Volume 1, No. 1, Art. 20 – Januar 2000

Skizzen zur Metaphernanalyse

Rudolf Schmitt

Zusammenfassung: Die kognitive Linguistik sensu LAKOFF und JOHNSON ermöglicht eine Analyse der Alltagssprache und ihrer Verbindung zu kognitiven Konzepten und Handlungsbegründungen. Ihre Grundkonzepte (metaphorisches Konzept, Schema-Begriff, Homologie von Denken und Sprechen) werden kurz dargestellt. Sozialwissenschaftliche Metaphernanalysen sind inzwischen auf unterschiedlichen Ebenen zu finden: kulturübergreifend, kultur-, subgruppen- und individuumsspezifisch, Analyse von Interaktionen. Zwei verschiedene methodische Ansätze für unterschiedliche Forschungsfragen werden skizziert.

Keywords: metaphorische Konzepte, Metaphernanalyse, Alltagssprache, qualitative Forschung

Inhaltsverzeichnis

1. Noch eine Methode?

2. Sozialwissenschaftliche Relevanz

3. (Un-) Methodisches

4. Noch kein Fazit

Anmerkung

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Noch eine Methode?

Sprache ist für fast alle qualitativen Forschungsverfahren Gegenstand und Medium zugleich; sie wird vor allem als Material genutzt, das auf außersprachliche Sachverhalte verweist: Beziehungsmuster, latente Sinnstrukturen, kommunikative Strategien etc. Daß dabei sprachimmanente Strukturen und deren Relevanz selten thematisiert werden, daß Diskussionen der Sprachwissenschaften kaum rezipiert werden (Ausnahme: Konversationsanalyse), mag an der arbeitsteiligen Spezialisierung des Wissenschaftsbetriebs liegen. Insbesondere fehlen Theorien, die nach beiden Seiten hin anschlußfähig sind. Eine solche formulieren LAKOFF und JOHNSON (1980, siehe auch JOHNSON 1987, LAKOFF 1987) im Rahmen einer "kognitiven Linguistik"; ihre Theorie der Metapher hat unterschiedliche Ansätze einer Metaphernanalyse als qualitativem Forschungsverfahren inspiriert. [1]

LAKOFF und JOHNSON schlagen einen umfassenden Begriff der Metaphorik vor, der es erlaubt, kognitive Handlungsstrategien zu rekonstruieren. Wir kennen zum Beispiel das Bild, daß Probleme als Gewicht dargestellt werden, die einen Menschen "bedrücken"1): So hat in einem Interview die Arbeitslosigkeit einen Befragten "ganz schön belastet", oder wir finden diese Formulierung als Konzept der Lebensauffassung: "Jeder hat sein Päckel zu tragen". Korrespondierende Stimmungen werden als metaphorische Tiefe kodiert: "versacken", "am Boden sein", "in ein Loch fallen". Dagegen werden positiv erlebte Stimmungen als räumliche Höhe beschrieben: "high" sein, "himmelhoch jauchzend", "obenauf" sein. Diesem metaphorischen Muster entspricht ein Konzept des psychosozialen Helfens: HelferInnen holen die Betroffenen aus der Tiefe heraus oder bewahren sie vor dem "Absturz" durch "stützen", "unterstützen", "aufrichten", "aufbauen" etc. Diese Metaphorik findet sich irritierenderweise jedoch in Interviews zum alltäglichen Alkoholgebrauch wieder: Nach Alkoholgenuß sind "diverse Probleme ... nicht mehr so gewichtig", "man kommt mit Leuten leichter ins Gespräch", "es war einfach unbeschwerter", "das hebt die Stimmung". Wir können dieses metaphorische Konzept so formulieren: "Betrunkensein erleichtert schwere Dinge des Lebens". Professionelle Hilfe wie alkoholische Seelentröstung vereint das gleiche, kulturell übliche metaphorische Schema "GOOD IS UP" ( LAKOFF & JOHNSON 1980, S.22). [2]

An diesem Beispiel lassen sich die folgenden Annahmen von LAKOFF und JOHNSON verdeutlichen:

2. Sozialwissenschaftliche Relevanz

Die Relevanz von Metaphernanalysen läßt sich auf verschiedenen Ebenen diskutieren:

3. (Un-) Methodisches

Die genannten Metaphernanalysen zeigen unterschiedliche Grade der Systematisierung. Vielen linguistischen Studien sind die systematischen Ansprüche qualitativer Forschung ebenso fremd wie in qualitativen Forschungen oft ein unsystematisches Herausheben einzelner Metaphern und damit deren Überinterpretation zu finden ist; vor allem die Literatur zur therapeutischen Verwendung der Metaphorik zeigt eine große begriffliche Heterogenität. [5]

Eine systematische Metaphernanalyse sollte

in Form von Arbeitshilfen und Kodierregeln geben können, um zumindest einfachen Gütekriterien, wie Wiederholbarkeit der Vorgehens und Stabilität der Ergebnisse zu genügen. [6]

Derzeit zeichnen sich zwei systematisch vorgehende Implementationen der Metaphernanalyse ab: [7]

