Volume 16, No. 2, Art. 28 – Mai 2015
Tagungsbericht:
Daniela Schiek & Carsten G. Ullrich
Qualitative Online-Erhebungen. Tagung an der Universität Duisburg-Essen, 16. und 17. Januar 2015 (Campus Essen), Organisator_innen: Daniela Schiek und Carsten G. Ullrich
Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag verfolgt zwei Ziele: Er soll zum einen in das noch vergleichsweise neue Forschungsfeld qualitativer Online-Erhebungen einführen, um daran angelehnt zum anderen über die Ergebnisse einer Tagung zu diesem Thema zu berichten. Weil zu qualitativen Online-Erhebungen bisher kaum methodologische Reflektionen und forschungspraktische Handreichungen vorliegen, liegt die Herausforderung bei diesem Thema darin, die Besonderheiten von Online-Kommunikationen und deren Nutzen und Konsequenzen für die qualitative Sozialforschung überhaupt herauszuarbeiten und so einen Aufschlag zur Abgrenzung und Professionalisierung qualitativer Online-Erhebungen zu unternehmen. So kann die zweitägige Veranstaltung als "Exploration" verstanden werden, die das method(olog)ische Feld in seiner Komplexität zu entfalten und gleichsam gegenüber unspezifischen (quantitativen oder nicht-interpretativen) Belangen abzustecken suchte.
Keywords: Online-Forschung; Chat-Interview; Forumsdiskussion; Methodologie
Inhaltsverzeichnis
1. Qualitative Online-Erhebungen: Stand der Forschung und offene Fragen
1.1 Funktionen und Merkmale von Online-Kommunikationen und ihr Mehrwert für die qualitative Forschung
1.2 Anwendungserfahrungen mit qualitativen Online-Erhebungen
2. Tagung "Qualitative Online-Erhebungen": Abgrenzungs- und Professionalisierungsbestrebungen
2.1 Tagungsthema: Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen qualitativer Online-Erhebungen
2.2 Tagungsbeiträge und Diskussionen: Methodologische Sondierungen und Anwendungsideen
2.3 Definition qualitativer Online-Erhebungen, Entwicklungsbedarf bei den Analyseverfahren (abschließende Bewertung und offene Fragen)
1. Qualitative Online-Erhebungen: Stand der Forschung und offene Fragen
Obwohl qualitative Daten immer häufiger auch im Internet gewonnen werden, sind internetbasierte Methoden noch nicht im etablierten Kanon der qualitativen Erhebungsverfahren angekommen. Das gilt insbesondere für reaktive Formen, d.h. die gezielte Nutzung von Online-Medien für qualitative "Befragungen" wie bspw. Interviews und Gruppendiskussionen. Die Gründe dafür bestehen vermutlich zum einen darin, dass die reaktive Verwendung von Online-Kommunikationen als qualitative Verfahren bisher kaum methodologisch reflektiert ist und wir daher zurzeit nur sehr wenig darüber wissen, was online gewonnene Daten im Gegensatz zu den "herkömmlichen" Verfahren für die qualitative Forschung leisten können. Zum anderen sind aus den sicherlich vorhandenen Erfahrungen mit – und zwar verschiedensten Formen von – Online-Erhebungen (z.B. die Beiträge in DOMÍNGUEZ et al. 2007) vor allem im deutschen Sprachraum bisher noch kaum systematische Konsequenzen gezogen und zu instruktiven und praktischen "Handreichungen" aufbereitet worden. Denn beim Einsatz von Online-Medien als Instrumenten qualitativer Datenerhebung geht es nicht um eine einfache Übertragung vertrauter Verfahren in neue Medien und Kommunikationsformen. Vielmehr erfolgt die Datengewinnung unter neuartigen, bisher bei Erhebungen gerade nicht vertrauten Bedingungen. Nicht nur fordern diese Bedingungen die bisherigen Vorgangsweisen und Begriffsverwendungen qualitativer Methoden heraus, wenn sie sie nicht sogar komplett verändern. Auch werden durch diese Erhebungsbedingungen Daten "eigener Art" produziert, und so handelt es sich bei Online-Erhebungen vielleicht sogar um neue, eigenständige Verfahren. Währenddessen sind einige Aspekte allerdings womöglich gar keine Folge ihrer spezifischen Mediatisierung, sondern werden durch diese nur augenfällig(er). [1]
Zwei zentrale Fragen lassen sich als relevante Forschungslinien auf dem Gebiet der qualitativen Online-Erhebungen herausstellen: 1. Für welche Arten von Sinnkonstruktionen werden Online-Kommunikationen im Alltag verwendet und inwiefern sind sie für die qualitative Sozialforschung erkenntnisgewinnend? 2. Was ist bei ihrer Anwendung als Forschungsinstrumente praktisch zu beachten? Diese Fragen zeigen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Gebiet der qualitativen Online-Erhebungen nicht nur aus pragmatischen Gründen, sondern auch aus epistemologischer und methodologischer Perspektive keine "Orchidee" im Gebiet der Methoden ist. Vielmehr stellt das Feld einen durchaus als wesentlich zu erachtenden Bereich qualitativer Forschung dar – auch weil eine Kehrtwende in der stetigen Ausweitung alltagsweltlicher Online-Kommunikation kaum zu erwarten ist. Wir werden in den folgenden beiden Abschnitten auf die beiden genannten Fragen und das Argument eingehen, dass Online-Erhebungen für die qualitative Sozialforschung relevanter sein können, als es ihr derzeitiges Schattendasein vermuten lässt (Abschnitte 1.1. und 1.2). Anschließend stellen wir das Thema der Tagung (Abschnitt 2.1) sowie die dort diskutierten Beiträge vor (Abschnitt 2.2) und zeigen am Ende die Ergebnisse auf, wozu auch offen bleibende Fragen gehören (Abschnitt 2.3). [2]
