Volume 18, No. 1, Art. 3 – Januar 2017
Spontane Mobilisierung und der Wandel kollektiver Formationen im Internet. Eine Fallstudie zur PEGIDA-Bewegung
Sang-Hui Nam
Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie sich eine aus spontaner Mobilisierung entstandene soziale Bewegung als kollektive Formation im Internet entwickelt. Da spontane Bewegungen in aller Regel nur über eine schwache kollektive Identität verfügen, werden sie bislang überwiegend als Übergangsphänomen betrachtet. Viele Studien beschäftigten sich eher mit den Folgen spontaner Mobilisierung, insbesondere der Frage, wie daraus eine nachhaltige Bewegung entstehen kann. Die kollektive Formation selbst ist bis dato weitgehend eine Blackbox geblieben. In der vorliegenden Studie widme ich mich folgenden zentralen Forschungsfragen: 1. Wie werden kollektive Formationen aus spontanen ProtestteilnehmerInnen dargestellt und generiert? 2. Wie ändern sich diese im Verlauf der Mobilisierung? Im Mittelpunkt der empirischen Analyse stehen Online-Kommentare, die eine zunehmend wichtige Rolle für soziale Bewegungen und spontane Mobilisierungsprozesse spielen. Am Beispiel von PEGIDA wird die Konstruktion einer kollektiven Formation über Live-Kommentare zu Live-Übertragungen von PEGIDA-Demonstrationen sowie deren Wandel in drei Phasen untersucht. Im ersten Schritt werden die soziotechnischen Grundlagen kollektiven Handelns im Internet erläutert. Der zweite Schritt befasst sich mit der methodischen Vorgehensweise. Im dritten Schritt werden ausgewählte Textpassagen von Online-Kommentaren analysiert. Anschließend wird der Wandel kollektiver Formationen nachgezeichnet.
Keywords: spontane Mobilisierung; schwache Identität; Internetkommunikation; Online-Kommentar; Gesprächsanalyse; Inhaltsanalyse; PEGIDA
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Soziotechnische Grundlagen kollektiven Handelns im Internet
3. Methodik: Eine Fallstudie zur PEGIDA-Bewegung
3.1 Methodische Ansätze
3.2 Datenerhebung: Identifizierung forschungsrelevanter Internetseiten
3.3 Selektion der Textpassagen und Datenanalyse
4. Ergebnisse
4.1 "vll 20-30 Nazis mitlaufen"
4.2 "nicht schuldig für eventuell begangene Verbrechen aus Naziregimezeiten"
4.3 "Manche kleine, aber feine Unterschiede sind eben wichtig"
4.4 Exkurs: Buhrufe statt Applaus
5. Wandel kollektiver Formation
6. Ausblick
Die soziale und technische Infrastruktur moderner Gesellschaften fördert die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung und Stabilisierung sozialer Bewegungen (NEIDHARDT & RUCHT 1993, S.321). In modernen Gesellschaften gehören soziale Bewegungen zu den maßgeblichen Produzenten des sozialen Wandels (RASCHKE 1988). Sie mischen sich als Kollektive in die Ordnung sozialer Teilsysteme wie Politik und Wirtschaft ein und zielen so auf die Durchsetzung (oder Verhinderung) von gesellschaftlichen Veränderungen. Dabei unterscheiden sie sich oft deutlich in ihrem Organisationsgrad (KERN 2008, S.118f.). In den vergangenen Jahren zogen vor allem nicht-organisierte und nicht-hierarchische Protestformen die massenmediale Aufmerksamkeit auf sich (BRUNNENGRÄBER 2012, 2015). Die Bilder vom Tian'anmen-Platz (Peking, 1989), Tahrir-Platz (Kairo, 2011), Zuccotti-Park (New York, 2011) und Gezi-Park (Istanbul, 2013) vermitteln das Bild einer "basisdemokratischen" Versammlung ohne politische RepräsentantInnen oder bürokratische Verfahren. Bei der Entwicklung solcher Massendemonstrationen steht oft mehr die Spontaneität im Vordergrund, weniger die formale Organisation. Spontaneität und Organisation sind dabei jedoch weder dichotom noch gegensätzlich zu verstehen. Meist hängen sie wechselseitig zusammen (SNOW & MOSS 2014, S.1126). Spontanes Handeln ist allerdings durch eine tendenziell schwächere kollektive Identität gekennzeichnet (RUCHT 1995). Nach RUCHT (2011a, S.74) nimmt in der heutigen Zeit die Anzahl sozialer Bewegungen mit einer schwachen kollektiven Identität zu, da moderne Gesellschaften durch relativ kleine soziale Milieus und Szenen charakterisiert sind, aber auch durch zunehmende Individualisierung, erhöhte biografische Variabilität und räumliche Mobilität. Soziale Bewegungen mit schwachen kollektiven Identitäten besitzen im Hinblick auf Massenmedien und Protestmobilisierung vor allem strategische und taktische Vorteile. Vor diesem Hintergrund rückt die vorliegende Studie auf spontaner Mobilisierung beruhende Bewegungen als eigenständigen Prozess in den Mittelpunkt. [1]
