Volume 16, No. 3, Art. 9 – September 2015
Praktikanz als Zieldimension anwendungsorientierter Forschung
Hans J. Pongratz & Thomas Birken
Zusammenfassung: Anwendungsorientierte Forschung sieht sich mit der doppelten Herausforderung konfrontiert, dass Innovationen nicht nur entwickelt, sondern auch implementiert, also erfolgreich zur Anwendung gebracht werden sollen. Die Technikakzeptanzforschung und beteiligungsorientierten Ansätze konzentrieren sich in diesem Zusammenhang primär auf Aspekte der Akzeptanz durch die Anwender_innen, der Bedienungsfreundlichkeit der Systeme und der Innovationsförderlichkeit der organisatorischen Rahmenbedingungen.
Auf der Basis von Erfahrungen in einem Projekt zur Entwicklung digitaler Lern- und Wissenssysteme schlagen wir mit "Praktikanz" eine ergänzende Zieldimension vor, mit der die Anschlussfähigkeit der Innovation an die in ihrem Anwendungsfeld etablierten Routinen und Praxen bezeichnet werden soll. Mit dieser Perspektivenerweiterung ist gleichzeitig das Plädoyer verbunden, die unmittelbare Nutzungspraxis in der anwendungsorientierten Forschung noch stärker in den Fokus zu rücken und diese als eigentliche Arena der Bewährung für innovative Verfahren, Anwendungen und Produkte zu begreifen.
Keywords: anwendungsorientierte Forschung; Technikakzeptanzmodell; Beteiligungsorientierung; betriebliche Innovation; Lern- und Wissenssystem; Implementation; Praxistheorie; Performanzstörung; Praktikanz
Inhaltsverzeichnis
1. Das Praxisproblem anwendungsorientierter Forschung
2. Zieldimensionen im Innovationsprozess: ein Erweiterungsvorschlag
2.1 Akzeptanz und Bedienungsfreundlichkeit: der Fokus der Technikakzeptanzforschung
2.2 Akzeptanz und Innovationsförderlichkeit: der Fokus beteiligungsorientierter Ansätze
2.3 Vorschlag für eine Perspektivenerweiterung
3. Innovation als Performanzstörung
3.1 Grundlagen der soziologischen Praxistheorie
3.2 Eingespielte Routinen und die Zumutung des Neuen
3.3 Praktikanz: ein Analyseraster
4. Praktikanz in der Forschungspraxis
1. Das Praxisproblem anwendungsorientierter Forschung
In der anwendungsorientierten Forschung sollen innovative Konzepte und Verfahren nicht nur entwickelt, sondern für die praktische Anwendung verfügbar gemacht und in den Nutzungskontext implementiert werden. Diese Herausforderung ist umso größer, je komplexer und entsprechend je schwerer kalkulierbar diese Kontextbedingungen sind. Besondere Schwierigkeiten wirft die Einbettung von Innovationen in die sozialen Kontexte einer Anwendungspraxis auf. Denn diese umfassen eine Vielzahl von Akteur_innen mit unterschiedlichen Interessen, welche wiederum in vielfältigen Beziehungen zueinander stehen. Zudem kann sich der soziale Kontext gerade in Auseinandersetzung mit einer Innovation – und vor allem im Prozess der Implementation – weiter verändern. Diese Problematik ist in den letzten Jahrzehnten insbesondere bei Maßnahmen zur Restrukturierung von Organisationen beobachtet und in der Literatur zum Change Management diskutiert worden (siehe z.B. BECKE & SENGHAAS-KNOBLOCH 2011; DEMERS 2007; PONGRATZ 2009). [1]
Auch im Bereich informations- und kommunikationstechnologischer Innovationen wurden Implementationsfragen schon früh diskutiert (vgl. MÜLLER & SENGHAAS-KNOBLOCH 1993; WELTZ & LULLIES 1983). In der Folge haben sich in diesem Feld unterschiedliche Lösungsansätze herausgebildet. Von besonderer Bedeutung waren das Technikakzeptanzmodell aus der Information- Systems-Forschung und beteiligungsorientierte Modelle (in Deutschland vor allem aus der Arbeits- und Industriesoziologie) (siehe Abschnitt 2). Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass sie die Erfahrungen und Perspektiven der betroffenen Anwender_innen (-gruppen) ins Zentrum rücken und so deren Akzeptanz für die Innovation sicherzustellen versuchen. [2]
Trotz ihres Anwendungsbezuges scheint uns in den herkömmlichen Modellen die alltagspraktische Dimension der Implementation von Innovationen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt zu sein. Zu dieser Annahme veranlassen uns die Erfahrungen in einem Projekt zur Entwicklung und Erprobung digitaler Lern- und Wissenssysteme (BIRKEN & PONGRATZ 2015; PONGRATZ, ROGALLA & SCHÜTT 2015; ROGALLA, SCHÜTT & PONGRATZ 2013).1) Für einige der Herausforderungen und Schwierigkeiten, die ihren Ursprung bei genauerem Hinsehen in routinierten Verfahrensweisen und eingespielten Abläufen hatten, boten uns die etablierten Zieldimensionen der Akzeptanz, der Bedienungsfreundlichkeit (usability) und der Innovationsförderlichkeit der organisatorischen Rahmenbedingungen keine adäquate Analyse- und Gestaltungsstrategie. [3]
Wir halten es daher für erforderlich, der konkreten Anwendungspraxis mit ihren Routinen und ihrer spezifischen Materialität und Zeitlichkeit in der anwendungsorientierten Forschung einen systematischen Stellenwert als eigenständige Gestaltungsebene einzuräumen (Abschnitt 3). Mit dem Begriff der "Praktikanz" schlagen wir im Folgenden eine zusätzliche Zieldimension vor, welche auf die Anschlussfähigkeit innovativer Verfahren an die im Anwendungsfeld vorgefundene Handlungspraxis ausgerichtet ist. Der Anspruch auf Praktikanz ist dabei nicht als Alternative, sondern als Erweiterung und Ergänzung des bestehenden Zielspektrums anwendungsorientierter Forschung zu verstehen. [4]
Den konzeptionellen Rahmen für diesen Vorschlag bilden Annahmen der soziologischen Praxistheorie, in der das konkrete Vollzugsgeschehen sozialer Praktiken als "emergente Ebene des Sozialen" (RECKWITZ 2003, S.289) gefasst wird (Abschnitt 3.1). Diese Theorie betont, dass die Ausformungen und Wirkungsweisen der Praktiken nicht allein aus den Interessen und Absichten der Akteur_innen erklärbar sind – und ermöglicht es so, die Praxis nicht nur vermittelt über die subjektiven Deutungen der Beteiligten zum Gegenstand der Analyse zu machen. Innovationen lassen sich in dieser Sichtweise als Performanzstörungen interpretieren: Unabhängig von der Aufgeschlossenheit der Anwender_innen beeinträchtigen sie den Vollzug der eingespielten Abläufe und können unerwartete Irritationen und tiefgreifende Verunsicherungen auslösen (Abschnitt 3.2). Mit diesen Überlegungen versuchen wir in erster Linie, eine theoretische Begründung für den Vorschlag der Praktikanz als eigenständiger Zieldimension anwendungsorientierter Forschung zu geben und diese durch exemplarische Belege aus unserem eigenen Projekt zu veranschaulichen (Abschnitt 3.3). In der Folge wären auch methodische Anpassungen und Ergänzungen erforderlich, deren Voraussetzungen und Leitlinien wir abschließend (in Abschnitt 4) kurz skizzieren. [5]
2. Zieldimensionen im Innovationsprozess: ein Erweiterungsvorschlag
2.1 Akzeptanz und Bedienungsfreundlichkeit: der Fokus der Technikakzeptanzforschung