1.1 Funktionen und Merkmale von Online-Kommunikationen und ihr Mehrwert für die qualitative Forschung
Das Feld der Online-Erhebungen beinhaltet alle Verfahren, in denen das Internet als Medium der Datenerhebung oder als primäre Datenquelle genutzt wird. Nicht zuletzt durch die gestiegenen und – denkt man an die Entwicklung von Smartphone-Anwendungen – vermutlich weiter steigenden technischen Möglichkeiten im Web 2.0 bieten sich neue Möglichkeiten für die qualitative Datenerhebung an. Online-Methoden werden schon seit Längerem als zukunftsweisend beschrieben und umfangreich genutzt oder zumindest in ihren Möglichkeiten ausprobiert und diskutiert. Das trifft nicht nur auf den relativ früh und umfassend reflektierten Bereich der ethnografischen Online-Forschung zu (u.a. CORRELL 1995; DOMÍNGUEZ et al. 2007; HINE 2000; STRÜBING 2006). Auch Gruppendiskussionen und Interviews werden schon seit etwa Mitte der 1990er Jahre mittels E-Mails, Web-Foren, Chats und Micro-Blogs durchgeführt (u.a. AYLING & MEWSE 2009; BAMPTON & COWTON 2002; FRÜH 2000; JAMES & BUSHER 2006; McCOYD & SCHWABER KERSON 2006; MURRAY 1997; REZABEK 2000; für einen Überblick vgl. FIELDING, LEE & BLANK 2008; MANN & STEWART 2000). [3]
Gleichwohl sind viele Fragen, die sich in der digitalen Interaktion auftun, schon im Umgang mit "natürlichen" Daten, d.h. bei der Analyse alltagsweltlicher sozialer Interaktionen, ungeklärt (BERGMANN 2000; GÜNTHNER 2012). Aber vor allem in Hinsicht auf die reaktive Online-Forschungskommunikation sind systematische methodologische Reflektionen eher selten, sodass sich die Frage nach ihren besonderen Merkmalen und Funktionen für die Interakteur_innen und, daraus folgend, für die qualitative Sozialforschung noch nicht eindeutig beantworten lässt. Hierzu sind Filterungen eines eventuell konstitutiven Kerns und Analysen von Interaktionen notwendig, die heute in den häufigsten Fällen schriftlich über das Internet stattfinden. Darunter fassen wir zunächst auch die Bildsprache (Emoticons, das kommentierte Senden von Fotos, Videos und anderen Bildern usw.) – es wird im weiteren Verlauf noch auf diese Problematik einzugehen sein. [4]
Die Besonderheiten der Online-Kommunikation bestehen in ihren ("offline" und mündlich eher aufwändigen und selten genutzten) Möglichkeiten der multimodalen (d.h. etwa akustischen oder visuellen) und der anonymen und alokalen Kommunikation. Häufig werden auch die Möglichkeiten der Flexibilität und Mobilität genannt, die zur Erreichbarkeit ansonsten schwer für Befragungen motivierbarer Untersuchungsgruppen und (auch finanziellen) Entlastung der Forscher_innen führt. Zusammen mit der Anonymität führe sie zudem zu einer geringeren Hemmschwelle bei Äußerungen und so zu einer geringeren "Verzerrung" (u.a. BAMPTON & COWTON 2002; BLOOR, FRANKLAND, THOMAS & THOMAS 2001; MANN & STEWART 2000). Schließlich wird auch die Erreichbarkeit von Gruppen genannt, die durch meist rein mündlich-verbale Face-to-Face-Kommunikationen aus den verschiedensten Gründen benachteiligt und somit bisher aus der Forschung eher ausgegrenzt sind. Dies wird zum einen in den Reflektionen über die Vorteile von Online-Kommunikation thematisiert (u.a. AYLING & MEWSE 2009; O'CONNOR, MADGE, SHAW & WELLENS 2008), und zum anderen findet sich dieses Argument in Bestrebungen, verstärkt auch Bild- und andere Sprach- und Sinnes-Systeme als (nicht nur) Forschungs-Kommunikationsformen einzusetzen, um Personen einbinden zu können, die sich verbal eher nicht oder schwer artikulieren (können).1) [5]
Während aber die technische Erreichbarkeit von Personen und ihre durch Mobilität und Flexibilität höhere Teilnahmebereitschaft noch keine spezifischen Merkmale qualitativer Methoden sind, sondern ebenso auch für die Durchführung standardisierter Umfragen gelten, ist die Feststellung des "ehrlicheren" und weniger durch soziale Erwünschtheit verzerrten Antwortverhaltens (u.a. BAMPTON & COWTON 2002; BLOOR et al. 2001; MANN & STEWART 2000) für das Paradigma der qualitativen Sozialforschung in die Frage nach der Konstruktion von Situationen und Daten "sui generis" zu übersetzen: Welcher Sinn und welche Handlungsprobleme werden in der Online-Kommunikation konstruiert und gelöst, sodass hier andere Erfahrungen und Handlungen realisiert werden als in Situationen, in denen die genannten Möglichkeiten der Interaktion nicht erfüllt sind bzw. genutzt werden? Ähnliches gilt auch für den Einbezug von sich eher nicht verbal oder narrativ artikulierenden Personen, der durch die Multimodalität sowie durch eine im Internet beobachtbare, höhere Toleranz gegenüber einer nicht "korrekten" Sprachverwendung möglich wird (BAMPTON & COWTON 2002). Sofern sich ihr Einsatz prinzipiell noch nicht von der Verwendung standardisierter Messinstrumente unterscheidet, stellt sich auch hier die Frage, welche ganz anderen Funktionen für Sinnkonstruktion und -artikulation durch sie bedient werden können, aufgrund derer tatsächlich von eigenen Methoden und nicht nur von verschiedenen Formen oder speziellen Zielgruppen bereits bekannter Methoden gesprochen werden könnte.2) So sind diese genannten Vorteile zwar zweifelsohne wichtige Aspekte der (qualitativen) Forschung, sagen aber noch wenig darüber aus, ob Individuen diese Kommunikationsformen für spezifische Handlungsprobleme nutzen und sie deshalb auch für die Sozialforschung Instrumente zur Erhebung ganz spezifischer Prozesse der Erfahrungs- und Sinnkonstitution darstellen können. [6]
