Volume 10, No. 2, Art. 13 – Mai 2009
Rezension:
Thomas Hestermann
Bernt Schnettler & Hubert Knoblauch (Hrsg.) (2007). Powerpoint-Präsentationen. Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 303 Seiten, ISBN 3867640300, EUR 29
Zusammenfassung: Das von SCHNETTLER und KNOBLAUCH herausgegebene Werk "Powerpoint-Präsentationen. Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen" widmet sich einem bislang kaum erforschten Thema, den Merkmalen und Auswirkungen des mündlichen Vortrags, der sich auf Computerprogramme zur Präsentation, vor allem auf das Microsoft-Programm "PowerPoint", stützt.
Präsentationen, so legen die Autoren und Autorinnen aus soziologischer und linguistischer Perspektive dar, haben weitaus mehr zum Inhalt als die bloßen Folien. Die gezeigten Texte und Bilder erhalten ihren Sinn erst durch mündliche Rede, Körpersprache und das Zusammenspiel mit der Technik. Daher kann es zu verhängnisvollen Verständigungsschwierigkeiten kommen, wenn Organisationen herkömmliche Protokolle durch die Dokumentation von Powerpoint-Folien ersetzen.
Der Herausgeberband wird im Kontext der aktuellen Forschung und Diskussion zu Powerpoint-Präsentationen betrachtet. Insbesondere die Behauptung, Powerpoint führe per se zu Katastrophen wie dem Absturz der Raumfähre Columbia, wird kritisch reflektiert. Entscheidend scheint vielmehr zu sein, wie kompetent die Software und Technik der Präsentation angewendet werden.
Keywords: Powerpoint; Präsentation; Präsentationstechnik; Wissenssoziologie; Lerntheorie; Medienforschung; Kommunikationsforschung
Inhaltsverzeichnis
1. Struktur der Veröffentlichung
2. Forschung und Diskussion zu Powerpoint-Präsentationen
3. Fazit
1. Struktur der Veröffentlichung
Die Aufmerksamkeit für den Computer und für virtuelle Welten ist stark gewachsen. Doch es ist wenig bislang zur Computerisierung des mündlichen Vortrags durch Präsentationsprogramme, allen voran das Microsoft-Programm "PowerPoint", geforscht worden. In diese Forschungslücke stoßen die Autorinnen und Autoren des von SCHNETTLER und KNOBLAUCH herausgegebenen Buches "Powerpoint-Präsentationen. Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen"1). Damit leisten die Autorinnen und Autoren Pionierarbeit, um die folgenreichen Veränderungen der Wissensvermittlung durch Powerpoint zu analysieren. Der Band enthält 15 Beiträge, die vor allem drei Abschnitten zugeordnet sind. Die Herausgeber nennen sie: a) Historische und systematische Vergleiche, b) Empirische Untersuchungen I: Elemente und Formen der Powerpoint-Präsentation und c) Empirische Untersuchungen II: Zur Interaktionsordnung der Präsentation. [1]
Die Einleitung blickt auf die Vorläufer von Powerpoint zurück, als die Lichtbildprojektion nicht mehr allein eine Jahrmarktattraktion war, sondern zum Bestandteil auch wissenschaftlicher Vorträge wurde, und erläutert die bislang lückenreiche Erforschung der neuen Form von Präsentationen, die als performative Gattung definiert wird. Bislang war das wissenschaftliche Interesse an der Veränderung von Wissensvermittlung durch die inflationäre Nutzung von Powerpoint-Präsentationen gering. SCHNETTLER, KNOBLAUCH und PÖTZSCH nennen in ihrem Forschungsüberblick als einzige sozialwissenschaftliche Monografie die Arbeit von RENDLE-SHORT (2006) und beklagen ein "auffälliges akademisches Desinteresse an der Explosion des Computers in der 'Real Word' ", wozu sie die gewachsene Bedeutung des Computers für die mündliche Wissensvermittlung zählen (S.9). In den Wirtschaftswissenschaften konzentrieren sich einschlägige Veröffentlichungen auf Erfahrungsberichte und Anregungen zur optimierten Anwendung, beispielsweise die Empfehlung, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und eine Anhäufung von Folien (slide overload) zu vermeiden. JOURDAIN (2000) sieht bereits eine "Generation PowerPoint" heranwachsen. [2]
