Volume 12, No. 1, Art. 29 – Januar 2011
Rezension:
Martin Welker
Martina Schuegraf (2008). Medienkonvergenz und Subjektbildung. Mediale Interaktionen am Beispiel von Musikfernsehen und Internet (Reihe Medienbildung und Gesellschaft, Band 5). Wiesbaden: VS Verlag; 315 Seiten; 978-3-531-15636-1; EUR 34,90
Zusammenfassung: Die Dissertation von Martina SCHUEGRAF zum Thema "Medienkonvergenz und Subjektbildung" untersucht Prozesse des Zusammenwachsens ehemals getrennter Mediensparten aus der Nutzungsperspektive von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Untersuchung setzt an Prozessen der Nutzung an und fragt, wie konvergente Nutzungsakte in den Alltag eingebettet werden. Die Arbeit bezieht sich auf die Medien Fernsehen und Internet, und hierbei genauer auf die Sparte "Musiksender". Auf diese Weise sollen die Umgangsformen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Lichte medien- und kulturspezifischer Handlungsweisen untersucht werden. Die Arbeit basiert empirisch-methodisch auf qualitativen Interviews zu Musikfernseh- und Internetgewohnheiten von 16 bis 24-Jährigen sowie auf Beobachtungen des Surfverhaltens. Interaktionen und Internetgewohnheiten wurden mittels minimalem und maximalem Kontrastieren aus den Antworten heraus modelliert, und anschließend wurde auf die Bedeutung dieser Interaktionen für die Subjektbildung geschlossen. Durch die Verknüpfung zweier – bislang überwiegend getrennt laufender – Forschungszweige gelingt der Autorin ein neuer Blick auf medienkonvergente Handlungen Jugendlicher.
Keywords: Medienkonvergenz; Subjektbildung; Musikfernsehen; Mediennutzung; Feminismus; Surfgramme; Fallporträt; Grounded-Theory-Methodologie
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Inhalt
3. Methoden und Theorien
4. Bewertung und Zusammenfassung
Medien prägen unser Leben. Dieser Satz gilt in besonderem Maße für Jugendliche und junge Erwachsene, deren Medien- einschließlich der Computernutzung intensiver ausfällt und die sich in der Mehrheit von Präferenzen in den Bereichen elektronische Spiele, Musik, Filme und Fernsehsendungen leiten lassen. Sie verhalten sich in diesem Kontext medienkonvergent, wenden sich also mehreren Mediensparten (oftmals gleichzeitig) zu (vgl. SCHORB, KEILHAUER, WÜRFEL & KIESSLING 2008, S.36). Das Internet als Plattform unterschiedlicher Medienmodi spielt im Kontext integrativer Verwendungsweisen eine herausragende Rolle: "Im Gegensatz zur Erwachsenengeneration, in deren Leben Online-Medien oft erst in vorgerücktem Alter zum Medienkanon hinzukamen, sind Online-Medien etwa für heutige Schüler selbstverständlicher Teil des Alltagslebens" (KOLO 2010, S.286). Das haben Musikindustrie und Medienmachende erkannt und vermarkten ihre Produkte über alle verfügbaren Medien und Medienplattformen hinweg, insbesondere aber online. Für viele Heranwachsende spielen Musik und Musiknutzung eine herausragende Rolle. Sie schauen dabei nicht nur Musikinhalte über das Fernsehen an. Um an Informationen über die jeweils präferierte Musikrichtung, über bestimmte Bands oder Musikevents zu kommen, gehen die Jugendlichen an erster Stelle ins Internet (SCHORB et al. 2008, S.40). Sie tauschen sich dort mit Gleichgesinnten aus oder laden Dateien (zum Beispiel Musik) herunter. [1]
Jugendliche befinden sich, insbesondere in der Phase der Pubertät, in einem Selbstfindungs- und Orientierungsprozess. Im gesteigerten individuellen Selbstausdruck spielt Musik eine große, wenn nicht eine herausragende Rolle. Heranwachsende, Medien und Musik bilden somit ein interaktives Dreieck, dessen Kanten forschungslogisch miteinander verbunden werden können. Genau dies versucht die Arbeit von SCHUEGRAF, indem sie untersucht, wie konvergente Nutzungsakte – also die sich überlappende Nutzung von TV und Internet – im Hinblick auf Musik und musikbezogene Inhalte in den Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen eingebettet werden. [2]