Das in Deutschland derzeit am meisten diskutierte Fallbeispiel für erfolgreiche spontane Mobilisierung ist die PEGIDA-Bewegung ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") in Dresden. Da es sich bei der PEGIDA-Bewegung um ein sensibles politisches Phänomen handelt, wurde bis dato viel Aufmerksamkeit auf die Frage gerichtet, ob und inwiefern die DemonstrantInnen dem rechtsextremen bzw. rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen sind (vgl. BEST & SALOMO 2014; BURSCHEL 2015; DAPHI et al. 2015; FINKBEINER, GEIGES, MARG & WALTER 2015; HEROLD & SCHÄLLER 2015, 2016; PATZELT 2015; SCHENKE, TRITTEL, SCHMITZ & MARG 2016; VORLÄNDER 2015; VORLÄNDER; WALTER 2015). Bisher vorliegende Untersuchungen beschäftigen sich hauptsächlich mit den politischen Einstellungen der PEGIDA-AnhängerInnen, was angesichts des erheblichen öffentlichen Interesses an einer (ideologischen) Einordnung dieser Bewegung kaum überrascht. Je nach dem Maße, in dem die Teilnehmenden rechtslastigen Gruppen oder Organisationen zugeordnet werden (können), fällt das politisch relevante Urteil über die Protestteilnehmenden unterschiedlich aus: Einigen erscheinen sie als "anständige BürgerInnen", anderen als "Nazis"1). Obwohl in der Öffentlichkeit ein weitgehender Konsens darüber besteht, dass mehrheitlich unorganisierte Menschen an den PEGIDA-Demonstrationen teilnehmen, wurde die Spontaneität der Proteste bisher jedoch kaum thematisiert. Im Unterschied dazu will der vorliegende Beitrag die spontane Beteiligung an PEGIDA-Demonstrationen ohne (positive oder negative) normative Konnotation analysieren. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf den Wandel kollektiver Formationen. [2]
SNOW und MOSS zeigen die Bedingungen auf, die für die Auslösung spontaner Mobilisierungsprozesse typischerweise verantwortlich sind: nicht-hierarchische Organisationen, unklare/vieldeutige Momente und Ereignisse, hohe Emotionalität sowie bestimmte ökologische/räumliche Faktoren (2014, S.1122). In Anlehnung daran lässt sich zeigen, warum PEGIDA für die vorliegende empirische Studie als Fallbeispiel geeignet ist. Zunächst begann der Protest mit der Gründung einer Facebook-Gruppe durch Lutz Bachmann am 11. Oktober 2014, gefolgt von allwöchentlichen Versammlungen in Dresden. Bachmann, ein gebürtiger Dresdner, ist Initiator und eine Schlüsselfigur der PEGIDA.2) In der Frühphase von PEGIDA spielte insbesondere Facebook eine zentrale Rolle für die Informationsvermittlung und Mobilisierung der TeilnehmerInnen. Die jeweils nächsten Versammlungstermine wurden über Facebook verbreitet, aktuelle Themen und Ereignisse wurden dort eingetragen und kommentiert. [3]
Sodann war PEGIDA insbesondere zu Beginn der Mobilisierung durch diffuse Forderungen und eine schwache kollektive Identität gekennzeichnet. Dadurch sollte ein breites Spektrum der Bevölkerung angesprochen werden. Dies begünstigt oft ein Anwachsen der TeilnehmerInnenzahl (RUCHT 1995; ULLRICH 2015). Das Positionspapier, das am 10. Dezember 2014 auf Facebook veröffentlicht wurde, enthielt keine konkreten Forderungen. "Dabei ging es nicht um konkreten issue-gebundenen Protest, nicht um klare Lösungsvorschläge für konkrete politische Probleme, sondern um die Zurschaustellung von kollektiver Wut und Empörung" (VORLÄNDER et al. 2016, S.140). Dies alles zeigt, dass PEGIDA-TeilnehmerInnen durch eine hohe Emotionalität charakterisiert sind und sich selbst aus Empörung als "WutbürgerInnen" oder aus Angst als "besorgte BürgerInnen" beschreiben. Weiterhin ist die Bewegung lokal stark begrenzt und räumlich auf Dresden konzentriert. Die überwiegende Mehrheit der Protestteilnehmenden (ca. 70 Prozent) stammt aus Dresden oder der näheren Umgebung (DAPHI et al. 2015, S.33). In den folgenden Monaten nahm die Zahl der PEGIDA-Demonstrationsteilnehmenden situations- und ereignisbedingt rasch zu. Ein erster Höhepunkt (ca. 25.000 TeilnehmerInnen) wurde drei Monate nach der Gründung im Zuge europaweiter Proteste gegen den Angriff auf "Charlie Hebdo" (8. Januar 2015) erreicht. Einen zweiten Höhepunkt mit etwa 20.000 DemonstrantInnen erlebte die Bewegung anlässlich ihres einjährigen Jubiläums (19. Oktober 2015), wobei die "Flüchtlingswelle" als Katalysator wirkte. In der vorliegenden Untersuchung wird die Mobilisierung entsprechend der ProtestteilnehmerInnenzahl in drei Phasen eingeteilt: Entstehung und Entwicklung (bis Ende Januar 2015), Stillstand und Stabilisierung (Mitte des Jahres 2015), Wiederbelebung und Ausdifferenzierung (ab Oktober 2015). [4]
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie sich eine aus spontaner Mobilisierung entstandene soziale Bewegung im Internet entwickelt. Im Fokus stehen folgende Forschungsfragen: Wie werden kollektive Formationen aus spontanen Protestteilnehmenden dargestellt und generiert? Und wie ändern sich diese im Verlauf der Mobilisierung? Im Folgenden (Abschnitt 2) werden zunächst die soziotechnischen Grundlagen kollektiven Handelns im Internet beleuchtet. Abschnitt 3 befasst sich mit der methodischen Vorgehensweise. In Abschnitt 4 werden die Ergebnisse der Analyse ausgewählter Textpassagen von Online-Kommentaren vorgestellt. Anschließend wird der Wandel kollektiver Formationen nachgezeichnet (Abschnitt 5). Daraus ergibt sich schließlich der Ausblick (Abschnitt 6). [5]
