Volume 13, No. 1, Art. 24 – Januar 2012
Dialogische Introspektion: Eine Erweiterung des empirischen Methodenspektrums durch die Wiederentdeckung von Introspektionsverfahren
Jenny Weggen
Review Essay:
Thomas Burkart, Gerhard Kleining & Harald Witt (Hrsg.) (2010). Dialogische Introspektion. Ein gruppengestütztes Verfahren zur Erforschung des Erlebens. Wiesbaden: VS Verlag; 235 Seiten; 978-3-531-17165-4; EUR 34,95
Zusammenfassung: Das Buch "Dialogische Introspektion. Ein gruppengestütztes Verfahren zur Erforschung des Erlebens" beschreibt die Wiederentdeckung und Weiterentwicklung eines weitgehend in Vergessenheit geratenen qualitativen Verfahrens im Methodenspektrum von Psychologie und Sozialwissenschaften. Die Hamburger Forschungswerkstatt um Thomas BURKART, Gerhard KLEINING und Harald WITT greift das Verfahren der Introspektion auf, systematisiert es und entwickelt es unter Bezugnahme auf neue Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung weiter. Anhand von zahlreichen Beispielen der Anwendung und Analyse stellen die drei Herausgeber sowie weitere Beitragende ausführlich und sehr verständlich dar, wie sich die Methode historisch herleitet und worin ihre Vorzüge und Beschränkungen bestehen. Sie liefern zudem eine detaillierte Anleitung zur eigenen Verwendung der Methode und laden zum Ausprobieren ein. Darüber hinaus werden diverse Anwendungsfelder der Methode dargestellt – von der Psychotherapie über die Pädagogik bis zur Organisationsberatung –, die die Reichhaltigkeit der Methode erahnen lassen. Die Methode der dialogischen Introspektion verspricht, das empirische Methodenspektrum substanziell zu erweitern. Sie ist optimal zur Erhebung und Analyse von Datenmaterial geeignet, das Aufschluss über Erleben zulässt – ein Grundkonzept zum Verständnis zentraler Gegenstandsbereiche von Psychologie und Soziologie, das allerdings bisher in der Forschung nur wenig Beachtung findet.
Keywords: qualitative Methodologie; Heuristik; Introspektion; Erleben; Experimente in Gruppen
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Das Verfahren der gruppengestützten dialogischen Introspektion zur empirischen Erhebung von Erleben
2. Aufbau des Buches
3. Ablauf und Durchführung der dialogischen Introspektion: Die drei Phasen des Forschungsprozesses
4. Einbettung der dialogischen Introspektion in die Methodologie der qualitativen Heuristik
5. Empirischer Zugang zur Methode der dialogischen Introspektion
6. Die dialogische Introspektion: Eine Erweiterung des empirischen Methodenspektrums
7. Schlussbemerkung
1. Einleitung: Das Verfahren der gruppengestützten dialogischen Introspektion zur empirischen Erhebung von Erleben
Erleben bietet den Zugang zu alltagsnahen Daten, die aus der Perspektive des Individuums "unverfälscht" Auskunft über soziale Zusammenhänge liefern. Es birgt Erfahrungen des Individuums mit seiner sozialen Umwelt – wobei durch die Analyse von Daten zum Erleben bestimmter Sachverhalte intersubjektive Strukturen darstellbar werden. In vielen Teilbereichen der Sozialwissenschaften wird nach einem optimierten Zugang zu diesen Daten gesucht. In der sich immer weiter ausdifferenzierenden Emotionssoziologie wird etwa nach Instrumenten gefahndet, authentische Emotionen zu erheben1) – ohne dass diese beispielsweise in Laborsituationen "verfälscht" werden. Erleben bietet hier einen Zugang, da es immer auch eine emotionale Komponente aufweist. [1]
Genau hierin besteht das Hauptanliegen der zehn AutorInnen der Hamburger Forschungswerkstatt, deren Beiträge sich im von Thomas BURKART, Gerhard KLEINING und Harald WITT herausgegebenen Buch finden: Sie wollen mit der Methode der dialogischen Introspektion einen Beitrag dazu leisten, die Lücke des empirischen Zugangs zu Erleben zu schließen. [2]
Bei der gruppengestützten dialogischen Introspektion handelt es sich um ein qualitatives Verfahren, mit dem die Methode der Introspektion weiterentwickelt wurde. Die Introspektion – verstanden als Selbstbeobachtung oder auch Selbstreflexion – war in den Anfängen des 20. Jahrhunderts eines der wichtigsten Instrumente im Methodenspektrum der Psychologie, wurde allerdings mit der voranschreitenden Vormachtstellung der quantitativen Methoden in der Nachkriegszeit weitgehend aus dem Kanon der empirischen Forschung verdrängt. Die Hamburger Forschungswerkstatt2) erweiterte das Konzept der Introspektion um seinen dialogischen Charakter und bettete es in die Methodologie der qualitativen Heuristik3) ein, um methodische Schwächen auszugleichen. [3]
