Volume 17, No. 1, Art. 18 – Januar 2016
"Are you human?" Plädoyer für eine kommunikationstheoretische Fundierung interpretativer Forschung an den Grenzen des Sozialen
Florian Muhle
Zusammenfassung: Im Zentrum von Soziologie im Allgemeinen und interpretativer Sozialforschung im Besonderen stehen in der Regel unhinterfragt Menschen und ihre Weltdeutungen. In aktuellen sozialtheoretischen Debatten und empirischen Forschungen wird die Zentralstellung des Menschen in soziologischen Analysen jedoch zunehmend infrage gestellt. Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, wie Sozialität jenseits der Fixierung auf menschliche Akteur/innen konzipiert werden kann und wie sich Grenzziehungen zwischen Sozialem und Nicht-Sozialem in gegenstandsangemessener Perspektive untersuchen lassen. Hierzu werden in Auseinandersetzung mit konkurrierenden Überlegungen (insbesondere der Akteur-Netzwerk-Theorie und Ansätzen, die subjektive Sichtweisen von Akteuren und Akteurinnen fokussieren), eine kommunikationstheoretische Perspektive auf die Grenzen des Sozialen und eine darauf aufbauende Methodologie entwickelt, die ergebnisoffene Forschung an und zu den Grenzen des Sozialen anleiten können. Wie sich entsprechende empirische Analysen konkret umsetzen lassen, wird exemplarisch an einem Fall der Mensch-Maschine-Kommunikation in einer virtuellen Welt gezeigt.
Keywords: Grenzen des Sozialen; Akteursfähigkeit; Sozialtheorie; Kommunikationstheorie; Methodologie; Membership Categorization Analysis; Künstliche Intelligenz
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Virtuelle Welten als Orte, an denen die Mensch-Maschine-Grenze problematisch wird
3. Für eine kommunikationstheoretische Perspektive auf die Grenzen des Sozialen
4. Zur methodischen Umsetzung
5. Exemplarische Analyse eines Transkriptausschnittes
6. Schluss
Bei aller Vielfalt und Unübersichtlichkeit, die in diesem Feld herrscht, ist doch festzustellen, dass im Zentrum der interpretativen Sozialforschung zumeist Menschen und ihre Weltdeutungen stehen. Grundlage hierfür ist – in den Worten Hans-Georg SOEFFNERs – die Annahme einer "anthropologischen Basiskonstellation". Diese besagt, dass wir als Menschen
"uns selbst, unseren Mitmenschen und unserer Welt immer schon deutend gegenüber[treten]. Denn menschliches Verhalten und Handeln – sei es nichtsprachlicher oder sprachlicher Art – ist von und für Menschen interpretierbar, weil es neben vielen anderen Eigenschaften immer die der Zeichenhaftigkeit aufweist. [...] Menschliche Zeichenkonstitution und Zeichenverwendung resultieren aus der für die Spezies Mensch charakteristischen Loslösung des Antriebes von präformierter Motorik und der damit verbundenen Schwächung biologischer Eindeutigkeit (Instinktsteuerung) des Verhaltens. Sie prägen die artspezifischen Umgangsformen der Menschen miteinander und gegenüber der Welt" (2014, S.35f.). [1]
Interpretative Sozialforschung nimmt ihren Ausgangspunkt also in der Regel von der Annahme, dass Menschen als Gattungswesen über bestimmte Eigenschaften verfügen, die dazu führen, sich selbst, den Mitmenschen und der Umwelt gegenüber in besonderer Weise, nämlich deutend, aufzutreten. Dabei stehen die "artspezifischen Umgangsformen" im Vordergrund, wenn Lebenswelten und Interpretationsweisen von Menschen im Rahmen interpretativer Sozialforschung untersucht und beschrieben werden. Zugleich geht mit einer solchen anthropologischen Fundierung des Gegenstandsbereiches der Sozialforschung eine klare Abgrenzung des Menschen und seiner spezifischen Eigenschaften von anderen Entitäten einher. Von zentraler Bedeutung sind hier – insbesondere in der Gründungsphase der Soziologie – die Abgrenzung von Tieren (vgl. GEHLEN 1976; PLESSNER 1975; SCHELER 1928) und – spätestens mit dem Projekt der künstlichen Intelligenz und der Verbreitung des Personalcomputers in den 1980er Jahren – von (intelligenten) Maschinen (vgl. COLLINS 1993; COLLINS & KUSCH 1999; SUCHMAN 1987). Hinzu kommen als weitere Grenzziehungen, die in der Literatur Beachtung finden, der Lebensbeginn und das Lebensende. Gesa LINDEMANN spricht in diesem Kontext von einem "Anthropologischen Quadrat" (2009a, S.83), in dem der lebende Mensch den einzig möglichen sozialen Akteur darstellt, dessen generalisierte Akteursfähigkeit nach vier Seiten hin abgegrenzt und abgesichert sei. Entsprechend dieses "Grenzregimes" (S.103) unterscheide die Handlungsfähigkeit den lebenden Menschen einerseits von anderen Entitäten, nämlich Tieren und Maschinen, andererseits von Menschen, denen noch nicht oder nicht mehr soziale Handlungsfähigkeit zukomme (S.83). [2]
Diese Beschränkung des soziologischen Gegenstandsbereiches ist jedoch zunehmend umstritten, sodass sowohl die Grenzziehung zu anderen Entitäten wie Tieren und Maschinen als auch die unhinterfragte Zentralstellung des Menschen in aktuellen sozialtheoretischen Debatten und empirischen Untersuchungen zur Disposition steht und Möglichkeiten nicht-menschlicher Akteursfähigkeit in Betracht gezogen werden (vgl. KRUMMHEUER 2010; LATOUR 2007; LINDEMANN 2009a; MUHLE 2013; WIEDENMANN 2015). Damit steht aber auch die "anthropologische Basiskonstellation" von Soziologie und interpretativer Sozialforschung auf dem Prüfstand, und es wird für eine sich als reflexiv verstehende Sozialwissenschaft zu einer bedeutsamen Frage, wie sie 1. selbst ihren Gegenstandsbereich begrenzt und wie 2. Grenzziehungen zwischen sozialen und nicht-sozialen Wesen und Beziehungen in einer angemessenen, d.h. ergebnisoffenen Perspektive untersucht werden können (vgl. LINDEMANN 2008, 2009a, 2009b; MUHLE 2013). [3]
Diesen Fragen gehe ich auch im vorliegenden Beitrag nach. Dabei versuche ich eigenständige Antworten zu finden, die sich im Ergebnis für eine kommunikationstheoretische Perspektive auf Phänomene der sozialen Grenzziehung aussprechen und ein entsprechendes Forschungsprogramm vorstellen. In einem ersten Schritt möchte ich zunächst anhand eines konkreten Forschungsgegenstandes, der Mensch-Maschine-Kommunikation in virtuellen Welten, plausibilisieren, dass die Infragestellung der menschlichen Grenzen der Sozialwelt jenseits sozialtheoretischer Debatten in bestimmten sozialen Kontexten bereits empirische Evidenz besitzt (Abschnitt 2). Auf Grundlage des vorgestellten Beispiels plädiere ich in Auseinandersetzung mit bereits vorliegenden methodologischen Vorschlägen im dritten Abschnitt dafür, dass die interpretative Sozialforschung kommunikationstheoretische Wege gehen sollte, um die Grenzen der Sozialwelt empirisch auszuloten1). Darauf aufbauend stelle ich im vierten Abschnitt methodische Überlegungen zur Übersetzung der theoretischen Perspektive in empirische Forschung vor, welche die Basis bilden, um anschließend exemplarisch zu zeigen, wie eine entsprechende empirische Analyse umgesetzt werden kann (Abschnitt 5). Am Schluss werden die wesentlichen Überlegungen des Textes noch einmal zusammengeführt (Abschnitt 6). [4]
2. Virtuelle Welten als Orte, an denen die Mensch-Maschine-Grenze problematisch wird
Das Beispiel, an dem ich eine Beschränkung des soziologischen Gegenstandsbereiches auf Menschen problematisieren möchte, entstammt einem mediensoziologischen Forschungsprojekt zur Kommunikation in virtuellen Welten. Ebenso wie Computerspiele, in denen computergesteuerte Non-Player-Character (NPC) zu selbstverständlichen Ausstattung gehören (vgl. PARSLER 2010), stellen diese nicht mehr nur Orte zwischenmenschlicher Kommunikation dar, sondern dienen als Experimentierfelder "gemischter Gesellschaften", in denen sich Menschen und Maschinen gemeinsam bewegen. So nutzen Forscher/innen aus dem Bereich der Künstliche Intelligenz (KI)-Forschung zunehmend virtuelle Welten als Plattformen, um ihre Produkte in einer Umgebung zu testen, in der sie in gleicher Weise eingebettet sind wie menschliche User/innen (vgl. MORIE, CHANCE, HAYNES & RAJPUROHIT 2012; WEITNAUER, THOMAS, RABE & KOPP 2008). Dabei werden die computergesteuerten Gesprächspartner/innen, bei denen es sich in der Regel um sogenannte "verkörperte konversationale Agenten" (embodied conversational agents) handelt (vgl. CASSELL 2000; WACHSMUTH 2013), ebenso wie menschengesteuerte Figuren als Avatare verkörpert und treten den menschlichen User/innen – zumindest auf den ersten Blick – als gleichartige Kommunikationspartner/innen entgegen, die optisch nicht von menschengesteuerten Avataren zu unterscheiden sind (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Zwei Avatare in der virtuellen Welt Second Life2). Welcher der beiden menschlich, welcher maschinell gesteuert wird, lässt sich anhand des Aussehens nicht entscheiden. [5]
Aus der Perspektive der Entwickler/innen geht es dabei darum, "sophisticated conversational bots" zu entwickeln, "that look like other inhabitants of the world and interact meaningfully with humans within that space" (MORIE et al. 2012, S.100). Für diejenigen, die sich als Spieler/innen in entsprechenden Online-Umgebungen bewegen, folgt daraus, dass sie mit einer Identifikationsproblematik konfrontiert werden, die sich bisher so in keiner anderen Form der (mediatisierten) Kommunikation stellt. Denn es bleibt bei Begegnungen in virtuellen Welten unter Umständen nicht mehr nur unklar, wer sich hinter einem Avatar als virtuellem Gegenüber verbirgt. Vielmehr steht auch zur Debatte, mit "was wir bei einem sozialen Kontakt via Computermedium konfrontiert sind" (THIEDEKE 2004, S.31; meine Herv.). Das heißt, zumindest am Beginn virtueller Begegnungen ist ungewiss, ob hinter dem Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine steckt. Deutlich wird dies auch anhand einer kurzen Episode, die der amerikanische Anthropologe Tom BOELLSTORFF in einer Ethnografie der virtuellen Welt Second Life schildert. So berichtet er von seltsam anmutenden Erlebnissen, die erfahrene Nutzer/innen des Second Life gelegentlich im Umgang mit Neulingen in der virtuellen Welt machen:
"Volunteer helpers often found new residents of Second Life asking them 'Are you human?' – in other words, are you automated or not? Alieva [eine Second Life-Nutzerin] noted how she was helping new residents when 'the other day, I had to prove to someone that I wasn't a 'robot'. People with gaming experience tend to think that people willing to help are bots, not humans" (2008, S.131). [6]
Diese Fehleinschätzung der "Newbies"3) gegenüber anderen User/innen könnte leicht als unbedeutend abgetan werden. Genauso verfährt auch BOELLSTORFF, der eine schnelle Erklärung zur Hand hat. Seiner Auffassung nach erklärt sich die Verwechslung von Mensch und Roboter schlicht aus Erfahrungen der Second Life-Neulinge mit Computerspielen. Wie bereits erwähnt, treten in diesen häufig NPCs bzw. "Bots"4) auf, die etwa als helfende Charaktere "den Figuren der Spieler Aufträge und Informationen geben, Waren verkaufen oder Dienstleistungen [...] bieten" (MÜLLER 2008, S.203). Entsprechend widmet der Anthropologe BOELLSTORFF der Episode keine tiefer gehende Aufmerksamkeit. Sie bleibt eine Randnotiz in seiner Auseinandersetzung mit Second Life, die für ihn ebenso wie für das Gros der Forschenden in virtuellen Welten (vgl. die Beiträge in DOMÍNGUEZ et al. 2007) ganz eindeutig einen Ort menschlicher Kultur darstellt, an dem computergesteuerte Avatare keine relevante Rolle spielen (vgl. BOELLSTORFF 2008, S.17). [7]