Die Arbeit beschreibt die deutsche Musikfernseh-Szene der Zeitperiode aus den Jahren 2002 und 2003. Die Interviews mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden 2003 bis 2005 geführt (S.118ff.), die Arbeit 2007 als Buch abgeschlossen und 2008 veröffentlicht. Seit 2003 hat sich das Internet als Medienkonvergenz- und Technologietreiber bereits wieder erheblich weiterentwickelt. Durch schnellere Rechner und leistungsfähigere Programme sind Angebote wie YouTube und generell Bewegtbild über das Internet heute alltäglich geworden, was 2003 noch nicht der Fall war. Insofern bildet die vorliegende Forschungsarbeit auch im Hinblick auf Nutzungskonvergenz eine Situation ab, als Musik-TV und die inhaltlich darauf zu beziehenden Internetangebote noch eine klarer getrennte Funktionsstruktur aufwiesen als heutige Anwendungen. [3]
Die Arbeit besteht aus sieben Kapiteln. Hinzu kommen eine Einleitung, eine Anlage mit den Transkriptionsregeln für qualitative Interviews, das Literaturverzeichnis und ein Verweis auf ein Internetdokument, das empirische Erträge enthält. Die Arbeit hat 315 Seiten und besteht überwiegend aus Text, nur wenige Abbildungen und Tabellen sind zu finden. [4]
Die Exposition ihrer Arbeit fasst die Autorin auf Seite 14 wie folgt zusammen:
"Mit der vorliegenden Studie soll der Blick auf die Mediennutzung vor dem Hintergrund medienkonvergenter Interaktionen gerichtet werden, um auf diese Weise die Umgangsformen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Lichte medien- und kulturspezifischer Handlungsweisen und im Hinblick auf subjektkonstituierende Prozesse zu untersuchen." [5]
Um dieses Ziel zu erreichen, wird ein qualitatives Forschungssetting aufgespannt. Dieses wird dem Forschungsgegenstand auf den ersten Blick durchaus gerecht. Die Forschungsfragen werden im Hinblick auf die Heranwachsenden wie folgt formuliert: "Was bedeutet Medienkonvergenz für das (Inter-) Agieren und die Konstitution von Subjektivität der Mediennutzenden in ihrem Alltag?" (S.16) [6]
Welche Potenziale eröffnen konvergente Medienangebote und wie integrieren die Nutzenden die Medien und deren Inhalte in ihren Alltag? Welche Auswirkungen hat dieses Verhalten auf die Subjektkonstitution? Um diese Fragen in einem angemessenen theoretischen Rahmen beantworten zu können, zieht die Autorin Performativitätstheorien heran. Performativität ist ein Begriff der Sprechakttheorie, der von AUSTIN geprägt wurde. Performative Äußerungen sind laut AUSTIN – wie er dies in seiner Vorlesung zur Sprechakttheorie "How to Do Things with Words" (2002 [1962]) ausführlich behandelt – Sätze, mit denen illokutionäre Akte vollzogen werden. [7]
Medienkonvergenz ist auf unterschiedlichen Ebenen wirksam: Üblicherweise werden unterschieden eine Konvergenzbewegung der Technik (Endgeräte und Übertragungstechnologien), der Branchen (Industriestrukturen), der Inhalte und v.a. der Nutzung. Die Untersuchung von Martina SCHUEGRAF setzt an Konvergenzprozessen der Nutzung an und fragt, wie konvergente Nutzungsakte in den Alltag eingebettet werden. Die Untersuchung bezieht sich auf die Medien Fernsehen und Internet, genauer auf die Sparte "Musiksender" und deren programmbegleitende Angebote im Internet. "Was [aber] bedeutet Medienkonvergenz für den Nutzenden" (S.21), und wie gehen Nutzende mit dem Medienangebot um? Die Feststellung von SCHUEGRAF, dass "[i]nsbesondere die Perspektive auf die konkreten medienkonvergenten Gebrauchsweisen und Interaktionen […] bis dato eher rudimentär erforscht worden [ist]" (S.26), war zu Beginn des neuen Jahrhunderts sicher richtig, hat sich aber geändert. Dies zeigen zahlreiche seither erschienene Forschungsarbeiten (vgl. WAGNER & THEUNERT 2006; SCHORB et al. 2008; siehe auch die Arbeiten des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest oder Teile der jährlichen ZDF/ARD-Studien). In der Konvergenz-Übersicht von KOLO (2010, S.287) werden die Nutzenden lediglich im Hinblick auf die Endgeräte und Plattformen aufgeführt, nicht aber in Bezug auf die Nutzungsakte. [8]
