Volume 12, No. 2, Art. 9 – Mai 2011
"Das Private wird politisch" – interdisziplinäre Perspektiven auf autobiografisches Schreiben im Horizont von Erinnerungskulturen und Zeitgeschichte
Carsten Heinze
Zusammenfassung: Der Essay beschäftigt sich mit der Gattung Autobiografie als Teil von Erinnerungskulturen in Ost- und Westdeutschland. Die literarische Gattung Autobiografie wird aus einer soziologischen Perspektive betrachtet. Während sich für die Literaturwissenschaften die Gattungsfrage aufzulösen scheint, kann festgehalten werden, dass diese nach wie vor in öffentlichen Diskursen funktioniert. Aus diesem Grund sind Autobiografien in politischen und zeitgeschichtlichen Kontexten wirksam und werden als solche wahrgenommen. Der vorgeschlagene Ansatz geht daher davon aus, dass Autobiografien einerseits eine intentionale Form der Sozialkommunikation darstellen, die gerahmt und beeinflusst wird von öffentlichen Erinnerungskulturen, andererseits aber auch auf diese aus einer subjektiven Perspektive einwirkt. Aus dieser Sicht sind Autobiografien keine individuellen oder autonomen, sondern an eine Öffentlichkeit adressierte Lebensgeschichten. Durch diese Öffentlichkeitsadressierungen sind Lebens- und Zeitgeschichte in Autobiografien politisch aufgeladen. Mit anderen Worten: "Das Private wird politisch".
Keywords: Biografieforschung; Autobiografie; Erinnerungskultur; kollektives Gedächtnis; politische Geschichte; Zeitgeschichte; Kommunikationsforschung
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Politik und (Auto-) Biografie
3. Autobiografisches Schreiben als sozialkommunikative und rezeptionsorientierte Handlung – Das Private wird politisch
4. Erinnerungskulturelle Rahmungen: Perspektiven auf die Geschichte gedächtnispolitischer Entwicklungen in Deutschland
5. Autobiografisches Schreiben im Rahmen von Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik: Funktionen autobiografischer Publikationen im erinnerungskulturellen Kontext
6. Ausblick
Interdisziplinär ausgerichtetes Arbeiten bedeutet nicht nur die vorhergehende Einordnung und Formulierung eines Standpunktes in einem disziplinären Bereich unter Einbeziehung der für eine Fragestellung wichtigen Befunde angrenzender Disziplinen, sondern auch den Versuch, neue Forschungsfelder und -ansätze zu erschließen. Dies mag manchmal mehr, manchmal weniger überzeugend gelingen, und ist von einer Reihe weiterer Faktoren abhängig, etwa der "richtigen" Methoden-, Perspektiven- und Themenwahl sowie den – in einem interdisziplinären Arbeitszusammenhang schwierig herzustellenden – unterschiedlichen disziplinären Adressierungen. Nicht nur, dass die verwendeten Ergebnisse angrenzender Disziplinen möglicherweise zu selektiv oder unscharf dargestellt und für die eigene Fragestellung vereinnahmt werden, sondern auch die Legitimierung und Rechtfertigung interdisziplinären Arbeitens in der angestammten Disziplin ist eine schwierige Sache, sobald man den Boden des bisher Bekannten verlässt. Es besteht so innerhalb interdisziplinärer Bemühungen immer die Gefahr, Dinge nur recht oberflächlich und unter Absehung differenzierter disziplinärer Erkenntnisinteressen und Traditionen behandeln zu können. Umgekehrt stellt jedoch ernsthaftes interdisziplinäres Erkenntnisinteresse die gegenwärtig zu beobachtende Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems in Rechnung (vgl. PETHES & RUCHATZ 2001, S.9-10). Interdisziplinäres Arbeiten setzt sich dennoch immer dem Vorwurf eklektizistischen Arbeitens aus und kann dazu neigen, die wohlbegründeten disziplinären Zugangsweisen zu einem Forschungsgegenstand verschwimmen zu lassen und damit mehr oder weniger begründeten Widerspruch herauszufordern. Interdisziplinäres Arbeiten muss deshalb ausgewogen, gut begründet und fundiert sein – eine schwierige Gratwanderung und immer mit einer Reihe von Fallstricken verbunden. [1]
Andererseits wird heutzutage, ohne es immer explizit zu formulieren, auf vielen wissenschaftlichen Arbeitsfeldern interdisziplinär vorgegangen. Hierdurch wird nicht nur den komplexen Vorgängen und Wandlungen sozialer, politischer und kultureller Wirklichkeiten Rechnung getragen, sondern auch das Entstehen neuer wissenschaftlicher Felder und Verbindungen ermöglicht. Das weite Feld der Gedächtnis- und Erinnerungsforschung ist ein zentraler Bereich interdisziplinären Arbeitens, auf dem mit unterschiedlicher, aber nachhaltiger Intensität geforscht wird (S.5). Die Liste der Publikationen zu diesem Themenkomplex ist in den letzten Jahren stetig und nachhaltig gewachsen. Erinnerungskulturen als Forschungsgegenstand haben sich zu einem breit rezipierten, internationalen Forschungsfeld entwickelt. Dabei werden mittlerweile nicht nur Fragen von Erinnerungen an Nationalsozialismus und DDR verhandelt, sondern auch Erinnerungskulturen und die schwierige Aufarbeitung von Geschichte in anderen Ländern erforscht. Auf dem Gebiet der Gedächtnis- und Erinnerungskulturen arbeiten Literatur- und Kulturwissenschaftler/innen, Soziolog/innen bzw. Sozialpsycholog/innen, Filmwissenschaftler/innen, Historiker/innen, Psycholog/innen, Philosoph/innen, Germanist/innen und nicht zuletzt Neurowissenschaftler/innen, um sich dem Phänomen der individuellen, kollektiven und historischen Erinnerungen und deren Medialisierungen, die in zeitgeschichtlichen Diskursen relevant werden zu nähern. Dabei hängt nicht alles "irgendwie" zusammen oder liegt verstreut auseinander, sondern es greifen je nach Blickwinkel und Fragestellung die genannten Disziplinen ineinander über, obwohl es im Detail sicherlich eine Vielzahl kontroverser Positionen gibt – inhaltlich wie erkenntnistheoretisch (vgl. ERLL 2005). [2]
Im Folgenden werde ich versuchen, Aspekte autobiografischen Schreibens (Literaturwissenschaften) unter sozialphänomenologischen Prämissen (Soziologie) zu thematisieren, um dann autobiografisches Schreiben in einem nächsten Schritt als öffentlichkeitsadressiertes Kommunikationsformat in den Zusammenhang von Erinnerungs- und politischen Deutungskulturen sowie der Zeitgeschichtsforschung (Geschichtswissenschaften) zu stellen. Auch wenn dies im Detail nur scheitern kann, lohnt doch meiner Auffassung nach ein erster Versuch, um der Komplexität autobiografischen Schreibens – eines schriftsprachlichen, literarischen und visuellen Mediums – im Horizont von Erinnerungskulturen und Zeitgeschichte soziologisch Rechnung zu tragen (vgl. dazu ausführlicher HEINZE 2009a, 2009b). Ziel der folgenden Überlegungen ist es, ein kommunikationssoziologisches Konzept des Autobiografischen unter Berücksichtigung angrenzender Disziplinen zumindest in groben Zügen vorzuschlagen. Dies kann meiner Auffassung nach nicht allein auf Grundlage empirischer Induktion erfolgen, sondern basiert auf einer überblicksartigen Vorstellung. Es soll vor dem Hintergrund des Workshop-Themas "Politik und Biografie", das sich den Austausch über den Zusammenhang beider Felder und deren Wechselwirkungen zum Ziel gesetzt hat, die hohe politische Relevanz autobiografischen Schreibens deutlich gemacht werden. Damit versucht dieser Beitrag, die gedächtnis- und geschichtspolitischen Implikationen autobiografischen Schreibens aus einer subjektiven wie auch gesellschaftlichen Perspektive zu beleuchten und so das Tagungsthema erinnerungskulturell zu verorten. Autobiografisches Schreiben soll dabei nicht allein als singulärer und individueller Akt beschrieben werden, wie es die klassische literaturwissenschaftliche Autobiografieforschung tut, in der das bürgerliche als autonom schreibendes und reflektierendes Subjekt vorausgesetzt wird; vielmehr wird auf die verschiedenen sozialkommunikativen Funktionen hingewiesen, die Autobiografien im Horizont von Erinnerungskulturen ausüben. Dazu werden zunächst Überlegungen zum Verhältnis von Politik und (Auto-) Biografie angestellt, um anschließend autobiografisches Schreiben als sozialkommunikativen Akt rezeptionsorientiert zu problematisieren. Zum Schluss werden anhand ausgewählter Beispiele die Wechselwirkungen zwischen autobiografischem Schreiben und erinnerungskulturellen Rahmungen dargestellt. [3]
2. Politik und (Auto-) Biografie
In den Politikwissenschaften spielen Biografie und Autobiografie traditionell nur eine untergeordnete Rolle. Das Individuum als Spiegel und Erfahrungssubjekt politischer Prozesse und Transformationen ist kein Gegenstand politikwissenschaftlicher Analysen. Kaum häufiger werden Biografie und Autobiografie als einzelne Quellen zur Rekonstruktion politischer Erfahrungen oder als subjektiver Ausdruck politischer Kulturen herangezogen (vgl. GALLUS 2010, S.382). Der Einzelfall scheint in den Politikwissenschaften wenig beachtenswert: Ein Blick in das "Wörterbuch der Politik" verdeutlicht, dass Subjektivität, Individualität u.ä. Begriffe der qualitativen Biografieforschung keinen Eintrag zeitigen (vgl. SCHMIDT 2004). Ebenso wenig finden sich Begriffe wie Erinnerungs- oder Gedächtniskultur oder etwa Geschichtspolitik definiert. Dagegen ist die politische Deutungskultur, in der es auch um subjektive Einstellungen und Deutungsmuster von Individuen und sozialen Gruppen geht, genauer umrissen – dies jedoch eher im Sinne der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz politischer Institutionen (S.549-550). Dies erklärt sich möglicherweise aus einer systemorientierten oder quantitativ ausgerichteten Forschungspraxis der Politikwissenschaften. Die biografisch bzw. autobiografisch basierte Rekonstruktion personalisierter Ideengeschichte und politischen Denkens im Horizont lebensgeschichtlicher und historischer Entwicklungen ist offensichtlich eher eine Sache der angrenzenden Geschichtswissenschaften (vgl. DEPKAT 2007; GÜNTHER 2004; HERBERT 1996). Auch die narrativen Rekonstruktionen alltäglicher Erfahrungsgeschichten sogenannter kleiner Leute, wie sie aus der Tradition der Oral History bekannt sind, sind eher Teil der historischen oder biografiewissenschaftlichen Forschung – sie haben allerdings als Ausdruck interpretierter Erfahrungsgeschichten "von unten" in hohem Maße latente oder offenkundige (geschichts-) politische Relevanz. Allenfalls in der politischen Elitenforschung werden offenbar biografische Lebensverlaufskurven im Rahmen von verdichteten Kollektivbiografien diskutiert, die typisierbare und sozialstrukturell klassifizierbare Ergebnisse hervorbringen – mit der damit verbundenen Gefahr, "statistische Gespenster" zu produzieren (vgl. GALLUS 2010, S.387). Das politologische Dreieck aus polity (Institutionen), politics (Prozesse) und policy (Politikfelder), so GALLUS, bedürfte daher einer personalen Ergänzung um den politician/citizen (S.382-383). [4]
