Volume 8, No. 2, Art. 13 – Mai 2007
Räume lesen lernen: Methoden zur Raumanalyse in der Diskursforschung
Sybille Bauriedl
Zusammenfassung: Diskurse sind sowohl in gesellschaftliche Kontexte ihrer Entstehungsgeschichte als auch in räumliche Kontexte eingebunden. Für eine Diskursanalyse sind daher sowohl eine historische wie auch räumliche Betrachtung relevant. Der Versuch, neben der aktuell dominanten historischen auch eine räumliche Perspektive einzunehmen, ist allerdings mit erkenntnistheoretischen und methodischen Problemen verbunden. Um Aussagen zum Verhältnis von Diskurs und Raum machen zu können, müssen erstens Raum, Ort und Lokalität in das begriffliche Inventar der Diskursforschung übertragen und es muss zweitens eine Methodologie entwickelt werden, die die Konstruktions- und Konstitutionsprozesse zwischen Räumen und Deutungssystemen erfassen kann.
Anhand einer Beispielstudie werden eine mögliche Methodenanwendung und ein empirisches Vorgehen vorgeführt, die eine räumliche Dimension in der Diskursforschung erfassen lassen. Dabei werden auch die Probleme bei der Ordnung und Interpretation der diskursanalytischen Ergebnisse offengelegt. Die Analyse einer lokalen Diskursordnung wird für die Nachhaltigkeitsdebatte in Hamburg vorgestellt. Der Beitrag stellt ein raumbewusstes Forschungsprogramm vor, das durch seine formalisierte Methodologie eine Anleitung für ähnliche Studien bietet. Abschließend stellt der Beitrag die Erkenntnispotenziale einer raumsensiblen Diskursforschung zur Diskussion.
Keywords: Raumbegriff, Ortsbegriff, Mehrebenenanalyse, Nachhaltigkeit, Narrative, local stories, lokale Diskurse, mixed methods
Inhaltsverzeichnis
1. Die Zeit geht voran, aber der Raum lungert bloß herum: Raumrelevanz in der Diskursforschung
2. Raum als Container, Netzwerk und Sphäre: Erkenntnistheoretische und methodische Zugänge
2.1 Bearbeitung raum- und umweltbezogener Fragestellungen in der Diskursforschung
2.2 Materialitätsproblem: Das Verhältnis von physischem und sozialem Raum
2.3 Maßstabsproblem: Das Verhältnis von Lokalität und Globalität
3. Methoden und Ergebnisspektrum einer raumsensiblen Diskursanalyse am Beispiel lokaler Nachhaltigkeitsdiskurse
3.1 Vorschlag für ein raumsensibles Analyseprogramm
3.2 Analyse lokaler Diskurse: Die Bedeutung der Diskursstruktur
3.3 Analyse von local stories: Die Bedeutung der Raumstruktur
3.4 Geographie von local stories: räumliche Relationalität der Diskursordnung
3.5 Das Narrativ "Nachhaltigkeit": Die Bedeutung supralokaler Diskurse
4. Analysepotenziale für eine raumbewusste Diskursforschung
1. Die Zeit geht voran, aber der Raum lungert bloß herum: Raumrelevanz in der Diskursforschung
Die Diskursforschung ist ein interdisziplinäres Arbeitsfeld, das mittlerweile Eingang in den sozialwissenschaftlichen Mainstream gefunden hat. Gerade die interdisziplinäre Kompetenz von DiskursforscherInnen hat in den letzten Jahren neue Perspektiven eröffnet und disziplinäre Erkenntnispotenziale erweitert. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit der notwendigen Methodenkompetenz eines interdisziplinären Forschungsfeldes, das nicht nur von einem cultural turn, sondern auch von einem spatial turn in den Sozialwissenschaften begleitet wird. RaumwissenschaftlerInnen monieren häufig die Raumvergessenheit anderer Disziplinen und reklamieren für sich ein multidimensionales Raumverständnis. Dieser Beitrag erhebt nicht den Anspruch, einen Raumbegriff für die Diskursforschung zu entwickeln, aber er schlägt eine Differenzierung der Raumdimensionen der Diskursforschung vor und diskutiert deren methodologische Implikationen. Der Beitrag konzentriert sich auf eine Diskursforschung, die sich an FOUCAULTs Arbeiten orientiert. [1]
FOUCAULT hat Diskurse als Praktiken beschrieben, die Dinge – im Sinne von Artefakten -- herstellen (1981, S.74). Diesem Ansatz folgend, wird in der Diskursforschung das Verhältnis von Diskurs und Raum i.d.R. als ein einseitiges Wirkungsverhältnis von Diskurs auf Raum untersucht. Die konstitutive Bedeutung von Räumen für Diskurse bleibt i.d.R. unbeachtet. Aufgrund der konstruktivistischen Grundhaltung der Diskursforschung wäre zu erwarten, dass ein stärker relationaler Raumbegriff zum Tragen käme. Tatsächlich wird die Existenz von Räumen nicht von allen KonstruktivistInnen allein als das Ergebnis von Sprechakten verstanden. Ein Raumbegriff wird jedoch nur selten konkret gemacht. Raum wird in der Diskursforschung primär als Oberfläche oder Container wahrgenommen, in dem wir (bzw. Subjektpositionen) verortet sind und in den Identitäten "eingeschrieben" und permanent reproduziert werden. [2]
Die Diskursforschung zeichnet sich bisher dadurch aus, dass sie Raum in Zeit wendet (MASSEY 2005, S.7). Diskursanalysen konzentrieren sich auf ein historisches Sortieren gesellschaftlicher Prozesse. Auch wenn für Diskursanalysen konstatiert wird, dass sich Diskurse auf eine bestimmte Zeit, Gesellschaft und Geographie beziehen (BUBLITZ 2003, S.52f.), bleibt die historische Dimension die zentrale Betrachtungsebene. Ein sozialräumliches Sortieren kommt bei FOUCAULT lediglich als Differenzierung historischer Phasen in Betracht. Werden Zeit und Raum als getrennte Dimensionen gesellschaftlicher Strukturen betrachtet, wird Wandel meist mit der zeitlichen Dimension verbunden und statische Verhältnisse mit der räumlichen Dimension. [3]
Wird die aktuelle gesellschaftshistorische Phase als Postmoderne abgegrenzt, wird diese dadurch charakterisiert, dass an jedem Ort gleichzeitig alles möglich sei (SOJA 1989), wir also in einer ortlosen Zeit leben. Die Wechselwirkungen zwischen Identität und Materialität können jedoch nur verstanden werden, wenn Zeit und Raum zusammengedacht und als produktive, offene Dimensionen betrachtet werden. Allein die Verzeitlichung von Macht zu betrachten, macht räumliche Differenz unsichtbar. Nur von einer großen Erzählung zu berichten, wie z.B. einer Globalisierung, reduziert die gleichzeitig ablaufenden lokalen Geschichten. Mit dem Konzept einer Raum-Zeit (space-time), das diese Dimensionen immer in ihrem Wechselverhältnis und als untrennbar betrachtet, bietet sich ein alternativer Blick auf den Raum. Der Raum wird mit diesem Konzept als Bestandteil der Produktion von Geschichte verstanden, genauso wie die Zeitdimension als Bestandteil der Produktion von Geographie (MASSEY 1994). Gerade die essentialismuskritische Auseinandersetzung in der Diskursforschung öffnet den Blick für Raumkonstruktionen und unterschiedliche Identitäten von Orten zu unterschiedlichen Zeiten. [4]
Für die diskursanalytische Empirie spielt die Betrachtung des Raums immer eine Rolle. Diese Betrachtungsebene wird jedoch kaum explizit gemacht. Die räumliche Dimension von Diskursen ist für die Diskursforschung auf vier Ebenen relevant: Die Diskursforschung betrachtet Raum als
Sozialgefüge (Anordnung von Subjektpositionen im sozialen Raum);
konkreten Ort (soziale Konstruktion des physischem Raums);
Diskurslandschaft (Bedeutung von räumlicher Konzentration, Nähe und Distanz von Wissen, Akteuren, Ressourcen für die Ausprägung von Diskursen);
Maßstabsebene (Bezüge zwischen global und lokal produktiven Diskursen). [5]
Eine Diskursanalyse bietet also die epistemologischen Voraussetzungen, die räumliche Dimension der Organisation von Wissen in den Blick zu nehmen. Wenn Aussagen zum Verhältnis von Sinnproduktion und Materialität gemacht werden sollen, ist es hilfreich, unterschiedliche Raumdimensionen empirisch getrennt voneinander zu untersuchen. Das empirische Potenzial der Diskursanalyse, Heterogenität und Differenz gesellschaftlicher Prozesse aufzuspüren, kann auf diese Weise auch für die räumliche Dimension erschlossen werden. [6]
Raum kann als ein strukturierendes Medium verstanden werden, durch das sich soziale Beziehungen entfalten. So können Kämpfe um Räume und Orte auch als Kämpfe um verräumlichte Macht gefasst werden (HUBBARD, KITCHIN & VALENTINE 2004, S.222). Räume sind daher als Effekt und als Ausgangspunkt dieser Kämpfe interessant. Wie lassen sich aber das Verhältnis von Raum und Diskurs und die Bedingungen und Effekte dieses Verhältnisses empirisch bestimmen? Der vorliegende Beitrag ist als Versuch zu verstehen, mit dem Mangel einer eindeutigen Methodologie und eines allgemein anerkannten Methoden-Sets in der Diskursforschung kreativ und produktiv umzugehen und stellt ein empirisches Programm für eine raumsensible Diskursforschung zur Diskussion. [7]
Auch wenn hier ein Methodenbeitrag vorgelegt werden soll, ist eine kurze erkenntnistheoretische Einführung an dieser Stelle nötig, um empirische Problemstellungen herausarbeiten zu können. Außerdem halte ich eine diskurstheoretisch begründete Ableitung des methodischen Vorgehens für eine Grundbedingung jeder Diskursanalyse. Der Beitrag schlägt einen relationalen Raumbegriff vor und diskutiert grundlegende Probleme der aktuellen Diskursforschung, Raum, Ort und Lokalität zu fassen. Vor dem Hintergrund dieser erkenntnistheoretischen Problematisierung wird ein von mir erprobtes empirisches Vorgehen mit seinen einzelnen Untersuchungsschritten vorgestellt. Es werden die angewandten Methoden und ausgewählte diskursanalytische Erkenntnisse für die einzelnen Analyseschritte beschrieben. Für das empirische Programm wurden sowohl qualitative wie quantitative Methoden eingesetzt, deren Auswahl im Folgenden diskurstheoretisch abgeleitet sowie mit Bezug auf meine Forschungsfrage und forschungspraktische Restriktionen begründet wird. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung der Analysepotenziale einer Diskursforschung, die sowohl historische wie auch räumliche Differenzierungen untersucht. [8]
Die von mir durchgeführte Diskursanalyse ist thematisch in der sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung angesiedelt. Die inhaltlichen Ergebnisse des Beitrags beziehen sich auf die aktuelle Stadtpolitik europäischer Metropolen. Die Arbeit ist ein Teilergebnis meiner Dissertation "Spielräume nachhaltiger Entwicklung – Die Macht stadtentwicklungspolitischer Diskurse" (BAURIEDL 2007) und meiner Arbeit im interdisziplinären Forschungsprojekt "Nachhaltige Entwicklung zwischen Durchsatz und Symbolik" des BMBF-Forschungsprogramms "Sozial-ökologische Forschung". [9]
2. Raum als Container, Netzwerk und Sphäre: Erkenntnistheoretische und methodische Zugänge
Der spatial turn in den Sozialwissenschaften hat auch die diskurstheoretische Debatte erreicht. Von einer raumsensiblen Perspektive in der Diskursforschung zu sprechen, wäre jedoch in zweierlei Weise irreführend. Zum einen würde der Eindruck erweckt, als sei die räumliche Dimension sozialer Wirklichkeit zuvor nicht problematisiert worden und zum anderen, als gäbe es nun keine raumvergessene Sozialwissenschaft mehr. Roland LIPPUNER und Julia LOSSAU kritisieren "die Raumfalle des spatial turn", indem sie feststellen: "Auch die aktuelle Diskussion von Raumfragen neigt dazu, Gesellschaft mit Physischem (Raum) zu verknüpfen und dabei Produkte sozialer Praktiken in scheinbar natürliche 'geographische Gegebenheiten' zu verwandeln" (2004, S.48). Der Raum wird als konstruiert "entlarvt" und dennoch allzu oft als Erklärungsgröße für soziale Ordnung herangezogen. Beispielhaft für diesen Konstruktionsprozess sind räumliche Zuschreibungen für Gesellschaften, Kulturen oder Politiken ("Armutsquartier" u.ä.). [10]
