Volume 8, No. 2, Art. 23 – Mai 2007

Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen: Eine Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen nach Foucault

Cornelia Renggli

Zusammenfassung: Bisher wurden Bilder in Diskursanalysen, die sich auf Michel FOUCAULT berufen, kaum berücksichtigt. Dies mag erstaunen, da FOUCAULT selbst mehrfach Bilder in seine Untersuchungen einbezogen und sich intensiv dem Verhältnis von Sicht- und Sagbarem gewidmet hat. Dieser Beitrag beschäftigt sich deshalb mit einer Analyse von Sicht- und Sagbarkeitsverhältnissen, die Bilder ebenso einbezieht wie Texte. Ihren Ausgangspunkt findet die Analyse in der Frage, wie etwas an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit zu einem Problem wurde. Diese Untersuchung von Problematisierungen wendet Instrumente aus FOUCAULTs Ansätzen der Archäologie und Genealogie an. Das Vorgehen stützt sich auf die Methode der teilnehmenden Beobachtung und besteht darin, Selbstverständlichkeiten zum Ereignis zu machen. Dafür gilt es, zunächst diese Evidenzen zu durchbrechen, um sie dann als diskursive und visuelle Ereignisse entlang der Achsen Wissen, Macht und Ethik zu untersuchen. Auf diese Weise werden die betrachteten Gegenstände, die Betrachtungen wie auch die betrachtenden Subjekte analysiert, um zu beschreiben, wie sich Sag- und Sichtbarkeiten zueinander verhalten. Dieses Vorgehen wird an einem Beispiel zur Darstellung von Behinderung in der Öffentlichkeit vorgestellt.

Keywords: Behinderung, Bildanalyse, Diskursanalyse, Ereignis, Michel Foucault, Problematisierung, Sag- und Sichtbarkeitsverhältnisse, Selbstverständlichkeiten, teilnehmende Beobachtung

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. FOUCAULT und das Visuelle

3. FOUCAULTs Ansätze: Archäologie und Genealogie

3.1 Archäologie

3.2 Genealogie

3.3 Archäologie und Genealogie

3.4 Untersuchung von Problematisierungen

4. Ereignishaftmachung als Vorgehensweise

4.1 "Bruch mit den Evidenzen"

4.2 "Kausale Demultiplikation"

5. Anwendungsbeispiel: Bilder von Behinderung

5.1 Bildauswahl

5.2 Bildbetrachtung

5.3 Analyse der Beobachtung

5.4 Erweiterung der Analyse

6. Schluss

Danksagung

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Einleitung

"Was ich geschrieben habe, sind keine Rezepte, weder für mich noch für sonst jemand. Es sind bestenfalls Werkzeuge – und Träume" (FOUCAULT 2005a, S.53).

Dem Visuellen wird im Alltag und in den Wissenschaften immer mehr Bedeutung zugewiesen. Bietet es sich aufgrund der Fragestellung und der Materiallage einer Untersuchung an, visuelles Material zu berücksichtigen, so fehlen zuweilen geeignete Analyseinstrumente. Je nach Forschungsdesign mag es passen, kunsthistorische Methoden zu berücksichtigen oder bestehende, auf Texte beschränkte Ansätze zu erweitern. Letzteres ist der Fall, wenn es darum geht, sich aus diskursanalytischer Perspektive mit Bildern zu beschäftigen: Bisher fanden in Diskursanalysen überwiegend Texte Berücksichtigung; standen Bilder zur Debatte, wurden hingegen Diskurse vernachlässigt. Solche Studien beruhen vor allem auf Michel FOUCAULTs Ausführungen zu Gemälden. Eine Beschäftigung mit seinem Werk lässt jedoch mehr Aufschlüsse für eine Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen zu, die Texte ebenso wie Bilder einbezieht. Mit der Absicht, Möglichkeiten der Erweiterung von Diskursanalysen um das Sichtbare zu zeigen, beleuchtet dieser Beitrag zuerst den visuellen Aspekt in FOUCAULTs Werk (vgl. Abschnitt 2. "FOUCAULT und das Visuelle") und widmet sich dann der Frage, welche Instrumente seine Archäologie und Genealogie für eine erweiterte Analyse zur Verfügung stellen (vgl. Abschnitt 3. "FOUCAULTs Ansätze: Archäologie und Genealogie"). Dabei wird auch auf die archäologisch und genealogisch verfahrende Untersuchung von Problematisierungen und damit der Frage, wie etwas an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit zu einem Problem gemacht wird, eingegangen. Diese Analyse von Problematisierungen bildet den Ausgangspunkt für ein Vorgehen, das Serien visueller und diskursiver Ereignisse zum Gegenstand hat und unter Einbezug qualitativer Methoden der Sozialforschung – insbesondere der teilnehmenden Beobachtung – untersucht, wie die Ereignisse Evidenz erlangt haben (vgl. Abschnitt 4. "Ereignishaftmachung als Vorgehensweise"). Dieses Verfahren, das mit den blinden Flecken des Beobachtens beginnt und diese dann entfaltet, wird am Beispiel der Problematisierung von Behinderung in der Öffentlichkeit skizziert (vgl. Abschnitt 5. "Anwendungsbeispiel: Bilder von Behinderung"). Auch wenn das Ziel der Analyse darin besteht, die Ordnungen von Sag- und Sichtbarkeiten zu beschreiben, liegt der Schwerpunkt der Ausführungen auf der bisher vernachlässigten Untersuchung des Visuellen. [1]

2. FOUCAULT und das Visuelle

Michel DE CERTEAU nennt als "eigenartigen und dennoch durchgängigen Aspekt" den visuellen Charakter von FOUCAULTs Werk. Seine Arbeiten seien geprägt durch Bilder, die den Text schüfen. Das Sichtbare sei für FOUCAULT "das Feld neuer Einsätze der Macht und des Wissens geworden", es bilde für ihn "das gegenwärtige Theater unserer grundlegenden Optionen" (DE CERTEAU 1991, S.230f.). DE CERTEAUs Meinung teilen weitere Autoren (vgl. DELEUZE 1987, HOLERT 2003, RAJCHMAN 2000), die nicht nur das Sichtbare, sondern auch das Sehen, den Blick und die Bilder als wichtig betrachten. Wie verhält es sich mit diesen Elementen in FOUCAULTs Werk? In welche Beziehungen werden sie zueinander bzw. zu anderen Aspekten gesetzt? [2]