In Kapitel 2 werden dann das Angebot des in Deutschland empfangbaren Musikfernsehens und die dazugehörigen Webpräsenzen beschrieben. Anschließend wird in Kapitel 3 das theoretische Performativitätskonzept von Judith BUTLER ("Das Unbehagen der Geschlechter") dargelegt. In ausgewählten Fallporträts schildert die Autorin in Kapitel 5 anschließend ihre mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführten Interviews (insgesamt 12) nach Rahmenbedingungen und Inhalt ausführlich und integriert erste Interpretationen. In den jeweiligen Zusammenfassungen am Ende dieser Abschnitte werden mithilfe der verdichteten Interviews vier mediale Charakterporträts erstellt. [9]
Empirie und Theorie werden von der Autorin in Kapitel 6 verbunden. Dort werden Medien als mediale Konstruktionen und unter den Kategorien "mediale Praxen", "medienbiografisches Wissen" und "medienkonvergente Interaktionen" diskutiert und mit den empirischen Erkenntnissen aus den qualitativen Interviews verbunden. Diese drei Schlüsselkategorien: Mediale Praxen (Flexibilität im Umgang mit Medien), das medienbiografische Wissen (im Detail und im Kontext) und reflexive Authentifizierung (Präsentation und Anerkennung) waren zuvor für die Subjektkonstitution als zentral identifiziert worden. [10]
SCHUEGRAF nähert sich ihrem Forschungsgegenstand mit einem qualitativen Methodenset. In Kapitel 4 werden die methodologischen Grundlagen geschildert und das methodische Design der Arbeit wird exemplifiziert. Spannend aus meiner Sicht ist dabei besonders Kapitel 4.4.1, das die Methode der sogenannten "Surfgramme", also von visuell dargestellten Surfwegen von Internet-Nutzenden erläutert. Diese Methode qualitativer Online-Forschung wird von der Autorin der Online-Ethnografie zugerechnet. Sie dient der Sichtbarmachung normalerweise nicht explizit ablaufender Kommunikationsakte und der Selbstvergewisserung der Nutzenden. Die qualitativen Interviews, in zwei Wellen erhoben und nach der ersten Teilerhebungsphase methodisch reflektiert, bilden den methodischen Grundstock der Arbeit. Zu den insgesamt zwölf Interviews kommen die erwähnten Surfgramme als weitere empirische Daten hinzu, also Beobachtungen, die gemeinsam mit den Teilnehmenden erarbeitet wurden. Die Autorin hat als Auswertungsstrategie das minimale und maximale Kontrastieren angewendet. Datenerhebung und Auswertung sind somit – wie in der Grounded-Theory-Methodologie typisch – eng miteinander verzahnt:
"Bei der Bearbeitung eines möglichen Kontrastfalls zu einem ersten ausgewerteten Interview wurde sehr schnell deutlich, dass sich die Kontrastierung nur auf bestimmte Themenbereiche jedoch nicht auf das gesamte Interview beziehen lässt. […] So suchte ich zum ersten Interview einen minimalen Kontrastfall, um meine Überlegungen und Hypothesen zu schärfen und zu konkretisieren." (S.133) [11]
Die Autorin räumt allerdings ein, dass sich zwar hinsichtlich verschiedener Ebenen bzw. Themen Kontraste finden ließen, nicht aber in Bezug auf einen ganzen Fall. Kontrastfälle wurden also im Hinblick auf im Leitfaden angelegte Themenbereiche gefunden. Diese Vorgehensweise wurde auch für die Entwicklung des Kategoriensystems und des Kodierschemas angewendet. [12]
