Volume 13, No. 3, Art. 15 – September 2012
Rezension:
Rolf F.H. Schröder
Christian Thiel (2011). Das "bessere" Geld: Eine ethnographische Studie über Regionalwährungen. VS Verlag 2011; Paperback; 373 Seiten; ISBN: 978-3-531-18333-6; Euro 39,95; Onlinefassung: DOI: 10.1007/978-3-531-94000-7_4
Zusammenfassung: Seit einigen Jahren zirkulieren in verschiedenen Teilen Deutschlands Regionalwährungen. Die Initiatoren dieser Projekte sehen in diesen Ergänzungen zum etablierten Euro einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Die Dissertationsschrift von Christian THIEL offeriert einen Blick hinter die Kulissen und fragt in ihrer systematischen Analyse nach den Triebfedern dieser sozialen Bewegung sowie ihren Erfolgschancen. Der Autor hat sein Forschungsprogramm vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Grundverständnisses zum Thema Geld entwickelt. Dabei stützt er sich vor allem auf die theoretischen Reflexionen von Viviana ZELIZER. Mittels teilhabender Beobachtung, Interviews sowie der Auswertung von Materialien entwickelt er ein detailliertes Bild von den Regionalwährungen. Die Darstellung dieser Bewegung auf der Bundesebene wird ergänzt durch eine Fallstudie zum Chiemgauer, der bedeutendsten Einrichtung dieser Art.
Keywords: Ethnografie; soziale Bewegungen; Soziologie des Geldes; Komplementärwährungen; Regionalisierung; KonsumentInnenverhalten
Inhaltsverzeichnis
1. Vorbemerkungen zum Thema
2. Der Forschungsansatz
3. Zur Ethnografie der Regionalwährungen in Deutschland
4. Die Fallstudie zum Chiemgauer
5. Resümee
Angesichts der Krise des Euro sowie anderer etablierter Gelder finden Regionalwährungen ein beachtliches Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit. Im Verlauf der letzten zehn Jahre haben Presse und Fernsehen in ihren Berichten über Elbtaler, KannWas, Havelblüte und andere Initiativen immer wieder die bunten Geldscheine dieser neuen Einrichtungen abgebildet. (Vgl. zu den Regionalwährungen die Webseite ihres Dachverbandes http://www.regiogeld.de/ [Zugriff: 26.7.2012] mit Links zu den einzelnen Initiativen sowie Presseberichten.) "Ob hier nun 'Weltverbesserer' oder 'Marketingstrategen' am Werk sind", so schreibt Christian THIEL, "fest steht, dass das Phänomenen Regionalwährung anscheinend im Trend liegt" (S.127). Ergänzend sei hinzugefügt, dass die deutschen "Regiogelder" auch international große Beachtung gefunden haben. An erster Stelle wird dabei meist das Beispiel des Chiemgauers (vgl. auch http://www.chiemgauer.info/ [Zugriff: 26.7.2012]) genannt, ein besonders populäres System, welches inzwischen auch in Großbritannien als Modell für die Gründung derartiger Systeme gedient hat (vgl. SCOTT CATO 2010, S.173). [1]
THIEL bemerkt zu Recht, dass Regionalgeld bislang von der wissenschaftlichen Forschung weitgehend vernachlässigt wurde (S.25). Nach meiner Einschätzung ist insbesondere die Dissertationsschrift von Krister VOLKMANN (2009) zu diesem Thema von Bedeutung: VOLKMANN hat diese Initiativen zusammen mit anderen Komplementärwährungen als Reaktion auf Globalisierungsprozesse interpretiert und quantitative und qualitative Verfahren für seine Studie genutzt (S.80-126). Er gibt auch einen Überblick über einige studentische Abschlussarbeiten (S.65-79; für eine kurze Darstellung bei THIEL vgl. S.25, Fn.5). Ebenfalls erwähnenswert ist eine jüngst veröffentlichte juristische Bewertung der Regiogelder in der Dissertationsschrift von Marit SADEMACH (2012). Eine kritische Einschätzung dieser Einrichtungen findet sich bei Gerhard RÖSL (2007). Aufschlussreich ist das für ein allgemeines Publikum geschriebene Buch von Margrit KENNEDY und Bernard LIETAER (2004), welches dieser Bewegung einen ganz entscheidenden Anstoß gegeben hat und damit eine wichtige Quelle zu ihrem Verständnis darstellt. So ist es bemerkenswert, dass die Gründung der ersten regionalen Währungssysteme in den Jahren um 2004 in der Hoffnung erfolgte, einen Kreis von 10.000 bis einer Million Teilnehmende zu erreichen (S.77). [2]
