Volume 15, No. 3, Art. 19 – September 2014
"Also dieses enge Korsett ist nicht mehr da." Zur Zeitsouveränität im Alter
Anne Münch
Zusammenfassung: Mit dem Übergang in den Ruhestand sind ältere Menschen mit der Aufgabe konfrontiert, ihren Alltag und die durch den Wegfall der Erwerbsarbeit zusätzlich zur Verfügung stehende Zeit neu zu arrangieren. Dies geschieht auf vielfältige Weise, manchmal mehr, manchmal weniger zufriedenstellend. Der vorliegende Beitrag präsentiert die empirischen Ergebnisse einer qualitativen Forschungsarbeit zur Zeitgestaltung im Alter und rekonstruiert die subjektiven Deutungen von Zeitsouveränität im Ruhestandsalltag. In Orientierung an der Methodologie der Grounded Theory konnten aus dem Interviewmaterial heraus insgesamt drei Strategien des Umgangs mit der Zeitsouveränität im Alter entwickelt werden, die mit unterschiedlichen Zeiterfahrungen und -kompetenzen in Zusammenhang stehen und auf die Bedeutung der Erwerbsbiografie über den Ruhestandseintritt hinaus verweisen. Unter Einfluss der jeweiligen Kontextbedingungen neigen die Individuen entweder dazu, nach dem Übergang in die Posterwerbsphase die Zeit zu genießen, die Zeit auszufüllen oder aber ihre Zeit zu investieren.
Keywords: Alter; Grounded-Theory-Methodologie; alltägliche Lebensführung; Ruhestand; Sekundäranalyse; Zeitsouveränität
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Methodisches Vorgehen
3. Empirische Ergebnisse
3.1 Zeit im Alter
3.2 Das Modell ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität
3.3 Die Strategien im Umgang mit der Zeit
3.3.1 Die Zeit genießen
3.3.2 Die Zeit ausfüllen
3.3.3 Die Zeit investieren
4. Diskussion
Alltagsweltliche Vorstellungen über die Zeit im Ruhestand sind häufig eng gekoppelt an die Idee einer "späten Freiheit" (ROSENMAYR 1983) und von deutlich mehr (Frei-) Zeit. In Medien, Politik und Wissenschaft werden Rentner_innen daher immer wieder verallgemeinernd als Bevölkerungsgruppe der "Zeitmillionäre" dargestellt (BMFSFJ 2006; GASCHKE 2011; REISCH 2002). In Zusammenhang mit den teils apokalyptisch anmutenden Diskursen um die alternde oder schlimmer noch "überalternde" Gesellschaft erhält dieser pauschal zugeschriebene Zeitreichtum zunehmend sozialpolitische Brisanz. Denn – so könnte man es vor dem Hintergrund der kontroversen Debatten um die Aktivierung des Alters (kritisch dazu u.a.: VAN DYK & LESSENICH 2009) auf die vereinfachte Formel bringen – wer viel (Zeit) hat, der/die kann (und sollte) auch viel davon geben. Aus vermeintlich objektiver Sicht lässt sich der Annahme des Zeitreichtums zunächst auch tatsächlich nur schwer widersprechen. Immerhin bringt der Wegfall der täglichen Erwerbsarbeit ein Plus von rund sechs Stunden mehr Zeit pro Tag (STATISTISCHES BUNDESAMT 2004). Allerdings tragen Durchschnittswerte wie diese zu einer Homogenisierung des Alters bei, die spätestens auf den zweiten Blick sehr zweifelhaft erscheint. Denn sobald man sich mit der subjektiven Perspektive der Älteren selbst auseinanderzusetzen beginnt, entwickelt sich ein deutlich differenzierteres Bild vom Alter. Was wissen wir also abgesehen von den statistischen Daten über die Zeit im Alter? Welche Qualität, welche Bedeutung hat Zeit für die Betroffenen selbst? Und entspricht der vermeintliche "Zeitmillionär" tatsächlich der breiten Masse oder vielleicht doch eher nur einer kleinen Teilmenge von Ruheständler_innen? Über die zunächst recht allgemeine Beobachtung der besonderen Bedeutung von Zeit im Alter entstand daher das Anliegen, sich differenzierter mit der Frage nach dem Umgang mit der freien Zeit im Alltag des Ruhestands auseinanderzusetzen. [1]
Die Sichtung der methodologisch-qualitativen Fachliteratur zum Themenbereich "Alter(n) und Zeit" verweist auf eine Reihe einschlägiger Publikationen aus den 1980er Jahren (AMANN 1988; EKERDT 2009 [1986]; KOHLI 1986; WOLF 1988) sowie ein erneutes Aufflackern des qualitativ-forschenden Interesses Mitte der 2000er Jahre (vgl. BURZAN 2002; KÖLLER 2006). Anton AMANN (1988) untersuchte eine Gruppe von Stahlarbeitern hinsichtlich ihres Zeithandelns im Ruhestand und zeigt, dass das besondere Maß körperlicher Erschöpfung handlungsleitend für die relativ geringen Ansprüche an die zeitliche Strukturierung des Tages ist. Weniger berufsgruppenspezifisch und bis heute viel zitiert ist das aus dem angelsächsischen Raum stammende Konzept der busy ethic von David EKERDT (2009 [1986]). Er geht der Frage nach dem Ursprung und der Bedeutung des häufig beteuerten Beschäftigtseins der Älteren nach und kommt zu dem Ergebnis, dass die sogenannte busy ethic des Ruhestands einer moralischen Kontinuitätskonstruktion zwischen Arbeitsleben und Ruhestand entspricht, die für die Wiederherstellung von Alltag nach dem Renteneintritt von erheblicher Bedeutung sein kann. Martin KOHLI und Jürgen WOLF forschten von 1983 bis 1988 gemeinsam zum Übergang und Leben im Vorruhestand und beobachten unter anderem, dass es bei den Älteren verschiedene Perspektiven auf die Zeit gibt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Sozialisation stehen (KOHLI 1986; WOLF 1988). Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Zeit je nach Stellung und Sicherheit im Beruf auf unterschiedliche Weise wahrgenommen wird. So sind es erstens jene Arbeitnehmer_innen mit vergleichsweise geringer Qualifikation und wiederkehrenden Erfahrungen prekärer Stabilität im Berufsleben, die die Zeit als Dauer betrachten, in der die Zukunft aus der jeweils nächsten Sequenz zwischen morgendlichem Aufstehen und abendlichem Zubettgehen besteht. Bei der zweiten Perspektive auf die Zeit wird diese vermehrt als individuelle Aufgabe erachtet, in der die Zukunft dazu dient, die erreichte Position möglichst langfristig zu sichern. Ausschlaggebend für die Ausbildung dieser Zeitperspektive waren insbesondere berufliche Erfahrungen reflexiver Stabilität. Der dritte und letzte Typus ist schließlich jener der perspektivischen Wahrnehmung von Zeit als Ressource, der sich vor allem bei aufgestiegenen Arbeitnehmer_innen zeigte und dadurch auszeichnete, dass Zukunft handlungsstrategisch grundsätzlich als Chance zur Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen wurde. [2]
Rund ein Jahrzehnt später widmete sich Nicole BURZAN (2002) dann der Frage, nach welchen Regeln und Prinzipien Rentner_innen ihre Zeit organisieren. Sie verwendet den Begriff der Zeitgestaltung bewusst im Hinblick auf die Annahme, dass die Zeit einer Person nicht lediglich passiv vermittelt wird, sondern innerhalb individueller Handlungsspielräume aktiv strukturiert werden kann. Weiterhin stellt BURZAN Institutionen, feste Termine, spontane Bindungen an Personen sowie Abhängigkeiten von äußeren Bedingungen als die Hauptmerkmale der Organisation von Ruhestandsalltag heraus. Außerdem erarbeitete sie Muster der Zeitgestaltung, die von starker bis zu schwacher Strukturiertheit verlaufen. BURZAN kommt unter Einbezug biografischer Faktoren zu dem – hier nur vereinfacht wiedergebbaren – Ergebnis, dass die biografische Vielfalt der Lebensbereiche erheblich zur Erklärung der jeweiligen Zeitgestaltungstypen beiträgt. Daran anknüpfend untersucht Regine KÖLLER wenig später den Einfluss der Erwerbsbiografie auf das Zeitempfinden und die subjektive Zufriedenheit im Alter. Methodisch kombinierte sie Alltagszeit und Lebenslaufperspektive in stärkerem Maße als BURZAN und kommt dabei unter anderem zu dem Ergebnis, dass – unabhängig von der Biografie – ein subjektiv wahrgenommenes Mehr an Zeit im Ruhestand zu höherer Zufriedenheit führt als das Gefühl beständiger Zeitnot trotz Erwerbsentpflichtung (KÖLLER 2006). [3]
Unabhängig von den unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema "Zeit im Alter" wird bei allen Untersuchungen deutlich, dass die Frage nach dem Umgang mit und der Deutung von Zeit grundsätzlich immer im Zusammenhang mit der Aufgabe der Wiederherstellung von Alltag nach dem Ruhestandseintritt steht. Für das eigene Forschungsvorhaben wurde angestrebt, sich an den bestehenden Konzepten zu orientieren und zugleich eine thematische Weiterentwicklung der subjektorientierten Perspektiven auf die Zeit im Alter zu generieren. [4]