Hierzu finden sich nur sehr wenige explizite methodologische Überlegungen. Gleichwohl gibt es einige deutliche Hinweise darauf, dass mit Online-Kommunikationen andere Erfahrungen bzw. Erfahrungen anders realisiert werden können bzw. sollen als mit Face-to-Face-Kommunikationen. So ermöglichen die Alokalität und die Schriftlichkeit, die wiederum eine multimodale und nicht-sequenzielle Sprachverwendung erlauben, die Konstitution von Erfahrungen, die spontan und vis-a-vis (noch) nicht verbalisiert werden können (FRÜH 2000; SCHIEK 2014; ULLRICH & SCHIEK 2014a). Das betrifft beispielsweise Grenzbereiche und Grenzerfahrungen sozialer Interaktionen und moralisch heikle Erfahrungen oder Handlungsmotive sowie – quer dazu – die Verarbeitung und Sedimentierung von Erfahrungen schon in pränarrativen oder präverbalen Zuständen, d.h. noch bevor bzw. auch ohne dass sie den Status von geronnenen und sozial bereits ratifizierten und deshalb spontanen Äußerungen erreichen (SCHIEK 2014). Entsprechend ist ihre Verwendung für die qualitative Forschung insbesondere für Fragestellungen interessant, in denen es um spontan und Face-to-Face (noch) nicht oder nur riskant zu verbalisierende Erfahrungen geht, weil sie an die Grenzen der Sozialität reichen.3) [7]
Insgesamt deutet sich wohl empirisch an, dass die gezielte Forschungsinteraktion, also die Kommunikation mit Forscher_innen zu Untersuchungszwecken, dabei eine bedeutende Rolle spielt. Denn die Kommunikation im Netz ist zwar von einer höheren Toleranz gegenüber "Sprachfehlern", aber gleichzeitig von einer eher geringen Hemmschwelle gekennzeichnet, wenn es um die inhaltliche Verurteilung von Äußerungen geht (MISOCH 2006). Aber auch und gerade bei der Face-to-Face-Interaktion besteht das Risiko von schnellen Beurteilungen in Form von "unbeobachteten Blicken, momentanen Wechsel im Tonfall, Posen, eingenommen oder nicht", die "das Gespräch mit wertsetzender Bedeutung durchdringen" können (GOFFMAN 1971, S.40). Demgegenüber eröffnet die alokale Forschungskommunikation die Möglichkeit der besonderen Vergegenständlichung subjektiver Erfahrungen: Zum einen ist hier das Risiko einer (wenn auch nur unbewusst getätigten) unmittelbaren Beurteilung durch das Gegenüber geringer. Zum andern besteht die Möglichkeit, das eigene Selbst und eigene Erfahrungen in den Mittelpunkt zu stellen, was in natürlichen Interaktionen eher untypisch ist, da sich diese durch reziproke Aufmerksamkeit konstituieren oder eine solche zumindest erwartet wird. Und nicht zuletzt erfolgt hier eine immerhin wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst – auch dies eher kein typisches Merkmal natürlicher Kommunikationen. So zeigt sich, dass die alokale Kommunikation mit Forschenden dem Bedürfnis nach "objektiver" Einordnung der eigenen Erfahrungen besonders entgegenkommt, was sehr deutlich (nämlich explizit) in Einzelinterviews artikuliert wird (SCHIEK 2014, S.386f.), aber auch bei reaktiven, d.h. gezielt für Untersuchungszwecke installierten und durch Forscher_innen moderierten Forumsdiskussionen zu beobachten ist (ULLRICH & SCHIEK 2014b). Reaktive Online-Erhebungen sind für die qualitative Sozialforschung also auch deshalb besonders interessant, weil die Forschungskommunikation für die genannten Prozesse der Erfahrungskonstitution besonders stimulierend und stützend zu sein scheint. [8]
Gerade durch den Vergleich mit den jeweiligen qualitativen Face-to-Face-Verfahren können die Vorteile, eventuell aber auch Grenzen der Instrumente untersucht werden (u.a. ERDOGAN 2001; SCHIEK 2014; ULLRICH & SCHIEK 2014a, 2014b). Die Orientierung an den bisher etablierten Verfahren führt aber leider auch dazu, dass sich Forschende auf die "gewohnten" Aspekte und somit auf Merkmale und Funktionen konzentrieren, mit denen die qualitative Forschung verhältnismäßig gut umzugehen weiß: die textförmige (Face-to-Face-) Forschungsinteraktion und der Einsatz von linguistisch bzw. konversationsanalytisch prinzipiell vertrauten Instrumenten. Nun besteht eine Besonderheit und ein für die qualitative Forschung nutzbarer Vorteil der Online-Kommunikation aber darin, dass hier in zunehmenden Maße Zeichen verwendet werden, ohne sie zu verbalisieren, weil sie spezifische Handlungsprobleme lösen und gerade keine Derivationen verbaler oder auch non-verbaler Kommunikation unter Anwesenden darstellen. So kritisiert etwa MEIßNER, wie Akronyme oder Emoticons bislang in der gewohnten Logik, nämlich lediglich als Varianten der Face-to-Face-Interaktion interpretiert werden, "obwohl Personen sich in Face-to-Face-Interaktionen selten 'ROFLLN'4)" (2014, S.37). Auch CORSTEN und HERMA (2014) sehen die auf pragmatisch-linguistischen Interaktionsregeln fundierten Verfahren bei der Analyse internetbasierter Kommunikation an ihren Grenzen (vgl. auch