Vor dem Hintergrund dieser etwa zehnjährigen Erfahrung ist es sicherlich an der Zeit, auf einer fundierten theoretischen und empirischen Basis die Relevanz der Regionalwährungen systematisch zu untersuchen. Mit diesem Anspruch hatte der Soziologe THIEL sein 2010 an der Universität Augsburg abgeschlossenes Promotionsverfahren angegangen. [3]
THIEL erarbeitet sich in einem ersten Schritt einen Zugang zu diesem Thema, indem er die verschiedenen Erscheinungsformen von Geld beschreibt und einige wesentliche Beiträge zur Soziologie und Psychologie des Geldes diskutiert. Für den theoretischen Rahmen seines Forschungsprojektes stützt er sich ganz wesentlich auf die Arbeit von Viviana ZELIZER. Anders als Georg SIMMEL, der um 1900 noch die alles nivellierende Kraft von Geld als universellem Tauschmedium hervorgehoben hatte, betont sie die vielfältigen sozialen Kontexte, in denen Währungen jeweils unterschiedliche Bedeutungen bekommen. Sie wendet sich ab von dem für die Moderne kennzeichnenden Verständnis von Geld als Medium, das Tauschakte rationalisiert und betont die mannigfaltigen kulturellen Ausprägungen dieses Mediums. [4]
THIEL entschied sich hinsichtlich des empirischen Teils seines Projektes für die Anwendung qualitativer Forschungsmethoden, weil es sich bei den Regiogeldern um ein relativ neues und unerforschtes Phänomen handelt. Methodologisch siedelt er seinen Ansatz im Rahmen der hermeneutischen Wissenssoziologie an. Es geht ihm in seiner ethnografischen Studie darum, so der Anspruch, die Lebenswelt der Regiogelder zu beschreiben, sie durch die Augen der Akteure zu verstehen und dabei möglichst unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen. Die Datenerhebung erfolgte durch teilnehmende Beobachtung und durch Interviews. Verschiedene für die Praxis der Regionalwährung relevante Materialien wie Webseiten wurden ebenfalls als Quelle genutzt. Die Auswertung der Daten erfolgte mittels der Grounded-Theory-Methodolgie, wobei sich THIEL auf die Forschungssystematik von GLASER und STRAUSS stützt, ohne, wie er schreibt, eine "gegenstandsbegründete Theorie" in deren Sinne anzustreben (S.98). Als Hilfsmittel wurde die Software MAXQDA genutzt. [5]
Recht interessant ist in diesem Zusammenhang, wie THIEL versucht, seinen eigenen, subjektiven Zugang zum Thema explizit zu machen. Er wurde auf die Relevanz der Regionalwährungen aufmerksam durch einen Vortrag zum Thema "Tauschringe und Globalisierung", als der Referent seine neu gegründete Regiogeldinitiative präsentierte. Anfang 2006 besuchte THIEL erstmals eine Sitzung dieser Initiative, und bereits einige Monate später konnte er mit seiner Forschungsarbeit beginnen. Um ein Bild von der gesamten Regiogeldbewegung in Deutschland zu erlangen, analysierte er Internetseiten und führte Telefoninterviews durch. Später folgten persönliche Interviews mit RegiogeldnutzerInnen. Hinsichtlich des Ansatzes der beobachtenden Teilnahme schreibt er, dass seine "Rolle in diesem Kontext mehr die eines aktiven Mitglieds als die eines Forschers" (S.113) gewesen sei. Auch wenn mit dem Buch die Ergebnisse der Forschungsarbeit präsentiert werden, so ist bei der Lektüre doch spürbar, dass Beobachtung und Interpretation sich in einem wechselseitigen Prozess ergänzt haben. [6]
3. Zur Ethnografie der Regionalwährungen in Deutschland