Bereits in seinem ersten veröffentlichten Text, der Einführung in Binswangers "Traum und Existenz" (2001a), beschäftigte sich FOUCAULT mit (Traum-) Bildern. Es folgten in den 1960er-Jahren Beiträge zur Malerei – z.B. in Wahnsinn und Gesellschaft (1969), die Einleitung zu den Hoffräulein von VELASQUEZ in Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (1971), Dies ist keine Pfeife zu Bildern von MAGRITTE (1997), Die Malerei von Manet (1999) – sowie Studien zum Blick und zum Verhältnis von Wörtern und Dingen, Sagen und Sehen, Sichtbarem und Unsichtbarem – z.B. Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks (1973a), Raymond Roussel (1989), Worte und Bilder (2001b). Die Untersuchungen zum Sag- und Sichtbaren waren zunächst von einer Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus geprägt: Ging FOUCAULT in der Ordnung der Dinge davon aus, dass sich Sprache und Malerei irreduzibel zueinander verhalten (FOUCAULT 1971, S.38) und schrieb er der Sprache in Raymond Roussell das Primat zu (FOUCAULT 1989, S.142), so verschob sich seine Ansicht durch die Lektüre von PANOFSKYs Studien zur Ikonologie und gotischen Architektur. FOUCAULT sah in diesen Texten das Privileg des Diskurses aufgehoben, indem dieser nicht mehr die "gemeinsame Interpretationsgrundlage aller Erscheinungen einer Kultur" darstelle: "Nicht alles, was die Menschen tun, ist letztlich ein entschlüsselbares Rauschen. Diskurs und Figur haben jeweils ihre eigene Seinsweise, aber sie unterhalten komplexe, verschachtelte Beziehungen. Ihr wechselseitiges Funktionieren gilt es zu beschreiben" (FOUCAULT 2001b, S.796). So führte er in Dies ist keine Pfeife zum Verhältnis von Wort und Bild aus, dass beide durch eine Ordnung hierarchisiert würden, wobei nicht feststehe, was über- bzw. untergeordnet sei. [3]

In den 1970er-Jahren wandte sich FOUCAULT in kleineren Beiträgen der Fotografie (z.B. Die photogene Malerei 2002a) und dem Kino zu. Er betrachtete dieses und das Fernsehen als "eine Art und Weise, das populäre Gedächtnis, das existiert, aber keine Artikulationsmittel besitzt, neu zu codieren. Man zeigt den Leuten nun nicht, was sie gewesen sind, sondern was sie als ihre Vergangenheit im Gedächtnis behalten sollen" (FOUCAULT 2002b, S.796). Eine andere Neucodierung beschrieb FOUCAULT in Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1976). In seinen Erläuterungen zum Benthamschen Panopticon führte er aus, wie diese Sehmaschine aufgrund der Verinnerlichung des kontrollierenden Blicks zu einer anonymen Machttechnologie und das Licht bzw. der Blick zur sichtbar machenden Macht werden. Der Blick trat auch in FOUCAULTs letzten Texten zum Visuellen in den 1980er-Jahren auf – z.B. in Hermeneutik des Subjekts (2004) und Denken, Fühlen (2005b) –, die sich mit der Ethik des Blicks beschäftigten. [4]

Gemessen am Gesamtwerk mag der Anteil der Texte zum Visuellen nicht so groß sein, doch die Thematik war – besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren – stets vertreten. FOUCAULT ging es dabei nie um die Ästhetik der Gemälde, Fotografien oder Filme, denn stets betonte er, nichts davon zu verstehen. Sein Erkenntnisinteresse führte darüber hinaus, indem er sich dort für das Visuelle interessierte, wo ein Bruch mit einer bestehenden Ordnung stattgefunden hatte. Die Beiträge zu den Sichtbarkeiten sind mit zentralen Aspekten von FOUCAULTs Denken wie Wissen, Macht und Ethik verknüpft und stellen damit kein isoliertes Korpus, sondern einen integrativen Bestandteil des Gesamtwerks dar. Für eine Analyse des Visuellen gilt es festzuhalten: FOUCAULT hat stets die Eigenständigkeit der Bilder gegenüber den Worten betont, d.h. das Visuelle nicht als Nicht-Sprache, sondern als eigenständige Form des Denkens betrachtet. Untersucht hat er beides, das Sagbare und das Sichtbare, mit denselben Ansätzen, nämlich der Archäologie und der Genealogie. [5]

3. FOUCAULTs Ansätze: Archäologie und Genealogie

3.1 Archäologie

Die Archäologie wird zumeist als "Analyse des Diskurses in seiner Modalität als Archiv" (FOUCAULT 2001c, S.763) verstanden. Das Archiv stellt demnach für FOUCAULT ein System der Sagbarkeiten dar, d.h. des Erscheinens von Aussagen, ihrer Beziehungen untereinander, ihrer Ordnungen, kurz: "das allgemeine System der Formationen und der Transformationen der Aussagen" (FOUCAULT 1973b, S.187f.). Diese Archäologie ist auf Diskurse in ihrer Erscheinungsform der Aussage beschränkt. FOUCAULT hat jedoch im Lauf der Zeit seine Definition des Diskurses präzisiert bzw. revidiert, sodass dieser nicht auf die Sprache zu beschränken ist. In seinem Text zu einem Filmprojekt verweist er darauf,

"dass der Diskurs nicht für die Gesamtheit der Dinge gehalten werden darf, die man sagt, und auch nicht für die Art und Weise, wie man sie sagt. Der Diskurs ist genauso in dem, was man nicht sagt, oder was sich in Gesten, Haltungen, Seinsweisen, Verhaltensschemata und Gestaltungen von Räumen ausprägt. Der Diskurs ist die Gesamtheit erzwungener und erzwingender Bedeutungen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse durchziehen" (FOUCAULT 2003a, S.164). [6]

Dank des erweiterten Diskursbegriffs, der eine große Nähe zum späteren Begriff des Dispositivs (vgl. Abschnitt 3.2. "Genealogie") aufweist, konnte FOUCAULT von der Möglichkeit einer Archäologie der Malerei schreiben. Diese Archäologie des visuellen Wissens analysiere weder die Absichten des Malers bzw. der Malerin, deren Weltanschauung oder Beeinflussung durch Wissenschaft oder Gesellschaft, noch stelle sie die Malerei als eine Art des Sagens ohne Worte dar. Die archäologische Analyse untersuche vielmehr,

"ob der Raum, die Entfernung, die Tiefe, die Farbe, das Licht, die Proportionen, die Inhalte, die Umrisse in der betrachteten Epoche nicht in einer diskursiven Praxis benannt, geäußert und in Begriffe gefasst worden sind; und ob das Wissen, dem diese diskursive Praxis Raum gibt, nicht in Theorien und vielleicht Spekulationen, in Unterrichtsformen und in Verschreibungen, aber auch in Verfahren, in Techniken und fast in der Gebärde des Malers angelegt war, [um auf diese Weise zu zeigen, dass die Malerei] … wenigstens in einer ihrer Dimensionen eine diskursive Praxis ist, die in Techniken und Auswirkungen Gestalt annimmt" (FOUCAULT 1973b, S.276). [7]

Ausgehend von einem nicht auf Sprache reduzierten Diskursbegriff untersucht diese Archäologie Beziehungen zwischen Sag- und Sichtbarkeiten. Das Vorgehen besteht gemäß FOUCAULT darin, ein Ensemble von Spuren zu untersuchen:

"Man macht a priori keinerlei Unterschiede zwischen den Spuren, und es gilt nun, in diesen Spuren unterschiedlichster Art genügend gemeinsame Merkmale zu finden, um dasjenige zu ermöglichen, was die Logiker Klassen, die Ästhetiker Formen und die Humanwissenschaftler Strukturen nennen und was das Invariante darstellt, das einer gewissen Anzahl dieser Spuren gemeinsam ist" (FOUCAULT 2001d, S.645f.). [8]