Bei der Anwendung der Methode der dialogischen Introspektion in Bezug auf verschiedene Fragestellungen entdeckten die Mitglieder der Hamburger Forschungswerkstatt, dass die dialogische Introspektion besonders gut dafür geeignet sei, individuelles Erleben – verstanden als "die innere Wahrnehmung der eigenen psychischen Prozesse, die das aktuelle Verhältnis des Subjekts zu sich selbst und zur äußeren Welt betreffen" (KLEINING, S.211) – zu erheben. [4]
Die dialogische Introspektion führe zu Datenmaterial, das reichhaltig Auskunft über das Erleben der an der dialogischen Introspektion beteiligten Personen gebe. Die Herausgeber und weiteren Beitragenden des Buches führen diesen engen Zusammenhang darauf zurück, dass die Introspektion einen Prozess der Selbstbeobachtung anrege, der den Blick auf innere psychische Prozesse wie Denken, Erfahrungen und Gefühle richte, die alle mit Erleben verbunden sind. KLEINING stellt entsprechend fest: "Introspektion öffnet den unmittelbarsten Zugang zum Erleben, den über die eigene Subjektivität. Sie ist der Königsweg zum Erleben" (S.214). Bei der dialogischen Introspektion verstärke der Kommunikationsprozess in der Gruppe das eigene Erleben zusätzlich. [5]
Im Folgenden soll der Band in seinem Aufbau vorgestellt werden. Danach werde ich vertiefend ausführen, warum die dialogische Introspektion dazu beitragen kann, das Methodenspektrum von Psychologie und Sozialwissenschaften substanziell zu erweitern. [6]
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Thomas BURKART und Gerhard KLEINING als Herausgeber sowie Friedrich KROTZ stellen in Kapitel 1 "Methodologie und Methode" das Verfahren und die Durchführung der dialogischen Introspektion detailliert vor. In Kapitel 2 "Beispiele" und 3 "Anwendungsfelder" werden anschließend Ausführung und Einsatzmöglichkeiten der Methode beschrieben. In Kapitel 4 "Geschichte" wird die historische Entwicklung von Introspektionsverfahren und die Weiterentwicklung zur gruppengestützten dialogischen Introspektion veranschaulicht. In Kapitel 5 "Introspektion und Erleben" wird abschließend auf die Begriffsklärung und Konzeption von Erleben eingegangen sowie auf seine Bedeutung für Philosophie, Psychologie und Sozialwissenschaften. Die einzelnen Unterkapitel sind von unterschiedlichen Autoren und einer Autorin verfasst, neben BURKART, KLEINING und WITT finden sich Beiträge von anderen Mitgliedern der Hamburger Forschungswerkstatt, nämlich Markus R. FRIEDERICI, Friedrich KROTZ, Roman LANGER, Peter MAYER, Heinz SCHRAMM, Hartmut SCHULZE und Odila TAPFER. [7]
Das Buch bietet einen sehr guten Überblick zur historischen Entwicklung einer spezifischen qualitativen Methode in Psychologie und Sozialwissenschaften. Dabei erlaubt es ebenfalls Einblicke in die Entstehung und Weiterentwicklung qualitativer Methoden im deutschsprachigen Raum insgesamt. Sehr übersichtlich ist vor allem dargestellt, wie sich die Introspektion als Methode in der Psychologie entwickelte – unter anderem in der Psychoanalyse von Sigmund FREUD (1856-1939) und in der Würzburger Schule der Denkpsychologie (1896-1909) um Oswald KÜLPE (1862-1915) – und wie die Kritik an den Introspektionsmethoden in der Nachkriegszeit zu ihrem beinahe vollständigen Verschwinden beitrug. Es wird darauf aufbauend erläutert, wie die dialogische Introspektion die Kritik an der bisherigen Verwendung der Methode auflöst. [8]
Die dialogische Introspektion greift die Methode der Introspektion auf. Laut SCHULZE ist darunter ein Prozess der Selbstbeobachtung zu verstehen, bei dem das Individuum den Blick "nach innen" lenkt:
"Etymologisch setzt sich Introspektion aus dem lateinischen Verb spectare für schauen und der Vorsilbe intro für hinein, nach innen zusammen. Ganz in diesem Sinne handelt es sich bei der Verwendung der Introspektion in der Alltagspraxis um eine Art 'Innenschau', in deren Mittelpunkt das eigene Denken, Fühlen und Erleben steht" (S.165). [9]
Die Hamburger Forschungswerkstatt bettet die Introspektion in einen neuen methodischen Zusammenhang ein, in dem sie sie in Gruppen von 5-15 Personen verwendet. Dies ist einer von zwei Bausteinen, aus dem sich der dialogische Charakter der Methode zusammensetzt:
"Dialogisch ist das Verfahren auf zweierlei Weise: zum einen, weil es die Teilnehmenden zu einem Inneren Dialog mit selbst gestellten Fragen und Antworten und damit zur Erforschung des eigenen Inneren anregt, zum anderen, weil in der Gruppe weitere Mitteilungen stattfinden, die den Inneren Dialog vertiefen und erweitern können" (KLEINING, S.26). [10]
Das Buch gibt ferner Mittel zur Selbstanwendung der Methode an die Hand. BURKART, KLEINING und WITT sowie die von ihnen eingeladenen Beitragenden wollen das Interesse an der dialogischen Introspektion wecken und zum Ausprobieren anregen. Sie schreiben: "In allen Beispielen hat sich gezeigt, dass die Menge und Vielfalt der Daten so erfreulich sind, dass eine Analyse fast immer auch zum Erfolg führt. Probieren Sie es doch einfach mal aus!" (KLEINING, S.25) [11]