Demgegenüber greife ich den Absatz aus BOELLSTORFFs Studie auf, weil in der Frage "Are you human?" die Problemstellung aufscheint, die im Zentrum des vorliegenden Aufsatzes liegt. Mit Gesa LINDEMANN gesprochen drückt sich meines Erachtens hierin deutlich die "Kontingenz der Mitwelt" (2010) in der virtuellen Welt aus. Offensichtlich rechnen die Nutzer/innen von Computerspielen und virtuellen Welten damit, dass ihnen neben menschen- auch maschinengesteuerte Avatare als Gegenüber entgegentreten, ohne dass diese klar voneinander zu unterscheiden wären. Die Frage "Are you human?" verweist genau hierauf. Sie zielt darauf ab, Transparenz hinsichtlich der Identität des Gegenübers zu erlangen und rechnet dabei in verblüffender Weise damit, eine Antwort von einer Maschine zu bekommen. Dieser wird somit die Fähigkeit zu Verstehen zugetraut. Die Frage konstruiert also ein Gegenüber, das nicht zwangsläufig menschlich sein muss, aber dennoch als Subjekt adressierbar ist und die Frage als Frage verstehen und in der Folge auch beantworten kann. Das heißt, (bestimmte) technische Artefakte, die im Internet in Form einfacher NPCs, aber auch in elaborierterer Form als verkörperte Agent/innen auftreten, können die Nutzer/innen scheinbar in soziale Beziehungen verstricken, in denen auch sie als spezifische nicht-menschliche, aber dennoch soziale Akteur/innen erscheinen. [8]
Wenn aber die Unterscheidbarkeit von Mensch und Technik zunehmend schwierig wird, wie dies die Frage "Are you human?" und die skizzierte Entwicklung verkörperter Agent/innen implizieren, gerät die traditionelle Basiskonstellation der Sozialforschung ins Wanken und es zeichnet sich möglicherweise eine Verschiebung der Grenzen der Sozialwelt ab, wenn nun auch "künstliche" Personen in Umgangsformen einbezogen werden, die bisher als artspezifisch menschlich gelten. Die Teilnahme sprachfähiger Technik an Kommunikationsprozessen bedeutet damit in der Konsequenz sowohl für die Soziologie als auch für die menschlichen Computernutzer/innen eine Herausforderung. Während diese für die Computernutzer/innen bereits Realität und alltäglich ist, muss sich die Soziologie im Allgemeinen und die interpretative Sozialforschung im Besonderen erst darauf einstellen und ihre nur selten reflektierten Annahmen zur Begrenzung ihres Gegenstandsbereiches hinterfragen. Die weiteren Ausführungen verstehen sich als Beitrag zu genau dieser Aufgabe. [9]
3. Für eine kommunikationstheoretische Perspektive auf die Grenzen des Sozialen
Wenn mit der Teilnahme nicht-menschlicher Entitäten an sozialen Prozessen zu rechnen ist, leuchtet ein, dass die Sozialforschung sich von ihrer weithin geteilten Grundannahme einer anthropologischen Basiskonstellation trennen muss, um ergebnisoffen untersuchen zu können, ob und in welcher Weise auch andere als menschliche Entitäten als soziale Akteur/innen infrage kommen, deren Verhaltensweisen interpretierbar (und: interpretationsbedürftig) sind, weil sie Zeichenhaftigkeit aufweisen. Wie ich im Folgenden argumentieren werde, muss eine Methodologie, die entsprechende Untersuchungen anleiten kann, bestimmten Kriterien genügen, die einerseits auf basalen Überlegungen der interpretativen Sozialforschung aufbauen, andererseits aber auch über diese hinausgehen. [10]
Gesa LINDEMANN hat überzeugend dargelegt, dass für ergebnisoffene Untersuchungen, die sich für Grenzziehungen zwischen sozialen und nicht-sozialen Wesen und Beziehungen interessieren, zunächst einmal eine konstruktive Festlegung von Sozialität fundamental ist (vgl. 2002a, S.72). Diese muss ein klares Kriterium für Sozialität angeben, ohne dieses jedoch anthropologisch an Menschen und deren Eigenschaften zu binden. Bleibt Sozialität kategorisch auf Menschen beschränkt, lässt sich die Frage nach möglichen Grenzverschiebungen schlichtweg nicht als empirische Frage stellen. Wird jedoch der Begriff des Sozialen unbeschränkt ohne klare begriffliche Abgrenzung zu anderen Formen von Aktivitäten und Relationen zwischen Entitäten ausgeweitet, wäre es anders herum kaum möglich, Grenzziehungen zwischen Sozialem und Nicht-Sozialem sowie deren mögliche Verschiebungen scharf in den Blick zu nehmen. Deutlich wird dies anhand der methodologischen Forderung einer generalisierten Symmetrie, die im Kontext der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) entwickelt wurde (vgl. CALLON 2006) und von deren Vertreter/innen als Schlüssel zur "adäquaten Konzeptionalisierung der Vermenschlichung von Maschinen" (BELLIGER & KRIEGER 2006, S.15) behandelt wird. Denn dieses Prinzip löst zwar klar die exklusive Bindung von Sozialität an Menschen, bietet aber keine scharfe Bestimmung dessen an, was Sozialität im Unterschied zu anderen Formen des In-der-Welt-Seins und Aufeinander-Bezogen-Seins charakterisiert. So verlangt das Prinzip der generalisierten Symmetrie, dass Aktivitäten unterschiedlicher Entitäten von wissenschaftlichen Beobachter/innen nicht in jeweils spezifischer Weise beschrieben werden (etwa im Sinne von Menschen handeln und Maschinen funktionieren). Stattdessen soll ein einziges Begriffsrepertoire verwendet werden. Dies bedeutet, dass "wir [die Forschenden] die Regel respektieren [müssen], nicht das Register zu wechseln, wenn wir uns von den technischen zu den sozialen Aspekten des untersuchten Problems hinbewegen" (CALLON 2006, S.142f.). Stattdessen gilt, "whatever term is used for humans, we will use for non-humans as well" (CALLON & LATOUR 1992, S.353). Auf diese Weise soll die – auch in der interpretativen Sozialforschung – verbreitete Subjekt/Objekt-Dichotomie umgangen (vgl. LATOUR 2002, S.236) und ignoriert (vgl. LATOUR 2007, S.131) werden5). [11]
Zugleich folgt aus dieser analytischen Strategie jedoch auch, dass mögliche Unterscheidungen und Unterschiede zwischen Objekten und Subjekten als potenzielles Ergebnis von Analysen nicht sichtbar gemacht werden. Hierdurch bleiben Fragen der Grenzziehungen ausgeblendet, die empirisch oftmals eine wichtige Bedeutung spielen6), und es offenbart sich ein deutlicher Bias der Sehinstrumente der ANT. Diese erscheinen auf einem Auge blind und können bzw. wollen ausschließlich Phänomene der Verflechtung menschlicher und nicht-menschlicher Entitäten sehen. Damit wiederholt die ANT, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, die Einseitigkeit klassischer Sozialtheorien mit ihren anthropologischen Basisannahmen. Während in den einen Ansätzen die Differenz Mensch/Maschine bzw. Subjekt/Objekt immer schon unhinterfragbar feststeht und klar ist, dass nur Menschen miteinander in soziale Beziehungen eintreten können, gilt der ANT die Aufhebung dieser Differenz als ebenso grundlegendes Axiom. Eine Methodologie aber, die sich für Verschiebungen oder gar Auflösungen von Grenzen interessiert, zugleich jedoch die Möglichkeit wirkmächtiger Grenzziehungen einbezieht und insofern bei der Beobachtung der Grenzen der Sozialwelt ergebnisoffen operiert, sollte in der Lage sein, Entgrenzungs- genauso wie Begrenzungsphänomene sichtbar zu machen. Hierfür ist eine konstruktive Festlegung von Sozialität vonnöten, die sich aber davon freimacht, diese an menschliche Eigenschaften zu binden. [12]
Um dies zu leisten, ist es ohne weiteres möglich, an Ausgangsüberlegungen der interpretativen Soziologie festzuhalten und mit Hans-Georg SOEFFNER (vgl. Abschnitt 1) die Zeichenhaftigkeit von Sozialität weiter zu betonen. Will man, anders als die ANT, den Gegenstand der Soziologie im Zuge generalisierter Symmetrie nicht weitgehend entgrenzen, bleibt es plausibel, Soziologie zwar nicht als "Menschenwissenschaft" zu betreiben, aber dennoch als Disziplin, die sich mit sinnhaften Phänomenen beschäftigt, welche sowohl für die Beteiligten als auch für die sie erforschenden Sozialwissenschaftler/innen deutungsbedürftig sind. [13]
Naheliegend scheint hier nun ein Ansatz, der, wie es in der qualitativen Sozialforschung weit verbreitet ist, auf die Rekonstruktion subjektiven Sinns und die "Sicht der handelnden Menschen" (FLICK, VON KARDORFF & STEINKE 2003, S.14) zielt und entsprechend subjektive Deutungen zum Ausgangspunkt der Beschäftigung mit den Grenzen des Sozialen macht. Zumindest erfreut sich ein entsprechendes Vorgehen in der Debatte um die Grenzen der Sozialität einiger Beliebtheit (vgl. HITZLER, LEUSCHNER & MÜCHER 2013; LINDEMANN 2002a; OWENS 2007; SCHETSCHE, GRÜNDER, MAYER & SCHMIED-KNITTEL 2009). Dabei geht es darum, aus der Perspektive unzweifelhaft menschlicher Akteur/innen zu untersuchen, ob und inwiefern sie zweifelhafte Andere – und damit auch andere Entitäten – ebenfalls als Akteur/innen behandeln, gegebenenfalls auch, indem sie deren Bewusstseinsfähigkeit kontrafaktisch unterstellen bzw. emulieren (vgl. OWENS 2007; SCHETSCHE et al. 2009, S.477). Gesa LINDEMANN, die sich intensiv mit Fragen der Grenzen von Sozialität beschäftigt und in diesem Kontext um die Entwicklung einer reflexiven Empirie und Theorie bemüht ist, arbeitet ein solches Vorgehen in ihren Arbeiten sehr klar heraus (vgl. 2002a, 2008, 2009a). In der von ihr entwickelten Methodologie zur Untersuchung sozialer Grenzphänomene besteht ein wichtiger erster Schritt in empirischen Untersuchungen darin, zunächst eine Kernklasse sozialer Akteur/innen festzulegen. Dies sind für sie – ebenso wie etwa für OWENS, SCHETSCHE et al. und HITZLER et al. – "normale" leibliche, lebendige Menschen, die im Umgang miteinander Sprache benutzen. Deren Art und Weise, sich zu ihrer Umwelt in Beziehung zu setzen, gilt es dann zu untersuchen, um herauszufinden, "unter welchen Bedingungen welche Entitäten in der Welt der initial als Akteur festgelegten Entitäten als Akteure gelten" (LINDEMANN 2002a, S.72)7). Meines Erachtens wird auf diese Weise zwar methodologisch der Möglichkeit des Wandels an den Grenzen des Sozialen Rechnung getragen, eine wirkliche Ergebnisoffenheit der Analyse wird aber nicht erreicht. Denn mit der Bindung der Analyse an unzweifelhafte menschliche Akteur/innen und deren Weltsicht geht eine klar asymmetrische Ausgangsperspektive einher, in der konzeptuell bereits durch die Forschenden über Akteur/innen und deren Qualitäten vorentschieden wird. Zudem ist mit einer solchen Perspektive die Gefahr verbunden, subjektive Deutungen mit sozialen Prozessen zu verwechseln (vgl. MEYER 2014, S.99). Das heißt, nicht-menschliche Entitäten kommen dann als soziale Akteur/innen infrage, wenn sie von unzweifelhaften sozialen Akteur/innen als solche wahrgenommen werden. Wer allerdings als unzweifelhafte/r Akteur/in gilt, wird von den wissenschaftlichen Beobachter/innen festgelegt. Hierzu werden in der Regel bestimmte Eigenschaften wie Bewusstsein (vgl. OWENS 2007, S.568) oder Sprachgebrauch (vgl. LINDEMANN 2002b, S.83) benannt, welche die Identifikation der unzweifelhaften Akteur/innen erlauben, deren Weltdeutungen dann im weiteren Verlauf gefolgt werden kann8). In der Konsequenz entsteht eine Art Stufenmodell der Sozialität, welches "echte" und "zweifellose" Sozialität von Entitäten an deren (als ontologisch unterstellte) besondere Eigenschaften bindet und von einer bloß zugeschriebenen Sozialität anderer Entitäten unterscheidet. Besonders deutlich wird dieses Stufenmodell in den Arbeiten von RAMMERT und SCHULZ-SCHAEFFER (2002), LINDEMANN (2002b) sowie OWENS (2007). [14]
