Volume 15, No. 2, Art. 5 – Mai 2014
Dolmetscher/inneneinsatz in der qualitativen Sozialforschung. Zu Anforderungen und Auswirkungen in gedolmetschten Interviews
Gwendolin Lauterbach
Zusammenfassung: Der Einsatz von Dolmetscher/innen in der qualitativen Sozialforschung, insbesondere in qualitativen Interviews, stand bisher nicht im Mittelpunkt der Forschung, stellt jedoch die Interviewteilnehmer/innen vor Herausforderungen. Diese betreffen v.a. den Umgang mit dem Dolmetscher/der Dolmetscherin und deren Rolle sowie die Interviewauswertung und die Qualität der Daten und folgenden wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aus der bisherigen Diskussion lassen sich nur bedingt methodische Leitlinien aus anderen, verwandten Bereichen ableiten. Anhand von Expert/inneninterviews mit Forscher/innen und Dolmetscher/innen werden daher Erfahrungen mit dem Dolmetscher/inneneinsatz in der qualitativen Sozialforschung dokumentiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Mithilfe von Gesprächsaufzeichnungen gedolmetschter Interviews werden die Aushandlungen zwischen Originalen und Dolmetschungen aufgezeigt sowie Auswirkungen des Dolmetscher/inneneinsatzes auf den Interviewprozess dargelegt.
Keywords: Dolmetscher/in; fremdsprachliche Kommunikation; Gesprächsdynamik; qualitative Interviews; Expert/inneninterviews; Inhaltsanalyse; ethnografische Gesprächsanalyse; Qualität wissenschaftlicher Daten; Handlungsempfehlungen
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Berücksichtigung des Dolmetscher/inneneinsatzes in der qualitativen Sozialforschung
2.1 Berücksichtigung in der Forschungskonzeption
2.2 Berücksichtigung in der Datenanalyse
2.3 Handlungsempfehlungen
3. Dolmetscher/inneneinsatz in der Praxis: Ein Beispiel
3.1 Methodisches Vorgehen und Forschungsprozess
3.2 Befunde
3.2.1 Anforderungen der Interviewteilnehmer/innen an den Dolmetscher/inneneinsatz
3.2.1.1 Erfahrungen der Interviewerin
3.2.1.2 Erfahrungen der Dolmetscherin
3.2.1.3 Interviewerin und Dolmetscherin: Vergleich zweier Perspektiven
3.2.2 Auswirkungen des Dolmetscher/inneneinsatzes auf den Interviewprozess
3.2.2.1 Gesprächsdynamik bei Dolmetscher/inneneinsatz
3.2.2.2 Interaktive Prozesse in gedolmetschten Interviews
4. Fazit und offene Fragen
Die Gesprächsdynamik und die gemeinsame Bewältigung in Interaktionen mit Dolmetscher/inneneinsatz sind in empirischen Studien vielfach beschrieben worden (KNAPP & KNAPP-POTTHOFF 1985; MARTINI 2008; MÜLLER 1989; REHBEIN 1985; WADENSJÖ 1998). Sie grenzen sich von traditionellen Translationstheorien ab, welche Dolmetscher/innen stärker als exaktes Sprachrohr bzw. Instrument betrachten, das im Idealfall eins zu eins übertragen soll (LINELL 1998; QIAN 1994). Unabhängig vom Einsatzbereich sind Dolmetscher/innen jedoch aktiv am Gesprächsverlauf beteiligt und verarbeiten den sprachlichen Input nicht "automatisch", sondern von Dolmetscher/in zu Dolmetscher/in, von Situation zu Situation verschieden und passen ihre Dolmetschungen je nach den vermuteten Erwartungen ihrer Adressat/innen an. Sie koordinieren oftmals Sprecher/innenwechsel, initiieren Klärungssequenzen zur Verständnissicherung, perspektivieren und modifizieren Äußerungen und tragen insgesamt zur Gesprächssteuerung und zum Gesprächserfolg bei (APFELBAUM 2004; BOLDEN 2000; BÜHRIG & MEYER 2004). Jedoch bleibt auch bei der Anforderung, eine bedeutungsadäquate Übertragung eines Originalbeitrags in eine Zielsprache zu gewährleisten, die Frage bestehen, wann bei dem Bestehen interkulturell verschiedener Auffassungen überhaupt von einer übertragbaren Bedeutung gesprochen werden kann. In solchen Fällen kultureller Unterschiede werden von Dolmetscher/innen häufig Modifizierungen vorgenommen, die ihre aktive Beteiligungsrolle untermauern. In einer Studie zum Dolmetschen von Eigennamen zeigt MEYER (2008), dass dies nicht nur beim Gesprächsdolmetschen, sondern auch in anderen Dolmetschmodi geschieht. [1]
Während dialogische Dolmetschsituationen wie das Community Interpreting1), das Geschäfts- und Verhandlungsdolmetschen und auch das Dolmetschen im Alltag bereits im Fokus der Forschung standen, liegen empirische Untersuchungen über das Dolmetschen im Bildungswesen, das dem Community Interpreting zuzurechnen ist, laut APFELBAUM bisher nur für das Gebärdensprachdolmetschen vor (2004, S.58f.). Studien, welche den Dolmetscher/inneneinsatz in qualitativen Interviews in den Fokus stellen, sind nicht vorhanden. Demzufolge fehlen auch Untersuchungen, die gedolmetschte Interviewausschnitte einer Gesprächsanalyse unterziehen. Unter den eben genannten Gesichtspunkten der aktiven Gesprächsteilnahme und -steuerung durch einen Dolmetscher/eine Dolmetscherin ist eine Betrachtung der interaktiven Prozesse in gedolmetschten, qualitativen Interviews jedoch unterlässlich, nicht zuletzt, da aus diesen gedolmetschten Interviewdaten wissenschaftliche Erkenntnisse gezogen werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie ein Dolmetscher/inneneinsatz im Idealfall erfolgen soll, um zu empirischen Erkenntnissen zu gelangen, die den Qualitätskriterien qualitativer Forschung genügen. [2]
Aus diesen Vorüberlegungen ergeben sich folgende Fragestellungen zu diesem bisher noch unterforschten Thema:
Inwiefern findet der Dolmetscher/inneneinsatz in der qualitativen Sozialforschung explizit Berücksichtigung in der Literatur, insbesondere in Lehr- und Handbüchern, aber auch empirischen Arbeiten?
Welche Anforderungen haben Interviewteilnehmer/innen, v.a. Forscher/innen, an den Dolmetscher/inneneinsatz, welche Potenziale und Probleme zeigen sie auf?