2. Soziotechnische Grundlagen kollektiven Handelns im Internet
Neue Kommunikationsmedien (social media) spielen bei der Entstehung und Entwicklung (spontaner) sozialer Bewegungen inzwischen oft eine zentrale Rolle. Aufgrund der Niedrigschwelligkeit des Internets ist anzunehmen, dass besonders ProtestteilnehmerInnen oder -sympathisantInnen ohne organisatorische Bindung und klare Vorstellungen Internetplattformen als Kommunikationsraum für sich entdecken und nutzen. Soziale Medien helfen nicht nur bei der Organisation und Koordination von Aktivitäten. Sie ermöglichen darüber hinaus Meinungsaustausch, gemeinsame Diskussionen und kollektive Meinungsbildung bis hin zur Ausbildung kollektiver Identitäten. Dies geschieht aber nicht im materiellen Raum in körperlicher und persönlicher Kopräsenz (wie z.B. am Demonstrationsort, in der Kneipe oder im Fernsehstudio), sondern in einem virtuellen Raum (WITTEL 2000), dessen technische Eigenschaften individuelles und kollektives Handeln in hohem Maße einschränken und strukturieren (DOLATA & SCHRAPE 2014). [6]
Die Spielregeln der Internetkommunikation sind somit durch die technische Infrastruktur im Web bedingt (BADER 2002). Im Zusammenwirken von sozialen Interaktionen und technischen Bedingungen stehen zwei Eigenschaften der Internetkommunikation im Mittelpunkt: die Teilnahmebedingungen und der Öffentlichkeitscharakter. Zum ersten Punkt lässt sich festhalten, dass die Schwelle zum Eintritt in den virtuellen Raum sehr niedrig ist (KERN & NAM 2009, S.641f.; SAWHNEY & LEE 2005, S.398-401). Für die Teilnahme an einer Internetkommunikation ist in der Regel nicht mehr als das Anlegen eines "Accounts" erforderlich. Der BenutzerInnen-Name bildet das allererste Identifikationsmerkmal der AutorInnen – nach GOFFMAN der "Primäridentifikationsschlüssel" (1977, S.339). Damit lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres die reale Person identifizieren. Diese Tatsache kann zunächst die Bereitschaft der NutzerInnen erhöhen, Persönliches ungeachtet der Aufmerksamkeit von Fremden zu erzählen oder sich politisch und moralisch zu positionieren (KELLE, TOBOR & METJE 2009, S.192). So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass einerseits individuelle SympathisantInnen mit diffusen Vorstellungen und andererseits "schwer gewinnbare Personengruppen ... bei sensiblen Themen" (ULLRICH & SCHIEK 2014, S.461) an der Internetkommunikation teilnehmen. Insbesondere für die Forschung zu spontanen Mobilisierungsprozessen bzw. zum Rechts- oder Linksextremismus bieten Internetplattformen als Datenquelle somit gewisse Vorteile. [7]
Wie in der Vergangenheit oft zu beobachten war, führt die niedrige Zugangsbarriere und Pseudonymität der Online-Kommunikation immer wieder "zu einer Enthemmung des Diskussionsverhaltens" (MISOCH 2006, S.72ff.). Ein bekanntes Phänomen sind sogenannte "Shitstorms": Selbst- und Fremdwahrnehmungen von "uns" und "den anderen" als relativ homogenen Gruppen werden oftmals übertrieben; es herrscht zudem eine starke Tendenz zur Personalisierung und Polarisierung.3) Dennoch kann den Internet-NutzerInnen nicht jegliche Bindung an Gruppennormen abgesprochen werden. Beispielsweise müssen sie sich zuallererst den Spielregeln der kommunikationstechnischen Infrastruktur unterwerfen, was insbesondere die Produktion von Beiträgen und Kommentaren anbelangt. Weitere wichtige Normen betreffen die Kommunikation selbst: Trotz der hohen Anonymität des Internets können soziale Bewegungen andere nur überzeugen, wenn sie in ihren Argumentationen für die jeweiligen AdressatInnen glaubwürdig und konsistent sind. Darauf achten die TeilnehmerInnen an der Kommunikation zumeist genau. Über längere Kommunikationssequenzen hinweg ist es oft durchaus schwierig, ein Täuschungsmanöver konsequent aufrechtzuerhalten, ohne als "Lügnerin" oder "Lügner" entlarvt zu werden (GEBHARDT 2001). Täuschungsversuche sind meist kontraproduktiv und führen zu Misstrauen sowie Aversion unter den TeilnehmerInnen und SympathisantInnen sozialer Bewegungen. Trotz der Niedrigschwelligkeit des Zugangs und dem Fehlen von GatekeeperInnen können individuelle AkteurInnen im Internet somit keinesfalls völlig unabhängig vom sozialen Kontext und von der jeweiligen Gruppennorm agieren. [8]