Die Anwendungsschritte werden detailliert beschrieben und der Forschungsprozess somit sehr gut veranschaulicht – etwaige Hemmschwellen der eigenen Verwendung der Methode werden so abgebaut. Vor allem tragen die verschiedenen Beispiele zu einer sehr hohen Anschaulichkeit und Nachvollziehbarkeit bei. [12]
Sobald man sich mit den Grundzügen der Methode der dialogischen Introspektion vertraut gemacht hat, eignet sich das Buch zudem sehr gut als Nachschlagewerk zu spezifischen Themen- und Praxisfeldern der Verwendung der Methode. Die Beiträge in Kapitel 2 und 3 formulieren den Anspruch, jeweils für sich alleine zu stehen. [13]
3. Ablauf und Durchführung der dialogischen Introspektion: Die drei Phasen des Forschungsprozesses
In Kapitel 1 des Buches werden zunächst die drei Phasen des Forschungsprozesses und deren Einbettung in die heuristische Methodologie vorgestellt. Im Einzelnen werden von Gerhard KLEINING, Friedrich KROTZ und Thomas BURKART die Auswahl des Forschungsgegenstandes, die Datenerhebung und die anschließende Analyse des Datenmaterials behandelt. [14]
In der ersten Phase soll der Forschungsgegenstand vorläufig festgelegt werden. Den Prinzipien der qualitativen Heuristik folgend stelle sich der Forschungsprozess dialogisch dar: "Forschungsperson und Gegenstand der Forschung stehen dialogisch miteinander in Verbindung: die Forschungsperson befragt den Forschungsgegenstand, nimmt die Antworten auf und stellt eine neue Frage etc." (KLEINING 1995, S.228). Mit der Datenauswertung solle gleich nach der ersten Datenerhebung begonnen werden und beides solle im Folgenden parallel stattfinden. Die aus der Analyse gewonnen Erkenntnisse sollen die weitere Auswahl der Datenerhebungsinstrumente und der Untersuchungseinheiten beeinflussen. Zur Aufgabe gehöre es zunächst, die Untersuchungsgruppe und das genaue Thema der dialogischen Introspektion zu bestimmen. Hierbei seien alle Fragestellungen zulässig, bei denen individuelles Erleben Zugang zu relevanten Antworten in Bezug auf den Forschungsgegenstand verschaffen könne. [15]
Die zweite Phase bildet die eigentliche Datenerhebung im Gruppenexperiment. Dies umfasse die Introspektion, den schriftlichem Introspektionsbericht und einen mündlichen Austausch. Die Introspektion stelle ein Verfahren der Selbstbeobachtung dar, bei dem der Blick nach innen gerichtet und Erfahrungen und das eigene Erleben in Erinnerung gerufen würden, anschließend gelte es, dies verbal oder schriftlich festzuhalten. [16]
Die Herausgeber schlagen vor, das Experiment in Gruppen von ca. 5-15 Teilnehmenden durchzuführen. Eine Person bekomme zunächst die Aufgabe, die Introspektionsleitung zu übernehmen und die in der ersten Phase des Forschungsprozesses festgelegte Fragestellung vorzustellen. Anschließend sei allen Teilnehmenden ausreichend Zeit einzuräumen, um zu beobachten, welche Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle in Bezug auf die Fragestellung erinnert und erlebt würden. Dies sei dann stichwortartig in einem Introspektionsbericht zu notieren. Für die Introspektion veranschlagen die Autoren erfahrungsgemäß etwa 15-25 Minuten (vgl. BURKART, S.47). Die Introspektion ende, wenn alle Teilnehmenden damit einverstanden sind. Im Anschluss werde eine erste Runde für die mündlichen Berichte eröffnet, wobei jede/r eigenständig entscheide, wie viel vom eigenen Erleben den anderen Teilnehmenden mitgeteilt wird. Daran anschließend folge ein zweites Zeitfenster zur individuellen Introspektion, um zu beobachten, ob die Berichte der anderen zu einer Vertiefung des eigenen Erlebens führten. Es bestehe die Möglichkeit, zuvor Vergessenes oder Zurückgehaltenes zu erinnern und in einer zweiten mündlichen Mitteilungsrunde der Gruppe zu schildern. Während der gesamten Zeit der Selbstbeobachtung und der Vorstellung der Introspektionsberichte seien keine Kommentare, Bewertungen oder Nachfragen zulässig. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Bereitschaft, eigenes Erlebtes mitzuteilen, steige, je ungestörter der Redefluss stattfinden könne. Zudem würde das Mitgeteilte nicht dadurch verfälscht, dass zu Bemerkungen Stellung genommen werden müsse. [17]
Falls die Teilnehmenden einen direkten Austausch bzw. eine Diskussion der Introspektionsberichte wünschten, sei eine anschließende Diskussion allerdings möglich. Die Herausgeber empfehlen, alle mündlichen Mitteilungen digital aufzuzeichnen und anschließend zu transkribieren, um sie so für die weitere Analyse zugänglich zu machen. [18]