Dieser aktuelle Befund mag verwundern, betrachtet man die Überschneidungen von Politik und Biografie in angrenzenden Disziplinen bzw. in Fragen der politischen Deutungskulturen selbst. In kaum einem Jahrhundert wie dem 20. sind angesichts der wechselnden gesellschaftspolitischen Konstellationen mit all seinen Tragödien und Katastrophen die Verknüpfungen lebensgeschichtlicher Erfahrungen mit den politischen Prozessen so evident, wird das Private so oft politisch, das Politische so oft privat und das Leben insgesamt rechtfertigungs-, diskussions- bzw. legitimationsbedürftig. Das nationale Selbstverständnis in sämtlichen europäischen und außereuropäischen, demokratisch verfassten Gesellschaften ist in hohem Maße von der Erinnerungs- und Deutungskultur seiner Bürger und Bürgerinnen geprägt. Ebenso verhält es sich mit dem politischen Bezugsverhältnis von Intellektuellen und Schriftsteller/innen zu Fragen des Nationalen im 20. Jahrhundert (vgl. LANGGUTH 1997). Dabei ist der gesellschaftspolitische wie historische Bezugsrahmen zentral, der Lebensgeschichten oftmals in mehrfacher Weise durchzieht: Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR, Bundesrepublik, vereinigtes Deutschland bilden die historisch relevanten Bezugshorizonte, in denen sich aus subjektiver Perspektive lebensgeschichtliche Kontinuitäten, Brüche und Umschwünge in einer narrativen Eigenlogik des Autobiografischen entfalten. In diesem Zusammenhang gibt autobiografisches Schreiben als intentionale Sozialkommunikation – um das es im Folgenden gehen soll – nicht nur Auskunft darüber, wie Personen ihr Leben zeithistorisch ausdeuten und verstehen, sondern es gibt ebenso Auskunft darüber, wie aus der jeweiligen Gegenwartsperspektive des Schreibens heraus über Geschichte individuell wie kollektiv gesprochen und diskursiv verhandelt wird. Während dieser Befund bei einem kurzen Überblick auf die momentane Veröffentlichungspraxis von Autobiografien und Erinnerungsliteratur augenscheinlich wird, hat die bereits genannte Oral History-Forschung seit den 1970er Jahren ihren Teil zur Aufdeckung des Politischen im Privaten beigetragen. Auch wenn autobiografisches Schreiben und Erzählen mittlerweile ein weites Feld sozialkommunikativer Praxis umfasst, sodass sich autobiografische Erzählungen nicht zwangsläufig auf geschichtspolitisch konfliktbeladene Felder wie etwa NS-Erinnerungen oder DDR-Erinnerungen beziehen, sondern auch andere Sinnbezüge aufweisen können, ist der zeitgeschichtlich-politische Bezugsrahmen jedoch nach wie vor ein signifikantes Merkmal einer Vielzahl autobiografischer Veröffentlichungen. [5]
Die politische Sozialisationsforschung als Teil der soziologischen Sozialisationstheorie dagegen befasst sich mit den bewussten und unbewussten Wechselwirkungen zwischen Individuen und ihrer Umgebung, namentlich den politischen Institutionen, aber auch anderen gesellschaftlichen Bereichen, die im Zusammenhang öffentlichen Handels und Verhaltens stehen (vgl. CLAUSSEN & GEISSLER 1996). Politisches Denken und Handeln sind nach sozialisationstheoretischer Auffassung das Ergebnis komplexer Erfahrungsprozesse (von Individuen und Generationen)1), wodurch der zeitgeschichtliche und gesellschaftspolitische Erfahrungsraum zunehmend an Bedeutung für die Lebensgeschichten einzelner Personen gewinnt. Das politisch denkende und handelnde Subjekt wird aus dieser Perspektive in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt: Politische Deutungsmusteranalyse erfolgt unter Einbeziehung interpretativer Verfahren der Kulturwissenschaften bzw. der Cultural Studies (vgl. DÖRNER 1999, S.96-97) und ist auf dem Feld autobiografischen Schreibens und Erinnerns zentral. Auch wenn in der politischen Kulturforschung weiterhin das Hauptaugenmerk auf den institutionellen Strukturen gesellschaftspolitischer Systeme liegt, in denen sich kollektive Deutungsmuster entfalten, ist zu bezweifeln, ob dies ohne Rückgriff auf Einstellungen und Wahrnehmungen von Individuen sinnvoll möglich ist (vgl. DORNHEIM & GREIFFENHAGEN 2002). Dies verdeutlicht auch die Bestimmung des Begriffs politische Kultur durch SONTHEIMER, der zusätzlich den historischen Aspekt hervorhebt: "Tendenziell wird heute der ganze Bereich des Geistig-Moralischen und des individuellen und kollektiven Verhaltens in seinem Verhältnis zur Politik sowie zur Geschichte eines Landes unter den Begriff der politischen Kultur subsumiert" (1990, S.11). Dies gilt, wenn bereits, wenn nur die deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert betrachtet wird, die historisch eine Reihe von gesellschaftspolitischen Umbrüchen und Zäsuren aufzuweisen hat (vgl. GALLUS 2006), die sich nachhaltig auf die damit verbundenen politischen Deutungskulturen ausgewirkt haben (vgl. für das 20. Jahrhundert SONTHEIMER 1990; BRACHER 1982). Inwieweit und in welcher Form sich diese wiederum im Einzelnen in autobiografischen Schriften niederschlagen, in welchem Verhältnis politische Diskurse mit autobiografischen Lebensdeutungen stehen, welche geschichtspolitischen Kontroversen durch autobiografische Schriften angestoßen werden, wäre eine denkbare Untersuchungsperspektive gesellschaftspolitisch ausgerichteter Biografieforschung. [6]
Politische Deutungskulturen haben somit zwei Seiten, die sich wechselseitig bedingen und aufeinander beziehen lassen: eine objektive, die sich in den gesellschaftlichen Institutionen und Institutionalisierungen manifestiert, sowie eine gelebte subjektive Seite in Individuen und Teilgruppen der Gesellschaft selbst. Beide Seiten müssen sich nicht zwangsläufig entsprechen. Einerseits internalisieren Subjekte und Teilgruppen institutionalisiertes Wissen im Prozess der Sozialisation, umgekehrt aber legitimieren und reproduzieren die Subjekte institutionalisiertes Wissen durch ihr praktisches Handeln (vgl. LÖFFLER 2002, S.129-131). Die politische Kulturforschung knüpft damit an die sozialphänomenologische Wissenssoziologie von Peter L. BERGER und Thomas LUCKMANN (1999 [1969]) an. Die Wissenssoziologie scheint eine grundlegende Theorieperspektive anzubieten, mit der objektive wie subjektive Sinnbildungsprozesse im Horizont von politischen Deutungskulturen, von Erinnerungs- und Gedächtniskulturen miteinander in Verbindung gebracht werden können. Ein entscheidender Aspekt in der Wissenssoziologie von BERGER und LUCKMANN für den nun weiterzuverfolgenden Zusammenhang von Biografie und Politik im Horizont von Erinnerungskulturen ist, dass der Alltag und vor allem die in ihm stattfindende Kommunikation eine außerordentlich wichtige Funktion in der Reproduktion gesellschaftlicher und damit auch gesellschaftshistorischer Wirklichkeiten spielt. Autobiografisches Schreiben als intentionale sozialkommunikative Handlung kann so als ein wichtiger Schritt des dialektischen Verhältnisses von Internalisierung und Externalisierung verstanden werden. Im Anschluss an LUCKMANNs spätere kommunikationssoziologische Schriften (vgl. 2007, 2002, 1980), die von einer sozialkommunikativen oder auch diskursiven Verfasstheit gesellschaftlicher Wirklichkeit ausgehen (vgl. auch KELLER, HIRSELAND, SCHNEIDER & VIEHÖVER 2005), öffnet sich das Feld für die forschungsanleitende Verbindung von Politik und Biografie als über Lebensgeschichten vermittelte politische Zeitgeschichtserfahrungen, die in erinnerungskulturellen Auseinandersetzungen ihren subjektiven und öffentlichkeitsorientierten Niederschlag finden.2) Autobiografisches Schreiben bezieht so als intentionale Sprechhandlung im öffentlichen Kommunikationsraum seine eminent politische Bedeutung. Es ist als erinnerungskulturelle Handlungspraxis zu verstehen, die als Ergebnis eine autobiografische Erzählung hervorbringt, ohne dass in der Erzählung selbst zwangsläufig der Schreib- und Erinnerungsvorgang thematisch werden muss. Oder anders ausgedrückt: Das Private wird auf dem Wege der lebensgeschichtlichen Ent-Äußerung in der veröffentlichten Autobiografie als rituelle Erinnerungspraxis politisch. [7]
Eine zentrale politische Dimension weisen die in demokratischen Systemen mitunter scharf geführten Debatten und Kontroversen um den angemessenen oder "richtigen" Umgang mit eigenen totalitären oder diktatorischen Vergangenheiten im nationalen oder globalisierten Kontext auf. Aus Perspektive einer Geschichte der Erinnerungskulturen im geteilten Deutschland ist die Instrumentalisierung von Autobiografien zur Legitimierung des politischen Systems in der DDR ein Beispiel für die Vereinnahmungspraxis von Lebensgeschichten (vgl. TATE 2007). In der Bundesrepublik waren auf der anderen Seite autobiografische Schriften ebenso maßgeblich an den notorischen Auseinandersetzungen um den Nationalsozialismus beteiligt und wurden je nach politischer Couleur geschichtspolitisch für die Interessen der eigenen Partei oder Ideologie ausgeschlachtet (vgl. SCHASER 2003). Schließlich bildeten Autobiografien während des sogenannten Kalten Krieges aus bundesrepublikanischer Perspektive eine Rechtfertigungsgrundlage für die Überlegenheit des eigenen politischen Systems, sofern es sich bei den lebensgeschichtlich Schreibenden um Ex-Kommunist/innen handelte (vgl. KUHN 1990).3) Das Terrain der öffentlichen Geschichtsdarstellungen und Vergangenheitsbearbeitungen ist somit ein gedächtnispolitisch heftig umstrittenes Feld (vgl. KÖNIG 2008; ASSMANN 2006; CORNELISSEN, KLINKHAMMER & SCHWENTKER 2003. Geflügelte Worte wie etwa "Geschichte als Waffe" von dem Historiker Edgar WOLFRUM (2002) oder die originelle Wendung einer "Zeitgeschichte als Streitgeschichte" (vgl. SABROW, JESSEN & GROSSE KRACHT 2003) verdeutlichen das politische Konfliktpotenzial, das in den Kontroversen einer historischen Ausdeutung von Vergangenheiten steckt. Dabei geht es zum einen um den Streit innerhalb der wissenschaftlichen Zeitgeschichtsforschung bei der Aufarbeitung, Analyse und Interpretation von Vergangenheiten (vgl. GROSSE KRACHT 2005; BERG 2003), gleichzeitig aber auch um die Frage, welche Bedeutung autobiografischen Schriften in diesem Zusammenhang zukommt. Welche Rolle nun die Biografie Einzelner in zeitgeschichtlichen Diskursen spielt (spielen sollte), welche Funktion diese bei der Untersuchung zeitgeschichtlicher Zusammenhänge beigemessen wird, ist unter Historiker/innen umstritten (vgl. MÖLLER 2003, S.18-19). Norbert FREI weist deutlich auf die Gefahr der Unschärfe bzw. Selektivität einer "privatistischen Geschichtsbetrachtung" hin (2005, S.14). Die subjektive Vereinnahmung und Ausdeutung von zeitgeschichtlichen Erfahrungskontexten reduziert Zeitgeschichte aufgrund der persönlichen Nähe – so der Vorwurf – auf bloß persönliche Anschauungen. Der Kritik von FREI lässt sich entnehmen, dass dieser der "privatistischen" Betrachtung offensichtlich großes Gewicht in der Öffentlichkeit beimisst. Somit ist festzuhalten, dass Autobiografien einerseits als Quelle der wissenschaftlichen Erforschung genutzt werden, andererseits aber ein in seinen Genregrenzen "funktionierendes" öffentliches Kommunikationsformat darstellen, über das zeitgeschichtliche Diskurse "lebensnah" aufgegriffen und mit der eigenen Lebensgeschichte verbunden werden. Zeitgeschichtliche Erfahrungskontexte und autobiografisches Schreiben stehen in einer engen Verbindung zueinander. Wissenschaftlich interessierte Leser/innen einer Autobiografie sind von den autobiografischen Leser/innen der Alltagswelt streng zu unterscheiden. Aus Letzterem beziehen autobiografische Schriften als Teil des sozialen Austauschs in der Alltagskommunikation innerhalb einer interessierten Leseöffentlichkeit ihre gedächtnispolitische Brisanz, da sie durch autobiografische Legitimierungen gleichzeitig das kollektive Geschichtsbewusstsein zu beeinflussen in der Lage sind. [8]
Damit berühren Autobiografien auch nationale Befindlichkeiten, etwa wenn es um das Selbstverständnis von Gesellschaften geht, das sich aus kollektivhistorischen Selbstbildern speist. Sie sind in diesem Sinne als lebensgeschichtliches Exemplum im öffentlichen Diskursraum zu verstehen. Sie spielen auch hier auf lebensgeschichtlicher Ebene eine gewichtige Rolle im Sinne einer in der literarischen Kommunikation hergestellten imagined community (ANDERSON 2005 [1983]). Die nationale Zugehörigkeit ist in autobiografischen Schriften ein wichtiger Bezugshorizont, da autobiografische Deutungen auf dem kulturellen Zeichen- und Symbolhaushalt von Gesellschaften aufbauen.4) Eine sinnvolle Kommunikation über die Verortung der eigenen Lebensgeschichte in der Zeit greift somit auch auf gesellschaftlich geteilte Mythen, Stereotype und Wissensformen zurück, die manchmal als latente, manchmal als offene Struktur in der autobiografischen Erzählung wirksam werden. [9]
Die Repräsentation, Rekonstruktion und Diskursivierung von Vergangenheiten ist in der öffentlichen gesellschaftlichen Auseinandersetzung kein objektiver oder statischer Gegenstand, sondern bedarf immer wieder aufs Neue politischer Aushandlungs- und kollektiver Selbstvergewisserungsprozesse. [10]