Im Folgenden wird zunächst das methodische Vorgehen innerhalb der Untersuchung skizziert (Abschnitt 2), um anschließend die empirischen Ergebnisse vorzustellen (Abschnitt 3), die abschließend dann noch einmal kurz resümiert und zur Diskussion gestellt werden (Abschnitt 4). [5]
Im empirischen Teil meiner Untersuchung erfolgte eine Sekundäranalyse bereits vorhandenen Interviewmaterials nach den Prinzipien der Grounded-Theory-Methodologie (GTM) (GLASER & STRAUSS 1967; STRAUSS 2004 [1987]; STRAUSS & CORBIN 1990).1) Dieses methodische Vorgehen erschien für meinen Fall besonders passend, da sich das Interesse an der Thematik im Zuge der Mitarbeit an einer umfangreichen Interviewstudie über die (gesellschaftspolitische) Aktivierung älterer Menschen entwickelte. Interviewt wurden Personen zwischen 60 und 70 Jahren, die sich bereits im Ruhestand befanden.2) [6]
Der Leitfaden der Primäruntersuchung beinhaltete Fragen zu Themen wie persönlicher Aktivität oder gesellschaftlichem Engagement im Alter. Das Thema Zeit spielte bei der Konstruktion des Leitfadens keine nennenswerte Rolle. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, markierten die Befragten jedoch immer wieder die besondere Bedeutung von Zeit innerhalb ihrer Narrationen. Das machte neugierig und es entstand der Eindruck, dass die Interviews nicht nur reichlich Material für das Anliegen der Originalforschungsarbeit boten, sondern darüber hinaus auch Potenzial zur Analyse weiterer theoretischer Konzepte im Material vorhanden war (vgl. u.a. GLASER & STRAUSS 1967; NOTZ 2005; WITZEL 2000). Aus diesem Grund erschien eine Sekundäranalyse der Interviews sehr vielversprechend.3) [7]
Mit der Frage "What is this all about?" (vgl. STRAUSS & CORBIN 1990, S.63) im Hinterkopf entstand daher deutlich vor Beginn der (fein-) analytischen Arbeit ein Forschungstagebuch, in dem Ideen, Gedanken, externe Anregungen, passende Zitate aus Gesprächen im Alltags- und Arbeitskontext sowie thematische Memos gesammelt wurden (vgl. PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2010, S.54). [8]
Die Auswahl der Fälle für die Sekundäranalyse erfolgte nach dem Prinzip des theoretischen Samplings (vgl. STRAUSS & CORBIN 1990). Das bedeutet, es wurde zugunsten einer iterativen Theoriegenese auf einen vorab festgelegten Auswahlplan verzichtet, und das endgültige Sample entstand aus einer Reihe aufeinander aufbauender Auswahlentscheidungen entlang des Forschungsprozesses (vgl. WIEDEMANN 1991, S.443). So erfolgte die Auswahl der ersten beiden Fälle des Samples beispielsweise über die maximale Kontrastierung der Eingangssequenz, in der alle Interviewten danach gefragt wurden, was sie mit Ruhestand verbinden. Hierauf antwortete der pensionierte Arzt, Herr Lange4), nun endlich mehr Zeit für sich und die Familie zu haben. Den Gegenpol dazu bildete die examinierte Altenpflegerin, Frau Baden, die ihre Narration damit einleitete, seit dem Renteneintritt weniger Zeit als vorher zu haben. [9]
Dem Prinzip des ständigen Vergleichens folgend, wurden die ersten beiden Interviews sukzessive erschlossen.5) Am Anfang stand dabei das offene Kodieren, in dessen Verlauf u.a. zahlreiche In-vivo-Kodes angelegt wurden. Da diese Kodes direkt aus der Umgangssprache des Untersuchungsfelds stammen, halfen sie mir, bestimmte Beobachtungen bildhaft und prägnant zu beschreiben und waren analytisch nützlich für eine subjektnahe Entwicklung erster Konzepte (vgl. BÖHM, LEGEWIE & MUHR 2008, S.38). Weiterhin begünstigten Kodenotizen, Memos und erste Feinanalysen einzelner Textsegmente die Erfassung unterschiedlichster Beobachtungen am Material. Indem die Arbeit mit den Interviews zu weiten Teilen mittels der Software MAXQDA erfolgte, konnte die systematische Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte sichergestellt werden. Außerdem fanden wiederholt Kleingruppentreffen mit Personen ohne thematisches Vorwissen statt, die in sequenzanalytischen Sitzungen dazu beitrugen, den Blick nicht vorschnell zu verengen. [10]
Über die Feinanalysen der Einstiegssequenz bestätigte sich, dass das Antwortverhalten auf die erste Frage von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung der Narrationsstruktur des Interviews ist. Daher wurde hier die maximale und minimale Kontrastierung fortgesetzt und jeweils zusätzlich mit anderen, für das weitere theoretische Sampling bedeutend gewordenen Faktoren, wie der Art des Übergangs in den Ruhestand und dem sozioökonomischen Status kombiniert: Da Herr Lange zu einem selbst gewählten Zeitpunkt und Frau Baden aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gegangen war, bildeten der gelernte Koch, Herr Fluss, sowie die ehemalige Sozialarbeiterin, Frau Star, geeignete Kontrastfälle: Ebenso wie Frau Baden musste auch Herr Fluss aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig die Erwerbsarbeitsphase beenden, äußerte allerdings keine Zeitnöte, sondern versicherte gleich zu Beginn, genug Zeit zu haben. Frau Star wechselte wiederum nach einer Phase der Arbeitslosigkeit in den vorgezogenen Ruhestand und konstruierte den Zugewinn an Zeit im Alltag nur bedingt positiv. [11]
Nachdem bereits vorhandene Kodes von Fall zu Fall auf ihre Gültigkeit überprüft, sowie neu entdeckte Kodes im gesamten Material nachkodiert worden waren, half das axiale Kodieren in einem weiteren Schritt dabei, aus den zahlreichen Kodes der offenen Kodierphase erste Zusammenhangsmodelle zu erstellen und einzelne oder mehrere Kodes in Beziehung zu anderen Kodes zu setzen (vgl. STRÜBING 2008). Durch systematisch vergleichende Analysen konnten einzelnen Merkmalen größerer Kategorien schließlich spezifische Dimensionen zugeordnet werden.
Abbildung 1: Die Dimensionalisierung spezifischer Merkmalsräume der Selbstbestimmung über die Zeit [12]
Anhand der obigen Abbildung lässt sich das Prinzip des Dimensionalisierens (vgl. BÖHM et al. 2008, S.39) wie folgt verdeutlichen: Die "Selbstbestimmung über die Zeit" kennzeichnet eine Kernkategorie der Analysen. Die "Entpflichtung durch Renteneintritt" benennt nun wiederum eines der zahlreichen Merkmale besagter Kategorie. Mit den Kodes aus den Interviews war es möglich, die Aussagen der Befragten auf einem Kontinuum zwischen den Extremen "stark kommuniziert" und "nicht kommuniziert" anzuordnen und auf diese Weise im weiteren Auswertungsprozess systematische Anhaltspunkte für die theoretischen Konzeptualisierungen zu gewinnen. So zeigte sich für das vorliegende Beispiel, dass das Bestreben um die Selbstbestimmung über die Zeit umso höher war, je deutlicher die Relevanz der Entpflichtung durch den Renteneintritt kommuniziert wurde. [13]
Mithilfe des Kodierparadigmas von STRAUSS (vgl. STRAUSS & CORBIN 1990) konnte bereits nach vier Fallanalysen das Grundgerüst der relevanten Kernkategorien und deren Beziehung zueinander erzeugt werden. Für die Abrundung des theoretischen Samplings wurden abschließend noch zwei weitere Fälle sekundär analysiert. Dabei schien es zum einen von Bedeutung, eine maximale Kontrastierung des – bis dato im Sample eher ruhigen bis ausgewogenen – Aktivitätsgrades6) vorzunehmen, weswegen die Wahl auf den früheren Unternehmer und ausgeprägt engagierten Ruheständler, Herrn Carstens, fiel. Die gut situierte ehemalige Sekretärin, Frau Reiter, bot hinsichtlich ihrer Zufriedenheit über den Zugewinn an Zeit infolge der Verrentung, ihrer sozioökonomischen Statusinkonsistenzen7), der ausgeprägten Paarvergesellschaftung mit dem Ehemann und nicht zuletzt ihrem ebenfalls recht hohen Aktivitätslevel eine Vielzahl an minimalen wie maximalen Kontrasten zum Rest des Samples und rundete dieses letztendlich ab. In einem weiteren Schritt diente das selektive Kodieren dann noch einmal der Re-Kodierung und Überprüfung bestehender Beziehungssysteme und erlaubte die theoretische Schließung des Kodierprozesses. [14]
Für die Frage nach der finalen Verallgemeinerung der Befunde erwies sich das Stufenmodell der empirisch begründeten Typenbildung (vgl. KELLE & KLUGE 1999) als hilfreiche Methodenergänzung. Nachdem die "Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen" (Stufe 1) sowie die "Gruppierung der Fälle und Analyse empirischer Regelmäßigkeiten" (Stufe 2) bereits erfolgt waren, trug insbesondere die auf der dritten Stufe stattfindende komparative "Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge" in den verschiedenen Merkmalsräumen dazu bei, dass die empirisch generierten Kategorien im Hinblick auf ihre Ähnlichkeiten (interne Homogenität) und Unterschiede (externe Heterogenität) noch genauer expliziert werden konnten (S.93). Die auf der vierten Stufe stattfindende "Charakterisierung der gebildeten Typen" rundete schließlich die methodische Arbeit mit dem Material ab und leitet nun über zur Vorstellung der Ergebnisse. [15]