Einen anderen Zugang zu einer Archäologie des Visuellen bietet DELEUZE (1987), der von einem audiovisuellen Archiv schreibt. Wird das Archiv auf diese Weise erweitert, so ist dem Sagen nicht das Sehen (das äquivalent zum Hören wäre), sondern das Sichtbarmachen an die Seite zu stellen. Sagen und Sichtbarmachen lassen sich unter dem Zeigen zusammenfassen. Eine solche Erweiterung führt mich zu folgender Bestimmung des Archivs, wobei ich FOUCAULTs Ausführungen durch eigene Einschübe ergänze:

"Unter dem Archiv verstehe ich zunächst all die in einer Kultur … [gezeigten] Dinge, die aufbewahrt, als wertvoll erachtet, wieder verwendet, wiederholt und verändert worden sind. Kurz, diese ganze sprachliche [und visuelle] Masse, welche die Menschen hervorgebracht und in ihre Techniken und Institutionen gesteckt haben und die mit ihrem Dasein wie auch ihrer Geschichte verwoben ist. Diese Masse des … [Gezeigten] betrachte ich nicht aus der Sicht der Sprache [bzw. der Bilder] oder des darin eingesetzten sprachlichen [bzw. visuellen] Systems, sondern aus der Sicht der Operationen, denen sie ihre Entstehung verdankt. Meine Fragestellung könnte man nun folgendermaßen formulieren: Wie kommt es, dass zu einer bestimmten Zeit bestimmte Dinge … [gezeigt] werden können, andere Dinge dagegen niemals … [gezeigt] wurden?" (FOUCAULT 2001e, S.1000). [9]

Diese Archäologie fragt also nicht nach dem Unsichtbaren, um es auf diese Weise sichtbar zu machen, sondern sie interessiert sich für das Verhältnis zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem und wendet sich deshalb den Praktiken des Sichtbarmachens zu (vgl. FOUCAULT 2001f, S.678). TRIKI beschreibt FOUCAULTs Beschäftigung mit Bildern als eine Archäologie, die Aussage- und Sichtbarkeitsbedingungen, die jeder historischen Formation eigen sind, bestimme (vgl. TRIKI 1997, S.109). Dabei geht FOUCAULT davon aus, dass die Sprache und das Sichtbare unvereinbar sind. Im Gegensatz zu früheren Schriften ordnet er die beiden jedoch nicht mehr in einem festen Verhältnis (z.B. Primat der Sprache), sondern lässt die Beziehung zwischen Sprache und Visuellem offen und macht damit dieses Verhältnis zum Gegenstand seiner Untersuchung (vgl. FOUCAULT 1971, S.38). Eine solche Archäologie des Wissens, die den Linien historischer Transformationen des Visuellen folgt und den Fokus auf dessen Materialität legt, beschäftigt sich mit Diskontinuitäten, die bestehende Ordnungen stören und neue Modalitäten des Blicks hervortreten lassen (vgl. CATUCCI 2004, S.129). [10]

3.2 Genealogie

Von der Archäologie unterscheidet FOUCAULT in seiner Antrittsvorlesung Die Ordnung des Diskurses (1991) die Genealogie, die sich der Entstehung der Diskurse widmet. Diese Entstehung "ist Prinzip und Gesetz eines Erscheinens" (2002c, S.174f.). Die Genealogie bezieht sich auf den erweiterten Diskursbegriff, zu dem allerdings in den 1970er-Jahren der Begriff des Dispositivs tritt. Im Vergleich zum Diskurs erweist sich das Dispositiv als geeigneterer Anknüpfungspunkt für eine Analyse des Visuellen, da es weniger an die Sprache, dafür mehr an den Raum (vgl. SARASIN 2005) gebunden und heterogener ist, zumal FOUCAULT darunter die Gesamtheit aus "Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen", die Verbindungen dieser Elemente sowie ein Gebilde mit strategischer Funktion versteht (FOUCAULT 2003b, S.392f.). Da das Dispositiv stets in ein Machtspiel eingeschrieben und an Wissensgrenzen gebunden ist, verbindet es "Macht und Wissen in einem spezifischen Analyseraster" (DREYFUS & RABINOW 1987, S.150). Die Macht, die Sichtbarkeiten entstehen lässt, ist das Licht in seinen verschiedensten Facetten, so auch das Augenlicht. DELEUZE beschreibt deshalb neben den Ordnungen der Aussage jene des Lichts und betrachtet Dispositive als "Maschinen, um sehen zu machen oder sehen zu lassen, und Maschinen, um sprechen zu machen oder sprechen zu lassen" (DELEUZE 1991, S.154). [11]

Fokussiert die Genealogie auf das Erscheinen, so stehen damit Ereignisse sowie ihre Streuung im Zentrum der Untersuchung. Der Begriff des Ereignisses ist nicht nur für eine Analyse des Diskurses, sondern auch der Sichtbarkeiten fundamental, leitet er sich doch in der deutschen Sprache etymologisch von der "Eräugnung", d.h. dem Vor-Augen-Stellen, sich Zeigen ab. FOUCAULTs Auffassung des Ereignisses weist Ähnlichkeiten mit der Konzeption von DELEUZE auf, der von Ereignissen als Singularitäten schreibt, "die sich in einem problematischen Feld entfalten und in deren Nachbarschaft die Lösungen zustande kommen" (DELEUZE 1993, S.81). FOUCAULT geht davon aus, dass die Welt, die wir kennen, "ein Gewirr aus Myriaden ineinander verschachtelter Ereignisse" ist (FOUCAULT 2002c, S.181), mit denen wir untrennbar verbunden sind, und die unsere Art zu denken prägen (vgl. FOUCAULT 2003c, S.599). Das Ereignis erscheint an jenem Ort, wo ein Bruch durch eine Diskontinuität stattfindet. Es stellt ein Geschehnis dar, "das sich an der ganzen Oberfläche des Wissens verteilt und dessen Zeichen, Erschütterungen und Wirkungen man Schritt für Schritt verfolgen kann" (FOUCAULT 1971, S.269). So unterscheidet FOUCAULT vier Ebenen möglicher diskursiver Ereignisse: jene der Aussagen, jene "des Erscheinens der Gegenstände, der Aussagetypen, der Begriffe, der strategischen Wahl", jene der Ableitung neuer Formationsregeln sowie jene der "Substitution einer diskursiven Formation durch eine andere" (FOUCAULT 1973b, S.243). Visuelle Ereignisse können ebenfalls auf verschiedenen Ebenen auftreten. FOUCAULT zeigt insbesondere, wie diese Ereignisse nicht in ihrer Einzigartigkeit zusammenhangslose Erscheinungen, sondern in Serien miteinander verknüpft sind. So geht er vom einzigartigen Ereignis des Bildes aus und betrachtet, wie "die Schnappschussbeziehung" der Bildelemente Ereignis macht. Darüber hinaus erscheint eine "Serie von in der Ferne verborgenen Ereignissen":

"Bilder, die der Betrachter nicht sieht, kommen aus der Tiefe des Raumes und angetrieben von einer dunklen Kraft gelingt es ihnen, einem einzigen Photo zu entspringen, um in verschiedene Gemälde auseinander zu streben, von denen jedes seinerseits der Anlass zu einer neuen Serie, einer neuen Verstreuung von Ereignissen sein könnte" (FOUCAULT 2002a, S.879f.). [12]