Eine zweite wichtige Eigenschaft des virtuellen Raums für soziale Bewegungen besteht darin, dass die Kommunikation prinzipiell öffentlich ist. Die Öffentlichkeit ist definiert als "ein offenes Kommunikationsforum für alle, die etwas sagen oder das, was andere sagen, hören wollen" (NEIDHARDT 1994, S.7). Das Web fungiert in diesem Zusammenhang als politische Öffentlichkeit, in der "sich individuelle und kollektive Akteure vor einem breiten Publikum zu politischen Themen äußern" (GERHARDS 1998, S.695). Während die massenmediale Öffentlichkeit eine dauerhaft bestimmende gesellschaftliche und politische Größe bildet (NEIDHARDT 1994, S.10), stützt sich die Internetöffentlichkeit auf eine "situative Formulierung des Kollektiven", diskutiert über aktuelle Themen und tauscht Meinungen aus (DOLATA & SCHRAPE 2014, S.14). Daraus kann sich im Internet eine "Gegenöffentlichkeit" entwickeln (KERN & NAM 2009, 2011, 2013). Diese will eine massenmediale Öffentlichkeit erreichen, "um eine breite gesellschaftliche Relevanz zu erlangen" (ZIMMERMANN 2007, S.170). [9]
Die beiden oben erwähnten Eigenschaften – niedrigschwellige Teilnahmebedingungen und Öffentlichkeitscharakter – sprechen dafür, dass ProtestteilnehmerInnen, wenn sie ohne klare Vorstellungen über die Ziele der Bewegung und ohne konkrete Anbindung an die OrganisatorInnen von Demonstrationen an der Internetkommunikation teilnehmen, zunächst eine Art unverbindliches "Stammtischgespräch" miteinander aufnehmen. Sie können dort zuallererst prüfen, ob andere TeilnehmerInnen eine ihnen sympathische Grundeinstellung zu einer breiten Palette von Themen teilen. Sie können sich über die Bewegung informieren, sich gegebenenfalls unverbindlich mit anderen unterhalten und ihre eigene Meinung bilden. Vor diesem Hintergrund bieten Internetplattformen einen geeigneten Gesprächsraum für "nicht-organisierte" Kollektive. [10]
In Bezug auf soziale Bewegungen konstituieren "nicht-organisierte Kollektive" sowie "kollektive AkteurInnen" zwei basale Typen von Kollektiven, die über ein breites Spektrum von Handlungsfähigkeiten, Handlungsressourcen, Aktivitätsmustern, Entscheidungsmodi und Stabilitätsformen verfügen (DOLATA & SCHRAPE 2014, S.9, 2015). Erstere beruhen auf "geteilten individuellen Wahrnehmungen, Konsumäußerungen oder Problemperzeptionen, die sich zu massenhaft gleichgerichtetem sozialem Verhalten verdichten können" (DOLATA & SCHRAPE 2014, S.12). Sie können sich aufgrund ähnlicher individueller Entscheidungen und Verhaltensweisen, die von allen AkteurInnen geteilt werden, als Aggregat an einem Ort versammeln, weisen darüber hinaus aber keine Gruppenidentität, gemeinsame Entscheidungsstrukturen oder Handlungsorientierungen auf. "Kollektive AkteurInnen" sind hingegen mit "bewusst geteilten Zielen, Regeln, Identitätsausprägungen und auch organisatorischen Verstrebungen unterhalb formaler Organisation" (a.a.O.) ausgestattet. Obwohl sie unorganisiert und ohne hierarchische Struktur bleiben, sind kollektive AkteurInnen überindividuell handlungs- und strategiefähig (S.13). [11]
Der Entwicklungsprozess von "nicht-organisierten Kollektiven" hin zu "kollektiven AkteurInnen" beinhaltet eine ständige Interaktion zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdzuschreibung, mit anderen Worten: zwischen Selbst- und Fremdbild (EISENSTADT & GIESEN 1995; MELUCCI 1985; POLLETTA & JASPER 2001; RUCHT 2011b). Anders ausgedrückt, stützt sich kollektive Identität nicht nur auf Selbstdeutungen, sondern auch auf Fremdbilder der Bewegung (RUCHT 1995, S.16). Das Fremdbild fungiert dabei als Prüfstein und Orientierungspunkt für das Selbstbild. Kollektive Identität ergibt sich aus einem fortlaufenden Konstruktionsprozess, "bei dem es konkurrierende Gesichtspunkte auszubalancieren gilt" (RUCHT 1995, S.9, 2011b, 2011c; RUCHT & DAPHI 2011)). Anstatt Aussagen über die Identität der PEGIDA-Bewegung zu sammeln und zusammenzufassen, soll im Folgenden der Fokus darauf gerichtet werden, wie die kollektive Identität aus wechselseitiger Zuschreibung von "wir" und "die anderen" (RUCHT 1995, S.10) im Internet generiert und präsentiert wird. [12]
3. Methodik: Eine Fallstudie zur PEGIDA-Bewegung
Die Klärung der Forschungsfragen erfolgte zuerst mithilfe einer qualitativen Gesprächsanalyse, die es erlaubt, Internetkommunikation als "Alltagsgespräch" zu rekonstruieren. Im Anschluss an die Gesprächsanalyse wurde eine qualitative Inhaltsanalyse von Einstellungen, Überzeugungen und Werten durchgeführt, die in den Online-Kommentaren zum Ausdruck kamen. Die Gesprächsanalyse stellte die Gestaltung der Interaktionen in den Mittelpunkt und beantwortete damit vor allem die erste Forschungsfrage: Wie werden kollektive Formationen im Internet aus spontanen ProtestteilnehmerInnen dargestellt und generiert? Die Inhaltsanalyse konzentrierte sich demgegenüber vor allem auf den Wandel von Dispositionen und beantwortete damit die zweite Forschungsfrage: Wie ändern sich kollektive Formationen im Verlauf der Mobilisierung? Hintergrund dieser methodischen Vorgehensweise ist die Annahme, dass durch die methodische Triangulation einander ergänzende Ergebnisse entstehen, "die ein breiteres, umfassenderes oder ggf. vollständigeres Bild des untersuchten Gegenstandes liefern" (FLICK 2011, S.49; MATHYS 2013) können. [13]