Ergebnis meiner Analysen ist ein Modell ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität, innerhalb dessen insbesondere verschiedene Strategien zum Umgang mit selbiger voneinander abgegrenzt und typisiert werden können. Da der Begriff der Zeitsouveränität nicht von Anfang an gegeben war, sondern erst im Verlauf der iterativen Theoriegenese eingeführt wurde, wird dieser nun zunächst hergeleitet und theoretisch gerahmt (Abschnitt 3.1), um dann das Modell zu skizzieren (Abschnitt 3.2) und die Charakterisierung der Strategien schließlich in den Mittelpunkt der Ergebnispräsentation zu stellen (Abschnitt 3.3). [16]
Das eingangs formulierte Interesse am Umgang mit der vermeintlich freien Zeit des Ruhestands erwies sich innerhalb der empirischen Arbeit am Material recht bald als deutlich unzureichend, da die Befragten die Zeit im Alter zwar als frei von Erwerbsverpflichtungen, aber keineswegs als durchweg freie Zeit konstruierten. Vielmehr benannten alle Interviewten verschiedenste Erwerbsarbeitssubstitute wie Ehrenämter, Gartenarbeit, Enkelbetreuung oder Haushaltstätigkeiten, die nicht auf den Wegfall, sondern ein lediglich gewandeltes Verständnis von Arbeit verweisen und auch im Ruhestand als notwendige Legitimation für anschließende Phasen der Freizeit fungieren. Im Hinblick auf die Zeit zeigte sich in diesem Zusammenhang, dass für die Ruheständler_innen weniger das quantitative Verhältnis von Arbeit und freier Zeit von Relevanz war, sondern vor allem der qualitative Aspekt, im Ruhestand in hohem Maße selbst bestimmen zu können, wann welche Tätigkeiten erledigt werden. Mit fortschreitender Analyse entwickelte sich daher die Frage, ob und inwiefern diese narrativen Konstruktionen ruhestandsspezifischer Verfügbarkeit über die Zeit begrifflich besser benannt und theoretisch konzeptualisiert werden können. [17]
In den Interviews immer wieder auftauchende Beschreibungen wie die, nun endlich Herr über seine Zeit zu sein (Herr Lange) oder die Metapher der erfolgreichen Befreiung aus dem Korsett zeitlicher Zwänge (Frau Baden) verwiesen auf eine – von den Befragten – subjektiv konstruierte Unabhängigkeit in der Zeit und führten zu der Annahme, dass es sich bei meinen empirischen Beobachtungen um eine spezifische Form von "Zeitsouveränität" handelt. Der Zugang zu diesem von Bernhard TERIET (1976) auf das Verhältnis von "Arbeit und Freizeit" bezogenen Konzept gelang mir dabei, indem ich den Terminus der "Arbeit" auf ein erweitertes Begriffsverständnis fußte und selbigen, wie oben bereits angedeutet, nicht über den Inhalt oder Zweck einer Tätigkeit bestimmte, sondern als spezifische Form der Regulierung von Tätigkeiten verstand. Ausschlaggebend für die Frage, ob eine Tätigkeit Arbeitscharakter hat, ist dabei vor allem die Haltung des/der Tätigen zu seiner/ihrer Tätigkeit (vgl. VOSS 1991). Dadurch erhält der für die weiteren Konzeptualisierungen benötigte Arbeitsbegriff einen dynamischen Charakter und es lässt sich erklären, warum der Garten, der zuvor insbesondere als Ort der Erholung vom Beruf fungierte, im Ruhestand plötzlich zum Ort der anstrengenden Bewirtschaftung von Boden umgedeutet werden kann. [18]
Basierend auf der Beobachtung der Fortsetzung eines dynamischen Wechselspiels von Arbeits- und Freizeiten, legte ich meinen Ergebnissen ebenfalls eine erweiterte Lesart von Zeitsouveränität zugrunde. Diese grenzt sich dahin gehend von verbreitet funktionalen Definitionen ab, als es nicht in erster Linie darum geht, dass die Individuen ihre Zeit völlig frei von ungenutzten Zeiteinheiten (Leerläufen, Engpässen, Überschneidungen) arrangieren können (vgl. OFFE & HEINZE 1990). Stattdessen wird Zeitsouveränität in Anlehnung an die Konzeptualisierungen Birgit GEISSLERs (2008) in der vorliegenden Untersuchung erstens als praktischer Handlungsmodus hinsichtlich der Fähigkeit zur weitestgehend vollständig selbstbestimmten Verteilung der (Arbeits-) Zeiten des Alltags verstanden. Darüber hinaus ist zweitens zu beachten, dass die verfügbare Zeit nicht frei von Aufgaben und Ansprüchen sein muss, sondern "(v)ielmehr unterstellt Zeitsouveränität: Man hat etwas zu tun und ist in Kooperationsbeziehungen eingebunden" (S.258). Schließlich erhält dieses bis hierhin altersunabhängige Verständnis von Zeitsouveränität die beobachtete Ruhestandsspezifik insbesondere über den Aspekt der moralischen Entpflichtung, welche sich empirisch zum Beispiel in den Berichten über die Befreiung von der Diktatur des Weckers widerspiegelt. So schafft dieser dauerhaft legitimierte Verzicht auf den Wecker als moralischen Wächter über die Zeitordnung der Arbeitsgesellschaft zusätzliche Zeiträume, innerhalb derer die Gestaltung der Zeit vom Individuum ausgeht, da dieses nun selbst entscheiden kann, ob es länger schlafen oder – wie übrigens die Mehrzahl der Befragten – ab sofort aus eigenem Antrieb zur gewohnten Zeit um sieben oder spätestens acht Uhr morgens aufstehen möchte. Auf diese und andere Weise zieht sich die moralische Entpflichtung durch verschiedenste Themenbereiche und entspricht dabei einer Chance zur Anreicherung von Zeitsouveränität, die in dieser speziellen Form nur der Institution des Ruhestands zu eigen ist und innerhalb des nun folgenden Modells daher auch eine bedeutende Rolle spielt. [19]
3.2 Das Modell ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität
Die Anwendung des Kodierparadigmas mündete unter Berücksichtigung aller vorangegangenen Auswertungsschritte in das Modell ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Modell ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität [20]
Dabei bestätigte sich, dass Zeitsouveränität berechtigt im Zentrum des forschungsleitenden Interesses stand, denn wie soeben hergeleitet werden konnte, verkörpert sie die Antwort auf die Frage: "What is this all about?" (vgl. STRAUSS & CORBIN 1990, S.63) und entspricht demnach dem gesuchten Phänomen. Zeitsouveränität im Sinne der Fähigkeit, die eigene Zeit inner- und außerhalb bestehender Kooperationsbeziehungen mit dem sozialen Umfeld selbstbestimmt zu gestalten, konnte im Handeln aller Befragten beobachtet werden. Die Ausprägung besagten Phänomens unterlag dabei wiederum verschiedenen Kontextbedingungen, von denen der sozioökonomische Status, die beruflichen Vorbedingungen, die familiäre Situation sowie der Beziehungsstand sich im Verlauf der Analysen als wichtigste Kategorien erwiesen. Für den sozioökonomischen Status wurden das monatliche Nettohaushaltseinkommen, der höchste Bildungsabschluss sowie das frühere berufliche Tätigkeitsfeld erfasst. Die jeweilige Kombination dieser drei Faktoren erlaubt Rückschlüsse auf die Konsistenz oder Inkonsistenz des sozioökonomischen Status einer Person. Die Analysen des vorliegenden Samples zeigen, dass die Höhe des sozioökonomischen Status nicht nur bedeutend für arbeitssoziologische Konzeptualisierungen von Zeitsouveränität ist (OFFE & HEINZE 1990), sondern auch nach der Erwerbsentpflichtung in Zusammenhang mit den Formen ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität steht. Bei den beruflichen Vorbedingungen erwies sich insbesondere die Frage nach den Gründen sowie der Form und dem Zeitpunkt des Übergangs als relevant. Aus der Gesamtheit der analysierten Einzelfälle konnte die These abgeleitet werden, dass ein hoher sozioökonomischer Status in Kombination mit beruflichen Belastungserfahrungen positiv mit der Wertschätzung von Zeit im Alter korreliert. Die familiäre Situation ist vor allem dahin gehend von Bedeutung, als sich im Verlauf der Analysen deutlich zeigte, dass Kindern und Enkeln im sozialen Nahraum das größte Potenzial legitimer Einschränkung von Zeitsouveränität innerhalb des Ruhestandsalltags zukommt. Und schließlich ist der Beziehungsstand insbesondere im Hinblick auf die Varianz der Kooperationsbeziehungen (z.B. Paarvergesellschaftung) von Relevanz. Der Übergang in den Ruhestand und die damit einhergehende Erwerbsentpflichtung wurden innerhalb des Beziehungsgefüges als Ursache für die Notwendigkeit der Reorganisation der Alltagspraxis unter den Bedingungen eines zuvor bestehenden Zeitreichtums. Hierbei zeigte sich, dass der Grad an Selbstbestimmung über den Zeitpunkt des Übergangs entscheidenden Einfluss auf die emotionale Wahrnehmung dieser biografischen Zäsur hat. Denn jene Ruheständler_innen, die den Übergang weitestgehend unerwartet und fremdbestimmt erlebten, konstruierten diesen häufig als kritisches Lebensereignis: "[D]as war schon schlimm" (Frau Star). Konnte der Zeitpunkt des Ruhestandseintritts allerdings individuell mitbestimmt und damit stärker zeitsouverän beeinflusst werden, dann gelang in der Regel die Ausbildung einer positiven Erwartungshaltung gegenüber dem Übergang als Entlastung und Möglichkeitshorizont zunehmender zeitlicher Autonomie: "[E]ndlich ist diese, dieser Deckel oder dieser Druck weg und du kannst dir den Tag selber einteilen" (Frau Reiter). Demnach ergeben sich über die mehr oder weniger selbstbestimmte Art des Übergangs unterschiedliche "Startbedingungen" für die Entwicklung ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität. [21]