Die erinnerungspolitischen Rahmenbedingungen, in denen autobiografische Schriften verfasst werden, spielen in dieser Hinsicht eine entscheidende Rolle. Geschichtsbilder, einerseits in wiederkehrenden öffentlichen Erinnerungsritualen geronnen, andererseits durch subjektive Aushandlungsprozesse verlebendigt, zirkulieren auf vielfache Weise im öffentlichen Kommunikationsraum. Ein Blick auf die durchaus schwierige Geschichte der heterogenen und kontroversen Erinnerungslandschaften nach 1945 in beiden deutschen Teilstaaten zeigt, dass diese kaum frei sind von politischen, ideologischen, kulturellen und nicht zuletzt persönlich gefärbten Aufladungen (vgl. FISCHER & LORENZ 2007). Diese Erinnerungslandschaften durchziehen nationale Gründungs- und Geschichtsmythen, einerseits vom Antifaschismus in der DDR, andererseits vom Wirtschaftswunder und demokratischen Wiederaufbau in der Bundesrepublik. Auf geschichtspolitischer Ebene dienen öffentliche Geschichtsbilder zur Legitimation von Macht und rechtfertigen, wie etwa im Fall der ehemaligen DDR, diktatorische oder totalitäre Machtansprüche politischer Eliten. Hier stehen eine politisierte Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur in einem sehr viel engeren Verhältnis als in demokratischen Gesellschaften. Gerade in diesem Kontext sind dort auch eine Reihe von autobiografischen Schriften der politischen Nomenklatur verfasst worden.5) In demokratischen Gesellschaften wie der Bundesrepublik werden dagegen individuelle Geschichtsversionen in verschiedenen Erinnerungskulturen "frei" verhandelt, auch wenn diese von juristischen Rahmenvorgaben und ethischen Tabuzonen, die oftmals von rechten oder revanchistischen Darstellungen herausgefordert werden, begrenzt sind. Diese treten in eine Deutungskonkurrenz zu den Geschichtswissenschaften. Demgegenüber ist der Bereich autobiografischer Schriften linker Widerstandskämpfer/innen in der Geschichte bundesrepublikanischer Erinnerungskulturen bisher kaum Gegenstand öffentlicher Kontroversen geworden. [11]
Die weiteren Überlegungen setzen nun an der Schnittstelle von politischen Sozialisationserfahrungen, Gedächtniskulturen und Zeitgeschichte im Horizont autobiografischen Schreibens an. Dabei wird davon ausgegangen, dass autobiografisches Schreiben auf gegenwartsgeprägten, sozialkommunikativen Sprechhandlungen beruht, die einen "impliziten Leser/innenkreis" als Adressat/innenkreis mit bestimmten, wenn auch heterogenen historischen Vorstellungen und Wissensgrundlagen voraussetzen (vgl. ISER 1994). Die Soziologie der Autobiografie kann so neben literaturwissenschaftlichen Konzepten eine eigene handlungspragmatische Position reklamieren, die sich nicht allein auf den instabilen Textstatus, wie in den Literaturwissenschaften präferiert, zurückzieht. Vielmehr wird in der Literatur davon ausgegangen, dass Autobiografien als öffentliche Kommunikationsform jenseits der Frage nach ihrer "wahren" Referentialität einen hohen Glaubwürdigkeits- und Authentizitätsanspruch in der Gunst der Lesenden aufweisen und einen diskursiven Kommunikationspakt (LEJEUNE1994 [1975]) mit ihren Leser/innen schließen. Dieser rezeptionstheoretische Ansatz geht davon aus, dass Autobiografien keine autonomen oder bloß selbstbezüglichen Niederschriften einer individuellen Lebensgeschichte darstellen, sondern dass diese gesellschaftliche Diskurse aufgreifen und sich in ihnen verorten. Ohne die Annahme, dass autobiografisches Schreiben an einen interessierten Leser/innenkreis gerichtet ist, wäre ein lebens- und zeitgeschichtliches Kommunizieren ohnehin nicht möglich. Damit ist autobiografisches Schreiben anders als in Teilen der literaturwissenschaftlichen Autobiografieforschung als eine sozialkommunikative Handlungspraxis zu verstehen, die an rezeptionsästhetische Ansätze anknüpft. Dieser Aspekt wird im Folgenden näher beleuchtet. Denn Autobiografien stellen einen wichtigen Beitrag für das kommunikative Gedächtnis dar und bilden nicht selten die Grundlage für öffentliche Anschlusskommunikationen (vgl. WELZER 2002). Das Augenmerk liegt bei diesem Zugang weniger auf der Vergangenheit, wie sie tatsächlich gewesen ist – es wird aus dieser Sicht also weniger rekonstruiert –, noch in der biografischen Orientierung eines Menschen in seiner Lebensgeschichte, als vielmehr auf dem öffentlichen und damit gedächtnispolitischen Akt der sozialkommunikativen Selbstentäußerung im Rahmen erinnerungskultureller und geschichtspolitischer Auseinandersetzungen. Es bleibt anzumerken, dass auch aufgrund der emotionalen Nähe und Betroffenheit sowie der ideologischen Aufladung der Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert autobiografisches Schreiben ein Ort umkämpfter Vergangenheitsdeutungen darstellt, der mittels narrativer Authentifizierungsstrategien zur Durchsetzung der eigenen Perspektive und gesellschaftlichen Position führen soll. [12]
3. Autobiografisches Schreiben als sozialkommunikative und rezeptionsorientierte Handlung – Das Private wird politisch
Während in den Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaften intensive Debatten um den Textstatus und die Funktionen der Gattung Autobiografie sowie daraus resultierende Vereinnahmungen im Horizont von kollektiven Erinnerungskulturen und Gedächtnispolitiken geführt werden6), sind autobiografisches Schreiben und Erinnerungskulturen in der soziologischen Biografieforschung bisher kaum ein Thema, das eingehendere Betrachtung findet.7) Obwohl Autobiografien als Quelle biografiewissenschaftlicher Analysen in der Soziologie durchaus genutzt werden, ist das theoretische wie methodische Potenzial dieser Gattung noch nicht ausreichend thematisiert worden (vgl. FUCHS-HEINRITZ 2000, S.10). Hinsichtlich ihrer sozialkommunikativen Funktionen sind ebenso wenig die tieferen, intentionalen Motivstrukturen autobiografischen Schreibens in der Soziologie reflektiert worden, die darüber Aufklärung versprächen, welche sozialen oder individuellen Gründe überhaupt zur autobiografischen Reflexion führen. BAACKE und SCHULZE machen für diese Vernachlässigung nicht zuletzt den unsicheren Status der Autobiografie geltend: "Sie [die Autobiografien, C.H.] werden bald als Dokumente, bald als Fiktionen aufgefaßt, und als Dokumente erscheinen sie dann unzuverlässig und lückenhaft, zu subjektiv – als Fiktionen wiederum zu langweilig und uninteressant, zu sehr dem Objektiven verhaftet" (1993, S.128-129). Dieses Urteil gilt sicherlich auch für die Literaturwissenschaften, deren theoretische Ausrichtung gegenwärtig eher auf den autobiografischen Schreibstrategien und ästhetischen Gestaltungspotenzialen beruht.8) [13]
Literatursoziologisch wie biografiewissenschaftlich interessant ist folgender Befund: Die literarische Autobiografie ist im Gegensatz zur wissenschaftlichen Biografik eine auf dem internationalen Buchmarkt nachhaltig boomende Gattung (vgl. POROMBKA 2010, S.444). Ein Blick in die Buchhandlungen zeigt: Die (publizierte) Autobiografie als schriftsprachliches Kommunikationsformat stellt reichhaltiges und lohnenswertes Material zur Verfügung, das unbeeinflusst von einem wissenschaftlichen Generierungsprozess als – wenn auch schwierige, komplexe und polyseme – Primärquelle vorliegt. In Anspielung auf die politische Polemik der 1968er-Generation ist man versucht, die Aufdeckung des Privaten durch eine autobiografisch schreibende Person vor einem imaginierten Leser oder einer imaginierten Leserin als Politisierung des Privaten zu charakterisieren, zu der es durch die Veröffentlichungspraxis kommt. Aufgrund des öffentlichkeitsorientierten Charakters von Autobiografien, der Stilisierung des Privaten zur öffentlichen Selbstpräsentation und Lebenskonstruktion, ist das Politische autobiografischen Schreibens evident. Damit wird kommunikationssoziologisch unterstellt, dass autobiografisches Schreiben immer ein adressiertes und intentionales Schreiben bedeutet – in dezidierter Abgrenzung zu poststrukturalistischen Autobiografie- oder Autor-Theorien à la BARTHES, DE MAN oder auch FOUCAULT (vgl. ANDERSON 2004, S.6). Anders als diese lässt sich vermuten, dass gerade der Autor bzw. die Autorin einer Autobiografie im Mittelpunkt des Leser/inneninteresses steht – und nicht, wie in streng diskursanalytischer Diktion formuliert, der "subjektlose" (autobiografische) Text. Autobiografien haben durch ihre kommunikative Selbstbezüglichkeit die Funktion der öffentlichen Selbstpräsentation. [14]
Die verschiedenen sozialkommunikativen Motivstrukturen sind aus der langen Geschichte der autobiografischen Selbstdarstellung hinlänglich bekannt (vgl. FUHRMANN 1979; MARQUARD 1979; SOMMER 1979). In der Antike galt die öffentliche Exemplarität einer Lebensgeschichte als ein zentrales Motiv autobiografischen Schreibens, seit der "klassischen" Phase der bürgerlichen Autobiografie im 17. und 18. Jahrhundert rückte die individuelle Präsentation eines bürgerlichen Selbstbewusstseins zunehmend an seine Stelle (vgl. HOLDENRIED 2010, S.38). Im Unterschied zur autobiografischen Individuierung des Bürgertums ist die "proletarische" Autobiografie des 19. und 20. Jahrhunderts durch einen stärkeren sozialen Bezugsrahmen geprägt, der die eigene Lebensgeschichte als gesellschaftlich determinierte begreift (vgl. FRERICHS 1980, S.VIII; für die "Arbeiterautobiografie" aus marxistischer Perspektive MÜNCHOW 1973). Für das 19. Jahrhundert hat Jürgen LEHMANN (1988) überdies drei sozialkommunikative Modi der autobiografischen Selbstdarstellungsweisen herausgearbeitet, die auf unterschiedliche Motive verweisen: Bekennen, Berichten, Erzählen. Im 20. Jahrhundert und vor dem Hintergrund politischer Kontaminierungen spricht DEUSSEN (1987) von der autobiografischen Erinnerung als Rechtfertigungspraxis. Ein ähnlicher Befund lässt sich zu Nachwende-Autobiografien allerdings mit anderer Akzentuierung herstellen (vgl. STEINIG 2007). Die Motive der Legitimierung und Rechtfertigung von Lebensgeschichten sind im 20. Jahrhundert signifikant für den Zusammenhang von Politik und Autobiografie. [15]
Die Autobiografie ist eine literarische Gattung, die in ihrem etymologischen Stamm drei wesentliche Aspekte vereinigt: autos (selbst), bios (Leben), graphein (Schreiben) (vgl. WAGNER-EGELHAAF 2005, S.8). Damit handelt es sich bei einer Autobiografie um eine schriftliche, selbst verfasste Lebensgeschichte eines Autors/einer Autorin, wobei Erzähler/in, Autor/in und Protagonist/in identisch sind. Diese strenge Homologie ist erkenntnistheoretisch vielfach kritisiert worden. Die Literaturwissenschaften konzentrieren sich in ihren Analysen oftmals auf arrivierte Schriftsteller/innen, in deren Werk die Autobiografie eine unter vielen anderen Schriften darstellt (wie etwa bei Günter GRASS oder Martin WALSER; vgl. LEJEUNE 1994 [1975], S.8-9). In diesem Forschungsrahmen werden die sozialkommunikativen und politischen Bezugskontexte sowie der Status des Autobiografischen mittlerweile nachrangig behandelt. So geraten in den Literaturwissenschaften gleichzeitig die Autobiografien und Erinnerungen "gewöhnlicher Menschen" aus dem Blick, die zunehmend von den kulturwissenschaftlichen Studies thematisiert werden.9) [16]