Für das von mir bearbeitete Themenfeld kommunaler Nachhaltigkeitspolitik hat diese Kritik zur Folge, dass für eine diskursanalytische Betrachtung auch eine Auseinandersetzung mit den impliziten Raumkonstruktionen geführt werden muss. Raumstrukturen einer Stadt sind einerseits der Ausgangspunkt stadtentwicklungspolitischer Leitbilder und andererseits sind sie Ausdruck von deren Umsetzung in einer (nachhaltigen) Stadt- und Regionalentwicklung. Es gibt keinen nachhaltigen Raum an sich. Dieser wird erst über Begriffe wie "Zukunftsfähiges Hamburg" (UB 2001), "Zukunftsfähiges Deutschland" (BUND & MISEREOR 1996) oder "Sustainable Regions of Europe" (BBR 2000) als nachhaltiger Raum konstruiert. Für die Analyse städtischer Nachhaltigkeit ist daher zu beachten, dass Aussagen zu "Raum", "dem Städtischen" oder "Regionen", genauso wie Aussagen zu "Nachhaltigkeit" innerhalb der gleichen machtdurchtränkten Deutungsmuster konstruiert werden. Ist ein ökonomisches Verständnis von Nachhaltigkeit vorherrschend, wird dieses auch für das Verständnis von Raum prägend sein. [11]
Diese erkenntnistheoretische Perspektive steht im Kontrast zu Studien, die den Raum als einen dreidimensionalen Container begreifen. Besonders bei ausschließlich quantitativ ausgerichteten Forschungen werden i.d.R. Raumausschnitte bzw. Territorien betrachtet, die durch Punkte charakterisiert und durch diese mit Daten verbunden werden. Diese empirische Praxis macht den Raum zu einer prädiskursiven Entität. Dieses Vorgehen kann als naiver Empirismus bezeichnet werden, der das erkennt, was er benennt. Für eine sozialwissenschaftliche Raumforschung geht es nicht allein darum, geographische Anordnungen sichtbar zu machen und zu beschreiben, sondern darum, das Verhältnis räumlicher Organisation und gesellschaftlicher Strukturen zu erkennen. Dieser Anspruch ist besonders für diskursanalytische Beiträge relevant, die sich mit Globalisierungs- und Regionalisierungsprozessen, mit globalen Umweltveränderungen, Ressourcenkonflikten, Stadtpolitik u.ä. Themenfeldern beschäftigen. [12]
Eine Diskursforschung, die eine relationale Perspektive vertritt und die Wechselwirkungen von Konstruktions- und Konstitutionsprozessen untersucht, muss konsequenterweise alle Dinge als relational begreifen, egal ob diese Dinge Orte, Identitäten oder sozialräumliche Formationen sind. Materielle Objekte sind nicht unabhängig von Ideen und Vorstellungen zu verstehen. Aber auch Ideen entstehen nicht unabhängig von materiellen Objekten (MILLIKEN 1999, S.225). Im Prozess dieser Wechselbeziehungen werden Räume kontinuierlich hergestellt. [13]
2.1 Bearbeitung raum- und umweltbezogener Fragestellungen in der Diskursforschung
FOUCAULT hat in seinen frühen Arbeiten die "Verräumlichung" von Diskursen bspw. in seinen Studien zur Entstehung von Wahnsinn und psychiatrischer Anstalt oder die Reorganisation medizinischen Wissens und des klinischen Komplexes beschrieben. Raum wird hierbei als Sozialgefüge von Institutionen relevant. FOUCAULT hat jedoch in keiner seiner Arbeiten eine diskurstheoretische Konzeptionalisierung seines Raumbegriffs vorgenommen oder sich explizit für einen relationalen Raumbegriff ausgesprochen. Für die Diskursforschung sind daher verschiedene sozialkonstruktivistische Ansätze in Anschlag gebracht worden, die mit diesem konzeptionellen Problem umzugehen versuchen. Da an dieser Stelle nur exemplarische Arbeiten genannt werden können, beschränke ich mich auf den Bereich der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung, in der die diskursive Praxis der Konstruktion und Konstitution von Bedeutung und Materie Gegenstand der Untersuchung ist. [14]
In der deutschsprachigen Umweltforschung legte Anfang der 1980er Jahre Herbert KITSCHELT als erster eine sozialkonstruktivistisch informierte Studie vor, die Umweltdiskurse untersucht (1984). Darin arbeitet er die Deutungsmuster der energiepolitischen Debatte in Deutschland heraus, indem er die Gesellschaftskonzeption und den Verlauf sich wandelnder gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse im Streit um Kernenergie darstellt. In ähnlicher Weise, aber mit einem stärkeren Fokus auf dominante Akteurskonstellationen, zeichnen Mechthild OECHSLE (1988) und Reiner SCHÜRING (1996) den Ökologiediskurs der Ökologiebewegung nach. Diese frühen Studien beziehen sich auf die "Theorie der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit" von Peter BERGER und Thomas LUCKMANN (1980), die in der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung stark rezipiert wurde. BERGER und LUCKMANN lenken den Blick auf die Deutungsmacht einzelner Akteure und den Prozess der kollektiven Aushandlung sozialer Wirklichkeit. Sie rücken damit Prozesse gesellschaftlicher Objektivierungen ins Zentrum. Die aus dieser Theorie abgeleiteten Analysen konzentrieren sich auf Erfahrungsperspektiven einzelner Gesellschaftsmitglieder. Damit rückt die Frage, wie überindividuelles Wissen entsteht, in den Hintergrund (KELLER 2001, S.120). [15]
In jüngeren Studien kommen auch diskurstheoretische Ansätze zur Anwendung. So wird z.B. mit der Rahmenanalyse gearbeitet, die im Feld der Medien- und sozialen Bewegungsforschung breite Resonanz gefunden hat (GERHARDS 1992; POFERL 1997; KELLER 1998; BRAND, EDER & POFERL 1997). Diskurse werden hier als kontrovers strukturierte Felder symbolischer Interaktion verstanden, in denen verschiedene Akteure um die Definitionsmacht sozialer Wirklichkeit konkurrieren (BRAND & JOCHUM 2000, S.9; vgl. auch BENNET & CHALOUPKA 1993; ROSS 1995; DESFOR & KEIL 1999). [16]
Eine Diskursforschung, die sich an FOUCAULT orientiert, hat seit Mitte der 1990er Jahre vor allem über sprachpragmatische und anti-essentialistische Ansätze Eingang in die Umweltforschung gefunden. Es liegen Studien vor, die die "Öko-Sprache" demystifizieren (MYERSON & RYDIN 1996; HARRÉ, BROCKMEIER & AUSLER 1998), die Macht von Begriffen im Nachhaltigkeitsdiskurs analysieren (MACNAGHTEN & URRY 1998) und das Verhältnis von Diskurs und Hegemonie in der Umweltpolitik überprüfen (RICHARDSON & JENSEN 2004; THROGMORTON 1996; HAJER 1995). Die meisten Arbeiten setzen sich mit einzelnen Umweltaspekten und deren begrifflicher Konstruktion auseinander, wie z.B. die Umweltdebatte zur Müllproblematik (KELLER 1998), zum sauren Regen (HAJER 1995), zur Atomenergie (JUNG 1994), zur Gentechnik (ARETZ 1994), zum Waldsterben (REICHERT & ZIERHOFER 1993) und zum Ozonloch (LITFIN 1994). Aktuell wird für die Analyse gesellschaftlicher Naturverhältnisse auch FOUCAULTs Konzept der Gouvernementalität diskutiert. Hierbei werden die Technologien des Regierens und die Durchsetzungskraft alternativer bzw. widerständiger Diskurse in den Vordergrund gerückt (DARIER 1999; LUKE 1997; OELS 2005). [17]
In der umweltbezogenen Stadtforschung hat seit Mitte der 1990er Jahre der Ansatz der urban political ecology zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dieser Ansatz untersucht umkämpfte Diskurse im Dreieck von Ökologie, Politik und dem Städtischen, wobei diese drei Eckpunkte selbst als sozial konstruiert betrachtet werden. In den meisten Arbeiten der urban political ecology wird versucht, Ansätze der politischen Ökonomie und der Diskursforschung zusammenzubringen, um sowohl diskursive Praktiken wie physische Prozesse untersuchen zu können (SWYNGEDOUW, KAIKA & HEYNEN 2005; KEIL & DEBBANÉ 2005; GANDY 2002). Leider ist bisher für diesen vielversprechenden Ansatz dessen theoretische Begründung stärker ausgereift als dessen empirische Fundierung. [18]
2.2 Materialitätsproblem: Das Verhältnis von physischem und sozialem Raum
Die gesellschaftlich produzierte Ordnung von Diskursen bringt Räume hervor, die FOUCAULT als "Heterotopien", "andere Räume" oder "Gegenorte" beschreibt (FOUCAULT 1986). Die von ihm untersuchten Räume beschränken sich jedoch allein auf institutionalisierte Orte sozialer Ordnung, wie psychiatrische Kliniken, Gefängnisse, Kasernen, Friedhöfe, Kinos und Theater, Gärten, Museen, Bibliotheken usw. Diese Einschränkung ist m.E. diskurstheoretisch nicht begründet. [19]
Pierre BOURDIEU (1991) und Henri LEFEBVRE (2005) argumentieren mit der analytischen Trennung eines physischen und eines sozialen Raums. Sie schlagen vor, einen physischen Raum der materiellen Existenz von einem sozialen Raum der Gesellschaftsstrukturen und Subjektpositionen zu unterscheiden. Erst dann sei der sozial angeeignete Raum zu erkennen. Über die alltägliche Praxis der Raumaneignung durch soziale Subjekte wird sowohl der physische Raum mit Bedeutung aufgeladen wie der soziale Raum materiell fixiert. BOURDIEU erläutert diesen Prozess und seine daraus folgende empirische Prämisse am Beispiel der Begriffe "problematische Banlieues" und "Ghetto" und deren sozialräumlichen Effekten für die Entwicklung von Gewaltstrukturen in Pariser Vororten. Er leitet aus den Erkenntnissen seiner Arbeit den epistemologischen Hinweis ab, dass man "mit den falschen Plausibilitäten und der substantialistischen Verkennung von Orten nur mittels einer stringenten Analyse der Wechselbeziehungen zwischen den Strukturen des Sozialraums und jenen des physischen Raums brechen" kann (BOURDIEU 1997, S.162). [20]
Solch eine Betrachtung hat Konsequenzen für die Datengrundlage, für die Empirie und die Ergebnisinterpretation einer Diskursanalyse. Innerhalb der Diskursforschung, die sich explizit mit der Wechselbeziehung von Sinn und Materie auseinandersetzt, besteht keine Einigkeit darüber, in welchem Maße Materialität für eine Diskursanalyse von Bedeutung ist. Grundsätzlich ist Materialität nur in ihrer Ereignishaftigkeit relevant für eine diskursanalytische Betrachtung. Regelhaftigkeit, Formautonomie und eigenständige Funktionalität eines Diskurses entscheiden über dessen Materialisierungsform (ANGERMÜLLER, BUNZMANN & NONHOFF 2001). Erst die Gegenwart des diskursiven Ereignisses verleiht dem Raum als Untersuchungsgegenstand "Gewicht". [21]
Für eine Diskursanalyse zur Nachhaltigkeitspolitik heißt das z.B., dass "Stadt" oder "Region" nicht in ihren gesetzten territorialen Grenzen verankert, sondern jeweils als raumzeitlich gebundene Konstrukte zu verstehen sind. Als Konsequenz dieser Betrachtung kann der Raum eines lokalen Nachhaltigkeitsdiskurses ggf. als ein anderer erkannt werden als der Raum eines lokalen Sicherheitsdiskurses, auch wenn beide vom gleichen Territorium sprechen. Eine analytisch getrennte Betrachtung eines physisch-materiellen Raums und eines sozialen Raums vorzunehmen ist hilfreich, um Aussagen über Referenzen und Projektionen von Räumen machen zu können. [22]
Ein unmittelbarer Zugriff auf eine dem Diskurs vorgängige Wirklichkeit ist aus einer diskurstheoretischen Perspektive unmöglich. Daher stehen auch für die Betrachtung des physischen Raums kultur- und sozialwissenschaftliche Methoden im Vordergrund, die Repräsentationsformen beschreiben lassen. Da der physische Raum nun aber nicht so einfach als Teil des Textkorpus in eine Diskursanalyse aufgenommen werden kann, bedarf es eines breiteren Daten- und Methodenspektrums zu dessen Erfassung. Hierfür können z.B. Visualisierungen mittels Karten, Fotografien, Computeranimationen, Filmen, Graphiken u.ä. berücksichtigt werden. [23]
2.3 Maßstabsproblem: Das Verhältnis von Lokalität und Globalität