Es dürfte in den vergangenen Jahrzehnten kaum einen gesellschaftlichen Bereich mit vergleichbarer innovativer Dynamik wie das Feld der Informatisierung von Arbeit (vgl. BOES, KÄMPF, LANGES & LÜHR 2014; PFEIFFER 2004) gegeben haben. Vor diesem Hintergrund hat sich die Information-Systems-Forschung schon in den 1980er Jahren systematisch mit der Frage nach den Bedingungen für die erfolgreiche Implementation von IT-Innovationen in betrieblichen Kontexten beschäftigt. Innerhalb dieser Forschungstradition haben sich wiederum das Technology Acceptance Model (TAM) nach DAVIS (1989) und die darauf basierenden Erweiterungen zum vorherrschenden Bezugskonzept entwickelt (vgl. BAGOZZI 2007; WU 2012). In deren Fokus stehen die subjektiven Bewertungen innovativer Technologien durch ihre potenziellen Anwender_innen. Es wird angenommen, dass der von diesen wahrgenommene Nutzen (perceived usefulness) und die wahrgenommene Bedienungsfreundlichkeit der Systeme (perceived ease of use) maßgeblich bestimmen, inwieweit eine Innovation in der Praxis auch tatsächlich genutzt wird. [6]
Methodisch geht die Analyse der Anwender_innenperspektive in der Technikakzeptanzforschung mit einer Fokussierung auf die als unmittelbar zugänglich verstandenen Einstellungen und Bewertungen der Nutzer_innen einher. Als Datengrundlage dienen in der Regel standardisierte Befragungen von Beschäftigten, die im Zuge von Innovationsprozessen in Unternehmen durchgeführt werden. Dabei wird im ursprünglichen Modell einerseits danach gefragt, ob sich die Beschäftigten aus der Nutzung eines Systems Vorteile für die Bewältigung ihrer Arbeitsanforderung versprechen, und andererseits, ob das System als bedienungsfreundlich eingeschätzt wird. DAVIS konnte einen Zusammenhang beider Dimensionen mit der faktischen Verwendung neuer Software-Programme nachweisen. In späteren, ausdifferenzierteren Technikakzeptanzmodellen (vgl. z.B. VENKATESH & BALA 2008; VENKATESH & DAVIS 2000) werden neben den Einstellungen der Anwender_innen eine ganze Reihe an zusätzlichen Variablen abgefragt, für die jeweils angenommen wird, dass sie sich unmittelbar oder vermittelt auf die Wahrnehmung von Nützlichkeit und Bedienungsfreundlichkeit auswirken. Diese Variablen betreffen sowohl die Selbsteinschätzung der Nutzer_innen im Hinblick auf persönliche Eigenschaften (z.B. computer anxiety) als auch ausgewählte Kontextfaktoren (z.B. die empfundene Freiwilligkeit der Verwendung). Allerdings bleibt der zentrale methodische Zugriffspunkt immer die Befragung der Nutzer_innen zu ihren subjektiven Einschätzungen.2) [7]
Im Hinblick auf ihren Einsatz in Forschungs- und Entwicklungsprojekten liegt eine zentrale Schwäche der TAM-Methodik darin begründet, dass weder die Anwendungspraxis noch deren betrieblicher Kontext unmittelbar zum Objekt der Datenerhebung gemacht werden. Man kann über die verwendeten Fragebatterien zwar ex post ermitteln, ob eine Innovation den Anwender_innen als nützlich und bedienungsfreundlich erscheint. Warum sie zu diesem Urteil gelangen, erfährt man auf diese Weise hingegen nicht (vgl. BENBASAT & BARKI 2007). Ebenso wenig lässt sich ermitteln, ob spezifische organisationale oder soziale Rahmenbedingungen existieren, die der Implementation einer bestimmten Technologie im Wege stehen. [8]
2.2 Akzeptanz und Innovationsförderlichkeit: der Fokus beteiligungsorientierter Ansätze
In Deutschland ist das Technikakzeptanzmodell vorwiegend in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik aufgegriffen worden. In den Sozialwissenschaften wurde hingegen ein alternativer Zugang entwickelt, der seinen Ursprung vor allem in der Arbeits- und Industriesoziologie hatte (seit Mitte der 1970er Jahre im Zusammenhang mit dem Förderprogramm der Bundesregierung zur "Humanisierung des Arbeitslebens"). Dabei wurde zum einen der Implementationsprozess selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht, zum anderen wurde gezielt versucht, die potenziellen Anwender_innen über eine qualitative Methodik direkt am Forschungs- und Gestaltungsprozess zu beteiligen (vgl. als frühe Ansätze FLOYD, REYSIN & SCHMIDT 1989 und MÜLLER & SENGHAAS-KNOBLOCH 1993).3) So hat beispielsweise WELTZ (2011, S.215ff.) mit der Sozialwissenschaftlichen Projektgruppe seit Beginn der 1980er Jahre die Einführung von Informationstechnologien in Büros und Verwaltungen mit dem Verfahren der "beobachtenden Teilnahme" begleitet. Dieses methodische Vorgehen erfordert vom Forschungsteam die "aktive Mitwirkung an betrieblichen Gestaltungsprozessen", um frühzeitig die "sich abzeichnenden Problemlagen und neuen Schwerpunkte betrieblicher Aktivitäten" zu erkennen. [9]
Vor allem im Rahmen arbeits- und industriesoziologischer Fallstudienforschung sind solche beteiligungsorientierten Konzepte in vielfältiger Weise angewendet und weiterentwickelt worden (siehe PONGRATZ & TRINCZEK 2010). Methodische Orientierung dafür bot insbesondere die Anknüpfung an die in der skandinavischen Sozialforschung gepflegten Ansätze der Aktionsforschung mit dem expliziten Anspruch der aktiven Beteiligung der Anwender_innen: So spricht FRICKE (2010) den betroffenen Beschäftigten "innovatorische Qualifikationen" (S.263) zu, die mit einem breiten Spektrum qualitativer Forschungsmethoden aktiviert und für die Mitwirkung an der Implementation erschlossen werden können. In der Erforschung der "betrieblichen Lebenswelt" (VOLMERG, SENGHAAS-KNOBLOCH & LEITHÄUSER 1986) haben sozialpsychologische Arbeitsforscher_innen in Bremen ein innovatives Methodeninstrumentarium entwickelt, das auf die Bildung "betrieblicher Dialogräume" abzielt (BECKE & SENGHAAS-KNOBLOCH 2011). In neueren Ansätzen wird gezielt die Verbindung von Instrumenten der agilen Software-Entwicklung mit beteiligungsorientierten Konzepten gesucht, etwa im Sinne von Work Based Usability (PFEIFFER 2009) oder in Verbindung mit einer Scrum-Methodik (EICKMANN 2009).4) [10]
Die beteiligungsorientierte Forschung teilt mit der Technikakzeptanzforschung das Ziel, die Akzeptanz der Anwender_innen für Innovationen zu sichern, indem deren subjektive Wahrnehmungen erforscht und im Implementationsprozess systematisch berücksichtigt werden (WUEHR, PFEIFFER & SCHUETT 2015). Allerdings basieren beide Ansätze auf ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionslinien, was sich nicht zuletzt methodisch niederschlägt: Während im stark objektivistisch orientierten TA-Modell mit dem Einsatz standardisierter Fragebögen von den je konkreten Rahmenbedingungen einzelner Innovationsprojekte weitestgehend abstrahiert wird, stellen beteiligungsorientierte Ansätze den je konkreten sozialen und organisatorischen Kontext ins Zentrum ihrer qualitativ ausgerichteten Forschungsdesigns. Ihr Ziel ist es, ergänzend zur Akzeptanz-Dimension systematisch auch die Innovationsförderlichkeit der technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen zu überprüfen und zu verbessern. Als Gestaltungssphäre werden nicht nur die technischen Funktionen oder die Haltungen und Fähigkeiten der Nutzer_innen begriffen, sondern auch und gerade die organisatorischen Rahmenbedingungen der (künftigen) Nutzung. [11]