In den Literaturwissenschaften hat die Autobiografie eine lange Geschichte, die theoretische Beschäftigung ist allerdings erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts notorisch (vgl. NIGGL 1998; OLNEY 1980). Die literaturtheoretischen Bestimmungen drehen sich in erster Linie um ihren Status als eigene literarische Gattung, die sowohl fiktionale wie dokumentarische Elemente enthält. Während Wilhelm DILTHEY (1998 [1906-1911/1927] und Georg MISCH (1998 [1907/1949]) die Autobiografie als sprachliche Formgebung eines außerhalb ihrer selbst liegenden Lebenszusammenhangs konzeptualisieren, ist ihr Status als abgrenzbare Gattung gegenüber Roman, Memoiren und anderen angrenzenden literarischen Formen seit den späten 1960er Jahren prekär. Paul DE MAN (1993 [1979]) hat in einem einflussreichen Essay die Autobiografie als bloße Verstehensfigur beschrieben, die weniger über inhaltliche Wesensmerkmale und Ontologisierungen als vielmehr über rhetorische Topoi zu bestimmen sei. Nach seiner Auffassung ist alles Literarische auf eine gewisse Art und Weise autobiografisch – oder eben das Autobiografische bloß fiktional. Damit wurde auf ein Problem hingewiesen, das bis heute in der literaturwissenschaftlichen Autobiografieforschung notorisch ist: die Frage nach der Referentialität autobiografischen Erzählens, dem Verhältnis von Narration, Leben und "Wahrheit".10) Das autobiografische Subjekt wird nun nicht mehr in Relation eines außersprachlichen Lebenszusammenhangs und eines ihm entsprechenden narrativen Ausdrucks begriffen, sondern autobiografische Subjektivität ist selbst medial hergestellt, sprachlich und narrativ – durch Bildmaterial unterstützt – verfasst und geformt.11) Das "Leben an sich" ist nach dieser Lesart nicht mehr zu haben. Seit den poststrukturalistischen Einreden ist die Gattung Autobiografie als erzählte Lebensgeschichte zumindest in der Theorie ein prekäres Verfallsprodukt (vgl. FINCK 1999). Zur Erweiterung der Definitionskriterien des Autobiografischen haben sich heute verschiedene Begrifflichkeiten durchgesetzt: Autofiction oder AutoBioFiktion sind gängige Terminologien, die auf den unsicheren Status autobiografischen Schreibens und dessen Konstruktivität reagieren (vgl. MOSER & NELLES 2006). Automedialität als medienorientierte Begriffsbildung setzt sich noch einmal von der reinen literarischen Sprachzentrierung des Autobiografischen ab und erweitert den Bezugsrahmen auch auf andere mediale Ausdrucksformen (vgl. DÜNNE & MOSER 2008). Damit wird einer epistemologischen Entwicklung Rechnung getragen, die das Bild und den Film als visuelles Autobiografieformat stärker untersucht bzw. autobiografischen Intermedialitäten von Bild und Text nachgeht. [17]
In den amerikanischen Debatten wird grenzüberschreitend von life writing-Genres gesprochen (vgl. MITTERMAYER 2009, S.69; dazu auch ANDERSON 2004). Im deutschsprachigen Raum wird entsprechend "autobiografisches Schreiben" verwendet, womit die Einbeziehung von Briefen, Tagebüchern, Reiseberichten, Gedichten, Dramen etc. in den Oberbegriff Autobiografie gemeint ist (vgl. BREUER & SANDBERG 2006, S.10). Diese Begriffswendung hat soziologisch bzw. kommunikationstheoretisch einen interessanten Nebeneffekt: Sie hebt die aktive Handlungsdimension des Autobiografischen hervor, die im Akt des Erzählens und Aufschreibens eines Lebens liegt. Während die literaturwissenschaftlichen Begriffskontroversen hinsichtlich "Autobiografien" lange Zeit um gattungstheoretische Bestimmungsversuche kreisten, fokussiert life writing oder autobiografisches Schreiben stärker auf den Handlungsaspekt – und zielt damit auf die Intentionalität und Sinnhaftigkeit, mit der sich Autobiograf/innen an einen spezifischen Leser/innenkreis wenden. Dieser aktive Aspekt der Intentionalität und Gerichtetheit autobiografischen Schreibens ist in den poststrukturalistischen Begriffserosionen und Grenzauflösungen zunehmend verschwunden und wird nun durch diese Umschreibungen reaktiviert. Eine derartige Betrachtungsweise erkennt im autobiografischen Schreiben das bereits beschriebene sozialkommunikative Element. Dadurch wird die autobiografische Sprechhandlung zu einer öffentlichkeitsadressierten Sozialkommunikationsform – und so, ich wiederhole mich, eminent politisch. Autobiografien – so meine These – dienen nicht allein dem bloßen Erzählen einer Lebensgeschichte, einer Selbstverortung in der Zeit, dem eitlen Darstellen eines gelungenen Lebens; noch weniger handelt es sich – wie GUSDORF in seinem wegweisenden Aufsatz zu den Voraussetzungen und Grenzen der Autobiografie meint – allein um literarische Reflexionen von Menschen, die sich einer "bevorzugten Beachtung" für würdig halten (1998 [1956], S.121-122); sie sind auch nicht nur "Sprachkunstwerke" (vgl. AICHINGER 1998 [1970]). Das Erzählformat Autobiografie wird aktiv gewählt, um in soziale, kulturelle und politische Diskurse argumentativ einzugreifen und mittels Authentizitätseffekten zu bestimmten historischen Themen Stellung zu beziehen. Schriftsteller/innen nutzen Autobiografien häufig, um über Orientierung und Motivation ihres Werkes Auskunft zu geben; Autobiografien werden aber auch von Journalist/innen, Politiker/innen, Kulturschaffenden, Medienpersönlichkeiten, Personen mit schwierigen Lebensgeschichten, verfolgten Personen etc. geschrieben. Die Möglichkeiten der autobiografischen Publikation sind sicherlich in den letzten Jahren gestiegen. Dennoch sind es immer noch bestimmte gesellschaftliche Schichten und Diskurseliten, die autobiografisch aktiv und in der breiten Öffentlichkeit rezipiert werden. Autobiografisches Schreiben ist also auch eine öffentliche Positionierung, wodurch der politische Aspekt eines solchen Tuns hervorgehoben wird. Nicht nur, dass autobiografisches Schreiben als Kommunikationsakt selbst politisch einzuschätzen wäre, die Strukturen autobiografischen Erzählens sind es ebenso. Denn diese werden gerahmt durch gesellschaftliche Positionen und Einstellungen, historisch durch Erinnerungs- und zeitgeschichtliche Vergegenwärtigungsprozesse, die wiederum auf die Art und Weise des Nachdenkens über sich selbst zurückwirken. Das Private wird in vielfältiger Hinsicht politisch. [18]
Im sozialkommunikativen Handlungselement des autobiografischen Schreibens liegt seine soziologische und letztlich auch politische Dimension. Über spezifische Kommunikationsmedien, die bestimmte Lesarten des (Auto-) Biografischen anbieten, werden je nach Kommunikationssituation kommunikative Gattungsmarker verwendet, die seitens der Rezipient/innen Signalwirkung haben, um welche Art der Informationsvermittlung es sich handelt. Kommunikatives Gattungswissen gehört zum allgemeinen Wissenshaushalt von Gesellschaften. Sprechen und Erzählen erfolgt je nach verfolgter Intention in einem bestimmten Format. Sozialphänomenologie und Wissenssoziologie arbeiten seit Langem an den verschiedenen kommunikativen Gattungsformaten, wobei meist die mündliche Kommunikation im Vordergrund steht.12) Aus dieser Bestimmung von Kommunikation aus einem spezifischen Gattungswissen heraus ergeben sich Parallelen zur textuellen Gattungsbestimmung des Autobiografischen durch die Literaturwissenschaften. So werden Autobiografien nicht nur durch Paratexte als solche ausgewiesen (vgl. HEINZE 2007), sondern autobiografisches Schreiben greift auf latente oder offene Wissensstrukturen zurück, die bei den Rezipient/innen, bei den Lesenden, als bekannt vorausgesetzt oder zumindest verstanden werden können. Dies beginnt in allgemeinster Form damit, dass Lesende eine Vorstellung von dem haben, was eine Lebensgeschichte inhaltlich ausmacht, oder noch allgemeiner: dass Menschen in individualisierten Gesellschaften überhaupt eine Lebensgeschichte "besitzen".13) Weiter haben Leser/innen oftmals eine gewisse Vorstellung oder bestimmte Informationen von der autobiografierten Person, über die sie lesen; sei es, dass sie diese aus Rezensionen oder Paratexten gewonnen haben, sei es, dass es sich um allgemein bekannte Personen des öffentlichen Lebens handelt. Der gesellschaftliche und historische Bezugsrahmen schließlich ist ein weiteres Wissenselement autobiografischen Schreibens, das latent die Erzählstruktur prägt und bei Lesenden als bekannt vorausgesetzt wird. In der gesellschaftlichen Verortung einer autobiografischen Erzählung stecken somit verschiedene Wissenselemente, über die autobiografische Kommunikationen laufen. In einer autobiografischen Erzählung müssen also Orientierungspunkte angelegt sein, die es seitens der Lesenden – abhängig von ihrem Vorwissen, ihrer Rezeptionshaltung, ihrer Rezeptionssituation, ihrer Erwartungshaltung – zu verstehen gilt. Im Folgenden werde ich auf die erinnerungskulturellen Rahmungen autobiografischen Schreibens eingehen, um so auf den gemeinsamen Verständigungsrahmen autobiografischer Erzählungen zu rekurrieren. Es soll knapp eine Geschichte der Erinnerungskulturen in Deutschland skizziert werden, um die gedächtnispolitische Dimension autobiografischen Schreibens weiter herauszuarbeiten. [19]
4. Erinnerungskulturelle Rahmungen: Perspektiven auf die Geschichte gedächtnispolitischer Entwicklungen in Deutschland
"Autor off: Man kann sich die Geschichte länglich denken. Sie ist aber ein Haufen." (Thomas HEISE 2010, S.61)
Autobiografisches Schreiben ist immer in Abhängigkeit und im Kontext seiner Zeit zu betrachten. Eine wichtige Einsicht über die Epistemologie autobiografischen Schreibens formulierte bereits Roy PASCAL in seinem Grundlagenwerk zur Autobiografie, in dem er darauf hinwies, dass diese weniger über die Vergangenheit als über die Gegenwart eines Autors/einer Autorin berichteten (1965, S.23). Damit begibt sich autobiografisches Schreiben in ein Spannungsverhältnis von Vergangenheitsreflexion auf der einen und Gegenwartskommunikation auf der anderen Seite. WELZER (2002) beschreibt derartige Vorgänge als "kommunikatives Gedächtnis" im Horizont der Gegenwart, das sich im Lauf der Zeit in seinen Kommunikationsstrukturen verändert. [20]
Autobiografischem Schreiben als sozialkommunikativer Handlung liegt das Motiv erinnerungskultureller Verständigung zugrunde. Dieses öffentlichkeitsorientierte Verständigungsmotiv prägt im sozialkommunikativen Austausch auf seine Weise historische Erfahrungsbilder im generationalen und intergenerationalen Zusammenhang und arbeitet so neben anderen gesellschaftlichen Institutionen individuell an kollektiven Geschichts- und Sinnbildungsprozessen mit – der private Erfahrungshorizont wird durch veröffentlichte Erinnerungspraktiken politisch. Dabei trägt aufgrund der vorgeblichen Erfahrungsnähe die autobiografische Geschichtsdarstellung in hohem Maße "authentische" Züge; autobiografische Geschichtsdarstellungen reklamieren eine eigene Perspektive auf zeitgeschichtliche Kontexte, die sich nicht selten gegen herrschende Auffassungen der Zeitgeschichtsforschung stellt: Autobiograf/innen werden zu Konkurrent/innen der zeitgeschichtlichen Forschenden (vgl. JARAUSCH 2002, S.10). Beide Positionen verbinden sich (auf eine nicht ganz unproblematische Weise), sofern sich Historiker/innen als Autobiograf/innen äußern (vgl. SABROW 2002). Autobiografisches Schreiben und zeitgeschichtliche Erfahrungsverarbeitung stehen in einem engen Zusammenhang. Autobiograf/innen verfolgen dabei andere Ziele als Historiker/innen; gleichwohl formulieren und prägen sie gesellschaftsgeschichtliches Wissen. Über Autobiografien werden nicht nur lebens-, sondern auch zeitgeschichtliche Erfahrungen ausgetauscht und tradiert, die herrschende Vorstellungen über die Geschichte stabilisieren oder infrage stellen können. Autobiografisches Schreiben wird so zu einer "paradigmatischen Gedächtnisgattung" (NÜNNING 2007, S.39). [21]
Erinnerungen sind jedoch keine individuellen und autonomen Praktiken, sondern sie sind sozial, kulturell und politisch gerahmt.14) Die Wechselwirkungen zwischen individueller Erinnerung und kollektiver Gedächtnisbildung, mit denen auch Fragen des Vergessens berührt werden, hat bereits der Soziologe Maurice HALBWACHS in seinen wegweisenden Studien zum kollektiven Gedächtnis thematisiert (1985 [1925]). Das kollektive Gedächtnis, so HALBWACHS, wird von den Erinnerungspraktiken der Individuen sowie den gesellschaftlichen Institutionen gestützt, die sich wechselseitig aufeinander beziehen. Diese wechselseitige Bezogenheit ist u.a. lebensgeschichtlich perspektiviert, je nach individuellen Erfahrungshorizonten und persönlichen Betroffenheiten sowie den institutionalisierten Erinnerungsritualen. Im Anschluss an HALBWACHS hat Jan ASSMANN (1992) seine Theorie des kulturellen Gedächtnisses entworfen und dessen spezifische Funktionen für den Zusammenhalt von Gemeinschaften und Gesellschaften heraus gearbeitet. Das kollektive Gedächtnis hat nach ASSMANN damit eine integrative gesellschaftliche Funktion, die in Bezug auf die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Umgang mit Opfern und Täter/innen nicht unumstritten ist (vgl. JUREIT & SCHNEIDER 2010). Betrachten wir nun einige erinnerungskulturelle Entwicklungen des kollektiven Gedächtnisses in Deutschland, um die erinnerungskulturellen Rahmungen näher zu beleuchten. [22]