Indem sich FOUCAULTs Blick auf Ereignisse und Serien richtet, ist seine Analyse von Problematisierungen sowohl synchron als auch diachron. Die Serie macht eine Regelhaftigkeit möglich, sodass Sag- und Sichtbarkeiten "geregelte und diskrete Serien von Ereignissen" (FOUCAULT 1991, S.38) darstellen. Eine Analyse der Verhältnisse von Sag- und Sichtbarkeiten fragt nach der Einzigartigkeit des Erscheinens eines Ereignisses und damit danach, was das Ereignis und kein anderes an seiner Stelle möglich gemacht hat, aber auch nach den Bedingungen seines singulären Auftretens, nach seinen Verbindungen mit anderen früheren oder gleichzeitigen sowie nach den Bild-, Bild-/Text- und Textverhältnissen. Für diese Analyse sind vier Begriffe wichtig: Ereignis, Serie, Regelhaftigkeit und Möglichkeitsbedingung: "Es gilt, die verschiedenen, verschränkten, oft divergierenden, aber nicht autonomen Serien zu erstellen, die den 'Ort' des Ereignisses, den Spielraum seiner Zufälligkeit, die Bedingungen seines Auftretens umschreiben lassen" (FOUCAULT 1991, S.36). [13]

3.3 Archäologie und Genealogie

Eine Untersuchung des Visuellen kann archäologisch und genealogisch begründet werden. Es wäre nicht zutreffend, von einer Archäologie oder Genealogie des Visuellen zu schreiben, da sich die beiden Ansätze ergänzen: Die Archäologie "analysiert die Prozesse der Verknappung, aber auch der Umgruppierung und Vereinheitlichung der Diskurse; die Genealogie untersucht ihre Entstehung, die zugleich zerstreut, diskontinuierlich und geregelt ist. Diese beiden Aufgaben sind nie ganz zu trennen" (FOUCAULT 1991, S.41). Gemeinsam sind ihnen drei Achsen der Untersuchung: Wissen, Macht und Ethik. Diese Achsen, die immer nur momentane Querschnitte durch Prozesse darstellen, sind durch bestimmte Beziehungen und Subjektkonstitutionen gekennzeichnet (vgl. Tabelle 1).

Untersuchungsachse

Wissen

Macht

Ethik

Beziehung

Herrschaftsbeziehungen über die Dinge

Handlungsbeziehungen zu anderen

Beziehungen zu sich selbst

Subjektkonstitution

Subjekt unseres Wissens

Subjekt, das Macht ausübt oder erleidet

moralisches Subjekt

Tabelle 1: Gemäß FOUCAULT (2005f, S.705f.) [14]

Bei der Achse des Wissens geht es um die Praxis der Wissensproduktion. Damit sind Fragen nach der Herstellung von Wahrheit und dem Zusammenhang mit gesellschaftlicher Wirklichkeit verbunden (vgl. SCHNEIDER & HIRSELAND 2005, S.256). Untersucht wird der Prozess des Erkennens, d.h. die Konstitution "einer Beziehung zwischen einem starren Subjekt und einem Bereich von Objekten" (FOUCAULT 2005a, S.71). Mit der Achse der Macht weitet sich die Analyse aus auf die "Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren" (FOUCAULT 1977, S.93), und die einen strikt relationalen Charakter aufweisen. Dieses Machtnetz ist überall, es weist allerdings ungleiche und bewegliche Beziehungen auf. Die Verknüpfung der beiden Achsen zum Analyseraster des Macht-Wissens ist gekennzeichnet durch die Immanenz von Wissenstechniken und Machtstrategien, durch ihre stetige Variation, ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis sowie durch eine Polyvalenz der Sag- und Sichtbarkeiten (vgl. FOUCAULT 1977, S.98-100). Die Achse der Ethik ergänzt die Analyse mit der Frage, wie das Individuum gesellschaftlich zu einem Selbst gebildet wird. Diese Historisierung des Selbst, für die das Konzept der Erfahrung eine wichtige Rolle spielt, trägt mit den beiden anderen Untersuchungsachsen zu einer komplexen Genealogie des modernen Subjekts bei:

"Der Genealoge sucht nach dem Moment in unserer Geschichte, in dem menschliche Wirklichkeit in ihren drei Dimensionen (Wahrheit, Macht und Ethik) zuerst dergestalt umgebildet wurde, dass ein Raum entstand, in dem sich die Art von Rationalität, die unseren gegenwärtigen Normen zugrunde liegt, ausbilden konnte" (DREYFUS & RABINOW 1987, S.301). [15]

In der Malerei von Manet überträgt FOUCAULT die Dimensionen in den Bereich des Visuellen, indem er die Bilder entlang der Achsen Raum, Licht und Betrachterposition analysiert. Er sieht in Manets Einbezug der Räumlichkeit und damit der materiellen Eigenschaften der Leinwand ein Spiel mit der Unsichtbarkeit, die durch das Sichtbare gezeigt wird. Sichtbar gemacht wird das Bild jedoch erst durch das Augen-/Licht, d.h. unseren Blick. Dabei werden wir durch das Bild nicht auf einen einzigen Punkt festgelegt, von dem aus wir das Bild betrachten. Damit ist das Bild kein normativer Raum, sondern ein Raum, der verschiedene Betrachterpositionen zulässt. Auf diese Weise erfindet Manet "das Bild als Objekt, das Bild als Materialität, als farbigen Gegenstand, der von einem äußeren Licht beleuchtet wird und vor dem und um das herum sich der Betrachter bewegen kann" (FOUCAULT 1999, S.10). [16]

Die drei Achsen Wissen, Macht und Ethik sind somit grundlegend für eine Analyse der Sag- und Sichtbarkeitsverhältnisse, wobei sie je nach Herangehensweise in unterschiedlichem Verhältnis zueinander auftreten (vgl. SARASIN 2005). Die Unterschiede von Archäologie und Genealogie sieht FOUCAULT denn auch "nicht so sehr im Gegenstand und im Untersuchungsbereich, sondern im Ansatzpunkt, in der Perspektive, in der Abgrenzung" (FOUCAULT 1991, S.42). DREYFUS und RABINOW (1987) weisen zudem darauf hin, dass sich die Gewichtung und Konzeption der Ansätze mit der Zeit veränderten. In seinen späten Schriften präsentiert FOUCAULT die archäologisch und genealogisch vorgehende Analyse von Problematisierungen. [17]