PASSOTH 2014). Über die Multimodalität, d.h. über die Funktionen und Strukturen der Anwendung unterschiedlicher Zeichen und Kanäle, besteht aber bisher kaum Kenntnis. Zwar wird verschiedentlich angedeutet, dass sich hierdurch Handlungsprobleme schneller lösen ließen und sich durch Bildsprache Spezifisches erreichen lasse.5) Wie aber der zunehmende Einsatz von Fotos, (bewegten) Bildern und ihre Kommentierung mit Emoticons sowie überhaupt die Verwendung von Emoticons methodologisch zu fassen sind, ist noch weitgehend unklar – selbst dort, wo man entsprechende Analysen und Techniken noch am ehesten erwarten könnte: Auch die Kommunikationswissenschaft und die Medienforschung sind, weil sie "die visuelle Qualität vieler untersuchter Medien" und somit die "spezielle Medialität ihres Gegenstands" kaum berücksichtigen, eher keine guten Ratgeberinnen in dieser Angelegenheit (AYAß 2006, S.64). Zwar hat sich in der qualitativen Sozialforschung die Auseinandersetzung mit visuellen Medien inzwischen fest etabliert (u.a. AYAß & BERGMANN 2006; FLICK 2010; KNOBLAUCH, BAER, LAURIER, PETSCHKE & SCHNETTLER 2008; WOHLRAB-SAHR & PRZYBORSKI 2008), doch sind in der Praxis linguistisch fundierte Verfahren nach wie vor vorherrschend. Zumindest scheinen einige Verfahren weiter grundlegend von der Textförmigkeit sozialer Wirklichkeit auszugehen, während andere die Bilder selbst, d.h. ohne ihre Vertextlichung, hieran konstitutiv beteiligt sehen. Es lässt sich also eine Zweiteilung der Analyseverfahren in ikonische Analysen auf der einen und Textinterpretationen auf der anderen Seite feststellen (vgl. hierzu PRZYBORSKI 2008), sodass die im Alltag zunehmend genutzte multimodale Kommunikation eine Herausforderung für die qualitative Sozialforschung bleibt (vgl. auch bereits grundlegender zum Wandel vom Text zum Hypertext MOES 2000). Sofern es die Nutzer_innen von Online-Medien in ihrem Alltag nicht tun, kann sich auch eine Sozialforschung, die sich ihrem Anspruch nach an ihrem Gegenstand orientiert, nicht ohne Weiteres für den Einbezug der einen und gegen den der anderen Form entscheiden – zumindest nicht, wenn sie, wie BERGMANN es formuliert, Verfahren zur Verfügung stellen will, in denen "das Medium bereits in die Methode eingeschrieben ist" (2011, S.27). Und das gilt nicht nur für die Auswertung natürlicher Daten, auf die sich die Auseinandersetzung mit und Entwicklung der Verfahren für visuelles Material nahezu ausschließlich bezieht. Dies gilt auch und gerade für reaktive Verfahren, in denen u.a. ikonische Kommunikation bereits im Erhebungsinstrument (und nicht erst im Material) enthalten sein kann. [9]
1.2 Anwendungserfahrungen mit qualitativen Online-Erhebungen
Dass bisher nur vergleichsweise wenige Reflektionen zu ersten "Probebohrungen" im Feld der reaktiven Online-Forschung vorliegen (u.a. FRÜH 2000; MURRAY 1997; REZABEK 2000; ULLRICH & SCHIEK 2014b), ist in zweierlei Hinsicht zu beklagen: Zum einen stehen für die Verwendung von Erhebungsinstrumenten wichtige Informationen und Erfahrungswerte zu ihrer Durchführung noch kaum zur Verfügung. Das betrifft u.a. ihre technischen Voraussetzungen, die Konfrontation mit dem spezifischen Feld, den praktischen Umgang mit den oben beschriebenen besonderen Bedingungen der Online-Kommunikation (etwa der Anonymität) und dem Fehlen der von Face-to-Face-Interviews gewohnten Kontextinformationen. Auch die Frage nach der zu erwartenden Datendichte und, bei asynchronen Verfahren, der Dauer der Erhebung (der einzelnen Fälle sowie der gesamten Feldphase) ist von forschungspraktischer Bedeutung. In jedem Fall dürften, anders als es bei FLICK (2010, S.335) anklingt, "eigene, und zwar relativ umfassende Erfahrungen mit Computern und Software" sowie "eine gewisse Begeisterung für das Arbeiten mit dem Internet und Vertrautheit mit den verschiedenen Formen der Online-Kommunikation" nicht ausreichen, um souverän ins Feld zu gehen. Gleichwohl ist der Hinweis von FLICK insofern relevant, als auch bei den Computer- und Software-Kenntnissen, die für Online-Erhebungen notwendig sind, in der qualitativen Sozialforschung sicherlich noch großer Nachholbedarf besteht. [10]
Zum zweiten ist bislang nur im Ansatz erarbeitet, wie vielfältig sich Online-Methoden als reaktive Erhebungsinstrumente einsetzen (und auch hier: welche Software-Programme sich dafür nutzen) lassen. Auskünfte über entsprechende Verwendungen beziehen sich auf Einzel- oder Gruppenverfahren mittels Chat, Blogs, E-Mails und Webforen, ohne auf die vielen – wiederum eigene Kommunikationsbedingungen und -möglichkeiten aufweisenden – Unterformen zu verweisen (u.a. AYLING & MEWSE 2009; BAMPTON & COWTON 2002; FIELDING et al. 2008; FRÜH 2000; JAMES & BUSHER 2006; MANN & STEWART 2000; McCOYD & SCHWABER KERSON 2006). [11]
2. Tagung "Qualitative Online-Erhebungen": Abgrenzungs- und Professionalisierungsbestrebungen
2.1 Tagungsthema: Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen qualitativer Online-Erhebungen