2.3 Vorschlag für eine Perspektivenerweiterung
Betrachtet man Technikakzeptanzforschung und beteiligungsorientierte Ansätze im Zusammenhang, so lassen sich drei grundlegende Zieldimensionen erkennen: die Bedienungsfreundlichkeit des Innovationsobjekts (z.B. die Technologie, deren Bedienung leicht fallen soll), die Akzeptanz durch seine potenziellen Nutzer_innen (die von dessen Nützlichkeit überzeugt und über die Beteiligung am Innovationsprozess zusätzlich motiviert werden sollen) und die Innovationsförderlichkeit der organisationalen Rahmenbedingungen (die ein mehr oder weniger günstiges Umfeld darstellen können). Im Forschungs- und Entwicklungsprojekt "Digitales Lernen in der Instandhaltung" waren wir im Rahmen einer beteiligungsorientierten Leitperspektive bestrebt, alle drei Dimensionen systematisch zu berücksichtigen. Die Aufgabenstellung umfasste dabei in den beiden beteiligten Unternehmen die Entwicklung einer Web-2.0-basierten Lernumgebung mit einem in den Arbeitsprozess integrierten Informations- und Dokumentenmanagement.5) Die Motivation der künftigen Nutzer_innen haben wir mit Methoden der partizipativen Systementwicklung über den gesamten Entwicklungszyklus hinweg zu sichern versucht. Die bedienungsfreundliche Gestaltung der Anwendungen konnte in verschiedenen Pilotierungsphasen mit mehreren Feedback-Schleifen überprüft werden, und die organisatorischen Einsatzbedingungen wurden in regelmäßigen Sitzungen von Steuerungsgruppen im Betrieb thematisiert und bearbeitet (BIRKEN & PONGRATZ 2015). [12]
Dennoch blieben im Hinblick auf die Anwendung im Arbeitsalltag eine Reihe von Fragen offen, die innerhalb der genannten Dimensionen nicht angemessen erfasst werden konnten (siehe im Einzelnen Abschnitt 3.3). Das gilt beispielsweise für die zeitlichen und räumlichen Bedingungen, unter denen das Lern- und Wissenssystem am Arbeitsplatz zum Einsatz kommen sollte. Zudem erwiesen sich individuelle Gewohnheiten als hinderlich, selbst wenn die Anwendung von den Nutzer_innen prinzipiell begrüßt und akzeptiert wurde. Und nicht alle kollektiven Handlungsmuster, die im Widerspruch zu Anforderungen der Innovation standen, ließen sich durch organisatorische Maßgaben wirkungsvoll beeinflussen. [13]
Parallel zu ihrer forschungspraktischen Relevanz im Rahmen der partizipativen Methodik warfen diese Phänomene zunehmend auch Fragen eher theoretisch-systematischer Art auf: Handelt es sich bei ihnen um marginale Umsetzungsschwierigkeiten oder steckt dahinter eine prinzipielle Problematik? Lassen sich die Problemstellungen den drei bekannten Dimensionen (Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit, Innovationsförderlichkeit der Organisation) zuordnen oder stellen sie eine eigenständige Größe dar? Und wenn Letzteres der Fall wäre, was wäre dann das sie verbindende Prinzip? [14]
In der weiteren Analyse kamen wir zu dem Ergebnis, dass diese Phänomene hinreichend Gemeinsamkeiten aufweisen, um sie als eigenständiges Gestaltungsfeld betrachten zu können. Den Ansatzpunkt für ihre Bearbeitung bildet der konkrete Arbeitsalltag mit seinen eingespielten Abläufen und Routinen. Diese haben sich in vielen Fällen als verbindliche Praxis etabliert, ohne organisatorisch vorgegeben zu sein oder von den Beteiligten bewusst als Strategie verfolgt zu werden. Unabhängig davon liefern sie wichtige Orientierungen im Alltagshandeln. Gestützt wird diese Deutung durch Ansätze der soziologischen Praxistheorie, die wir deshalb zum Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen machen (Abschnitt 3.1). Das praxistheoretische Instrumentarium eröffnet eine neue Perspektive auf die Implementation von Innovationen, indem es erlaubt, diese im Verhältnis zu den im Alltag eingespielten Abläufen als Performanzstörung zu interpretieren (Abschnitt 3.2), und verweist so auf eine vierte Zieldimension anwendungsorientierter Forschung: Praktikanz (Abschnitt 3.3). [15]
3. Innovation als Performanzstörung
3.1 Grundlagen der soziologischen Praxistheorie
Die soziologische Praxistheorie ist in ihrem aktuellen Entwicklungsstand weniger als geschlossenes theoretisches Gedankengebäude zu verstehen denn als heterogene Denkrichtung, deren unterschiedliche Ansätze sich durch grundlegende Ähnlichkeiten der Analyseperspektiven auszeichnen (vgl. HILLEBRANDT 2014; RECKWITZ 2003; SCHMIDT 2012). Grundlegend für praxeologische Ansätze ist, dass nicht übergeordnete gesellschaftliche Strukturen oder einzelne Handlungssubjekte und deren Handlungsorientierungen zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht werden, sondern stets ein (wie auch immer geartetes) soziales Vollzugsgeschehen ins Zentrum gerückt wird (vgl. BONGAERTS 2007). [16]
Daraus folgt im Umkehrschluss nicht, dass menschliche Akteur_innen und ihre Handlungen in praxistheoretischen Perspektiven keine Rolle spielen würden; sie werden jedoch konzeptionell anders gefasst als in "traditionellen" Handlungstheorien. Im Hinblick auf den grundlegenden Modus Operandi menschlichen Tätigseins wurde gerade im ethnomethodologisch orientierten Zweig der Praxistheorie (vgl. RAWLS 2008) herausgearbeitet, dass der überwiegende Teil menschlicher Handlungen nicht plausibel als intentionale Akte im Sinne einer Logik von Planentwurf und ‑ausführung gedacht werden kann. Sie vollziehen sich vielmehr in Form von Routinen, von inkorporierten und durch Wiederholung eingeschliffenen Tätigkeitsvollzügen, die auf dem praktischen Wissen (knowing how) der Beteiligten basieren und nur in Ausnahmefällen, etwa bei außeralltäglichen Irritationen, zum Gegenstand einer bewussten Reflexion gemacht werden. [17]
Gegen einen starken Handlungsbegriff, der nach Zielen fragt und damit immer mit einem kognitiven "Sinnstiftungszentrum" (HIRSCHAUER 2004) rechnet, setzt die Praxistheorie also ein Verständnis menschlichen Tuns (und Lassens), das dieses zumindest auch auf impliziten und praktischen Wissensformen beruhend und entsprechend mehr oder weniger unbewusst vollzogen begreift. Im Rahmen der Erforschung komplexer Mensch-Technik-Konstellationen wurde diese Perspektive über einzelne menschliche Akteur_innen als Handlungsträger_innen hinaus erweitert.6) Folglich bezieht die praxeologische Analyse sozialer Prozesse neben den handelnden Menschen systematisch andere mögliche "Effektquellen" mit ein – etwa Körper, Dinge und Geräte, Textdokumente und andere Medien oder auch architektonische Settings (vgl. HIRSCHAUER 2004; LAW 2008; RECKWITZ 2003). [18]