Neben der Asymmetrie und der Gefahr einer Verwechslung bzw. Vermischung sozialer und subjektiver Prozesse geht mit der methodologischen Bindung der Analyse an unzweifelhafte Akteur/innen und deren Deutungen die Notwendigkeit einher, dass diese den Forschenden unmittelbar zugänglich sein müssen, um sie entsprechend kategorisieren zu können. Dies ist jedoch nur in Face-to-Face-Interaktionen ohne Weiteres möglich. Wie bereits im zweiten Abschnitt angeführt, kann demgegenüber spätestens in virtuellen Kommunikationssituationen im Internet, in denen unklar ist, wer oder was hinter den beobachtbaren Online-Personae9) steckt, nicht mehr im Vorhinein definiert werden, wer ein/e unzweifelhafter Akteur/in ist. Wie für die Beteiligten öffnet sich hier auch für die Forschenden die Kontingenz der Mitwelt, so dass a priori identifizierte Akteur/innen (und deren Weltverständnisse) nicht mehr den Ausgangspunkt empirischer Forschungsvorhaben bilden können. Die methodologische Vorgabe, den Deutungen unzweifelhafter Akteur/innen zu folgen, kann hier also nicht umgesetzt werden, setzt sie doch voraus, dass zwischen diesen und anderen Entitäten selbstverständlich unterschieden werden könnte. In der Konsequenz folgt hieraus, dass Sozialität nicht von unzweifelhaften Akteur/innen her konzipiert werden sollte, sondern als (wandelbare) Relation zwischen Entitäten begriffen werden muss. Wie kann aber nun eine entsprechende konstruktive Festlegung von Sozialität aussehen? [15]
Zur Beantwortung dieser Frage kommt die einleitend bereits angesprochene kommunikationstheoretische Perspektive ins Spiel, wie sie vor allem von Niklas LUHMANN entworfen wurde. Soziale Systeme, deren Untersuchung im Fokus der Luhmannschen Kommunikationstheorie steht, sind Sinnsysteme und als solche klar von anderen Systemarten unterscheidbar (vgl. SCHNEIDER, 2009, S.254f.). Zusätzlich verzichtet die Kommunikationstheorie LUHMANNs darauf, Menschen oder andere Entitäten zum Ausgangspunkt sozialer Prozesse und deren Analyse zu machen. Stattdessen konzipiert sie soziale Systeme als subjektfrei, da nichts anderes als Kommunikation Bestandteil des Sozialen sein kann. So entstehen und reproduzieren sich soziale Systeme einzig und allein durch die Verkettung kommunikativer Ereignisse, in denen Sinn als Differenz von Aktualität und Potenzialität prozessiert wird (vgl. 2008 [1984], S.92ff.). Startpunkt hierfür ist bei LUHMANN das Problem der doppelten Kontingenz, welches auftritt, wenn sich an Kommunikation Beteiligte (Ego und Alter) in spezifischer Weise erleben und behandeln, nämlich indem sie "im Verhältnis zueinander [zugleich] Indeterminiertheit und Determinierbarkeit unterstellen" (S.156). D.h. einerseits müssen sie sich freie Verhaltenswahl (Indeterminiertheit) zuschreiben, andererseits aber auch die Bereitschaft, die Freiheit des Verhaltens soweit einzuschränken, dass überhaupt eine Koordination der Verhaltensweisen möglich wird. Die füreinander undurchsichtigen Blackboxes Ego und Alter müssen also, "wenn sie aufeinandertreffen, [...] ausreichende Transparenz für den Verkehr miteinander [erzeugen]" (a.a.O.). Mit anderen Worten: soziale Systeme entstehen dann, wenn (mindestens) zwei Entitäten, Ego und Alter, einander als sinnbenutzende Systeme erleben und behandeln, deren aktuelle Verhaltenswahl nicht determiniert ist, sondern aus einem beschränkten Pool möglicher Verhaltensweisen gewählt wird – damit also nicht als willkürlich, sondern als kontingent erscheint. Da dies für beide Parteien gilt, spricht LUHMANN von doppelter Kontingenz. [16]
Die Einschränkung des Möglichkeitsspielraums und damit die "Unsicherheitsabsorption läuft über die Stabilisierung von Erwartungen" (S.158; meine Herv.), die auf diese Weise "Strukturwert für den Aufbau emergenter Systeme" (a.a.O) gewinnen. Da nun sowohl Alter als auch Ego Erwartungen an das Verhalten des/der anderen richten und gleichzeitig auch vom Gegenüber erwarten, dass dieses ebenfalls Erwartungen an das eigene Verhalten richtet, kommt es mit der Bildung sozialer Systeme vor dem Hintergrund des Problems der doppelten Kontingenz zu einem komplizierten Geflecht von Erwartungen, nämlich der Herausbildung sog. Erwartungs-Erwartungen. In der Konsequenz bedeutet dies: Soziale Systeme entstehen als soziale Systeme genau dann, wenn mindestens zwei Entitäten, Ego und Alter, ihr Verhalten auf Grundlage von Erwartungs‑Erwartungen aufeinander abstimmen (vgl. SCHNEIDER 2009, S.257). Die Struktur der entstehenden sozialen Systeme lässt sich dabei "nicht auf eines der beteiligten Systeme" (LUHMANN 2008 [1984], S.167) und dessen "Intentionen" zurückführen. Vielmehr bilden sich die Strukturen sozialer Systeme aus der sinnhaften Relationierung einzelner kommunikativer Ereignisse zueinander. Hierin liegt der Kern einer kommunikationstheoretischen Theorieanlage: Was immer die an Kommunikation beteiligten Ego und Alter auch denken mögen und welche Intentionen mit dem Gesagtem auch immer verbunden sein mögen, die "tatsächlichen" Gedanken und Intentionen bleiben für Kommunikation unerreichbar10). [17]
Im Kontext des vorliegenden Aufsatzes ist es hierbei wichtig, dass Ego und Alter nicht zwangsläufig menschliche Individuen sein müssen11). Bedingung ist nur, dass sie sich (wechselseitig) als Person wahrnehmen und entsprechend verhalten. Dabei ist im kommunikationstheoretischen Verständnis eine Person kein konkreter leiblicher Mensch, sondern eine "semantische Reduktion" (S.158) bzw. ein Schema, welches hilft, Erwartungen in Bezug auf ein mögliches Verhalten des Gegenübers zu entwickeln und zu stabilisieren. In diesem Sinne definiert LUHMANN die Person als "individuell attribuierte Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten" (1995a, S.148), durch die Kommunikation Halt in ihrer psychischen Umwelt gewinnt und Anschlusswahrscheinlichkeit herstellt. Hierin unterscheidet sich die Luhmannsche Fassung des Problems doppelter Kontingenz klar von der Konzeptionierung, wie sie sich bei LINDEMANN findet. So schlägt Gesa LINDEMANN interessanterweise ebenfalls vor, doppelte Kontingenz als Kriterium zur konstruktiven Festlegung von Sozialität heranzuziehen12). Allerdings begreift sie doppelte Kontingenz "als ein Verhältnis physisch füreinander erfahrbarer Entitäten" (2002a, S.48; meine Herv.), in dem der wahrgenommene Körper des Gegenübers Aufschluss darüber gibt, ob er einer sozialen Person gehört oder nicht. Soziale Personen sind bei ihr also leibliche physische Entitäten. Entsprechend ergibt sich dann auch in der von ihr vorgeschlagenen Methodologie die bereits beschriebene Akteurszentrierung. Demgegenüber bildet bei LUHMANN die Form Person13) ein "kommunikationsinternes Pendant psychischer Systeme" (SCHNEIDER 2011, S.107), das "als Resultat vergangener Kommunikation [kondensiert] und [...] deren Weiterführung [orientiert]" (a.a.O.), indem sie den Spielraum erwartbaren Verhaltens drastisch reduziert. Eine solche Konzeption von Personalität bedeutet in der Konsequenz "Verzicht auf jede substanzialisierte Auffassung von Individuen und Akteuren, die als Träger bestimmter Eigenschaften die Bildung sozialer Systeme ermöglichen" (LUHMANN 2008 [1984], S.155). Stattdessen ist Personifizierung Ergebnis einer Selbstsimplifikation der Kommunikation, die sich auf ihre relevante Umwelt einstellt und diese in der Form Person adressiert.
"Was oder wer als Person in Kommunikation berücksichtigt wird, dem wird die Fähigkeit zur Selbstreferenz unterstellt. Das psychische System erhält im sozialen System eine Adresse, die es erst ermöglicht, Erwartungshaltungen zu adressieren und über Zurechnung auf Personen Kommunikation zu strukturieren" (FARZIN 2006, S.33). [18]
Wie LUHMANN schreibt, kondensieren Personen "demnach als Nebeneffekt der Notwendigkeit, das Problem der doppelten Kontingenz sozialer Situationen zu lösen [...]. Deshalb Erwartungsdisziplin, deshalb Einschränkung des Verhaltensrepertoires [...]" (1995a, S.149). Was bedeutet dies für die eingangs skizzierten Fragen und das Anliegen einer ergebnisoffenen, aber konstruktiven Festlegung von Sozialität? [19]
Aus kommunikationstheoretischer Perspektive entstehen soziale Systeme dann, wenn das Problem der doppelten Kontingenz akut wird und sich in der Verkettung der Verhaltensbeiträge von (mindestens) zwei Entitäten ein Geflecht von Erwartungs-Erwartungen herausbildet, indem sich die Beteiligten als Personen adressieren und selbst als Personen geben, welche "die Überraschungsqualitäten ihres Verhaltens entsprechend vorsichtig dosieren" (a.a.O.). Ob und in welcher Weise dies geschieht, lässt sich empirisch relativ leicht überprüfen. Denn wenn Erwartungs‑Erwartungen "als Grundlage der Verkettung der Verhaltensbeiträge von Ego und Alter" (SCHNEIDER 2009, S.260) dienen, kann und "muß sich die Rekonstruktion von Erwartungsstrukturen strikt an die sequentielle Verkettung kommunikativer Ereignisse halten" (SCHNEIDER, 2004, S.176). Soziale Akteursfähigkeit entspringt demnach nicht aus subjektiven Deutungen, sondern durch die Verkettung kommunikativer Ereignisse, in denen soziale Erwartungsstrukturen und damit auch Personen als Zurechnungspunkte für Kommunikation erzeugt und ausgearbeitet werden, "die dann als handelnde (mitteilende) Personen erscheinen" (FUCHS 1997, S.60). Personalität wird somit weder als Eigenschaft noch als Ergebnis subjektiver Interpretation konzipiert, sondern als kommunikative Attribuierung. [20]
Eine entsprechende Theoretisierung zieht klare methodische Konsequenzen nach sich. Begreift man Sozialität als eine feste Eigenschaft von Entitäten, müsste man versuchen, die Innenwelten dieser Entitäten zu erforschen, um herauszufinden, ob sie über diese Eigenschaften verfügen. Dies ist aber nicht das Geschäft der Soziologie. Bindet man Akteursfähigkeit nicht-menschlicher Entitäten daran, ob diese von unzweifelhaften (menschlichen) Akteur/innen ebenfalls als solche wahrgenommen werden, könnte man Interviews führen, eigene Beobachtungen anstellen und aufzeichnen (und entsprechend sich selbst als unzweifelhafte/n Akteur/in in den Blick nehmen) oder Fragebögen verteilen. Genau dies geschieht in akteurszentrierten Ansätzen. Aus kommunikationstheoretischer Perspektive gilt es demgegenüber, Kommunikation als eigenständiges sequenzielles Geschehen in den Blick zu nehmen (vgl. GENTILE 2010; SCHNEIDER 2008; SUTTER 1997a). Hierdurch ist wesentlich vorbestimmt, welche Art von Daten für Kommunikationsanalysen am ehesten geeignet sind: Die Verkettung von Kommunikationsbeiträgen kann am besten anhand von Transkripten analysiert werden, die den sequenziellen Verlauf von Kommunikationsprozessen protokollieren. Dementsprechend erscheint es methodisch angeraten, auf "registrierende" Verfahren der Datenaufzeichnung zu setzen, die soziales Geschehen in seinem realen zeitlichen Ablauf fixieren und so "natürliche" Daten sozialer Prozesse erzeugen (vgl. BERGMANN 2003, S.531). Der methodologische Gewinn dieser Position liegt darin, dass sie es nicht erfordert, vor der eigentlichen Analyse bereits festzulegen, wer als unzweifelhafte/r Akteur/in gilt und wer oder was nicht. Entsprechend findet sich hier eine ergebnisoffene Perspektive. Zugleich wird aber mit der kommunikationstheoretischen Fassung des Problems der doppelten Kontingenz auch ein klares Kriterium eingeführt, das es ermöglicht, zwischen sozialen Prozessen und anderen Formen der Relationierung von Entitäten zu unterscheiden. Demnach gilt es zu untersuchen, ob und wie im sequenziellen Verlauf von Kommunikationsprozessen Akteursfähigkeit als Lösung des Problems der doppelten Kontingenz gleichsam als Produkt der Kommunikation entsteht (oder nicht). [21]