So war der Call for Papers, den wir für die Tagung "Qualitative Online-Erhebungen" veröffentlichten,6) auch eine Exploration dessen, welche Möglichkeiten der Online-Kommunikation zurzeit als Erhebungsinstrumente genutzt werden. Zusätzlich sollte die eingangs skizzierte Frage nach ihren methodologischen Hintergründen einen Schwerpunkt der Tagung bilden. Obschon der Fokus auf Erhebungen gesetzt wurde, sollten auch Erörterungen der Auswertung internetbasierter Daten stattfinden. Denn auch sie stellen, wie oben deutlich geworden sein dürfte, eine Herausforderung für die qualitative Sozialforschung dar und können Auskunft darüber geben, ob und wie Online-(Forschungs-) Kommunikationen in der qualitativen Forschung so genutzt werden (können), dass sie spezifische Prozesse der Erfahrungs- und Sinnkonstitution zu untersuchen imstande sind. [12]
Schon die Zuschriften auf unseren Call zeigten, wie wenig sich derzeit qualitative Online-Erhebungen als solche von Online-Forschung im Allgemeinen, standardisierten Zugängen im Besonderen sowie von Fragen der allgemeinen Internetnutzung abgrenzen lassen bzw. entsprechend für sich stehen können. So wurde die Intention der Tagung, das Feld der qualitativen Online-Erhebungen hinsichtlich ihrer methodologischen Voraussetzungen, der Möglichkeiten ihrer Durchführung sowie ihrer Grenzen diskursiv zu erkunden und abzustecken, zur Hauptdiskussionslinie, die die Auswahl der Abstracts und die Zusammenstellung des Programms steuerte, aber auch die Herausforderung der Diskussionen an beiden Tagungstagen darstellte.7) [13]
2.2 Tagungsbeiträge und Diskussionen: Methodologische Sondierungen und Anwendungsideen
So startete die Tagung mit einem Beitrag, der die Erreichbarkeit bestimmter Gruppen, hier älterer Menschen, durch Online-Kommunikationen aufwarf. Am Beispiel des Einbezugs von betrieblichen Arbeitserfahrungen bereits verrenteter Personen zeigte Sally HANNAPPEL die Möglichkeiten der Online-Erhebung auf und machte in spezifischer Weise auf das Problem aufmerksam, dass die qualitative Sozialforschung "offline" bestimmte Gruppen benachteilige, die sie online erreichen könne. Die anschließende Diskussion konzentrierte sich auf die Frage, wie "drängend" eigentlich der Einbezug von Erfahrungen älterer Menschen in die laufenden betrieblichen Erwerbsarbeitsprozesse sei. Der spezifische Mehrwert von Online-Verfahren wurde daher weniger methodologisch diskutiert als hinsichtlich der Frage, für wie relevant die Tagungsteilnehmer_innen den Gegenstand hielten; die Spezifizität des Mediums konnte deshalb leider nicht scharf herausgearbeitet werden. So blieb der Eindruck einer weiter oben erwähnten "Zielgruppenmethode" bestehen, obwohl die Referentin methodologische Argumente formulierte: etwa die im betrieblichen Arbeitsprozess notwendige und durch das Internet mögliche Echtzeitkommunikation. Die hierdurch notwendige Verständigung über das Tagungsthema war aber wohlplatziert und wichtig für die folgenden Sessions. [14]
Denn diese Frage war dezidiert das Thema des zweiten Blocks, der sich mit der Spezifizität von Online-Interaktionen befassen sollte und der in seiner Intention als methodologische Session gemeinsam diskursiv erarbeitet werden musste. So wurde hier v.a. in den Diskussionen deutlich, dass z.B. technische Fragen der Archivierung und des Nachverfolgens von Nutzer_innenverhalten ein allgemeines Interesse der "Onlineforschung" darstellt. Dagegen erfordern die unterschiedlich verfolgten Fragestellungen wie schon bei nicht mediatisierten Interaktionen unterschiedliche Daten-"Transkriptionen". Qualitative Online-Erhebungen sind also sehr viel voraussetzungsreicher – zumindest, wenn Informationen darüber vorliegen sollen, wie welche Handlungsprobleme gelöst werden und die Fragestellung über das Deutungsniveau von Inhaltsanalysen hinausweisen will. [15]
In diesem Block wurde auch das eingangs markierte Problem der für die Sozialforschung zurzeit noch "unhandlichen" Multimodalität sowie nicht zwangsläufig sequenziellen Struktur aufgeworfen, welche die kommunikativen Praktiken im Internet kennzeichnet. So machte Olga GALANOVA auf die nicht einfach zu vertextlichende Eigenlogik multimodaler Interaktion und darauf aufmerksam, dass die sequenzielle Konversationsanalyse mit ihrer strengen Definition der Redeübergaben bspw. das simultane Multithreading bei Gruppendiskussionen im Internet, das zeitgleiche Diskussionen in mehreren Strängen erlaubt, kaum erfassen könne. Ähnlich argumentierten Jens BERGMANN und Andreas WENNINGER in Bezug auf die objektive Hermeneutik und plädierten für eine Integration von hermeneutischen und visuellen Analysestrategien, wie sie etwa BRECKNER (2010) vorschlägt. In ihrem Beitrag entfalteten BERGMANN und WENNINGER allerdings auch das Argument, dass Internetkommunikationen 1. stark selbstreferenziell seien, weil ihnen die "Vorbilder" für die Interaktionsregeln fehlen, und 2. eine geringere Einbettung in soziale Kontexte aufweisen würden, d.h. auch für Rollenpositionierungen und Handlungslegitimationen im Internet selbst keine Referenzen zur Verfügung stünden. Die Referenten zeigten dies anhand eines Vergleiches von reinen Online-Blogs auf der einen und der Intranet-Kommunikation in nicht-virtuellen Organisationen auf der anderen Seite. [16]