Soziale Praxen – als eigentlicher Gegenstand praxeologischer Analyse – werden als sich im Laufe der Zeit verfestigende Routinen begriffen, die in ihrer Reproduktion zwar vom Handeln der Beteiligten abhängig bleiben, gleichzeitig aber immer auch eine Tendenz zur sich selbst stabilisierenden "Entäußerung" innehaben. Über Sozialisationsprozesse (z.B. berufsbiografische Prägungen) werden Praxen intersubjektiv weitergegeben und gehen in kollektiv geteilte Repertoires praktischen Wissens (etwa im Rahmen einer Community of Practice, vgl. WENGER 1998) ein. Prozesse der Etablierung von Routinen können auf ganz unterschiedlichen Ebenen vonstattengehen. Sie reichen vom Erlernen spezifischer Bewegungsfolgen durch einzelne Subjekte (wie dies etwa beim Erlernen einer Kampfsportart der Fall ist, vgl. SCHINDLER 2011) bis hin zu Veränderungsprozessen auf der Ebene ganzer Gesellschaften: Als Beispiel für einen historisch langwierigen Prozess der Etablierung kollektiver Routinen im Feld der Arbeit könnte etwa die konfliktreiche Durchsetzung der Normalarbeitstags im agrarisch geprägten Deutschland begriffen werden (vgl. DEUTSCHMANN 1985). [19]
3.2 Eingespielte Routinen und die Zumutung des Neuen
Geht man von der praxistheoretischen Grundannahme einer weitgehenden Routinehaftigkeit des Sozialen aus, so erscheinen innovative Technologien und Verfahren zunächst einmal als Störung etablierter Abläufe, die sich bis dahin überwiegend "überraschungsfrei" vollzogen haben. Gestört – oder zumindest irritiert – werden dabei nicht bloß die Akteur_innen (als Nutzer_innen, die sich mit der Innovation auseinanderzusetzen haben und diese letztendlich akzeptieren sollen), sondern auch der Anwendungsprozess selbst, der als überindividuelles Vollzugsgeschehen mit der Zumutung des Neuen konfrontiert ist. [20]
Praxeologisch gedacht besteht die zentrale Herausforderung bei der Implementation von Innovationen im Umkehrschluss darin, neue Anwendungsroutinen zu etablieren, die zu den eingespielten alltäglichen Abläufen passen oder zumindest mit möglichst geringen Reibungsverlusten in diese integriert werden können. Der Anwendungsalltag erscheint aus dieser Perspektive als eine Arena, in der sich Innovationen praktisch zu bewähren haben, wenn sie nicht das Schicksal dauerhaft irritierender und deshalb letztlich selten genutzter Elemente an der Peripherie der Anwendungspraxis ereilen soll. [21]
Widerständige Reaktionen auf Innovationen sind im Anschluss an LEWIN (1947) vor allem in der Forschung zum Change Management, also dem geplanten Wandel betrieblicher Prozesse und Strukturen, untersucht worden (vgl. PIDERIT 2000). Zurückgeführt werden sie in der Regel auf die mangelnde Übereinstimmung der Interessen zwischen den Akteur_innen mit strategischen Innovationsanliegen einerseits und den auf ihr bewährtes Wissen vertrauenden Betroffenen andererseits. Im Sinne des klassischen Anspruchs der Akzeptanzförderung aufseiten der Nutzer_innen wird als Lösungsansatz die bewusste, diskursive und öffentlich geführte Auseinandersetzung mit dem Nutzenpotenzial der Innovation propagiert. Vor praxistheoretischem Hintergrund erscheint neben diesem Interessenkonflikt die Konkurrenz von Praktiken als davon relativ unabhängiges Hindernis: Die für die Anwendung der Innovation erforderlichen Handlungsweisen stellen die bisher im Feld anerkannten und bewährten Praktiken infrage. [22]
Eine charakteristische Szene aus dem DILI-Projekt, in der ein Instandhalter7) ein bisheriges Wissensmanagement vorführt, veranschaulicht das: Er hatte für jede von ihm betreute Anlage ein eigenes Schreibheft angelegt, in das er neue Informationen (z.B. Lösungen von Störfällen oder Hinweise des Herstellers) in chronologischer Reihenfolge eintrug. Mit diesem Heft hatte er sein gesammeltes Wissen nicht nur (mit sichtlichem Stolz) greifbar, sondern auch mit einer effizienten Suchstrategie schnell verfügbar: Durch wiederholtes Blättern und Überfliegen waren für ihn (und nur für ihn) aus dem Gedächtnis relevante Informationen zügig und zuverlässig auffindbar. Das neue digitale Lern- und Wissenssystem sollte diese individualisierte Praktik nunmehr durch eine kollektiv genormte Benutzungsoberfläche am Computer ersetzen. Für den Instandhalter bedeutete die Innovation, die er im Prinzip begrüßte, dass er eine bewährte und bestens vertraute Praktik aufgeben und sie durch ein standardisiertes Verfahren zur Speicherung seines Wissens ersetzen sollte. [23]
Unverträglichkeiten verschiedener Praktiken sind als Problemlage zunächst weit weniger offensichtlich als Interessenkonflikte. Sie fallen oft erst mit konkreten Maßnahmen zur Implementation auf, welche die Unvereinbarkeit alter und neuer Praktiken ganz unmittelbar erfahrbar werden lassen. Das subjektive Erleben von Performanzstörungen reicht von der bloßen Unbequemlichkeit der Einübung neuer Verfahren bis hin zur grundlegenden Verunsicherung der Betroffenen. Prinzipiell sind Performanzstörungen durch Innovationen ebenso wenig vermeidbar wie Akzeptanzprobleme, da sich die Wirksamkeit der Innovation in einer veränderten praktischen Durchführung von Verfahren erweisen muss. Neben Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit und Innovationsförderlichkeit begreifen wir die Bewährung der Innovation innerhalb der Arena konkreter betrieblicher Arbeitspraxen entsprechend als vierte Zieldimension und schlagen für diese im Folgenden den Begriff der Praktikanz vor. [24]
3.3 Praktikanz: ein Analyseraster
Auf der Basis unserer forschungspraktischen Erfahrungen veranlassen uns die Annahmen der Praxistheorie dazu, die aus der Implementation von Innovationen resultierenden Performanzstörungen als eigenständiges Gestaltungsfeld für die anwendungsorientierte Forschung zu interpretieren. Unter Praktikanz verstehen wir die Anschlussfähigkeit innovativer Verfahren an die im Anwendungsfeld vorgefundenen materiellen Bedingungen und sozialen Routinen der alltäglichen Handlungspraxis. Diese Überlegungen wollen wir im Folgenden in Anlehnung an einschlägige praxistheoretische Konzepte anhand von sechs grundlegenden Praxisaspekten konkretisieren: Temporalität, Materialität, Artefakte, Routinen, Skripte und Spiele.8) Zur Veranschaulichung jedes einzelnen Aspekts führen wir Beispiele aus dem Projekt "Digitales Lernen in der Instandhaltung" an, die gleichzeitig verdeutlichen, dass es sich um analytische Differenzierungen handelt, da sich verschiedene Aspekte im Implementationsprozess vielfach überlagern. [25]
Temporalität
Es ist eine weit verbreitete Klage, dass in Entwicklungsprojekten zu wenig Zeit bleibt für die Erprobung von Innovationen; diese Kritik bezieht sich in der Regel auf die organisatorischen Rahmenbedingungen der Projekte und die spezifische Zeitordnung der Projektarbeit. Aus praxistheoretischer Sicht sind für die Verankerung von Innovationen im Arbeitsalltag allerdings eher die dort erprobten Zeitstrukturen und die gängigen Muster der Zeitnutzung von Bedeutung, etwa hinsichtlich der Reihenfolge von Arbeitsabläufen oder der Koordinierung von Aktivitäten.