Wie stellt sich der Interviewprozess unter Vermittlung durch einen Dolmetscher/eine Dolmetscherin dar und welche Schlussfolgerungen sind daraus für deren Einsatz und die Qualität der Daten sowie auf sie zurückgehende wissenschaftliche Erkenntnisse abzuleiten? [3]
Die nachfolgenden Abschnitte beschäftigen sich mit diesen Fragen. Abschnitt 2 gibt einen Literaturüberblick und zeigt die Forschungsdesiderate auf. Mit dem in Abschnitt 3 dargestellten Forschungsprozess zum Thema Dolmetscher/inneneinsatz werden die Durchführung der Expert/inneninterviews und die Arbeit mit den Gesprächsaufzeichnungen gedolmetschter Interviews dokumentiert. Im Anschluss werden die aus dieser Studie resultierenden Befunde aufgezeigt. Abschnitt 4 zieht ein Fazit und macht deutlich, dass eine aktive Teilnahmerolle des Dolmetschers/der Dolmetscherin in der qualitativen Sozialforschung hinreichend gewürdigt werden muss. [4]
2. Berücksichtigung des Dolmetscher/inneneinsatzes in der qualitativen Sozialforschung
2.1 Berücksichtigung in der Forschungskonzeption
Die Beschäftigung mit fremdsprachlichen Daten erfolgt in der Sozialforschung in dreierlei Hinsicht: zum Ersten mithilfe des Einsatzes von Muttersprachler/innen in der Forschungskonzeption und -durchführung und demzufolge mit vor- oder nachträglicher Übersetzungstätigkeit der Daten der Zielgruppe. Zum Zweiten können Befragungen in einer Drittsprache für eine oder beide Interviewseiten durchgeführt werden. Zum Dritten unterstützen Dolmetscher/innen fremdsprachliche Forscher/innen während der Durchführung von Befragungen – eine zusätzliche Übersetzungstätigkeit entfällt dann aber in der Regel. [5]
Für die erste und zweite Variante existiert in der quantitativen Forschung reichlich Material zu konzeptionellen Fragen (z.B. BEHR 2009). So wird mit Rückübersetzungen bereits übersetzter Fragebögen gearbeitet, mit Übersetzungen von Fragebögen im Team oder mit Testantworten zweisprachiger Personen, um eine Überprüfung und adäquate Übertragung in die Fremdsprache zu gewährleisten (ENZENHOFER & RESCH 2011, §2). [6]
In der qualitativen Sozialforschung nimmt die Bedeutung von Mehrsprachigkeit im Zuge der Internationalisierung immer mehr zu. Die sprachlichen, methodologischen, forschungspraktischen und erkenntnistheoretischen Herausforderungen werden in den letzten Jahren zunehmend – zunächst vereinzelter (ENZENHOFER & RESCH 2011; LOPEZ, FIGUEROA, CONNOR & MALISKI 2008; ROTH 2013), nun auch systematischer (KRUSE, BETHMANN, NIERMANN & SCHMIEDER 2012) reflektiert. Dabei liegt der Fokus häufig auf mutter- oder fremdsprachlich geführten Interviews, die im Rahmen der Migrationsforschung entstehen. ENZENHOFER und RESCH (2011), die sich in ihrem Beitrag der Qualitätssicherung muttersprachlich geführter Interviews widmen, geben abschließend u.a. die Empfehlung, eine Befragung nicht durch eine/n Muttersprachler/in allein durchführen zu lassen, sondern angesichts der komplexen Anforderungen eine Aufteilung der Kompetenzen vorzunehmen und zwei Personen, eine/n Forscher/in und eine/n Dolmetscher/in, einzusetzen. Diese dritte Variante fremdsprachlicher Forschung ist Gegenstand des hier vorliegenden Artikels. Sie findet u.a. in der Pflegeforschung Anwendung, wird jedoch in der Literatur mit einigen Ausnahmen kaum systematisch diskutiert (KAPBORG & BETERÖ 2002; WALLIN & AHLSTRÖM 2006). [7]
Lehr- und Handbücher, welche die Grundlagen und Methoden qualitativer Sozialforschung behandeln und insbesondere auch auf die Durchführung qualitativer Interviews eingehen, thematisieren den Einsatz von Dolmetscher/innen nicht oder nur unzureichend (BERG 2004; FLICK, VON KARDORFF, KEUPP, VON ROSENSTIEL & WOLFF 1995; GLÄSER & LAUDEL 2006; HÄDER 2006; LAMNEK 2010; MARVASTI 2004; PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2010; ROTH 2005). Es werden lediglich zwei Aspekte zur Sprache gebracht, welche auch auf die Rahmenbedingungen gedolmetschter Interviews zutreffen können: Auf sprachlich-kultureller Ebene handelt es sich um die Möglichkeit kultureller Verschiedenheit zwischen Interviewer/in und Interviewten sowie um die Probleme sprachlicher Verständigung, die sowohl in einsprachiger Kommunikation, aufgrund unterschiedlicher Sprachniveaus, als auch in fremdsprachlicher Kommunikation, wie z.B. mit Migrant/innen, auftreten können (BERG 2004; LAMNEK 2010; MARVASTI 2004; PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2010). Auf personeller Ebene gehen Lehr- und Handbücher zwar auf die Option der Durchführung von Interviews mit zwei Forscher/innen ein und meinen damit die Methode der Tandeminterviews. Diese sind jedoch wiederum nicht auf die besondere Rolle eines Dolmetschers/einer Dolmetscherin als zusätzlicher Person auf Interviewer/innenseite abgestimmt (DIEKMANN 2007; HELFFERICH 2005). [8]
Empirische Studien behandeln den Dolmetscher/inneneinsatz nur geringfügig intensiver: Sie erwähnen zwar einerseits im Rahmen der Darstellung ihrer Forschungsprozesse, dass Dolmetscher/innen einbezogen wurden, lassen jedoch kaum Raum für die Beschreibung der Vorbereitung auf und den methodischen Umgang mit ihnen. Andererseits sprechen Forscher/innen Dolmetscher/innen zumindest einen wichtigen Beitrag für ihre Studien zu (AURA 2008). [9]
Gleichermaßen thematisieren Anthropolog/innen und Ethnolog/innen eine Hinzuziehung von Dolmetscher/innen in ihren Feldforschungen entweder gar nicht oder nur implizit in Bezug auf Personen, die Vermittlungsrollen im fremden Alltag einnehmen und in diesem Zusammenhang womöglich auch Übersetzungs- und Dolmetschaufgaben übernehmen. Häufiger jedoch werden in der Ethnologie Feldforschungen unter Hinzuziehung der eigenen Fremdsprachkompetenzen, die im Voraus des Aufenthalts angeeignet oder verbessert wurden, durchgeführt (GEERTZ 1964, 1983; MALINOWSKI 1966 [1922]). [10]
Eine von mir durchgeführte, explorative Befragung erlaubt des Weiteren Rückschlüsse auf die Behandlung des Faktors "Dolmetscher/inneneinsatz" in Methodikseminaren und Forschungskolloquien (Anja, Z.586-6062)): Dort wird das Forschen unter Bedingungen der Mehrsprachigkeit im Allgemeinen, aber auch unter Dolmetscher/inneneinsatz im Besonderen z.T. diskutiert. Konkrete Handlungsempfehlungen betreffen erstens die Beachtung von möglichen Hierarchieunterschieden bzw. Abhängigkeiten zwischen Dolmetscher/in und Interviewter/Interviewtem, die eine Zurückhaltung in den Interviewaussagen nach sich ziehen können. Sie beziehen sich zweitens auf eine notwendige Vertrautheit des Dolmetschers/der Dolmetscherin mit der Forschungsfrage und dem Interviewinhalt sowie drittens auf die Prämisse einer "bedeutungsgleichen" Übertragung einer Aussage in die Fremdsprache. Es bestehen also einige konkrete Leitlinien für die Praxis, die allerdings einer Vervollständigung sowie einer wissenschaftlichen Untermauerung bedürfen. [11]
In den hier gemachten Ausführungen werden Desiderate in der Beschäftigung mit gedolmetschten Interviews bereits deutlich. Dass diese nicht nur in Bezug auf die Forschungskonzeption, sondern auch auf die Datenaufbereitung und -auswertung bestehen, wie der nachfolgende Abschnitt zeigt, macht die Analyse solcher Dolmetscher/inneneinsätze einmal mehr notwendig. [12]