Die Weise, in der ein Forschungsobjekt betrachtet wird, ist wesentlich für das Erkenntnispotenzial. Das heißt für die Diskursforschung: der verwendete Raum- und Ortsbegriff begrenzt die Wahrnehmung der sozialen Welt. Auf diesen Zusammenhang weist Doreen MASSEY mit ihrem vehementen Aufruf "geography matters" (MASSEY & ALLEN 1984) hin und stellt durch ihre Rekonzeptionalisierung der Schlüsselbegriffe "Raum", "Ort", "Region", "Lokalität" ein Instrumentarium zur Verfügung, das m.E. für eine raumsensible Diskursforschung zu einer Differenzierung beiträgt. Mit ihm lassen sich räumlich ungleiche Entwicklung und geographischer Wandel in den Blick nehmen. Außerdem sind MASSEYs Raum- und Ortsbegriff und deren relationale Konzeptionierung schon weitgehend in den Sozialwissenschaften eingeführt (MASSEY 2006; HUBBARD, KITCHIN & VALENTINE 2004). [24]
In welcher Weise sind lokale Probleme als lokal zu verstehen? Aus einer relationalen Perspektive können Orte als ein durchlässiges Netzwerk sozialer Beziehungen verstanden werden. MASSEY schlägt den Begriff der Machtgeometrien (power geometries) vor, um hervorzuheben, wie Gruppen und Individuen in diesem Netzwerk unterschiedlich positioniert sind. Die Ausprägung eines Ortes (place) kann als eine Konstruktion auf Grund einer bestimmten Konstellation sozialer Beziehungen verstanden werden, die an einem konkreten Ort (locus) zusammentreffen. Mit diesem Begriff wird nicht nur der Raum als machtdurchdrungen verstanden, sondern auch der Ort (vgl. GREGORY 1995). [25]
Die Begriffe "lokal" und "Ort" sowie "global" und "Raum" werden in diskursanalytischen Studien i.d.R. synonym verwendet, und gleichzeitig wird die lokale Betrachtungsebene als empirisch weniger relevant abgewertet. Innerhalb dieser dualistischen Konzeption wird die globale Ebene als Abstraktion und die lokale Ebene als Konkretion betrachtet, obwohl globale Prozesse im gleichen Maße konkret sind, wie lokale Prozesse abstrakt (MASSEY 2006, S.27). Deren Trennung beschränkt nicht nur die Bedeutung der Begriffe, sondern ist auch analytisch problematisch. Für die Betrachtung von Orten treten in der Diskursforschung sozialräumliche Formen der Vergesellschaftung in den Vordergrund, die als Hybridisierungen erkannt werden. Dass auf der lokalen Ebene auch sozialräumliche Fragmentierungsprozesse ablaufen, bleibt auf diese Weise unsichtbar. [26]
Besonders die aktuelle Globalisierungsdebatte und die Nachhaltigkeitsdebatte haben zu einer verschärften Kontrastierung zwischen einer lokalen und globalen Ebene geführt. Globalisierungstheorien unterscheiden einen globalen space of flows und einen lokalen space of places, um unterschiedliche Formen der Durchlässigkeit von territorialen Grenzen für Waren-, Menschen-, Finanz- und Informationsflüsse hervorzuheben (CASTELLS 1996). Diese Opposition gipfelt in Ausdrücken wie "global vernetzt, lokal verankert" (Kongresstitel des 52. Deutschen Geographentags 1999). Eine relationale Position behauptet nicht, dass Lokalität nicht konkret, verankert oder real sei, sondern dass dies auch für den Raum gelte. Lokalität ist nicht allein Effekt, sondern auch Bedingung globaler Prozesse und Handlungsmacht. Orte sind ein produktiver Teil einer weit reichenden Geometrie der Macht (MASSEY 2006, S.29). Globalisierung als Entterritorialisierung zu konzeptionalisieren hieße, sich das Globale als ortlosen, grenzenlosen, ungebundenen space of flows vorzustellen und alle anderen sozialräumlichen Organisationsformen sozialer Beziehungen als vernachlässigbare Größen zu betrachten (BERKING 2006, S.8f.). Das Lokale entsteht jedoch gerade im Wechselspiel mit globalen Prozessen und Narrativen. [27]
Das Leitbild "Nachhaltigkeit" ist ein exemplarisches Konstrukt für diese Art maßstabsverfestigender Betrachtung. Nachhaltigkeit wird auf der globalen und lokalen Ebene unterschiedlich thematisiert. Die globale Ebene wird als diskursiver Raum der Problembenennung benannt, und die lokale Ebene ist der Ort für Problemlösungen. Die maßstabsbezogene Differenzierung von Nachhaltigkeitspolitik zeigt, dass eine Diskursanalyse städtischer Nachhaltigkeit Elemente sozial-räumlicher Wirklichkeit auf der Ebene lokaler Diskurse wie auch supralokaler Diskurse berücksichtigen muss, um die Zuschreibung bzw. Verunmöglichung bestimmter Denk- und Handlungsweisen für die lokale Ebene sichtbar machen zu können. [28]
Trotz internationaler politischer Bemühungen existiert kein universelles Verständnis von Nachhaltigkeit, genauso wenig wie für Globalisierung oder Klimawandel. Diese Problemfelder sind umkämpfte Diskurse, die auf unterschiedlichen Maßstabsebenen unterschiedliche Deutungsmacht erlangt haben. Kommt es zu Deutungsverschiebungen des Nachhaltigkeitsbegriffs, werden diese möglicherweise auf einer Maßstabsebene sichtbar, während sie auf einer anderen keinen Effekt haben. Die Umdeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs von einer globalen gesellschaftlichen Krise zu einer globalen Umweltkrise ist hingegen eine Konstruktionsleistung, die auf allen Maßstabsebenen wirkungsmächtig geworden ist und sowohl internationale Politik wie auch alltagsweltliche Entscheidungsprozesse bestimmt. [29]
Eine exemplarische Untersuchung zu den Wechselwirkungen diskursiver Praxis unterschiedlicher Maßstabsebenen haben die StadtsoziologInnen Roger KEIL und Anne-Marie DEBBANÉ mit ihrer Nachhaltigkeitsstudie zur kommunalen Wasserwirtschaft in Südafrika und Namibia vorgelegt. Sie erklären darin lokale Ausprägungen der Wasserpolitik mit den unterschiedlichen nationalen Debatten in den beiden Ländern, plädieren für eine multi-dimensionale Betrachtung stadtpolitischer Diskurse und leiten aus ihren empirischen Befunden die Notwendigkeit einer scale-sensitiveness für die Diskursforschung ab (KEIL & DEBBANÉ 2005). [30]
Eine raumsensible Diskursforschung muss immer auch eine maßstabsbewusste Diskursforschung sein, um Aussagen über die Reichweite von Diskursen machen zu können. Ich verwende in der folgenden Auseinandersetzung mit lokalen Diskursen den Begriff "lokal" im Sinne einer Ortsgebundenheit unterschiedlicher Identitäten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Theoriebildung in der Diskursforschung und meiner empirischen Erfahrung lohnt es sich m.E., der Raum- und Ortsgebundenheit von Diskursen größere Beachtung beizumessen. Mit welchen methodologischen Konsequenzen diese raumsensible Diskursanalyse bearbeitet werden kann, stellt der folgende Abschnitt zur Diskussion. [31]
3. Methoden und Ergebnisspektrum einer raumsensiblen Diskursanalyse am Beispiel lokaler Nachhaltigkeitsdiskurs
Meine diskursanalytische Arbeit beruht auf der oben hergeleiteten Annahme, dass lokale Raumstrukturen sowohl Ausdruck diskursmächtiger Stadtpolitik als auch physischer Gegebenheiten sind. Ziel der Arbeit war es, anhand der Untersuchung der diskursiven Praxis Hamburger Stadtentwicklungspolitik Aussagen zu ausgeschlossenen Deutungs- und Handlungsspielräumen nachhaltiger Entwicklung machen zu können. Problemdeutung, Problembenennung und Problemlösung sind die Schlüsselgrößen bei der Analyse der vieldiskutierten Diskrepanz zwischen Umweltwissen und Umwelthandeln für eine nachhaltige Entwicklung. Genau hier liegt das Erklärungspotenzial der Diskursforschung. Um (nicht-) nachhaltige Politik und alltägliches Handeln verstehen zu können, ist nicht nur eine politökonomische oder handlungstheoretische Analyse der Konflikte um materielle Ressourcen wichtig, sondern auch eine Analyse der diskursiven Praxis, die eben diese Ressourcen als konflikthaft bestimmt. So ist es z.B. nicht selbstverständlich oder gar natürlich vorgegeben, welche Ressourcen als knapp erkannt und damit zu umkämpften Ressourcen werden. [32]
Mit welchen Methoden lässt sich ein solches Anliegen mit den genannten Prämissen einer raumsensiblen Diskursforschung adäquat bearbeiten? Folgende Analyseschritte stellen Qualitätskriterien einer diskursanalytischen Methodologie dar: 1. die Abgrenzung von Diskursen auf Basis einheitlicher Formationsregeln (i.d.R. auf Basis qualitativer/quantitativer Inhaltsanalysen), 2. die Analyse der inneren Diskursstruktur (i.d.R. auf Basis qualitativer/quantitativer Inhaltsanalysen), 3. die Interpretation der Diskursordnung auf Grundlage der Verweisdichte einzelner Diskurse, 4. die Ableitung von Aussagen zu diskursiven Praktiken, Reichweite und Kontingenz einzelner Diskurse und ggf. zu Technologien der Macht (vgl. JÄGER 2001a, S.188ff.; JÄGER 2001b, S.96ff.; KELLER 2004, 93ff.). [33]
Zahlreiche Arbeiten, die sich der Diskursforschung zurechnen, kommen nicht über die ersten Analyseschritte hinaus (MILLIKEN 1999, S.238). Eine Inhaltsanalyse zu Sprachpraktiken und Formationsregeln ist aber noch keine Diskursanalyse. Ein inhaltsanalytisches Vorgehen zielt nicht primär auf den Diskurs, lässt aber die (Ursachen von Veränderung von) Bedeutungen im Diskurs herausarbeiten. Von Interesse für die Diskursforschung sind jedoch im besonderem Maße diskursive Praktiken, die sich aus der Identifizierung dominanter Deutungsweisen einzelner Diskurse erkennen lassen. Erst mit diesem weiteren Analyseschritt wird die produktive Macht von Diskursen sichtbar und sind Aussagen zu deren Materialisierung möglich. [34]
3.1 Vorschlag für ein raumsensibles Analyseprogramm
Entsprechend meines eingangs formulierten Arguments, dass für eine Diskursanalyse neben Aussagen zur Zeitdimension auch Aussagen zur Raumdimension relevant sind, schlage ich ein weiteres Kriterium für ein diskursanalytisches Vorgehen vor. Ausgehend von meiner zentralen Untersuchungsebene städtischer Diskurse sollten unterschiedliche Maßstabsebenen der Nachhaltigkeitspolitik berücksichtigt werden. Auf diese Weise lassen sich zum einen Aussagen zum lokalen Bezug auf Metaphern eines gesellschaftlichen Common Sense machen und lokalspezifische Diskursstrukturen erkennen. Zum anderen erlaubt dieses Vorgehen Aussagen zur Produktivität von Diskursen für lokale Raumstrukturen. Da die erstgenannten Kriterien einer Diskursanalyse an anderen Stellen ausführlich beschrieben sind (ANGERMÜLLER, BUNZMANN & NONHOFF 2001; KELLER 2001), werde ich mich auf das letztgenannte Kriterium einer Analyse maßstabsbezogener Produktivität von Diskursen konzentrieren. [35]
Tabelle 1 fasst das Forschungsprogramm meiner Arbeit "Spielräume nachhaltiger Entwicklung: Die Macht stadtentwicklungspolitischer Diskurse" zusammen (BAURIEDL 2007). Darin wird benannt, welchen empirischen Fokus die jeweiligen Analyseebenen verfolgt haben, welches Datenmaterial in die Studie eingegangen ist und mit welchen Methoden dieses bearbeitet wurde. Daraus wird ersichtlich, dass für eine diskursanalytische Mehrebenenperspektive mit einem Methoden-Mix gearbeitet werden muss, in dem sowohl qualitative wie quantitative Methoden zum Einsatz kommen. Da lokale Diskurse innerhalb eines überlokalen gesellschaftlichen Kontextes entstehen, wurden auch relevante Narrative berücksichtigt, die mit Hilfe einer Sekundäranalyse internationaler Vereinbarungen zur Nachhaltigkeitspolitik und von Publikationen der Nachhaltigkeitsforschung untersucht wurden. Die spezifisch lokalen Diskurse wurden mittels Inhaltsanalysen stadtpolitischer Dokumente und Nachhaltigkeitsbeiträgen der Lokalpresse herausgearbeitet. Um Aussagen zur Produktivität lokaler Diskurse manifestieren zur können, wurde außerdem ein Umsetzungsbeispiel lokaler Politik mittels einer Inhalts- und Bildanalyse von Projektpublikationen untersucht.