Mit der Rekonstruktion von Online-Kommentaren als "Gespräch" eröffnen sich für die Gesprächsanalyse und die qualitative Internetforschung neue Möglichkeiten. In der konventionellen Face-to-Face-Kommunikation kann das Gespräch durch eine Diskussionsleitung oder hierarchische Diskussionsstruktur gesteuert werden (ULLRICH & SCHIEK 2014, S.462). Die Offenheit der Diskussion wird oft dadurch eingeschränkt, dass sich einige TeilnehmerInnen eingeschüchtert fühlen, andere werden zur Partizipation ermutigt. Aufgrund der eingeschränkten Redezeit unter Bedingungen der Kopräsenz werden die Beiträge der einzelnen TeilnehmerInnen zumeist relativ knapp gehalten. Diese Einschränkungen gelten bei der computervermittelten Kommunikation in weit geringerem Maße. Durch die Schriftlichkeit wird der Prozess erstens umfassend dokumentiert. Zweitens findet in der Regel keine hierarchische Steuerung statt. Vielmehr besteht aufgrund der Asynchronität der Kommunikation – d.h., dass die Beiträge zeitlich (oft in größeren Abständen) nacheinander ins Netz gestellt werden – eine relativ hohe Interaktivität und Offenheit unter den TeilnehmerInnen. Drittens gibt es keine zeitlichen Einschränkungen. Vor diesem Hintergrund erzeuge Internetkommunikation, so ULLRICH und SCHIECK, "eine eigene Art von Daten", die besonders für Narrations-, Deutungsmuster- und Diskursanalyse geeignet sein könne (S.459). [14]
Bisherige Untersuchungen zu PEGIDA4), welche die Internetkommunikation in ihren Analysen berücksichtigten, beschäftigen sich größtenteils mit dem Einfluss der Facebook-Kommunikation auf Demonstrationen vor Ort. Laut einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin spielt Facebook bei der Mobilisierung eine wichtige Rolle (DAPHI et al. 2015, S.51). Andere Untersuchungen interessieren sich hingegen mehr für die politischen Einstellungen der Internet-NutzerInnen. Eine vergleichende Untersuchung dreier PEGIDA-Demonstrationen betont beispielsweise die politischen Einstellungsunterschiede zwischen Facebook-NutzerInnen und StraßendemonstrantInnen: Auf Facebook versammele sich im Gegensatz zum "Weichbild" der Straßendemonstrationen überwiegend "der harte Kern" der Bewegung (PATZELT 2015, S.92). Eine inhaltliche Auswertung der offiziellen Facebook-Seite von PEGIDA, die von Januar bis Dezember 2015 anhand von 643 Kommentaren vorgenommen wurde (STEFANOWITSCH & FLACH 2015), kommt zu dem Ergebnis, dass die KommentatorInnen "ein relativ homogenes, in sich geschlossenes Weltbild" aufwiesen. Trotz wichtiger Hinweise in Bezug auf die Funktion des Internets und die Eigenschaften der Facebook-NutzerInnen fehlt in der bisherigen Forschung eine prozessuale Subjektorientierung, mit anderen Worten, eine Deutungsanalyse der Internetkommunikation im Verlauf der PEGIDA-Demonstrationen. [15]
Im Vergleich zu den oben genannten Untersuchungen über PEGIDA, die entweder auf quantitativen Inhaltsanalysen beruhen oder sich mit der Funktion des Internets im Mobilisierungsprozess beschäftigen, rückt die vorliegende Studie mit der Analyse von Online-Kommentaren die Wirkung des Internets bei der Entstehung von Bedeutungen in den Vordergrund (ULLRICH & SCHIEK 2014, S.462). Der Online-Kommentar ist eine internetbasierte, dialogische Kommunikationsmöglichkeit, bei der sich zwei oder mehr TeilnehmerInnen miteinander austauschen (BADER 2002). Online-Kommentare erfüllen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Gesprächsanalyse: Sie werden von den KommentatorInnen aktiv produziert, haben eine zeitliche Abfolge und bestehen aus wechselseitig aufeinander bezogenen Beiträgen. Zudem greifen die KommentatorInnen auf verbreitete informale Regeln, Normen und Rollenmuster zurück, mit denen sie die Beiträge konstruieren und interpretieren sowie ihren Austausch miteinander organisieren. Sie verfolgen in den Gesprächen individuelle und gemeinsame Zwecke, und sie bearbeiten Probleme oder Aufgaben, die u.a. bei der Organisation des Gesprächs selbst entstehen (DEPPERMANN 2008, S.8f.). Darüber hinaus dokumentieren die Online-Kommentare aber auch explizite Einstellungen, Überzeugungen und Werte, die mit der PEGIDA-Bewegung verbunden sind. [16]
Nachfolgend werden die Erhebung, Aufbereitung und Analyse der Daten genauer erläutert: Im ersten Schritt wird dargestellt, wie die forschungsrelevanten Internetseiten auf YouTube identifiziert wurden (Abschnitt 3.2). Im zweiten Schritt wird die Vorgehensweise bei der Auswahl forschungsrelevanter Textpassagen aus den Live-Kommentaren skizziert. Zudem werden die leitenden Prinzipien für die Datenanalyse erläutert, auf die sich die Gesprächs- und Inhaltsanalyse stützen (Abschnitt 3.3). [17]