2.2 Berücksichtigung in der Datenanalyse
Zum jetzigen Zeitpunkt sind keine Arbeiten bekannt, die nachträgliche Übersetzungen der gedolmetschten Interviewpassagen vornehmen bzw. die Interviews einer Gesprächsanalyse unterziehen. Ein gesprächsanalytisches Vorgehen würde jedoch eine Auseinandersetzung mit der Dolmetscher/in-Sprecher/in-Interaktion und mit den Diskrepanzen zwischen den Originalaussagen und den Dolmetschungen erlauben. [13]
Potenziale von und Probleme bei Dolmetscher/inneneinsätzen sowie auch die Frage nach der Qualität der Interviewdaten werden in der Literatur zwar z.T. angesprochen, jedoch nicht durch konkretes empirisches Material untermauert. So merken KAPBORG und BETERÖ (2002) bspw. an, dass eine mangelhafte Vorbereitung des Dolmetschers/der Dolmetscherin auf seine/ihre Aufgabe und eine fehlende Vertrautheit des/der Interviewenden mit dem fremdkulturellen Forschungsfeld den Forschungsprozess negativ beeinflussen könnten. Trotz solcher und anderer Schwierigkeiten ist für sie die Bedeutsamkeit qualitativer Forschung im internationalen Kontext, die ohne den Einsatz von Dolmetscher/innen häufig nicht durchführbar wäre, jedoch nicht zu unterschätzen (S.56). [14]
Erst WILLIAMSON et al. (2011) nehmen eine Reanalyse der Tonbandaufnahmen ihrer deutsch-chinesisch gedolmetschten Interviews unter Hinzuziehung eines chinesischsprachigen Mitglieds ihres Forschungsteams vor. Die Auswertung mithilfe der Muttersprachlerin erfolgt jedoch auch hier nicht mittels einer erneuten bzw. erweiterten Transkription des Materials, sondern lediglich in mündlicher Form. Dennoch erlauben ihre Ergebnisse erste Aussagen über die Diskrepanzen und die Bedeutung einer expliziten Auseinandersetzung mit solch einem Dolmetscher/inneneinsatz: Die Autor/innen filtern vielfältige Unterschiede zwischen Originalaussagen und Dolmetschungen heraus. Diese betreffen v.a. Reduktionen in der Ausführlichkeit, Abschwächungen heikler oder kritischer Originalaussagen sowie Modifikationen, die eine Interpretation der Originalaussage durch die Dolmetscherin bereits vorwegnehmen (S.378f.). Da die Dolmetscherin einen Teil der Interviews als alleinige Interviewerin muttersprachlich durchführte, war der Forschungsgruppe zudem ein Vergleich von gedolmetschten Interviews und muttersprachlich geführten Interviews möglich. Letztere werden als weniger geeignet bewertet, da die in den Interviews gestellten Fragen stark vom ursprünglichen Leitfaden abwichen und oberflächlicher blieben. WILLIAMSON et al. bewerten den Dolmetscher/inneneinsatz insgesamt als kostengünstige und unkomplizierte Alternative zu nachträglichen Übersetzungen muttersprachlich geführter Interviews. Trotz der aufgeführten Diskrepanzen zwischen Originalaussage und Dolmetschung sind sie überzeugt, dass gedolmetschte qualitative Interviews bei angemessenem Einsatz die Datenqualität so beeinflussen können, dass ein Erkenntnisgewinn möglich ist. [15]
Um eine solche angemessene Durchführung zu gewährleisten, formulieren einige Forscher/innen mit Erfahrungen in der Durchführung gedolmetschter Interviews Handlungsempfehlungen, die nachfolgend dargestellt werden. [16]
Kriterien für den Dolmetscher/inneneinsatz lassen sich im Wesentlichen in drei Bereiche untergliedern: die Person des Dolmetschers/der Dolmetscherin, die Beziehung zwischen den Teilnehmer/innen des Interviews und die Anforderungen an die Translation. [17]
Dolmetscher/innen müssen nicht nur (fremd-) sprachliche Kompetenzen mitbringen, sondern zugleich im Forschungsfeld geschult sein und Neutralität gegenüber dem Thema und den Teilnehmer/innen mitbringen (BERMAN & TYYSKÄ 2010; KAPBORG & BETERÖ 2002, S.52, 54). [18]
Eine Vertrautheit des Dolmetschers/der Dolmetscherin mit der Forschungsfrage, der Person des Interviewers/der Interviewerin und der eigenen situativen Rolle sollte bereits im Voraus der Interviewdurchführung bestehen (KAPBORG & BETERÖ 2002, S.53). Ebenso steigert ein vertrautes Verhältnis zwischen Dolmetscher/in und Interviewter/Interviewtem einerseits zwar die Erzählbereitschaft (WALLIN & AHLSTRÖM 2006), andererseits kann eine zu große Vertrautheit zwischen beiden jedoch die Breite und Tiefe der Interviewaussagen beschränken, wenn bereits bekannte oder selbstverständliche Informationen zwischen diesen beiden Personen nicht mehr zur Sprache kommen (BERMAN & TYYSKÄ 2010; WILLIAMSON et al. 2011, S.383). Des Weiteren rät FREED, Dolmetscher/innen aus dem Kulturkreis der Interviewten einzusetzen, um interkulturelle Differenzen zu überwinden und damit auch den Zugang zu den Interviewten zu erleichtern (1988, S.316; vgl. auch BAKER 1981; BERMAN & TYYSKÄ 2010). Eine zu hohe hierarchische Position des Dolmetschers/der Dolmetscherin kann die Bereitschaft zur Offenheit der Interviewten hingegen einschränken (WILLIAMSON et al. 2011, S.383). [19]
Divergierende Auffassungen bestehen in Bezug auf die Art und Weise der vorzunehmenden Dolmetschungen. Zwar gilt auch hier eine exakte Eins-zu-eins-Übertragung als überholt; diese Position steht im Einklang mit der aktuellen empirischen Dolmetschforschung (vgl. APFELBAUM 2004). Auffassungen zur Gesprächsdynamik reichen jedoch von einer minimalen Interviewgestaltung durch den Dolmetscher/die Dolmetscherin (wie z.B. durch notwendige Klärungssequenzen vor der Dolmetschung) bis hin zur eigenen Bewertung der Interviewbeiträge durch den Dolmetscher/die Dolmetscherin für den weiteren Interviewfortgang (WILLIAMSON et al. 2011, S.383). YOUNG-HEE (1998) beispielsweise definiert mit der Anforderung an die Übertragung, eine ganzheitliche Bedeutung der Wörter und eine sinngemäße Einbettung in den Kontext zu gewährleisten, einen vergleichsweise konkreten, aber auch dynamischen Rahmen. [20]
Es lässt sich feststellen, dass Handlungsempfehlungen zum Dolmetscher/inneneinsatz in qualitativen Interviews zwar bestehen, jedoch vielfach allgemeinen Anforderungen, die an die qualitative Sozialforschung gestellt werden (wie Neutralität und Vertrautheit mit dem Forschungsfeld), gleichen und keine Spezifizierung erfahren. Eine Operationalisierung und Präzisierung für den Dolmetscher/inneneinsatz in der qualitativen Sozialforschung ist daher vonnöten. Festzuhalten ist zudem, dass die in der empirischen Dolmetschforschung aufgezeigte aktive Teilnahmerolle des Dolmetschers/der Dolmetscherin am Gesprächserfolg auch in der qualitativen Forschung zum Teil anerkannt und befürwortet wird. [21]
3. Dolmetscher/inneneinsatz in der Praxis: Ein Beispiel
3.1 Methodisches Vorgehen und Forschungsprozess
Aus diesen Forschungsdesideraten ergeben sich zwei Kernfragen, die bereits in der Einleitung zur Sprache kamen: Die Forschungsfrage, welche Anforderungen die Interaktionsteilnehmer/innen an den Dolmetscher/inneneinsatz haben und wie sie diesen bewerten, wurde mithilfe qualitativer Expert/inneninterviews untersucht, da zur Beantwortung dieser Frage spezifisches Wissen notwendig ist, das Interviewer/innen und Dolmetscher/innen als Expert/innen liefern können (GLÄSER & LAUDEL 2006, S.10, 42). Der Frage, welche Auswirkungen der Dolmetscher/inneneinsatz auf den Interviewprozess hat, wurde durch die Analyse gedolmetschter Interviewausschnitte nachgegangen. [22]