Unter den historischen und systematischen Vergleichen finden sich Beiträge über den Wandel vom Vortrag zur Multimedia-Performance aus kulturwissenschaftlicher Sicht, den Nutzen und die Grenzen von Powerpoint aus rhetoriktheoretischer Sicht sowie die linguistisch fundierte Betrachtung der Präsentationstexte als eigene Textsorte. [3]
Der Abschnitt "Empirische Untersuchungen I: Elemente und Formen der Powerpoint-Präsentation" widmet sich aus soziologischer und linguistischer Perspektive den Einzelergebnissen des von KNOBLAUCH geleiteten und 2007 abgeschlossenen DFG-Projekts "Die Performanz visuell unterstützter mündlicher Präsentationen" wie auch Erkenntnissen und Diskussionen, die darüber hinaus weisen. Damit geht es um das Besondere der Powerpoint-Präsentation selbst – vor allem die bildliche Darstellung, die Zeigegestik der Vortragenden und das Zusammenspiel von Rede, Körpersprache und Technik. Der erste Beitrag von Frederik S. PÖTZSCH legt Augenscheinlichkeit als zentrales Element der Wissensvermittlung dar – geht doch das deutsche Wort "Wissen" auf das althochdeutsche "wizzan" zurück, das wiederum vom lateinischen "videre", dem Sehen und Erblicken abzuleiten ist – und versucht eine Ikonografie von Powerpoint, nach der sich verschiedene Formen von Folien systematisch einordnen lassen. [4]
Der folgende Beitrag von Melanie BRINKSCHULTE kreist um die Frage, warum die Ausdrucke von Powerpoint-Präsentationen nicht selbsterklärend sind und beschreibt verschiedene Formen des Zeigens, etwa gestisch oder verbal ("dieses Kästchen hier"), mit denen sich der besondere Sinn von Folien erst erschließt. KNOBLAUCH analysiert in seinem Beitrag ebenfalls Formen und Funktionen des Zeigens und stützt sich dabei auf Fotos und Zitate aus insgesamt mehr als 200 Präsentationen, die in Universitäten, Unternehmen und Verbänden im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes aufgezeichnet wurden. Damit führt er den Begriff der "Performanz des Wissens" ein und verdeutlicht, dass die Folien allein nur ein Teil des "Drehbuchs" und der "Aufführung" einer Präsentation sind. Der anschließende Aufsatz von SCHNETTLER erörtert das Zusammenspiel von Folien, technischer Umsetzung, sprachlicher Vermittlung und körperlicher Präsenz als Orchestrierung. Hier geht es vor allem um die Steuerung von Aufmerksamkeit. Dabei werden Vortragende als Oratoren kategorisiert, die Powerpoint lediglich als "Hintergrundtapete" nutzen, oder als Performer, die gestenreich und mit ausgeprägtem Technikeinsatz ihren Vortrag geradezu aufführen. [5]
Der Abschnitt "Empirische Untersuchungen II: Zur Interaktionsordnung der Präsentation" fokussiert vor allem aus soziologischer Sicht die Bezüge zwischen Vortragenden und Publikum sowie die organisatorische Einbettung von Präsentationen. Im ersten Beitrag von Bernt SCHNETTLER und René TUMA geht es um Präsentationspannen, die eingeordnet werden als Aufbaupannen, kleinere Störungen (wie Rechtschreibfehler oder eine auf dem Kopf stehende Grafik), Fehlfunktionen (etwa das Abschalten des Beamers), Orchestrierungsfehler (beispielsweise das Überspringen von Folien) sowie Rahmenbrüche oder Totalpannen (beispielsweise den völligen Ausfall des Beamers). [6]