Die Geschichte der Erinnerungskulturen und Gedächtnispolitiken in Deutschland seit 1945 – REICHEL (2007, S.9) spricht von der "zweiten Geschichte des Nationalsozialismus" – war und ist von gesellschafts- und geschichtspolitischen Deutungskontroversen beeinflusst, die wiederum Aufschluss über zentrale politische Deutungskulturen geben. Deutsche Erinnerungslandschaften haben eine eigene Geschichte. Dies gilt vor allem auch für die intellektuellen und politischen Grundlegungen der Bundesrepublik, deren geistige Gründerväter wiederum stark durch lebensgeschichtliche Erfahrungshorizonte beeinflusst waren: Soziale Interessengruppen beeinflussten auch den Blick auf die jüngste deutsche Vergangenheit stark (vgl. exemplarisch ALBRECHT, BEHRMANN, BOCK, HOMANN & TENBRUCK 2007; HACKE 2006). Sowohl für das bundesrepublikanische wie auch für das ostdeutsche Selbstverständnis und dessen historische Legitimierung galt, dass das negative Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit einen zentralen Gründungsmythos beider Staaten darstellte. Während sich die DDR als antifaschistischer und antikapitalistischer Staat verstand, in dem die "Sieger der Geschichte" in starker Anlehnung an die Sowjetunion zum ersten Mal in der deutschen Geschichte einen sozialistischen Staat aufzubauen versuchten, war für die Bundesrepublik die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die sich aus einem historisch gewachsenen Antikommunismus speiste, konstitutiv – auch wenn die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft zunächst einige Zeit brauchte, um diese demokratische Ordnung anzuerkennen, die ihr von den Alliierten nach 1945 aufgezwungen worden war. Die "Basiserzählung" der Bundesrepublik fasst HERZ wie folgt zusammen:
"Die Basiserzählung der Bundesrepublik ist die NS-Vergangenheit und ihre 'Aufarbeitung' nach 1945. Die Basiserzählung lautet in etwa wie folgt: Das deutsche Volk sah sich eines Tages mit den Nationalsozialisten konfrontiert. Die Nazis errichteten ein totalitäres und despotisches Regime. Es war ein Willkür- und Unrechtsstaat. Es gab Widerstand gegen dieses Regime, denn das deutsche Volk war verleitet worden. Die Deutschen waren in Wirklichkeit eine 'Gemeinschaft' der Leidenden. Dies gilt vor allem für die Soldaten. Sie kämpften für ihr Vaterland und nicht für die Nazis. Ein Mittel, um das Herrschaftssystem zu stabilisieren, war der wirtschaftliche Erfolg, zumindest bis Anfang des Krieges. Nach dem Krieg hat man sich erfolgreich mit der NS-Vergangenheit auseinandergesetzt. Die Deutschen haben aus der Vergangenheit gelernt. Das Wirtschaftswunder und der Wohlfahrtsstaat haben dazu beigetragen, eine stabile Gesellschaft zu errichten. Die Bundesrepublik ist pluralistisch und offen. Die Vernichtung der europäischen Juden war ein Verbrechen, aber auch die Vertreibung der Deutschen war ein Verbrechen. Andere Länder haben auch Kriegsverbrecher. Es gibt keine Kollektivschuld, nur Kollektivverantwortlichkeit. Die Deutschen haben Wiedergutmachung an das jüdische Volk geleistet und haben die Verbrecher verurteilt. Das Leiden an der NS-Vergangenheit ist Teil des jüdischen, nicht aber des deutschen Schicksals" (1997, S.251). [23]
Unschwer ist zu erkennen, welche vergangenen und gegenwärtigen Selbstmythen das hier vorgestellte Bild prägen. Diese "Basiserzählung" bildet häufig die zeitgeschichtliche Grundierung westdeutscher Autobiografien. Die Geschichte der "Vergangenheitsbewältigung" im Westen, wie es lange Zeit hieß, ist die lange Geschichte einer schwierigen Auseinandersetzung und schließlich Anerkennung der deutschen Schuld in Bezug auf den Nationalsozialismus. Im raschen Übergang vom Ende des Krieges zum sogenannten Kalten Krieg wird ein früher Grund der mangelnden Erinnerungsarbeit gesehen (vgl. HERF 1999, S.17). Darüber hinaus sahen sich die meisten Deutschen lange über 1945 hinaus als "Opfer" des Nationalsozialismus (vgl. ASSMANN & FREVERT 1999, S.158-159). Erst die Generation der 1968er wendete sich den Verbrechen der Täter- als Vätergeneration zu – ohne dabei jedoch nach den Opfern des Nationalsozialismus zu fragen. Zu einem der wichtigsten Werke dieser Zeit avancierte "Die Unfähigkeit zu trauern" des Ehepaars MITSCHERLICH (2007 [1967]) – eine psychoanalytische Deutung der mangelnden Bereitschaft, sich des deutschen Schuldkomplexes gesellschaftlich zu stellen. So wurde die Opfer-Perspektive der Deutschen seit den späten 1960er Jahren herausgefordert. Dass das Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen jedoch nur durch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und das Mitwirken wichtiger gesellschaftlicher Institutionen ermöglicht worden war, lässt sich bereits in dem frühen Standardwerk Raul HILBERGs (1990) zur Vernichtung der europäischen Juden nachlesen, das – bereits 1961 in den USA als Dissertationsabdruck eingereicht – erst 1982 bzw. 1985 in deutscher Übersetzung erschien. Es dauerte dann bis zur Ausstrahlung der TV-Sendung "Holocaust" im Jahr 1979 – eines melodramatischen amerikanischen Familienepos vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus – bis die jüdischen Opfer "ein eigenes Gesicht" in der massenmedialen Öffentlichkeit bekamen (vgl. BODEMANN 2001) – und darauf der "Boom der Erinnerungen" einsetzte. Seit den 1980er Jahren rückte die jüdische Opferperspektive stärker in den öffentlichen Aufmerksamkeitsbereich – auch bedingt durch autobiografische Publikationen und weitere mediale Artefakte in Film und Fernsehen. Die breite geschichtspolitische Anerkennung der deutschen Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus verdichtete sich dann in der Rede von VON WEIZSÄCKER 1985 in der Deutung des 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung (vgl. HERF 1999, S.419-425). Kurze Zeit später, im Jahr 1986, brach anlässlich einer geschichtspolitisch kontroversen Deutungsperspektive von Ernst NOLTE ("Vergangenheit, die nicht vergehen will", in der FAZ vom 6. Juni 1986) der sogenannte "Historikerstreit" öffentlich aus, der von Historiker/innen und anderen Intellektuellen des öffentlichen Lebens ausgetragen wurde; die Nachwirkungen dieser Kontroversen halten bis heute an (vgl. KAILITZ 2008). Allerdings hatte sich im Schatten dieser Kontroversen bereits – wenn auch in kleinem Maße – jüdisches Leben wieder in der Bundesrepublik entwickelt (vgl. BURGAUER 1993, S.27-136). Eine weitere öffentliche Kontroverse in diesem Zusammenhang provozierte der Schriftsteller Martin WALSER mit seiner Autobiografie "Ein springender Brunnen" (1998) und seiner Paulskirchenrede 1998. Weitere Kontroversen wie etwa Günter GRASS' Bekenntnis zu seiner SS-Vergangenheit folgten. [24]
Die Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen, die gesellschaftsgeschichtlich tiefe Spuren im westdeutschen Gedächtnis hinterlassen haben und nicht selten und bis heute auf Verdrängen, Verleugnen und Ausblenden beruh(t)en, sind vor dem Hintergrund des deutsch-deutschen Konflikts zwischen 1949 und 1989 zu betrachten. Ohne den jeweils negativen Bezugspunkt DDR bzw. Bundesrepublik, in entsprechender Diktion "Imperialismus, Kapitalismus, Faschismus" auf der einen, und die "rote kommunistische Gefahr aus dem Osten" auf der anderen Seite, wären erinnerungskulturell wechselseitige Perspektivierungen auch auf gesellschaftlicher Ebene kaum verständlich. Das jeweilige nachkriegsdeutsche Selbstverständnis speiste sich aus politisch aufgeladenen Geschichtsbildern, das durch die innerdeutsche Grenze auf spezifische Weise miteinander verbunden und doch unter den gegebenen Umständen stark gebrochen war. Dies gilt in ebenso hohem Maße für autobiografische Schriften in Ost und West, deren historische Grundierung gemeinsame Bezugshorizonte aufwies, in ihren jeweiligen lebensgeschichtlichen Erfahrungshorizonten jedoch je nach sozialer und politischer Zugehörigkeit unterschiedliche Einschätzungen und Betrachtungen der Zeitgeschichte zuließ. [25]
Politische Instrumentalisierungen der Geschichte, insbesondere des Nationalsozialismus bzw. Faschismus, waren in der DDR seit ihrem Entstehen 1949 notorisch. Ähnlich wie in der Bundesrepublik galt die jüngste nationalsozialistische Vergangenheit als negativer Bezugspunkt des nationalen Selbstverständnisses15) – jedoch wurde in dieser Perspektivierung weniger eine tatsächliche Ver- bzw. Aufarbeitung der NS-Vergangenheit geleistet; der Westen wurde vielmehr als imperialistisch und faschistisch, die USA und Israel wurden als weltweite Aggressoren und die Bundesrepublik als Hort des kapitalistischen Faschismus gebrandmarkt. Obwohl es in der Frühphase der DDR stärkere Auseinandersetzungen mit den "Todesfabriken" der Nationalsozialismus als im Westen und somit der jüdischen Opfer gab (vgl. HARTEWIG 2000, S.438), wurden diese Opfer später aus geschichtspolitischen Gründen stärker in den Hintergrund gerückt: An erster Stelle wurden dem antifaschistischen Widerstand gedacht, der einen wichtigen Gründungsmythos der DDR darstellte. Dieser heldenhaft verklärte Widerstand fand sich beschrieben in einer Reihe früher autobiografischer Schriften, die alle bezeichnenderweise in ihren Darstellungen mit der Gründung der DDR endeten. Die jüdische Opferperspektive fand in der Erinnerungsliteratur der DDR kaum einen Platz (vgl. VÖLTER 2002), sodass remigrierte Juden wie Albert NORDEN (1981), Herbert GRÜNSTEIN (1988) oder Alexander ABUSCH (1984, 1986) ihre jüdische Herkunft in ihren autobiografischen Schriften zugunsten einer politisierten Identität herunterspielten oder gänzlich verschwiegen. Hinzu kam auf der außenpolitischen Ebene – vor allem vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts – ein latenter Antisemitismus, der auch nach 1945 in Ostdeutschland bzw. der DDR grassierte (vgl. TIMM 1997; KESSLER 1995). Letztlich waren es auch politische Fragen zum Verhältnis von Religion und sozialistischem Staat, die zu einem Wechsel zwischen Toleranz und Repression des jüdischen Glaubens führten und damit auch die Entwicklung einer ostdeutsch-jüdischen Erinnerungskultur erschwerten (vgl. BURGAUER 1993, S.164-168). Jüdisches Leben von Remigrant/innen spielte sich so über weite Zeiträume entweder im Privaten ab oder wurde durch ein politisches Bekenntnis verdeckt (vgl. VON WROBLEWSKY 2001, S.12). Juden und Jüdinnen waren sehr viel stärker als in der Bundesrepublik im öffentlichen Leben integriert – nur eben nicht als Juden bzw. Jüdinnen. Offiziell wurde erst 1988 ein Bekenntnis zu den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus abgelegt (S.24). [26]
Sowohl in der Bundesrepublik wie auch in der DDR tat man sich lange Zeit unter verschiedenen geschichtspolitischen Vorzeichen schwer, sich der nationalsozialistischen Vergangenheit zu stellen – und insbesondere eine Anerkennung der jüdischen und anderer Opfer zu leisten sowie die eigene Gesellschaft als "Tätergesellschaft" anzuerkennen; dies gilt trotz weitreichender Entnazifizierungen in besonderem Maße für die DDR. Diese Schwierigkeiten finden sich auch in autobiografischen Schriften in Ost und West. Gründe hierfür resultieren nicht zuletzt aus der Konfrontation des Kalten Krieges; jedoch können auch sozialpsychologische Gründe angeführt werden. [27]