Analyseebene |
Empirischer Fokus |
Empirisches Material |
Empirisches Vorgehen |
Narrative |
Kultureller Deutungskontext |
Schlüsseldokumente der internationalen und europäischen Nachhaltigkeitspolitik und Nachhaltigkeitsforschung |
Deskriptive Dokumenten- und Sekundäranalyse |
Lokale Diskurse (Stadtentwicklungsdebatte) |
Diskursstruktur und Diskursordnung |
Leitbilddokumente der Stadtentwicklungspolitik |
Qualitative Inhaltsanalyse |
Lokaler Diskurskontext, diskursive Ereignisse |
Lokalpresse |
Quantitative Inhaltsanalyse |
|
Lokaler Diskurskontext |
Programmatische Dokumente der parlamentarischen und außerparlamentarischen Stadtpolitik |
Deskriptive Dokumentenanalyse und Bildanalyse |
|
Local stories (Stadtentwicklungsprojekte) |
Diskursive Praxis der räumlichen Strukturierung, |
Leitbilddokumente der Projektentwicklung |
Qualitative Inhaltsanalyse, Sekundäranalyse |
Tabelle 1: Analyseebenen einer raumsensiblen Diskursanalyse lokaler Nachhaltigkeitspolitik. [36]
Die Methodenanwendung und die daraus abgeleiteten Ergebnisse werden im Folgenden für diese drei Analyseebenen in einzelnen Abschnitten beschrieben. Ausgangspunkt der Diskursanalyse städtischer Politik sind die lokalen Diskurse. Entsprechend wurden diese im ersten Analyseschritt bearbeitet. Es schließt sich die Analyse der Umsetzungsebene an und als abschließender Analyseschritt der Bezug auf Narrative der Nachhaltigkeitspolitik. [37]
3.2 Analyse lokaler Diskurse: Die Bedeutung der Diskursstruktur
Im Zentrum der Diskursanalyse steht die Identifizierung von Regelhaftigkeit innerhalb schriftlich verfasster Aussagen, indem deren Ähnlichkeiten, Differenzen, Verschiebungen und deren Wiederholbarkeit beschrieben werden. Untersucht werden die expliziten Sprachpraktiken und impliziten Diskursstrukturen, die den Aussagen zum Untersuchungsgegenstand hintergründig sind. Übertragen auf lokale Nachhaltigkeit heißt das, die ausgewählten Texte werden danach befragt, welche Mechanismen, Metaphern und Deutungsmuster bei der Ausformulierung nachhaltiger Stadtentwicklung zum Tragen kommen. [38]
3.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse stadtentwicklungspolitischer Leitbilddokumente: Innere Diskursstruktur
Anliegen meiner diskursanalytischen Studie war es, Aussagen zur Problembenennung und -deutung lokaler Nachhaltigkeitspolitik machen zu können. Der zentrale empirische Arbeitsschritt war daher die Analyse der Aussage- und Formationsregeln in Leitbilddokumenten Hamburger Stadtentwicklung. Die Datenbasis bildeten die programmatischen Regierungsdokumente zur Stadtentwicklung, die im Untersuchungszeitraum zwischen 1990 und 2004 Leitbildcharakter hatten und umfassende Visionen städtischer Zukunft beschreiben. Jedes der Einzeldokumente steht erstens für sich selbst, zweitens in seinem institutionellen Kontext, drittens für Wissensvorräte eines bestimmten Zeitabschnitts, viertens in einem begrenzten politischen Handlungsraum und fünftens als Referenz auf vorausgegangene Dokumente. Die untersuchten Texte können also als diskursbestimmend und "diskursdurchtränkt" verstanden werden. Die Auswahl des Textkorpus beruht auf dem Argument, dass die ausgewählten Stadtentwicklungspläne sowohl von den AutorInnen als auch von den NutzerInnen als Leitbilder für die Zukunft der Stadt verstanden werden und damit eine sinnstiftende Funktion für die Stadtpolitik haben. [39]
Für eine Analyse von Deutungszuschreibungen und für die Identifizierung der Diskurse Hamburger Stadtpolitik wurde eine Kodierung des Textmaterials vorgenommen, die sich auf Aussagen zum Zusammenhang ökologischer, ökonomischer und sozialer Entwicklung konzentrierte. Der Zugriff auf das Datenmaterial mit einer expliziten Suche nach der Ausformulierung eines Nachhaltigkeitsbegriffs hätte zu einer vorzeitigen Schließung des Analysespektrums geführt und die Formulierung nicht-nachhaltiger Entwicklungen unberücksichtigt gelassen. Außerdem machte dieser empirische Zugriff die den einzelnen Entwicklungsdimensionen anlagernden Deutungsweisen, diskursiven Praktiken und evtl. widersprüchliche Nachhaltigkeitsverständnisse sichtbar und half, diese differenzieren zu können. Für die Inhaltsanalyse der Schlüsseldokumente Hamburger Stadtentwicklungspolitik habe ich ein qualitatives Verfahren gewählt (Kodierung und Kategorisierung nach MAYRING 2003). Dieses Verfahren war für meine Fragestellung geeignet, da es mir um die Erfassung der Sinngehalte der Texte bzgl. ihrer Deutung von Nachhaltigkeit und um die Rekonstruktion von Argumentationsverweisen ging. Mit diesem Analyseschritt wurde die innere Deutungsstruktur von Diskursen aufgezeigt, indem verschiedene Interpretationsmöglichkeiten multipler Konnotationen der Aussagen des Textes sichtbar gemacht werden konnten (TITSCHER, WODAK, MEYER & VETTER 1998, S.83). [40]
Für die Rekonstruktion von Diskursen mit Hilfe von Textanalysen hat FOUCAULT (1981) in der "Archäologie des Wissens" einige nutzbare Hinweise gegeben, indem er vier Typen von Regelmäßigkeiten beschreibt: Formationsregeln von Texten lassen sich durch die Analyse der diskursiven Beziehungen zwischen erstens Gegenständen (Objekten), zweitens Begriffen, drittens Äußerungsmodalitäten (Subjektpositionen) und viertens thematischen Entscheidungen und denkbaren Strategien (strategische Optionen) erkennen. Rainer DIAZ-BONE hat aus diesen textanalytischen Unterscheidungen ein empirisches Vorgehen für die Diskursforschung erschlossen (1999).
Abbildung 1: Regel- und Formationssystem im Anschluss an Michel FOUCAULT nach DIAZ-BONE (1999, S.125). [41]
Dieses Schema diente bei meiner Studie als Grundlage für ein formalisiertes empirisches Vorgehen zur Analyse der internen Diskursstrukturen Hamburger Nachhaltigkeitspolitik. Entsprechend dieses Schemas wurden die Formationsregeln für jeden Diskurs entlang der Differenzierung seiner Objekte und Begriffe, seiner strategischen Optionen und der von ihm ermöglichten diskursiven Praxis der Deutung lokaler Nachhaltigkeit beschrieben. Ein Fokus auf Subjektpositionierungen oder Institutionen lokaler Nachhaltigkeitspolitik blieb in diesem Analyseschritt unberücksichtigt, da mich primär dominante Deutungsweisen von Nachhaltigkeit und deren Produktivität für die lokale Stadtstruktur interessierten. Dieses sehr formale inhaltsanalytische Vorgehen ist auch für einen geringen Datenumfang ein aufwendiger Analyseschritt. Meines Erachtens ist es jedoch nicht nur empirisch sinnvoll, um die Deutungsstruktur einer spezifischen Debatte zu erschließen, sondern auch für eine Diskursanalyse, die nicht einen spezifischen Diskurs a priori setzt – und damit den Diskurs findet, den sie sucht – notwendig. [42]
Da in diesem Beitrag die Auseinandersetzung mit den Methoden der Diskursforschung im Zentrum stehen soll, werde ich in der Darstellung meiner empirischen Arbeit nicht auf umfassende Ergebnisse meiner Diskursanalyse eingehen. Für die einzelnen Analyseschritte sollen hier nur beispielhafte Ergebnisse zur Illustration der Potenziale des Methodeneinsatzes vorgestellt werden. Zentrales Ergebnis der Inhaltsanalyse der Leitbilddokumente Hamburger Stadtentwicklung ist die Erkenntnis, dass sich verschiedene lokale Nachhaltigkeitsdiskurse benennen und voneinander abgrenzen lassen: Es existiert für die Hamburger Stadtpolitik kein singulärer Nachhaltigkeitsdiskurs, der ein in sich geschlossenes Zeichen- und Deutungssystem aufweist. Die Hamburger Nachhaltigkeitsdebatte wird vielmehr von mehreren Diskursen getragen, die durch verschiedene Argumente für eine nachhaltige Entwicklung gekennzeichnet sind. Dieses Ergebnis macht deutlich: wäre die Suche nach einem lokalen Nachhaltigkeitsdiskurs Ausgangspunkt der Analyse gewesen, hätten die alternativen Deutungen von Nachhaltigkeit in dieser Differenzierung nicht sichtbar gemacht werden können. [43]
Dieser Analyseschritt der Diskursabgrenzung und Diskursbenennung muss diskurstheoretisch begründet sein, um mit dem Problem der Reproduktion von Deutungssystemen umzugehen. Häufig wird an dieser Stelle der Analyse lediglich auf die empirische Erfahrung der DiskursforscherInnen verwiesen, die abgrenzbare Diskurse kenntlich mache. Ein diskursanalytisches "Erkennen" als Methode einzusetzen, hat Blindstellen zur Folge, die gerade bei der Analyse von Raummetaphern problematisch sind. Da DiskursforscherInnen selbst in den (Raum-) Strukturen verhaftet sind, die den zu untersuchenden Diskursen zugrunde liegen, besteht die Gefahr der Reproduktion von naturalisierten gesellschaftlichen Strukturen (LATOUR 1998). Dieses Grundproblem der Diskursanalyse kann nie ganz umgangen werden und muss daher für jede Studie konkret gemacht werden. [44]
Bei meiner Diskursanalyse habe ich versucht, einen Zirkelschluss der Diskursidentifikation zu vermeiden, indem ich das Material nicht nach vorher festgelegten Nachhaltigkeitsdiskursen befragt habe, sondern im ersten Schritt Diskursstrukturen identifiziert habe, im zweiten Schritt die Abgrenzbarkeit einzelner Diskurse anhand von evidenten Nachhaltigkeitsaussagen überprüft und erst im letzten Schritt diese Diskurse mit einer Begriffsbelegung differenziert habe. Diskursabgrenzung und -benennung begründe ich durch die spezifische Diskursstruktur der Nachhaltigkeitsdebatte. Die politische Idee von Nachhaltigkeit gilt dem Ausgleich eines ressourcenverbrauchenden Wirtschaftens und einer begrenzten Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen. Damit ist der Bezug auf eine dualistische Matrix zwischen Naturverbrauch und Naturerhalt bzw. Wirtschaftswachstum und Wachstumsverzicht jedem Nachhaltigkeitsbegriff immanent. Infolge dieser dualistischen Deutungsmatrix ist für eine Umsetzung von Nachhaltigkeitsdeutungen in konkrete Praxis eine Aufhebung dieser Gegensatzpaare nötig, um kohärent wirkende Handlungsstrategien diskursiv vermitteln zu können.