In diesen Methodenkapiteln 4 und 5 gewinnt die Arbeit Kontur und ist spannend zu lesen. Insbesondere die Falldarstellungen auf Basis der Schlüsselkategorien, also die interpretierende Wiedergabe derjenigen Interviews, die für die jeweilige Altersgruppe als typisch ausgewählt wurden, gewähren auf einer recht griffigen Ebene interessante Einblicke in den Alltag der befragten Heranwachsenden. Ob die plausiblen Situationen und Aussagen, die dort beschrieben werden, mit dem angestrebten theoretischen Rahmen sinnvoll verbunden werden können, möchte ich im nächsten Abschnitt diskutieren. [13]
4. Bewertung und Zusammenfassung
Insgesamt öffnet SCHUEGRAF den Blick für das Verständnis zweier bislang weitgehend getrennt beforschter Gebiete: Aneignung von Medienangeboten durch medienkonvergente Nutzungsakte und mediale Beeinflussung der Entwicklung von Heranwachsenden. [14]
Der recht flüssige, dennoch elaborierte Schreibstil unterstützt insgesamt die Lesbarkeit und das Verständnis auch schwierigerer Passagen des doch recht komplexen Buches. Allerdings ist die Analyse stellenweise sehr kleinteilig und verliert sich in Einzelheiten, die nicht recht zur Untersuchungsfrage passen. [15]
Die ausführlich geratene Charakterisierung der Musiksender MTV und VIVA sowie die Beschreibung deren mediengeschichtlicher Entwicklung seit den 1980er Jahren trägt eigentlich wenig zum Anliegen der Arbeit bei. Die Verwicklungen und geschichtlichen Windungen der Spartensender zeigen allenfalls, dass die Entwicklung äußerst dynamisch und kaum vorhersagbar verlaufen ist. Denn im Laufe der Jahre haben sich Senderstrukturen, Programmangebote und Online-Auftritte häufig geändert. So ist der Blick auf die Screenshots der einzelnen Webangebote der Musiksender höchstens ein bestürzender Blick in Vergangenheit, weil den Betrachtenden schlagartig bewusst wird, wie schnell Oberflächen und Inhalte im Internet obsolet sind. Die Erklärungsleistung dieses Kapitels für die Gesamtarbeit ist jedoch gering. [16]
Das dann in Kapitel 3 dargelegte Konzept ist das sperrige Kontrastprogramm zu Kapitel 2, insbesondere weil SCHUEGRAF auf BUTLER rekurriert. Das feministisch-konstruktivistische Konzept von BUTLER behauptet als Kernthese, dass die Kategorie "Geschlecht" kein angeborenes Faktum, sondern ein sozial vermitteltes, durch mannigfaltige Handlungen konstituiertes und durch "Körpermaskierungen" gestütztes Phänomen bilde. BUTLER macht allerdings personale Kommunikation zum Ausgangspunkt ihrer Gender-Überlegungen, während in der vorliegenden Studie aber (massen-) mediale Verwendungsweisen von Heranwachsenden beiderlei Geschlechts untersucht werden. Eine Schwierigkeit aus meiner Sicht ist die Verbindung der aus personaler Kommunikation (Sprechakttheorie) getroffenen Unterscheidungen und Prämissen mit einer medial vermittelten Kommunikationsebene (TV). Die Brücke von Theorie und Untersuchungsgegenstand wird letztlich in Kapitel 6 (S.260ff.) gebaut: Die wiederholte Versendung von Inhalten durch das Fernsehen habe die Kraft eines performativen Aktes. Bilder erzeugten auf diese Weise Wirklichkeit. Das entspricht einem konstruktivistischen Ansatz, der postuliert, dass Wirklichkeit medial und kulturell erzeugt wird. Diese Wirklichkeit könne durch die Nutzenden rekontextualisiert werden, beispielsweise durch Nachahmung insbesondere im Rahmen medienkonvergenter Mediennutzung, auch im Zuge von Medienwechseln. So weit so gut. Hier aber stellt sich nun die Frage nach der Wahlfreiheit der Nutzenden. SCHUEGRAF (S.262) sieht das Problem selbst:
"Butlers Subjekt ist der Macht und der sozialen Ordnung unterworfen. Gleichzeitig wird es durch die Unterwerfung überhaupt erst existent. […] Für die Mediennutzenden bedeutet das, dass auch sie der Macht, und zwar z.B. der Sender, unterworfen sind. […] Im Akt der Annahme dieser Angebote bzw. Inhalte (oder Anerkennung, um mit Butler zu sprechen) konstituieren sie sich als Mediennutzende in der Unterordnung unter die Macht der Sender." [17]