3.4 Untersuchung von Problematisierungen

Die Analyse von Problematisierungen steht im Zusammenhang mit FOUCAULTs Anliegen einer Geschichte des Denkens. Er geht davon aus, dass das Denken seine Aufmerksamkeit dann auf etwas lenkt, wenn bestimmte Elemente dieses Etwas unsicher gemacht, ihm seine Vertrautheit genommen oder Schwierigkeiten hervorgerufen haben (vgl. FOUCAULT 2005c, S.732). Diese Elemente, d.h. diskursive und nicht-diskursive Praktiken, konstituieren somit etwas als Objekt für das Denken (vgl. FOUCAULT 2005d, S.826), indem sie es problematisieren. FOUCAULT interessiert sich dafür, wie und wann bestimmte Dinge (Verhalten, Phänomene, Prozesse) zu einem Problem werden (vgl. FOUCAULT 1983). Die Untersuchung von Problematisierungen weist eine archäologische und eine genealogische Seite auf: "Die archäologische Dimension der Analyse ermöglicht es, die Formen der Problematisierung, und die genealogische Dimension der Analyse, deren Ausbildung ausgehend von Praktiken und ihren Modifikationen zu analysieren" (FOUCAULT 2005e, S.667). Die Analyse fragt danach, wie unser Wissen, die darin zur Ausübung kommenden Formen der Macht und die Erfahrung von uns selbst "nur historische Gestalten bilden, die durch eine gewisse Form einer Problematisierung bestimmt werden, welche Gegenstände, Handlungsregeln und Selbstbeziehungsmodi definiert" (FOUCAULT 2005f, S.706). Die Untersuchung der Beziehungen zu den Dingen, zu anderen und zu sich selbst lässt somit Erkenntnisse über die Form der Problematisierung zu. Das Verfahren sieht dabei wie folgt aus: "Auswahl des Materials nach Maßgabe der Gegebenheiten des Problems; Fokussierung der Analyse auf diejenigen Elemente, die zu seiner Lösung geeignet erscheinen; Herausarbeiten von Verbindungen, die diese Lösung möglich machen" (FOUCAULT 2005g, S.16). Diese Untersuchung der Problematisierungen bildet aus mehreren Gründen die Basis für die Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen: Sie orientiert sich nicht an Diskursen oder am Visuellen, sondern vielmehr am Denken; sie umfasst den archäologischen wie auch den genealogischen Ansatz und damit die drei Untersuchungsachsen Wissen, Macht, Ethik, und sie ist eng verbunden mit der Vorgehensweise der Ereignishaftmachung. [18]

4. Ereignishaftmachung als Vorgehensweise

Die in eine Geschichte des Denkens eingebettete Analyse der Verhältnisse von Sag- und Sichtbarkeiten setzt somit folgende Werkzeuge FOUCAULTs ein: Es handelt sich um eine Untersuchung von Problematisierungen, die ihren Ausgangspunkt dort findet, wo ein Bruch mit einer bestehenden Ordnung stattgefunden hat, und fragt, wie es dazu kam. Ihr Gegenstand besteht in visuellen und diskursiven Ereignissen, die in Serien auftreten und sich im Dispositiv versammeln. Diese Ereignisse werden entlang der Achsen Wissen, Macht und Ethik untersucht, wobei davon ausgegangen wird, dass Wort und Bild unvereinbar sind, jedoch ein ereignishaftes Prinzip des Zutage-Tretens teilen (vgl. FOUCAULT 2001b, S.796). [19]

Der Aspekt des Ereignishaften ist grundlegend für die hier vorgeschlagene Analyse, deren Vorgehen im Folgenden am Beispiel von Bildanalysen vorgestellt wird. Der Fokus liegt auf der Erforschung von Bildern, da hierbei im Vergleich zu Textanalysen größere Unsicherheiten bestehen, die zuweilen den Eindruck einer eher intuitiven als methodisch kontrollierten Herangehensweise hinterlassen. Bei dieser Analyse handelt es sich um keine standardisierte Methode, die es Schritt für Schritt einzuhalten gilt. Sie stellt vielmehr ein Verfahren dar, das dem jeweiligen Erkenntnisinteresse und Forschungsgegenstand anzupassen ist. Die Analyse folgt – unter Einbezug von Methoden der qualitativen Sozialforschung – einem Verfahren, das FOUCAULT als "événementalisation", d.h. "Zum-Ereignis-Machen" bezeichnet hat, und das sich aus einem "Bruch mit den Evidenzen" und einer "kausalen Demultiplikation" zusammensetzt (vgl. FOUCAULT 2005h). [20]

4.1 "Bruch mit den Evidenzen"

Ein "Bruch mit den Evidenzen", auf denen unser Wissen und unsere Praktiken basieren, setzt dort an, "wo man versucht wäre, sich auf eine historische Konstante zu beziehen oder ein anthropologisches Merkmal, oder auch eine Evidenz, die sich allen auf die gleiche Weise aufdrängt" (FOUCAULT 2005h, S.29). Diese Selbstverständlichkeiten werden zum Ereignis gemacht, d.h. es geht darum zu zeigen, dass es sich bei den Evidenzen immer um eine Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten handelt, und dass diese Auswahl nicht notwendigerweise so ausfallen musste, wie sie getroffen wurde. Eine diesem Verfahren folgende Bildanalyse hat nicht das Ziel, die Bedeutungen von Bildinhalten auszulegen und/oder den Sinn des Bildes zu verstehen. Für solche Untersuchungen wären bildhermeneutische Verfahren anzuwenden. Es werden auch keine kunsthistorischen Ansätze hinzugezogen, obwohl dies je nach Erkenntnisinteresse und Gegenstand möglich wäre (vgl. BOHNSACK 2003; JÄGER 2000; ROSE 2001). Die Bildanalyse geht vielmehr als eine "Ethnologie unserer Kultur" (FOUCAULT 2001c, S.76) wie eine teilnehmende Beobachtung vor und passt damit eine visuelle Methode ihrem Gegenstand an (zum Verhältnis von qualitativer Sozialforschung und Diskursanalyse vgl. WEISSER 2004). Das Vorgehen der teilnehmenden Beobachtung korrespondiert mit Verfahren von Diskursanalysen (vgl. z.B. DIAZ-BONE 2005; JÄGER 1999; KELLER 2004): Beide sehen nach dem Entwickeln einer Fragestellung und dem ersten Bestimmen des Forschungsgegenstands den Gang ins Feld und das Erstellen eines Korpus vor. Der Feldzugang erfolgt dadurch hypothesengeleitet und mit einem gewissen Vorverständnis. Feld und Korpus können sehr unterschiedlich sein, bei der Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen handelt es sich um Texte und Bilder bzw. deren Beobachtung. Dem Feldzugang, der mit einer Protokollierung der Beobachtung einhergeht, folgen Analyse und Darstellung der Erkenntnisse. [21]

Ein "Bruch mit den Evidenzen" mag bei Bildern, die gerade durch ihre Evidenz charakterisiert werden, als schwierig erscheinen. Er geschieht durch eine teilnehmende Beobachtung, die sich dadurch auszeichnet, dass ich sowohl am Feld teilnehme als auch das Feld und meine Teilnahme beobachte. Das Ich ist auf diese Weise ein Subjekt, das zuerst an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit ein Bild betrachtet und dann diese Betrachtung des Bildes beobachtet. Eine solche Beobachtung zweiter Ordnung lässt das Bild und mein Denken fremd werden, indem ich beide zunächst aus nächster Nähe ansehe und mich danach davon entferne, um sie aus der Distanz zu betrachten. "Die unentrinnbare Situation des Archäologen besteht also darin, dass er zugleich innerhalb und außerhalb der von ihm untersuchten Diskurse ist, dass er ihre Bedeutsamkeit teilt und zugleich außer Kraft setzt" (DREYFUS & RABINOW 1987, S.114). Das Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten erlaubt es, die blinden Flecke der Beobachtung erster Ordnung, so auch der Bildbetrachtung, zu sehen. Der blinde Fleck ist jener Punkt, "in dem sich unser eigener Blick unseren Augen in dem Augenblick entzieht, in dem wir blicken" (FOUCAULT 1971, S.32). Dieser Punkt, der zu einem Bruch und dadurch zu einer Verdoppelung führt, begrenzt und ermöglicht in paradoxer Weise das Sehen:

"Gäbe es nicht den blinden Fleck, der dem Allsichtigkeitstraum Grenzen setzt und das Sehen mit seiner eigenen Fremdheit konfrontiert, so gäbe es weder eine Geschichte des Sichtbarwerdens noch jene Leidenschaft des Sichtbarmachens, die sich selbst mit dem schönen Schein nicht zufriedengibt" (WALDENFELS 1999, S.178). [22]

Der Weg zum blinden Fleck führt über eine Bildbeschreibung und damit über eine Übersetzung von Bild in Text. Diese Übersetzung lässt sich nicht vermeiden und findet auch bei der Arbeit mit Texten – wenn auch im gleichen Medium – statt. Es gilt allerdings zu untersuchen, was durch diese Übersetzung passiert. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass die Beschreibung aus erkenntnistheoretischer Sicht nicht eine Beschreibung des Bildes, sondern eine Protokollierung meines Betrachtens des Bildes darstellt. Auch diese Verschiebung lässt sich nicht umgehen, jedoch produktiv einsetzen: Das Beobachtungsprotokoll, das aufgrund der Notizen zur Bildbetrachtung selbst ausführlicher als eine Bildbeschreibung ist, dient als Grundlage für das weitere Vorgehen. In dieser Unterscheidung von Bildbeschreibung und Beobachtungsprotokoll liegt auch eine Differenz zu anderen Verfahren, die ebenfalls Beschreibungen anwenden, diese aber nicht zum Gegenstand einer Beobachtung zweiter Ordnung machen. Eine solche Beobachtung, die das Vorwissen der Forschenden in den Untersuchungsprozess einbezieht, ist zentral für das weitere Vorgehen. [23]

4.2 "Kausale Demultiplikation"

Nach dem Durchbrechen der Selbstverständlichkeiten wird analysiert, wie diese Evidenz erlangt hatten. Bei dieser Entfaltung der blinden Flecke gilt es darzustellen, wie voraussetzungsreich die Selbstverständlichkeiten sind. FOUCAULT bezeichnete dieses Verfahren als "kausale Demultiplikation", der es darum gehe, "die Zusammenhänge, die Zusammentreffen, Unterstützungen, Blockaden, Kraftspiele, Strategien usw. wiederzufinden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt dasjenige formierten, das anschließend als Evidenz, Universalität oder Notwendigkeit fungieren sollte" (FOUCAULT 2005h, S.30). Das Ziel besteht darin zu zeigen, dass das, was evident zu sein scheint, auch anders sein könnte. [24]

Grundsätzlich ist das Verfahren hinsichtlich Sag- und Sichtbarkeiten gleich. Untersucht werden auf der Grundlage des Beobachtungsprotokolls die unterschiedlichen Prozesse, die die Ereignisse konstituieren. Dazu folgt die Analyse den Achsen Wissen, Macht und Ethik (vgl. Abschnitt 3.3 "Archäologie und Genealogie"). Zunächst werden die Räumlichkeit und damit die Materialität sowie die medialen Eigenschaften des Bildes untersucht. Dabei gilt ebenso wie bei Texten: "Die Frage nach der materialen Gestalt eine [sic!] Aussage richtet sich auf das Medium ihres Erscheinens, also darauf, wie sie artikuliert und verbreitet wird" (KELLER 2004, S.96). In diesen Zusammenhang gehört eine eingehende Quellenkritik (vgl. JÄGER 2000, S.69), die nicht nur nach der Entstehung eines Bildes, sondern auch nach dessen Gebrauch und Aufbewahrung fragt.

Mit einer solchen Bildanalyse werden die Prozesse des Zeigens, Sichtbarmachens und Blickens sowie Sehens untersucht. Gegenstände der Untersuchung sind die betrachteten Bilder, die Bildbetrachtungen und die betrachtenden Subjekte. Die Fragen aus dem Analyseraster Wissen – Macht – Ethik müssen dem jeweiligen Erkenntnisinteresse angepasst werden. Studien mit einem solchen Vorgehen stellen oft Einzelfallanalysen dar. Dabei ist das exemplarische Bild begründet auszuwählen und in der Analyse in Serien von Ereignissen zu stellen. Die Analyse fokussiert auf die für die Fragestellung relevanten Elemente und sucht darin so lange nach gemeinsamen Merkmalen, bis eine theoretische Sättigung erreicht ist. Bei der Untersuchung kann Software zur Unterstützung qualitativer Datenanalyse eingesetzt werden, allerdings gilt es ein Programm auszuwählen, mit dem sich sowohl Texte als auch Bilder untersuchen lassen (z.B. Atlas.ti oder Hyperresearch). Mit diesen Analysen sind Bilder nicht nur "als spezifische Ordnungen der Sichtbarkeit wahrzunehmen, die eigene Regeln ausgebildet haben" (STIEGLER 2004, S.297), sondern die auch in Bezug zu Ordnungen der Sagbarkeit stehen. [26]

5. Anwendungsbeispiel: Bilder von Behinderung

Um das hier vorgeschlagene Verfahren zumindest grob skizziert vorzustellen, wird auf ein Beispiel eingegangen, das im Rahmen des Forschungsprojekts "Un-/sichtbare Differenz. Bilder von Behinderung und Normalität" analysiert wird. Das Projekt untersucht mit dem Forschungsansatz der Disability Studies Differenzbildung und fragt dazu, wie Behinderung in der Öffentlichkeit problematisiert wird. Zur Fragestellung und zum Forschungsgegenstand wurde ein passendes Korpus ausgewählt (vgl. Abschnitt 4.1 "Bruch mit den Evidenzen"). Dabei handelt es sich um den Plakatwettbewerb "Mitten im Leben", der von zwei Organisationen der Behindertenselbsthilfe und einer Gesundheitskasse anlässlich des Europäischen Jahrs der Menschen mit Behinderungen 2003 im Saarland ausgeschrieben und von politischen Institutionen auf Landes-, Bundes- sowie europäischer Ebene gefördert wurde. Er verfolgte das Ziel eines Perspektivenwechsels: Menschen mit Behinderung seien nicht mehr als arm und bedauernswert, sondern als selbstbestimmt wahrzunehmen und zu behandeln. Deshalb wurden im Rahmen des Wettbewerbs zehn Werbeagenturen aufgefordert, Beiträge einzureichen, die Vorurteile aufbrechen und Erwartungshaltungen hinterfragen würden. Aus den eingereichten Beiträgen ermittelte eine Jury drei Siegerbilder, die als Plakate in der Öffentlichkeit gezeigt wurden. Alle Beiträge wurden auch im Internet veröffentlicht, wo das Publikum einen Sieger erküren konnte (vgl. http://ni.sol.de/tools/kiss/start.phtml). Aus zwölf ausgewählten Motiven wurde ein Kalender erstellt und verkauft. [27]