Vor dem Hintergrund soziodemografischer Kontextbedingungen für die jeweilige Ausprägung ruhestandspezifischer Zeitsouveränität und als Antwort auf die Frage: "Wie gehen die Akteure mit dem Phänomen um?" (vgl. STRÜBING 2008, S. 27) konnten insgesamt drei Strategien voneinander unterschieden werden. Diese führen in ihrer Konsequenz dann wiederum zu jeweils spezifischen Formen der Herstellung von Ruhestandsalltag und runden auf diesem Wege das Kodierparadigma ab. Als zentrales Ergebnis meiner Analysen werden im Folgenden die herausgearbeiteten drei Strategien differenziert dargestellt. Dazu wird jeweils beispielhaft illustrierend ein Fall aus dem Datenkorpus der prototypischen Veranschaulichung des jeweiligen Strategietypus dienen (vgl. KELLE & KLUGE 1999, S.94). Das bedeutet, es wird nicht um den Entwurf einer oder mehrerer Idealtypen gehen, sondern um eine Veranschaulichung der typischen Merkmale, die weiterhin ausreichend Raum für individuelle Besonderheiten offen lässt (vgl. KUCKARTZ 1988, S.223). [22]
3.3 Die Strategien im Umgang mit der Zeit
Das Fallbeispiel von Herrn Lange erwies sich als Prototyp der Strategie, die Zeit zu genießen. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Herr Lange 67 Jahre alt und wohnt mit seiner Frau in einem geräumigen Haus, in dem zusätzlich seine Tochter und zwei der insgesamt vier Enkelkinder leben. Er arbeitete als Arzt mit eigener Praxis. Im Alter von 60 Jahren ging Herr Lange in den vorgezogenen Ruhestand. [23]
Zunächst einmal stehen seine überdurchschnittliche sozioökonomische Situation sowie der vorverlegte und selbst gewählte Übergang in den Ruhestand paradigmatisch für alle Angehörigen dieser Strategie. Die Entscheidung, selbstbestimmt vor dem Regelrenteneintrittsalter in den Ruhestand zu gehen, ist eng an vorangegangene Belastungserfahrungen in einem verantwortungsvollen beruflichen Tätigkeitsfeld geknüpft sowie an subjektiv berichtete Veränderungen – "Also immer mehr Bürokratisierung, Vorschriften, Reglementierung" – und daraus resultierende Einschränkungen hinsichtlich der Zeitsouveränität innerhalb des Berufs. Die überdurchschnittliche sozioökonomische Situation sorgt dabei wiederum für die notwendige finanzielle Sicherheit, um den persönlichen Wunsch nach einer vorzeitigen Berufsaufgabe zu verwirklichen und die damit verbundenen Abschläge von der Altersversorgung zu billigen. Im Hinblick auf das erkennbare Beziehungsgefüge zwischen sozioökonomischem Status, Belastungserfahrungen und selbst gewähltem Berufsende kann davon ausgegangen werden, dass der Übergang in den Ruhestand bei den Angehörigen dieser Strategie grundsätzlich positiv konnotiert ist.
"Dass das ein Unterschied ist, dass ich [...] von mir aus sagen kann, ich möchte jetzt nicht mehr, ich höre auf. Und deswegen vermisse ich das eigentlich überhaupt nicht." [24]
Herr Lange ist sich seiner privilegierten Position im Unterschied zu anderen durchaus bewusst und reflektiert ebenjene Selbstbestimmung bei der Wahl des Zeitpunktes für die Berufsaufgabe als Voraussetzung für einen Ausstieg aus der Erwerbsarbeitsphase, der ohne schwerwiegende Verlustempfindungen gelingen kann. [25]
Vor dem Hintergrund der These, dass ein hoher sozioökonomischer Status in Kombination mit beruflichen Belastungserfahrungen positiv mit der Wertschätzung von Zeit im Alter korreliert, lässt sich der Kern der vorliegenden Strategie ausmachen. Der Genuss von Zeit umschreibt in diesem Typus das grundlegende Charakteristikum für den Umgang mit der Zeitsouveränität des Ruhestands. Indem Zeit nicht lediglich im weitesten Sinne unreflektiert als gegeben oder nicht gegeben existiert, sondern als eigenständige Komponente dem expliziten Genuss unterliegt, erhält sie eine besondere Wertschätzung durch das Subjekt, welches sich im Besitz von Zeit wähnt. Und vergleichbar mit einem guten Glas Wein ist die Fähigkeit zum Genuss einer bestimmten Ressource, ob nun Wein oder Zeit, in der Regel dadurch bedingt, dass ein Bewusstsein darüber existiert, dass die jeweilige Ressource nur in begrenztem Maße zur Verfügung steht. Die positive Korrelation von sozioökonomischem Status und Belastungserfahrungen mit der Wertigkeit von Zeit lässt sich darüber erklären, dass ein hoher sozioökonomischer Status tendenziell mit ausgedehnteren Arbeitszeiten einhergeht (vgl. OFFE & HEINZE 1990; SOPP & WAGNER 2012). Diese können zwar in der Regel in größerem Maße zeitsouverän angeordnet werden, aber die bei Herrn Lange so prototypische Schilderung beruflicher Belastungserfahrungen vor Beendigung der Erwerbstätigkeit verweist auf negativen Stress, der auch zeitlichen Druck und Souveränitätseinschränkungen beinhaltete:
"Ja, weil ich grad die letzten Jahre meiner Berufsausübung die waren für mich sehr anstrengend. Dass ich also dann mich darauf gefreut habe, endlich mal mehr Zeit zu haben." [26]
Das betroffene Subjekt verfügt im doppelten Sinn über Erfahrungen der Zeitnot. Denn ausgedehnte Arbeitszeiten bedingen zunehmende Zeitknappheit im Freizeitbereich, und berufliche Belastungserfahrungen verweisen unter anderem auf einen Mangel an zeitlichen Ressourcen zur Bewältigung der anfallenden Arbeiten. Vor diesem Hintergrund erscheint der Wunsch, "endlich mal mehr Zeit zu haben", geradezu paradigmatisch. [27]
Das für diese Strategie so typische, besonders wertschätzende Verhältnis zu Zeit kündigt sich bei Herrn Lange bereits in der Eingangssequenz des Interviews an. Ganz allgemein danach gefragt, was er mit dem Ruhestand verbinde, lautet seine kurze und deutliche Antwort:
"Mehr Zeit für sich selbst, für die Familie, für die Angehörigen. Ja, des, des ist eigentlich alles." [28]
Was sich hier direkt im ersten Satz andeutet, sind die persönlichen Erfahrungen in Bezug auf Zeitknappheit, denn der Vorgang, "mehr" von etwas zu assoziieren, verweist auf das Bewusstsein darüber, dass es von dem sinnhaft verknüpften Objekt – wie hier im Fall der "Zeit" – durchaus auch "weniger" geben kann. Indem Zeit "für" etwas oder jemanden vorhanden ist, deutet dies bereits auf seine Funktion als Konsumgut hin. Herr Lange ist in Besitz von mehr Zeit und kann diese im Sinne der Prioritäten, die aus seiner Aufzählung abzuleiten sind, konsumieren – und zwar zuallererst "für sich selbst", außerdem "für die Familie" und schließlich auch "für die Angehörigen". [29]