Als Grundlage dienten sechs gedolmetschte Interviews mit kirgisischen Interviewteilnehmer/innen aus dem Datenmaterial meiner Dissertation, die sich dem Thema "Hierarchie in deutsch-kirgisischen Hochschulkooperationen" widmete. Eingeschränkte fremdsprachliche Kompetenzen der Interviewteilnehmer/innen machten deutsch-russische Translationen durch eine beiden Seiten bekannte Dolmetscherin notwendig. Über die Forschungsfrage meiner Dissertation hinaus brachte mich das Interaktionsverhalten zwischen Interviewer/in, Dolmetscher/in und Interviewteilnehmer/in dazu, der Frage nach einem adäquaten Dolmetscher/inneneinsatz genauer nachzugehen. Eine Reanalyse erschien mir daher aufschlussreich. [23]
Zwei Expert/inneninterviews wurden mit Forscherinnen durchgeführt, die als Interviewerin bzw. Dolmetscherin mehrfach Erfahrungen mit Dolmetscher/inneneinsatz in der qualitativen Sozialforschung gemacht haben. Die Interviews fanden in ihren jeweiligen Wohnungen statt und dauerten zwischen 45 und 55 Minuten. Sie wurden anschließend vollständig transkribiert. Die Expert/inneninterviews wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse für Expert/inneninterviews nach GLÄSER und LAUDEL (2006) ausgewertet, um die Informationsfülle zu reduzieren und die für die Forschungsfrage relevanten Informationen vom Ursprungstext trennen zu können. Aus den in Abschnitt 2 beschriebenen theoretischen Vorüberlegungen zum Dolmetscher/inneneinsatz ergab sich ein differenziertes Suchraster, das sich an den Forschungsfragen "Anforderungen an den Dolmetscher/inneneinsatz" und "Bewertung des Dolmetscher/inneneinsatzes" orientierte. Anhand des Suchrasters wurden offene Kategorien gebildet und die relevanten Expert/inneneinschätzungen zugeordnet. Der Interviewleitfaden für die Expert/inneninterviews beinhaltete folgende, flexibel einsetzbare Fragen: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Einsatz von Dolmetscher/innen gemacht? Wie bewerten Sie die Hinzuziehung von Dolmetscher/innen in Interviewsituationen? Welche Anforderungen haben Sie an Dolmetscher/innen? Wie können diese dazu beitragen, ihre Forschungsfrage zu beantworten und die Datengrundlage für wissenschaftliche Erkenntnisse zu produzieren, die Qualitätskriterien genügen? [24]
Die Tonbandaufnahmen der qualitativen, gedolmetschten Interviews wurden zunächst von Übersetzer/innen nachträglich und vollständig in die deutsche Sprache übertragen und transkribiert. Die Auswertung der gedolmetschten Interviewausschnitte orientierte sich an der ethnografischen Gesprächsanalyse nach DEPPERMANN (2000). Da Interaktionsteilnehmer/innen in Gesprächen – hier im Interview – ihre Wirklichkeit selbst konstruieren, war eine Analyse entlang der Daten und ohne theoretische Vorannahmen vonnöten. Im Mittelpunkt stand die Beschreibung interaktiver Verfahren, mit denen die Dolmetschungen in Interviews bewältigt werden. Dieses sequenzielle Vorgehen auf Basis der Konversationsanalyse – jedoch unter Einbezug ethnografischen Zusatzmaterials – bietet den Vorteil, den Interpretationsrahmen zu erweitern und auf relevante Kontexte zu verweisen, die bei dieser Forschungsfrage von Bedeutung sein können, z.B.: Welche kulturellen und fachlichen Kompetenzen besitzt der Dolmetscher/die Dolmetscherin? Welche Beziehungen bestehen zwischen dem Dolmetscher/der Dolmetscherin und den anderen Interviewteilnehmer/innen? Zu den Gesprächsaufnahmen wurden Verlaufsprotokolle angefertigt; zu Subkategorien und interessierenden Phänomenen wurde anschließend jeweils ein exemplarischer Fall ausgewählt. [25]
Die späteren Abschnitte dieses Artikels stellen erste Befunde in den Mittelpunkt, welche auf folgenden Daten basieren:
einem Expert/inneninterview mit einer deutschen Forscherin/Interviewerin, die Erfahrungen mit russisch-deutsch gedolmetschten Interviews im Bereich der interkulturellen Kommunikation gesammelt hat;
einem Expert/inneninterview mit einer kirgisischen Dolmetscherin, die mehrere Interviews russisch-deutsch gedolmetscht hat, sonst jedoch v.a. Verhandlungen dolmetscht;
einem Gesprächsausschnitt aus einem russisch-deutsch gedolmetschten Interview, das im Rahmen meiner Dissertation entstand und mit einem kirgisischen Direktor eines Universitätsinstituts zum Thema "Hierarchie in internationalen Hochschulkooperationen" von mir unter Einsatz einer Dolmetscherin durchgeführt wurde. [26]
Die Auswahl der Interviewpassagen ist einerseits exemplarisch für die jeweilige Expert/innenmeinung zum Dolmetscher/inneinsatz; die darin enthaltenen Kategorien kommen ausführlich zur Sprache und sind zudem an anderen Interviewstellen wiederfindbar. Die Interviewpassagen stellen andererseits "Anforderung" und "Bewertung" an den Dolmetscher/inneneinsatz in den Mittelpunkt. Zudem spiegeln sie Themen wider, die gleichermaßen Dolmetscherin und Interviewerin beschäftigten. [27]
Die gewählten gedolmetschten Gesprächsausschnitte vereinigen eine Vielzahl typischer, interaktionaler Phänomene zwischen Dolmetscherin und Interaktionsteilnehmer/innen, die in den aus der Dissertation hervorgegangenen gedolmetschten Interviews an unterschiedlichen Stellen vorkommen. Sie wurden ausgewählt, da sie beispielhaft für die aktive Gesprächsteilnahme der Dolmetscherin sind und zeigen, dass Modifikationen starke Auswirkungen auf den Interviewverlauf haben können. [28]
3.2.1 Anforderungen der Interviewteilnehmer/innen an den Dolmetscher/inneneinsatz
3.2.1.1 Erfahrungen der Interviewerin
In den Expert/inneninterviews kommt eine häufige Beschäftigung mit der Frage nach dem Level an Gesprächsdynamik in gedolmetschten Interviews vor. Die zwei nachfolgend präsentierten Ausschnitte stammen von der Forscherin/Interviewerin Anja, die späteren zwei von der Dolmetscherin Katja. Beide Personen sind einander bekannt und haben Interviews z.T. auch gemeinsam durchgeführt. Sie lassen in ihren Interviewaussagen eine jeweils stark rollenbezogene Bewertung gedolmetschter Interviews erkennen. [29]
Die Interviewerin Anja berichtet von der Erfahrung mit einer Interviewpassage, in der ihre Dolmetscherin Katja die Aussage des Interviewten an sie nicht direkt in die deutsche Sprache überträgt, sondern diese erst einmal eigeninitiativ gegenüber dem Interviewten auf Russisch korrigiert, da sie entsprechendes Kontextwissen zur Interviewfrage mitbringt. Denn obgleich sie in dem Interview als Dolmetscherin eingesetzt wird, ist sie zudem als Mitarbeiterin in das Projekt involviert, zu dem der Interviewte in dieser Interviewsequenz gerade befragt wird.
"Und dann hat er [der Interviewpartner] ihr [der Dolmetscherin] ne gewisse Reihenfolge praktisch genannt, (I: Hm) und Katja hat mir die Reihenfolge gar nich zuerst übersetzt, sondern hat ihn korrigiert und hat gesagt: Nee, das war anders. (I: Ah, okay.) (Lacht) Und dann ham sich die beiden halt auch noch mal n bisschen unterhalten, (I: Ja) und sich praktisch geeinigt, auf eine Reihenfolge, wie das ganze stattgefunden hat. Und dann hat Katja mir das übersetzt, (.) natürlich auch nicht mehr wörtlich, ne."