Diese Sicht ist aus der Medienkonvergenzperspektive überraschend. In einer Zeit, in der eigentlich die Nutzenden "am Drücker" sind, sowohl aufgrund der Vielfalt der Sender als auch aufgrund der zunehmenden Vielfalt der Kanäle und der dadurch entstehenden Rekombinationsmöglichkeiten, erstaunt es, dass Nutzende "unter der Macht der Sender" stehen sollen und als "Unterworfene" (S.262) bezeichnet werden. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings die von SCHUEGRAF pointierte Tatsache, dass Habitualisierung bei der Mediennutzung, sei sie konvergent oder auf ein einziges Medium bezogen, noch immer eine dominante Rolle spielen kann. [18]
Genau diese Frage: die Pole zwischen Aktivität und Passivität der Mediennutzung, zwischen Partizipation und Berieselung – übrigens eine alte Schlüsselfrage der Medien- und Kommunikationswissenschaft – wird denn auch sowohl auf den folgenden Seiten als auch im Schlusskapitel diskutiert – allerdings unter Rekurs auf die durchaus gängigen Theorien (wie den klassischen Uses & Gratifications Approach, kurz: U&GA, also den Nutzen- und Belohnungsansatz). Warum also der Anlauf mithilfe von BUTLER, mit einer Theorie, die ja durchaus interessante Bezüge generiert? Vermutlich, weil der U&GA für die Autorin keine passende Schnittstelle zur Medienbiografie-Forschung bzw. insgesamt zur qualitativen Forschungstradition aufweist. Eine Theoriebrücke von Nutzenden-Aktivität und -Passivität leistet seit den 1980er Jahren übrigens auch der dynamisch-transaktionale Ansatz (FRÜH & SCHÖNBACH 1982), der bei SCHUEGRAF aber leider keine Erwähnung fand. Ähnlich gibt es kaum Anschlüsse an bestehende entwicklungs- oder medienpsychologische Theorien zum Thema "Erwachsenwerden und Medien". Umgekehrt hätte die Autorin BUTLER auch zum Ausgangspunkt nehmen können, um zu untersuchen, welche geschlechts- oder kulturstereotypen Bilder bzw. Handlungen, die durch das Musikfernsehen vermittelt werden, das Wirklichkeitsbild von Jugendlichen konstruieren und damit ihre Entwicklung tatsächlich beeinflussen. Dazu hätte es aber vermutlich zusätzlicher Datenerhebung bedurft. [19]
Hinzu kommt eine grundsätzliche Schwierigkeit: Subjektbildung, hier der zentrale Forschungsgegenstand, ist ein dynamischer Prozess, so wie übrigens auch das Musik-TV selbst. Ggf. wäre es sinnvoll gewesen, mit den einzelnen Jugendlichen und jungen Erwachsenen Interviews jeweils zu zwei Zeitpunkten zu führen (bspw. im Abstand von einem Jahr), um Veränderungen skizzieren und Entwicklungen dokumentieren zu können. Leider hätte sich dann aber auch das Programmangebot in dieser Zeit wieder verändert. Erstaunlich ist auch der große Altersunterschied der Interviewpartner/innen: Eine 16-jährige Schülerin ist in ihrer kognitiven und subjektbezogenen Entwicklung und ihrer reflexiven Kompetenz ganz anders einzustufen als ein 24-jähriger Studierender. Diese Heterogenität wurde aber – zumindest in der Schlussanalyse – nicht erkennbar diskutiert. Ebenso erfährt auch eine Geschlechterdifferenz kaum eine Würdigung – obwohl die theoretische Grundierung ja durchaus Ansätze böte. Auch die oben bereits erwähnten Surfgramme, die ja den medienkonvergenten Anspruch der Arbeit tragen, werden leider im Schlussteil der Arbeit kaum mehr analytisch verarbeitet. [20]
Was in Kapitel 6 – der Verbindung zwischen Theorie und Empirie – auffällt, ist das ständige Fluktuieren zwischen den Ebenen Medienplattform, Sender, Inhalt und Nutzungsakten. Welche Ebene gerade mit der doch recht elaborierten Theoriefolie verschweißt wird, war mir nicht immer deutlich. Beispiel "Inszenierung und Authentizität": Bezieht sich diese Kategorie auf das Programm, auf bestimmte Moderator/innen, auf die gezeigten Inhalte, auf die Nutzenden selbst oder gar auf alles zusammen? [21]