5.1 Bildauswahl

Die Plakate dienen hier nicht nur als Beispiel, weil mit ihnen die bisherige Darstellungsweise von Behinderung durch eine neue abgelöst werden soll und sie somit einen Bruch mit einer bestehenden Sichtbarkeitsordnung anstreben. Weitere Gründe für die Auswahl sind: Bilder treten in Serien auf, Behinderung wird unterschiedlich dargestellt, und ein erster Blick auf die Plakate hinterließ den Eindruck von Widersprüchlichkeit. Für den Beginn der Untersuchung aller Plakate wird die auf der Grounded Theory basierende Datenanalysesoftware Atlas.ti hinzugezogen, d.h. Text- und Bildelemente sowie dazu verfasste Notizen werden kodiert (zum Einbezug der Grounded Theory in die Diskursforschung vgl. KELLER 2004, S.86). Die Kodes sind durch die Kombination mit Buchstaben oder Wörtern (z.B. "sagen" und "sehen") so zu erstellen, dass sie eine Auswertung nur der Sag- oder Sichtbarkeitsverhältnisse (dabei würden nur die Kodes mit "sagen" oder "sehen" berücksichtigt) wie auch der Sag- und Sichtbarkeitsverhältnisse (mit Berücksichtigung aller Kodes) möglich machen. Der Einsatz eines Programms unterstützt eine systematische Untersuchung der Bilder, indem es die detaillierte Kodierung der einzelnen Bilder ermöglicht und den Vergleich mit anderen Bildern und damit das Arbeiten in Serien erleichtert. Auf diese Weise wurde bei den Plakaten eine Häufung gewisser Elemente festgestellt: der Wörter "Mensch", "Integration", "können", verschiedener Komposita von "normal" sowie der Bilder von Kindern bzw. Rollstühlen. Behinderung scheint also mit Fragen des Menschseins, der Zugehörigkeit, Fähigkeit und Normalität sowie v.a. mit Kindern und Rollstuhlbenutzerinnen und -benutzern verknüpft zu werden. [28]

Mit der Analyse einzelner Bilder lässt sich dies genauer untersuchen, wobei diesen Einzelfallanalysen stets die erwähnte Fragestellung nach der Problematisierung von Behinderung und damit nach Differenzbildung zugrunde liegt. Theoretisches Sampling dient zur Auswahl der exemplarischen Bilder: Hier wurde als Beispiel mit Plakat j7 (vgl. Abbildung 1) ein aufgrund der ersten Erkenntnisse typisches Bild ausgewählt, da es die Elemente "Mensch", "Integration" und "Kind" umfasst und explizit Behinderung thematisiert. Zudem löste eine erste Betrachtung Irritationen aus, die sich aus der Kombination der Bild- und Textelemente ergaben.



Abbildung 1: LAGH, KISS, AOK, 7° Ost Werbeagentur, Saarbrücken: Plakatwettbewerb "Mitten im Leben", 2003, http://ni.sol.de/tools/kiss/show.phtml?mID=55 [29]

5.2 Bildbetrachtung

Nach der begründeten Bildauswahl erfolgt der "Gang ins Feld" (vgl. Abschnitt 4.1 "Bruch mit den Evidenzen"): Um zu schauen, was das Plakat mit seiner spezifischen Auswahl und Kombination von Bild- und Textelementen zeigt, beginnt die Analyse mit einer Bildbeschreibung. Diese ausführliche Beschreibung baut auf der bei der Bildauswahl begonnenen Untersuchung mit Hilfe der Datenanalysesoftware auf. Ausführlich heißt, dass das Ziel darin besteht, mit der Wahrnehmung und dem Denken die verschiedenen bei der Bildbetrachtung beteiligten Prozesse zu beschreiben. Neben einer detaillierten Beschreibung der einzelnen Bild- und Textelemente sowie der damit verknüpften Assoziationen gehören zur Bildbeschreibung auch Notizen über die beim Sehen nicht wie beim Lesen gleichermaßen festgelegte Reihenfolge des Betrachtens, um Aufschlüsse über die Lenkung der Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Beschreibung erfolgt somit nicht nach einem festgelegten Muster, sondern sie folgt der Bildbetrachtung. [30]

So sah ich beispielsweise beim ausgewählten Plakat zuerst das Porträt eines niedlichen, nackten Kleinkindes, das ein Mädchen oder ein Junge sein könnte. Das Porträt erinnerte mich an Werbung für Produkte wie Windeln, Babybrei und Kindershampoo. Danach betrachtete ich das große Feld mit dem Text "100% mensch", bei dem mich die Prozentangabe und die Kleinschrift irritierten. Da für mich ein Kind zu 100% ein Mensch ist, fragte ich mich, weshalb diese Selbstverständlichkeit sichtbar gemacht wurde. Aufgrund der ähnlichen Gestaltung und der Größe nahm ich anschließend das Feld mit dem Text "63% behindert" wahr. Da sich das Feld auf die Stirn des Kindes richtete, verknüpfte ich damit eine sog. geistige Behinderung. Obwohl das Feld wie eine Sprech- bzw. Denkblase aussah, empfand ich es eher als ein Label und damit als eine Zuschreibung. Daran irritierte mich die prozentuale Angabe von Behinderung, wie ich sie mir nicht im Alltag, jedoch im Kontext von Sozialversicherungen mit ihren Klassifikationen vorstellen könnte. Sie führte mich zu den Fragen, wie die restlichen 37 Prozent zu interpretieren seien und was die Bezugsgröße für die Prozentangaben darstelle. Verknüpfte ich zwar das Textfeld zunächst mit dem Porträt des Kindes, so ergaben sich während der Betrachtung Zweifel: Auch wenn Kinder mit Behinderung oft – insbesondere auch im Rahmen von Spendenkampagnen – abgebildet werden, so vermochte ich das Bild nicht mit mir bekannten Bildern in Beziehung zu bringen. Weil ich keine Behinderung sah, war ich geneigt, dem Text nicht zu glauben. Wenn ich jedoch die Textfelder und das Porträt miteinander verband, so ergab sich für mich die Interpretation, dass ein Kind trotz einer Behinderung von 63% zu 100% ein Mensch sei, wofür das Porträt den Beleg liefert. Schließlich betrachtete ich die sich am unteren Bildrand befindenden sieben Logos von Institutionen und die darüber angebrachte Textzeile, die mir wiederum in Kleinschrift darüber Auskunft gab, dass es sich um "eine kampagne zur integration von menschen mit behinderung powered by" dort aufgeführten Institutionen handle. Dieses Element informierte mich darüber, wer mir hier etwas mitteilen wollte. Die Botschaft des Plakats lautete für mich nun: Menschen mit Behinderung gilt es nach Meinung der sieben Institutionen zu integrieren, da sie zu 100% Mensch seien. Da jedoch ein Hinweis darauf fehlt, wie diese Integration auszusehen hat, mag mich das Plakat wohl dazu bewegen, Integration zu befürworten – ohne dass es jedoch einen Hinweis geben würde, wie diese Integration geschehen könnte. [31]