DILI-Beispiel: Im Vertriebsinnendienst stellen die rasche Abfolge von Telefonaten mit Kund_innen und Händler_innen und die Parallelität von Gesprächsführung und Dateneingabe am Computer zentrale Arbeitsanforderungen dar. Kommt die Suche nach Informationen im Lern- und Wissenssystem dazu, wird es zu einer Frage von Sekunden, ob die Eingabe von Suchbegriffen, die Lieferung von Resultaten und die Auswertung der Suchergebnisse mit einem laufenden Telefongespräch vereinbar bleiben. Hier verbindet sich der technische Aspekt der Funktionalität des Systems mit dem Performanzproblem der Synchronisierung verschiedenartiger Geschehnisse in einem engen Zeitkorsett (vgl. dazu auch ausführlicher WHALEN, WHALEN & HENDERSON 2002). [26]
Materialität (einschließlich Körper und Raum)
Während die Relevanz von Körperlichkeit und materieller Umgebung bei körperlicher Arbeit naheliegend erscheint, wird sie bei wissensintensiven Dienstleistungen häufig vernachlässigt. Dabei stellt sich auch bei der heute allgegenwärtigen Arbeit am Bildschirm immer die Frage nach den Gegebenheiten des Arbeitsortes und der räumlichen Strukturierung des Kooperationsprozesses (siehe SCHMIDT 2012, S.130f.). Die materiellen Umstände des Handelns sind eben auch bei geistiger Arbeit nicht nur unvermeidliche Begleitumstände, sondern konstitutive Bedingungen (ROGALLA 2012, S.233ff.).
DILI-Beispiel: Im Vertriebsinnendienst ist dieser Umstand wenig problematisch, weil das Lern- und Wissenssystem lediglich als zusätzliches Programm am professionell ausgestatteten Telefonarbeitsplatz mit Computer und zwei Bildschirmen in Erscheinung tritt. In der Instandhaltung dagegen sind die zu betreuenden Anlagen ebenso wie die Ersatzteile über eine große Fertigungshalle verteilt, während die Unterlagen in einem Büro am Rande der Halle konzentriert sind. Ein mobiles Tablet-Endgerät stellt dafür insofern eine Lösung mit hohem Akzeptanzpotenzial dar, als es die Informationen zentral und doch in beweglicher Form verfügbar macht. Doch wirft das Mitführen des Gerätes neue Performanzprobleme auf: Denn im Unterschied zu einem Handy lässt sich ein Tablet nicht einfach in den Taschen der Arbeitskleidung verstauen; bei der Arbeit an den Anlagen kann es (vor allem für die Mechaniker_innen) hinderlich werden und muss an einem sicheren Platz ablegbar sein – was wiederum auf Unverträglichkeiten verschiedener Artefakte verweist. [27]
Artefakte
Die Arbeitsmittel (und häufig auch die Arbeitsgegenstände) stellen Artefakte unterschiedlicher Komplexität dar, deren sachgerechte Handhabung im Verlauf von beruflicher Ausbildung und betrieblicher Sozialisation erlernt wird. Innovationen können die Funktionsweise oder die Nutzungsbedingungen der Arbeitsmittel verändern und erfordern dann die Anpassung der Bedienungsweisen. Aus praxistheoretischer Sicht liegt die Schwierigkeit nicht nur in der Aneignung neuer Umgangsweisen mit Artefakten, sondern auch in ihrer Integration in bestehende Arbeitsroutinen und kollektiv verankerte Handlungsskripte (siehe unten).
DILI-Beispiel: Die Instandhaltung hat es oft mit komplexen Produktionsanlagen zu tun, deren Eigenarten sich erst im langjährigen Verlauf ihres Einsatzes herausstellen. Der Umgang mit ihnen erfordert die Kenntnis der allgemeinen Funktionsweise ebenso wie der charakteristischen Nutzungsgeschichte des einzelnen Geräts, die Aufschluss über einen individuellen Mechanismus gibt, der vom geplanten Schema abweicht. Ähnlich wie im Körper des Menschen Sozialisationserfahrungen "eingeschrieben" sind, spiegelt sich der zurückliegende Gebrauch im aktuellen Zustand einer Anlage wider und bestimmt deren Einsatzfähigkeit. Das Wissen darüber ist für die Instandhaltung zentral und wird im DILI-Lernsystem in Form von Maschinenhistorien abgebildet. [28]
Routinen
Routinen umfassen nicht nur individuelle Gewohnheiten, sondern auch jene kollektiv geteilten Handlungsmuster, welche in professionellen Bildungskontexten systematisch eingeübt oder in Communities of Practice informell angeeignet werden. Mit beruflichen Routinen ist deshalb häufig das Bewusstsein eigener Kompetenz und die Wahrnehmung von fachlicher Autorität verbunden: Die flüssige und gewandte Erledigung von Aufgaben zeichnet die Fachkundigen vor den Lai_innen aus. Die Performanzproblematik beschränkt sich deshalb nicht auf die Änderung gewohnter Vorgehensweisen und die Aneignung neuer Prozeduren; das Aufbrechen von Routinen kann zur Irritation des beruflichen Selbstverständnisses führen und als emotional belastend erlebt werden. Umgekehrt bedeutet das Festhalten an Routinen nicht bloße Trägheit, sondern gewährleistet Handlungssicherheit in komplexen Situationen.
DILI-Beispiel: Wie im obigen Instandhalter-Beispiel (Abschnitt 3.2) geschildert, werden die Anwender_innen mit der Einführung des Lern- und Wissenssystems aufgefordert, ihre bisherige Form der schriftlichen Aufzeichnung aufzugeben und stattdessen Informationen zu digitalisieren. Auf den ersten Blick bedeutet das nur, statt zum Stift zur Tastatur zu greifen – aber diese scheinbar kleine Umstellung der Routine hat weitreichende Folgen: Auf der einen Seite werden die bisherigen Aufzeichnungen entwertet, auf der anderen Seite sind alle digitalen Eingaben öffentlich und können von sämtlichen Nutzer_innen eingesehen werden. In dieser Übergangssituation beobachten wir eine Doppelung der Vorgehensweise, die "Routine-affin", aber ineffizient ist: Zumindest ein Teil der individuellen Aufzeichnungen wird beibehalten und das Lernsystem nur für offiziell "vertretbare" Eingaben genutzt. Mit einer Unterbindung dieses Vorgehens droht aus dem Performanzproblem ein Akzeptanzkonflikt zu werden. [29]
Skripte
Als Skripte werden in der Kognitionspsychologie (ABELSON 1981) Handlungsschemata bezeichnet, welche wiederkehrende Abläufe in eine sozial normierte Abfolge von Routinehandlungen untergliedern. In IT-Systemen sind solche Handlungsabfolgen weitgehend technisch (durch Hardware wie Software) vorgegeben; dabei sind – ähnlich wie in sozialen Situationen – Einzelschritte variierbar, solange das Skriptmuster erkennbar bleibt. Wenn die Eigenlogik der Technik eine bestimmte Schrittfolge erzwingt, ist das zunächst nur eine Frage der Bedienungsfreundlichkeit. Praktikanz kommt als eigenständige Anforderung dort ins Spiel, wo die Programmbedienung mit einem sozialen Skript verknüpft ist.