Darauf folgt der Beitrag von KNOBLAUCH über die Besonderheiten des Raumes, in dem präsentiert wird, und zwar sowohl bezogen auf die äußeren Merkmale des Raumes, etwa die Architektur, wie auch die inneren Merkmale etwa der sozialen Situation. Im anschließenden Kapitel widmet sich Anika KÖNIG Gütekriterien von Präsentationen aus lerntheoretischer Perspektive. Sie referiert Untersuchungen zu den Erinnerungsleistungen beispielsweise von Studierenden nach Vorträgen mit klassischen Mitteln wie Overhead-Folien im Vergleich zu Powerpoint-Präsentationen, die mehrheitlich zu dem Ergebnis kommen, dass die derart verschieden vermittelten Inhalte gleich gut erinnert werden (RICER, FILAK & SHORT 2005). BARTSCH und COBERN (2003) ermittelten, dass Wissenstests nach Präsentationen mit Overhead-Folien und einfacher Powerpoint-Anwendung nahezu gleich ausfallen, nach Multimedia-Präsentationen (expanded powerpoint) aber deutlich schlechter (S.210f.). KÖNIG ergänzt diese Befunde mit der Befragung von Anwenderinnen und Anwendern. [7]
Anschließend geht es im Beitrag von JoAnne YATES und Wanda ORLIKOWSKI um den Einsatz von Powerpoint in Organisationen und die Bedeutung über die eigentliche Präsentation hinaus, die sich in der Verdrängung etwa klassischer Protokolle durch Foliensätze zeigt – mit der Gefahr, dass diese Sicherungsform nur noch fragmenthaftes Wissen als Gedächtnis von Organisationen erzeugt. Felix DEGENHARDT und Marion MACKERT betrachten den Wandel des Begriffs der Präsentation, der im Sinne einer computergestützten Präsentation erst 1998 in die Brockhaus-Enzyklopädie Einzug hielt und zunehmend mit dem Begriff der Visualisierung verknüpft wird. [8]
In ihren abschließenden Überlegungen gehen die Herausgeber der Frage nach, welche Bedeutung die von ihnen versammelten Beiträge für die Diagnose einer Wissensgesellschaft haben. Sie bezeichnen Powerpoint-Präsentationen als "kommunikative Hybridform" und als "vereinfachtes Basisidiom globalisierter Wissensgesellschaften" (S.278f.). Der letzte Beitrag des Buches von Sabine PETSCHKE beschreibt den Datenkorpus des DFG-Projekts "Die Performanz visuell unterstützter mündlicher Präsentationen" im Detail. [9]
Der Aufbau wäre besser nachvollziehbar, wenn die Autorinnen und Autoren das Phänomen der Powerpoint-Präsentation zunächst aus verschiedenen Perspektiven allgemein analysiert und dann die Ergebnisse der von KNOBLAUCH verantworteten Untersuchung im Lichte dieses Vorwissens ausgebreitet hätten. Einige Aufsätze aber greifen vor und beleuchten bereits einzelne Untersuchungsergebnisse, ohne die Anlage der empirischen Arbeit und insbesondere die Stichprobe umfassend zu beschreiben. Dies leistet erst der Aufsatz von KNOBLAUCH ab Seite 117, ergänzt durch die Beschreibung des Datenfundus am Ende des Buches. So empfiehlt sich eine Lektüre im Zickzack, um größtmöglichen Gewinn aus dem Buch zu ziehen. Als Einstieg eignet sich beispielsweise der aus dem Amerikanischen übersetzte Beitrag der am Massachusetts Institute of Technology lehrenden Organisationssoziologinnen YATES und ORLIKOWSKI (S.225-248). In klarer Struktur und unprätentiöser Sprache systematisieren sie die Aspekte von Präsentationen nach Zweck, Inhalt, Teilnehmenden, Form, Zeit und Ort und entwerfen eine Geschichte visueller Präsentationen des vergangenen Jahrhunderts. [10]
2. Forschung und Diskussion zu Powerpoint-Präsentationen
Im Folgenden werde ich das Buch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zu Powerpoint-Präsentationen betrachten, insbesondere mit Blick auf die Kritik, wonach die bisherige Anwendung von Powerpoint-Präsentationen fatale Folgen bis hin zum Absturz der Raumfähre Columbia gehabt habe: Insbesondere die polemisch und satirisch gefärbten Arbeiten von TUFTE (2003a, 2003b) und NORVIG (1999) wurden breit diskutiert, und vor allem die Thesen von TUFTE werden im vorliegenden Buch mehrfach aufgegriffen (etwa in der Einleitung und im Beitrag von SCHNETTLER und TUMA). Dabei überrascht, dass die Autoren einerseits rügen, die Kritik von TUFTE habe Gemeinplätze gestärkt und zu einer angemessenen Erforschung des Phänomens wenig beigetragen. Andererseits aber wird er in der Einleitung des Buches nur verengt wiedergegeben:
"So gingen beispielsweise die scharfen Vorwürfe des US-amerikanischen Informationswissenschaftlers Edward Tufte (2003[a]) um die ganze Welt, der insbesondere an der von Microsoft vertriebenen Präsentations-Software harte Kritik übte: Sie verflache Vorträge, nehme ihnen die nötige Komplexität und verdumme damit die Menschen." (S.9) [11]
Trotz gelegentlich polemischer Äußerungen wird der Yale-Emeritus TUFTE seiner Rolle als fundamentalistischer Kreuzritter nicht gerecht. Zwar vergleicht TUFTE (2003b) in seinem Beitrag für Wired PowerPoint mit einem Medikament, das Schönheit verspreche, stattdessen aber dumm und langweilig mache. "These side effects would rightly lead to a worldwide product recall". Im Weiteren aber wird deutlich, dass TUFTE nicht die computergestützte Präsentation an sich oder ein bestimmtes Programm in Bausch und Bogen verdammt, sondern die unbedachte Anwendung. Sein Beitrag endet versöhnlich: "PowerPoint is a competent slide manager and projector. But rather than supplementing a presentation, it has become a substitute for it" (TUFTE 2003b; vgl. auch BYRNE 2003). Gleichwohl wird TUFTE in mehreren Beiträgen des Buches als Kronzeuge verhängnisvoller Folgen von Powerpoint in Beschlag genommen, etwa wenn SCHNETTLER und TUMA schreiben: "So ist Powerpoint für einige große Tragödien der jüngeren Vergangenheit wie den Absturz der Raumfähre Columbia (Tufte 2006) mitverantwortlich gemacht worden" (S.166). Tatsächlich hat TUFTE zum Abschlussbericht der unabhängigen Kommission beigetragen, die das Columbia-Unglück untersuchte. Darin rügt die Kommission, dass sich die NASA vielfach auf Powerpoint-Folien statt auf ausführliche technische Berichte gestützt habe. Dies verweist aber nicht auf Mängel des Programms, sondern auf eine problematische Anwendung. Genauso unzureichend und unsinnig wäre es, Protokolltexte durch Overhead-Folien oder Tafelbilder zu ersetzen. [12]
TUFTE legt in der exemplarischen Kritik einer Powerpoint-Folie unter anderem dar, dass in den NASA-internen Präsentationen gravierende Risiken nur am Rande und geradezu versteckt dargestellt worden waren – beispielsweise Schwachpunkte des Hitzeschildes, der im Jahr 2003 tatsächlich versagte. Dies kostete sieben Menschen das Leben. In der entsprechenden Folie steht das unauffällige Wörtchen "it" für dieses zuvor bereits für möglich gehaltene Desaster: "Test results do show that it is possible at sufficient mass and velocity" (NASA 2003, S.191). Damit wird deutlich, dass es hier nicht vorrangig um das Kommunikationsmittel, sondern um den Kommunikationsstil geht. Die gewählte Formulierung, die ein technisches Risiko zwar benennt, zugleich aber verbirgt, ist keineswegs eine Besonderheit von Folientexten. So rügt die Kommission die häufige Verwendung von Powerpoint-Folien nicht als das eigentliche Problem, sondern als "illustration of the problematic methods of technical communication at NASA" (ebd.). Dagegen empfiehlt sie "concise and timely communication of problems using redundant paths" (NASA 2003, S.183). [13]