Methodisch kann bei der sequenzanalytischen Untersuchung der Verkettung von Kommunikationsbeiträgen auf Verfahrensweisen zurückgegriffen werden, die auch von etablierten qualitativen Auswertungsverfahren wie der objektiven Hermeneutik14) und der konversationsanalytischen Membership Categorization Analysis in Anspruch genommen werden15). Beide Verfahren bieten sich zur Anleitung kommunikationstheoretisch orientierter Analysen an, weil sie (bei aller sonstigen Verschiedenheit) mit der Systemtheorie ihre "Vorstellungen über die Organisation von Kommunikation" (SCHNEIDER 2004, S.365) teilen und methodische Werkzeuge zur Analyse der Bewältigung des Problems der doppelten Kontingenz bereithalten16). Insbesondere Wolfgang Ludwig SCHNEIDER (2004) hat diese Nähe zwischen dem systemtheoretischen Kommunikationsbegriff und den methodologischen Grundannahmen von Konversationsanalyse und objektiver Hermeneutik herausgearbeitet. Wenn in der Systemtheorie der Kommunikationsprozess als ein laufendes Reduzieren und Öffnen von Anschlussmöglichkeiten verstanden werden kann (vgl. LUHMANN 1995b, S.40), dann deckt sich diese Annahme mit Vorstellungen der sequenziellen Organisation von Kommunikation in der objektiven Hermeneutik und in der Konversationsanalyse. So sind im Verständnis der objektiven Hermeneutik Handlungen immer "in einen strukturierten Raum von Bedeutungsmöglichkeiten eingelassen, aus dem in einer Abfolge von Selektionen bestimmte Bedeutungen realisiert werden" (SUTTER 2010a, S.90). Und für die Konversationsanalyse, deren "primary focus on the sequential organization of interaction" (HERITAGE 2009, S.304) liegt, gilt in ähnlicher Weise die Annahme, dass jedwede Handlung "a 'next' or range of possible 'next' actions" (a.a.O.) erwartbar macht und so der Handlungsvollzug als permanentes Öffnen und Schließen von weiteren – weder zufälligen noch determinierten – Handlungsmöglichkeiten abläuft. Wie auch in der Systemtheorie reproduziert sich Sozialität somit im Verständnis von Konversationsanalyse und objektiver Hermeneutik als ein eigenständiges sequenzielles Geschehen, das nicht auf Akteur/innen und deren Intentionen zurückführbar ist (vgl. SCHNEIDER 2004, S.365). Damit machen beide Ansätze genau wie die Systemtheorie die Unbestimmtheit bzw. Kontingenz sozialer Situationen zu ihrem methodologischen Ausgangspunkt und interessieren sich für die generativen Regeln bzw. Prinzipien, die den realisierten Verknüpfungen von Handlungen bzw. Kommunikationsbeiträgen zugrunde liegen (vgl. BERGMANN 1988a, S.42; SCHNEIDER 2004, S.206; WERNET 2009, S.33)17). [22]
In diesem Rahmen gerät in den letzten Jahren insbesondere in konversationsanalytischen Untersuchungen auch die kommunikative Bezugnahme auf Personen in den Blick, die ganz ähnlich wie in der Systemtheorie als kommunikative Zurechnungspunkte für Erwartungen gefasst werden, welche nicht mit tatsächlich leiblichen Individuen und deren Intentionen identisch sind18). In den Worten der Konversationsanalytikerin Sue WIDDICOMBE klingt dies dann so: "Agency, in the sense of an action orientation is thus intrinsic to the analysis without locating it in self-conscious intentionality, cognitive process, or in abstract discourses" (1998, S.203). Die Bezugnahme auf und Kategorisierung von Personen wird somit als elementarer Bestandteil der sequenziellen Organisation von Kommunikation betrachtet (vgl. FITZGERALD & HOUSLEY 2002; HOUSLEY & FITZGERALD 2002) und erhält mit der Membership Categorization Analysis (MCA) einen eigenen, konversationsanalytischen Forschungszweig19), der auf der Annahme aufbaut,
"dass wir im Alltag fortwährend damit befasst sind, andere Handelnde mit personalen Kategorien zu belegen, und dass natürlich auch wir selbst unablässig von unseren Mitmenschen kategorial typisiert und eingestuft werden. Es gibt keine Möglichkeit, diesen kategorialen Zuordnungen zu entgehen; in ihnen wird kulturelles Wissen aktualisiert – Wissen, das den Handelnden dazu dient, Sachverhalte und Ereignisse zu interpretieren und sich sinnhaft anzueignen. Kategorien sind gewissermaßen Ankerpunkte des Alltagswissens, an denen auch normative Erwartungen angedockt sind" (BERGMANN 2010, S.160). [23]
Aus Perspektive der MCA realisiert sich die Konstruktion von personalen Kategorisierungen – oder systemtheoretisch: Zurechnungsadressen – Schritt für Schritt im operativen Vollzug der Kommunikation. Die Kategorisierung von Beteiligten ist damit an den Verlauf des sequenziellen Geschehens gebunden. Mit FITZGERALD und HOUSLEY (2002, S.581) ließe sich in diesem Sinne mit Bezug auf unterschiedliche Formen der Personalisierung von "turn generated categories" sprechen, die im Zuge detaillierter Sequenzanalysen rekonstruiert werden können. Mit der Fokussierung auf Prozesse der Membership Categorization öffnet sich die Konversationsanalyse, die sich lange Zeit nahezu ausschließlich für formale und technische Aspekte der sequenziellen Organisation von Kommunikation (wie die Organisation des Turn-Taking) interessierte, auch für die Einbeziehung des sozialen Kontextes und damit auch für die Einbeziehung von Bedeutungen in die Analyse (vgl. HOUSLEY & FITZGERALD 2002, S.65). So werden Kategorisierungen je nach situativ relevant gemachtem Kontext ganz unterschiedlich ausfallen und sagen immer auch etwas über die Relevanzsysteme aus, die in den untersuchten Situationen aktualisiert werden, ohne dass sie den Beteiligten zwangsläufig bewusst sein müssten (vgl. KARL 2012, §43). Jede Kategorienwahl ist kontingent, und immer stehen auch andere mögliche Kategorien zur Verfügung, die jedoch nicht gewählt werden (vgl. BERGMANN 2010, S.160). [24]
Mit Blick auf die in diesem Beitrag im Mittelpunkt stehende Problemstellung kann beispielsweise die Frage "Are you human?", der sich Helfer/innen im Second Life von sogenannten Newbies ausgesetzt sehen (vgl. BOELLSTORFF 2008, S.131), als Teil einer Kategorisierungspraxis begriffen werden, die die Unterscheidung Mensch/Nicht-Mensch relevant macht und versucht, das Gegenüber in eine dieser Kategorienklassen (Membership Categorization Devices) "Mensch" bzw. "Nicht-Mensch" einzuordnen, um daran anschließende Erwartungen (Kontingenz vs. Determiniertheit der Verhaltensbeiträge) andocken zu können. In der MCA wird davon ausgegangen, dass das Alltagswissen normalerweise "Erwartungen im Hinblick auf die typischen Aktivitäten, Motive und Eigenarten desjenigen [erzeugt], der in einer bestimmten Kategorie wahrgenommen wird" (BERGMANN 2010, S.162). Aktivitäten von Personen sind damit immer zugleich auch kategoriengebundene Aktivitäten (category-bound activities), die wiederum zur Kategorisierung verwendet werden, dabei aber prinzipiell auch unterschiedlichen Kategorienklassen zugeordnet werden können (a.a.O.). Genau dies zeigt sich in der Frage "Are you human?", in der zum Ausdruck gelangt, dass die Aktivitäten der Helfer/innen im Second Life weder eindeutig der Kategorie Mensch noch der Kategorie Maschine zugeordnet werden können. Sowohl Menschen als auch Maschinen können offensichtlich die Aufgabe übernehmen, Neulingen Auskunft zu geben. Die explizite Nachfrage nach der angemessenen Kategorisierung kann dementsprechend als Versuch verstanden werden, bisher nicht gelingende Erwartungsbildung zu ermöglichen und zeigt die Kontingenz entsprechender Kategorisierungsprozesse. [25]
Die im Rahmen der MCA zentralen analytischen Konzepte der Kategorienklassen sowie der kategoriengebundenen Aktivitäten lassen sich somit produktiv auf die Frage nach der Bildung sozialer Adressen in der virtuellen Welt beziehen, um zu zeigen, wie Adressenbildungen in konkreten Kommunikationsprozessen vonstattengehen. Das Problem hierbei liegt nur darin, dass sich die Konversationsanalyse und mit ihr die MCA weitgehend gegen konkrete methodische Vorgaben wehrt:
"Das was die Kompetenz eines Konversationsanalytikers ausmacht, ist freilich nicht die perfekte Beherrschung vorgegebener Methoden, sondern ein hoher Grad an Sensibilität für Interaktionsvorgänge, ein Beobachtungsvermögen für Details und für Strukturen, ein Blick für den Einzelfall und für generelle Organisationsprinzipien, ein Gehör für Bedeutungsnuancen und eine Fähigkeit, über Differenzen hinwegzuhören, und dazu noch: Ausdauer und Einfallsreichtum bei der Verfolgung der oft kaum sichtbaren Spuren eines interaktiven Objekts" (BERGMANN 1988a, S.7) [26]
Konversationsanalytische Untersuchungen werden somit eher von einer "analytischen Mentalität" (a.a.O.) angeleitet als von einer ausgearbeiteten Methodologie. Dem an qualitative Forschung gerichteten Anspruch, "die Einzelschritte des Untersuchungsprozesses so weit wie möglich offen zu legen" (LAMNEK 2010, S.23), wird sie damit nur wenig gerecht. Es stellt sich also die Frage, wie eine an die MCA angelehnte kommunikationstheoretische Methodologie aussehen kann, die offenlegt, wie sie zu ihren Erkenntnissen gelangt. [27]
An dieser Stelle werden nun methodologische Überlegungen der objektiven Hermeneutik interessant. Denn deren Methodologie ist sehr klar expliziert und steht der Konversationsanalyse in ihrem Empiriebezug nahe. Dies wird besonders mit Blick auf die MCA deutlich. Wenn Wolfgang Ludwig SCHNEIDER "das Interpretationsverfahren der Objektiven Hermeneutik aufgrund seiner ebenfalls strikt sequenzanalytischen Bindung als Fortsetzung der Konversationsanalyse auf dem Terrain der Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster und daran gebundener Verknüpfungsregeln" (2004, S.369f.) versteht, dann klingt darin eine deutliche Nähe des objektiv-hermeneutischen Interpretationsverfahrens zur MCA an. Denn die Kategorisierungen, mit denen im Verlauf von Kommunikationsprozessen Bezug auf das jeweilige Gegenüber genommen wird, können durchaus als soziale Deutungsmuster verstanden werden. Die MCA öffnet sich also mit ihrem Blick für Bedeutungen und die Selektivität von Kategorisierungen – im Unterschied zur konventionellen Konversationsanalyse – erkennbar für eine Hermeneutisierung und "die indexikalische Situierung der Interaktion [...] in ein Universum vorausgegangener, gleichzeitiger und zukünftiger Kommunikationsereignisse" (HAUSENDORF 1997, S.268). [28]
Möchte man untersuchen, wie Personen im sequenziellen Verlauf von Kommunikationsprozessen kategorisiert und adressiert werden und die darin eingelagerte Selektivität herausarbeiten, macht es Sinn, sich nicht nur anzuschauen, wie personale Kategorisierungen von Kommunikationsprozessen de facto verlaufen (also welche Kategorisierungen sich im empirischen Material finden), sondern auch, welche Kategorisierungen ebenso möglich gewesen wären und wie durch die gewählten Kategorisierungen die spezifische Struktur des Falles entsteht. Denn nur auf diese Weise gelangt die Selektivität und damit auch die Kontingenzbearbeitung, die mit jeder Form der personalen Adressierung bzw. Kategorisierung einhergeht, in den Blick. Das analytische Verfahren der objektiven Hermeneutik bietet genau hierfür nun geeignete methodologische Anweisungen20). [29]
So gilt es in objektiv-hermeneutisch vorgehenden empirischen Analysen in einem ersten Schritt, die mit dem in den Blick genommenen ersten Äußerungsereignis "potentiell kompatiblen Erwartungsstrukturen/Voraussetzungen [zu] explizieren" (SCHNEIDER 2004, S.178). Hierzu werden zunächst gedankenexperimentell unterschiedliche Kontexte entwickelt, in denen diese erste Äußerung sinnvoll erfolgen könnte. Das heißt, der/die Interpret/in vollzieht