Bsp. 1 (Anja, Z.72-78) [30]
In Bsp. 1 wird die Diskrepanz zwischen den Aspekten "Dolmetscher/in als Instrument" und "Dolmetscher/in als aktiv Beitragende/r" deutlich. Die Dolmetscherin übernimmt in dieser Fallschilderung die Rolle einer Bewertungsinstanz und orientiert sich damit (scheinbar) an den Erwartungen der Interviewerin, eine wahrheitsgemäße Interviewaussage zu erhalten. Damit verändert sie in ihrer späteren Übertragung die Originalaussage nicht nur in Bezug auf ihre gesamte interaktionale Organisation, sondern auch in Bezug auf den Kerninhalt einer "zeitlichen Reihenfolge". Gleichzeitig hat ihre muttersprachliche Aushandlungssequenz mit dem Interviewten einen Ausschluss der Interviewerin zur Folge. Die Tatsache, dass die Dolmetscherin über Insider-Wissen zum Interviewthema verfügt, kann zudem die Aussagen des Interviewten und seine Erzählbereitschaft beeinflussen. [31]
Inwiefern jedoch die hier gezeigte Interviewdynamik, die sich durch den Dolmetscher/inneneinsatz ergibt, positiv oder negativ zum Interviewprozess und zum Interviewerfolg beiträgt, ist von der Forschungsfrage und damit vom Erkenntnisinteresse abhängig. Steht eine inhaltliche Analyse im Mittelpunkt, und ist an dieser Stelle die korrekte zeitliche Abfolge, die vom Interviewten vorgebracht wird, von Interesse, so kann die von der Dolmetscherin vorgenommene Modifikation angemessen sein. Ist die Fragestellung offener bzw. steht ein Interesse am narrativen Prozess im Mittelpunkt, dann problematisiert oder verfälscht der Einfluss der Dolmetscherin in diesem Zusammenhang möglicherweise die Auswertung des Interviews. [32]
Eine Fortsetzung dieser Problematik findet sich in Bsp. 2, in dem Anja sich dem Erzählfluss des Interviewten und dessen Unterteilung in "gedankliche Einheiten" widmet. Sie erwähnt einerseits den sprachlichen Ausschluss, der ihr die Interviewführung erschwert, und andererseits den Ablauf der Narration, dessen Analyse durch den Einsatz der Dolmetscherin problematisiert wird.
"Ich weiß dann nich, wo ne gedankliche Einheit so zuende is, (I: Hm) dass er sagen kann, hier so jetz mach mer da mal Schluss. (.) Und ich übersetz das. Das müsste der Dolmetscher (.) (I: Hm) dann schon machen. (I: Ja) Wobei ich natürlich auf der anderen Seite, das is halt so blöd. Bei irgendwelchen Narrationen da haste so was wie Erzählzwang (I: Ja) und so nen Kram, ne. Wie er grade, die machen das ja grade aus3). (I: Ja) Dass ne, dass ne, dass ne Erzählung, dass du die so auswertest, wie du wie du sie auswertest."
Bsp. 2 (Anja, Z.500-506) [33]
Während in Bsp. 1 eine Abkehr von einer aktiven Rollenübernahme der Dolmetscherin vertreten wird, um zu verhindern, dass die Dolmetschung "nicht mehr wörtlich" erfolgt, erkennt Anja in Bsp. 2 das Potenzial einer eigenständigen Interviewsteuerung durch die Dolmetscherin an. Diese kann Koordinationsaufgaben übernehmen, indem sie turnübernahmerelevante Stellen erkennt, welche für die Interviewerin durch den sprachlichen Ausschluss unentdeckt bleiben, und sie für ihre Dolmetschung nutzt. Diese Koordination dient weiterhin dazu, einen zu hohen Dolmetschinput – und damit eine Überforderung der Dolmetscherin oder eine notwendig werdende Reduktion in der Übertragung – zu verhindern. Demnach sollte die Übertragung nun doch wieder "wörtlich" oder zumindest so nahe an der Originalaussage wie möglich geschehen. [34]
Im zweiten Teil von Bsp. 2 relativiert Anja die aktive Beitragsrolle der Dolmetscherin einmal mehr, da deren Eingreifen eine Unterbrechung des Erzählflusses zur Folge haben kann. Durch die eingeschobene Dolmetschsequenz wird die Narration des Interviewten im Anschluss womöglich (syntaktisch, prosodisch und/oder semantisch) anders fortgesetzt, als es ohne Unterbrechung geschehen wäre. Bei narrativen Interviewformen machen diese Faktoren jedoch das Auswertungsinteresse "ja gerade aus" (Z.505). Die Interviewerin stellt demzufolge die Eignung eines Dolmetscher/inneneinsatzes für narrative Interviews infrage. [35]
Die von der Interviewerin Anja berichteten Erfahrungen mit und die Anforderungen an Dolmetscher/innen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sie als Forscherin hat sich selbst kaum auf diese besondere Situation der Interviewdurchführung vorbereitet und spricht z.T. sogar von einer "hemdsärmligen Planung" (Z.17), die auch zur Folge hat, dass sie einige der von ihr mit Dolmetscher/inneneinsatz geführten Interviews als unbrauchbar einstuft. Für einen erfolgreichen Einsatz sollte nicht nur eine Vertrautheit des Dolmetschers/der Dolmetscherin mit dem Interviewer/der Interviewerin vorhanden sein, um eine Übertragung im Sinne der Forschungsfrage und des Forschungsinteresses zu gewährleisten, sondern es sollten auch Testinterviews geführt werden, um zu einer gewissen Routine zu gelangen. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen, die Anja mit den Diskrepanzen zwischen Originalaussagen und Dolmetschungen gemacht hat, würde sie bei der Analyse der Interviews stets mit einer nachträglichen Rückübersetzung der Interviews arbeiten. Dennoch erachtet sie einen Dolmetscher/inneneinsatz für qualitative Interviews vielfach als unerlässlich, wenn Forschende, denen die Fremdsprachenkenntnisse fehlen, ein Interview eigenständig durchführen wollen. Zudem kann der Dolmetscher/inneneinsatz folgende Vorteile mit sich bringen: Dolmetscher/innen haben eine Vermittlungsfunktion inne, welche die Erzählbereitschaft steigern kann, indem 1. die Interviewatmosphäre durch die gleiche kulturelle, geschlechtliche oder andere Zugehörigkeit zur Person des oder der Interviewten verbessert wird und indem 2. Dolmetscher/innen die Fragen der Interviewenden an die (kulturellen) Konventionen der Interviewten anpassen können. [36]
Die nachfolgenden Bsp. 3 und 4 stammen von der Dolmetscherin Katja, die in ihren Interviewaussagen ähnliche Aspekte thematisiert wie die Interviewerin Anja. [37]
3.2.1.2 Erfahrungen der Dolmetscherin
In Bsp. 3 behandelt die Dolmetscherin Katja die von ihr gedolmetschte Interviewfrage "Was ist ein Studium für dich?", welche die deutsche Interviewerin an eine kirgisische Studentin stellte, obwohl sie aus Sicht der Dolmetscherin im kirgisischen Kulturkreis unüblich ist.
"Oder zum Beispiel in Kirgistan (.) wurde nich so oft die Frage gestellt, (.) was is ein Studium. Das war so ne selbstverständliche Frage (I: Ja), was bedeutet für dich ein Studium, dass die ganz (.) irgendwie verwirrt war. (.) Und konnte sie gar nich antworten, (I: Ja) was was is ein Studium überhaupt, ne. Und da (.) haben wir schon so bisschen länger damit (.) (I: Hm) verbraucht. Und (..) ich glaube da konnte schon ein Interviewter so bisschen helfen, aber wenn der äh, sorry - der Dolmetscher."
Bsp. 3 (Katja, Z.50-55) [38]
Die Dolmetscherin Katja beschäftigt sich hier – ähnlich wie die Interviewerin – mit der Frage nach der kulturellen Anpassung der Originalfrage an die Konventionen der Adressatin. Sie vertritt die Auffassung, als Dolmetscherin den Interviewprozess befördern und durch Klärungssequenzen mit der kirgisischen Studentin zum besseren Verständnis der Frageintention beitragen zu können. Ihr Beitrag ist damit sowohl erzählgenerierend als auch richtungsgebend. So unterstützt sie einerseits die Frageintention der Interviewerin, nicht nur eine kurze und standardisierte Antwort auf eine offene Frage zu erhalten, führt aber andererseits gleichzeitig eine suggestive Komponente ein, die sich entweder an den vorher abgesprochenen Vorstellungen der Interviewerin oder ihren eigenen orientiert. Das Bestreben, dass eine Interviewfrage als "richtig" aufgefasst wird, bezieht sich jedoch auch stets auf ein subjektives Verständnis und damit in jenem Moment auf das der Dolmetscherin (Z.109). Die Aussage Katjas, "länger damit verbraucht" zu haben, deutet wiederholt auf den Einfluss der Dolmetscherin auf den Interviewverlauf und den Gesprächsfluss hin. Eine solche Verständnissequenz kann des Weiteren, wie auch bereits vorher beschrieben, einen Ausschluss der Interviewerin vom Gesprächsverlauf zur Folge haben. [39]
An anderen Stellen im Interview spricht Katja einerseits von einer hohen Verantwortung für eine adäquate Übertragung eines qualitativen Interviews, die nicht "locker" bzw. "frei" erfolgen kann (Z.11f.), andererseits jedoch von dem Drang, selbst Interviewerin sein – und damit in den Interviewverlauf eingreifen zu wollen. Wie dies verdeutlicht, ergibt sich damit nicht nur eine stellenweise Diskrepanz zwischen Interviewerin (die eine Unterstützungsfunktion der Dolmetscherin in Grenzen vertritt) und Dolmetscherin (die eine aktivere Rolle anstrebt), sondern zugleich ein intrapersonelles Dilemma. [40]
In Bsp. 4 thematisiert die Dolmetscherin Katja, ebenso wie die Interviewerin Anja, den Aspekt der Unterbrechung einer Narration (Z.500-506):
"Nur manchmal die, die Gesprächspartner (.) äh, die sich äh (.) die nicht gewöhnt sind, äh mit einem Dolmetscher zu arbeiten, vergessen ganz äh, dass der Dolmetscher noch übersetzen muss und (.) sprechen da noch (.) fünfzig Sätze auf einmal (lacht). (I: Ja) Da muss man immer unterbrechen und sagen: hier bitte."
