor skizzierten Sinne weiterzuentwickeln! [26]
1) psychologie.de ist ein kostenloser Online-Service für Psycholog(inn)en. <zurück>
2) Es ist zu vermuten, daß das Erscheinen von FQS bzw. unsere Präsenz im WWW hier mit zu Veränderungen beigetragen hat bzw. beiträgt, da auch qualitative Journale natürlich einem Erfolgs- und Konkurrenzdruck um Autor(inn)en, Leser(innen) usw. unterliegen. <zurück>
3) Bei solchen Hypertextstrukturen ist es unmöglich, eindeutig zu definieren, was zu einem Text gehört und was nicht. Dies gilt z.B. für Chat-Protokolle, die zur Explikation und Verdeutlichung auf einem anderen Server abgelegt werden, für Links, die wieder andere interne oder externe Links aufrufen usw. (siehe hierzu auch den Beitrag von MOES in diesem Band). <zurück>
4) Hier ist allerdings einzuwenden, daß das "wissenschaftliche Publikationswesen" nie das frei zugängliche Paradies für alle war, aus dem nun vertrieben zu werden droht, sondern auch die meisten Print-Zeitschriften waren und sind – was die Publikation angeht – auf die beschränkt, die den "Spielregeln" der Zeitschriften folgen und – was den Erwerb angeht – auf die, die die verlangten (und kontinuierlich steigenden) Preise zahlen. Insoweit wäre der Anmerkung, daß es "nicht sein [kann], dass die Wissenschaft ihre eigenen Produkte von der Wirtschaft zurückkaufen muss" (BULMANN nach SIETMANN 2000), hinzuzufügen, daß Wissenschaftler(innen) ihre Produkte schon lange, nämlich bei Verlagen, einkaufen, und daß sie mit einer Veröffentlichung zusätzlich zumeist das Copyright an Verlage abgeben. <zurück>
Sietmann, Richard (2000, Januar). Die Vertreibung aus dem Paradies. Unsichtbare Weichenstellungen im Cyberspace: Sind wissenschaftliche Veröffentlichungen "Public Domain" oder "Private Property"? Telepolis, 12.01.2000. Verfügbar unter http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/on/5672/1.html [Zugriffsdatum: 14.1.2000].
Mruck, Katja (2000). FQS – Idee, Realisierung, Perspektiven [26 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 1(1), Art. 1, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs000113.
Revised 7/2008