Der nächste Block widmete sich dann den Online-Erhebungen als solchen, d.h. hier wurden Möglichkeiten der Verwendung von Online-Medien als qualitativen Erhebungsinstrumenten vorgestellt und diskutiert. Leider ist der Beitrag über einen als Erhebungsinstrument bisher noch weitgehend unbekannten Kanal, nämlich Twitter, wegen Krankheit kurzfristig ausgefallen. Es wurden aber zum einen die Anwendung von Chat-Interviews und Forendiskussionen sowie zum anderen die Nutzung von Facebook als Erhebungsinstrument vorgestellt. Beide Beiträge sind auch deshalb bemerkenswert, weil es sich um "Mixed-Methods"-Projekte handelt, in denen, so bei Alexander KNOTH, standardisierte Fragebögen qualitativ analysiert und durch Verfahren ergänzt wurden, die nicht Face-to-Face und standardisiert arbeiten. Im Ergebnis konnten über diese Verfahren in der Untersuchung Themen und Probleme thematisiert werden, wie sie von den Befragten vorher noch ausgeklammert oder sogar verneint wurden. In ähnlicher Weise stellte auch Martina BRAASCH fest, dass sie Personen nicht verbal über ihr Facebook-Verhalten befragen konnte. Sie wurden deshalb mittels "laut denkender" virtueller Rundgänge auf den jeweiligen Facebook-Profilen zu entsprechenden Reflektionen animiert. Zwar wurde auf diese Weise die in Facebook vorhandene Multimodalität in der Tat einmal mehr in Text überführt. Die Besonderheit besteht aber darin, dass die Befragten dies selbst tun, was methodologisch interessant zu untersuchen wäre.8) [17]
Mit beiden Beiträgen wurde außerdem deutlich, dass mit der Verwendung von Online-Erhebungen auch die Kenntnis und Bedienkompetenz von spezieller Software notwendig oder zumindest äußerst hilfreich ist. Für die Archivierung multimodaler Kommunikationen hatte dies auch GALANOVA in ihrem Beitrag bereits betont und das Programm Camtasia vorgestellt, das Online-Bewegungen als Video bzw. Screencasts aufnehmen kann. Dies könnte auch für die Aufzeichnung dessen, was Befragte "bei Facebook machen", wie es BRAASCH untersuchen will, hilfreich sein, wenn man den virtuellen Rundgang gerade nicht vertextlichen (lassen) will. KNOTH brachte Etherpad und Adobe Connect ins Gespräch, Programme, die zur Durchführung von Gruppendiskussionen hilfreich sein können: So sei für die Anwendung qualitativer Diskussionsverfahren interessant, dass bei "Etherpad" die Erarbeitung gemeinsamer Inhalte und eine Meta-Chat-Diskussion gleichzeitig möglich seien, während "Adobe Connect" eine Reihe an Möglichkeiten bereithalte, anhand derer zudem die Moderator_innen auf verschiedenen Wegen miteinander kommunizieren könnten. Gerade für qualitative Untersuchungen, die oft durch eine Parallelität von Erhebung, Auswertung und Theoretisierung gekennzeichnet sind und analytische oder (meta-) theoretische Zwischen-"Besprechungen" während der Erhebung erfordern, ist diese Unterstützung der gemeinsamen Kommunikation (und übrigens auch Dokumentation von Forschungsentscheidungsprozessen) vielversprechend. [18]
Neben Softwaremöglichkeiten wurden in diesem Block auch unklare Verhaltensmodi von Interviewer_innen oder Moderator_innen thematisiert. So berichtete etwa KNOTH, dass aufgrund der bisher noch wenigen Erfahrungen (bspw. zur Dauer der Erhebung eines "Falles" oder zu in alokalen Forschungskommunikationen üblichen Reaktionsverzögerungen) im Forschungsteam gerätselt wurde, ab wann ein "Schweigen" keine Pause mehr sei und die Kommunikation seitens der Moderation wieder aufgenommen werden dürfe. [19]
Der letzte Block sollte sich Fragen der Auswertung von Online-Kommunikationen widmen. Leider ist auch hier ein Beitrag wegen Krankheit kurzfristig ausgefallen, sodass der Faden der am Vortag diskutierten Probleme der "Unhandlichkeit" von internetbasierten Daten für qualitative Analysetechniken nicht in der geplanten Ausführlichkeit wiederaufgenommen werden konnte. Verena WIENEFOET machte jedoch zum Abschluss deutlich, dass auch bei der Anwendung der dokumentarischen Methode eine Vielzahl an Fragen bestehen, wenn sie auf Online-Gruppendiskussionen bzw. Online-Kommentare angewendet werden soll. Das trifft u.a. auf den Umgang mit angefangenen, aber nicht ausagierten Gesprächssträngen zu. Zudem konnte hier in Anschluss an die Argumente BERGMANNs und WENNINGERs das Thema der Eigendynamik und Selbstreferenzialität von Online-Kommunikationen wieder aufgegriffen werden. Denn WIENEVOET untersucht in ihrem Projekt die Aushandlung von Interaktionsregeln in Online-Foren. [20]
2.3 Definition qualitativer Online-Erhebungen, Entwicklungsbedarf bei den Analyseverfahren (abschließende Bewertung und offene Fragen)
Insgesamt konnte bei der Tagung vor allem zweierlei in einem ersten Aufschlag erreicht werden:
Zum einen konnte gemeinsam der erwähnte rote Faden der Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen für qualitative Verfahren erarbeitet und von allgemeinen, etwa Marktforschungsfragestellungen abgegrenzt werden. Für die Entwicklung einer eigenen professionellen Position im Feld der Online-Forschung ist dies ein wichtiges Ergebnis – und war vor allem deshalb eine Herausforderung, weil das Publikum und die Diskussionsbedürfnisse entsprechend divers waren und "qualitative Online-Erhebungen" also kein "geschützter Begriff" ist.