DILI-Beispiel: In der Instandhaltung beobachten wir unterschiedliche Formen sozialer Skripte. So ist die Dokumentation von Aufträgen oft mit dem Ausfüllen von Formularen verbunden, die bestimmte Angaben erzwingen; diese Tätigkeit wird in der Regel aus dem Arbeitsprozess an der Anlage ausgelagert in Büroarbeitszeiten. Für Arbeiten an der Anlage werden teils formelle (z.B. bei Wartungsaufgaben), teils informelle Skripte (z.B. im Prozess der Inbetriebnahme) genutzt, welche die Kooperation erheblich erleichtern. In das DILI-Lernsystem sind Bedienungsabfolgen eingeschrieben, die erlernt und geübt werden müssen. Performanzprobleme bereitet beispielsweise die Dokumentation der Lösung einer Reparaturaufgabe; zwar steht dafür prinzipiell Zeit zur Verfügung, doch gerät sie in Konkurrenz zu einem anderen Nachbearbeitungs-Skript: Zwingend erforderlich, weil organisatorisch geregelt, ist der Abschluss des Reparaturauftrags in einem weiteren Programm. [30]
Spiele
Das Ineinandergreifen von Interaktionsroutinen verschiedener Akteur_innen stellt die komplexeste Ebene der Praktikanz dar, weil hier alle anderen Aspekte (Zeit, Raum, Artefakte, Routinen und Skripte) in ihrem Zusammenwirken zu beachten sind. Das Konzept sozialer Spiele bewegt sich zudem am Rande der Praxistheorie, da es neben routinierten Handlungsabfolgen auch strategische Elemente einschließt, welche die Berücksichtigung der Handlungsinteressen erfordern und damit unmittelbar die Zieldimension der Akzeptanz berühren.9) Der empirische Aufwand zur Ermittlung konkreter Spiele-Konstellationen ist hoch und im Rahmen anwendungsorientierter Forschung nur begrenzt zu leisten.
DILI-Beispiel: Ein Spielzusammenhang mit hohen Routineanteilen ist im Vertriebsinnendienst ebenso wie in der Instandhaltung der informelle Informations- und Erfahrungsaustausch (ROGALLA et al. 2013). Die Beschäftigten nutzen reguläre Pausen und zufällige Begegnungen, um von sich aus über kürzlich erlebte Problemstellungen oder neue Entwicklungen und Erkenntnisse zu informieren. Voraussetzung dafür ist die Reziprozität der mündlichen Informationsbereitschaft, die sich im Rahmen einer Abteilungs- oder Organisationskultur ausgebildet hat – und entsprechend auf bestimmte Personenkreise beschränkt ist. Das Lern- und Wissenssystem greift diese Mitteilungsbereitschaft auf, bedroht aber unbeabsichtigt ihre kulturelle Grundlage, indem sie diese vom mündlichen Austausch auf die schriftliche Dokumentation zu verlagern versucht. [31]
Zusammenfassend betrachtet stellt sich Praktikanz als vielschichtige Zieldimension dar, deren Relevanz sich oft nicht auf den ersten Blick erschließt. Ihre Analyse setzt vielmehr eine systematisch und konsequent auf Praxisaspekte bezogene Betrachtungsweise voraus. Die Fähigkeit und Bereitschaft dazu scheinen in der anwendungsorientierten Forschung weit verbreitet zu sein, wie der Erfahrungsaustausch zwischen Forschungs- und Entwicklungsprojekten regelmäßig zeigt.10) Wir führen insofern keinen originär neuen Zugang ein, sondern schlagen vielmehr dessen systematische Ausarbeitung und theoretische Fundierung vor. Die sechs vorgestellten Aspekte der Performanzproblematik verstehen wir als vorläufiges heuristisches Raster für die gezielte Erschließung der Praktikanz-Dimension. [32]
4. Praktikanz in der Forschungspraxis
Die Sicherstellung der Anschlussfähigkeit innovativer Verfahren an die im Anwendungsfeld vorgefundenen Handlungspraxen, die wir hier mit dem Begriff der Praktikanz fassen, stellt keine neue Aufgabenstellung für die anwendungsorientierte Forschung dar, sondern ist eine ihrer charakteristischen Herausforderungen (siehe ROGALLA 2012, S.123ff.). Deshalb gehen wir auch nicht davon aus, dass dafür gänzlich neue Lösungswege entwickelt werden müssten. Es stehen zahlreiche Verfahren und Methoden bereit, die dieser Problematik gerecht zu werden versuchen, und diese werden auch regelmäßig genutzt. Unser Argument ist nicht, dass das Erfordernis praxisgerechter Gestaltung nicht gesehen oder nicht beachtet würde. Vielmehr lautet die These: Weil Praktikanz nicht als eigenständige Zieldimension erkannt und behandelt wird, kommt die Bearbeitung von Performanzstörungen im Implementationsprozess von Innovationen häufig zu kurz und wird nicht mit der nötigen Konsequenz angegangen. Wir vermuten darin einen wesentlichen Grund dafür, dass sich selbst viel versprechende Innovationen oftmals nach dem Ende von Forschungs- und Entwicklungsprojekten nicht auf Dauer im Anwendungskontext behaupten können. Praktikanz erscheint aus dieser Perspektive als wesentliche Voraussetzung für die Nachhaltigkeit anwendungsorientierter Forschung. [33]
Diese Diagnose führt uns im letzten Abschnitt zu den Fragen, warum die Anforderungen der Praktikanz oft zu wenig Aufmerksamkeit erfahren und welche Folgerungen für die Gestaltung von Implementationsprozessen daraus resultieren. Ein wesentlicher Grund scheint uns im Erfolg der Akzeptanz-Dimension zu liegen. Gegenüber rein auf Technik fokussierten Ansätzen konnten das Technikakzeptanzmodell und die beteiligungsorientierten Konzepte wirkungsvoll die Person (Anwender_in) und den organisationalen Kontext als eigenständige Analyse- und Zieldimensionen etablieren. Insbesondere mit der Akzeptanz-Dimension konnten auch die Anschlussprobleme an die Arbeitspraxis als mitberücksichtigt gelten, sind doch die Anwender_innen als "Expert_innen ihres eigenen Alltags" zu sehen: Werden sie befragt oder im Projektverlauf beteiligt, so sollten sie über vermutete oder erlebte Anpassungsschwierigkeiten Auskunft geben und so die praxisgerechte Gestaltung der Innovation gewährleisten können. [34]
Warum diese Annahme trotz der berechtigten Unterstellung der "Praxisexpertise" zu kurz greift, lässt sich mit dem für die Praxistheorie zentralen Begriff des impliziten Wissens (tacit knowledge, POLANYI 1985) verdeutlichen (vgl. auch das Konzept des "praktischen Wissens" von GIDDENS 1984). Routinen (und ihre Anteile an Skripten und Spielen) sind deshalb so effektiv, weil sie gewissermaßen "automatisch", ohne weiteres Nachdenken ausgeführt werden. Aus diesem Grunde sind sie aber im Alltag den Handelnden oft nicht in ihrer Eigenartigkeit bewusst, vor allem wenn sie kollektiv geteilt werden und den Beteiligten als selbstverständlich erscheinen. In der Fähigkeit zu Routinehandlungen ist auch ein Wissen über deren Ausführung angelegt, aber dieses ist von den Handelnden oft nicht oder nur schwer explizierbar (u.a., weil es in körperliche Bewegungsmuster "inkorporiert" ist): Erst wenn sie von anderen darauf angesprochen werden, überlegen sie, was sie da eigentlich genau tun und warum sie es gerade so machen. [35]