YATES und ORLIKOWSKI zitieren in ihrem Buchbeitrag auch die Kritik von Peter NORVIG, ehemals Hochschullehrer und heute Forschungsdirektor des Informationskonzerns Google. NORVIG (1999) entwickelte seine "Gettysburg PowerPoint-Präsentation" aus der berühmten Rede von Abraham Lincoln 1863 in Gettysburg, dem Ort der entscheidenden Schlacht des US-amerikanischen Bürgerkriegs. Sie ist eine der berühmtesten Reden der amerikanischen Geschichte und wird noch heute in vielen Schulen der Vereinigten Staaten auswendig gelernt. NORVIGs Umwandlung in sechs Powerpoint-Folien wurde umfangreich diskutiert. "Sie belegt, wie die reichhaltige Rhetorik von Abraham Lincolns Ansprache in Gettysburg verflacht und trivialisiert würde, präsentierte man sie im Format von PowerPoint" (S.234). Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass NORVIG die Rede von Lincoln mechanisch mithilfe des Microsoft PowerPoint Autocontent Wizard in Folien überträgt und satirisch überzeichnet, wenn etwa Präsident Lincoln in seiner fiktiven, in die Gegenwart übertragenen Präsentation über die Tücken moderner Technik witzelt: "Gee, sometimes this new technology does have glitches, but we couldn't live without it, could we?" (NORVIG 1999). [14]
So erinnert manche Fundamentalkritik an frühere Diskussionen beispielsweise um die Anfänge des Internets, als einige Basisgruppen neue Chancen für Vernetzung und Demokratisierung erkannten, während andere auf Totalverweigerung beharrten (HESTERMANN 1988), oder an Debatten um den Einzug automatisierter Techniken in die mündliche Kommunikation zwischen Unternehmen und ihrer Kundschaft (HESTERMANN 1994). Die Heftigkeit solcher frühen Diskurse ebenso wie des neueren Streits um die Powerpoint-Präsentation ist aber weniger aus den Eigenheiten technischer Neuerungen, sondern vielmehr daraus zu erklären, dass deren Grammatik noch neu und erst zu beherrschen ist – wie auch daraus, dass sich die Technik noch in einem frühen Anpassungsprozess an komplexe Kommunikationsbedürfnisse befindet: Es geht gleichsam um wechselseitiges Lernen. Dazu kann auch die Wissenschaft einen wichtigen Beitrag leisten. So dürfte die Frage nach einer Handlungsträgerschaft von Technik, dass also Vortragende denken und die Präsentationstechnik scheinbar lenkt, an Brisanz verlieren. SCHNETTLER und TUMA ist in ihrer Analyse zu folgen, dass die zahlreichen Präsentationspannen einer "historischen Frühphase" dieser Präsentationstechnik anzurechnen sind und mit einer wachsenden Präsentationskompetenz rar werden dürften (S.166). [15]
Zu den Kinderkrankheiten der Powerpoint-Präsentation könnte auch die Gefangenheit in einer starren Folienabfolge zählen. Diese Serialität ist für Powerpoint-Präsentationen im Gegensatz zu Folienpräsentationen typisch. Die Herausgeber schreiben von der Serialität, die "eine Art Gestaltschließungszwang mit sich führt: Anfangs- und Endpunkte (etwa Bedankungen), aber auch Gliederungseinheiten der Rede wollen visualisiert sein, und diese Visualisierungen führen wiederum zu einem Strukturierungsdruck der Rede" (S.24). Über die damit zusammenhängende Monotonie der Folien spottet TUFTE (2003b): "one damn slide after another". [16]
Es ist das Verdienst des Buches, die Powerpoint-Präsentation umfassend als Aufführung von Wissen (und Meinung) zu analysieren. Damit stellen sich die Autorinnen und Autoren ganz neuen Forschungsfragen. "Nicht die Folien, sondern die Präsentation ist deswegen das zentrale, entscheidende, neue und deswegen zu analysierende Phänomen" (S.18). Dies wird deutlich, wenn das Buch – gestützt auf Videoaufzeichnungen – den Tanz des Laserpointers festhält, beispielhaft auf einer Folie zu biochemischen Strukturen, die Kreise und ein bepunktetes Band zeigt. Erst durch das Zeigen per Lichtpunkt stürzen Elemente gleichsam ab, wird aus der starren Momentaufnahme der Film eines dynamischen Prozesses. Dabei liefert die Folie nur den Hintergrund. "Wie wir gesehen haben, führt das Wechselspiel zwischen gesprochenen Worten, Folien und Gesten vielmehr zu Bedeutungen, die auf den Folien nicht einmal enthalten sein müssen, ja ihnen sogar entgegenlaufen können" (S.126). Daher ersparen sich Studierende, die sich aus dem Internet Foliensätze herunterladen, eben nicht den Besuch von Vorlesungen. Spielerische Varianten wie das "Powerpoint-Karaoke" sind nur dadurch möglich, dass es inhaltliche Leerstellen und Interpretationsspielräume gibt, die passend oder auch auf kuriose Weise unpassend gefüllt werden können. Darum auch ist es so problematisch, wenn Foliensätze ausführliche Protokolle ersetzen. [17]