Die Regiogeldbewegung habe, so führt THIEL aus, im Jahre 2001 mit der Gründung des Bremer Roland begonnen (S.127). Bereits einige Jahre zuvor habe es im thüringischen Arnstadt den allerdings erfolglosen Versuch gegeben, ein derartiges lokales Zahlungsmittel einzuführen (S.156). 2003 wurde dann, so Christian THIEL, jene Initiative auf den Weg gebracht, die bis heute der Leuchtturm dieser Bewegung ist – der Chiemgauer. Circa 600 Geschäfte partizipieren an dieser Regionalwährung in Oberbayern. KundInnen, die zuvor Chiemgauer-Geldscheine gegen Eurowährung erworben haben, können diese hier zur Begleichung ihrer Rechnungen verwenden. Die Geschäftsleute wiederum können diese Einnahmen als Zahlungsmittel weitergeben oder aber gegen eine fünfprozentige Gebühr in Euro zurücktauschen. Ein Teil dieser Rücktauschgebühr komme gemeinnützigen Projekten zugute (S.129). Dieses Modell stellt allerdings nur ein Beispiel dar; die einzelnen Regionalwährungen unterscheiden sich zum Teil ganz erheblich voneinander. Im Gegensatz zu dem sogenannten eurogedeckten Modell des Chiemgauers nennt THIEL den Urstromtaler als Beispiel für ein sogenanntes leistungsgedecktes Modell. Hierbei hätten Privatpersonen die Möglichkeit, durch eigene Arbeitsleistungen Regionalgeld zu erwerben (S.130). Eine in dem Buch reproduzierte Karte (S.128) zeigt, dass es Regiogeldinitiativen in allen Teilen des Landes gibt. Häufig handelt es sich jedoch um Gruppen, die in der Vorbereitungsphase sind. In über 30 dieser Einrichtungen wird zwar Alternativgeld ausgegeben, häufig jedoch lediglich in einer symbolischen Größenordnung. THIEL porträtiert die einzelnen Akteure des, wie er es nennt, Geldspiels: AktivistInnen, VerbraucherInnen und Geschäftsleute, UnterstützterInnen und WidersacherInnen. In diesem Zusammenhang wird auch der Regiogeldverband (vgl. auch http://www.regiogeld.de/ [Zugriff: 26.7.2012]) kurz beschrieben, womit eine gewisse Einheitlichkeit in der Darstellung dieser Initiativen nach außen erreicht wurde (S.206-209). [7]
Ein Merkmal fast aller Regionalwährungen sei die Umlaufsicherung: Dabei muss der Wert des emittierten Regionalgeldes durch Aufkleben einer Verlängerungsmarke regelmäßig erneuert werden. So behält eine Note des Chiemgauers ihre Gültigkeit für das folgende Quartal nur, wenn ihr eine Marke in Höhe von 2% des Nominalwertes aufgeklebt wird (S.129). Dieser Steuerungsmechanismus erklärt sich aus den ideengeschichtlichen Wurzeln der Bewegung, die THIEL ausführlich beschreibt. Zuvorderst nennt er dabei die von Silvio GESELL begründete Freiwirtschaftslehre. Diese Ideologie bietet eine Neuauflage der Kritik am Zins als entscheidendem Konstruktionsfehler unserer Wirtschaftsordnung. Geld, so die ApologetInnen dieser Denkrichtung, müsse als Ware verstanden werden, eine Ware, die auch rosten müsse. Dieser Effekt des Rostens oder Verderbens solle mittels der Umlaufsicherung erreicht werden. Der Glaube an ein alternativ programmiertes Geld, eben das bessere Geld, sei konstituierend für die Regiogeldbewegung gewesen. Sehr detailreich zeichnet Christian THIEL die Entwicklung der Freiwirtschaft nach. Daneben beschreibt er die Parallelen, aber auch die Unterschiede zu einer zweiten, für die Regiogeldbewegung wesentlichen geistigen Strömung – der anthroposophischen Lehre Rudolf STEINERs. Des Weiteren betont er die Rolle der in den 1970er Jahren entstandenen sozialen Bewegungen. Neue Formen der Esoterik, alternativwirtschaftliche Erfahrungen, die Bedeutung regionaler Wirtschaftskreisläufe, um nur einige Aspekte zu nennen, bilden danach die dritte Säule dieser Bewegung. [8]
4. Die Fallstudie zum Chiemgauer