Diskurse |
Naturbe- |
Integrations-diskurs |
Governance- |
Win-Win- |
Effizienz- |
Standort- |
Verweise |
Umweltge- |
Sozial |
Partizipation |
Ökonomi- |
Umwelt- |
Regional |
Kernaus- |
Regional- |
Lebens- und |
Betroffenheit |
Umweltpro- |
Ressourcen-produktivität |
Geopoliti- |
Objektdiffe- |
Flächen- |
Soziale und |
Aktivierung |
Win-Win- |
Bedürfnis- |
Standort- |
Begriffs- |
Naturnahe |
Urbane |
Kooperation, Beteiligung |
Gleich- |
Flächen- |
Lagegunst, |
Strategische |
Flächen- |
Wachstum |
Steuerungs- |
Natur als |
Wachstum |
Wachstums- |
Diskursive |
Vernach- |
Kategorisie- |
Zuweisung |
Dynamisie- |
Konstruktion |
Verschärfung |
Tabelle 2: Lokale Nachhaltigkeitsdiskurse Hamburger Stadtentwicklungspolitik (BAURIEDL 2007, S.133) [45]
Für die Hamburger Stadtentwicklungspolitik äußert sich diese Vermittlung explizit in einem "Win-Win-Diskurs". Dieser Win-Win-Diskurs steht für eine Deutung von Nachhaltigkeit, die den Naturerhalt als positiven Effekt einer konsequenten Wachstumsstrategie vermittelt. Die alternativen lokalen Nachhaltigkeitsdiskurse zeigen weitere mögliche Vermittlungen. Der "Integrationsdiskurs" steht für ein ökonomisches Wachstum als Bedingung sozialer Stabilität, der "Naturbewahrungsdiskurs" für Wachstumsverzicht als Bedingung einer umweltgerechten Entwicklung, der "Effizienzdiskurs" für eine Entwicklung ohne Wachstumsverzicht und der "Standortdiskurs" steht für eine Wachstumsmaximierung als Entwicklungsnotwendigkeit. Lediglich der "Good-Governance-Diskurs" stützt sich ohne Wachstumsbezug auf ein partizipatives Demokratieverständnis, das aus einer erhöhten gesellschaftlichen und individuellen Umweltverantwortung abgeleitet wird. [46]
Die strategischen Optionen Hamburger Nachhaltigkeitsdiskurse weisen eine starke Selbstreferentialität auf. Die Deutungsverweise einzelner Aussagen können gleichzeitig als Bedingung und Effekt für die Begründung einer nachhaltigen Entwicklung funktionieren. Diese Praxis ist für den Effizienzdiskurs Hamburger Stadtentwicklungspolitik beispielhaft zu erkennen. Durch die Aufrufung des Arguments einer Bedürfnisbefriedigung der StadtbewohnerInnen, die an permanent steigende Nutzungsansprüche an Wohnraum, Wohnumfeld und Naherholungsmöglichkeiten geknüpft ist, wird die Notwendigkeit eines zunehmenden Flächenverbrauchs konstituiert. Diese performative Praxis, die sich in der ständigen Wiederholung von Aussagen über steigende Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und der Notwendigkeit ihrer Befriedigung zeigt, stellt einen Deutungszusammenhang her, der eine Zunahme des Ressourcenverbrauchs evident erscheinen lässt. [47]
3.2.2 Interpretation der Diskursordnung: Diskursdynamik und -produktivität
Die in Tabelle 2 zusammengefassten Diskursstrukturen machen noch keine Aussage zur Produktivität oder Stabilität der Nachhaltigkeitsdiskurse für die Hamburger Stadtentwicklungspolitik. Aussagen zur Diskursordnung erfordern einen weiteren Analyseschritt, der die zuvor identifizierten internen Diskursstrukturen zur Grundlage hat. Unterschiedliche Diskurse eines Politikfeldes stehen über Äquivalenzen und Differenzen miteinander in Bezug und bilden eine Ordnung. Die Rekonstruktion dieser Diskursordnung hat zum Ziel, die Produktivität von Diskursen im Zeitverlauf kenntlich zu machen. Entsprechend des Grundgedankens der Diskursanalyse, dass Diskurse Wirklichkeit herstellen, indem sie Wirkungszusammenhänge benennen, ist das Material daraufhin zu befragen, welche Deutungszusammenhänge zur Legitimation Hamburger Stadtentwicklungspolitik zu unterschiedlichen Zeitpunkten herangezogen werden. [48]
Auch wenn die tabellarische Darstellung Hamburger Nachhaltigkeitsdiskurse stark schematisiert ist, schafft sie doch die Möglichkeit, das Datenmaterial daraufhin zu prüfen, ob alle identifizierten Diskurse für den gesamten Untersuchungszeitraum Bedeutung erlangen und mit welcher thematischen Bindung diese zum Tragen kommt. Mit dieser Zusammenschau und der Kenntnis des Diskurskontextes wird nachvollziehbar, dass die unterschiedlichen Nachhaltigkeitsdiskurse zu verschiedenen Phasen der Stadtentwicklungspolitik dominant waren, aber auch nebeneinander in der gleichen Phase produktiv werden konnten. Ein empirisches Problem der Diskursforschung bleibt das Auffinden marginalisierter oder ausgeschlossener Diskurse oder ausgeschlossener SprecherInnen. Hier hilft nur die differenzierte Kenntnis der untersuchten Debatte durch eine begleitende Aufarbeitung von Sekundärtexten (vgl. MILLIKEN 1999, S.234). [49]
So lässt sich z.B. für die Hamburger Stadtentwicklungspolitik eine Reformulierung des Naturbegriffs nachzeichnen. Der Naturbegriff hat sich von der Beschreibung einer "empfindlichen Natur" zur Beschreibung einer "strapazierfähigen Natur" in der Nachhaltigkeitsdebatte verschoben. Das Ziel einer Bewahrung der Natur ist mit der Begründung ihrer Schutzfunktion zu einem Standortfaktor umgedeutet worden. Mit der Metapher der "empfindlichen Natur" wird Natur in einem fragilen Gleichgewicht beschrieben, das nach menschlichen Eingriffen nicht wiederhergestellt werden kann. Diese Metapher wird in den 1990er Jahre durch die Metapher einer "in Grenzen toleranten Natur" ersetzt. Diese Natur wird charakterisiert als ein Pendel, das stets zu einer stabilen Situation zurückfindet. Mit diesem Bild wird der Eingriff der Menschen in den Naturhaushalt als unproblematisch konstituiert und auch eine ressourcenverbrauchende Wirtschaft als nachhaltig definiert. Alternative Deutungen eines Gleichgewichts von Naturerhalt und Naturnutzung werden durch diesen Naturbegriff ausgeschlossen. [50]
Die Analyse der Produktivität Hamburger Nachhaltigkeitsdiskurse ließ einen Win-Win-Diskurs als dominante Deutungsstruktur Hamburger Stadtpolitik herausarbeiten. Ich bezeichne diesen Diskurs als produktiv im Sinne von FOUCAULTs jüngerem Machtbegriff. Der Win-Win-Diskurs Hamburger Stadtpolitik macht eine Auseinandersetzung über Nachhaltigkeit für unterschiedliche SprecherInnenpositionen möglich, die sich auf eine ökonomische Logik beziehen. Der dominante Win-Win-Diskurs gibt eine wachstumsorientierte Umsetzung nachhaltiger Entwicklung vor. [51]
3.2.3 Quantitative Inhaltsanalyse der Lokalpresse: Diskursereignisse und deren Produktivität
Die Produktivität von Diskursen zeigt sich darin, dass SprecherInnen oder AutorInnen sich auf sie beziehen, um an der Nachhaltigkeitsdebatte teilnehmen zu können. Inwieweit die einzelnen Nachhaltigkeitsdiskurse in der Hamburger Stadtentwicklungspolitik produktiv geworden sind, habe ich mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse der Nachhaltigkeitsberichterstattung der Lokalpresse untersucht. Mit diesem Analyseschritt lassen sich nicht nur Aussagen zur Dominanz einzelner Diskurse in der öffentlichen Debatte machen, es lässt sich auch überprüfen, ob einzelne lokale oder supralokale Ereignisse (extreme Umweltereignisse, Regierungswechsel, internationale Vereinbarungen o.ä.) zu diskursiven Ereignissen geworden sind. [52]
Die mediale Aufbereitung von Themen und Ereignissen folgt spezifischen Produktionsgesetzen der Printmedien. Sie reflektiert gesellschaftliche Konflikte in selektiver Weise und trägt damit zur Dynamik der öffentlichen Nachhaltigkeitsdebatte bei. Alle in der Stadtpolitik aktiven Akteure sind wiederum gezwungen, auf die in den Medien dargestellten Interessenkonflikte und Problemdeutungen nachhaltiger Entwicklung zu reagieren. Dieser Analyseteil folgt daher den Fragen: Mit welchen thematischen Bezügen wird das Leitbild Nachhaltigkeit kommuniziert, welche Nachhaltigkeitsdimensionen werden explizit gemacht und welche Maßstabsebenen der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung werden zur Diskussion gestellt? [53]
Datengrundlage der Medienanalyse waren zwei lokale Tageszeitungen. Die Beschränkung auf zwei Zeitungen (Hamburger Morgenpost, tageszeitung/Lokalteil Hamburg) hatte zunächst forschungspragmatische Gründe: Für beide Zeitungen war ein digitales Archiv verfügbar, eine Voraussetzung für die Suche nach Nachhaltigkeitsbeiträgen in zehn Jahrgängen anhand von Schlüsselbegriffen. Die inhaltliche Begründung der Auswahl lässt diese Beschränkung jedoch rechtfertigen. Die ausgewählten Zeitungen stehen für verschiedene Publika, da sie sich unterschiedlichen politischen Spektren zuordnen und unterschiedliche Vermarktungsstrategien haben (sog. Abonnementen- und Boulevardzeitung). [54]
Anders als bei der Inhaltsanalyse der Leitbilddokumente, wurde für die Medienanalyse nur Datenmaterial berücksichtigt, das sich explizit auf die Nachhaltigkeitsdebatte bezieht. Die Medienanalyse wurde im ersten Schritt als quantitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Zuerst wurden alle Artikel nach Schlüsselbegriffen durchsucht, die einen Bezug zu Nachhaltigkeitsthemen anzeigen. Da sich nach Durchsicht der ersten Jahrgänge eine große Trefferüberschneidung für unterschiedliche Suchbegriffe zeigte, konnte die Suche auf diese geringe Anzahl an Begriffen reduziert werden ("zukunftsfähig", "nachhaltig", "Agenda 21". Die aufgefundenen Artikel wurden in einem zweiten Schritt den Untersuchungsfeldern "Thema des Artikels", "Nachhaltigkeitsbezug", "genannter Akteur" zugeordnet, die erstens Hinweise auf thematische Schwerpunkte der Nachhaltigkeitsdebatte geben können, die zweitens Aussagen zur Dominanz einzelner Dimensionen nachhaltiger Entwicklung und die drittens eine Abgrenzung von Akteuren der Nachhaltigkeitsdebatte möglich machen. Artikel, die unter mehreren Schlüsselbegriffen aufgefunden wurden, sind nur einmal gewertet worden. Die Inhaltsanalyse basiert primär auf einfachen Häufigkeiten für die einzelnen Untersuchungsjahre. [55]