Bsp. 4 (Katja, Z.145-148) [41]
Die Unterbrechung eines Turns zum Zweck der Dolmetschung wird von Katja nicht als problematisch für den Erzählfluss der Interviewten angesehen, jedoch im Sinne der Erfüllung der Dolmetschaufgabe als hinderlich betrachtet. Ist der Dolmetschinput zu hoch, so besteht die Gefahr, dass Übertragungen nicht erfolgen. Die Interviewte daher in ihrer Rede zu unterbrechen, hält die Dolmetscherin für legitim. Anhand dieses Ausschnittes wird die Perspektivierung des Problems "qualitative Interviews mit Dolmetscher/inneneinsatz" deutlich: die Dolmetscherin hat den Fokus darauf, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen, indem sie die Rahmenbedingungen für sich am günstigsten gestaltet. Eine fortlaufende Narration stellt also in erster Linie eine Herausforderung für sie, nicht für die interviewende und die interviewte Person, dar. [42]
3.2.1.3 Interviewerin und Dolmetscherin: Vergleich zweier Perspektiven
Sowohl die Interviewerin Anja als auch die Dolmetscherin Katja stimmen überein, dass Dolmetscher/innen in qualitativen Interviews sozial und kulturell zwischen den Interviewpartner/innen vermitteln können. Des Weiteren herrscht Konsens über die Beziehung zwischen den Interviewten und den Dolmetscher/innen: Sie sollte neutral sein und sich nicht durch ein Hierarchieverhältnis auszeichnen, welches die Antwortbereitschaft beeinträchtigen könnte. Zudem sehen es beide Seiten als notwendig an, Dolmetscher/innen im Voraus mit der Forschungsfrage und den Interviewinhalten vertraut zu machen. Da sowohl Anja als auch Katja den Dolmetscher/inneneinsatz aus anderen Bereichen kennen, thematisieren beide auch klare Unterschiede zwischen der Rolle von Dolmetscher/innen in Verhandlungen und ihrer Rolle in qualitativen Interviews: In Verhandlungen wird die Aufgabe der Verständnissicherung als wichtiger erachtet (Anja), demnach ist die Gesprächsdynamik in diesem Einsatzbereich auch weniger eingeschränkt als in Interviews (Katja). [43]
Von diesen Übereinstimmungen abgesehen gibt es auch eine Reihe Unterschiede zwischen der Interviewerin Anja und der Dolmetscherin Katja: Während die Interviewerin einige der von ihr geführten Interviews aufgrund des Dolmetscher/inneneinsatzes als unbrauchbar einstuft, schätzt die Dolmetscherin die Möglichkeit negativer Auswirkungen auf die Qualität der Daten und damit auf die folgenden wissenschaftlichen Erkenntnisse als gering ein. Des Weiteren wird der Übergang zwischen aktiver und passiver Dolmetscher/innenrolle sowohl aus Interviewer/innen- als auch Dolmetscher/innenperspektive zwar als fließend angesehen, jedoch unterschiedlich bewertet. Die Interviewerin sieht eine Übertragung, die eng am Ausgangsbeitrag bleibt, als positiv an, denn Dolmetscher/innen sollten so wenig wie möglich modifizieren, um Interviewaussagen nicht zu verfälschen. Die Dolmetscherin erachtet eine Eins-zu-eins-Übertragung jedoch z.T. als einschränkend. Ein weiterer Unterschied besteht bzgl. der Eignung eines Dolmetscher/inneneinsatzes für verschiedene Bereiche der qualitativen Sozialforschung. Die Interviewerin befürwortet einen Einsatz bei allen Interviewformen außer der narrativen, die Dolmetscherin hingegen nimmt keine Einschränkungen vor. [44]
Insgesamt ist in Bezug auf die Frage nach den Anforderungen an eine solche Interviewsituation mit Dolmetscher/in eine deutliche Perspektivenabhängigkeit erkennbar: Während die Interviewerin das Problem aus erkenntnisorientierter Sicht betrachtet, steht für die Dolmetscherin die anwendungsbezogene Perspektive im Vordergrund. Für einen gelungenen Interviewprozess sind beide Aspekte deshalb immer auch hinreichend in Betracht zu ziehen. [45]
3.2.2 Auswirkungen des Dolmetscher/inneneinsatzes auf den Interviewprozess
3.2.2.1 Gesprächsdynamik bei Dolmetscher/inneneinsatz
Dolmetscher/innen nehmen in qualitativen Interviews eine Vielzahl an Handlungen vor, die in der Gesprächsforschung bereits für andere Einsatzbereiche beschrieben wurden und eine hohe Dynamik aufweisen. In den nachfolgend betrachteten Interviewausschnitten gehört dazu z.B. das Ausbleiben von Dolmetschungen als ein Phänomen, das sich v a. auf die Originalaussagen des Interviewten bezieht. Fragen oder Kommentare der Interviewerin werden hingegen i.d.R. ohne Auslassungen übertragen. Ausbleibende Dolmetschungen oder Reduktionen sind einerseits auf einen zu hohen Dolmetschinput zurückzuführen, durch den eine detaillierte Translation nicht mehr bewerkstelligt werden kann. Sie sind andererseits den Fremdsprachenkenntnissen der Interviewerin zuzuschreiben, die aufgrund ihrer grundlegenden Russischkenntnisse nicht zu jeder Aussage eine Translation benötigt. Ferner nimmt die Dolmetscherin Perspektivierungen in ihren Übertragungen vor, welche den Wechsel der Ich- und Er-Form betreffen. Sie variieren jedoch nicht nur zwischen Originalaussage und Dolmetschung, sondern auch innerhalb eines von der Dolmetscherin übertragenen Turns. Diese nimmt weiterhin Modifikationen der Dolmetschvorlage durch den Beitrag soziokulturellen und fachlichen Wissens vor. So kommt es z.B. zur Abschwächung kritischer Äußerungen oder zur Präzisierung und Änderung genannter Zeitpunkte. In diesem Zusammenhang werden von der Dolmetscherin auch Klärungssequenzen vorgenommen, die der Verständnissicherung dienen. Die Nutzung metakommunikativer Kommentare ist ein weiteres Phänomen, das die Dolmetscherin insbesondere in Bezug auf die Erläuterung der Beiträge des Interviewten nutzt. Vor der eigentlichen Übertragung eines Turns nimmt sie mit Aussagen wie "er hat Spaß gemacht" bspw. eine Bewertung vor (Z.482). Letztlich finden sich in den Gesprächsausschnitten auch inhaltliche Fehler in der Übertragung von Originalaussagen. [46]
Eine Auswahl an Dolmetschphänomenen wird in den nachfolgenden Interviewausschnitten dargestellt. Diese nehmen insbesondere das soziokulturelle Kontextwissen in den Fokus. [47]
3.2.2.2 Interaktive Prozesse in gedolmetschten Interviews
Die nachfolgenden Bsp. 5 und 6 konzentrieren sich auf die Gesprächsausschnitte eines russisch-deutsch gedolmetschten Interviews und stellen die Gesprächsdynamik und die gemeinsamen Aushandlungsprozesse bei einem Dolmetscher/inneneinsatz anschaulich dar. [48]
In Bsp. 5 äußert sich der Interviewte, der Direktor des kirgisischen Instituts Kurbekov4), zu seinem ehemaligen Vorgesetzten, dem Rektor der Universität. Die Dolmetscherin Katja überträgt die Aussage im Anschluss in die deutsche Sprache.5)
678 |
Kurbekov: |
но, (.) C: наш (.) бывший ректор; |