"sowohl die mögliche Vergangenheit als auch die mögliche Zukunft einer protokollierten Äußerung/Handlung nach: An was kann die Äußerung/Handlung sinnvollerweise anschließen, welche möglichen Anschlüsse an diese Äußerung/Handlung gibt es? Vor allem die Initialstelle wird als Fall eines sinnvollen selektiven Anschlusses an einen vorab gebildeten, dem Interpreten aber unbekannten Kontext von Bedeutungsmöglichkeiten rekonstruiert. Dazu müssen mögliche Kontexte konstruiert und die Bedingungen expliziert werden, unter denen die Initialstelle einen sinnvollen Anschluss an diese Kontexte bildet" (SUTTER 2010a, S.92). [30]
Anschließend werden die möglichen Kontexte auf ihre strukturellen Gemeinsamkeiten befragt. Auf diese Weise wird ein "Möglichkeitsraum generalisierter sozialer Erwartungsstrukturen [geöffnet], die durch eine gegebene Äußerung reproduziert werden könnten" (SCHNEIDER 2004, S.178). [31]
Die Explikation möglicher sinnvoller Kontexte einer Äußerung und ihrer strukturellen Gemeinsamkeiten dient als Grundlage für den nächsten Schritt, der die Selektivität des Falles aufzeigt. Denn in diesem zweiten Schritt werden die möglichen Kontexte mit dem tatsächlichen Kontext konfrontiert, in dem die Äußerung gefallen ist. Hierdurch wird sichtbar, welche der zuvor hypothetisch formulierten Erwartungsstrukturen faktisch erfüllt werden – oder auch nicht. Wie Wolfgang Ludwig SCHNEIDER schreibt, sind hier insbesondere Abweichungen von den zuvor formulierten Erwartungen von Interesse, "deuten sie doch auf strukturelle Besonderheiten der beobachteten Kommunikation hin, die es dann zu rekonstruieren gilt" (S.179)21). [32]
Im dritten Schritt ist ähnlich wie beim ersten Schritt "der Bereich der erwartungskonformen Folgeereignisse zu skizzieren, die als mögliche Anschlüsse in Betracht kommen" (a.a.O.). Diese werden viertens ihrerseits mit der faktisch gewählten Anschlussäußerung kontrastiert, sodass sich im Verhältnis von möglichen und realisierten Anschlüssen ein Selektionsprofil des analysierten Falles abzeichnet. Wie SCHNEIDER bereits in systemtheoretischer Reformulierung objektiv-hermeneutischer Analysepraxis bemerkt, wird in diesem Analyseschritt "die Verschränkung zwischen der antezipierenden [sic!] Rekursivität des ersten und der retroaktiven Rekursivität des zweiten kommunikativen Ereignisses der Sequenz analysiert. Auch nicht gewählte Bedeutungsmöglichkeiten bleiben als Hintergrund relevant, gegen den sich das faktisch realisierte Selektionsprofil abhebt" (2008, S.149). [33]
Anhand eines ausgewählten Transkriptausschnittes, der eine Begegnung in der virtuellen Welt Second Life protokolliert, soll nun exemplarisch gezeigt werden, wie entsprechende Analysen aussehen können, die Auskunft darüber geben, ob und in welcher Form personale Adressen im sequenziellen Verlauf der Kommunikation entstehen. Insbesondere der erste und der zweite Analyseschritt werden dabei nicht in aller Ausführlichkeit wiedergegeben, aber das grundsätzliche Verfahren sollte in der Analyse doch sichtbar werden22). [34]
5. Exemplarische Analyse eines Transkriptausschnittes
Das ausgewählte Transkript protokolliert einen schriftlich geführten Chat zwischen zwei Avataren.23) Sie werden an dieser Stelle Max und Tim genannt. Bei Max handelt es sich um einen Avatar, der von einer Agentensoftware gesteuert wird, die im Rahmen einer Forschungskooperation von Bielefelder Informatiker/innen in die virtuelle Welt implementiert wurde (vgl. ausführlicher hierzu MUHLE 2013, Kapitel 5). Hinter Tim steckt vermutlich ein Mensch – ohne dass sich dies mit Bestimmtheit sagen ließe. Es kann lediglich anhand der Beiträge darauf geschlossen werden. Tim weiß zu Beginn des Chats auf jeden Fall nicht, dass hinter dem Avatar, der ihm gegenübersteht, eine Agentensoftware steckt. Der Chat wird nun in mehreren aufeinander folgenden Ausschnitten gezeigt und entsprechend des im vorherigen Abschnitt skizzierten Vorgehens sequenziell analysiert. Das Transkript setzt dabei nicht zu Beginn des Chats ein, sondern nachdem bereits eine wechselseitige Begrüßung erfolgt ist, durch die das hier zu analysierende soziale System eröffnet wurde.
1 Max: Wie alt ist dein Avatar? [35]
Im Anschluss an die zuvor erfolgte Begrüßung und damit verbundene wechselseitige Anerkennung als Personen24) wird durch Max' Beitrag in Zeile 1 der Übergang zu einem Gesprächsthema initiiert, indem er nach dem Alter des anderen Avatars fragt. An dieser Frage und den nachfolgenden Turns (s.u.) lässt sich schon Einiges über die strukturellen Besonderheiten der Kommunikation und die Besonderheiten der Personalität in virtuellen Welten erfahren. So dient bereits die Verwendung des Begriffes "Avatar" in Zeile 1 als Kontextualisierungshinweis, durch den die Situation klar in virtuellen Welten und/oder Computerspielen verortet wird. Im Zuge gedankenexperimenteller Konstruktion (vgl. Analyseschritt 1, §30) lassen sich zwei verschiedene Kontexte konstruieren, in denen diese Äußerung sinnvoll möglich fallen kann. Möglich wäre eine Situation in einer virtuellen Welt bzw. einem Computerspiel oder eine Face-to-Face-Interaktion zwischen zwei Personen, die sich über das Computerspielen und die von Ihnen gewählten und gestalteten Online-Charaktere unterhalten. Tatsächlich gegeben (vgl. Analyseschritt 2, §32) ist die erste Situation: eine Unterhaltung in einer virtuellen Welt. Angesichts dessen fällt eine strukturelle Besonderheit der Kommunikation auf. Denn es wird nicht der in der Welt sichtbare Avatar Tim adressiert, sondern die Person, die ihn steuert und kommunikativ als Besitzerin des Avatars behandelt wird. Der Avatar selbst wird damit in den Rang eines persönlichen Gegenstandes oder einer Person erhoben, die gerade abwesend ist und über die gesprochen wird. Die kommunikativ relevante Adresse ist in diesem Moment also nicht Tim als in der virtuellen Welt wahrnehmbare Online-Persona, sondern die unbekannte Person hinter dem Avatar. Im gegebenen Kontext wäre daraufhin ein Anschluss von Tim (bzw. der ihn steuernden Person) erwartbar, in dem das Alter des Avatars mitgeteilt wird (vgl. Analyseschritt 3, §33). Denn eine entsprechende Reaktion wird durch die Frage als zweiter Teil einer Frage-Antwort-Paarsequenz konditionell relevant gemacht25). Ob und inwiefern dies eintrifft, zeigen die nächsten Turns.
2 Tim: 19 [36]
Auf den ersten Blick folgt ein erwartungskonformer Anschluss (vgl. Analyseschritt 4, §33). Denn Tim antwortet in der zweiten Zeile mit "19". Auf den zweiten Blick wirkt dies aus meiner externen Beobachtungsperspektive aber doch unerwartet. Denn bei Einbezug externen Kontextwissens in die Analyse wird schnell ersichtlich, dass "19" keine realistische Antwort auf die Frage nach dem Alter des Avatars ist. Schließlich existiert das Second Life erst seit 2003 und der Chat findet im Jahr 2010 statt. Demnach kann der Avatar zu dem Zeitpunkt höchstens 7 Jahre alt sein26), sodass die Antwort sinnvoll nur als Falschangabe oder aber als Angabe des Alters der Person interpretiert werden kann, die den Avatar steuert27). Letzteres würde bedeuten, dass im Zuge der retroaktiven Rekursivität, die durch das zweite kommunikative Ereignis der Sequenz hergestellt wird (vgl. SCHNEIDER 2008, S.149), die Frage umgedeutet und als Frage nach dem Alter der Person, nicht der Online-Persona interpretiert wird. [37]
Angesichts dieser Umdeutung wäre an dritter Sequenzstelle nun aus meiner externen Beobachtungsperspektive ein Beitrag zu erwarten (hier setzt wieder Analyseschritt 1 ein28)), der diese Umdeutung als Umdeutung markiert und entsprechend eine Korrektur vornimmt bzw. einfordert – etwa durch eine Äußerung wie: "Nein. Ich meine nicht Dein Alter, sondern das Alter deines Avatars. Wie lange hast Du ihn schon?"
3 Max: Ich haette dich ein Jahr aelter geschaetzt! [38]
Dem ist aber nicht so. Stattdessen antwortet Max "Ich haette dich ein Jahr aelter geschaetzt!" Damit wird Tims Nennung seines Alters prinzipiell als passender zweiter Teil der Frage-Antwort-Sequenz in Zeile 1 und 2 interpretiert und an dritter Sequenzstelle bestätigt, dass entgegen meiner Erwartung als Beobachter kein Missverstehen vorliegt. Der dritte Turn dient in diesem Sinne als Funktionsstelle (S.136), die kommunikativ anzeigt, ob Verständigungsprobleme vorliegen oder nicht. Entsprechend wird "durch störungsfreie Fortsetzung der Kommunikation [der Beitrag in Zeile 2] als richtiges Verstehen [des Beitrags in Zeile 1] bestätigt" (a.a.O.). [39]
Damit eröffnet und bestätigt sich bereits innerhalb der ersten drei hier untersuchten Sequenzstellen ein diffuses Verhältnis zwischen den Avataren, die sich in der virtuellen Welt bewegen und denjenigen, die diese Avatare steuern. Einerseits wird vollkommen unproblematisch eine Differenz zwischen Avatar und Spieler/in etabliert (Zeile 1). Andererseits wird aber ebenso unproblematisch im nächsten Zug (Zeile 2) eine Einheit von Avatar und Spieler/in hergestellt, indem die explizite Frage nach dem Alter des Avatars mit einer Frage nach dem Alter der Person hinter dem Avatar gleichgesetzt wird, was im dritten Zug (Zeile 3) grundsätzlich als passender Anschluss bestätigt wird29). [40]
Mit Blick auf die Frage, ob und in welcher Form personale Adressen im sequenziellen Verlauf der Kommunikation kondensieren, fällt somit auf, dass die "Adressenordnung" in virtuellen Welten auch schon ohne die Frage, ob agentengesteuerte Avatare als personale Adressen infrage kommen, ins Rotieren gerät: Zum einen können sowohl die Avatare selbst als auch die Personen hinter den Avataren als relevante personale Adressen behandelt werden, zum anderen kann das Verhältnis Avatar/Person sowohl als Einheit als auch als Differenz erscheinen30). Diese Modi der Adressierung können sich von Moment zu Moment abwechseln, ohne dass dies – und das ist besonders bemerkenswert – in und für die Kommunikation Anschlussprobleme erzeugt31). [41]
Neben diesem Aspekt fallen weitere strukturelle Besonderheiten der ersten Turns auf, wenn der Blick stärker auf deren Thematik gelenkt wird. So wirkt Max' Reaktion auf Tims Altersangabe in Zeile 2 überraschend, sofern die gegebenen Kontextbedingungen der Situation mitbedacht werden. Wenn die Altersangabe "19" sich nämlich pragmatisch sinnvoll nur auf die anonym und nicht sichtbar an einem Computer sitzende Person beziehen kann, die den Avatar Tim steuert, bleibt vollkommen unbegreiflich, an welchen Indizien Max geschätzt haben könnte, dass er es mit einem 20 Jahre alten Gegenüber zu tun hat. Sichtbar ist schließlich nur der Avatar Tim, dessen Äußeres willkürlich beeinflusst werden kann und keinerlei Aufschlüsse über das Aussehen und Alter der Person zulässt, die diesen Avatar gestaltet hat. Entsprechend fällt nun auch Tims Reaktion aus.
4 Tim: oh ok [42]
Mit "oh ok" in Zeile 4 signalisiert er eindeutig seine Überraschung und markiert retrospektiv Max' Beitrag zuvor als inhaltlich unerwartet. Mit dieser Markierung verbunden wird im Sinne antizipierender Rekursivität die Erwartung aufgerufen, dass Max in der Folge seinen soeben als ungewöhnlich markierten Beitrag für sein Gegenüber accountable32) macht und erläutert, wie er dazu kommt, Tim ein Jahr älter einzuschätzen. Auf diese Weise würde die Überraschungsqualität von Max' Verhalten eingeschränkt und Tim erhielte eine Interpretationshilfe, um die eigenen Erwartungen an das Verhalten seines Gegenübers anzupassen. Wie der folgende Ausschnitt zeigt, wird diese Erwartung jedoch nicht erfüllt.