Die schon erwähnten BUCHHOLZ und von KLEIST (1995) nutzen eine Mischung ethnomethodologischer und psychoanalytischer Vorgehensweisen bei der Analyse von Metaphern. Ihre Beachtung der Sequentialität von Sprechäußerung zeigt seine Vorzüge bei der o.g. Analyse von therapeutischen Interaktionen. Sie verzichten auf eine Gesamtanalyse aller Metaphern eines Textes mit der Gefahr der Überinterpretation einzelner Metaphern bzw. deren vorschneller Rekonstruktion. [8]

Eine systematische Analyse aller Metaphern ist in dem vom Autor vorgeschlagenen Prozedere (SCHMITT 1997) zu finden, in dem mit einem regelbasierten und stufenweisen Vorgehen unterschiedliche Textquellen und damit nicht nur Interviews untersucht werden können. Der Verzicht auf die Analyse sequentieller Muster läßt dieses Verfahren zur Analyse von Interaktionen nur begrenzt brauchbar erscheinen. Als "Reinform" zeigen sich in dieser Form die immanenten Begrenztheiten der Metaphernanalyse deutlicher (z.B. Nichterfassung konkreter, nicht-metaphorischer Information), die je nach Aufgabenstellung eine Triangulation mit anderen Forschungsmethoden nahelegen. Ihr Ablauf gliedert sich in fünf Schritte: [

4. Noch kein Fazit

Die Entwicklung der metaphernanalytischen Methode(n) ist nicht abgeschlossen, die Diskussion um Reichweite und Anschlußfähigkeit ihrer Ergebnisse hat noch kaum begonnen. [10]

Anmerkung

1) Interviewzitate siehe SCHMITT (1995, 1999b). <zurück>

Literatur

Baldauf, Christa (1997). Metapher und Kognition. Grundlagen einer neuen Theorie der Alltagsmetapher. Frankfurt am Main: Lang.

Bock, Herbert (1981). Argumentationswert bildhafter Sprache im Dialog. Dissertation Universität Regensburg.

Buchholz, Michael B. & Kleist, Cornelia von (1995). Metaphernanalyse eines Therapiegespräches. In Michael B. Buchholz (Hrsg), Psychotherapeutische Interaktion (S.93-126). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Buchholz, Michael B. & Kleist, Cornelia von (1997). Szenarien des Kontakts. Eine metaphernanalytische Untersuchung stationärer Psychotherapie. Gießen: Psychosozial Verlag.

Flick, Uwe (1995). Qualitative Forschung. Hamburg: rowohlt.

Johnson, Mark (1987). The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason. Chicago: The University of Chicago Press.

Kleist, Cornelia von (1987). Zur Verwendung von Metaphern in den Selbstdarstellungen von Psychotherapieklienten. In Jarg B. Bergold & Uwe Flick (Hrsg.), Einsichten. Zugänge zur Sicht des Subjekts mittels qualitativer Forschung (S.115-124). Tübingen: DGVT.

Kronberger, Nicole (1999). Schwarzes Loch und Dornröschenschlaf – eine Metaphernanalyse von Alltagsvorstellungen der Depression. Psychotherapie und Sozialwissenschaft, 2, 85-104.

Lakoff, George & Johnson, Mark (1980). Metaphors we live by. Chicago: The University of Chicago Press.

Lakoff, George (1987). Woman, Fire and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago: The University of Chicago Press.

Nieraad, Jürgen (1977). Bildgesegnet und bildverflucht. Forschungen zur sprachlichen Metaphorik. Darmstadt.

Pollio, Howard R.; Barlow, Jack M.; Fine, Harold J. & Pollio, Marilyn R. (1977). Psychology and the Poetics of Growth. Figurative Language in Psychology, Psychotherapy, and Education. Hilsdale.

Schachtner, Christina (1999). Ärztliche Praxis. Die gestaltende Kraft der Metapher. Franfurt/M.: Suhrkamp.

Schmitt, Rudolf (1995). Metaphern des Helfens. Weinheim: Psychologie Verlags-Union.

Schmitt, Rudolf (1996). Metaphernanalyse und die Repräsentation biographischer Konstrukte. Journal für Psychologie, Doppelheft 4/1995-1/1996, 47-63.

Schmitt, Rudolf (1997). Metaphernanalyse als sozialwissenschaftliche Methode. Mit einigen Bemerkungen zur theoretischen "Fundierung" psychosozialen Handelns. Psychologie & Gesellschaftskritik, 21(1), 57-86.

Schmitt, Rudolf (1999a). Fragmente eines kommentierten Lexikons der Alltagspsychologie. Unveröffentlichtes Manuskript.

Schmitt, Rudolf (1999b). Von oberen Totpunkten, inneren Schweinehunden und anderen Männern. Zwischenbericht: Alkohol im Alltag und Metaphernanalyse. Unveröffentlichtes Ms.

Wolf, Angelika (1996). Essensmetaphern im Kontext von Aids und Hexerei in Malawi. In Angelika Wolf & Michael Stürzer (Hrsg.), Die gesellschaftliche Konstruktion von Befindlichkeit. Ein Sammelband zur Medizinethnologie (S.205-221). Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung.

Zum Autor

Rudolf SCHMITT

Zitation

Schmitt, Rudolf (2000). Skizzen zur Metaphernanalyse [10 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 1(1), Art. 20, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0001206.

Revised 3/2007

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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