679 |
|
aber unser damaliger rektor |
680 |
|
немножко нЕ был (-) |
681 |
|
hatte zum teil kein |
682 |
|
эм::: (.) исполнительным таким. (---) |
683 |
|
verantwortungsbewusstsein dafür |
684 |
|
эм наруШАЛ эм::: график- (1.0) |
685 |
|
hat die zeitplanung vernachlässigt |
686 |
|
эм: иногда позволял там- (1.0) |
687 |
|
wich manchmal |
688 |
|
отойти от графика и так далее. (---) |
689 |
|
vom plan ab und so weiter, |
690 |
|
ЧАСто. |
691 |
|
oft. |
692 |
|
(1.3) |
693 |
Katja: |
ähm: (-) und (.) unserer rektor, damals; (--) |
694 |
|
MEIstens (.) war sehr (.) UNpünktlich, |
695 |
|
(lacht 0.6 sek) |
Bsp. 5 (Interview Kurbekov, Z.678-694) [49]
Kurbekovs Turn, in dem er das organisatorische Verhalten des Rektors beschreibt, weißt einen hohen Detaillierungsgrad auf und ist durch regelmäßige Pausen gekennzeichnet. Das Thema "Planung" unterteilt er in "fehlendes Verantwortungsbewusstsein", "Vernachlässigung der Zeitplanung" und "Abweichung vom Plan". Der Turn der Dolmetscherin ist durch kurze Pausen markiert, die auf Wortfindungsphasen hindeuten. In ihrer Dolmetschung wird nicht deutlich, ob sie sich auf den ehemaligen oder den aktuellen Rektor bezieht (Z.693). Jedoch wird in der diesem Abschnitt vorangegangenen Sequenz die Person des früheren Rektors bereits eingeführt, sodass diese Mehrdeutigkeit hier nicht problematisch erscheint. Die Dolmetscherin reduziert die Originalaussage in ihrer Übertragung auf den Informationskern; die Translation fällt damit deutlich kürzer aus. Ihre zentrale Kategorie "Unpünktlichkeit" (Z.694) gehört damit zwar zum Originalthema, lässt aber die Kategorie "fehlendes Verantwortungsbewusstsein" weitgehend außen vor, welche die von Kurbekov ausgedrückte Unzuverlässigkeit des Rektors noch verstärken würde. Die Kritik des Rektors wird also in der Translation abgeschwächt. Die Dolmetscherin orientiert sich prosodisch an dem Interviewten, indem sie mit "MEIstens" die Betonung des Wortes "oft" wiederzugeben versucht (Z.694). Gleichzeitig wird durch das Lachen der Dolmetscherin aber eine Modalisierung vorgenommen (Z.695), die den Eindruck erweckt, eine Originalaussage entkräften bzw. eine peinliche Situation überspielen zu wollen. Dass eine solche vorliegen kann, wird durch den Status der Dolmetscherin als Hochschulmitarbeiterin, die Kritik an der höchsten Leitungsebene übertragen soll, untermauert. Die von der Dolmetscherin vorgenommenen Modifikationen sind somit vielfältiger (prosodischer, semantischer, syntaktischer) Art und betreffen sowohl eine Sach-, aber auch eine Beziehungsebene. [50]
In Bsp. 6 sind ebenfalls mehrere Modifikationen, aber auch gemeinsame Aushandlungen zu finden. Der kirgisische Direktor macht hier Ausführungen zu kulturellen Werten; die Dolmetscherin schließt mit einer Verständnissequenz an.
441 |
Kurbekov: |
но- (.) вообще (.) кыргызские обычаи::? |
442 |
|
die kirgisischen bräuche, |
443 |
|
они очень (1.0) |
444 |
|
sie sind sehr |
445 |
|
ценныЕ; (-) эм:: (.) по отношению вообЩЕ (--) |
446 |
|
wertvoll in bezug zur |
447 |
|
всего человечества. (1.4) |
448 |
|
ganzen menschheit. |
449 |
|
обычаи: я имею в видУ да вот обычаи (1.7) |
450 |
|
mit bräuchen meine ich die |
451 |
|
урп адАт. <<leise> адат обычаи [да> |
452 |
|
ürp-adat6), adat-bräuche, ja. |
453 |
Katja: |
[то есть |
454 |
|
[das heißt |
455 |
|
они у нас [очень ценятся. |
456 |
|
sie werden bei uns sehr geschätzt. |
457 |
Kurbekov: |
[дА:- ну (-) |
458 |
|
[ja |
459 |
|
ценятся как- (.) ну ценятся как эм: (.) |
460 |
|
hoch geschätzt, hoch geschätzt. |
461 |
|
ценятся деп эле койчу; |
462 |
|
sag bitte einfach so. |
463 |
Katja: |
also die: (.) kirGIsische bräuchen werden von |
464 |
|
h::hiesigen leuten sehr (-) ähm: hoch |
465 |
|
eingeschätzt. sehr hoch bewertet- (.) |
466 |
|
und sie folgen dann <<leise> den bräuchen.> |
Bsp. 6 (Interview Kurbekov Z.441-466) [51]
Der kirgisische Direktor Kurbekov nimmt zuerst einen interkulturellen Vergleich vor und spezifiziert im Anschluss, auf welche Bräuche er sich bezieht. An dieser Stelle wird er jedoch von der Dolmetscherin unterbrochen, die eine Klärung des Originalbeitrages vornimmt, indem sie ihr Verständnis der Aussage darlegt. Dies geschieht jedoch nicht in Form einer Frage, sondern einer Feststellung. Der Klärungsbedarf ergibt sich vermutlich aus der heikel oder unangemessenen Aussage über die Bedeutung der Bräuche "in Bezug zur ganzen Menschheit" (Z.446ff.). Mit seinem überlappenden Turn gibt Kurbekov zu verstehen, dass er mit der Umformulierung einverstanden ist und unterstreicht dieses Einverständnis durch die doppelte Wiederholung der Aussage der Dolmetscherin (Z.460). Zudem gibt er die Anweisung an die Dolmetscherin, die Translation mit ihren eigenen Worten vorzunehmen. Diese Aufforderung wird jedoch nicht in russischer, sondern in kirgisischer Sprache zum Ausdruck gebracht (Z.462). Da Russisch in Kirgisistan als Amtssprache v.a. im Berufsleben angewandt wird, Kirgisisch jedoch Muttersprache ist, kann der Codewechsel einen Rückzug in die Erstsprache bedeuten. Er kann jedoch auch vorgenommen werden, um einen sprachlichen Ausschluss der deutschen Interviewerin zu erwirken, die über russische Grundlagenkenntnisse, nicht jedoch über kirgisische, verfügt. Die schließlich vorgenommene Translation markiert eine weitere Modifikation der Originalaussage. Zunächst wird der Name der Bräuche ausgelassen (Z.463). Die anschließende Formulierung entspricht dann dem Vorschlag der Dolmetscherin. Eine zusätzliche Erweiterung des Originalbeitrags wird mit der Aussage vorgenommen, die Bräuche würden von den Menschen auch befolgt (Z.466). [52]
In Bsp. 6 wird die aktive Rolle der Dolmetscherin besonders deutlich. Katjas Bestreben, als Dolmetscherin zu einem wechselseitigen Verständnis beizutragen, kommt hier zum Ausdruck. Die Aushandlungsprozesse, die stattfinden, bleiben der Interviewerin sicherlich nicht verborgen, sie greift jedoch nicht ein. Katja trägt zum einen soziokulturelles Kontextwissen bei, indem sie wertet, wie der Ausdruck des Primärsprechers verstanden und angepasst werden kann. Gleichzeitig schwächt sie eine heikle Aussage ab und verhindert eine Gesichtsbedrohung der deutschen Interviewerin, die sich aufgrund der Aussage, die kirgisischen Bräuche seien wichtiger als andere, hätte ergeben können. Aus wissenschaftlicher bzw. aus weniger vermittlungsorientierter Sicht bleibt der Forscherin jedoch damit die Möglichkeit verwehrt, Erkenntnisse aus der Originalaussage zu ziehen. Auch die fehlende Benennung der kirgisischen Bräuche kann auf Kontextwissen der Dolmetscherin zurückzuführen sein, wenn diese den Namen für die Forschungsfrage und das Interviewziel als nicht wichtig erachtet. [53]