Zum anderen konnten weitgehend neue Verfahren kennengelernt und diskutiert werden. Die Exploration der vielfältigen Möglichkeiten, Online-Kommunikationsmedien als Erhebungsinstrumente für die qualitative Sozialforschung einzusetzen, ist – in der sicher begrenzten Reichweite des Call for Papers – gelungen. [21]
Die Tagung konnte und wollte nur einen ersten Anstoß zu methodologischen Voraussetzungen und methodischen Möglichkeiten wie Grenzen von Online-Erhebungen leisten. Daher war absehbar und ist zu konstatieren, dass diese Fragen auch weiterhin drängen. Auch wenn ansatzweise Analysen vorgestellt und Lösungen vorgeschlagen werden konnten, bedarf es weiterer Untersuchungen zu 1. den alltagsweltlichen kommunikativen Praktiken im Internet und 2, ihrer Handhabe durch qualitative Analyseverfahren. Aber auch die systematische Reflektion erster Erfahrungen und Experimente kann – als Handreichung oder zur Information – hilfreich sein und die Entwicklung im Bereich der (reaktiven) qualitativen Online-Erhebungen enorm voranbringen. Daher können die berichteten Anwendungen von Forendiskussionen und Chats oder Facebook, die hierfür bereits vorhandenen technischen Möglichkeiten (Programme) sowie die dabei auftauchenden Fragen (etwa der Dauer von Online-Forschungskommunikationen) als instruktive Erfahrungsberichte begriffen werden. Insofern freuen wir uns, dass im Januar 2016 der Sammelband zur Tagung unter dem Titel "Qualitative Online-Erhebungen. Voraussetzungen, Möglichkeiten, Grenzen" bei Springer VS erscheinen wird. [22]
Für die Rekonstruktion der Vortragsdetails, die sich auf die Softwareprogramme beziehen, danken wir Christian LUKASSEN. Insgesamt möchten wir uns bei den Referent_innen sowie den Teilnehmer_innen der Tagung für die interessierte Teilnahme und die engagierten wie kollegialen Diskussionen bedanken. Unser Dank gilt aber vor allem auch jenen, die uns bei der Organisation und Durchführung tatkräftig unterstützt haben: Frederik BRANDENSTEIN als Geschäftsführer des Profilschwerpunkts "Wandel von Gegenwartsgesellschaften" der Universität Duisburg-Essen sowie unsere Mitarbeiter_innen Christian LUKASSEN, Gerda MURSA-KALTENMAIER, Gaby SCHMIDT und Ella RUPPERT.
1) Entsprechende Analysen und Projekte bspw. zur Verwendung von durch die Nutzer_innen animierbaren Comics oder Tanz-Musik-Ausdrucks-Programmen kommen v.a. aus den Disability- und Health-Studies (u.a. LINDENTHALER 2014; WECHSLER 2015) und den Erziehungswissenschaften. Letztere kritisieren die Konzentration auf eine sequenzielle und narrative Textförmigkeit. Denn dadurch würden auch Personen benachteiligt, die anhand von (bewegten) Bildern oder konzeptionell bildlich sprechen (z.B. JÖRISSEN & MEYER 2015; SANDERS 2015). <zurück>
2) Zwar gibt es viele Beispiele von nach Zielgruppen benannten Verfahren (z.B. Frauenforschung, Expert_inneninterviews). Im vorliegenden Beitrag wird die Zielgruppe allerdings noch nicht als hinreichendes Merkmal einer Methode definiert. Auch das gewählte Medium als solches reicht unseres Erachtens noch nicht, um schon von einer neuen Methode oder der Produktion eigenständiger Daten zu sprechen. Die jeweils situativen Bedingungen der Interaktion und somit auch die gewählten Medien konstituieren die Sinnproduktion zwar entscheidend mit. Doch können mit einer Online-Kommunikationsform (etwa E-Mails) mehrere verschiedene Text-Gattungen und somit Funktionen realisiert werden. Daher wird im vorliegenden Beitrag nicht davon ausgegangen, dass allein das Medium der Kommunikation diese bestimmt (SCHULTZ 2001, S.94; ZIEGLER 2002). Für die Verwendung von Online-Medien als Erhebungsinstrumente ist dies insofern relevant, als mit der Wahl eines bestimmten Mediums noch nicht gleichzeitig eine bestimmte Erhebungsform (strukturierte oder stärker offene Erhebung) und Textgattung (Erzählung, Diskussion usw.) festgelegt ist, sondern dies über die gewählten Stimuli und im Rahmen der Vereinbarungen mit den Befragten gesteuert wird, was auch heißen kann, dass es bewusst offengelassen wird (vgl. hierzu SCHIEK 2014, S.381). <zurück>
3) Das ist sicherlich einer der Gründe dafür, dass in der psychologischen Behandlung von Traumata und Krisen Online-Kommunikationen mehr und mehr zum Einsatz kommen (BERGMANN 2005; GREGORY 2015). <zurück>
4) Diese Abkürzung steht für "Rolling on the floor laughing". <zurück>