Da Subjektpositionen Hamburger Nachhaltigkeitsdiskurse nicht Teil der Forschungsfrage sind, wurden direkte Abhängigkeiten zwischen den Kategorien "Thema des Artikels" und "Akteur" für diese Medienanalyse nicht bearbeitet. Damit entfiel die Berechnung von Korrelationen einzelner Kategorien (bspw. zwischen Nachhaltigkeitsbegriffen und Sprechern), was eine EDV-unterstützte Bearbeitung unnötig gemacht hat. Der Textkorpus von 237 Artikeln war auch ohne spezielle Analysesoftware handhabbar. Die Wiederaufnahme, Reaktualisierung und Modifikation unterschiedlicher Diskurselemente wurde in der Medienanalyse mittels einer qualitativen Betrachtung des Datenmaterials vorgenommen. [56]
Die quantitative Darstellung der Nachhaltigkeitsberichterstattung hat Phasen starker Impulse in der Nachhaltigkeitsdebatte ablesbar gemacht. Die These, dass nationale oder internationale Ereignisse der Nachhaltigkeitspolitik die lokalen Nachhaltigkeitsdiskurse prägen, lässt sich jedoch nicht bestätigen. Die Verweise auf internationale Debatten waren sehr gering. Die Auseinandersetzung über Nachhaltigkeit wird anhand konkreter Projekte geführt. Auf dieser Ebene lassen sich Lösungswege darstellen und Konfliktfelder gegenüberstellen. Die Hamburger Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2012 Anfang 2000 ist bisher das prägendste diskursive Ereignis der Hamburger Nachhaltigkeitsdebatte mit einer enormen Resonanz in der Lokalpresse. Mit diesem Projektbezug wurde eine differenzierte Auseinandersetzung mit (nicht-) nachhaltigen umwelt- und sozialpolitischen sowie siedlungsstrukturellen Maßnahmen geführt. [57]
3.3 Analyse von local stories: Die Bedeutung der Raumstruktur
Ein wichtiger Analyseschritt, um Aussagen über die materielle Produktivität von Diskursen machen zu können, ist die Überprüfung der Relevanz diskursiv verfügbarer Deutungszusammenhänge in der lokalen Politik. Diskurse sind keine frei schwebenden Deutungssysteme, sie sind über lokale Diskursereignisse und lokale Erzählungen (local stories) an konkrete Orte gebunden. Zeit- und ortspezifische Deutungen von Wirklichkeit können auf diese Weise als kontingent und damit als präexistente (materielle) Wirklichkeit erscheinen. Diese diskursive Praxis der Raumkonstruktion kann für stadtpolitische Ziele und Partikularinteressen diskursmächtiger Akteure im begrenzten Maße auch strategisch betrieben werden. Wie schon oben erwähnt, können durch die performative Praxis des Wiederholens und Zitierens von Sprechakten Räume mit Deutungen belegt werden (BUTLER 1995; vgl. BUBLITZ 2003). Die Möglichkeiten der Rauminszenierung sind dabei abhängig von den strategischen Optionen der lokalen Diskursordnung und den vorhandenen local stories. Als local stories bezeichne ich raumspezifische Deutungszusammenhänge, die thematisch an konkrete Orte geknüpft sind. Den Begriff story halte ich hierbei für besonders geeignet, da er mit der Bedeutung des Erzählens verknüpft ist, eines Interpretierens von Geschichte. Local stories entsprechen also nicht allein tradiertem lokalen Wissen, sondern passen die von ihnen transportieren Erzählungen in die lokale Diskursordnung ein. [58]
3.3.1 Die HafenCity als local story Hamburger Nachhaltigkeit
Für die Untersuchung der Produktivität lokaler Nachhaltigkeitsdiskurse schlage ich die Analyse einzelner Umsetzungsprojekte der Stadtentwicklung vor. Für die Diskursanalyse Hamburger Nachhaltigkeitspolitik habe ich das städtebauliche Großprojekt "HafenCity" ausgewählt. Die HafenCity ist das aktuell zentrale Projekt Hamburger Stadtentwicklung, das in der stadtpolitischen und öffentlichen Wahrnehmung in Hamburg sehr präsent ist und mit dem sich die Stadt national und international präsentiert. Schon die Größe des Projekts und dessen Innenstadtlage ermöglichen vielfältige Nutzungsformen, es sind sehr unterschiedliche Akteure an der Planung und Umsetzung dieses Projektes beteiligt, und es ist an verschiedene Nutzergruppen adressiert. Um Aussagen über die Dominanz diskursiver Praktiken und den Ausschluss verfügbarer Nachhaltigkeitsdiskurse auf der Umsetzungsebene machen zu können, ist die Analyse eines solchen Projekts daher sehr geeignet. Für diesen Analyseschritt wurde die HafenCity sowohl als städtischer Funktionsraum als auch als Projektion Hamburger Stadtzukünfte untersucht. [59]
3.3.2 Qualitative Inhaltsanalyse von Planungs- und Werbedokumenten: diskursive Inszenierung eines Stadtraums
Meine empirischen Ergebnisse zur symbolischen und materiellen Inszenierung städtischer Nachhaltigkeit beruhen auf einer qualitativen Inhaltsanalyse der Planungsdokumente, die von der Projektentwicklungsgesellschaft und den zuständigen Hamburger Behörden verfasst wurden (Masterplanentwurf, Landschaftsplan, Bebauungsplan u.ä.), sowie deren Publikationskontext. Die Inhaltsanalyse wurde als theoriegeleitete Textanalyse durchgeführt. Die Texte wurden daraufhin untersucht, welche der im vorausgegangenen Analyseschritt erkannten Formationsregeln (vgl. Tabelle 2) sich hier wiederfinden und in welcher Weise sie für Aussagen zur HafenCity relevant werden. Mit Verweis auf den Reliabilitätsanspruch der Diskursforschung ist davon auszugehen, dass sich eine Diskursordnung, die in den Schlüsseldokumenten Hamburger Stadtentwicklungspolitik identifiziert wurde, auch in anderen Texten zur Stadtentwicklung wiederfindet lässt (MILLIKEN 1999, S.235). [60]
Die HafenCity kann als ein "Speichermedium" räumlich bedeutsamer Stadtentwicklungspolitik betrachtet werden. In einem städtebaulichen Großprojekt wie diesem ist in erster Linie der gesellschaftliche und stadtentwicklungspolitische Einfluss und erst in zweiter Linie der Einfluss planerischer, leitbildorientierter Gestaltung ablesbar (CURDES & ULRICH 1997, S.4). Für meine Diskursanalyse war von Interesse, auf welche Weise stadtentwicklungspolitische Diskurse für die Realisierung der HafenCity relevant werden. Genauso wie für die Analyse der lokalen Nachhaltigkeitsdiskurse wurde auch für diesen Analyseschritt die HafenCity-Erzählung genealogisch nachgezeichnet. Mit diesem Vorgehen sollten Diskursereignisse und die von ihnen transportierte diskursive Praxis erkennbar werden. [61]
Für die HafenCity-Realisierung waren mehrere lokale und supralokale Ereignisse diskursprägend. Die HafenCity wurde 1997 vom damaligen Hamburger Bürgermeister medienwirksam verkündet, nachdem zuvor von der Öffentlichkeit unbemerkt ein Masterplanentwurf erarbeitet und die nötigen Flächen in städtischen Besitz gebracht worden waren. In der Phase eines boomenden Büroimmobilienmarktes und großer Nachfrage nach innerstädtischen Wohnimmobilien wurde der ausgereifte Plan in Politik, Bevölkerung und Wirtschaft sehr positiv aufgenommen. Im Jahr 2000 wurde die HafenCity von den MinisterpräsidentInnen der Länder Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen zum Leitprojekt einer nachhaltigen Regionalentwicklung erklärt. [62]
Schon in dieser Phase stand das Argument der Win-Win-Optionen des Projektes im Vordergrund, indem auf das Gleichgewicht einer ökologischen Nachhaltigkeit (verkehrsreduzierende Innenstadtentwicklung und Reurbanisierung) und einer ökonomischen Nachhaltigkeit (Schaffung von Arbeitsplätzen in Hamburg) verwiesen wurde. Die Deutung der HafenCity als Nachhaltigkeitsprojekt wurde Anfang 2000 im Rahmen der Hamburger Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2012 noch expliziter formuliert: Die HafenCity war als das Kerngebiet der Spiele vorgesehen und sollte durch ihre innerstädtische Lage das Ziel einer umweltschonenden Großveranstaltung gewährleisten. Auch mit dieser HafenCity-Erzählung wird die diskursive Praxis einer Vernachhaltigung ökonomischer Ziele aufgerufen und verfestigt. [63]
Die HafenCity wird neben dem Anspruch einer nachhaltigen Stadtentwicklung noch mit anderen Zielen verbunden. Sie soll Optimismus für eine wachsende Stadt symbolisieren, sie steht für einen neuen Lebensstil, der Arbeiten und Erholen verbindet, sie soll die Symbiose von Stadt und Hafen und ein Leben mit der Elbe symbolisieren. Diese Multifunktionalität kann vermittelt werden, indem unterschiedliche Visionen für die HafenCity aufgerufen werden. Ein zentrales Motiv der HafenCity-Entwicklung sind ökonomische Verwertungsinteressen. Die Stadt trägt die finanziellen Kosten für die Aufbereitung der Bauflächen, der Kaianlagen, der Freiflächengestaltung und der Verkehrsinfrastruktur und schöpft dafür die Wertsteigerung der Bauflächen durch deren Verkauf ab. Die Stadt hat das Projekt dadurch mit einem hohen Verwertungsdruck belegt. [64]
Das Argument einer (langfristigen) Nachhaltigkeit des Projekts steht auf der materiellen Ebene im Widerspruch zum Argument der Notwendigkeit (kurzfristiger) ökonomischer Gewinne. Auf der rhetorischen Ebene lassen sich diese Argumente jedoch verbinden. Das HafenCity-Projekt wird mit Verweis auf den erhofften wirtschaftlichen Erfolg als ökonomisch nachhaltig legitimiert, mit Verweis auf Bürgerbeteiligungsprozesse bei der Detailplanung als sozial nachhaltig versichert und mit Verweis auf eine behutsame Erneuerung der alten Hafenbecken als ökologisch nachhaltig vermittelt. [65]
Für die Legitimationspraxis der HafenCity als Nachhaltigkeitsprojekt kann der Win-Win-Diskurs Hamburger Stadtentwicklungspolitik produktiv gemacht werden. Die Umsetzung des HafenCity-Projekts zeigt die produktive Macht dieses Diskurses, der ein Nachhaltigkeitsverständnis vermittelbar macht, das für einen harmonischen Ausgleich von ökonomischem Wachstum und Naturbewahrung steht. Dieser Deutungszusammenhang zeigt sich in allen untersuchten Dokumenten der Projektentwicklung. Er rekurriert auf die Aussagen und Formationsregeln des lokalen Win-Win-Diskurses, der mit der Inhaltsanalyse der stadtentwicklungspolitischen Dokumente herausgearbeitet worden war. [66]