Angesichts der Flut von Powerpoint-Präsentationen in Forschung und Lehre, in Unternehmen und Verbänden ist eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen längst überfällig. Dazu leistet dieses Buch einen wichtigen Beitrag, indem es die Inszenierung von Wissen aus vielfältigen Perspektiven und mit reichhaltigem Material in den Blick nimmt. Insbesondere die detaillierten Auszüge aus Vortragstranskripten und die aus Videos gewonnenen Momentaufnahmen des Vortragsverhaltens gewähren einen tiefen Einblick in das Bühnengeschehen, das als Performanz definiert wird. Bei diesen inhaltlichen Qualitäten hätte man dem Buch mehr Sorgfalt beim Aufbau und vor allem bei der Korrektur gewünscht. Einzelne Passagen des Buches sind geradezu übersät mit Druckfehlern. Wenn allein der Beitrag über Pannen, Powerpoint und Performanz Fehler in zweistelliger Zahl enthält, ist damit zwar eindrucksvoll belegt, wie äußere Unzulänglichkeiten Aufmerksamkeit rauben können, doch möchte man sich hier dem Fazit vieler Powerpoint-Anwender über die Kunst der Präsentation anschließen: weniger wäre mehr gewesen. [18]
Macht PowerPoint dumm? Mit dieser Frage wird ein Kapitel eingeleitet, doch lässt sich dies nicht allein aus der Analyse von Präsentationen beantworten, auf die sich das Buch konzentriert, sondern nur mit Blick auf die Rezeption und Wirkung beim Publikum. Es kann nicht Anspruch sein, auch dieses anspruchsvolle Themenfeld zu bearbeiten. Allerdings wäre eine klarere Abgrenzung in diesem Sinne wünschenswert gewesen. Behauptungen über die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums werden nicht überzeugend belegt, wenn etwa SCHNETTLER und TUMA behaupten: "Obwohl die Technisierung der Visualisierung eine im Vergleich zur Folienprojektion deutlich gesteigerte visuelle Perfektionserwartung in Präsentationen befördert, ist zugleich zu beobachten, dass für solche kleinere Störungen in der Regel beim Publikum eine recht hohe Toleranz besteht" (S.174). [19]
Dabei beziehen sich SCHNETTLER und TUMA auf die Auswertungen von Aufnahmen ihrer Publikumskamera, die beispielsweise erfasste, wenn sich zwei Personen im Publikum einander zuwandten und dabei mit der Hand auf die Projektion wiesen. Diese Gesten deuten die Autoren als "sichtbare Reaktionen der Missbilligung" (S.174). So interessant die Frage ist, wie es tatsächlich um die Fehlertoleranz und schließlich die Wirkung verschiedener Präsentationen beim Publikum bestellt ist, schießt hier aber die Interpretation weit über den tatsächlichen Befund hinaus. Selbst wenn solche gelegentlichen Gesten im Publikum bestimmten Eigenarten der Präsentation zuzuordnen sein könnten, sind es weitere, nicht ausreichend gestützte Deutungsschritte, diese – mutmaßlichen – Formen spezifischer Aufmerksamkeit als Missbilligung einzuordnen und daraus Aussagen über Publikumserwartungen abzuleiten. [20]