Performanzstörungen auf der Ebene der unmittelbaren Arbeitspraxis sind folglich auch von den "Expert_innen ihres eigenen Alltags" nicht ohne Weiteres als solche identifizierbar, denn dazu müssten sie sich ihre routinisierten Praktiken bewusst und explizit zum Gegenstand diskursiver Erörterungen machen. Das ist auch deshalb schwierig, weil direkte Problemursachen oder kausale Auslösefaktoren oft nicht eindeutig zu erkennen sind. Wie die Ausdifferenzierung der Praktikanz-Aspekte (in Abschnitt 3.3) zeigt, können Performanzprobleme hinsichtlich verschiedener Aspekte gleichzeitig wirksam werden und sind damit kaum mit einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen erklärbar. Statt eine eindeutige Problemdiagnose liefern zu können, verspüren die "Praxisexpert_innen" dann eher ein diffuses Gefühl des Unbehagens oder mangelnder Stimmigkeit, das sie aufgrund seiner Unbestimmtheit jedoch oft gar nicht explizit äußern. Von dritter Seite können solche "Stimmungen" als fehlende Akzeptanz und verdeckte Widerständigkeit interpretiert werden – statt noch einmal detaillierter auf Fragen der Passfähigkeit zwischen Innovation und Anwendungspraxis einzugehen, wird dann im Zweifel versucht, noch einmal bei vermuteten Motivationsdefiziten der Anwender_innen anzusetzen. [36]
Ein zweiter Hauptgrund für die verbreitete Unterbewertung der Praktikanz ist der typische Projektverlauf anwendungsorientierter Forschung: Während der Analyse, Planung und Entwicklung in der Regel ausreichend Raum eingeräumt wird, bleibt für die Implementation der Innovation im Anwendungskontext gegen Projektende oft nur noch vergleichsweise wenig Zeit. Im Zeithorizont der Projekte werden Performanzprobleme, die letztendlich immer Probleme der unmittelbaren Anwendungspraxis sind, dadurch häufig erst relativ spät sichtbar. Angesichts des Zeitdrucks in dieser fortgeschrittenen Phase liegt es im Interesse von Erfolgsnachweisen dann nahe, das komplexe Passungsverhältnis von Innovation und Arbeitspraxis gerade nicht mehr zum Gegenstand aufwändiger Analyse- und Beteiligungsverfahren zu machen, da für deren "saubere" Umsetzung ohnehin nicht mehr genug Zeit bliebe. [37]
Beide Begründungen für die mangelnde Beachtung der Praktikanz-Dimension führen zurück zur "lieben Gewohnheit" der Konzentration auf die Dimensionen Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit und Innovationsförderlichkeit (des organisatorischen Kontextes) im Forschungsalltag. An dieser Stelle bietet sich eine reflexive Anwendung einer praxistheoretischen Perspektive auf die Forschungspraxis selbst an: Die Forschung reproduziert Interpretationsroutinen, die allgemein anerkannt sind, zu vertrauten Analysekategorien führen (Person, Technik, Organisation) und bekannte Lösungsmechanismen (Motivation, Funktionalitätsverbesserung, Ressourceneinsatz) nahelegen. Die Praktikanz-Dimension ist demgegenüber erklärungs- und begründungsbedürftig, beruht auf gewöhnungsbedürftigen Basisannahmen (Theorie der Praxis) und erfordert eine aufwändige Lösungssuche. Selbst wenn Praktikanz aus theoretischen Gründen als eigenständige vierte Zieldimension anerkannt werden sollte, droht ihr das Schicksal, dass sie als allzu "unpraktisch" und sperrig wahrgenommen wird und deshalb aus pragmatischen Gründen im Forschungsalltag keine konsequente Berücksichtigung erfährt. [38]
Um der Praktikanz-Dimension mehr Gewicht zu verschaffen, sind neben ihrer theoretischen Fundierung, wie wir sie oben versucht haben, auch methodische Konkretisierungen erforderlich, die sie für die Forschungspraxis handhabbar machen. Dazu wären zunächst die Erfahrungen anwendungsorientierter Forscher_innen systematisch zu ermitteln und auszuwerten, die sie bei der Herstellung von Anschlussfähigkeit innovativer Verfahren an die im Anwendungsfeld vorgefundene Handlungspraxis gemacht haben. Als Anregung zu einer derartigen Bestandsaufnahme wollen wir abschließend – ausgehend von den eigenen Erfahrungen im Projekt "Digitales Lernen in der Instandhaltung" – exemplarisch einige methodische Leitlinien vorschlagen:
Während sich manche Performanzprobleme erst allmählich auf der Basis intensiver Analysen erschließen, liegen andere auf der Hand (etwa die Frage, wie ein neues Werkzeug – z.B. ein Tablet, siehe oben – im Arbeitsalltag mitgeführt werden kann). Anhand solcher offensichtlicher Passungsprobleme zwischen Innovation und Arbeitspraxis kann frühzeitig (gewissermaßen als Einstieg) die Aufmerksamkeit für diese Zieldimension geweckt und die Wahrnehmung dafür im Prozess partizipativer Technikentwicklung zunehmend geschärft werden.
Die Einzelaspekte der Praktikanz – Temporalität, Materialität, Artefakte, Routinen, Skripte, Spiele – sind oft nur schwer abfragbar, aber in aller Regel gut beobachtbar. Teilnehmende Beobachtung – etwa eingebunden in beteiligungsorientierte Konzepte oder ethnografische Herangehensweisen – stellt die aussichtsreichste Erhebungsmethode für diese Analysedimension dar. Im DILI-Projekt hat sich eine Form des "Arbeitsplatzinterviews" (vgl. BUSCHMEYER, PONGRATZ & TRESKE 2012, S.159; KUHLMANN 2002) bewährt, das mit teilnehmender Beobachtung am Arbeitsplatz startet, auf die eine Interviewphase folgt, die wiederum in einer weiteren Beobachtungssequenz mündet. Im Wechsel von Beobachtung und Befragung lässt sich (ähnlich wie in Situationen der Einarbeitung generell) ein hoher Grad an Explikation von implizitem Wissen erzielen.
Gerade im Wechsel der Methoden, wie er beispielsweise im Arbeitsplatzinterview angelegt ist, liegt die Chance, neue Perspektiven auf vertraute und eingespielte Vorgehensweisen zu gewinnen – für die Forschenden, aber auch für die Anwender_innen. Voraussetzung dafür ist, dass die Ergebnisse der Begleitforschung zeitnah an die beteiligten "Praktiker_innen" zurückgespielt und gemeinsam im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit innovativer Verfahren reflektiert werden. Die Methodenvielfalt der anwendungsorientierten Forschung stellt ein wertvolles Reservoir dar, das in dieser Hinsicht keineswegs ausgeschöpft erscheint.
Auch bei deutlich verbesserter Diagnosefähigkeit werden Performanzprobleme weiterhin vorwiegend in späteren Projektphasen (nämlich mit zunehmender Anwendungsintensität) auftreten. Dies setzt die Bereitschaft der Forschenden voraus, auch dann noch Umsetzungsschwierigkeiten offen und selbstkritisch zu benennen und in neuerliche Analyserunden einzusteigen, wenn von anderen Beteiligten (insbesondere vonseiten der Auftraggeber und der Förderungsinstanzen) Vollzugsberichte und Erfolgsmeldungen erwartet werden.