Mit dem Ende der DDR stellen sich bis heute neue Anforderungen an eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit:
"Darüber hinaus endeten mit dem Zusammenbruch der DDR vier Jahrzehnte eines selbstgerechten, irreführenden 'Antifaschismus', was dem Nachdenken über die NS-Vergangenheit neue Energien zuführte. Die deutsche Vereinigung bedeutete, daß die Erinnerung an den Nationalsozialismus aufhörte, eine Waffe im Wettstreit der beiden deutschen Staaten zu sein" (HERF 1999, S.419). [28]
Seit 1989 entzündete sich nun nicht nur ein erneuter Streit um die NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit, der eine Verlängerung des Historikerstreits sowie ein neues nationales Selbstverständnis des wiedervereinigten Deutschlands berührte, sondern es wurde auf geschichtspolitischer Ebene auch ein Streit um den historischen Umgang mit der DDR-Vergangenheit entfacht, der ebenfalls in den 1990er Jahren autobiografisch notorisch wurde (dazu im nächsten Abschnitt mehr). Obwohl diese Auseinandersetzungen mittlerweile verflacht sind, bleibt die Frage nach dem "richtigen" Umgang mit der NS- wie DDR-Vergangenheit, etwas mehr als ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert, im öffentlichen Kommunikationsraum virulent. Dazu tragen nicht zuletzt die in den letzten Jahren in einer Vielzahl veröffentlichten Autobiografien bei, die auf die eine oder andere Weise diese Vergangenheiten subjektiv als Erfahrungsgeschichten vor dem Hintergrund gegenwärtiger Zeitgeschichtsdiskurse perspektivieren. [29]
Obwohl sich kaum ein anderes Land so intensiv und kritisch mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat, ist die deutsche, nichtjüdische Opferperspektive in den letzten Jahren wieder stärker gerade auch durch autobiografische Veröffentlichungen in der Öffentlichkeit diskutiert worden (vgl. ASSMANN 2006, S.183-204). Ohne dabei die Verbrechen des Nationalsozialismus auszublenden, reklamiert die deutsche Erinnerungskultur stärker als zuvor die Berücksichtigung der deutschen Opferperspektive während des 2. Weltkriegs, was nicht zuletzt zu internationalen Verstimmungen und weiteren öffentlichen Kontroversen führt. Auf der anderen Seite wurde mit der Wehrmachtsausstellung sowie jüngst einer zeitgeschichtlichen Studie zu den Verstrickungen des Auswärtigen Amtes in die osteuropäische Expansions- und Eroberungspolitik des Nationalsozialismus erneut auf die komplexen Verstrickungen einer ganzen Gesellschaft in die NS-Verbrechen aufmerksam gemacht. Vor diesem Hintergrund sind autobiografische Schriften zu lesen und als öffentliche Äußerungen zu verstehen. Unlängst veröffentlichte Autobiografien von Autoren wie Joachim C. FEST ("Ich nicht", 2006) oder Wolf Jobst SIEDLER ("Ein Leben wird besichtigt", 2002 und "Wir waren noch einmal davongekommen", 2004) werfen durch ihre lebensgeschichtliche Darstellung und Interpretation von Zeitgeschichte ein fragwürdiges Licht auf die deutsche NS-Vergangenheit. Mit Ruth METZGER (2004) kann hier durchaus von einer "rechtsintellektuellen Offensive" auf das deutsche Geschichtsbild gesprochen werden. Inwieweit sich Autobiografien in Erinnerungskulturen unter Berücksichtigung ihres zeitlichen Entstehens einschreiben, ist Gegenstand des letzten Abschnitts. [30]
5. Autobiografisches Schreiben im Rahmen von Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik: Funktionen autobiografischer Publikationen im erinnerungskulturellen Kontext
Das autobiografische Nachdenken über die eigene Existenz und dessen Verortung im Horizont lebens-, zeit- und weltgeschichtlicher Zeitstrukturen ist ein Wesensmerkmal des Menschen und gehört latent oder offen zu den Elementen autobiografischer Reflexionen. Die zu beobachtende Praxis gelebter Erinnerungskulturen ist ein Ergebnis geschichtsphilosophischer Dekonstruktionen einer Metaphysik der Geschichte seit HEGEL (vgl. BABEROWSKI 2005). Der Sinn der Geschichte wird nicht mehr außerhalb des Menschen als große Bewegung durch und in der Zeit erfahren, Geschichte wird auch nicht mehr als teleologische Entwicklungsperspektive entworfen, noch weniger ist ein Ende der Geschichte zu verzeichnen, sondern die Geschichte des Menschen wird vielmehr als selbst gemacht, passiv erlitten oder aktiv gestaltet und plural verstanden. Historische Sinngebungsprozesse kommen nicht mehr über, sondern aus dem Menschen: Vergangenheit wird praxeologisch zum Gegenstand von öffentlichen Aushandlungsprozessen, der Sinn der Geschichte differenziert sich in eine Vielzahl sinnvoller Geschichten über sie aus. Der Mensch ist somit nicht mehr nur Objekt der Geschichte, sondern wird zum handelnden und tätigen Subjekt in ihr. Autobiografisches Schreiben ist ein Teil der Bedeutungszuschreibungen – der "Acts of Meaning" (vgl. BRUNER 1990) – innerhalb historischer Sinnbildungsprozesse und Teil erinnerungskultureller Diskurse. [31]
Vor diesem Hintergrund sind die kurzen Analysen der nachfolgenden Beispiele zu verstehen, in denen ich mich in erster Linie auf das autobiografische Vorwort konzentriere, da in ihm Lesende mehr oder weniger direkt angesprochen werden und der Autobiograf/die Autobiografin sich zeitgeschichtlich und erinnerungskulturell selbst entwirft. Durch diesen Prolog wird der autobiografische Kommunikationspakt erst konstituiert. Das Vorwort ist so bei der Herstellung der Autor/in-Leser/in-Beziehung ein elementarer Teil der Sozialkommunikation. Die Gegenwart des autobiografischen Schreibens, wie sie im Prolog zum Ausdruck kommt, muss dann als Perspektive auf die Art und Weise der Erzählung analytisch übertragen werden. Denn erst durch das Verständnis der Gegenwart erhellt sich die narrative Diskursivierung der eigenen Lebensgeschichte zum Zeitpunkt der Niederschrift. Eine Analyse der Erzählung kann im Folgenden nicht vorgenommen werden (vgl. zu ausführlichen Erzählanalysen HEINZE 2009b). [32]
Die Autobiografie des Musikkritikers Karl LAUX ist 1977 im Verlag der Nation Berlin erschienen.16) In dieser rechnet er mit seinem Leben als Bürgerlicher vor 1945 ab und zieht kritische Bilanz eines Lebens. Im Mittelpunkt stehen dabei die Musikgeschichte Deutschlands und seine eigene Position in ihr, mit der bereits persönliche kulturpolitische Identifikationen vorgenommen werden, die den erwarteten Idealen der SED entsprechen. Seinen Beitrag zur Abkehr von der "alten Ordnung", aus der er selbst als Bürgerlicher stammt, hin zum antifaschistischen Aufbau erkennt LAUX in seiner Tätigkeit auf dem Feld der Kultur. Der antifaschistische Kampf, an dem er nicht teilgenommen hat, wird historisch verklärt und positiv konnotiert. Er selbst beschreibt sich hinsichtlich der nationalsozialistischen Verbrechen einerseits als ahnungslos, andererseits bezichtigt er sich der Feigheit (S.220). Mit der Gründung der DDR und der Handreichung zur Integration in die neue Gesellschaft durch die politische Nomenklatur habe für ihn ein "zweites Leben" (S.419) begonnen. [33]
Das Vorwort beschreibt seine Erfahrungen kurz vor den alliierten Bombenangriffen auf Dresden im Februar 1945. Nicht der Nationalsozialismus, sondern die westlichen Alliierten werden als Feind ausgemacht. Damit weist das Vorwort auf das "zweite Leben" in der DDR prospektiv voraus. Dresden wird zum ersten Opfer der westlichen "Kriegstreiber" erklärt. So schreibt LAUX:
"(...) Und fest steht, daß der Angriff auf Dresden keinen militärischen Sinn hatte, was unter anderem daraus hervorgeht, daß Rüstungswerke und militärische Anlagen geschont wurden. Zum Opfer fielen Wohnviertel, zum Opfer fielen Kirchen, Schulen, Lazarette, Kunstdenkmäler. Die siegreich vormarschierende Rote Armee sollte keine unzerstörte Stadt vorfinden. Es war der Anfang eines Krieges gegen die Sowjetunion. Dresden, das Opfer des letzten, war zugleich das Opfer des neuen, später 'kalt' geführten Krieges. Dresden war ein Verbrechen" (S.13-14). [34]
Bereits hieraus lässt sich die geschichtspolitische Einordnung des eigenen Lebens und die persönliche Umbruchsituation 1945 in der antifaschistischen Diktion erkennen. Die weiteren autobiografischen Beschreibungen folgen dieser Diktion, sie lassen LAUX als zwar dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch, jedoch ohne Mut, diesem etwas zu erwidern, erscheinen. Entsprechend positive Beschreibungen erfahren seine Kontakte mit den Russen und ihren Entnazifizierungsverfahren (S.313-317). Die jüdischen und andere Opfergruppen neben den antifaschistischen Widerstandskämpfer finden mit keinem Wort Berücksichtigung in der Autobiografie. [35]
Anders in der autobiografischen Schrift "Ereignisse und Erlebtes" (1981) von Albert NORDEN, Kommunist und Politiker bzw. Wissenschaftler in der DDR. Seine jüdische Herkunft verleugnet NORDEN nicht, verlegt diese jedoch in seine Familie und rückt dadurch ein Stück von ihr ab. Seine jüdische Identität wird durch eine antifaschistisch-kommunistische Arbeiteridentität ersetzt, die er der liberal-großbürgerlichen Haltung seines Vaters gegenüberstellt. Erst am Ende erfahren Lesende durch ein der Autobiografie beigefügtes Interview, dass NORDEN im KZ war und dort seine Frau heiratete (S.244). [36]
Seine Autobiografie beginnt mit einer Vorbemerkung, in der er seine Erfahrungen in die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einordnet:
"Jede dieser Niederschriften enthält Autobiographisches, und dennoch erhebt das hier unter den Titel 'Ereignisse und Erlebtes' Zusammengefasste nicht den Anspruch einer Autobiographie herkömmlicher Art. Mir ging es vielmehr darum, markante Punkte im Leben unserer Partei, Abschnitte der Geschichte unserer Arbeiterbewegung, die ich als wichtig empfand, und auch manche Begebenheit, die man festhalten muß, wenn sie nicht der Vergessenheit zum Opfer fallen soll, aus persönlicher Sicht zu schildern. In diesem Sinne sind meine Arbeiten zu ausgewählten Ereignissen und Erlebnissen Beiträge zur Illustrierung der Parteigeschichte" (S.5). [37]
In den folgenden lebens- wie zeitgeschichtlichen Erzählungen widmet sich NORDEN dem antifaschistischen Kampf in der Arbeiterbewegung und dessen historischen Komplikationen. Dabei spart er nicht mit Seitenhieben und ideologisierten gesellschaftspolitischen Kontinuitätskonstruktionen in Richtung der Bundesrepublik: "Wie man sieht, führt eine gerade Linie von den Konzerngewaltigen der Weimarer Republik über die unter Hitler bis zu denen der heutigen Bundesrepublik" (S.64). Ebenso wie bei LAUX findet sich die enge autobiografische Verknüpfung von Lebens- und Zeitgeschichte unter geschichtspolitischen Auspizien. [38]
Das Ende der DDR bedeutete gleichzeitig die Delegitimierung einer ganzen Reihe von Lebensgeschichten. Beinahe über Nacht verschwanden die offiziellen antifaschistisch aufgeladenen Geschichtsdeutungen, die zum Ende der DDR hin bereits ideologisch gelockert wurden. Die nun einsetzende Schwemme autobiografischer Schriften und biografischer Selbstvergewisserungen aus der ehemaligen DDR zeigte einen hohen Individualisierungsgrad, sodass die zeitgeschichtlichen Erfahrungen nun verstärkt personalisiert wurden. Das Festhalten an den "richtigen" sozialistischen Idealen in Abgrenzung zum offiziellen Weg der Partei wurde oftmals paradigmatisch. Das "Ende der politischen Alternative" fand seinen Niederschlag auch in einer endgültigen Verabschiedung der real existenten DDR, was jedoch nicht zu einer Verabschiedung der Ideologie des Sozialismus als Alternative führte (vgl. STEINIG 2007, S.205). [39]