Die dritte Phase umfasst die Auswertung des Datenmaterials, wobei gemäß der Methodologie der qualitativen Heuristik eine Analyse auf Gemeinsamkeiten erfolge. Dabei seien Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten im Datenmaterial zu suchen und die Ergebnisse in einem Forschungsbericht zu dokumentieren. Bei der Analyse gilt die 100-Prozent-Regel: "Das Ziel ist, alle Daten unterzubringen (die sogenannte '100%-Regel' oder '0%-Abweichung')" (KLEINING 2010, S.68). Die Auswertung gelte erst dann als abgeschlossen, wenn das gesamte Datenmaterial in die Analyse einbezogen worden sei. [19]
3.1 Die wichtige Rolle der Introspektionsleitung im Experiment
In Bezug auf den Forschungsprozess ist besonders die Rolle hervorzuheben, die der Introspektionsleitung im Experiment zukommt. Besonders wichtig sei, dass sowohl die Person, die die dialogische Introspektion anleitet, als auch die Teilnehmenden bestmöglich auf das Experiment vorbereitet werden. Die dialogische Introspektion bilde eine Situation, die sich einerseits von Laborexperimenten unterscheide, andererseits aber auch von Alltagssituationen. Daraus resultiert – so auch meine eigene Beobachtung4) – häufig Unsicherheit bei den Teilnehmenden, ob sie sich "richtig" verhalten und den Erwartungen entsprechen. Es ist hier den Autoren folgend sehr wichtig, deutlich zu betonen, dass es kein "richtig" oder "falsch" gibt, sondern dass alles von den Teilnehmenden Erlebte beschrieben werden könne und solle, erscheine es auch noch so banal (vgl. BURKART, S.46). [20]
Es handelt sich – dies haben meine bisherigen Ausführungen deutlich gemacht – bei der Gruppensituation nicht um eine "natürliche" Situation, da Kommentare oder Diskussionen nicht zugelassen sind. Die Teilnehmenden müssen sich auf die Situation erst einlassen. Der Introspektionsleitung kommt hierbei die bedeutsame Aufgabe zu, die dafür notwendige Atmosphäre herzustellen. [21]
4. Einbettung der dialogischen Introspektion in die Methodologie der qualitativen Heuristik
Von der Einbettung des Introspektionsverfahrens in einen Gruppenzusammenhang, seiner Systematisierung und der Rahmung durch die qualitativ-heuristische Methodologie erhoffen die Mitglieder der Hamburger Forschungswerkstatt – im Buch expliziert durch Beiträge von BURKART, KLEINING und KROTZ – der Kritik an bisherigen Introspektionsverfahren angemessen zu begegnen. Dies betreffe in erster Linie den Vorwurf der mangelnden Nachprüfbarkeit: Bei der Introspektion seien die Daten nur dem Subjekt selbst zugänglich, nicht aber außenstehenden Personen5). Durch den Dialog in der Gruppe, den festgelegten Forschungsablauf und die genaue Dokumentation des Datenmaterials könne dieser Vorwurf in Bezug auf die dialogische Introspektion entkräftet werden – bzw. gelte nicht mehr oder weniger als bei allen empirischen Verfahren und Experimenten: BURKART diskutiert in diesem Zusammenhang, dass die mangelnde Nachprüfbarkeit von individuellen Daten für Fremdbeobachtungen generell gelte und somit für alle empirischen Untersuchungen – jede Beobachtung sei singulär: "Auch Ereignisse, die der Fremdbeobachtung zugänglich sind, sind letztlich nur abstrahierend wiederholbar, weil auch sie wegen der undirektional verlaufenden Zeit singulär sind" (S.185). [22]
In Kapitel 1 des Buches wird die Einbettung der dialogischen Introspektion in die qualitative Heuristik detailliert erläutert. KLEINING entwickelte die Methodologie ab den 1980er Jahren und leistete damit im deutschsprachigen Raum einen Beitrag zum Diskurs um empirische Verfahren und zur Forderung, den qualitativen Methoden eine zentrale Stellung im sozialwissenschaftlichen Methodenspektrum zuzuweisen. KLEINING verwies vor allem auf Ansätze aus dem angloamerikanischen Raum – dabei zentral auf den symbolischen Interaktionismus (BLUMER 1989 [1969]) und die Grounded-Theory-Methodologie (GLASER & STRAUSS 1967) – und schlug die Vorgehensweise heuristischer Methodik vor6): "Wissenschaftsstrategisch unterscheidet sie sich sowohl von erklärenden (deduktiv-nomologischen) als auch beschreibenden (induktiven) bzw. deutenden (hermeneutischen) Aufgabenstellungen" (KLEINING 2010, S.66). Die qualitative Heuristik bediene sich anderer Verfahren als der gängigen qualitativen Forschungsstrategien: "[Die qualitative Heuristik] hilft der Forschungsperson, Neues zu entdecken, nicht Bekanntes auf neue Art zu interpretieren" (KLEINING 1995, S.225). Die Systematisierung der Methodologie der qualitativen Heuristik sei durch vier Regeln sichergestellt: 1. Offenheit der Forschungsperson, 2. Offenheit des Forschungsgegenstandes, 3. maximal strukturelle Variation der Perspektiven und 4. Analyse auf Gemeinsamkeiten (zur weiteren Einführung in die qualitative Heuristik siehe KLEINING 1982, 1995, 2010). [23]