5) Beispielsweise zeigt MARAZZI (2012), wie als Legastheniker_innen eingestufte Personen, die mehr in serieller Bildsprache denken (und sprechen), äußerst erfolgreiche Karrieren in Feldern absolvieren, in denen bspw. schnelle Entscheidungen gefragt sind. <zurück>
6) Der Call for Papers wurde über die Verteiler der einschlägigen soziologischen Sektionen, aber auch über Institute und Sektionen der Kommunikations- und Sprachwissenschaften verbreitet. Er ist unter https://www.uni-due.de/biwi/ullrich/tagungen.php einsehbar [Datum des Zugriffs: 27.4.2015]. <zurück>
7) Auch das Programm und die Abstracts zu den Tagungsbeiträgen finden sich unter der folgenden Homepage: https://www.uni-due.de/biwi/ullrich/tagungen.php [Datum des Zugriffs: 27.4.2015]. <zurück>
8) So ließ ein kunstpädagogisches Projekt beispielsweise Jugendliche ihre Erfahrungen reflektieren, die sie machten, als sie ihre in Online-Medien verwendeten Selfie-Fotografien selbst zeichneten. Hier zeigte sich, dass die Zeichnung anderes zeigt und zeigen soll als das Foto (http://www.halle14.org/kunstvermittlung/laufende-projekte.html#c3928 [Datum des Zugriffs: 7.4.2015]). <zurück>
Ayaß, Ruth (2006). Zur Geschichte der qualitativen Methoden in der Medienforschung. Spuren und Klassiker. In Ruth Ayaß & Jörg R. Bergmann (Hrsg.), Qualitative Methoden der Medienforschung. (S.42-71). Reinbek: Rowohlt Taschenbuch (Rowohlts Enzyklopädie), http://www.verlag-gespraechsforschung.de/2011/pdf/medienforschung.pdf [Datum des Zugriffs: 24.4.2015].
Ayaß, Ruth & Bergmann, Jörg R. (Hrsg.) (2006). Qualitative Methoden der Medienforschung. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch (Rowohlts Enzyklopädie), http://www.verlag-gespraechsforschung.de/2011/pdf/medienforschung.pdf [Datum des Zugriffs: 14.4.2015].
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Bergmann, Jörg R. (2000). Elektronische Prozessdaten und ihre Analyse. In Uwe Flick, Ernst von Kardorff & Ines Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S. 429-437). Hamburg: Rowohlt.
Bergmann, Jörg R. (Hrsg.) (2005). Beratung und Therapie per Internet und Handy (Themenheft). Psychotherapie und Sozialwissenschaft, 7(2), http://www.psychosozial-verlag.de/428 [Datum des Zugriffs: 14.4.2015].
Bergmann, Jörg R. (2011). Qualitative Methoden in der Medienforschung. Einleitung und Rahmung. In Ruth Ayaß & Jörg R. Bergmann (Hrsg.), Qualitative Methoden der Medienforschung (S.13-41). Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, http://www.verlag-gespraechsforschung.de/2011/pdf/medienforschung.pdf [Datum des Zugriffs: 14.4.2015].
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Daniela SCHIEK, Soziologin, ist wiss. Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen und vertritt derzeit eine Professur für Mikrosoziologie an der Universität Hamburg. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen Biografie- und Generationsforschung, Armut und soziale Ungleichheit sowie qualitative Methoden. Aktuelle Veröffentlichung: Das schriftliche Interview in der qualitativen Sozialforschung. Zeitschrift für Soziologie, 43(5), 2014, 379-395, http://www.zfs-online.org/index.php/zfs/article/viewFile/3183/2720.
Kontakt:
Dr. Daniela Schiek
Universität Hamburg
Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Welckerstr. 8, 20354 Hamburg
Tel.: +49 (0)40/428388652
E-Mail: daniela.schiek@wiso.uni-hamburg.de
URL: http://www.wiso.uni-hamburg.de/en/professuren/mikrosoziologie/team/daniela-schiek/kontakt/
Carsten G. ULLRICH, Soziologe, ist Professor für Methoden der qualitativen Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Allgemeine Soziologie, Soziologie der Sozialpolitik und qualitative Methoden. Aktuelle Veröffentlichung (gemeinsam mit Daniela SCHIEK): Gruppendiskussionen in Internetforen. Zur Methodologie eines neuen qualitativen Erhebungsinstruments. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 66(3), 2014, 459-474.
Kontakt:
Prof. Dr. Carsten G. Ullrich
Universität Duisburg-Essen
Fakultät für Bildungswissenschaften
Berliner-Platz6-8, 45127 Essen
Tel.: +49 (0)201/1834441
E-Mail: carsten.ullrich@uni-due.de
URL: https://www.uni-due.de/biwi/ullrich/person.php
Schiek, Daniela & Ullrich, Carsten G. (2015). Tagungsbericht: Qualitative Online-Erhebungen [22 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 16(2), Art. 28,
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1502287.