Walter JANKA, ein gelernter Schriftsetzer, engagierte sich schon früh im antifaschistischen Widerstand und wurde aufgrund seiner politischen Aktivitäten zunächst von den Nationalsozialisten inhaftiert und anschließend in die Tschechoslowakei abgeschoben. Er kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und emigrierte später nach Mexiko, von wo aus er weiterhin den antifaschistischen Widerstand in der Bewegung Freies Deutschland organisierte. In der DDR wurde er Leiter des Aufbau-Verlages. JANKA wurde 1956 unter dem Vorwurf konterrevolutionärer Aktivitäten in der DDR verhaftet und durch Wolfgang HARICH in einem Schauprozess schwer belastet. Aufgrund internationaler Proteste entließ man JANKA 1960 aus der Haft. Von da an arbeitete er beim DEFA-Film und reiste später mit Vorträgen über den Spanischen Bürgerkrieg durch Europa. Seine Rehabilitation erfolgte jedoch erst 1989 nach dem Ende der DDR. Seine Autobiografie "Spuren eines Lebens" (1991) erschien kurz nach dem Fall der Mauer. In ihr erzählt er seine Lebensgeschichte und seinen antifaschistischen Kampf und spart nicht mit Kritik an der untergegangenen DDR, ohne jedoch seine politischen Ideale zu verleugnen. Dies zeigt sich auch darin, dass die Chronologie seiner Darstellungen mit der Haftentlassung endet und somit knapp 29 Jahre seines Lebens in der DDR autobiografisch ausgespart bleiben. [40]
Seine Autobiografie ist zunächst als Rechtfertigung vor sich selbst angelegt. Das Spannungsfeld ergibt sich einerseits im Festhalten an seinen sozialistischen Idealen, andererseits aus seinen Erfahrungen und politischen Demütigungen. Bezeichnend deshalb die ersten Kontextualisierungen seiner Autobiografie:
"Der Bericht über mein Leben wurde vor fünfzehn Jahren geschrieben. An eine Veröffentlichung war nicht gedacht. Denn zur Destabilisierung der DDR wollte ich nicht beitragen. Meine Absicht war die Veränderung der Verhältnisse: Die DDR habe ich trotz meiner Kritik an diesem Staat und der Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht hatte, als Alternative zur kapitalistischen Bundesrepublik für unverzichtbar gehalten. Ein DDR-Verlag hätte für ein solches Buch ohnehin keine Druckgenehmigung bekommen. Und wären meine Erinnerungen nur im Westen erschienen, hätte man mich als Dissidenten bezeichnet. Aber genau das wollte ich nicht sein. Zu keiner Zeit" (S.9). [41]
Diese Perspektive durchzieht paradigmatisch sämtliche autobiografischen Beschreibungen JANKAs und strukturiert die autobiografische Erzählung. [42]
Anders die Autobiografie Helmut ESCHWEGEs, eines jüdischen Archivars und Historikers in der DDR ("Fremd unter meinesgleichen" [1991]). Als Kommunist und Jude verfolgt, emigrierte er über die nordeuropäischen Länder nach Israel und kehrte nach Kriegsende bewusst in die DDR zurück, um am Aufbau des antifaschistischen Staates mitzuwirken. Seine Autobiografie stellt eine Abrechnung mit der SED und deren Vergangenheitspolitik bezüglich der jüdischen Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus dar. ESCHWEGE kritisiert den Antisemitismus in der DDR und das mangelnde Interesse der Partei an einer Würdigung der jüdischen Opfer. Bereits in der DDR hatte sich ESCHWEGE immer wieder dafür eingesetzt und wurde deshalb aus der SED ausgeschlossen. Obwohl er seine autobiografische Identität in erster Linie als kommunistischer Widerstandskämpfer entwirft, bleibt sein Schreiben im Gegensatz zu Albert NORDEN über die gesamten Beschreibungen hinweg von der jüdischen Perspektive dominiert. ESCHWEGE gehört zu den wenigen Beispielen, die sich autobiografisch offen zum Judentum in der DDR bekennen. Schon in der DDR publizierte er historische Werke zum Holocaust an den Juden und Jüdinnen und engagierte sich für deren Gedenken. Obwohl ESCHWEGE gegen das herrschende Geschichtsbild öffentlich eintrat, wurde er nicht verhaftet, sondern aus der Partei ausgeschlossen. In den 1980er Jahren reiste er als Rentner durch Europa und erhielt 1984 die Buber-Rosenzweig-Medaille der christlich-jüdischen Gesellschaft für sein Bemühen um Versöhnung. Die einleitenden Worte umreißen die Abschnitte seiner Lebensgeschichte:
"Wenn ich es wage, Interessenten meine Autobiographie vorzulegen, so deshalb, weil ich hoffe, der Leser stimmt mit mir in der Annahme überein, daß die Ereignisse und Konflikte meines Lebens nur zum Teil als typisch für viele Juden angesehen werden können, deren Weg über die Emigration nach Deutschland zurückführte. Ein einschneidendes Ereignis in meinem Leben stellte meine Flucht aus Deutschland über das Baltikum und später durch Skandinavien nach Palästina dar. Eine ähnlich schwerwiegende Bedeutung erhielt ein von der SED inszeniertes Parteiverfahren, das fünf Jahre mir und meiner Familie das Leben schwer machte. Die indirekte Judenfeindschaft der SED veranlaßte mich zur Beschäftigung mit der Geschichte und Kultur des deutschen Judentums. Für meine Arbeit, die Darstellung der Geschichte der Juden in der DDR, war meine nicht abgeschlossene Schulbildung ein Hindernis, das aber nicht so schwer wog wie der mühevolle Kampf um die Drucklegung meiner Arbeit. Eine Rolle spielte dabei auch die Tatsache, daß die Geschichtsschreibung in der DDR von Historiker-Päpsten geleitet wurde, die sich an Dogmen orientierten, welche die KPD zum Teil schon in der Weimarer Zeit festgelegt hatte" (S.7). [43]
Bereits hier finden sich wesentliche Erzähllinien und Anklagen, die wie die vorhergehenden Passagen der anderen Autoren auch auf die Historizität der eigenen Person und das kollektive Geschichtsverständnis anspielen. [44]
Wie an den ausgewählten Beispielen ostdeutscher Autobiografien deutlich wird, spielen Geschichte und geschichtspolitischer Bezugsrahmen der SED eine wichtige Rolle im autobiografischen Selbstentwurf. Auf diesen Rahmen wird je nach eigener Perspektive einmal positiv, dann negativ Bezug genommen. Die eigene Historizität tritt deutlich hervor. Die Bruchlinien der Erfahrungen werden erkennbar. Der Zusammenbruch 1989/91 setzte dann eine neue Zäsur und führte zur Neuinterpretation individuellen Lebens. Diese Auslegungen sind vor dem Hintergrund der skizzierten Erinnerungsarbeit in und nach der DDR zu verstehen, die hegemonialen Geschichtsdiskurse wirken als Hintergrund in die autobiografischen Darstellungen hinein. Autobiografisches Schreiben zeigt sich als aktive Handlung, als Sozialkommunikation zur Positionierung in der Geschichte. [45]
Hans ROSENTHAL, der bekannte westdeutsche Moderator, schrieb seine Autobiografie "Zwei Leben in Deutschland" 1982 auf dem Höhepunkt seines medialen Erfolges. Er überlebte die antisemitischen Verfolgungen in einer Gartenlaube in Berlin, die ihm eine nichtjüdische Freundin seiner Mutter zur Verfügung gestellt hatte. Nach Ende des Krieges blieb er in West-Berlin und fand seinen Weg in die mediale Öffentlichkeit über Radioarbeit und später als Moderator im Fernsehen. Sein Leben ist nach 1945 unmittelbar mit dem deutschen "Wiederaufbau" und dem Aufschwung der 1950er Jahre verbunden. Lange Zeit blieb die jüdische Identität ROSENTHALs in der Öffentlichkeit verborgen. Seine Autobiografie stellt nun nicht, wie es zu vermuten wäre, eine Anklage an die deutsche Nachkriegsgesellschaft dar, sondern im Gegenteil: ROSENTHAL selbst versteht sich als "Kalter Krieger" und sieht im Aufsteigen des kommunistischen Ostens den Feind von Freiheit und Demokratie. Seine frühe Radioarbeit ist als ein Beitrag zum "Kalten Krieg" zu verstehen, er selbst stilisiert sich zum überzeugten Antikommunisten. Damit vertritt ROSENTHAL Positionen der nichtjüdischen westdeutschen Mehrheitsgesellschaft nach 1945. Die Jahre des Nationalsozialismus werden in bekannter Diktion als "dunkle Jahre" verbrämt, die Deutschen werden von dem Nationalsozialismus getrennt: "Aus der Zeit totaler Verdunkelung ging der Weg der Deutschen in helles Licht. Es war manchmal grell und nicht immer wärmend. Aber es war ein Glücksfall vor dem Hintergrund der Kälte, aus der es keinen Ausweg zu geben schien" (S.8). Zu berücksichtigen ist dabei, dass ROSENTHAL für nichtjüdische deutsche Leser/innen schreibt – sein Publikum, und wohl deshalb anklagende oder kritische Überlegungen kaum vorkommen. Zu berücksichtigen bleibt auch, dass zum Zeitpunkt der Niederschrift noch keine spezifisch jüdische Perspektive in der Erinnerungskultur Westdeutschlands formuliert worden war. Die scharfe Trennung zwischen Nationalsozialismus und Bundesrepublik kommt noch an einer anderen Stelle deutlich zum Ausdruck:
"Beim Nachdenken über meinen Lebensweg erkannte ich einen scharfen Kontrast zwischen meinem Leben als Kind und Jugendlicher und meinem Dasein als Erwachsener. Beim Schreiben dieses Buches wurde mir dann etwas ganz Wesentliches klar: Es waren eigentlich zwei Leben, die ich geführt hatte. Das erste lag schon bald unter tiefen Schatten und dann in großer Dunkelheit. Das zweite war übersonnt und hell. Mit der Helligkeit meine ich nicht nur das Licht der Scheinwerfer, in dem ich plötzlich stand, sondern auch die erhellende, für mich so ungewohnte Geborgenheit, die ich gefunden hatte. Im Grunde ist es wohl das Glück gewesen, von dem Walter Rathenau sagte, es liege in der Befreiung von Furcht. In der Vorkriegszeit, der Zeit meiner Kindheit, wurden meine Angehörigen und ich selbst in jener sich mehr und mehr verdunkelnden Phase deutscher Geschichte zu Menschen zweiter Klasse" (S.7). [46]
Auch der jüdische Jazz-Musiker Coco SCHUMANN unterlässt in seiner Autobiografie "Der Ghetto-Swinger" (1997) eine offene Anklage oder Kritik gegen die NS-Tätergesellschaft und entrückt den Nationalsozialismus in ferne Zeiten. Sein Schreiben ist geprägt von der Identifikation mit der Jazz-Musik, die ihm in Berlin lange Zeit die Verfolgung ersparte; jedoch kam auch er 1943 ins KZ und überlebte dort aufgrund seiner musikalischen Aktivitäten. Ebenso wie im Falle Hans ROSENTHALs überscheint sein Erfolg die "dunklen" Jahre, ebenso wie bei ROSENTHAL lässt sich vermuten, dass seine Autobiografie an eine nichtjüdische deutsche Mehrheitsgesellschaft gerichtet ist, was zur Folge hat, dass zumindest kritische Anfragen an den Umgang mit dem Nationalsozialismus ausbleiben. Er schreibt resümierend:
"Morgens stand in großen Lettern unter meinem Konterfei in einer bekannten Tageszeitung: 'Coco Schumann: Das schreckliche Leben einer Jazz-Legende'! Aber das stimmt nicht. Nein, mein Guter, sage ich mir angesichts des hellen Planeten, wild und bunt lief es, manchmal zu lang und immer zu kurz, das Leben hat sich unglaublich böse und entsetzlich schön gezeigt. Nur eines war es nicht: schrecklich. Die Worte in der Zeitung waren nicht einmal boshaft gemeint, im Gegenteil. Sie stehen nur für eines der Mißverständnisse, die auftauchten, als ich von meinem Leben erzählte, da dieses Leben ein paar Jahre enthielt, die nicht nur mich selbst, sondern die Welt veränderten. Ich bin ein Kind meiner Zeit, und als solches, zudem jüdisch, habe ich wie Millionen anderer Menschen ein paar Jahre in einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten zugebracht. Das Leben hätte sehr früh und sehr schnell zu Ende sein können. Eine kurze, doch endlose Zeitlang war mit dem nächsten Tag nicht mehr zu rechnen gewesen. Daß er dann kam, daß er immer wieder kam, bis die Gefahr vorerst vorüber war, dafür bin ich bis zum heutigen Tag dankbar. Das Gefühl hat mein gesamtes Leben geprägt. Im Gegensatz zu Millionen anderen habe ich überlebt. Vierzig Jahre lang habe ich nicht darüber reden wollen oder können, erst dann habe ich zu erzählen begonnen" (S.9-10). [47]
Anders allerdings als bei ROSENTHAL thematisiert SCHUMANN im Verlauf der Erzählung seine Ängste im westlichen Nachkriegsdeutschland und seine Gedanken an Auswanderung. Seine Koffer blieben für den Notfall gepackt, die Angst des Überlebenden bleibt ein Bestandteil seines Lebens auch nach 1945, über den er autobiografisch spricht. [48]