Dieser Teil des Buches stellt die Lebenswelt eines Regiogeldes in sehr anschaulicher Art und Weise dar. So erhalten die LeserInnen die Gelegenheit, Christian THIEL bei einem Besuch in dem kleinen Städtchen Prien am Chiemsee zu begleiten. "Ausgehend vom Marktplatz", so schreibt er, "beginne ich meine Suche nach dem Chiemgauer" (S.251). Er probierte es in einem Eine-Welt-Laden, allerdings erfolglos – hier wird der Chiemgauer nicht akzeptiert. Im benachbarten Naturtextilladen hatte er mehr Glück. Allerdings wusste die Verkäuferin hierüber nur sehr wenig; kaum jemand würde hiermit bezahlen. Immerhin, sie verwies ihn auf einen Gemüseladen, und dessen Inhaber bestätigte, dass jede Woche etliche KundInnen mit Chiemgauer bezahlten. "Aber insgesamt", so resümiert er, "is des eher so ein Nischenprodukt" (S.251). In einigen weiteren Geschäften spielte der Chiemgauer ebenfalls keine Rolle – das sei, so die Bedienung in einem Straßencafé, etwas für die wenigen "Ökos" und "Waldorf-Mamis" (S.251f.). [9]
Auch eine größere Anzahl von Auszügen aus den Interviews vermittelt einen pittoresken Eindruck. "Ich mein das Wort allein – Chiemgauer – is ja scho. Des passt einfach zu uns. Wir sind auch Chiemgauer" (S.262). Die unterschiedlichen Motive, am Chiemgauer teilzunehmen oder eben nicht teilzunehmen, werden so illustriert. Die für viele RegiogeldorganisatorInnen so wichtige Umlaufsicherung erweise sich in der Praxis als "umständlich bzw. [...] unpraktisch. Stehst im Geschäft, hast vielleicht nur noch Chiemgauer im Hosensack oder so und sind die gar nix mehr wert ((lacht))" (S.269). Nichtsdestotrotz, die Organisation dieses Regiogeldes sei alles in allem pragmatisch ausgerichtet. In der Präsentation ihres Projektes würden Zinskritik und esoterische Aspekte nur am Rande eine Rolle spielen, alternativ-ökonomische Bezüge hätten hingegen mit Schlagworten wie "Nachhaltigkeit" und "Regionalisierung" eine große Bedeutung (S.242). Ein Beispiel für diesen Pragmatismus sei auch die inzwischen eingeführte Regiocard. Neben dem organisatorischen Nutzen einer digitalen Abwicklung des Zahlungsverkehrs verleihe diese, so THIEL, dem Projekt ein höheres Maß an Seriosität. Wesentlich für dessen Erfolg sei auch die Anerkennung traditioneller Einrichtungen gewesen. Frühzeitig sei es gelungen, eine Volks- und Raiffeisenbank als Partnerorganisation zu gewinnen, mittlerweile würden auch andere Genossenschaftsbanken und die örtliche Sparkasse an dem Projekt partizipieren (S.248). [10]
Dieser Pragmatismus erklärt wohl auch, und das belegt Christian THIELs weitere Analyse des NutzerInnenkreises, dass es eben nicht nur die oben erwähnten "Ökos" und "Waldorf-Mamis" seien, die an diesem System teilhaben. Zwar geht THIEL davon aus, dass in dieser prosperierenden Region ein recht hoher Anteil der Bevölkerung postmaterielle Ziele verfolge, die Studie selbst zeige jedoch, dass der Chiemgauer nicht einem bestimmten Milieu zugeordnet werden könne (S.256). Ein Großteil der NutzerInnen sei überdurchschnittlich gebildet und verfüge über ein hohes Einkommen. Die Altersgruppe der Vierzig- bis Sechzigjährigen sei hier besonders stark vertreten. Die NutzerInnen des Chiemgauers seien dadurch gekennzeichnet, dass sie zunächst den Sprung wagen und es dann im Lauf der Zeit vermögen, diese Alternativwährung in ihrem Alltag zu integrieren. Chiemgauer-NutzerInnen, so THIEL, müsse man werden, es sei eine Laufbahn (S.265). [11]