Die Zeit erhält bei Herrn Lange eine subjektive Wertigkeit, die aufgrund ausreichend vorhandener finanzieller Ressourcen den Wert des Geldes zu übersteigen vermag. Im Gegensatz zu Geld war die Zeit bisher immer knapp. Für den Übergang in den Ruhestand bedeutet das für die Angehörigen dieser Strategie, dass sie in einen Zustand neu gewonnenen "Zeitwohlstands" übergehen. Hinter diesem Begriff steckt die Idee, dass produktivitätsbefreite Zeiten seit der Industrialisierung eine zunehmend knappe und teure Ressource darstellen. Die Zeit wird zum Konsumgut und der Wunsch nach Zeitwohlstand zum Versuch, eine zuvor verloren gegangene Entität über den Umweg ökonomischer Institutionen wieder zurückzuerlangen (vgl. RINDERSPACHER 2002, S.87). Der Ruhestand kann aber – wie bereits angedeutet – nur für all jene in Zeitwohlstand münden, die zuvor individuell ausgeprägte Erfahrungen der Zeitknappheit gesammelt haben und zugleich im Rahmen der beruflichen Sozialisation ein Verständnis von der Bedeutung zeitlicher Souveränität und Selbstbestimmtheit entwickeln konnten. Denn das Konzept Zeitwohlstand benennt nicht den Zustand eines formal prall gefüllten Zeitkontos, sondern Zeitwohlstand durch Zeitzugewinn resultiert aus der Fähigkeit, vorrangig jene Zeitbindungen wahrzunehmen, die vom jeweiligen Individuum oder Kollektiv präferiert werden sowie die Vermeidung unerwünschter Zeitbindungen (S.89). Bei Herrn Lange wird diese Fähigkeit insbesondere daran deutlich, dass er Aufgaben, die ihm unangenehm erscheinen, aufschiebt oder gänzlich ablehnt. So ist es, wie er selbst zugibt, nicht der Mangel an Zeit, der ihn an der Renovierung seines Treppenhauses hindert, sondern die fehlende Lust dazu. Die mit dem Ruhestandseintritt einhergehende Entpflichtung ist dementsprechend von hoher Bedeutung innerhalb dieser Strategie. Und so zieht Herr Lange Zeitbindungen wie die Teilnahme an Sportkursen, Treffen mit Freund_innen oder auch Tagesreisen mit seiner Frau vor und umgibt sich auf diese Weise mit angenehmen Tätigkeitsarrangements, die er selbstbestimmt und im Modus der Freiwilligkeit anordnet. Anhand der genannten Aktivitäten wird allerdings noch einmal besonders deutlich, dass Zeitwohlstand nicht ohne ein gewisses Maß an ökonomischen Ressourcen verwirklicht oder, besser gesagt, genossen werden kann. Denn – dies wird sich in der folgenden Strategie zeigen – ohne Geld ist der Möglichkeitsraum zur Wahrnehmung der präferierten Zeitbindungen erheblich eingeschränkt. [30]
Das Fallbeispiel von Frau Star repräsentiert die Strategie des Zeitausfüllens. Frau Star ist zum Zeitpunkt des Interviews 69 Jahre alt. Sie ist verheiratet, hat eine Tochter und zwei Enkelkinder, die sie eher unregelmäßig trifft. Sie arbeitete viele Jahre als Erzieherin, machte dann noch eine Weiterbildung zur Sozialarbeiterin und war in diesem Beruf tätig, bis sie mit 60 Jahren gekündigt wurde und vorzeitig in Rente gehen musste. Da ihr Ehemann ebenfalls arbeitslos wurde, gibt sie an, sich in einer sehr angespannten finanziellen Lage zu befinden. [31]
Auch innerhalb dieser Strategie ist der sozioökonomische Status ein relevanter Faktor, denn typischerweise ist dieser vergleichsweise niedrig. Dies trifft auch auf Frau Star zu, deren sozioökonomischer Status zwar durch die Weiterbildung zur Sozialarbeiterin partiell inkonsistent erscheint, sich schließlich aber vor allem in der finanziell prekären Lage manifestiert. Neben dem Ausbildungsstand und der beruflichen Qualifikation tragen in der Regel auch die vorgezogene Ausgliederung aus dem Erwerbsarbeitsleben und die damit verbundenen Abschläge von der Altersrente zu den begrenzten finanziellen Ressourcen bei. Typisch ist zudem, dass die Beendigung der Berufstätigkeit fremdbestimmt und unfreiwillig erfolgt ist. Da die Person selbst noch nicht mit ihrer Berufstätigkeit abgeschlossen hat, kann ebendiese Unfreiwilligkeit eine stärker krisenhafte Übergangsphase initiieren als beispielsweise bei den Angehörigen der ersten Strategie. So erinnert sich Frau Star nur ungern an diese fremdbestimmte Zäsur zurück:
"Am Anfang war ich sehr unzufrieden. Mit mir. Das Gefühl, dass man letztlich eigentlich gar nicht mehr gebraucht wird, das war schon schlimm. Ich habe mir Beschäftigung gesucht." [32]
Hier zeigt sich das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung durch den Beruf. Und während zum Beispiel Herr Lange selbstständig zu dem Schluss kommen konnte, dass er seinen Beruf nicht mehr braucht, fehlt dieser Ablösungsprozess bei Frau Star: Der unfreiwillige Übergang generierte erschwerte Bedingungen beim Einstieg in die erwerbsentpflichtete sowie potenziell selbstbestimmte und zeitlich autonome Rentenphase. [33]
Die Kerncharakteristik, die diese Strategie ausmacht, ist die Beobachtung, dass Zeit im Alltag hier insofern bedeutsam ist, als es zur täglich wiederkehrenden Aufgabe wird, die vorhandene Zeit des Tages auszufüllen. Frau Stars Aussage, sie habe sich Beschäftigung gesucht, steht dabei paradigmatisch für die Aufgabe, die Leere des Tages nach der Erwerbsentpflichtung mit anderen Tätigkeiten auszufüllen. Eine logische Erklärung dafür bietet unter anderem die fehlende Ablösung von der Notwendigkeit beruflicher Tätigkeit infolge der unfreiwilligen Erwerbsausgliederung. Fremdbestimmt wird ein Loch im Alltag der betroffenen Person erzeugt, welches dann aber wiederum selbstbestimmt aufgefüllt werden muss. Zusätzlich erscheint es zur Begründung dieser Strategie hilfreich zu sein, vergleichend auf die theoretischen Erkenntnisse von OFFE und HEINZE(1990) zurückzugreifen. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass die hier zugehörigen Personen eher durch einen vergleichsweise niedrigen sozioökonomischen Status gekennzeichnet sind und innerhalb ihrer beruflichen Sozialisation eher mit geringen Handlungsspielräumen zur Ausbildung einer individuellen Fähigkeit zu zeitsouveränem Handeln konfrontiert waren. Infolge dessen existieren auch hier wieder andere Ausgangsbedingungen für den Einstieg in die Rentenphase als bei Personen mit ausgeprägten Erfahrungen im Hinblick auf zeitlich selbstbestimmtes Arrangieren beruflicher Tätigkeiten. Die Strategie, die Zeit des Tages ausfüllen zu müssen, markiert aus diesem Verständnis heraus die spezifische Art des Umgangs mit der neuen Situation der freien Verfügbarkeit über ein markant angewachsenes Volumen an Zeit. [34]
Doch wie lässt sich dieses Ausfüllen der Zeit nun genauer verstehen? Charakteristisch für diesen Strategietyp ist es, dass eine Reihe von Tätigkeiten gar nicht vordergründig über Interesse oder Sachzwänge begründet werden. Im Gegenteil, der Logik der busy ethic von David EKERDT (2009 [1986]) entsprechend kommt es gar nicht zwingend darauf an, dass die beschriebenen Aktivitäten und die Art ihrer Ausführung einen erkennbareren Sinn enthalten, der den des Ausfüllens freier Zeit zum Zwecke der Vermeidung von Langeweile zu übersteigen vermag. Im Fall von Frau Star dokumentiert sich diese Merkmalsdimension in Zusammenhang mit ihrem allgemeinen Bestreben nach Beschäftigung. So arbeitete sie beispielsweise drei Jahre lang als Bedarfsermittlerin für Werbezeitschriften und fuhr dazu in verschiedene Ortschaften, um Briefkästen zu zählen. Den Verdienst dafür beschreibt sie als so gering, dass sie es eigentlich nur tat, "um noch 'ne Beschäftigung, [...] zu haben". Weitere, ebenfalls ausschließlich autoproduktive Quellen des Zeitausfüllens sind bei ihr die Handarbeit, das Lesen oder auch der Garten. Sie ist froh, einen Garten zu besitzen, denn sind alle notwendigen Arbeiten wie die Pflege der Beete erledigt, dann wird sie im Sinne der hier vorliegenden Strategie aktiv und fertigt mithilfe aufwendiger Fotoskizzen und Papierschnipseln Collagen von der möglichen Umgestaltung des Gartens an oder bewacht das Wachstum der Pflanzen:
"[M]an geht abends durch die Beete und guckt und am nächsten früh guckt man wieder, als ob sich in der kurzen Zeit etwas hätte verändern können. Das ist dann halt so." [35]
Diese Aussage verdeutlicht sehr eindrücklich, dass Frau Star sich durchaus darüber bewusst ist, dass diese Art der Zeitverwendung nicht zwingend sinnhaft motiviert ist. Wobei insbesondere der letzte Satz darauf verweist, dass das Wissen darum jedoch nicht in die Konsequenz mündet, daran etwas ändern zu können oder wollen. [36]
Wie steht es innerhalb dieser Strategie um die Wertigkeit von Zeit? Merkmal der ersten Strategie war es, dass der Wert der Ressource Zeit zuweilen höher als der des Geldes konstruiert wurde. Im Gegensatz dazu erhält die Zeit in den Narrationen der Angehörigen der Strategie des Zeitausfüllens eine Wertigkeit, die deutlich unter jener des Geldes zu liegen scheint. Es bestätigt sich erneut die These der positiven Korrelation des sozioökonomischen Status mit dem Wert von Zeit. Die prototypisch eher prekäre sozioökonomische Situation geht mit begrenzten finanziellen Ressourcen einher. Demnach gibt es hier Erfahrungen der Geldknappheit, die dazu führen, dass die Fülle an frei verfügbarer Zeit des Tages im Modus der Selbstbestimmung auch dazu eingesetzt werden kann, die knappen Geldressourcen zu sparen. Dies zeigt sich bei Frau Star sehr eindrücklich am Beispiel des Weges zum Arzt: Sie wohnt in einer Plattenbausiedlung am Rande der Stadt. Um ihre Ärzte konsultieren zu können, muss sie ins Stadtzentrum, das mithilfe der Straßenbahn innerhalb von zehn Minuten erreicht werden kann. Frau Star zieht es jedoch vor, den Weg dorthin zu Fuß zurückzulegen:
"Und da lauf ich generell rein. Ich laufe rein, laufe raus. Ich lauf Dreiviertelstunde rein, Dreiviertelstunde raus. Dann spar ich mir dann das Fahren." [37]
Auf die Nachfrage der Interviewerin, warum sie das mache, deutet Frau Star an, bereits genug Geld für Fahrkarten ausgegeben zu haben und rechnet die Fahrtkosten einer Woche mit mehrfachen Arztterminen vor. Die zeitliche Autonomie des Ruhestandes generiert hier die Möglichkeit, das pralle Zeitkonto zu schröpfen, dafür aber die anfallenden Fahrtkosten zu sparen. Denn während das Geld nur sehr begrenzt zu Verfügung steht, ist die Ressource Zeit derart ausreichend vorhanden, dass sie mit Vorrang eingesetzt werden kann. Weiterhin reiht sich natürlich auch dieses Beispiel in die Strategie des Zeitausfüllens ein, da auf diesem Wege nicht nur Geld gespart und Bewegung erhalten wird, sondern ebenfalls mehr als viermal so viel Zeit für den Arztbesuch benötigt wird, als wenn sie die Straßenbahn nutzen würde. [38]
Im Hinblick auf die Kategorie der Entpflichtung erweist es sich als charakteristisch, dass in den Narrationen lediglich eine moderate Bedeutungszuweisung erfolgt. So wird die Entpflichtung durch den Ruhestandseintritt zwar thematisiert, ihr wird jedoch insgesamt kein hoher Stellenwert beigemessen. Als mögliche Erklärung könnte erneut die fremdbestimmte Ausgliederung aus dem Beruf fungieren, denn ohne berufliche Belastungserfahrungen und den selbstbestimmten Wunsch nach Verrentung bildet die Entpflichtung zwar einen positiven Nebeneffekt des Ruhestandes. Die Relevanz anderer – insbesondere für diesen Typus charakteristischer – Begleiterscheinungen wie die Suche nach Beschäftigung, die finanziellen Einbußen oder der Verlust der Anerkennung durch den Beruf ist hier jedoch höher einzustufen. [39]
Und auch die zeitliche Selbstbestimmung erfährt eine eher moderate Bedeutungszuweisung, die mit erneuten Einschränkungen durch die prekäre finanzielle Situation einhergeht. Denn grundsätzlich wird die Möglichkeit, selbstbestimmter über die Zeit des Ruhestandes verfügen zu können, wahrgenommen und positiv reflektiert, die fehlenden finanziellen Ressourcen bedingen jedoch eine Reduktion der Optionenvielfalt:
"Und noch schöner wäre es, wenn man dann dazu das nötige Geld hat, (lacht) um seine Wünsche auch zu verwirklichen. Das, was man im ganzen Leben, wo man keine Zeit hatte, das zu tun. Das ist dann oftmals im Missverhältnis." [40]
Aus diesem Verständnis heraus könnte die eingeschränkte Optionenvielfalt der Tätigkeitsarrangements im Ruhestand zusätzlich zur Begründung der empirisch beobachteten Strategie beitragen. Denn wenn das nötige Geld fehlt, um die gewünschten Tätigkeiten auszuüben, dann wird das Ausfüllen freier Zeit zur Strategie der Vermeidung potenziell drohender Langeweile. [41]
Das Investieren von Zeit ist die dritte Form des Umgangs mit dem Phänomen der ruhestandsspezifischen Zeitsouveränität und dokumentiert sich empirisch im Fallbeispiel von Frau Baden. Diese ist zum Zeitpunkt des Interviews 69 Jahre alt und seit einem Jahr verwitwet. Sie hat vier Kinder und zwei Enkelkinder. Frau Baden ist nach dem Tod ihres Mannes im gemeinsamen Eigenheim wohnen geblieben: Sie empfindet dies zwar als zu groß, möchte aber noch nicht ausziehen. Sie hat eine brüchige Berufsbiografie, arbeitete zuletzt als Altenpflegerin und ging mit 60 Jahren aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Rente. [42]
Zunächst einmal bildet der weitestgehend selbstbestimmte, aber durch externe Bedingungen angeregte Übergang in den Ruhestand ein typisches Merkmal der Strategie des Zeitinvestierens. Im Fall von Frau Baden bedeutet das, dass sie infolge einer Erkrankung am Herzen die Erfahrung geringerer Belastbarkeit machen musste. Hier liegt ein externer Stimulus vor, der nicht beeinflussbar ist. Allerdings ist die Möglichkeit gegeben, sich mit dem Gedanken der Berufsaufgabe auseinanderzusetzen und auf diesem Wege den Ablöseprozess von der Erwerbsarbeit zu initiieren, der bei den Angehörigen der Strategie des Zeitausfüllens fehlte. Demnach gestaltet sich die Zäsur des Übergangs in den Ruhestand im vorliegenden Fall tendenziell auch weniger krisenhaft. [43]
Zusätzlich zur Möglichkeit der prozessualen Ablösung vom Beruf erweist sich innerhalb dieser Strategie auch ein mindestens mittlerer sozioökonomischer Status als charakteristisch. Weiterhin verfügen die Zeitinvestierer_innen typischerweise über eine bewegte Berufsbiografie, die individuelle Erfahrungen mit der Notwendigkeit zeitsouveränen Arbeitshandelns beinhaltet. So machte Frau Baden ihre mittlere Reife, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete anschließend lange Zeit im elterlichen Unternehmen. Diesbezüglich berichtet sie über ausgeprägte Handlungsspielräume – "hatte völlig freie Hand, ich hab alles entschieden, was eben das Kaufmännische betraf"– mit der entsprechenden Möglichkeit zu zeitsouveränem Handeln. Im Alter von 40 Jahren wurde sie zum ersten Mal arbeitslos, da das Familienunternehmen insolvent wurde. Mit 46 Jahren arbeitete Frau Baden dann wieder stundenweise für ein Büro, und im Alter von 56 Jahren stellte sie sich selbst vor die Wahl:
"[J]etzt entweder jedes Kaffeekränzchen wahrnehmen oder ich mach noch 'ne Ausbildung." [44]
Die Entscheidung für Letzteres brachte ihr ein Examen als Altenpflegerin und eine anschließende Halbtagsanstellung auf der geriatrischen Station einer Klinik. Obiges Zitat steht paradigmatisch für das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung. Und auch die Berufswahl entspricht hier nicht dem Zufall, sondern folgt – abstrahiert auf die zu beschreibende Strategie zum Umgang mit Zeitsouveränität – dem Merkmal eines ausgeprägten Interesses an den sozialen Feldern der Gesellschaft. Für den Fall von Frau Baden bedeutet das, dass sie sich nach dem Auszug ihrer vier Kinder nicht lediglich mit altersstereotypischen Alltagstätigkeiten irgendwie die Zeit vertreiben, sondern ihre sozialen Kompetenzen weiterhin sinnvoll einbringen wollte. [45]
Vor diesem Hintergrund lässt sich schließlich auch der Kern der vorliegenden Strategie begründen. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass das frei verfügbare Zeitvolumen des Ruhestandes vor allem im Modus einer stetigen Investition der vorhandenen Zeit bewirtschaftet wird.8) Das bedeutet, es liegt bei den Angehörigen dieser Strategie zwar ein Bewusstsein darüber vor, dass ihnen im Ruhestand tendenziell mehr Zeit zur Verfügung steht, diese wird allerdings nicht vorrangig genossen oder unspezifisch ausgefüllt, sondern die Zeit des Tages wird selbstbestimmt genutzt und im Modus freiwilliger Selbstverpflichtung der sozialen Umwelt zur Verfügung gestellt sowie aktiv für Reproduktionsarbeiten aufgewendet. Auf diesem Wege setzt sich der biografisch hergeleitete Hang zum Sozialen im Ruhestand insofern fort, als die dazugewonnene Zeit nicht einfach von den Betroffenen "besessen" werden kann, sondern stetig anderweitig investierbar erscheint. Bei Frau Baden geht diese soziale Hingabe sogar soweit, dass sie das Gefühl hat, weniger Zeit zu haben als zu Erwerbszeiten:
"[W]eniger Zeit, weil man nun die Ausrede, ich habe keine Zeit, nicht mehr verwenden kann, ne, wenn man also im Beruf ist oder, dann hat man eben weniger Zeit. Also, und das ist die Schwierigkeit, die ich hab. Und [...] ja, und weil man eben immer sagen kann, ja, kann ich machen." [46]
Hier zeigt sich sehr deutlich die von ihr empfundene moralische Verpflichtung, objektiv vorhandene freie Zeit bei Nachfrage auch zur Verfügung zu stellen. Mit dem Ende der Erwerbstätigkeit fällt für sie die persönliche Legitimation weg, auch einmal keine Zeit zu haben. Es erfolgt eine Selbstbeschreibung als notorische Ja-Sagerin, die als prototypisch einzustufen ist. Anders als beispielsweise bei den Angehörigen der Strategie "Zeit genießen" findet hier keine explizite Ablehnung von Fremdverpflichtung statt, sondern vielmehr ein offenkundiges Eingestehen selbiger. [47]