Gerade die Praktikanz-Dimension dürfte auch über das Projektende hinaus von besonderer Relevanz für die Nachhaltigkeit von Innovationen sein. Eine Zielsetzung praktikanz-sensibler Projektgestaltung sollte deshalb darin bestehen, die Anwender_innen im Projektverlauf dazu zu befähigen, Performanzprobleme zu erkennen, zu thematisieren und eigenständig zu bearbeiten. Es gilt also, die betrieblichen Akteur_innen dazu zu befähigen, selbst Gestaltungsverantwortung für die Anschlussfähigkeit des innovativen Verfahrens zu übernehmen. Der Implementationsprozess kann dazu als Lernprozess über die eigene Arbeitspraxis angelegt sein. [39]
Diese Andeutungen methodischer Leitlinien zeigen, dass das Konzept der Praktikanz neben seiner Relevanz als ergänzende, eigenständige und gleichwertige Analyse- und Zieldimension in Innovationsprojekten noch eine weitere "Botschaft" enthält: Es verweist zurück auf den Kern anwendungsorientierter Forschung als Prozess, in welchem Innovation und Arbeitspraxis zu einer neuen Einheit verschmolzen werden. Anwendung ist Praxis. Es erscheint uns an der Zeit, dass dieser Anspruch auch theoretisch fundiert und auf dieser analytischen Grundlage methodisch weiterentwickelt wird. [40]
Der Beitrag ist im Rahmen des Verbundprojekts "Digitales Lernen in der Instandhaltung" entstanden und hat viele wichtige Anregungen von den Projektpartner_innen bezogen. Für konkrete inhaltliche Vorschläge und Kommentare zum Text danken wir Irmhild ROGALLA, Petra SCHÜTT, Frank SEISS, Helga PELIZÄUS-HOFFMEISTER und Petra SCHWEIGER. Weiterführende methodische Anregungen steuerten die Teilnehmer_innen eines Workshops "Nachhaltigkeit durch Praktikanz" auf der Fachtagung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung eQualification: Lernen und Beruf digital verbinden – 2014 in Berlin bei. Für die Finanzierung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union bedanken wir uns ebenso wie für die konstruktive Begleitung des Projekts durch Caroline SURMANN vom DLR-Projektträger.
1) Das Forschungsprojekt Digitales Lernen in der Instandhaltung (DILI) hat die Entwicklung Web-2.0-basierter Lern- und Wissenssystems für Service und industrielle Instandhaltung zum Ziel. Es wurde vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF München), dem Institut für praktische Interdisziplinarität und der Infoman AG gemeinsam mit mehreren Anwendungspartner_innen von April 2012 bis März 2015 durchgeführt und aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert. <zurück>
2) Neben dem TA-Modell hat es auch innerhalb der Information-Systems-Forschung immer wieder alternative Ansätze gegeben, die sowohl konzeptionell als auch methodisch teilweise deutlich andere Akzente gesetzt haben und die eher in Richtung des hier vorgeschlagenen Ansatzes weisen (vgl. BIRKEN 2014). Bisher haben sie sich aber offenbar nicht als eigenständiges Alternativmodell etablieren können. <zurück>
3) In der internationalen Sozialforschung haben sich mit ähnlichen Ansprüchen in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Formen einer "partizipativen Forschung" (als Überblick siehe BERGOLD & THOMAS 2012a; VON UNGER 2013) ausgebildet (vgl. dazu auch die FQS-Schwerpunktausgabe "Partizipative qualitative Forschung", BERGOLD & THOMAS 2012b). <zurück>
4) Agile Software-Entwicklung setzt auf kleine, flexibel gestaltbare Planungs- und Gestaltungseinheiten. Mit dem Ansatz der Work Based Usability wird durch Mitarbeiter_innenbeteiligung bei der kontinuierlichen Weiterentwicklung betrieblicher IT-Systeme sichergestellt, dass deren vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen zur Wahrung der "Gebrauchstauglichkeit" der Systeme vor dem Hintergrund sich verändernder betrieblicher Anforderungen beitragen (PFEIFFER 2009, S.22). Scrum stellt eine Methode des Managements von Projekten dar, die inkrementelle, anwender_innenorientierte Fortschritte durch kleine, überschaubare Planungsphasen (in sog. Sprints) zu erzielen versucht. <zurück>
5) Entwickelt wurden digitale Lern- und Wissenssysteme für den Vertriebsinnendienst in der Werkzeugherstellung sowie für die Instandhaltung in der Flugzeugfertigung (PONGRATZ et al. 2015). Das methodische Vorgehen orientierte sich an der Strategie arbeits- und industriesoziologischer Fallstudien mit verschiedenen Phasen der Beteiligung der Anwender_innen; zum Einsatz kamen verschiedene Formen von Interviews (Expert_inneninterviews und problemzentrierte Interviews), Workshops mit Benutzer_innengruppen, Arbeitsplatzbeobachtungen und Dokumentenanalysen (siehe BIRKEN & PONGRATZ 2015). <zurück>
6) In der Arbeitsforschung sind praxistheoretische Zugänge vor allem im Rahmen der Workplace Studies (vgl. z.B. HEATH, KNOBLAUCH & LUFF 2000; SZYMANSKI & WHALEN 2011) bzw. der Studies of Work (vgl. BERGMANN 2005) kultiviert worden. <zurück>
7) Das Aufgabenfeld der industriellen Instandhaltung umfasst die Wartung, Inspektion, Instandsetzung und Verbesserung technischer Betriebsmittel – in unserem Fall handelte es sich dabei um technisch hochkomplexe Maschinen und Anlagen zur Fertigung von Rumpfteilen im Flugzeugbau. <zurück>
8) Mit diesen Praxisaspekten erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir gehen vielmehr davon aus, dass sich bei der Anwendung des Praktikanz-Konzepts in der konkreten Forschungspraxis noch weitere relevante Facetten ausfindig machen lassen und das Analyseraster entsprechend erweitert werden kann. <zurück>
9) Wir knüpfen hier insbesondere an den Begriff mikropolitischer Spiele an, mit dem das Zusammenwirken der Strategien von Akteur_innen mit unterschiedlichen Machtressourcen in Organisationen untersucht wird (CROZIER & FRIEDBERG 1979). Bei Entwicklungsprojekten kann die organisationssoziologische Unterscheidung von Routine- und Innovationsspielen hilfreich sein (ORTMANN, WINDELER, BECKER & SCHULZ 1990, S.464f.). <zurück>
10) So konnten wir beispielsweise bei der Fachtagung eQualification: Lernen und Beruf digital verbinden – 2014 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung einen Workshop zum Thema "Nachhaltigkeit durch Praktikanz" gestalten, bei dem wir von den teilnehmenden Kolleg_innen eine Vielzahl von konkreten methodischen Anregungen für alle vier Gestaltungsdimensionen erhielten. <zurück>
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Kontakt:
Prof. Dr. Hans J. Pongratz
Institut für Soziologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Konradstraße 6
D-80801 München
Tel.: +49 (0)160-90251468
E-Mail: hans.pongratz@lmu.de
URL: http://www.qualitative-sozialforschung.soziologie.uni-muenchen.de/
Thomas BIRKEN, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF) München und am Institut für Soziologie und Volkswirtschaftslehre der Universität der Bundeswehr München. Forschungsschwerpunkte: interaktive Arbeit, Care-Arbeit, Alter(n) und Technik, qualitative Sozialforschung. Ausgewählte Veröffentlichungen: Dienstleistungsforschung und Dienstleistungspolitik (zus. mit Wolfgang DUNKEL), 2013, Düsseldorf: Hans Böckler Stiftung; Professionalität in der interaktiven Arbeit. In Wolfgang DUNKEL & Margit WEIHRICH (Hrsg.) (2012), Interaktive Arbeit (S.323-337). Wiesbaden: Springer VS.
Kontakt:
Thomas Birken
Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. - ISF München
Jakob-Klar-Straße 9
D-80796 München
Tel.: +49 89 272921-35
Fax: +49 89 272921-60
E-Mail: thomas.birken@isf-muenchen.de
URL: http://ww.researchgate.net/profile/Thomas_Birken
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