5.3 Analyse der Beobachtung

Die hier kurz skizzierte Bildbeschreibung als Protokoll des Gangs ins Feld dient als Basis für die Analyse mit den Fragen aus dem Raster Wissen – Macht – Ethik (vgl. Abschnitt 4.2 "Kausale Demultiplikation"). Diese Untersuchung, die nun zusammenfassend erläutert wird, setzt die mit der Bildbeschreibung bereits begonnene Quellenkritik fort. Ging es bisher mehr um eine sog. innere Kritik, in deren Fokus die verschiedenen Elemente des Bildes standen, so folgt nun die sog. äußere Kritik. Sie betrifft die Herstellung, den Gebrauch sowie die Aufbewahrung des Bildes. In die Analyse des Plakats fließt somit ein, wie es anlässlich des Europäischen Jahrs für Menschen mit Behinderung im Rahmen eines Wettbewerbs entstand, zuerst im Internet publik gemacht, dort von einem Publikum zum Siegerbild erkoren wurde und danach sowohl als Werbekarte wie auch als Kalenderbild zu sehen war. Die Analyse zum Aspekt des Wissens folgt den Leitfragen:

Das untersuchte Plakat, das ich am Bildschirm und als Ausdruck betrachtete, weist aufgrund seiner Machart zwei Ebenen auf: zunächst jene des Porträts, dem auf einer zweiten, übergeordneten Ebene Text hinzugefügt wurde. Obwohl sich das Porträt dadurch im Hintergrund befindet, sprach es mich zuerst und am meisten an. Allerdings verband ich das Gezeigte mit unterschiedlichen Kontexten: das Porträt mit Werbung, die Texte mit Institutionen der Behindertenhilfe. Während das Bild eine emotionale Nähe schaffte, lösten die Texte v.a. aufgrund der Prozentangaben Irritationen aus und wirkten distanzierend. Zu dieser Distanzierung trug der Eindruck bei, dass die Logos der Institutionen die Botschaft des Plakats visuell autorisieren. Dadurch nahm ich die Botschaft als Appell zur Integration wahr, der jedoch das Wie dieser Integration nicht sichtbar macht. Trotz der aufgetreten Irritationen gewinnt das Plakat Evidenz durch die Kombination der verschiedenen Elemente. Die Evidenz würde sich jedoch z.B. durch ein anderes Kinderporträt oder durch das Textfeld "37% unbehindert" verändern. Zur Analyse der Dimension der Macht wendet sich die Untersuchung nach dem Bild nun der Bildbetrachtung zu. Dazu werden Fragen nach dem Sichtbarmachen gestellt:

In der Bildbetrachtung stelle ich durch das Blicken Evidenz her, indem ich dadurch die Bildelemente miteinander verknüpfe. Die Verknüpfung folgt der Lenkung meiner Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Elemente. Diese Aufmerksamkeitslenkung erfolgt je nach Ort und Zeit unterschiedlich. Hier lässt sie mich mit dem Blicken das nackte Kind als zu integrierenden Menschen mit Behinderung sichtbar machen. Durch das Bild trete ich jedoch nicht nur zum Kind in Beziehung, sondern auch zu den Institutionen, von denen ich mich mit ihrer Aufforderung zur Integration angesprochen fühle. Damit rückt das betrachtende Subjekt in den Fokus der Analyse. Die Fragen zur Achse der Ethik lauten:

Die Aufmerksamkeit ist nicht nur daran beteiligt, dass ich ein Objekt erkenne, sondern auch daran, dass ich mich im Erkennen als Subjekt konstituiere. Beim ausgewählten Plakat werde ich etwa zur Konsumentin, zur Spendenwilligen und zur Mitgefühl Empfindenden, aber auch zur Verunsicherten mit ihrer Frage nach der eigenen Position im Kontinuum von Behinderung und Nicht-Behinderung. Diese Verunsicherung ist ein Effekt der Kombination von Bild- und Textelementen, die meinen Erwartungen widerspricht: Behinderung wird nicht bildlich, sondern nur verbal problematisiert. [35]

5.4 Erweiterung der Analyse

Die bisherige Analyse ist in mehrfacher Hinsicht zu erweitern:

Auf diese Weise lassen sich differenziert unterschiedliche Problematisierungsweisen von Behinderung analysieren. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Beschreibung von Praktiken der Differenzbildung und damit für die Beantwortung der Fragestellung. [37]

6. Schluss

Für die Untersuchung der im Beispiel erwähnten Unterschiede sowie von Medienwechseln, medialen Un-/Gleichzeitigkeiten, Koppelungen und Brüchen bietet sich die hier vorgeschlagene Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen an. Sie beschreibt intramediale (Diskurse oder Visualitäten), intermediale (Sag- und Sichtbarkeiten) und extramediale (andere Praktiken) Relationen. Allerdings wird nicht für den universalen Einsatz dieses Verfahrens plädiert. Wie bei jeder Untersuchung soll das Vorgehen dem Gegenstand angepasst sein. Besteht jedoch eine Fragestellung, die den Einbezug von visuellen Quellen erforderlich macht, und lässt sich ein passendes Korpus finden, so weist das vorgestellte Verfahren den Vorteil auf, dass sich damit Texte und Bilder methodisch kontrolliert untersuchen lassen. Indem die Analyse im Anschluss an FOUCAULT Problematisierungen untersucht, erweitert sie das Analyseraster von Wissen und Macht um die Achse der Ethik. Durch den Einbezug der Methode der teilnehmenden Beobachtung macht die Analyse Selbstverständlichkeiten zum Ereignis, d.h. in einer Beobachtung zweiter Ordnung hinterfragt und entfaltet sie die blinden Flecke der Beobachtung erster Ordnung. Damit hat das Vorgehen folgende Funktion: "ein analytisch reflektives und reflexives Aufbrechen sedimentierter Selbstverständlichkeiten mit dem Ziel, die Art und Weise sichtbar zu machen, in der die Dinge zu dem geworden sind, was sie sind, um schließlich zu belegen, dass es auch anders sein könnte" (RABINOW 2004, S.56). [38]

Danksagung

Besonders dankbar bin ich für alle Diskussionen über Diskursforschung im Anschluss an Michel FOUCAULT. Petra OTT, Leiterin der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland, danke ich für die Erlaubnis, mit den Bildern des Wettbewerbs zu arbeiten.

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Zur Autorin

Cornelia RENGGLI, lic. phil., Studium der Volkskunde, Geschichte des Mittelalters und Sonderpädagogik an der Universität Zürich, seit 2002 ebendort Dissertation "Un-/sichtbare Differenz. Bilder von Behinderung und Normalität", 2003 bis 2006 Koordinatorin des Nationalen Forschungsprojekts "Integration und Ausschluss durch Bilder des Anderen" an der Wissenschaftsforschung der Universität Basel, seit 2004 Assistentin am Institut für Populäre Kulturen und Aufbau des Forums "Disability Studies" an der Universität Zürich, seit 2006 assoziiert am Nationalen Forschungsschwerpunkt "Bildkritik" an der Universität Basel mit dem Projekt "Sport und Behinderung. Eine transdisziplinäre Analyse zu Körper, Bild und Bewegung".

Kontakt:

Cornelia Renggli

Universität Zürich, IPK
Wiesenstrasse 7/9
CH-8008 Zürich

E-Mail: c_renggli@access.uzh.ch
URL: http://www.disability-studies.ch/

Zitation

Renggli, Cornelia (2007). Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen: Eine Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen nach Foucault [38 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 23, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0702239.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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