Um den Kern der vorliegenden Strategie empirisch besser zu verdeutlichen, bietet sich ein Blick auf Frau Badens Ausführungen zur Pflege der Sozialkontakte an, der deutlich den maximalen Kontrast zu den Zeitgenießer_innen markiert. Denn während Herr Lange als Prototyp der Zeitgenießer_innen das Treffen mit Freund_innen den entspannenden Momenten seines Tages zuordnet, bedeutet die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte für Frau Baden Anstrengung:
"Man muss um, sich um seine sozialen Kontakte selber kümmern. [...] Das ist eigentlich der wichtigste Unterschied vom Beruf zum Ruhestand. Denn im Beruf hat man Kollegen. Man, man trifft Menschen. Und wenn man dann zu Hause ist, dann muss man sich drum kümmern. Denn die Leute rennen dir nicht das Haus ein, um dich zu unterhalten, du musst dich selber drum kümmern. [...] Und und, also ich hab einen großen Freundeskreis, ne. Und das ist natürlich, kostet schon Zeit. Aber das muss man machen. Das muss man machen." [48]
Der Übergang in den Ruhestand wird mit der anschließenden Notwendigkeit verknüpft, seine sozialen Netzwerke im Modus freiwilliger Selbstverpflichtung zu bewirtschaften. Es wird ein deutlicher Wandel im Hinblick auf den dafür benötigten Zeitaufwand konstruiert. Denn während die regelmäßigen Sozialkontakte einen selbstverständlichen Nebeneffekt kollegialer Berufstätigkeit markieren, wird es im Ruhestand zur eigenverantwortlichen Aufgabe der Person, die sozialen Netzwerke unter erhöhtem Einsatz von Zeit zu pflegen. Im Hinblick auf ihre Wertigkeit avanciert die Ressource Zeit damit zu einem kostbaren Investitionsmittel zum Erhalt der persönlichen Teilhabe an der Gemeinschaft. [49]
Der Wille zur Teilhabe begründet demnach die Bereitschaft zur Hingabe und führt in der Konsequenz dazu, dass die Aneinanderreihung von Tätigkeitsarrangements teilweise zum Selbstläufer wird, der Kalender stets gefüllt ist und es eben auch zu den bereits erwähnten subjektiven Überforderungsmomenten kommen kann:
"Also mein Kalender ist voller Termine. Das ist wirklich, jeden Tag, und wenn dann mal keiner ist, dann freu ich mich." [50]
Innerhalb der Strategie des Zeitinvestierens wird dabei nicht unterschieden, ob die Zeit in heteroproduktive, reproduktive oder aber unstrukturiert autoproduktive Tätigkeiten investiert wird. Nahezu jegliche Form des Tätigseins bedarf hier der bewussten Aufwendung von Zeit. So ist im Fall von Frau Baden auch zu beobachten, dass Ruhe oder Pausen nicht ohne Weiteres in den Alltag eingebaut werden können, sondern dass es ihrerseits einer expliziten Aufforderung dazu bedarf:
"Jetzt legst dich erst hin, Beine hoch und lesen. Dann hab ich ge-/ so was mach ich jetzt ganz bewusst. Das hab ich früher mir zeitlich nicht leisten können." [51]
Die Bezeichnungspraxis des "zeitlich nicht leisten können" verweist erneut auf die Funktion der Zeit als Investitionsmittel. Zeit wird hier nicht konsumiert, sondern bewusst eingesetzt, um sich subjektiv wertvolle Tätigkeiten wie die tägliche Mittagspause erfüllen oder besser gesagt "leisten" zu können. [52]
Nachdem bereits verschiedene Beispiele für das Vorhandensein sowohl selbst- als auch fremdverpflichteter Begründungsmuster des Handelns gegeben wurden, liegt es nahe, dass der Merkmalsdimension der Entpflichtung typischerweise eine eher moderate Bedeutung beigemessen wird. Das heißt nicht, dass die positiven Auswirkungen der Erwerbsentpflichtung nicht wahrgenommen werden:
"Also dieses ((schlägt auf den Tisch)) enge Korsett ist nicht mehr da. Das ist schön." [53]
Die Metapher des Korsetts – hier durch den Schlag auf den Tisch mit besonderem Nachdruck eingesetzt – steht für einen Alltag, der stets in feste Formen gepresst war. Diese fallen mit der Verrentung weg und lassen mehr Luft und Raum zum Atmen. Allerdings fällt das Korsett nicht vollkommen weg, es scheint lediglich gelockert und lässt auf diese Weise auch einmal Platz, um ungeliebte Tätigkeiten getreu dem Motto "Was ich heut nicht mach, mach ich morgen" aufzuschieben. Über normative Begründungsmuster wird stets dafür gesorgt, dass das Korsett nicht zu locker wird und die zeitliche Gestaltung des Tages nicht aus ihren Fugen gerät:
"W-Wenn man nicht mehr den Zwang dieser Berufstätigkeit hat und dieses enge Korsett, dann muss man für andere da sein." [54]
Für andere da sein, das bedeutet bei Frau Baden vor allem auch, bei der Enkelbetreuung mitzuhelfen. Dabei stellt sie eigene Wünsche zurück, da die Enkelbetreuung nun einmal die Aufgabe einer Großmutter sei und damit "eindeutig vorgehe". Auch hier verweist die Bezeichnungspraxis auf den Kern der vorliegenden Strategie. Denn während der Zeitgenießer, Herr Lange, über die gemeinsam verbrachte Zeit mit den Enkeln berichtet, spricht die Zeitinvestiererin, Frau Baden, davon, dass "die Arbeit mit den Enkelkindern" momentan ihre wichtigste Aufgabe darstelle. Was sich bereits über die Art des Umgangs mit der frei verfügbaren Zeit des Tages angedeutet hat, wird an diesem Beispiel nun besonders eindeutig. Denn abschließend erweist es sich bei der vorliegenden Strategie als charakteristisch, dass die Investition von Zeit eine Fortsetzung des Zeitmanagements aus der Erwerbsarbeitsphase darstellt. So gilt es auch im Ruhestand, die Zeit ganz bewusst und weitestgehend produktiv zu bewirtschaften, denn Teilhabe kostet Zeit, aber ebendiese lohnt es sich zu investieren.
|
Zeit genießen |
Zeit ausfüllen |
Zeit investieren |
Subjektives Zeitvolumen des Tages |
mehr Zeit besitzen |
mehr Zeit, die es irgendwie zu füllen gilt |
fortwährend wenig Zeit, da weiterhin aktive Bewirtschaftung von Zeit |
Wertigkeit von Zeit |
hohe Wertigkeit, die zu bewusstem Genuss der kostbaren Zeit verwendet wird |
geringerer Wert als Geld |
Zeit als Investitionsmittel, nur wertvoll, wenn bewusst genutzt |
Aktivitäten |
können genossen werden |
dienen der Beschäftigung |
kosten Zeit |
Bedeutung zeitlicher Selbstbestimmung |
wichtig für entspannte Gestaltung des Tages |
wichtig für den Wegfall von Alltagsstress |
wichtig für Planung der Tätigkeiten |
Entpflichtung durch Renteneintritt |
stark kommuniziert |
eher marginal Kommuniziert |
kommuniziert, aber mit Einschränkungen |
Tabelle 1: Zusammenfassung der Strategiecharakteristika [55]
Die vorgestellten Typen verweisen auf eine deutliche Heterogenität hinsichtlich der subjektiven Praktiken im Umgang mit dem Zugewinn an Zeit (-souveränität) im Ruhestand. Unter Einfluss verschiedenster sozioökonomischer sowie (erwerbs-) biografischer Kontextbedingungen bilden die Individuen spezifische Formen des Zeithandelns aus, innerhalb derer sie entweder dazu neigen, nach dem Ruhestandseintritt die Zeit zu genießen, die Zeit auszufüllen oder aber ihre Zeit zu investieren. [56]
Wirft man – mit diesen Ergebnissen im Hinterkopf – nun noch einmal einen Blick auf die zurückliegenden Studien, dann fällt auf, dass die herausgearbeiteten Strategien im Umgang mit ruhestandsspezifischer Zeitsouveränität durchaus anknüpfbar an die von Martin KOHLI (1986) und Jürgen WOLF (1988) konstatierten Zeitperspektiven beim Übergang in den Ruhestand erscheinen. Kernergebnis der Studie aus den 1980er Jahren war es ja, dass je nach Stellung und Sicherheit im Betrieb die Zeit mit Blick auf die Zukunft innerhalb des unmittelbar bevorstehenden Ruhestands entweder als Ressource, als Aufgabe oder aber als Dauer gedeutet wurde. Das bedeutet, dass Personen mit beruflichen Aufstiegserfahrungen die Zeit typischerweise als Ressource zur Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten verstanden. Demgegenüber hatten es sich die Individuen, die vermehrt in stabilen, mittleren Stellungen arbeiteten, zukunftsperspektivisch zur aktiven Aufgabe gemacht, die erreichte Position langfristig zu sichern und übertrugen diese Sicht auch auf die erwerbsentpflichtete Lebensphase. Und schließlich waren es diejenigen Arbeitnehmer_innen mit prekärer beruflicher Stabilität, die sich berufsbiografisch angewöhnt hatten, die Zukunft (in einem Berufsfeld) als zeitlich nur von kurzer Dauer zu betrachten (vgl. WOLF 1988, S.208). Unmittelbar daran anknüpfend kann man sich nun die Frage stellen, wie es innerhalb dieser unterschiedlichen Perspektiven auf die Zeit im Ruhestand nun aber um den Umgang mit selbiger steht. Die vergleichende Analyse der jeweiligen Merkmalsdimensionen verweist darauf, dass sich innerhalb der Strategie, die Zeit zu genießen, am deutlichsten ein Verständnis von der Zeit als (wertvoller) Ressource wiederfindet. Weiterhin kann angenommen werden, dass es typischerweise ebenjene Personen mit der aufgabenorientierten Sicht auf die Zukunft sind, bei denen die Zeit auch über den Ruhestandseintritt hinaus beständig aktiv in verschiedene Erwerbsarbeitssubstitute investiert wird. Denn nur so kann es gelingen, dem berufsbiografisch angeeigneten Stabilitätsstreben zumindest auf der subjektiven Ebene der Zeitstrukturierung weiterhin gerecht zu werden. Und schließlich zeigt sich, dass die perspektivische Wahrnehmung der Zeit als Dauer am stärksten innerhalb der Strategie, die Zeit auszufüllen, erkennbar wird. Zwar wird die Zeit dahin gehend zur Ressource, als sie mitunter als Ausgleich fehlenden ökonomischen Kapitals zum Einsatz kommt. Dennoch überwiegt die Grundtendenz, die Zeit Tag für Tag insbesondere über kurzweilige Tätigkeiten zu füllen, ohne dabei längerfristige Perspektiven auszubilden – "Das ist dann eben so" (Frau Star). [57]