5 Max: du hast aber eine gute auffassungsgabe [43]
Aus meiner Perspektive als wissenschaftlicher Interpret folgt erneut ein ungewöhnlicher Anschluss, der die allgemeine Präferenzstruktur der Kommunikation unterläuft, der zufolge kommunikativ all "jene Handlungen präferiert werden, die affiliativ sind, Konflikte vermeiden und die soziale Solidarität fördern" (EBERLE 1997, S.255). Denn Max liefert keine Informationen darüber, wie er zu seiner Schätzung gelangt ist. Stattdessen lobt er sein Gegenüber in Zeile 5 explizit für seine Auffassungsgabe. Hierdurch wird Tims Äußerung "oh ok" retrospektiv (wie in einem pädagogischen Setting) als Ausdruck von Einsicht, nicht aber von Verwunderung interpretiert. Pragmatisch sinnvoll kann dieses Anschlusshandeln lediglich als Missverständnis, Scherz oder Provokation aufgefasst werden. Ansonsten wirkt die Mitteilung vollkommen fehl am Platze. Entsprechend stellt sich die Frage, welche Deutungsmuster mit entsprechenden Kategorisierungen (etwa die Kategorisierung von Max als Provokateur oder Scherzproduzent) in der Folge aktiviert werden. Hierauf gibt der nächste Ausschnitt Antwort.
6 Tim: wie alt bist du?
7 Max: Zum ersten Mal in Betrieb genommen wurde ich Ende neunundneunzig. Es kann ja nicht jeder 19 Jahre alt sein, oder?
8 Tim: loool [44]
Explizit schließt Tim zunächst an keine der genannten Deutungsmöglichkeiten an, sondern ignoriert die mit Max' vorangegangenem Beitrag verbundene Sinnzumutung zunächst, indem er nun selbst eine Frage an Max adressiert und damit die Gesprächsführung übernimmt. Hieraus entwickelt sich in den Zeilen 6-8 eine dreizügige Sequenz, die sich als spaßhafte Kommunikation deuten lässt. So reagiert Max auf die Frage nach seinem Alter mit der Antwort "Zum ersten Mal in Betrieb genommen wurde ich Ende neunundneunzig. Es kann ja nicht jeder 19 Jahre alt sein, oder?", die durch das anschließende "loool" in Zeile 8 eindeutig als gelungene spaßhafte Antwort interpretiert und damit retrospektiv als solche anerkannt wird33). Mit Tims "loool" wird die interaktive Hervorbringung eines Spaßes erfolgreich abgeschlossen und Tims Antwort als unerwartete, aber scherzhafte Äußerung interpretiert, die mit einem eindeutigen Lachen als solche anerkannt wird34). Entsprechend etabliert sich bis zu diesem Zug ein soziales System, in dem Max' unerwartete Beiträge als Elemente einer Spaßkommunikation interpretiert und damit wieder in den Bereich des Erwartbaren integriert werden. Damit einhergehend verläuft auch die Personalisierung des Systems, in dem Max und Tim unterschiedliche, aber komplementäre Rollen im Rahmen der Spaßkommunikation erhalten. Während Max als Scherzproduzent auftritt und bestätigt wird, dessen Beiträge die vorangegangenen Turns nicht innerhalb des durch sie selbst projizierten Erwartungshorizontes situieren, sondern in einen neuen Horizont integrieren, präsentiert sich Tim durch sein Lachen kommunikativ als Scherzrezipient. Sowohl das Lachen als auch das Verschieben des Sinnhorizontes in der Verkettung der Beiträge können dabei als kategoriengebundene Aktivitäten gedeutet werden, durch welche beide ihre jeweiligen Rollen einnehmen und füreinander darstellen. Vor diesem Hintergrund wäre nun erwartbar, dass Tims "loool" im weiteren Verlauf durch Max als präferierter Anschluss goutiert wird und ein entsprechender positiver nächster Zug folgt, der die sich bis hierhin etablierende Erwartungsstruktur bestätigt. Wie der Fortlauf der Kommunikation zeigt, ist dies jedoch nicht der Fall.
9 Max: es gibt soviele worte – moechtest du nicht ein paar mehr benutzen? [45]
Tims Beitrag, der sein Lachen zum Ausdruck bringt, wird retrospektiv nicht als wohlwollender Abschluss einer Scherzsequenz interpretiert, sondern als wortkarg, wenig mitteilungsfreudig und damit dispräferiert markiert, wenn Max ihm in Zeile 9 entgegnet "es gibt soviele worte – moechtest du nicht ein paar mehr benutzen?" Damit reagiert Max erneut unerwartet und verschiebt einmal mehr den pragmatischen Kontext der Situation, sodass Tim gezwungen wird, hierauf zu reagieren und dem in Max' Äußerung enthaltenen Vorwurf, dispräferiert angeschlossen zu haben, zu begegnen. [46]
Entsprechend lässt sich – aus meiner externen Beobachtungsperspektive – Max' unerwarteter Beitrag nur noch wohlwollend als weiterhin scherzend deuten. Naheliegender erscheint aber, ihn als zunehmend provokativ wahrzunehmen, so dass sich Max' Verhalten im Sinne der MCA als "kategoriengebundene Aktivität" eines "Trolls"35) stabilisiert, der andere gezielt provoziert. Entsprechend stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise die aus meiner Beobachtungsperspektive ungewöhnlichen Anschlüsse in der Folge im Fall selbst Einfluss auf die Personalisierung des Systems nehmen werden und ob sich eine soziale Kategorie bzw. personale Adresse Computer-Troll im weiteren Verlauf der Kommunikation etabliert. Darüber gibt der nächste Abschnitt Auskunft.
10 Tim: klammerzu
11 Max: Ist das ein Ja oder ein Nein?
12 Tim: ja
13 Max: Zustimmung ist immer gut.
14 Tim: klammerzu
15 Max: Was meinst Du damit?
16 Tim: klammerzu [47]
Tim reagiert in den Zeilen 10, 14 und 16 mit der Wiederholung der Äußerung "klammerzu". Damit geht er nicht explizit auf die Sinnzumutungen durch Max ein, sondern schließt in einer Weise an, die sich schwerlich als sinnvoller Anschluss an den vorherigen Chatverlauf deuten lässt. Denn es lässt sich im Rahmen alltäglicher Erwartungen kein plausibler Kontext rekonstruieren, in dem diese Anschlussäußerung pragmatisch Sinn entfalten könnte, und es scheint auch keine typische Anschlussreaktion an das Verhalten eines Trolls zu sein. Entsprechend liegt auch hier eine Abweichung von Erwartbarem vor, die "auf strukturelle Besonderheiten der beobachteten Kommunikation hin[weist]" (SCHNEIDER 2004, S.179). [48]
Klar ist zunächst, dass Tim nun auch den Bereich des sozial erwartbaren Verhaltens verlässt und stattdessen repetitiv situativ unpassende Beiträge von sich gibt (unterbrochen von der kurzen Antwort auf Max' Frage in Zeile 11). Vor dem Hintergrund des bisher rekonstruierten Chat-Verlaufs und im Lichte der Frage nach den Grenzen der Sozialwelt erscheint es so, als ob Tim mit den wiederholten "klammerzu"-Äußerungen ein Szenario etabliert, in dem er durch die wiederholt eingegeben gleichlautenden Äußerungen testet, ob identische Äußerungen im Sinne einer einfachen Ursache-Wirkungskette vorhersagbar auch gleiche Äußerungen von Max hervorrufen. Auf diese Weise manifestiert sich an dieser Sequenzstelle der Verdacht, dass Max' Verhaltenswahl nicht kontingent, sondern determiniert und damit sinnlos sein könnte. Um dies zu prüfen, etablieren Tims Beiträge eine Art Turing-Test36), um Hinweise auf die maschinelle oder soziale Identität des Gegenübers zu bekommen37). [49]
Dies bedeutet, dass die Beiträge von Max in diesem Moment nicht mehr als typische kategoriengebundene Aktivitäten eines Scherz-Produzenten oder Trolls gedeutet werden, der sein Verhalten nicht an den Erwartungen seines Gegenübers orientieren will. Vielmehr unterstellen die wiederholten Beiträge von Tim nun implizit, dass Max als nicht-soziale Entität sein Verhalten nicht an den Erwartungen des Gegenübers orientieren kann. Seine Aktivitäten werden nicht mehr als dem Bereich des Sozialen zugehörig betrachtet und es liegt – angesichts des gegebenen Kontextes der Kommunikation in der virtuellen Welt – nahe, dass sie nun als maschinell erstellte Produkte eines Bots interpretiert werden. Zugleich signalisiert die Wiederholung der gleichen Phrasen in Tims Beiträgen, dass dieser sein Verhalten Max gegenüber ebenfalls nicht (mehr) an Erwartungs-Erwartungen orientiert. Somit droht dem sozialen System das prompte Ende, da in diesem Moment die Beiträge nicht mehr als Lösung des Problems doppelter Kontingenz interpretiert werden können. [50]
Offensichtlich haben also die bis hierhin rekonstruierten unerwarteten Beiträge von Max die zu Beginn des Chats implizit mitlaufende grundlegende Unterstellung, Max sei ein humanes und soziales Gegenüber, infrage gestellt und den Verdacht genährt, der Avatar könne durch einen Bot gesteuert sein. Über die Abfolge der "klammerzu"-Äußerungen wird versucht, diesen Verdacht zu validieren. Doch dies gelingt, im Unterschied zu anderen untersuchten Fällen, im vorliegenden Fall nicht38). Denn bereits mit dem Beitrag in Zeile 15 signalisiert Max sein Unverständnis über die "klammerzu"-Äußerungen und bestärkt dieses im weiteren Verlauf, wie der letzte Teil des Ausschnittes zeigt:
17 Max: wenn du das nochmal sagst weiss ich es auswendig.
18 Tim: nix sorry [51]
Auf das dritte "klammerzu" in Zeile 16 folgt die Antwort "wenn du das nochmal sagst weiss ich es auswendig", mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass die repetitiven Eingaben als solche wahrgenommen und verstanden wurden. Somit präsentiert sich Max' Antwort im Unterschied zu voranstehenden Beiträgen an dieser Stelle als sinnvolle Reaktion auf Tims Verhalten. Hieran schließt dieser mit "nix sorry" an, wodurch die eben beschriebene Dialogstruktur in entscheidender Weise wieder transformiert wird. Lief gerade noch ein Turing-Test ab, der auf die Maschinenhaftigkeit des Gegenübers abhob, findet dieser hier sein vorläufiges Ende. Denn mit "Nix sorry" entschuldigt sich Tim für die vorangegangene "klammerzu"-Sequenz und behandelt Max entsprechend nicht mehr als Maschine, die ihr Verhalten nicht an sozialen Erwartungen orientieren kann, sondern wieder als Gegenüber, das wahrnehmungsfähig ist und (normative) Erwartungen in Hinblick auf das Verhalten des Gesprächspartners entwickelt. Zugleich präsentiert sich Tim auf diese Weise selbst wieder als Person, die ihr Verhalten an den (antizipierten) Erwartungen des Gegenübers orientiert und sich entsprechend dafür entschuldigt, gegen diese verstoßen zu haben. Einer Maschine gegenüber, die keinerlei Erwartungen an das Verhalten eines Menschen richtet und das eigene Verhalten ebenfalls nicht an antizipierten Erwartungen des Gegenübers ausrichtet, hätte eine Entschuldigung keinen Sinn gemacht. Die Koordination der Verhaltensbeiträge operiert somit wieder auf Grundlage (der Unterstellung) doppelter Kontingenz, und Max und Tim präsentieren sich in diesem Moment ebenfalls wieder als Personen, die sich wechselseitig als solche anerkennen. Der Verdacht, es mit einem determinierten maschinengesteuerten Chatpartner zu tun zu haben, kann in dieser Sequenz also nicht bestätigt werden. Dies gilt jedoch nur für den Moment und ändert sich in den meisten untersuchten Fällen auch wieder. Hierauf soll nun abschließend noch einmal eingegangen werden. [52]
Es wird schnell klar, dass die in der hier vorgelegten exemplarischen Analyse hervortretenden Merkmale in Max' Verhaltenswahl letztlich auf Limitierungen in der Programmierung zurückgeführt werden können. Er präsentiert sich durchgängig nicht als "normale" soziale Person, deren Verhaltenswahl stabile Erwartungsbildung zulässt. Auf den ersten Blick könnte dies als Argument gegen die in diesem Aufsatz vertretene kommunikationstheoretische Perspektive verstanden werden, da die Beiträge ganz offensichtlich ja doch von bestimmten Eigenschaften des Avatars Max (bzw. der ihn steuernden Software) abhängen. So kommt es wie im hier dargestellten Transkriptausschnitt auch in allen anderen im Rahmen meiner Untersuchungen im Second Life analysierten Situationen dazu, dass der agentengesteuerte Avatar Max regelmäßig unerwartete Anschlüsse produziert und auf diese Weise die Bildung stabiler Erwartungen, die sich an sein Verhalten richten können, systematisch erschwert und häufig gar verunmöglicht. Insgesamt weisen Max' Verhaltensbeiträge drei Charakteristika auf, die es erschweren, ihm den Status einer "normalen" Person zuzuschreiben. Erstens zeigt sich ein fehlendes Interaktionsgedächtnis, sodass wiederholt Informationen, die bereits Gegenstand des Chats waren, als neu behandelt werden. Zweitens zeigt sich, wie im hier dargestellten Transkript, wiederkehrend eine Nicht-Berücksichtigung des pragmatischen Kontextes von Äußerungen. Drittens erfolgt häufig auch keine Anpassung an explizit gemachte Erwartungen an sein Verhalten bzw. an eine Korrektur seines Verhaltens. Dies ist etwa der Fall, wenn Max einen situativ unerwarteten Beitrag produziert und sein Gegenüber ihn daraufhin bittet, den Hintergrund der Äußerung zu explizieren, um diese verstehen zu können. [53]
Auf den zweiten Blick wird aber auch deutlich – insbesondere im kontrastiven Vergleich unterschiedlicher Fälle, der hier nur angedeutet werden konnte – dass die unerwarteten Beiträge in den untersuchten Chats kommunikativ und damit sozial in ganz unterschiedlicher Weise verarbeitet werden, da sie als Aktivitäten prinzipiell unterschiedlichen Kategorienklassen zugeordnet werden (können). So finden sich im weiteren Untersuchungsmaterial Fälle, in denen Max durchgängig als zwar '"seltsamer", aber zweifellos humaner Kommunikationspartner behandelt wird, der entweder provoziert oder aber in irgendeiner Form nur über eingeschränkte kommunikative Fähigkeiten verfügt, etwa aufgrund hormoneller Schwankungen, seines angenommenen hohen Alters oder temporärer Störungen durch Sonnenstich. Es kommt aber auch vor, dass Max mehr oder weniger schnell als maschinell gesteuert identifiziert wird, seinen Personenstatus verliert und in der Folge als nicht-soziales Artefakt für weitere Erwartungsbildung ausscheidet und aus dem Bereich des Sozialen exkludiert wird. Er wird dann ignoriert, ohne dass dies als begründungsbedürftig erscheint. Daneben gibt es Fälle, in denen Max zwar als Bot identifiziert, aber dennoch eingeschränkt adressabel bleibt. In diesen Fällen verliert Max seinen Status als ebenbürtige personale Adresse, und andere Avatare sprechen nicht mehr nur mit ihm, sondern verständigen sich öffentlich auch über ihn und seine (begrenzten) Fähigkeiten und störenden Beiträge (vgl. Anmerkung 37). Gemeinsam ist den Adressen, mit denen Max belegt wird, dass sie insgesamt instabil und eher an der Grenze der Adressabilität angesiedelt sind. Hierdurch wird der agentengesteuerte Avatar zu einer Randfigur im Grenzbereich des Sozialen. [54]
Die analysierten Daten geben somit Aufschluss über den prekären Status, der aktuellen "sozialen" Maschinen in der Kommunikation zugewiesen wird. Vollwertige Kommunikationspartner/innen und damit Personen, die – in einem Luhmannschen Sinne – für stabile Erwartungsbildung infrage kommen, sind sie in keinem Fall. Aber auch die personalen Adressen der Chatpartner/innen von Max sind nicht stabil, sondern transformieren sich im Zuge der Kommunikationsprozesse. Am vorliegenden Fall wurde dies daran ersichtlich, dass Tim von einem Scherz-Rezipienten zu einem Juror im Rahmen eines Turing-Tests wurde, diesen Status aber umgehend wieder abgab und zu einem Produzenten eines Normverstoßes wurde. Deutlich wird hieran, dass Kommunikation in der virtuellen Welt – und nicht nur dort – ihre eigenen personalen Adressen erzeugt, die sich von Fall zu Fall in einem gewissen Rahmen unterscheiden39). Die Beteiligten können die Adressenbildung mit ihrem Verhalten zwar beeinflussen, diese aber nicht kontrollieren, da ihr Verhalten immer auch anders und damit als zu anderen Kategorienklassen gehörig gedeutet werden kann. Methodologisch zeigt sich damit der Gewinn einer Perspektive, die Akteursfähigkeit weder als feste Eigenschaft noch als Ergebnis subjektiver Deutungen begreift – sondern diese vielmehr als Ergebnis sozialer Erwartungsbildung konzipiert, die Zug um Zug im Prozess der Kommunikation kondensiert, um das Problem der doppelten Kontingenz zu lösen, dabei aber (potenziell) auch permanenten Transformationen unterworfen ist. Denn auf diese Weise lässt sich Personalität als interaktives Produkt der Verkettung von Kommunikationsbeiträgen deuten und die Frage, ob und wie diese im Verlauf der Kommunikation entsteht, kann zum Gegenstand ergebnisoffener Analysen werden. [55]
Ich danke Tilmann SUTTER und Bianca PRIETL sowie den anonymen Gutachter/innen für hilfreiche Anmerkungen zu früheren Versionen des Aufsatzes. Das Forschungsprojekt, das dem Aufsatz zugrunde liegt, wurde durch ein Stipendium des DFG-Graduiertenkollegs Automatismen an der Universität Paderborn sowie ein Abschlussstipendium des Rektorates der Universität Bielefeld ermöglicht. Ohne die Unterstützung durch Stefan KOPP, den Leiter der AG Kognitive Systeme und Soziale Interaktion am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld wäre die empirischen Studie nicht möglich gewesen.
1) Wenn hier und im Folgenden von Kommunikationstheorie die Rede ist, wird damit auf die Luhmannsche Version der Kommunikationstheorie verwiesen, vgl. insbesondere LUHMANN (2008 [1984]). Der in jüngerer Zeit sich etablierende kommunikative Konstruktivismus als neuer wissenssoziologischer Ansatz (vgl. KELLER, REICHERTZ & KNOBLAUCH 2013) ist damit nicht gemeint, bleibt dieser doch in der Konsequenz handlungstheoretisch fundiert und setzt in seinen Analysen ein Subjekt immer schon voraus (vgl. KNOBLAUCH 2014, S.43). Wie ich weiter unten argumentieren werde (Abschnitt 3), geht damit zwangsläufig eine asymmetrische und damit tendenziell nicht ergebnisoffene Perspektive auf die Grenzen der Sozialwelt einher. <zurück>
2) Das Second Life ist eine dreidimensionale virtuelle Welt, in der Nutzer/innen durch selbstgestaltete Avatare repräsentiert werden. Mit diesen Avataren können sie sich in der Welt bewegen, Gegenstände erzeugen und mit anderen Avataren kommunizieren. Insbesondere in den Jahren 2006 bis 2007 war das Second Life ein großes Medienthema. Mittlerweile ist es um die virtuelle Welt, die nach wie vor existiert, aber relativ still geworden. Eine Besonderheit des Second Life liegt darin, dass der Quellcode der virtuellen Welt seit dem Jahr 2007 offen liegt. Hierdurch erhalten externe Entwickler/innen die Möglichkeit, eigene Software an die virtuelle Welt anzuschließen. <zurück>
3) So werden Neulinge in virtuellen Welten und Multiplayer-Onlinespielen benannt. Bei Letzteren handelt es sich um Computerspiele, die im Internet von einer großen Anzahl Spieler/innen gespielt werden können. Diese unterscheiden sich von virtuellen Welten wie dem Second Life dadurch, dass sie bestimmte vorgegebene Spielzwecke verfolgen, während virtuelle Welten in erster Linie der Kommunikation dienen. <zurück>
4) "Bot" ist eine inzwischen auch im deutschsprachigen Netzjargon geläufige Abkürzung für "robot" bzw. "Roboter". Im Internet existieren unterschiedliche Arten von Bots. Dazu gehören Suchroboter, die automatisiert Webseiten analysieren, aber auch Chat-Bots. Bei Letzteren handelt es sich um Dialogsysteme, die in begrenztem Umfang in der Lage sind, Dialoge mit menschlichen Chat-Partner/innen zu führen. Genau diese Art der Bots ist im vorliegenden Zusammenhang gemeint. Der Prototyp dieser Art von Bots ist das Computerprogramm Eliza, das bereits in den 1960er Jahren von Joseph WEIZENBAUM entwickelt wurde (vgl. WEIZENBAUM 1966). <zurück>
5) Dies bedeutet nicht, dass in der ANT Unterschiede zwischen Menschen und anderen Entitäten geleugnet werden (vgl. LATOUR 2007, S. 131). Aber es gilt, diese analytisch zu umgehen, da das Erkenntnisinteresse sich nicht auf die Unterschiede zwischen Entitäten, sondern auf deren Verflechtungen richtet. <zurück>
6) Diese Kritik wird insbesondere auch aus der feministischen Technikforschung an LATOUR herangetragen (vgl. HOLAS 2011). <zurück>
7) Ganz ähnlich untersuchen HITZLER et al. (2013, S.126) den professionellen "Umgang mit und die Zuwendung zu Wachkoma-Patienten aus der (Innen-)Perspektive von Therapie- und Pflegekräften heraus". <zurück>
8) SCHETSCHE et al. (2009, S.474) legen gar eine ganze Liste mit "Grundbedingungen menschlicher Existenz und Interaktionsfähigkeit" vor. <zurück>
9) Mit dem Begriff der Persona bzw. Personae (Plural) ist die Identität gemeint, die ein/e Internetuser/in im Internet annimmt. Dabei kann es sich etwa um die Identität eines Avatars handeln, aber auch um die Identität, die Personen in anonymen Online-Foren oder Chats annehmen. Der Begriff der Persona soll darauf hinweisen, dass die Online-Identität nicht mit der Identität der Person, die vor dem Computer sitzt, übereinstimmen muss. Sie dient der Person am Computer gleichsam als Maske (vgl. THIEDEKE 2005). <zurück>
10) Selbst wenn ich mein Gegenüber frage, "was denkst Du gerade?" und eine Antwort auf diese Frage bekomme, kann ich nie sicher sein, ob das, was mir geantwortet wurde, auch mit den tatsächlichen Gedanken übereinstimmt. Lautet die Antwort etwa "an das leckere Essen gestern Mittag" kann es gut sein, dass mein Gegenüber tatsächlich an etwas ganz anderes denkt. Und selbst wenn ich kommunikativ mit "aha, ich dachte schon, Dich bedrückt etwas" anschließen würde und damit Verstehen und Erleichterung signalisiere, ist es möglich, dass ich mich ganz im Gegenteil aber frage, "warum möchte er/sie mir wohl nicht sagen, was er/sie wirklich denkt?". Für den Weiterverlauf der Kommunikation ist allein das kommunikative Verstehen erheblich. Denn daran wird im nächsten Redezug angeschlossen, nicht an das psychische Verstehen. <zurück>
11) Zur theoretischen Debatte, ob und wie Computer aus systemtheoretischer Perspektive als Kommunikationspartner infrage kommen, vgl. BAECKER (2007), ESPOSITO (2001) und FUCHS (1991). <zurück>