5. Empirischer Zugang zur Methode der dialogischen Introspektion
5.1 Durchführungsbeispiele der dialogischen Introspektion
BURKART, KLEINING, WITT und die anderen Beitragenden zeigen anhand verschiedener Beispiele das mögliche Themenspektrum auf, in dem die dialogische Introspektion auf neuartige Art und Weise zu substanziellen und gehaltvollen Ergebnissen beitragen könne. Insgesamt halten die AutorInnen alle Themen für geeignet, die mit Erleben verbunden seien. Stellvertretend genannt seien die in Kapitel 2 gegebenen Beispiele aus sehr unterschiedlichen Themenbereichen: das Erleben eines Raumes (Bahnhof, KLEINING), eines Artefaktes (Tafel, KLEINING), die Wahrnehmung von Gefühlen (BURKART) und dem kurzen Erlebensmoment eines Schreckens (WITT & KLEINING) sowie die Rezeption von Kunstgegenständen (Kurzfilm, BURKART) und von Informationssendungen (Tagesschau, SCHRAMM). Die Autoren stellen die Analyseergebnisse vor und liefern damit praktische Beispiele, die zur Nachahmung anregen. Sie zeigen, dass die erhobenen Daten in der Lage sind, die Grundlagen für Theorieentwicklungen zu liefern. [24]
5.1.1 Das Beispiel des Erlebens eines Bahnhofes
Neben verschiedenen Untersuchungsbeispielen wird unter anderem das Erleben eines Bahnhofes dargestellt. Das Experiment fand in der Hamburger Forschungswerkstatt statt und das Hauptanliegen habe darin bestanden zu erkunden, ob die dialogische Introspektion auch zur Erhebung von flüchtigen Eindrücken des Erlebens der Atmosphäre eines Bauwerkes geeignet sei. [25]
Der dialogischen Introspektion in der Gruppe sei eine individuelle Introspektion des Erlebens eines Bahnhofes vorgeschaltet worden, wobei dieser tatsächlich aufgesucht worden sei. Beim späteren gemeinsamen Treffen, an dem fünf Mitglieder der Forschungswerkstatt teilgenommen hätten, seien diese Erlebnisse wieder in Erinnerung gerufen worden. Für die Analyse seien retrospektive Ergänzungen von acht Personen hinzugefügt worden. Alle Daten wurden nach der Analyse auf Gemeinsamkeiten hin ausgewertet. Die Ergebnisse der Analyse zum Erleben der "Atmosphäre des Bahnhofs Altonas" lassen sich KLEINING folgend in fünf Punkten zusammenfassen:
"Dimensionen" des Erlebens seien "Menschlichkeit, Funktionalität und Ästhetik" (S.74).
"Reiseerlebnisse" würden durch die "[...] zeitliche Abfolge von Räumen und Zeiten [repräsentiert]", dem liege das Zusammenspiel von "Bewegung oder Veränderung" zugrunde (a.a.O.).
"Bahnhöfe institutionalisieren Ortsveränderungen" und erzeugen "komplexe psychische, physische und soziale Prozesse". Die Reiseatmosphäre resultiere dabei aus Ortsveränderungen, "die sich aus Variationen der Grundverhältnisse Trennung und Vereinigung ergeben" (a.a.O.). Die Ortsveränderung könne dabei faktisch stattfinden oder nur geplant sein.
Das Bauwerk "antwortet" (a.a.O.) auf die Umstände, unter denen die Menschen den Ort aufsuchen. Das habe wiederum einen Effekt auf das Erleben der Reise.
Das je individuelle schlechte Verhältnis zum Bahnhof Altona sei durch die gesellschaftlichen Prozesse der "Rationalisierung, Ökonomisierung und Kommerzialisierung" geprägt. Diese Prozesse bedingten die Umgestaltung des Bahnhofes, die allerdings nicht zu "einer erkennbare[n] Verbesserung der Funktionen als Bahnhof" (a.a.O.) geführt habe. [26]
Die Analyseergebnisse zeigen beispielhaft, wie die dialogische Introspektion als Methode zur Theoriebildung beitragen kann, auch wenn dies in seiner Gültigkeit auf Gruppe, Zeitpunkt und Ort der Erhebung beschränkt bleiben muss. [27]
5.2 Ausgewählte Anwendungsfelder in der Praxis
Neben der Darstellung des breiten Spektrums von Einsatzmöglichkeiten der dialogischen Introspektion für wissenschaftliche Fragestellungen werden in Kapitel 3 zusätzlich Praxisfelder behandelt, in denen die Methode Erfolg versprechend eingesetzt werden kann; wobei die Herausgeber anmerken, dass weitere als die dargestellten Anwendungsfelder bearbeitet werden könnten. Das Kapitel liefert einen sehr guten Überblick über und Einstieg in die Verwendung der dialogischen Introspektion in der Praxis: Peter MAYER beschreibt die Möglichkeit ihrer Nutzung in der Pädagogik7) sowie in der Supervision der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik, Thomas BURKART in der Psychotherapie, Odila TAPFER in der Gestaltungstherapie, Markus R. FRIEDERICI und Roman LANGER in der forschenden Lehre und Markus R. FRIEDERICI in der Organisationsberatung. [28]
6. Die dialogische Introspektion: Eine Erweiterung des empirischen Methodenspektrums
Das Buch bietet zum einen eine spannende theoretische Einführung in die qualitative Methode der Introspektion, deren Verwendung bis in die Anfänge der empirischen Sozialforschung zurückreicht. Zum anderen gibt es eine praktische Anleitung und Anregung für ihre Anwendung in verschiedenen Forschungs- und Praxisfeldern (insb. zu Therapie und Beratung). [29]