3.2 Datenerhebung: Identifizierung forschungsrelevanter Internetseiten
Als Datengrundlage für die eigene Studie dienten Online-Kommentare zu den über YouTube zugänglichen Live-Übertragungen von PEGIDA-Demonstrationen. Um die Aktualität der Auswahl und die Kollektivität der TeilnehmerInnen zu gewährleisten, wurden grundsätzlich nur die Live-Kommentare zu Live-Übertragungen von PEGIDA-Demonstrationen in Dresden ausgewählt. Über die Internetplattform YouTube kann die Bewegung ein breites Publikum erreichen. Im Vergleich zu Facebook oder Weblogs bietet YouTube einen relativ offenen Raum für PEGIDA-SympathisantInnen und Andersdenkende. Für PEGIDA-SympathisantInnen, die sich bewusst sind, dass sie stets unter Rechtsextremismus-Verdacht stehen, ist die virtuelle Sphäre eine Art "Schutzraum" für die eigene Gruppe. Einen Beleg dafür liefert die technische Funktion "Mag ich" oder "Mag ich nicht"5), wobei Erstere deutlich bevorzugt angeklickt wird. Dies deutet darauf hin, dass die Live-Übertragungen der PEGIDA-Demonstrationen auf YouTube mehrheitlich von SympathisantInnen der Bewegung verfolgt werden. Der virtuelle Raum konstituiert somit eine Öffentlichkeit, in der die AnhängerInnen größtenteils unter sich bleiben. Es handelt sich um einen weitgehend freien Raum, in dem PEGIDA-AnhängerInnen sich politisch unkorrekt6) äußern und gesellschaftlich unerwünschte Einstellungen offen zeigen können (BEYER & KRUMPAL 2010). [18]
Zur Datenerhebung wurden zunächst alle Internetadressen für Live-Übertragungen von PEGIDA-Demonstrationen auf YouTube identifiziert. Die PEGIDA-Demonstrationen in Dresden finden fast jeden Montag statt und dauern ca. zwei Stunden. Sie wurden größtenteils auf YouTube live übertragen, wobei die technische Funktion der Live-Kommentare (ggf. Live-Chat) aktiviert war. Die Übertragungen aller Veranstaltungen (bis auf die ersten drei Demonstrationen) lassen sich auf YouTube aufrufen. Nachdem das Internet in der Öffentlichkeit jedoch stark als Quelle von Hasskommentaren kritisiert worden war, hat der Video-Anbieter ("Kanal") auf YouTube die Kommentarfunktion ab dem 16. November 2015 während der Live-Übertragung von PEGIDA-Demonstrationen nicht mehr aktiviert. Erst nach den Demonstrationen können Kommentare abgegeben werden. Daher beschränkt sich der Datenkorpus für die vorliegende Analyse auf alle 57 Internetadressen, die 45 Veranstaltungen in Dresden vom 10. November 2014 bis 9. November 2016 live übertragen haben. (Die Differenz zwischen der Zahl der Internetadressen und der Zahl der örtlichen Veranstaltungen entstand durch gleichzeitige Live-Übertragungen auf mehreren Kanälen). [19]
Der Datenkorpus wurde entsprechend der Zahl der Teilnehmenden an den jeweiligen Demonstrationen in drei Phasen eingeteilt: die Entstehungsphase (bis Ende Januar 2015), die Phase des Stillstands (Mitte des Jahres 2015) und die Wiederbelebungsphase (ab Oktober 2015). Diese Aufteilung stützt sich auf die Annahme, dass die Zahl der DemonstrantInnen vor Ort in etwa auch das Interesse an den Live-Übertragungen im Internet widerspiegelt. Dies bestätigt ein Vergleich von allen 57 Live-Übertragungen mit der Anzahl der DemonstrantInnen in Dresden (siehe Tabelle 1).7) Eine kalendarisch genauere Abgrenzung zwischen den drei Phasen ist auf der Grundlage der Verteilung von TeilnehmerInnenzahlen allein nicht möglich. Die Unterscheidung zwischen den drei Phasen stützt sich primär auf qualitative Gesichtspunkte. [20]
Sämtliche Live-Kommentare zu den 57 aufgezeichneten Veranstaltungen wurden heruntergeladen. Die Grundstruktur der Kommentare (Gesprächsverläufe) wurde unverändert übernommen. Falls die Veranstaltungen von mehreren Kanälen gesendet wurden, fiel die Auswahl auf diejenigen mit der größten Zahl an Live-Kommentaren, da sie längere und intensivere Gesprächsverläufe boten. Eine Live-Übertragung dauerte in der Regel ca. zwei Stunden (inklusive des über einstündigen Stadtmarsches ohne Moderation der PEGIDA-OrganisatorInnen). Aufgrund dieser relativ kurzen Übertragungszeit war die Zahl der Live-Kommentare manchmal zu gering. Entsprechende Übertragungen (und Kommentare) wurden folglich aus der Analyse ausgeschlossen. Im nächsten Schritt wurden die heruntergeladenen Live-Kommentare chronologisch quergelesen, um die für die Fragestellung relevanten Veranstaltungen zu identifizieren. Bestanden die Kommentare zu einer Live-Übertragung überwiegend aus Monologen oder einfacher Wiedergabe von PEGIDA-Slogans, wurden sie von der Analyse ebenfalls ausgeschlossen. Am Ende dieses Prozesses blieben schließlich noch zehn Übertragungen übrig, die in die Gesprächsanalyse einbezogen wurden (Tab.1).