Für KonsumentInnen, die sich hierauf eingelassen hätten, böte der Chiemgauer eine Erleichterung ihres Alltages – aufwendige Einzelentscheidungen mit Blick auf ein moralisch korrektes Konsumverhalten würden dem Verbraucher/der Verbraucherin abgenommen. Auch das soziale Engagement sei mittels des Spendenanteils beim Rücktausch automatisch in den Akt des Kaufens eingebunden (S.302). Typische RegiogeldnutzerInnen würden Chiemgauer im Wert von 300 bis 400 Euro pro Monat erwerben und sie meist zum Kauf der Güter des täglichen Bedarfs verwenden. An dieser Stelle wird der Zusammenhang zum eingangs abgesteckten theoretischen Rahmen deutlich. Das regionale Geld "wirkt so als moralische Selbstbestätigung, kommunikatives Zugehörigkeitssymbol und Machtmittel" (S.328), so THIEL in seiner Zusammenfassung. [12]
In seiner abschließenden Diskussion betont Christian THIEL, dass sich unser Verständnis von Geld nicht mehr auf die etablierten nationalstaatlichen Monopole beschränken dürfe. Die Regiogelder sind aus seiner Sicht ein zivilgesellschaftlicher Versuch, neue Grenzen zu ziehen, um damit der aus Individualisierungs- und Globalisierungsprozessen resultierenden Unübersichtlichkeit zu begegnen (S.331f.). Ein Potenzial sieht er für diese Einrichtungen als ein Instrument im Rahmen einer (genossenschaftlich organisierten) Regionalwirtschaft (S.232). [13]
An dieser Stelle zeigen sich auch die Grenzen des Ansatzes von Christian THIEL. Er interpretiert, aber ist nicht in der Lage, Perspektiven aufzuzeigen. Er beobachtet ganz richtig, dass es sich hier um höchst kosten- und arbeitsintensive Projekte handelt (S.233). In diesem Zusammenhang wäre es interessant gewesen, in die Fallstudie auch die Sichtweise der OrganisatorInnen mit einfließen zu lassen. Was bliebe, so ist zu fragen, von der diese Einrichtungen bislang weitestgehend tragenden ehrenamtlichen Arbeit, wenn ihr in einem pragmatisch durchrationalisierten Sozialunternehmen ein Großteil der sie treibenden Utopien genommen würde? (Vgl. in diesem Zusammenhang den Bericht über einen gescheiterten Versuch dieser Art in Österreich – IMMERVOLL 2007.) Wie wären solche regionalwirtschaftlichen Dachunternehmen langfristig zu finanzieren? Derartige Fragen implizieren keinen Vorwurf an THIEL, sie zeigen lediglich auf, was im Rahmen dieser Untersuchung nicht geleistet werden konnte, was aber zum Verständnis der Schwächen und auch der Möglichkeiten der Regionalwährungen wichtig ist. Die Frage nach einer angemessenen Ressourcenausstattung ist in der empirischen Literatur lange vernachlässigt worden (vgl. hierzu die Literaturstudie von SCHROEDER, MIYAZAKI & FARE 2012, S.38). [14]
Christian THIEL hat mit seinem Eintritt in die Welt der Regionalgelder das Leitmotiv dieser Bewegung, Geld, zu seinem Thema gemacht. Sicher, Komplementärwährungen sind auch Geldsysteme, aber sie sind nicht nur Geldsysteme. Eine Stärke dieser Fokussierung auf das Thema Geld liegt darin, dass sie eine Kritik der ideologischen Grundlagen dieser Bewegung ermöglicht. Bislang wurden zwei Rezensionen dieses Buches in Zeitschriften, die Teil dieser Bewegung sind (CHRIST 2012 und KENNEDY 2012), veröffentlicht. Beide sind durchaus wohlwollend, verschweigen allerdings die Kritik an den AnhängerInnen von Silvio GESELL und Rudolf STEINER. Margrit KENNEDY nimmt diesen Punkt indirekt auf, indem sie moniert, dass verschiedene freiwirtschaftliche WissenschaftlerInnen in THIELs Arbeit nicht berücksichtigt worden seien. Das könnte der Anfang einer interessanten Debatte innerhalb der Regiogeldszene sein. Allerdings bleibt abzuwarten, ob diese Szene die notwendige Offenheit hierfür mitbringt. An zwei Kongressen, die in diesem Umfeld im ersten Halbjahr 2012 veranstaltet wurden, hat THIEL jedenfalls, aus welchen Gründen auch immer, nicht als Referent teilgenommen (vgl. CZETTRITZ 2012 über den Kongress "Macht Geld Sinn" mit einer ReferentInnenliste auf S.38 sowie die Fairventure Website (vgl. http://ww.fairventure.de/ [Zugriff: 10.5.2012]). In Deutschland bietet sich kaum ein Forum für einen solchen Beitrag. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern existiert im akademischen Bereich der deutschsprachigen Länder so gut wie keine Infrastruktur für dieses Forschungsfeld. Vor allem in Großbritannien, aber auch andernorts gibt es hingegen eine Reihe von WissenschaftlerInnen, die sich seit Jahren mit diesem Themenkreis beschäftigen und so eine Kompetenz aufgebaut haben. Die in diesem Umfeld organisierten Fachkonferenzen ermöglichten es THIEL, seine Forschungsergebnisse in Frankreich und Großbritannien vorzutragen (vgl. THIEL 2011). [15]
Diese letzten Bemerkungen haben sicherlich die Bedeutung des Beitrages von Christian THIEL noch einmal unterstrichen. Das Buch zeigt, dass die Präsentation eines anspruchsvollen Forschungsprojektes so gestaltet werden kann, dass es eine durchaus unterhaltsame Lektüre bietet. [16]
Christ, Pat (2012). Eine praktische Revolte. Humane Wirtschaft, 2, 29-31, http://www.humane-wirtschaft.de/eine-praktische-revolte-pat-christ/ [Zugriff: 10.5.2012 ].
Czettritz, Bernhard von (2012). Über Verantwortung in der Krise – und den Geldkongress in Köthen vom 10. bis 16.3.2012. Humane Wirtschaft, 1, 37-38, http://www.humane-wirtschaft.de/zeitschriftenarchiv/ausgaben-2012/?page_id=3878 [Zugriff: 10.5.2012 ].
Immervoll, Karl A. (2007). Das gute Leben ist möglich: Das Projekt Regionalwährung im Waldviertel in Niederösterreich. Diakonia, 38, 44-49.
Kennedy, Margrit (2012). Christian Thiel: Das "bessere" Geld – Eine ethnographische Studie über Regionalwährungen. Zeitschrift für Sozialökonomie, 172-173, 71-73.
Kennedy, Margrit & Lietaer, Bernhard (2004). Regionalwährungen: Neue Wege zu nachhaltigem Wohlstand. München: Riemann.
Rösl, Gerhard (2007). Inoffizielle Parallelgeldschöpfung in Europa. In Albrecht F. Michler & H. Jörg Thieme (Hrsg.), Systeme monetärer Steuerung: Analyse und Vergleich geldpolitischer Strategien (S.315-334). Stuttgart: Lucius & Lucius.
Sademach, Marit (2012). Regionalwährungen in Deutschland: Strategie: Hintergrund und rechtliche Bewertung. Baden-Baden: Nomos.
Schroeder, Rolf F.H.; Miyazaki, Yoshihisa & Fare, Marie (2011). Community currency research: An analysis of the literature. International Journal of Community Currency Research, 15 (Section A), 31-41, http://ijccr.net/2012/05/29/community-currency-research-an-analysis-of-the-literature/ [Zugriff: 10.5.2012].
Scott Cato, Molly (2010). The Stroud pound Co-op: A local currency for the Five Valleys. In Peter North (Hrsg.), Local money: How to make it happen in your community (S.173-182). Totnes: Transition Books.
Thiel, Christian (2011). Complementary currencies in Germany: The regiogeld system. International Journal of Community Currency Research, 15 (Special Issue), D 17-21, http://ijccr.net/2012/05/29/complementary-currencies-in-germany-the-regiogeld-system/ [Zugriff: 10.5.2012 ].
Volkmann, Krister (2009). Regional – und trotzdem global: Solidarische Ökonomie im Spannungsfeld zwischen Regionalität und Globalität: Eine explorative Studie zu Regionalwährungen. Münster: LIT Verlag.
Rolf F.H. SCHRÖDER, MA, ist als freier Wissenschaftler Herausgeber der Bibliography of Community Currency Research.
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URL: http://www.cc-literature.org/
Schröder, Rolf F.H. (2012). Rezension: Christian Thiel (2011). Das "bessere" Geld: Eine ethnographische Studie über Regionalwährungen
[16 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 13(3), Art. 15,
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1203158.