Ausgangspunkt für diesen Artikel bildet das Forschungsdesiderat, welches in Bezug auf gedolmetschte, qualitative Interviews vorliegt. Die Ausführungen zeigen eine aktive Beteiligung der Dolmetscherin auf. Die Expertinnen gehen auf die Frage nach der Rolle von Dolmetscher/innen im Forschungsprozess, nach dem Forschungsinteresse selbst und auf die Eignung des Dolmetscher/inneneinsatzes für bestimmte Interviewformen ein. [54]
Im Besonderen wird die Frage nach der eigenständigen Bewertung des Interviewprozesses durch Dolmetscher/innen aufgeworfen. Haben Dolmetscher/innen qualitativer Interviews eine Vermittlungsfunktion inne, die zum gegenseitigen Verständnis und zum Gesprächserfolg beitragen soll? Eine solche Mediation kommt v.a. im Community Interpreting und im Verhandlungsdolmetschen zum Ausdruck (APFELBAUM 2004; PÖCHHACKER 2008). Ist sie aber auch im Rahmen der Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen angebracht? Ferner stellt sich die Frage, ob es die Aufgabe von Dolmetscher/innen ist bzw. sie dazu in der Lage sind, das konkrete Forschungsinteresse zu bewerten und den Interviewprozess zu steuern. [55]
Bsp. 6 macht diese Problematik besonders deutlich: Je nach Forschungsfrage kann gerade die Originalaussage des Interviewten über die Bedeutung kirgisischer Werte und Bräuche von besonderem Interesse sein. Eine Lösung verspricht an dieser Stelle wiederum nur die vorherige Definition der Dolmetscher/innenrolle. Werden Dolmetscher/innen als Teil des Forschungsteams angesehen und verfügen sie über weitreichendes forschungs- und situationsbezogenes Wissen, so gefährdet ihre aktive Beteiligung die Qualität der Daten womöglich weniger bzw. ist sogar gewünscht. [56]
Erste Handlungsempfehlungen für den Dolmetscher/inneneinsatz lassen sich bereits formulieren. Um diese jedoch genau auf die Thematik abzustimmen, sind folgende Schritte in einer weiterführenden Studie in Erwägung zu ziehen: Die Perspektive der Interviewten ist einzubeziehen, da auch diese mit der Herausforderung der Dolmetscher/inneninteraktion konfrontiert sind und für sie die Interviewsituation so angemessen wie möglich gestaltet werden sollte, um deren Beitrag zur Forschungsfrage zu erfahren. Ferner haben sich die Methoden "Expert/inneninterview" und "Gesprächsanalyse" als geeignet erwiesen, um den Dolmetscher/inneneinsatz einerseits vom Standpunkt der Gesprächsteilnehmer/innen und andererseits anhand empirischen Materials zu betrachten. Eine Studie, die diese Aspekte vereint, indem sie gedolmetschte Interviewausschnitte gemeinsam mit den Primärteilnehmer/innen auswertet, würde auch Rückschlüsse auf Fragen erlauben, die an dieser Stelle noch unbeantwortet bleiben: Stehen die Dolmetschungen im Einklang mit dem Erkenntnisinteresse? Hätten sich in Anbetracht der nachträglichen Übersetzung doch andere Forschungserkenntnisse ergeben? Diese Fragen sind für das wissenschaftliche Arbeiten unter Einbezug von Dolmetscher/innen von besonderer Bedeutung und sollten daher in der Dolmetsch- und Translationsforschung in Zukunft stärker in den Mittelpunkt rücken. [57]
Transkriptionskonventionen für qualitative Interviews |
|
Verschriftung |
Literarische Umschrift; bei Wechsel in starken Dialekt verschriftlichen; Wiederholungen, Zwischenlaute ("hm", "äh") und Wortabbrüche werden nicht verschriftlicht |
(.) |
Pause, 1-2 Sek. |
(..) |
Pause, 2-3 Sek. |
(4s) |
Pause, ab 4 Sek. |
Wort |
Betonung |
WORT |
Sehr laut |
°Wort° |
Sehr leise |
( ) |
Unverständliche Passagen, mit Inhalt: Vermuteter Wortlaut |
(I: Ja) |
Kurze Signale des Interviewers/der Interviewerin, wenn sie nicht in den Erzählfluss eingreifen (an der Stelle, wo sie auftauchen) |
(lacht) |
Para- oder nonverbale Handlungen |
Wort |
Einflüsse von außen |
Tabelle 1: Transkriptionskonventionen für qualitative Interviews (nach KOWAL & O'CONNELL 2007)
Transkriptionskonventionen für Gesprächsausschnitte |
|
[ ] |
Überlappungen und Simultansprechen |
= |
Schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Turns oder Einheiten |
(.) (-), (--), (---) (1.5) |
Mikropause Pause: 0.25 – 0.75 Sekunden Pause: bei mehr als 1 Sekunde Dauer |
und=äh äh, öh |
Verschleifungen innerhalb von Einheiten Verzögerungssignale |
:, ::, ::: |
Dehnung, je nach Dauer |
so(h)o ((lacht)) |
Lachpartikel beim Reden Beschreibung des Lachens (para- und nonverbale Handlungen) |
hm, nee hm=hm |
Einsilbige Rezeptionssignale Zweisilbige Signale |
AkZENT |
Primär- bzw. Hauptakzent |
? , - ; . |
Tonhöhenbewegungen: hoch steigend Mittel steigend Gleichbleibend Mittel fallend Tief fallend |
<<erstaunt>> ( ) |
Para- und nonverbale Handlungen mit Reichweite Unverständliche Passagen je nach Länge, mit Inhalt: vermuteter Wortlaut |
Tabelle 2: Transkriptionskonventionen für Gesprächsausschnitte (nach SELTING et al. 1998)
1) Community Interpreting meint das meist bilaterale Dolmetschen in den Einsatzfeldern Medizin, Behörden und Recht (APFELBAUM 2004, S.25). <zurück>
2) Quelle: Expert/inneninterview mit Anja (Name anonymisiert), Zeilen 586 bis 606. <zurück>
3) Transkriptionskonventionen siehe Anhang. <zurück>
4) Die Namen der Interview- und Gesprächsteilnehmer/innen wurden anonymisiert. <zurück>
5) Die Übersetzungen russischsprachiger Auszüge unterhalb der Originalturns wurden zum Gesamtverständnis und zum Vergleich mit der Dolmetschung nachträglich vorgenommen. Sie haben somit Anschauungs-, jedoch keinen stilistischen Wert. <zurück>
6) Ürp-adat (kirgisisch): Brauch <zurück>
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Gwendolin LAUTERBACH (Dr. phil.) hat Wirtschaftssinologie an der Westsächsischen Hochschule Zwickau studiert und im Fach Interkulturelle Kommunikation in Kooperation mit der Technischen Universität Chemnitz promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Interkulturelle Kommunikation sowie Asien (insbesondere China und Zentralasien).
Kontakt:
Gwendolin Lauterbach
Wissenschaftsmanagement
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) Regensburger Straße 104
90478 Nürnberg
Tel.: +49 (911) 179 8372
E-Mail: Gwendolin.Lauterbach@iab.de
Lauterbach, Gwendolin (2014). Dolmetscher/inneneinsatz in der qualitativen Sozialforschung. Zu Anforderungen und Auswirkungen in gedolmetschten
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http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs140250.