12) Auch Christian MEYER (2013, 2014) führt doppelte Kontingenz als Kriterium zur Bestimmung von Sozialität an. Seine Überlegungen zur Untersuchung der Grenzen des Sozialen decken sich in hohem Maße mit der hier vorgeschlagenen Perspektive. Allerdings argumentiert er interaktionstheoretisch und beschränkt seine Analyse entsprechend auf Untersuchungen von Face-to-Face-Situationen. Die kommunikationstheoretische Argumentation ist im Vergleich dazu allgemeiner angelegt. Interaktion wird hier als hoch spezifische Form der Kommunikation unter Bedingung der Anwesenheit betrachtet. <zurück>
13) LUHMANN spricht von der Form Person, um deutlich zu machen, dass im systemtheoretischen Verständnis Personen nicht identisch mit konkreten leiblichen Menschen sind, sondern "Person" eine Form der Beobachtung ist, mit der "Gegenstände wie menschliche Individuen beobachtet [werden]" (1995a, S.148). Form ist im systemtheoretischen Verständnis ein Differenzbegriff und meint "die Markierung einer Grenze mit der Folge, daß zwei Seiten entstehen und nur eine von ihnen als Anknüpfungspunkt für weitere Operationen benutzt werden kann" (S.143). Zur Form Person gehört hierbei die Unterscheidung von Person/Unperson. Anschlussfähig für Kommunikation ist die Seite der Person als "individuell attribuierte Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten" (S.148), während zur Seite der Unperson zählt, "was nicht die Person selbst bezeichnet, aber ihr attribuiert werden könnte" (S.149). Beispielsweise könnte von Person A erwartet werden, dass sie eine Langschläferin ist. Damit scheidet aus dem Horizont möglicher individuell attribuierter Erwartungen die Möglichkeit aus, sie frühmorgens in der Öffentlichkeit anzutreffen. Ein entsprechendes Verhalten würde nämlich nicht der Form entsprechen, mit der die Person als Person A in ihrer Individualität beobachtet wird. <zurück>
14) Allerdings ohne deren Regelontologie (vgl. SUTTER 1997a). <zurück>
15) Mittlerweile liegen zahlreiche Vorschläge zur Verbindung von Systemtheorie und interpretativer Sozialforschung vor (vgl. JOHN, HENKEL & RÜCKERT-JOHN 2010; SAAKE & NASSEHI 2007; SUTTER 1997b; VOGD 2005; WOLF et al.2010). Meine Überlegungen bauen vor allem auf den Beiträgen von Wolfgang Ludwig SCHNEIDER (1995, 2000, 2004, 2008) und Tilmann SUTTER (1997a, 2010a, 2010b) auf. <zurück>
16) Ausführlich hierzu MUHLE (2013, Kapitel 4.3.4). Zur Komplementarität von Konversationsanalyse und objektiver Hermeneutik vgl. auch BERGMANN (1985, S.318). <zurück>
17) Freilich sind der Komplementarität auch gewisse Grenzen gesetzt. So unterscheiden sich insbesondere Systemtheorie und objektive Hermeneutik hinsichtlich ihres Strukturbegriffes. Während in der Systemtheorie die Instabilität sozialer Strukturen betont wird (vgl. LUHMANN 2008 [1984], S.167), findet in der objektiven Hermeneutik ein sehr starker Strukturbegriff Verwendung (vgl. OEVERMANN 1983, S.273). Entsprechend wird der objektiven Hermeneutik aus kommunikationstheoretischer Perspektive auch eine gewisse "Regelontologie" unterstellt (vgl. SUTTER 1997a) und der Bedarf markiert, diese "von dem deterministischen sozialtheoretischen Kontext, in dem sie steht" zu befreien (S.246). Ist dies geleistet, können die methodologischen Überlegungen der objektiven Hermeneutik übernommen werden, ohne der sozialtheoretisch fundierten "Regelontologie" folgen zu müssen. Ebenso ist zu sagen, dass die Konversationsanalyse sich vornehmlich (aber nicht ausschließlich) auf die Untersuchung von Interaktionen beschränkt, während der Luhmannsche Kommunikationsbegriff sehr viel allgemeiner angelegt ist. Aber auch hier gilt, dass die in der Konversationsanalyse in erster Linie für die Untersuchung von Interaktionen ausgearbeiteten methodologischen Überlegungen sich auch auf andere (auch schriftliche) Kommunikationsformen übertragen lassen. <zurück>
18) Anne Warfield RAWLS, eine Schülerin von Harold GARFINKEL, weist ebenfalls auf die Ähnlichkeit der Personverständnisse in Systemtheorie und Ethnomethodologie hin (vgl. RAWLS 2008, S.717). <zurück>
19) Die MCA wurde bereits von Harvey SACKS, einem der Begründer der Konversationsanalyse betrieben, verlor aber in der Folge im Zuge einer eher auf formale und technische Aspekte der sequenziellen Organisation von Kommunikation ausgerichteten Konversationsanalyse an Bedeutung. Dies änderte sich Ende der 1990er Jahre wieder (vgl. HOUSLEY & FITZGERALD 2002). <zurück>
20) Meines Erachtens spielt sie die damit von David SILVERMAN (2005, §69) betonten Stärken qualitativer Forschung aus, indem sie "naturally-occuring data [nutzt] to locate the interactional sequences ('how') in which participants' meanings ('what') are deployed". <zurück>
21) Im Unterschied zur "klassischen" Version der objektiven Hermeneutik ist hierbei zu beachten, dass solche strukturellen Besonderheiten aus systemtheoretischer Perspektive nicht als Abweichungen von unhinterfragbaren Regeln interpretiert werden. Die zuvor formulierten Erwartungen werden als Erwartungen des Interpreten bzw. der Interpretin gefasst. Sofern Abweichungen von diesen Erwartungen festgestellt werden, folgt daraus nur, dass "veränderte Hypothesen über die Erwartungsprämissen der beobachteten Kommunikation zu entwickeln" (SCHNEIDER 2008, S.152) sind und auf diese Weise die Spezifika des untersuchten Falles hervortreten, ohne dass diese im Schema "normal/unnormal" beobachtet werden. <zurück>
22) Eine sehr ausführliche Fallanalyse, in der alle Interpretationsschritte ausführlich expliziert werden, findet sich in MUHLE (2013, Kapitel 6.1). <zurück>
23) Groß- und Kleinschreibung im Transkript orientieren sich an der Schreibweise, wie sie im Chat selbst benutzt wurde. <zurück>
24) Wie Ulrich OEVERMANN (1983, S.237) sehr schön darlegt, repräsentiert "der Austausch von Begrüßungshandlungen [...] in nahezu reiner Form die elementare Strukturiertheit von Sozialität schlechthin. Durch ihn werden Individuen von potentiellen Subjekten zu manifesten insofern, als sie ihre Subjektivität immer erst dadurch gewinnen, daß sie sie in einer konkreten, durch Regeln der Reziprozität geleiteten [...] Handlungssequenz verpflichtend wahrnehmen müssen". Das heißt, indem Max und Tim sich begrüßen, erkennen sie sich wechselseitig als Personen an und "verpflichten" sich darauf, ihr Verhaltensrepertoire entsprechend der erwarteten Erwartungen des Gegenübers einzuschränken. <zurück>
25) Zum konversationsanalytischen Konzept der Paarsequenz und der konditionellen Relevanz vgl. BERGMANN (1988b, S.18ff.). <zurück>
26) Es wäre höchstens noch denkbar, dass der Avatar die äußeren Merkmale einer 19jährigen Person besitzt und die Person, die ihn steuert, ihm die Identität einer/eines 19Jährigen verleihen möchte. Dies ist allerdings keine sehr naheliegende Lesart. In anderen Chats, die ich im Second Life verfolgt habe, wurde mit Bezug auf das Avatar-Alter in der Regel der Tag der Erstellung als "Geburtsdatum" behandelt. So lautet etwa die Antwort auf die identisch gestellte Frage in einem anderen Fall, der in MUHLE (2013, S.204) ausführlich analysiert wird, "seit voriges Jahr", womit eindeutig auf das Alter des Avatars Bezug genommen wird und nicht auf das Alter der Person, die den Avatar steuert. <zurück>
27) Möglich wäre auch, dass es sich um eine scherzhafte Antwort handelt, die das tatsächliche Alter aus unbekannten Gründen nicht preisgeben möchte. <zurück>
28) Im weiteren Verlauf wird dies nicht mehr expliziert. <zurück>
29) Diese Diffusität wird auch in anderen, im Rahmen der Forschung im Second Life untersuchten Fällen immer wieder deutlich. So finden sich sowohl mehrere Sequenzen, in denen sich deutlich erkennbar die Personen hinter den Avataren adressieren, als auch Sequenzen, in denen die Chats als Chats zwischen den Avataren behandelt werden. <zurück>
30) Hier ließen sich weiterführende Überlegungen im Hinblick auf die Entwicklung einer allgemeinen Theorie personaler Adressen anschließen, die anthropologische Erkenntnisse über Personalitätsvorstellung jenseits des westlichen Individuums aufnehmen. Zu denken ist hier etwa an Marylin STRATHERNs Beschreibung der "Dividuen" in melanesischen Gesellschaften (1988). Diese sind im Unterschied zu Personen in westlichen Gesellschaften keine Individuen, die eine einmalige Einheit bilden, sondern Personen im Plural, die sich in unterschiedlichen sozialen Beziehungen jeweils neu zusammensetzen. <zurück>
31) Eine Analyse aus Perspektive der ANT, die sich für Verflechtungen und hybride Konstellationen interessiert, würde wohl in Analogie zur Vorstellung des "Waffen-Bürgers" davon ausgehen, dass der entscheidende Akteur hier weder der Avatar noch der/die Spieler/in hinter dem Avatar ist, sondern ein Hybrid, der "Spieler-Avatar" oder "Avatar-Spieler". So geht Bruno LATOUR (2006) in einem bekannten Text anhand der Diskussion um den uneingeschränkten Waffenbesitz in den USA der Frage nach, ob es Schusswaffen seien, die Leute töten (Argument der Gegner/innen des uneingeschränkten Waffenbesitzes) oder ob es umgekehrt Menschen seien, die andere Menschen töten und dazu lediglich Schusswaffen benutzen (Argument der Befürworter/innen). Dabei gelangt er zu der Einsicht, dass beide Argumente ins Leere zielen, da der entscheidende Handelnde, also derjenige, der tötet, "jemand anderer (eine Bürger-Waffe, ein Waffen-Bürger)" (S.487) sei. Meines Erachtens vergibt eine solche Hybrid-Perspektive im hier vorliegenden Fall jedoch die Möglichkeit, differenziert hinzuschauen, wie die Referenzen zwischen Spieler/in und Avatar wechseln. <zurück>
32) Das Konzept der Accountability entstammt der Ethnomethodologie. Hier wird davon ausgegangen, dass Interagierende sich wechselseitig in ihren Handlungen den Sinn ihrer Handlungen anzeigen und diese entsprechend füreinander accountable, d.h. erkennbar bzw. verstehbar machen (vgl. EBERLE 2009, S.101). <zurück>
33) So kann "loool" im Rahmen der Internetkommunikation als allgemein bekannter und zugleich auch anerkannter Ausdruck von Lachen angesehen werden. Die Ursprungsform von "loool" ist "lol", was als Abkürzung von "laughing out loud" dient. Die Hinzufügung von zwei weiteren "O"s stellt hierbei eine Steigerung dar. <zurück>
34) In der Komiktheorie wird im Rahmen der sogenannten Inkongruenztheorie davon ausgegangen, dass "das Komische aus dem Eindringen eines unerwarteten, inkongruenten Elements in einen Erwartungshorizont erwächst" (BROCK 2000, S.18). <zurück>
35) Als Trolle werden im Netzjargon solche User/innen bezeichnet, die bewusst die Kommunikation durch provokative Beiträge stören (vgl. HERRING, JOB-SLUDER, SCHECKLER & BARAB 2002). <zurück>
36) Der heute sogenannte Turing-Test geht auf ein Gedankenexperiment des Mathematikers Alan TURING zurück, in dem er versucht, Kriterien dafür zu entwickeln, wann Maschinen als intelligent eingestuft werden müssen. In diesem Zusammenhang schlägt er ein Testsetting vor, das er selbst "Imitationsspiel" nennt. Die Testanordnung sieht vor, dass ein Computer (A) und ein Mensch (B) in zwei unterschiedlichen Räumen positioniert und jeweils per Fernschreiber mit einer weiteren Person, der Testperson, verbunden werden. Die Aufgabe der Testperson, die weiß, dass auf der anderen Seite jeweils ein Mensch und eine Maschine sind, besteht darin, herauszufinden, wer von Beiden (A oder B) Mensch und wer Maschine ist. Gelingt es der Maschine, für einen Menschen gehalten zu werden, hat sie den Test bestanden und müsste entsprechend als intelligent eingestuft werden (vgl. TURING 1964). <zurück>
37) Evidenz erhält diese Interpretation auch im Vergleich mit anderen untersuchten Fällen, wie der folgende kurze Transkriptausschnitt zeigt. Nachdem Max ähnlich wie im vorliegenden Fall zahlreiche nicht-erwartbare Beiträge im Verlauf eines Chats produziert hat, unterhalten sich zwei andere anwesende Avatare über ihn:
[...]
A: klingt wie ein communications-simulationsprogramm
B: hab ich auch schon gedacht
[...]
A: müssen wir aber noch dran arbeiten
A: fragt sich, welche schlüsselwörter es gibt *gg* ["*gg*" ist eine im Netzjargon übliche Abkürzung, die für "großes Grinsen"
steht.] <zurück>
[...]
Max: du heisst also eva ?
Eva: Was soll das denn heissen -
Max: ja oder nein?
Eva: schöner name, nicht?
Max: naja man muss ja auch nicht auf alles eine antwort haben
Eva: ja, ich heisse eva
Max: ich weiss
Eva: max, du bist 3 jahre alt?
Max: man muss doch nicht auf alles eine antwort haben
Eva: ah ja
Eva: ein bot
Max: du hast aber eine gute auffassungsgabe
Max: interessanter gesichtspunkt eva
Eva: nettes programm
[...] <zurück>
39) Sicherlich hängen diese in der virtuellen Welt auch von den Vorerfahrungen der Chatteilnehmer/innen im Umgang mit Chat-Bots und verkörperten Agenten ab. <zurück>
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Florian MUHLE arbeitet als Akademischer Rat an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Grenzen des Sozialen und dem Verhältnis von Medienentwicklung und Personalität in der modernen Gesellschaft.
Kontakt:
Florian Muhle
Universität Bielefeld
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