So schreiben SCHNETTLER und TUMA auch vom "kommunikativ dramatischen Fall eines vollständigen Situationszusammenbruchs mit nachhaltigem Gesichtsverlust des Präsentierenden" (S.176). In diesem Zusammenhang steht das Beispiel eines Vortragenden, der nach dem Ausfall eines Beamers auf die kuriose Idee verfiel, dem Publikum seine Folienausdrucke jeweils zu zeigen. Weil sie nach Beobachtung der Autoren kaum zu lesen waren, führte dies zu langen Gesprächspausen. Es liegt nahe anzunehmen, dass dieser hilflose Beharrungsversuch, sich einer Technik zu bedienen, die sich verweigert, nicht als Meisterstück der Präsentation in Erinnerung bleibt. Ob damit allerdings die fachliche Kompetenz und die persönliche Ausstrahlung von Vortragenden so komplett überdeckt werden, dass wirklich von einem "nachhaltigen Gesichtsverlust" zu reden ist, erscheint gewagt und wird nicht belegt. Denkbar ist, dass gerade der pannenverstrickte Vortragende Gesicht erhält und die Sympathie seines Publikums gewinnt. Klarheit darüber ist allerdings nur dann zu gewinnen, wenn aus diesen Spekulationen Forschungsfragen entwickelt werden, um sie mit dem Instrumentarium der Rezeptions- und Wirkungsforschung zu beantworten. Annahmen über das Publikum lassen sich überzeugend nur empirisch beantworten. [21]
Unklar bleibt zudem vielfach, ob es um die typische Powerpoint-Präsentation geht oder um die besonders auffällige Powerpoint-Präsentation, also die ärgsten Pannen, die rätselhaftesten Folien und die langatmigsten Darbietungen. So legt PÖTZSCH dar, die Formenvielfalt der Folien sei "weitaus größer als dies der kulturkritische Diskurs wahrhaben will" (S.95). Wenn er beispielhaft eine Folie aus einem naturwissenschaftlichen Vortrag und deren Präsentation referiert, wird allerdings nicht ersichtlich, ob die hier gezeigte Überlastung einer einzigen Folie mit mehreren nicht selbsterklärenden Grafiken und einem sparsamen Text, die erst durch Zeigen und mündliches Erklären Sinn gewinnen, tatsächlich typisch sein soll. [22]
Auch die Behauptungen zu gesellschaftlichen Folgen der Powerpoint-Anwendung werfen Fragen auf. Es bedarf keiner Allmachtsthesen, wonach Powerpoint dafür mitverantwortlich sein sollte, dass ein Raumschiff verglühte (s.o.). Es lässt sich auch so fragen, wie das Medium die Botschaft bestimmt und was daraus folgt. Längst hat sich die Medienwirkungsforschung von einfachen Stimulus-Response-Modellen verabschiedet und Interaktionen in den Blick genommen. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, wie Powerpoint-Präsentationen sowohl mediale Vermittlung wie mediale Rezeption verändern und was dies für Kommunikationsprozesse und die daraus abgeleiteten Entscheidungsstrukturen bedeutet. Insofern besteht zur Dramatisierung kein Anlass, sondern zu weiterer Forschung. [23]
1) Im Folgenden bezeichnet – wie im rezensierten Buch – "Powerpoint" das Genre der computergestützten Präsentation im Allgemeinen und "PowerPoint" das Präsentationsprogramm der Firma Microsoft im Besonderen. <zurück>
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Thomas HESTERMANN ist Sozialwissenschaftler und arbeitet seit 1987 als Journalist. Er lehrt journalistische Techniken an der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) und an der Leuphana Universität Lüneburg und leitet am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen in Hannover ein Forschungsprojekt zu Entscheidungsstrukturen im Fernsehjournalismus.
Kontakt:
Thomas Hestermann
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.
Lützerodestraße 9
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Tel. (0511) 348 36-75
E-Mail: hestermann@kfn.uni-hannover.de
URL: http://www.medienbuero.net/
Hestermann, Thomas (2009). Review: Bernt Schnettler & Hubert Knoblauch (Hrsg.) (2007). Powerpoint-Präsentationen. Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen [23 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 10(2), Art. 13, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0902135.