Datum8) |
Kanal9) |
Zahl der ProtestteilnehmerInnen10) |
Zahl der ZuschauerInnen |
Zahl der Live-Kommentare |
10.11.2014 |
Dresdenpix.de |
1.700 |
4.593 |
13 |
17.11.2014 |
Dresdenpix.de |
3.200 |
9.962 |
7 |
01.12.2014 |
Dresdenpix.de |
7.500 |
30.618 |
44 |
08.12.2014 |
Ruptly TV |
10.000 |
58.339 |
264 |
05.01.2015 |
Ruptly TV |
18.000 |
225.468 |
1.326 |
12.01.2015 |
Ruptly TV |
25.000 |
162.576 |
687 |
06.04.2015 |
Ruptly TV |
7.100 |
34.685 |
656 |
12.10.2015 |
Lutz Bachmann |
8.000 |
77.485 |
911 |
19.10.2015 |
Lutz Bachmann |
17.500 |
287.515 |
2191 |
09.11.2015 |
Lutz Bachmann |
7.550 |
72.879 |
276 |
Tabelle 1: Überblick über ausgewählte live übertragene PEGIDA-Demonstrationen in Dresden11) [21]
3.3 Selektion der Textpassagen und Datenanalyse
Bei der Auswahl der Textpassagen wurden zunächst folgende (negative) Ausschlusskriterien angewendet: Erstens wurden all jene Kommentare aus dem Datensatz entfernt, die nach der Live-Übertragung abgegeben oder nachträglich bearbeitet worden waren. So sollte gewährleistet werden, dass nur jene Internet-NutzerInnen berücksichtigt werden, die sich in einem abgegrenzten Zeitraum (während der Demonstrationen in Dresden) an den Diskussionen beteiligten. Zweitens wurden Monologe, in denen sich kein Bezug zu anderen Kommentaren finden lässt, ebenfalls nicht berücksichtigt, da sie nicht die Kriterien für eine Gesprächsanalyse erfüllen und kaum relevant sind für die Beantwortung der Forschungsfragen. [22]
Im nächsten Schritt wurden die positiven Kriterien für die Einbeziehung der verbliebenen Textpassagen festgelegt. Erstens sollten sie in einem klaren Bezug zur Forschungsfrage nach der kollektiven Identität der PEGIDA-Bewegung stehen; zweitens sollte der jeweils nachfolgende Beitrag auf den vorangehenden Bezug nehmen ("Selbstwahl"). Dies kann direkt geschehen (etwa indem der Name der VorrednerInnen genannt wird) oder indirekt durch thematisch bzw. gesprächspraktisch ähnliche Inhalte. Weitere Beiträge wurden ausgewählt, wenn etwa neue SprecherInnen zur Reaktion auf vorangegangene Beiträge aufgefordert wurden ("Fremdwahl") oder selbst Beiträge abgaben, die in einem thematischen Zusammenhang standen. Gespräche konnten sich bilateral oder multilateral entwickeln. Schließlich galt eine Gesprächseinheit als abgeschlossen, wenn kein Beitrag mehr auf vorherige Kommentare erfolgte oder ein Beitrag mit einem ganz anderen Thema auftauchte. Die Selektion der relevanten Textpassagen ist "keine einmalige Prozedur" (DEPPERMANN 2008, S.37). Die (vorläufig) ausgewählten Passagen wurden durch eine semantische Analyse paraphrasiert und spiralförmig immer wieder neu gelesen und selektiert. [23]
Die ausgewählten Passagen wurden dann einer Gesprächsanalyse unterzogen.12) Die Gesprächsanalyse ist ein gegenstandsbezogenes Verfahren. Sie soll sich auf den dokumentierten Ablauf kommunikativer Austauschprozesse "stützen, anstatt idealisierte Versionen von sozialen Vorgängen als Daten zu benutzen" (BERGMANN 1994, S.10, 1985). Aus diesem Grund werden weder analytische Kategorien noch konkrete Einstellungsmuster vorausgesetzt, um sich wiederholende Muster (und Varianzen) zu identifizieren oder um relevante von weniger relevanten Passagen zu unterscheiden (DEPPERMANN 2008, S.19f.). In der Auseinandersetzung mit den Textpassagen verändert und erweitert sich das Vorverständnis der Forschenden. Dies wiederum bildet die Grundlage für das Lesen und Verstehen bisheriger und weiterer Texte. Werden keine neuen forschungsrelevanten Erkenntnisse mehr gewonnen, gilt der Prozess als abgeschlossen (KELLE & KLUGE, 2010). [24]
Diese Prinzipien lassen sich auch auf die Analyse von Online-Kommentaren übertragen. Die Aufmerksamkeit richtete sich dabei vor allem auf die Formation kollektiver Identitäten. Die Interagierenden brachten in den ausgewählten Textpassagen zunächst ihre Anliegen zum Ausdruck und gestalteten auf diese Weise dialogisch (und nicht im Monolog) die wechselseitige Interaktion (BOOTHE 1998; HELFFERICH 2004; LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004; MATHYS et al. 2013). Im Verlauf des Austauschs ließen sich dann die spezifischen Deutungs- und Rollenmuster der Gesprächsteilnehmenden identifizieren. Beispielsweise beim SprecherInnenwechsel (vgl. SACKS; SCHEGLOFF & JEFFERSON 1974) spielte die oft starke Bestätigung oder Ablehnung des vorhergehenden Beitrags eine wichtige Rolle. In der Folge entwickelte sich oft eine polarisierende und konflikthafte Dynamik, die für die Formation kollektiver Identitäten maßgeblich war. [25]
Diese Daten bilden im nächsten Forschungsschritt die Basis für eine qualitative Inhaltsanalyse, die über die gesprächsanalytische Betrachtung hinausgeht. In diesem Prozess wurden durch die Zusammenfassung, Paraphrasierung und Reduzierung der Texte Kategorien gebildet (MAYRING 2000), mit denen sich der Wandel der kollektiven Formationen im Internet beschreiben lässt. Diese Kategorien wurden vor und während der Datenanalyse auf der Grundlage vorhandenen Vorwissens (über soziale Bewegungen und Theorien kollektiver Identität) und durch wiederholtes Lesen abduktiv entwickelt (REICHERTZ 2009). Sie bildeten die Grundlage für eine deduktive Datenanalyse mit dem Ziel, die reduzierten Kernaussagen aus den Online-Kommentaren inhaltlich zu strukturieren. [26]