Die produktive Macht des lokalen Win-Win-Diskurses zeigt sich auch für den Verlauf der HafenCity-Realisierung, bei der sich in den letzten zehn Jahren die Nutzungsstruktur stark verändert hat. Supralokale ökonomische Prozesse haben zu zwei Einschnitten des HafenCity-Projekts geführt. Kurz nach der Jahrtausendwende platzte die Blase des New Media Booms, was für die HafenCity einen Investitionseinbruch zur Folge hatte. Die Projektentwicklung und das Projektmarketing zielten daraufhin stärker auf Investoren für Wohnimmobilien und eine entsprechende Gestaltung des öffentlichen Raums und der Freizeit- und Konsumangebote in der HafenCity. Hauptmerkmal war nun nicht mehr die besondere Architektur eines kreativen Arbeitsumfeldes (international prämierte Architektur neben denkmalgeschützter Industriearchitektur), sondern die Freizeitqualität im Stadtraum HafenCity (Philharmonie, Aquarium, Shopping Mall, Promenaden). Kurz darauf führte die internationale Bankenkrise zur nächsten Investitionsbremse. Für die HafenCity wurde ursprünglich auf eine kleinteilige, abwechslungsreiche Entwicklung gesetzt, um eine nicht-nachhaltige Monostruktur wie bei anderen städtebaulichen Großprojekten zu vermeiden. Finanzstarke Investoren wollten nun jedoch großflächige Bebauungen realisieren und größere Teile des öffentlichen Raums für eine Kommerzialisierung nutzen. Die Analyse der jüngeren Dokumente der HafenCity-Entwicklung zeigt, dass auch nach diesem Paradigmenwechsel des Planungskonzepts weiterhin die Deutung von Win-Win-Optionen des Projekts vermittelt werden. Auf diese Weise wird die HafenCity zu einem Nachhaltigkeitsprojekt. [67]
3.3.3 Bildanalyse von Planungs- und Werbedokumenten: der Hafenrand als Kulisse stadtentwicklungspolitischer Diskurse
Die Materialisierung der HafenCity steht noch am Anfang. Bisher sind erst im städtebaulich attraktivsten Randbereich Gebäude entstanden. Daher verläuft die Rezeption des Projekts bisher primär über Visualisierungen, die im Auftrag der Entwicklungsgesellschaft und der beteiligten Investoren in den letzten zehn Jahren hergestellt wurden. Diese Visualisierungen liegen u.a. in Form von naturalistischen Zeichnungen, Videoanimationen, Fotomontagen, Modellbauten und Computeranimationen vor. Für eine Analyse stadtentwicklungspolitischer Diskurse ist es sinnvoll, auch die Bildinhalte und Stilmittel dieser Visualisierung aufzunehmen. Gerade durch visualisierte Setzungen der Raumgestalt werden Deutungsweisen aufgerufen, die sowohl auf kulturelle Kompetenz als auch auf lokales Wissen zugreifen (FLITNER 1999; ROSE 2001). [68]
Die Dokumentenanalyse hat gezeigt, dass die HafenCity-Erzählung entsprechend der Lesart eines Win-Win-Diskurses gedeutet wird. In diese Erzählung werden die lokal verfügbaren Raumbilder eingepasst oder entsprechend entworfen. Dazu werden alte Fäden der Geschichte des Ortes aufgenommen (Speicherstadt als historischer Ort des wirtschaftlichen Aufschwungs einer europäischen Handelsmacht) und mit neuen Fäden (HafenCity als lebendiger Stadtteil mit zukunftsträchtigen Arbeitsstätten) verknüpft. D.h., neben der materiellen Restrukturierung des Raums findet auch eine symbolische Reinszenierung des Raums statt. Diese parallelen Prozesse haben wechselwirksame Effekte. Die Elbe als das wesentliche räumliche Merkmal der HafenCity hat für das städtebauliche Projekt eine materielle wie symbolische Komponente. Einerseits dient sie als Verkehrsinfrastruktur und gibt wegen der Hochwasserstände die möglichen Bauformen vor. Andererseits dient sie als Träger symbolischer Aufladungen. Gerade die Schwankungen der Wasserstände werden zur besonderen Attraktion des Lebens in der HafenCity erklärt. Wind, Weite, Offenheit, Licht, Wellen und auch der Geruch der Elbe sollen einen maritimen Charakter hervorrufen, der noch bis in die 1980er Jahre die StadtbewohnerInnen davon abgehalten hatte, sich am Hafenrand niederzulassen, nun aber für eine besondere Wohnumfeldqualität steht. Auch die Konservierung relikter Hafenanlagen (Kräne, Leitern, Hafenbecken usw.) wird für die Inszenierung einer maritimen Kulisse eingesetzt. Die HafenCity wird auf diese Weise als Themenort besetzt, um bestimmte Argumentationslinien lokaler Politik relevant werden zu lassen und gewünschte Handlungsfolgen zu initiieren (FLITNER & LOSSAU 2005). [69]
Die Analyse der local story HafenCity zeigt, dass die Diskurse der lokalen Nachhaltigkeitsdebatte an die physische Welt geknüpft sind und dass es möglich ist, auf einen dominanten Nachhaltigkeitsdiskurs zu rekurrieren, ohne dass dessen Materialisierung im Widerspruch zu anderen Nachhaltigkeitsdiskursen steht. Die raumstrukturellen Bedingungen des HafenCity-Areals bestimmen die Realisierung des Projekts, indem sie die Folie möglicher Inszenierungen des HafenCity-Projekts bilden, d.h. die mögliche Umsetzung dieses Stadtentwicklungsprojekts ist durch eine diskursive und eine materielle Rahmung begrenzt, die sich gegenseitig bedingen. [70]
Unklar bleibt nach der Analyse des HafenCity-Projekts, ob die Umsetzungsmöglichkeiten von Großprojekten stets von den dominanten Diskursen der Stadtpolitik bedingt werden, so wie es für die HafenCity der Fall ist, oder ob auch marginale Diskurse zum Tragen kommen können. Am Hamburger Hafenrand wurden seit den 1990er Jahren neben der HafenCity weitere Großprojekte realisiert bzw. initiiert. Ich habe einige davon in Bezug auf ihre impliziten und expliziten Verweise auf andere Nachhaltigkeitsdiskurse untersucht. Dabei wurde deutlich, dass für die stadtpolitische Legitimierung nicht aller Projekte der Win-Win-Diskurs produktiv wird. Für andere Projekte, auch wenn sie zeitlich parallel realisiert wurden, entfalteten ebenfalls der Effizienzdiskurs, der Integrationsdiskurs, der Standortdiskurs und der Naturbewahrungsdiskurs Deutungsmacht für die jeweiligen local stories des Projektstandortes. [71]
Der Analyseschritt der Bildanalyse ist sehr aufschlussreich, um Aussagen über die Produktivität von Diskursen machen zu können, aber er ist in seiner empirischen Umsetzung problematisch. Die Berücksichtigung von Bildmaterial ist ein in der Diskursforschung bisher wenig angewandtes Verfahren. Hier können jedoch Erfahrungen mit der Interpretation von Bildmaterial bei Medienanalysen genutzt werden. Medienanalysen als Teil von Diskursanalysen berücksichtigen primär Fotografien oder Karten in Presseberichten. Für die Visualisierung der HafenCity habe ich vor allem Computeranimationen analysiert. Da für die Bildanalyse auf kein formalisiertes sozialwissenschaftliches Verfahren zurückgegriffen werden kann, musste auch für diesen Analyseschritt ein Interpretationsschema aus der Forschungsfrage abgeleitet werden. Für die Imagekampagne der HafenCity wird beispielsweise mit Projektionen der geplanten Architektur und Freiflächengestaltung gearbeitet. Diese zeigen auch die vorgesehenen Nutzungen und NutzerInnen des öffentlichen Raums. Für die Bildanalyse wurden die repräsentierten Subjekte und Materialisierungen des sozialen Lebens beschrieben. Diese wurden mit den Aussagen der untersuchten Leitbilddokumente der Stadtentwicklungspolitik in Bezug gesetzt, um Aussagen zu (Nicht-) Repräsentation von Nachhaltigkeitszielen wie soziale Diversität, Nutzungsmischung usw. machen zu können. [72]
3.4 Geographie von local stories: räumliche Relationalität der Diskursordnung
"Wenn Orte relational konstruiert sind, dann stellt sich die Frage nach der Geographie dieser Relationen" (MASSEY 2006, S.27, Übersetzung S.B.). Was Doreen MASSEY als power geometries beschreibt, habe ich versucht am Beispiel meiner Untersuchungsergebnisse darzustellen. Mittels einer kartographischen Visualisierung lassen sich die räumlichen Beziehungen unterschiedlicher local stories und deren diskursiver Praxis veranschaulichen. Dieses Verfahren als Teil einer Diskursanalyse bringe ich mit meiner Arbeit als neuen Analyseschritt in die Diskursforschung ein und schlage diesen als empirischen Baustein einer raumsensiblen Analyse vor. Da mir keine Referenzen auf ein vergleichbares Verfahren, das die Ortspezifik und Relationalität von Diskursen auf diese Weise untersucht, bekannt ist, soll dessen Analysepotenzial hier zur Diskussion gestellt werden. [73]
Grundlage dieses Analyseschritts ist die von mir vorgenommene Verknüpfung von Diskursen mit den Lokalitäten, von denen sie sprechen. Für die Diskursanalyse Hamburger Stadtentwicklungspolitik habe ich verschiedene aktuell debattierte Großprojekte untersucht, um Aussagen zu heterogenen Bezügen auf lokale Nachhaltigkeitsdiskurse machen zu können. Es sind nur diese Projekte bzw. die hierfür produktiven Diskurse in Abbildung 2 aufgeführt. Durch die kartographische Fixierung von dominanten Diskursen städtebaulicher Projekte wird die räumliche Nähe unterschiedlicher Nachhaltigkeitsdiskurse nachvollziehbar. Für die Hamburger Nachhaltigkeitsdebatte zeigt sich, dass die Dichte von Großprojekten am Hafenrand mit einer Dichte lokaler Diskurse verbunden ist, die auf verschiedene Nachhaltigkeitsverständnisse verweisen. Diese Dichte unterschiedlicher lokaler Diskurse bezeichne ich als Diskurslandschaft. Eine Diskurslandschaft visualisiert die Geographie von Diskursen einer raumbezogenen Debatte. Sie macht für meine Arbeit anschaulich, dass Stadtentwicklungsprojekte, auch wenn sie mit unterschiedlichen Nachhaltigkeitsdeutungen legitimiert werden, in räumlicher Nähe realisiert werden können. Die kartographische Verortung vielfältiger Nachhaltigkeitsdiskurse zeigt die Beziehung zwischen Raumstruktur und Diskursstruktur und lässt damit die (Re-) Produktion von Machtbeziehungen in räumlichen und sozialen Fragmentierungen nachvollziehbar machen (power geometries).