In diesem Zusammenhang ließ sich eine Vielzahl weiterer Autobiografien anführen, denen zeitgeschichtliche und erinnerungskulturelle Diskurse offen oder latent eingeschrieben sind. So finden sich beispielsweise auf der Seite nichtjüdischer gesamtdeutscher Opferdiskurse Autobiografien wie etwa die von Wolf Jobst SIEDLER ("Ein Leben wird besichtigt" [2002]; "Wir waren noch einmal davongekommen" [2004]) oder Joachim C. FEST ("Ich nicht" [2006]), in denen die eigene Lebensgeschichte als Opfergeschichte stilisiert wird – unter Vernachlässigung wichtiger individueller, ethischer, juristischer, kultureller und politischer Fragen hinsichtlich deutscher Schuld und Verantwortung, wie dies erstmalig schon recht früh von Karl JASPERS (1946) thematisiert wurde. Bei SIEDLER (2002, S.244-245) wird diese Opfer-Perspektive mit revanchistischen Untertönen fundiert, die sich gegen die "Gräuel-Taten" der Alliierten und Widerstandskämpfer richten. Diese werden nach SIEDLERs Darstellungen von den Kriegsgegnern Deutschlands an deutschen Soldaten verübt, ohne dass er diese in einen historischen Kontext stellt. Diese beiden Autobiografien spiegeln exemplarisch einen bedenklichen Umdeutungsprozess, der an frühere Argumentationsmuster der deutschen Zeitgeschichte denken lässt. Der hergestellte Zusammenhang von lebensgeschichtlicher Erfahrungskonstruktion (im Licht der Gegenwart) und zeitgeschichtlicher Deutung wird mit dem Anspruch der unmittelbaren "Authentizität" des Zeitzeugens vorgetragen – bei SIEDLER richtet sich dieser offen gegen zeithistorisches Wissen, wie er selbst schreibt. [49]
Die dargestellten Beispiele verdeutlichen, wie Autobiografen sich selbst in der Zeit verorten und ihr autobiografisches Schreiben bewusst kontextualisieren. Dies tun sie unter Berücksichtigung und Rückgriff auf zeitgeschichtliche und erinnerungskulturelle Diskurse, die mehr oder weniger stark normativ und geschichtspolitisch aufgeladen sind. Dabei können herrschende Geschichtsbilder herausgefordert, bestätigt oder stabilisiert werden. Es zeigt sich, dass gerade autobiografische Geschichtsperspektiven einerseits zwingend an den eigenen Erfahrungshorizont angebunden sind, andererseits aber die Konflikt- und Bruchlinien historischer Darstellungen autobiografisch deutlich heraustreten. Darüber hinaus liefern sie selbst Beiträge zum kollektiven Geschichtsbewusstsein. [50]
Die kurzen Beispiele ersetzen nicht die intensive Einzelfall-Erzählanalyse unter Berücksichtigung der in den Vorworten gezogenen lebens- und zeitgeschichtlichen Expositionen (vgl. hierzu exemplarisch HEINZE 2009b). Die kurzen Passagen zeigen jedoch, dass autobiografisches Schreiben einen bewussten Akt mit konkreter sozialkommunikativer Ausrichtung darstellt. [51]
Autobiografisches Schreiben ist eine Form der öffentlichkeitsorientierten Sozialkommunikation, was autobiografische Gattungen zu einem soziologisch interessanten Gegenstand macht. In dieser Hinsicht unterscheidet sich eine soziologische Konzeptualisierung autobiografischen Schreibens von einer rein textuellen oder literarischen, wie sie in großen Teilen der Literaturwissenschaften vorherrscht. Dadurch hat Schreiben gleichzeitig einen intentionalen Charakter, der jedoch dem/der jeweils Schreibenden nicht zwangsläufig bewusst zu sein braucht, sondern einem individuellen wie kollektiven Erinnerungsprozess ausgesetzt ist, in dem sich Selbsterlebtes, Gehörtes und nachträglich erworbenes Wissen in einer autobiografischen Lebenskonstruktion miteinander verbinden. So verschmelzen individuelle wie historische Perspektiven miteinander, wobei vor allem im deutschen Erinnerungskontext der zeitgeschichtliche Erfahrungshorizont einen problematischen Aspekt darstellt, der sich je nach Generation und Schreibzeitpunkt verändern und der unterschiedlich moduliert werden kann. Der öffentliche Charakter des autobiografischen Schreibens hat politische, im engeren Sinne geschichtspolitische Implikationen, die in ihrer Vermittlung Eindrücke über historische Erfahrungen mittels lebensgeschichtlicher Authentizität auszudrücken versuchen. In Autobiografien werden nicht nur individuelle Lebensgeschichten besprochen und verhandelt, sondern autobiografisches Schreiben ist in hohem Maße durch zeitgeschichtliche und erinnerungskulturelle Gegenwartsdiskurse geprägt, was sie eher zu einer Quelle der Gegenwarts- als der Vergangenheitsdeutung werden lässt. Dies kommt in autobiografischen Vorworten oder Einleitungen deutlich zum Ausdruck, die wiederum literarische Vorlagen haben. Wie diese Bezugnahmen auf zeitgeschichtliche oder erinnerungskulturelle Diskurse aussehen, hängt von der Position des oder der autobiografisch Schreibenden sowie den kollektiven Geschichtsbildern ab, wie an den oben herangezogenen Beispielen sichtbar wurde. Die Gegenwart der Schreibsituation nimmt in hohem Maße Einfluss darauf, was und wie autobiografisch dargestellt wird – deshalb handelt es sich bei Autobiografien nicht um das Leben "an sich", sondern um sozialkommunikative Selbstpräsentationen zu einem bestimmten Zeitpunkt. [52]
Politisch sind Autobiografien also durch ihren öffentlichkeitswirksamen Charakter. Autobiografisches Schreiben und Erzählen ist nicht nur eine rein private oder autonome Sache, wie es in der traditionellen Literaturgeschichtsschreibung bürgerlicher Autobiografien zum Ausdruck gebracht wird, sondern das Private wird durch dessen öffentlichen Bezug zwangsläufig politisch. In Abgrenzung zu poststrukturalistisch geprägten Textmodellen, die ein wie auch immer verstandenes narrativiertes Subjekt erkenntnistheoretisch zum Verschwinden bringen wollen, sind der öffentlichkeitsorientierte Charakter und das Format des Autobiografischen in Bezug auf Erinnerungsliteraturen hinsichtlich ihrer Verantwortung vor sich und der Geschichte zu stärken. Da die Gattungsgrenzen durchlässig sind, die "autobiografische Wahrheit" ohnehin nicht zu haben ist, sollten die sozialkommunikativen Funktionen des Autobiografischen näher unter den genannten Aspekten beleuchtet werden. [53]
1) Bezüge zwischen Generationenzusammenhängen und historischen Erfahrungsmustern diskutiert ein Sammelband von REULECKE (2003). Der (politische) Generationenbegriff ist seit Karl MANNHEIMs (1964 [1928]) wegweisendem Beitrag mit einer Reihe von Problemen belegt. Generationalität, wie von REULECKE konzeptualisiert, lässt jedoch nicht Erfahrungsunterschiede hinter objektiven sozialstrukturellen Daten zurücktreten oder zerlegt historische Entwicklungen in fragmentarische Einzelteile, sondern lässt das verbindende Wechselverhältnis von Menschen und ihren Selbst- und Fremdverortungen hervortreten: "'Generationalität' zielt demnach nicht auf eine (rückblickende oder aktuelle) mehr oder weniger idealtypische Konstruktion von quasi 'objektiv' faßbaren Generationsstrukturen ganzer Kohorten, sondern an eine Annäherung an die subjektive Selbst- und Fremdverortung von Menschen in ihrer Zeit und deren damit verbundenen Sinnstiftungen – dies mit Blick auf die von ihnen erlebte Geschichte und die Kontexte, die sie umgeben, die sie wahrnehmen und in denen sie ihre Erfahrungen machen" (REULECKE 2003, S.VIII). <zurück>
2) Unlängst hat Matthias BEREK (2009) auf Grundlage der sozialphänomenologischen Wissenssoziologie eine "Theorie der Erinnerungskulturen" entworfen. <zurück>
3) Ebenso konnten durch derartige Legitimierungen die Versäumnisse hinsichtlich einer nur oberflächlich stattgefundenen Entnazifizierung zumindest weitgehend überspielt werden. <zurück>
4) Vgl. dazu den kommunikationstheoretischen Ansatz in der Nationalismusforschung (KUNZE 2005, S.51-54). <zurück>
5) Das in diesem Zusammenhang wohl bekannteste autobiografische Beispiel sind die Erinnerungen Erich HONECKERs (1981), die im Rahmen einer Reihe "Leaders of the World" Anfang der 1980er Jahre erschienenen sind. <zurück>
6) Vgl. für eine kultur- wie geschichtswissenschaftliche Übersicht mit Schwerpunkt auf kulturwissenschaftliche Perspektiven SCHABACHER (2007); im Anschluss an Hayden WHITE dazu auch EVANS (1999); für die Literaturwissenschaften in einem ersten Überblick die Sammelbände von OLNEY (1980) und NIGGL (1998), aktuellere Tendenzen bei WAGNER-EGELHAAF (2005) und HOLDENRIED (2000, 2010). Als interdisziplinäre Sammelbände zum Thema autobiografisches Schreiben und Erinnerungskulturen vgl. PARRY und PLATEN (2007), BREUER und SANDBERG (2006) sowie JARAUSCH und SABROW (2002). <zurück>
7) Vgl. als biografiewissenschaftliche Ausnahme, jedoch ohne explizit politische oder erinnerungskulturelle Ausrichtung ALHEIT und BRANDT (2006). <zurück>
8) Anders allerdings die Diskussionen in der amerikanischen Autobiografieforschung, die in postmoderner Wendung stärker auf die Subversivität interkultureller autobiografischer Verständigung (postcolonial turn) rekurrieren (vgl. ANDERSON 2004). <zurück>
9) Dies bestätigte mir die Literaturwissenschaftlerin Martina WAGNER-EGELHAAF im Rahmen einer Tagung zu Autobiografie und Zeitgeschichte (24.-25. Juni im Institut für Geschichte und Biografie, Lüdenscheid). <zurück>
10) Dazu zählen auch Untersuchungen zu den verschiedenen Narrationsstrategien in der Autobiografie (vgl. SILL 1991). Günter WALDMANN hat elf verschiedene autobiografische Erzählformen identifizieren können (2000, S.57-127). <zurück>
11) Vgl. dazu meine Ausführungen zum Verhältnis von Schrift, Bild und Film in der Autobiografie Marcel REICH-RANICKIs (HEINZE 2009a). <zurück>
12) Vgl. dazu eine frühe Arbeit von LUCKMANN (1980, S.93-122), den Abschnitt "Kommunikation" in LUCKMANN (2002, S.157-211) und die "Schriften zur Kommunikation" in LUCKMANN (2007, S.255-308). Ein kommunikationstheoretischer Überblick zu soziologischen Gattungsfragen findet sich bei GÜNTHNER und KNOBLAUCH (1997). <zurück>
13) "Mein Leben" von Marcel REICH-RANICKI (1999) ist ein klingender, performativer Titel für diesen Sachverhalt. <zurück>
14) Hinzu kommen neuere Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften, die die Autonomie des Erinnerungsprozesses zusätzlich infrage stellen. Das autobiografische Gedächtnis arbeitet demnach nicht als Speichermedium vergangener Erfahrungen, sondern konstruiert diese vor dem Hintergrund komplizierter kognitiver Prozessstrukturen zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder aufs Neue (vgl. MARKOWITSCH & WELZER 2006). Es ist gerade das episodische Gedächtnis, das weniger "richtige" Daten liefert, sondern vielmehr anekdotenhaft und kontextbezogen arbeitet (vgl. SINGER 2002, S.82). Insofern lässt sich nicht schlussfolgern, dass Fiktionalisierungen in der autobiografischen Erzählung die Gattung an sich in Zweifel ziehen, sondern Fiktionalisierungen sind ein wichtiges Element derselben. Daher kann es weniger um die Rekonstruktion einer lebensgeschichtlichen Erzählung gehen, sondern um deren Dekonstruktion. <zurück>
15) Bereits 1948 bezogen sich zur 100-Jahrfeier der Revolution in Deutschland Ost- wie Westdeutschland als historische Bezugspunkte auf die deutsche Klassik (vgl. ASSMANN & FREVERT 1999, S.152-153). <zurück>
16) Der Verlag der Nation Berlin legte eine eigene Reihe "Autobiografie" auf, in der zumeist ehemalige NSDAP-Mitglieder oder bürgerliche Vertreter/innen ihre lebensgeschichtlichen Konversionsgeschichten erzählten und ein Bekenntnis zur sozialistisch-antifaschistischen Gesellschaft ablegten (vgl. TATE 2007, S.31). Dieser Verlag war Parteiverlag der NDPD der DDR (National-Demokratische Partei Deutschlands), einer Partei, die sich seit 1948 um die Integration ehemaliger NS-Funktionäre und Bürgerlicher in den neuen antifaschistischen Staat kümmerte. <zurück>
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Carsten HEINZE ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (LfbA) an der Universität Hamburg.
Kontakt:
Carsten Heinze
Universität Hamburg
Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Fachbereich Sozialökonomie
Fachgebiet Soziologie
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URL: http://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereiche/sozialoekonomie/fachgebiete/fachgebiet-soziologie/team/dr-carsten-heinze-vertretungsprofessor/
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