Abgesehen von der Vertiefung bzw. Weiterentwicklung des vorliegenden Wissensstandes leistet die vorliegende Arbeit zudem einen Beitrag zu den aktuellen Debatten zur alternden Gesellschaft. Denn sie verweist einmal mehr – und das aus neuer, weil auf Zeit fokussierter Perspektive – auf die Heterogenität der Bevölkerungsgruppe der Älteren (vgl. auch ANER 2007; PICHLER 2009; GRAEFE 2013; VAN DYK 2007). Diesbezüglich bestätigt sich auch der eingangs formulierte Zweifel daran, Ruheständler_innen pauschal als "Zeitmillionär_innen" zu bezeichnen. Zeigen doch die verschiedenen Strategien sehr eindrücklich, dass diese Beschreibung, wenn überhaupt, dann nur auf jenen vornehmlich sozioökonomisch privilegierten Teil der Älteren zutrifft, die nach dem selbstbestimmten Ausstieg aus dem Erwerbsleben dazu übergehen, ihren neu erlangten "Zeitwohlstand" zu genießen. Die anderen neigen entweder dazu, die Zeit weiterhin aktiv in eine möglichst langfristig selbstbestimmte Zukunft zu investieren und dadurch nach wie vor eher zu wenig denn zu viel Zeit für Ehrenämter oder andere Formen bürgerschaftlichen Engagements zu haben, oder aber die Zeit wird gar nicht als ökonomische und zu Reichtum kumulierbare Entität begriffen und stattdessen ist man damit beschäftigt, die gegebenen Stunden für die Dauer der verbleibenden (Lebens-) Zeit von Tag zu Tag neu auszufüllen. Und während letztere Strategie auf einen gewissen, biografisch bedingten Kompetenzmangel hinsichtlich des selbstbestimmten Zeithandelns hindeutet, sind es insbesondere die vermeintlich kompetentesten Zeitstrateg_innen, die sich über den bewussten Genuss der eigenen Zeit den sozialpolitischen Forderungen, die Zeit der Älteren stärker zum Potenzial für die Gesellschaft zu machen (BMFSFJ 2006; MENNING 2005), wiedersetzen. Denn es erfolgt die aktive Konstruktion eines Ruhestandsalltages, der gesellschaftliche Produktivitätsanrufungen weitestgehend zu ignorieren vermag und stattdessen die ehemals wohlfahrtsstaatlich legitimierte Souveränität des "verdienten Ruhestandes" zelebriert. Die Erfüllung der Forderung nach gesellschaftlich-produktivem Altern lässt sich im Kern nur bei den Zeitinvestierer_innen entdecken und entspricht demnach nur einer Minderheit, die ihre Zeit nicht aus Gründen des persönlichen Überflusses der Gemeinschaft zur Verfügung stellen würden, sondern weil sie es schon immer so getan haben. Die vertiefende Untersuchung der Bedeutung berufsbiografischer Erfahrungen für die Ausbildung spezifischer (Zeit-) Kompetenzen entspricht daher einem bedeutenden Anknüpfungspunkt für zukünftige Forschungen zum Bereich "Alter(n) und Zeit". Es bedarf beispielsweise noch viel genauerer Untersuchungen dazu, welche Bedeutung Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder die zunehmende Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse für individuelle Zeitstile oder Zeitkompetenzen und damit auch für die spätere Gestaltung des Ruhestands haben. Zudem bildet auch die Ausweitung der Untersuchungsgruppe auf Personen im hohen Alter einen vielversprechenden Anknüpfungspunkt für die Zukunft, der durch den aktuellen Fokus auf die "jungen Alten" noch zu wenig Berücksichtigung findet. Und nicht zuletzt bietet die Analyse des insbesondere für die Altersphase so spannend erscheinenden Zusammenhangs von Alltags- und Lebenszeit einen lohnenswerten Ansatz, um den bis dato vor allem alltagszeitlichen Fokus zu erweitern und eine ganzheitlichere Forschungsperspektive auf die Zeit im Alter zu entwickeln. [58]
Diesem Beitrag liegt eine empirische Untersuchung im Rahmen einer Qualifikationsarbeit an der Universität Jena zugrunde, die durch Silke VAN DYK und Stephan LESSENICH ausdrücklich unterstützt und intensiv begleitet wurde. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken!
1) Innerhalb der unterschiedlichen Theorieströmungen der GTM habe ich mich hauptsächlich an der pragmatisch-interaktionistischen Traditionslinie von STRAUSS orientiert, da diese als besonders geeignet für die Untersuchung interaktiver Zeitgestaltung erschien. <zurück>
2) Auch in der Originalstudie wurde empirisch im Sinne des theoretical sampling der GTM gearbeitet und es entstand ein zirkulärer Forschungsprozess, in dem Sampling, Erhebung (leitfadengestützter Interviews) und Auswertung eng miteinander verschränkt wurden. Nähere Informationen zur Originalstudie sowie deren (vorläufige) Ergebnisse können in der Publikation "Leben im Ruhestand" (DENNINGER, VAN DYK, LESSENICH & RICHTER 2014) eingesehen werden. <zurück>
3) Die Projektleiter_innen der Originalstudie, Silke VAN DYK und Stephan LESSENICH, gewährten mir für den Zweck der Sekundäranalyse freundlicherweise uneingeschränkten Zugriff auf das vorhandene Interviewmaterial. <zurück>
4) Bei den angegebenen Namen der Interviewpartnerinnen und -partner (Frau Baden, Herr Carstens, Herr Fluss, Herr Lange, Frau Reiter, Frau Star) handelt es sich um Pseudonyme. <zurück>
5) Der Rückgriff auf die Methode des ständigen Vergleichens lässt Anleihen aus der Traditionslinie von GLASER vermuten, da dieser das Verfahren der constant comparative method erstmals beschrieb. Allerdings knüpft dieses Prinzip auch implizit an das von Everett C. Hughes verwendete Verfahren der Kontrastierung divergierender Daten an (STRÜBING 2008, S.18), weswegen die Verwendung der Methode des ständigen Vergleichens hier nicht als Widerspruch oder zu starke Abweichung von der primären Orientierung an der GTM nach STRAUSS verstanden wird. <zurück>
6) Der Aktivitätsgrad der Interviewten wurde in der Originalstudie mit erhoben und unter Berücksichtigung sämtlicher heteroproduktiver Aktivitäten (Erwerbsarbeit, ehrenamtliches Engagement, Nachbarschaftshilfe, Pflege und Enkel- bzw. Kinderbetreuung) sowie aller autoproduktiven Tätigkeiten (z.B. aktive Mitgliedschaft im Kegelverein, Besuch eines Sprachkurses, Wandern mit der Wandergruppe, Besuch eines Fitnessstudios, Kurz- und Fernreisen), die außerhalb des eigenen Hauses stattfinden, eingeschätzt (vgl. DENNINGER et al. 2014, S.214). <zurück>
7) Der Begriff der sozioökonomischen Statusinkonsistenz bezieht sich auf die Abweichung einzelner Statusindikatoren (z.B. Bildung, Einkommen, Berufsprestige) vom mittleren Gesamtstatus einer Person (vgl. LENSKI 1954). <zurück>
8) Die innerhalb dieser Strategie vergleichsweise ökonomische Begriffswahl zur Typisierung des hier verstärkt sozial orientierten Zeithandelns mag zunächst vielleicht widersprüchlich erscheinen. Die Kategorien wurden allerdings aus den subjektiven Deutungen der Subjekte entwickelt, die sich in ihren Narrationen selbst ökonomischen Vokabulars (z.B. Zeit kosten, sich Mittagsschlaf leisten etc.) bedienten und ebenjenes gerade im Zusammenspiel mit dem vermeintlich sozialen Fokus zu einem spezifischen Charakteristikum der vorliegenden Strategie machten. <zurück>
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Kontakt:
Anne Münch, M.A.
Universität Jena
Institut für Soziologie
Carl-Zeiß-Str.2
D-07743 Jena
Tel.: +49 (0)3641-945578
E-Mail: anne.muench@uni-jena.de
URL: http://www.soziologie.uni-jena.de/AnneMuench.html
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