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Methode der dialogischen Introspektion das methodische Spektrum der qualitativen Sozialforschung tatsächlich substanziell erweitert: Besteht der Beitrag des vorliegenden Buches alleine darin, Introspektionsverfahren wieder auf die Forschungsagenda zu setzen oder leistet es mehr? – Zwar erwähnen die AutorInnen einige Vorteile gegenüber anderen gängigen Verfahren der Datenerhebung und -auswertung (vor allem zu solchen, die ebenfalls auf Gruppensituationen beruhen), allerdings wird die dialogische Introspektion nicht systematisch in den bestehenden Kanon empirischer Methoden eingeordnet. [30]
Zunächst ist die Rückführung einer fast vergessenen Methode in das Methodenspektrum der Psychologie fraglos ein wichtiger Beitrag für die Vielfalt der empirischen Forschung – vor allem wenn man bedenkt, dass quantitative Methoden die psychologische Forschung immer noch weitgehend dominieren.8) Zudem erscheint die Introspektion durch die Erweiterung um den dialogischen Charakter für weitere, insbesondere sozialwissenschaftliche Disziplinen interessant. Die Einfügung in den Rahmen der Methodologie der qualitativen Heuristik führt dazu, dass die Methode nicht nur Daten erzeugt, die Rückschlüsse auf das einzelne Individuum zulassen, sondern ebenfalls auf intersubjektive Zusammenhänge. Die intersubjektiven Muster, sozialen Zusammenhänge und Strukturen werden durch die Analyse auf Gemeinsamkeiten sichtbar. Darüber hinaus erlaubt die Einbettung in die Methodologie der qualitativen Heuristik einen systematisierten Rahmen für das Forschungsverfahren, um gängiger Kritik an qualitativen Verfahren – wie angeblich fehlender Reliabilität und Validität – entgegenzuwirken. [31]
6.1 Bedeutung und Reichweite der Methode
Kann die Methode der dialogischen Introspektion aber tatsächlich mehr als die gängigen Methoden, die in der qualitativen Forschung zur Anwendung kommen und wenn ja – was? Ich möchte im Folgenden die dialogische Introspektion von den Datenerhebungsinstrumenten Focus Group und Interview abgrenzen. Die Auswahl dieser beiden Methoden erscheint sinnvoll aufgrund ihrer weitverbreiteten Verwendung: David SILVERMAN benennt beide Instrumente als die am häufigsten genutzten in der qualitativen Forschung insgesamt (2007, S.39). Ich betrachte hierbei die Methode der dialogischen Introspektion verkürzend nur als Datenerhebungsinstrument. Entgegen dem Verständnis der Herausgeber des besprochenen Bandes möchte ich anregen, die dialogische Introspektion als Datenerhebungsinstrument auch für die Anwendung in anderen qualitativen Forschungsdesigns zu öffnen, die nicht den Prinzipien der qualitativen Heuristik folgen. Mein Vorschlag ist vor allem pragmatisch inspiriert, denn im Zuge der Weiterentwicklung in Richtung Mixed Methods und der Betonung des Triangulationskonzepts wird verstärkt die Öffnung von verschiedenen Methodologien untereinander angeregt, um einen Mehrwert an Erkenntnis zu generieren9) (SCHREIER & ODAĞ 2010; FLICK 2010). [32]
Die qualitative Heuristik ist eine Methodologie, die vor allem durch ihre Systematisierung zu reichhaltigen, validen und theoriebegründenden Ergebnisse beitragen kann. Nichtsdestotrotz birgt sie ein Manko: Aufgrund des dialogischen Charakters und des zeitintensiven Auswertungsverfahrens (der Analyse auf Gemeinsamkeiten) ist im Vorfeld sehr schwer abzuschätzen, wie lange der Forschungsprozess dauern wird. Viele Forschungsprojekte sind jedoch darauf angewiesen, einen genauen Zeitrahmen anzugeben und einzuhalten. Damit die dialogische Introspektion mitsamt ihrer Vorteile auch dort zum Einsatz kommen kann, erscheint es sinnvoll zu prüfen, ob sich die Methode auch in andere Forschungsansätze einbetten ließe. Selbstverständlich sollte dabei – im Sinne der Triangulation – eine gut begründete methodologische Verknüpfung der zugrunde liegenden Konzepte stattfinden. [33]
Bei der Gegenüberstellung der dialogischen Introspektion mit Focus Groups und Interviews lasse ich eigene Erfahrungen aus der Anwendung der Methoden einfließen. [34]
6.1.1 Gruppendynamische Prozesse und Vorteile gegenüber der Focus Group
Bei allen Situationen der Datenerhebung in Gruppen spielen gruppendynamische Prozesse eine Rolle, die zu Äußerungen sozialer Erwünschtheit führen können. Beispielhaft zeigte dies Solomon ASCH in seinen Experimenten zu Gruppensituationen10). BURKART verweist in Bezug auf die dialogische Introspektion darauf, dass mit der Methode nicht vertraute Personen sich häufiger beeinflussen ließen und dies mit Kenntnis der Methode abnehme:
"Diese Wirkungen werden durch die Methodik der Dialogischen Introspektion in Betracht gezogen und abgeschwächt. [...] Da Leistungs-, Konkurrenz- und Beurteilungserwartungen in unserer Gesellschaft aber weit verbreitet sind, ist es wahrscheinlich, dass sie besonders von erstmals teilnehmenden Personen an die Dialogische Introspektionsgruppe herangetragen werden, was auch in unserer Gruppe in den ersten Experimenten der Fall gewesen ist" (S.190). [35]
Ich halte diese Beobachtung für zentral: Bei neuen Teilnehmenden kann es infolge des Wunsches, "alles richtig zu machen" (das wie oben beschrieben aus Unsicherheit erwachsen kann), zu einer Orientierung an anderen Introspektionsteilnehmenden kommen – und somit auch zu Äußerungen, die durch soziale Erwünschtheit geprägt sind. [36]
Die Methode der dialogischen Introspektion orientiert sich jedoch an Prinzipien, die diese Effekte abschwächen: Es sollten Gruppen mit möglichst geringen Hierarchieunterschieden gewählt werden – auch wenn diese nie komplett ausgeglichen sein können (es gibt immer Unterschiede in Alter, Beruf oder Status); die mündlichen Introspektionsberichte haben keine zeitliche Begrenzung; Kommentierungen und Unterbrechungen der Berichte der anderen Teilnehmenden sind nicht zugelassen. [37]
Hierin besteht ein großer Vorteil gegenüber dem Datenerhebungsinstrument der Focus Groups: In diesen diskutieren die Teilnehmenden über den Untersuchungsgegenstand. Die Situation profitiert von der Gegenseitigkeit – die Darstellung und Rechtfertigung der eigenen Meinung und der Versuch der Einwirkung auf die anderen Teilnehmenden bilden das Datenmaterial. Solche "Beeinflussungen" sind bei der dialogischen Introspektion nicht zulässig, vielmehr sollen die Introspektionsberichte der anderen Teilnehmenden zu einer Vertiefung des eigenen Erinnerns beitragen; es geht nicht um die Verteidigung des Erlebens. [38]
6.1.2 Vorteile gegenüber Interviewverfahren
Die originären Vorteile von Interviews als Instrument zur Datenerhebung bestehen vor allem darin, dass die interviewte Person individuelle Erfahrungen, Erlebnisse oder auch ExpertInnenwissen in für sie angemessener Weise darstellen kann (wobei je nach Art und Konzeption des Interviews der Spielraum, der den Interviewten überlassen wird, deutlich variieren kann; vgl. FLICK 2006, S.149-188). Viele Interviewvarianten arbeiten mit einem (auf den theoretischen Vorannahmen der Forschenden basierenden) Leitfaden und geben somit eine Struktur vor. Narrative Interviews weisen hingegen eine maximal offene Vorgehensweise auf – es wird meist nur eine vorab formulierte Eingangsfrage gestellt, um den Erzählfluss der interviewten Person anzuregen und dann ad hoc an dem Erzählten orientierte Nachfragen zu stellen (S.173). Die dialogische Introspektion arbeitet mit einem vergleichbaren Prinzip: Alles, was in Bezug auf die Forschungsfrage von den Einzelnen als wichtig erachtet wird, darf mitgeteilt werden. Der Einfluss der Forschenden wird minimiert, weil keine Nachfragen zugelassen sind. Insoweit bieten die dialogische Introspektion und narrative Interviews den befragten Personen also die Möglichkeit der weitgehend ungestörten Selbstdarstellung. Allerdings verfügt die dialogische Introspektion darüber hinaus über einen weiteren Vorzug: Der dialogische Charakter der Methode (in Form der mündlichen Introspektionsberichte der anderen Teilnehmenden) führt dazu, dass das eigene Erleben und Erinnern vertieft werden kann. Es ist somit davon auszugehen, dass Dinge mitgeteilt werden, die in einer Interviewsituation nicht erinnert worden wären. [39]
Die dialogische Introspektion verbindet einen Vorteil spezifischer Interviewvarianten, der in der Möglichkeit der ungestörten Selbstdarstellung der Befragten besteht, mit dem Vorzug der Gruppenerhebung, nämlich der Beförderung des Erinnerns an das eigene Erleben durch die Schilderungen der anderen Beteiligten. Die Methode der dialogischen Introspektion ist somit – zumindest in Bezug auf den spezifischen Untersuchungsgegenstand des Erlebens – in der Lage, Datenmaterial zu erheben, dass den gängigen Erhebungsinstrumenten nur eingeschränkt zugänglich ist. [40]
Aufgrund der Potenziale der dialogischen Introspektion für die Erhebung von Erleben ist zu hoffen, dass dem Verfahren und dem hier besprochenen Band eine breite Rezeption bevorsteht. Die Berücksichtigung des Erlebens zur Erklärung sozialer Phänomene verspricht in der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung neue Erkenntnisse – die qualitative Methode der dialogischen Introspektion kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten und das Methodenspektrum der Sozialwissenschaften und vor allem der Psychologie substanziell erweitern. Das vorliegende Buch bietet eine hervorragende Anleitung, dies in die Praxis umzusetzen. [41]