Trotz der hier aufgeführten und durch meine Darstellung ggf. etwas vergrößerten Diskussionspunkte: Insgesamt öffnet das Buch ein interessantes Fenster zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema "Konvergenz aus Nutzerperspektive". Der Band ist theoretisch höchst anregend und verbindet Forschungstraditionen, die sonst normalerweise so nicht zusammen anzutreffen sind. Insofern lohnt eine Lektüre in jedem Fall für Forschende, die sich mit diesem Bereich auseinandersetzen möchten. [22]
Übrigens taucht des Öfteren im Buch ein sattsam bekannter Name auf: Charlotte ROCHE. Medienkonvergente Ironie am Rande: Für den Interviewpartner "Mirko" war die (ehemalige) VIVA-Moderatorin "anscheinend keine normale Frau, sondern eine, die etwas zu sagen hat und dies in der richtigen Balance präsentiert" (S.158). – "Er attestiert ihr eine qualitativ hochwertige Zukunft im Fernsehgeschäft" (a.a.O.). Dass ROCHE (2008) nicht im TV, sondern auf dem Felde eines alten, nämlich des klassischsten aller Medien, dem Buch, ihren größten kommerziellen Erfolg feiern würde, war im Jahre 2003 nicht absehbar. [23]
Austin, John (2002 [1962]). Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart: Reclam.
Früh, Werner & Schönbach, Klaus (1982). Der dynamisch-transaktionale Ansatz. Ein neues Paradigma der Medienwirkungen. Publizistik, 27(1/2), 74-88.
Kolo, Castulus (2010). Online-Medien und Wandel: Konvergenz, Diffusion, Substitution. In Wolfgang Schweiger & Klaus Beck (Hrsg.), Handbuch Online-Kommunikation (S.283-308). Wiesbaden: VS Verlag.
Roche, Charlotte (2008). Feuchtgebiete. Köln: DuMont Buchverlag.
Schorb, Bernd; Keilhauer, Jan; Würfel, Maren & Kießling, Matthias (2008). Medienkonvergenz Monitoring Report 2008. Jugendliche in konvergierenden Medienwelten, http://www.uni-leipzig.de/~umfmed/Medienkonvergenz_Monitoring_Report08.pdf [Zugriff: 13.10.2010].
Wagner, Ulrike & Theunert, Helga (2006). Neue Wege durch die konvergente Medienwelt. Studie im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Baden-Baden: Nomos.
Martin WELKER ist derzeit Vertretungs-Professor für Journalistik an der Universität Leipzig. Er hat eine Professur für Journalistik an der privaten Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation inne. WELKER ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung e.V. (DGOF). Seine Forschungsschwerpunkte sind die Aufgaben und Rollen von Journalist/innen in einer Öffentlichkeit im Wandel, Rechercheprozesse und internetgestützte sozialwissenschaftliche Methoden.
In FQS finden sich weitere Rezensionen von Martin WELKER zu: Die Zukunft des Internet: internationale Delphi-Befragung zur Entwicklung der Online-Kommunikation (BECK, GLOTZ & VOGELSANG 2000), Die Delphi-Technik in den Sozialwissenschaften. Methodische Forschungen und innovative Anwendungen (HÄDER & HÄDER (2000), Bausteine einer systemischen Nachrichtentheorie. Konstruktives Chaos und chaotische Konstruktionen (FRERICHS 2000), Vernetzungen. Archivdienstleistungen in Presse, Rundfunk und Online-Medien (ENGLERT, LANGE, SCHMITT & STÜLB 2002) und Online-Communities als soziale Systeme. Wikis, Weblogs und Social Software im E-Learning (DITTLER, KINDT & SCHWARZ 2007).
Kontakt:
Vertr.-Prof. Dr. Martin Welker
Journalistik
Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Burgstr. 21
D-04105 Leipzig
Tel.: +49 (0) 341 97 35 750
E-Mail: welker@uni-leipzig.de
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Welker, Martin (2011). Rezension: Martina Schuegraf (2008). Medienkonvergenz und Subjektbildung. Mediale Interaktionen am Beispiel von Musikfernsehen und Internet [23 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 12(1), Art. 29, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1101298.