Abbildung 2: Diskurslandschaft der Hamburger Nachhaltigkeitsdebatte "Hafenrand" (Amt für Strom- und Hafenbau 1998; eigene
Erhebung) [74]
Die Diskurslandschaft "Hafenrand" in der obigen Abbildung zeigt weitere Großprojekte Hamburger Stadtentwicklung und benennt die Diskurse, die im Realisierungsprozess dieser Projekte produktiv geworden sind. Die Zuordnung weist auf diejenigen Diskurse Hamburger Stadtpolitik hin, auf die während der Realisierung dieser Projekte rekurriert wird. Diese Ergebniszusammenfassung hat sich als sehr hilfreich für die Interpretation der Raumrelevanz stadtpolitischer Diskurse erwiesen. Für den Untersuchungsraum wird auf diese Weise deutlich, dass es sich bei einer Stadt nicht um einen organischen Diskursraum handelt, sondern vielmehr um ein Patchwork unterschiedlicher Lesarten von Stadt und Zuschreibungen in der Stadt. [75]
Ich bin mir bewusst, dass diese Art der Ergebnisproduktion neue Raumbilder und Raumgrenzen produziert, genauso wie schriftlich verfasste Texte der Ergebnisproduktion dies auch tun. Die dargestellte Geographie lokaler Diskurse ist als eine Form der Ordnung von Diskursen zu verstehen, nicht als Festschreibung von Eindeutigkeit. Dieser Analyseschritt macht noch einmal den Faktor der Methodenkompetenz für eine Diskursanalyse sehr deutlich. Er zeigt, dass nicht nur die Datenauswahl und -interpretation, sondern auch die Ergebnispräsentation in hohem Maße durch die disziplinspezifischen Fähigkeiten der DiskursforscherInnen begründet sind. Als Geographin ist für mich das Kartenlesen und Kartenherstellen zur Erkenntnisgenerierung und -vermittlung mindestens so nahliegend wie das Lesen und Herstellen von Texten. [76]
3.5 Das Narrativ "Nachhaltigkeit": Die Bedeutung supralokaler Diskurse
Diskurse stehen innerhalb einer Maßstabsebene wie auch zwischen unterschiedlichen Maßstabsebenen miteinander in Beziehung. Die Identität von Orten ist immer auch ein Produkt von Beziehungen, die weit über den Ort hinausgehen (MASSEY 2006, S.26). Die Analyseergebnisse zur lokalen Diskursordnung und zu local stories wurden daher in einem weiteren Analyseschritt in Bezug gesetzt zu den Narrativen supralokaler Nachhaltigkeitspolitik. Ausgangspunkt dieses Vorgehens ist die diskurstheoretische Annahme, dass Konventionen, Bilder und Vorstellungen unser Sprechen prägen. Der Begriff "Narrativ" benennt diese Konventionen als besonders langlebige, kulturell geteilte Erzählungen. Indem Narrative und lokale Diskurse getrennt voneinander betrachtet werden, ist der Logik kultureller und sozialer Transformationsprozesse auf die Spur zu kommen (VIEHÖVER 2001, S.179ff.). [77]
Meine Aussagen zu den narrativen Schemata beziehen sich auf die nationale und internationale Nachhaltigkeitspolitik und Nachhaltigkeitsforschung. Sie beruhen erstens auf einer Primär- und Sekundäranalyse der Leitbilddokumente zur Nachhaltigkeitspolitik der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der deutschen Bundesregierung, mittels derer der Wachstumsbegriff und der Nachhaltigkeitsbegriff dieser Dokumente herausgearbeitet wurden (Textanalyse der normativen Setzungen "Wachstum" und "Nachhaltigkeit"). Zweitens wurden auf Grundlage der meistzitierten Beiträge der Nachhaltigkeitsforschung die verfügbaren Problem- und Lösungsdefinitionen einer nachhaltigen Entwicklung zusammengefasst. Dabei konnten drei zentrale Nachhaltigkeitsmodelle herausgearbeitet werden, die den Stellenwert einer ökologischen, sozialen und ökonomischen Entwicklung unterschiedlich hierarchisieren: das Begrenzungsmodell, das Gleichwertigkeitsmodell und das integrative Modell. Die Kenntnis der Struktur des Narrativs Nachhaltigkeit gibt die Möglichkeit, für die Ebene lokaler Diskurse ausgeschlossene Deutungen von Nachhaltigkeit zu erkennen. [78]
Die Hamburger Nachhaltigkeitsdebatte ist nicht allein auf Deutungszusammenhänge im lokalen Kontext beschränkt. Der Win-Win-Diskurs, und noch deutlicher der Standortdiskurs, verweisen mit ihren zentralen Begriffen und strategischen Optionen auf ein Wachstumsnarrativ, das ein Wirtschaftswachstum als Ausgangsbedingung für eine nachhaltige Stadtentwicklung konstruiert. Durch die diskursive Praxis einer Aufhebung des Gegensatzes von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz wird die Ausrichtung der Nachhaltigkeitspolitik auf eine wirtschaftsliberale ökologische Modernisierung diskursmächtig. Nachhaltige Entwicklung ist in dieser Lesart nur noch als ökonomisch erfolgreiche Entwicklung zu verstehen. [79]
Die Deutungsspielräume, die die untersuchten Narrative zeigen und die für lokale Problemlösungen einer nachhaltigen Entwicklung verfügbar wären, kommen in der Hamburger Nachhaltigkeitsdebatte nicht im vollen Maße zum Tragen. Sowohl in der Nachhaltigkeitsforschung wie auch in der nationalen Nachhaltigkeitspolitik werden alternative Verständnisse von Nachhaltigkeit zur Sprache gebracht, die sich auf der lokalen Ebene nicht wieder finden, d.h. auf Grundlage der Analyse lokaler Diskurse und der Narrativanalyse lassen sich eine lokale und eine supralokale Deutung von Nachhaltigkeit voneinander unterscheiden. Mit Bezug auf das supralokale Nachhaltigkeitsnarrativ könnte in Hamburg auch über Null-Wachstum oder über neue Wohlstandsmodelle diskutiert werden. Diese Deutungen sind für Hamburg jedoch innerhalb der relativ stabilen Diskursordnung städtischer Nachhaltigkeit ausgeschlossen. [80]
4. Analysepotenziale für eine raumbewusste Diskursforschung
Meine diskurs- und raumtheoretischen Ausführungen haben deutlich gemacht, warum eine Diskursforschung auch eine raum- und maßstabssensible Diskursforschung sein sollte. Es geht hierbei nicht um eine fachspezifische Diskussion der Anwendung einer Diskursanalyse für geographische Fragestellungen oder gar um die Begründung einer geographischen Diskursforschung. Der Begriff einer raumsensiblen Diskursforschung soll auf den Umstand hinweisen, dass auch Räume als Texte verstanden werden können, bzw. dass sich Texte nicht im leeren Raum befinden. [81]
Als erstes lässt sich vor dem Hintergrund des hier vorgestellten empirischen Programms, der geleisteten Ergebnisinterpretation und dessen Rückbindung auf die diskurstheoretische Konzeption feststellen, dass eine Diskursanalyse, die das Verhältnis von Diskurs und Raum in den Blick nimmt, sehr aufwendig ist und vielfältige methodische Kompetenzen verlangt. Als abschließendes Plädoyer für ein solches Vorgehen sollen hier die zentralen Potenziale zusammengefasst werden, die aus diesem raumbewussten Forschungsansatz resultieren. Die entscheidenden Potenziale sind in den Erkenntnissen zur Dynamik lokaler Diskurse, zu den räumlichen Relationen von Diskursen, zur Produktivität von Diskursen und zu den Möglichkeitsräumen diskursiver Praxis zu sehen. [82]
Nach FOUCAULT ist "die Welt des Diskurses nicht zweigeteilt zwischen dem zugelassenen und dem ausgeschlossenen oder dem herrschenden und dem beherrschten Diskurs" (1983, S.122). Daher gelte es, eine Vielfältigkeit von diskursiven Elementen, die in verschiedenartigen Strategien eine Rolle spielen können, zu rekonstruieren (ebd.). Widersprüchliche Diskurse existieren nicht nur in zeitlicher, sondern auch in räumlicher Nähe. Die Untersuchung der Deutung von "Nachhaltigkeit" zeigt auf der Ebene städtebaulicher Projekte, dass einzelne Nachhaltigkeitsdiskurse unterschiedliche Bedeutsamkeit für die Materialisierung von Stadtpolitik haben. Diskurse können als historisch und lokal kontingent bezeichnet werden. [83]
Laut Isabell LOREY sind Diskurse "immer in Bewegung und können sich mit anderen Kräfteverhältnissen verschieben, verstärken, widersprechen oder umkehren. Sie sind stets lokal und instabil" (1999, S.93). Auf Grundlage meiner empirischen Ergebnisse lässt sich feststellen, dass sich die historische Situiertheit von Diskursen durch eine höhere Dynamik auszeichnet als deren räumliche Situiertheit. Die vorliegende Diskursanalyse zeigt, dass die Stabilität von Diskursen nicht allein über Subjektpositionierungen zu erklären ist, sondern die diskursive Verankerung im physischen Raum mindestens genauso bedeutsam ist. Das enorme Beharrungsvermögen von Diskursen beruht genau auf dieser Wechselwirkung diskursiver Praxis und deren Materialisierungen im sozialen wie im physischen Raum. Mit der Analyse der diskursiven Praxis der Verknüpfung von Deutungssystemen an konkrete Orte lässt sich die Beharrungskraft lokaler Diskursordnungen differenzierter erklären. [84]
Auch wenn Diskursordnungen an bestimmte Zeiten und Räume des Wissens gebunden sind, ist eine Differenz zu dem denkbar, was vorgefunden wurde und damit als kontingent zu bezeichnen ist (BUBLITZ 2003, S.45f.). Wird der Prozess der Kontingenzproduktion entschlüsselt, ermöglicht dies Denkhorizonte und Spielräume für Kommunikations-, Austausch- und Aushandlungsprozesse alternativer Nachhaltigkeiten. Was ich für meine Diskursforschung "Spielräume diskursiver Praxis" genannt habe (BAURIEDL 2007, S.193), bezeichnen Richard ASHLEY (1989) und Roxanne DOTY (1997) in ähnlicher Weise mit dem Begriff "play of practice". Sie weisen darauf hin, dass ein analytischer Fokus auf die diskursiven Praktiken, die das Verhältnis sozialer und physischer Welt bestimmen und die Ordnung räumlicher Beziehungen festlegen, die Möglichkeitsräume offenlegt, innerhalb derer sich Deutungsweisen von Wirklichkeit bewegen können. Hamburg – im sozialen wie physischen Sinne – ist ein Möglichkeitsraum für bestimmte, aber nicht beliebige stadtentwicklungspolitische Diskurse. Es sind bestimmte Denk- und Argumentationsweisen in der Nachhaltigkeitsdebatte von den beteiligten Akteuren verstehbar, andere sind es nicht. [85]
Das hier vorgestellte empirische Vorgehen halte ich für übertragbar auf andere raumrelevante Fragestellungen. Einen wesentlichen Beitrag des hier vorgestellten Methodeneinsatzes sehe ich auch in dem Versuch einer Formalisierung des Analyseverfahrens. Für ein interdisziplinäres Feld wie die Diskursforschung sind die Kommunizierbarkeit von Methoden und die Wiederholbarkeit der Empirie nach meiner Erfahrung sehr wichtig. Dies lässt sich mit einer möglichst weitreichenden Formalisierung einer Diskursanalyse am ehesten gewährleisten. Das gilt vor allem für die Kommunikation diskursanalytischer Verfahren in Disziplinen, die einer post-strukturalistischen Forschungsperspektive bisher nur begrenzt aufgeschlossen gegenüberstehen, wie die Raum-, die Wirtschafts- oder die Naturwissenschaften. [86]
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Sybille BAURIEDL, Geographin, ist am Institut für Geographie der Universität Hamburg im Rahmen der sozial-ökologischen Forschung des BMBF tätig und koordiniert die Regionalstudien der Nachwuchsgruppe "Nachhaltige Entwicklung zwischen Durchsatz und Symbolik – NEDS". Sie hat eine Promotion zur "Macht stadtentwicklungspolitischer Diskurse" vorgelegt, die 2006 vom Deutschen Institut für Urbanistik ausgezeichnet wurde. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Stadtentwicklung in Europa, demographischer Wandel, Geschlechterverhältnisse, politische Ökologie, Diskurstheorie.
Kontakt:
Dr. Sybille Bauriedl
Institut für Geographie
Universität Hamburg
Bundesstr. 55
D-20146 Hamburg
Tel.: 0049 (0)40 / 42838-5217
E-Mail: bauriedl@geowiss.uni-hamburg.de
URL: http://www.neds-projekt.de/
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