1) Auf der 10. Konferenz der europäischen Soziologenverbandes (European Sociological Association [ESA]) vom 7.-10. September 2011 in Genf fanden im Rahmen des Sociology of Emotions Network zwei eigene Plenarsitzungen zur empirischen Erhebung von Emotionen statt, siehe http://www.esa10thconference.com/programme/RN_RS_Programme_draft.pdf [Zugriff: 28. Oktober 2011]. <zurück>
2) Die Hamburger Forschungswerkstatt ist eine informelle und interdisziplinäre Gruppe für Psychologie und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg. Zur Geschichte der Hamburger Forschungswerkstatt siehe http://www.introspektion.net/html/aktiv.html [Zugriff: 28. Oktober 2011]. <zurück>
3) Die qualitative Heuristik ist eine von Gerhard KLEINING (1982, 1995) entwickelte Methodologie für Sozialwissenschaften und Psychologie. Als ihren Gegenstand beschreibt KLEINING die "Entwicklung und Anwendung von Entdeckungsverfahren in regelgeleiteter Form" (1995, S.225). <zurück>
4) Ich habe meine Erfahrungen mit der Methode der dialogischen Introspektion bei Experimenten im Rahmen der Hamburger Forschungswerkstatt erworben, in der ich seit einigen Monaten mitarbeite – die Mitglieder der Hamburger Forschungswerkstatt fahnden weiterhin nach Optimierungsmöglichkeiten und zusätzlichen Anwendungsfeldern der Methode. Zudem konnte ich durch die Teilnahme an und Anleitung von dialogischen Introspektionsexperimenten im Rahmen von drei universitären Seminaren einige weitere Beobachtungen bezüglich der Methode anstellen. <zurück>
5) Es handelt sich dabei in erster Linie um eine Kritik des Behaviorismus: Diese Wissenschaftsrichtung hatte in der Nachkriegszeit einen wesentlichen Anteil an der Verdrängung qualitativer Methoden aus der Psychologie (vgl. WITT 2010, S.494f.). <zurück>
6) KLEINING bezieht sich dabei auf Erkenntnisverfahren aus den Naturwissenschaften, u.a. auf Ernst MACH (1980 [1905]), aber auch auf methodische Beiträge aus den Geisteswissenschaften, v.a. auf Friedrich SCHLEIERMACHER (2001 [1818], 1822). <zurück>
7) Als Anwendungsfelder beschreibt MAYER neben der Supervision die LehrerInnenbildung, die Unterrichtsforschung und schulische Qualitätszirkel (vgl. S.129). <zurück>
8) Die geringe Aufmerksamkeit, die qualitativen Methoden in der Psychologie immer noch zukommt, wird u.a. an der noch limitierten Rezeption dieser Verfahrensgruppe in Methodenhandbüchern deutlich. Mit dem "Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie" von Günter MEY und Katja MRUCK liegt erst 2010 ein erstes, umfassendes Werk in deutscher Sprache vor, das sich alleine auf die Psychologie bezieht. <zurück>
9) Mixed Methods betrifft dabei die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden in einem Forschungsdesign. Triangulation meint, den Untersuchungsgegenstand aus möglichst verschieden Blickwinkeln zu betrachten; es kann sich dabei um Mixed-Methods-Designs, aber auch um die Variation von Methoden innerhalb eines Paradigmas handeln (FLICK 2010). <zurück>
10) Solomon ASCH (1955) beschreibt als Ergebnis seiner Konformitätsexperimente in den 1950er Jahren, dass die Mehrheit der freiwillig an den Experimenten Teilnehmenden in ihren Antworten vom Gruppendruck beeinflusst worden seien. Das Experiment bestand darin, aus drei Linien auszuwählen, welche Linie genauso lang sei wie die Referenzlinie. Einige in das Experiment Eingeweihte gaben inkorrekte Antworten vor und sehr viele Teilnehmende folgten diesen offenkundig falschen Aussagen. <zurück>
Asch, Salomon E. (1955). Opinions and social pressure. Scientific American, 193(5), 2-7.
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Jenny WEGGEN ist Diplomsoziologin und forscht im Rahmen ihrer Promotion an der Universität Hamburg zur Bedeutung und Funktion von Emotionen in Organisationen am Beispiel des Dritten Sektors. Sie berücksichtigt dabei theoretische Ansätze der Organisationsberatung. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte umfassen neben der Emotions- und Organisationssoziologie, Methoden der qualitativen Sozialforschung sowie die Religionssoziologie.
Kontakt:
Jenny Weggen
Büro Prof. Dr. Rolf v. Lüde
Institut für Soziologie
Universität Hamburg
Allende-Platz 1
D-20146 Hamburg
Tel.: +49-(0)40-42831-3831
E-Mail: jennyweggen@gmail.com
Weggen, Jenny (2011). Review Essay: Dialogische Introspektion: Eine Erweiterung des empirischen Methodenspektrums durch die
Wiederentdeckung von Introspektionsverfahren [41 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 13(1), Art. 24,
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1201244.