Die folgenden Abschnitte geben einen Überblick über diese Prozesse. Wie oben erwähnt, formiert sich im Identitätsprozess das Selbstbild im Wechsel mit dem Fremdbild. Das Selbstbild der PEGIDA-AnhängerInnen ist deshalb stark durch das Fremdbild beeinflusst: Ein Großteil der Selbstbeschreibungen setzt sich mit der massenmedial vermittelten (Außen-) Wahrnehmung der PEGIDA-Bewegung auseinander, sei es von PolitikerInnen, JournalistInnen oder OpponentInnen. "Nazis" oder "Nazi-Pack" sind häufig verwendete Begriffe, mit denen PEGIDA-GegnerInnen die AnhängerInnen der Bewegung etikettieren. Die Entlegitimierung dieses Stigmas hat sich ihrerseits zu einem der wichtigsten Diskursinhalte der PEGIDA-AnhängerInnen entwickelt. Das Fremdbild wird durch PEGIDA-AnhängerInnen zurückgewiesen, und die GegnerInnen werden als "Nazis" beschimpft. Es bietet implizit oder explizit immer wieder Anlässe für PEGIDA-AnhängerInnen, von sich zu erzählen, sich zu positionieren und schließlich die eigene Identität zu formen. Im Folgenden werden einige spezifische Argumentations- und Deutungsmuster herausgearbeitet, um den Diskurs darüber zu analysieren, wie die Identität der PEGIDA-BefürworterInnen generiert und konstruiert wurde (LUCIUS-HOENE 2000; SCHIFFRIN 1994). [27]
4.1 "vll 20-30 Nazis mitlaufen"13)
Im Zuge des unerwarteten Zuwachses an Demonstrierenden in den ersten drei Monaten nach der Gründung entbrannte in den Massenmedien ein Streit über die rechtsradikalen oder rechtsextremen Einstellungen der PEGIDA-AnhängerInnen. In der Frühphase der Bewegung lässt sich dabei ein immer wiederkehrendes Argumentationsmuster finden, um die Fremdbeschreibung als "Nazi" abzuwehren.14)
"coosa: wenn von den Millionen Muslimen ein paar tausend Terroristen sind, sagt man dass hat nichts mit dem Islam zutun und nicht jeder Moslem ist ein Terrorist, dass ist RICHTIG !!!! aber wenn von 15 000 Demonstranten vll 20-30 Nazis mitlaufen dann sind alle PEGIDA Demonstranten Nazis ??? Finde den Fehler, wir sind das VOLK !!!!!!!!!!!
ineri: Ja klar ist das so , Staatsdoktrin ..alle senden die gleiche Meinung = Staatsfernsehn so richtig DDR 2.0 :)15)" [28]
Das obige Gespräch16) (vom 1. Dezember 2014) beginnt mit dem Beitrag einer Pro-PEGIDA-Person17) mit dem Namen coosa. Ihr ist durchaus bewusst, dass "Nazis" bei PEGIDA-Demonstrationen "mitlaufen". Deren Präsenz wird jedoch bagatellisiert, indem von einer kleinen ("20-30 Nazis") und zugleich nicht feststehenden Zahl ("vll") die Rede ist. Ohne sich inhaltlich bei den Nazis zu positionieren, begründet coosa formal: "20-30 Nazis" verhielten sich zu allen PEGIDA-DemonstrantInnen wie "ein paar tausend Terroristen" zu "den Millionen Muslimen". Daraus lässt sich ableiten, dass coosa zufolge auch alle Moslems TerroristInnen sein müssten, wenn das Fremdbild von PEGIDA-AnhängerInnen als Nazis legitim wäre. Nach dieser formalen Logik müsste das Argument der PEGIDA-GegnerInnen in eine Sackgasse führen. Was allerdings überhaupt nicht angesprochen wird, ist die Frage, in welchem normativen Verhältnis die PEGIDA-DemonstrantInnen zu den "20-30 Nazis" tatsächlich stehen. Das Selbstbild "wir" repräsentiert demnach das Volk, zu dem implizit wohl auch "20-30 Nazis" gehören. Mit dieser Formulierung wird PEGIDA als ein wenig zusammenhängendes Aggregat aus individuellen AkteurInnen mit unterschiedlichsten Einstellungen, inklusive (einiger) rechtsextremer Personen beschrieben. Dem Beitrag von coosa stimmt ineri (ebenfalls eine Pro-PEGIDA-Person) zu und leitet daraus ihre Staats- und Medienkritik ab: Weil der Staat angeblich die Medien kontrolliere, könne man die heutige BRD mit der DDR gleichsetzen. Dadurch werden die PEGIDA-ProtestteilnehmerInnen mit DDR-DissidentInnen auf eine Ebene gestellt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Nazi-Vorwurf findet aber nicht statt. [29]
Zur Rechtfertigung ihrer Position bevorzugen die GesprächsteilnehmerInnen zumeist eine formal an "Fakten" orientierte Diskussionsform. Im folgenden Gespräch (vom 8. Dezember 2014) tauschen Pro- und Kontra-PEGIDA-Personen ihre Beobachtungen und Meinungen aus.
"tendi: Ich war auf der gegendemo und konnte es genau beobachten. Nach dem ende der PEGIDA-Veranstaltung sind mehrere (ca. 100-150) überwiegend schwarzgekleide und teilweise vermummte PEGIDAteilnehmer zu uns (friedlichen) Gegendemonstranten glaufen und haben gepöbelt. (...) Alle Teilnehmer haben sicher schon mal ein paar andere Demonstranten gesehen, die man (rein äußerlich) als hooligan oder nazi bezeichnen würde.
asids -> tendi: Beweise bitte, erzählen kann man viel ;-)
tendi -> asids: zu welchem Fakt genau soll ich dir Beweise raussuchen?
tendi -> asids: http://www.dnn-online.de/dresden/web/dresden-nachrichten/detail/-/specific/Bis-zu-10-000-Menschen-bei-Pegida-Kundgebung-Teilnehmer-greifen-Gegendemonstranten-an-3325738581
asids: lass mich kurz grübeln,, da gibt es nur ein lager was auf krawall aus ist. PEGIDA selbst nützt es nix. da sie sich damit nur alleine schaden würden. ;-) bin dann mal hab noch zu tun." [30]
Kontra-PEGIDA-Person tendi eröffnet das Gespräch mit einem Bericht über ihre eigene Beobachtung der Krawalle und äußert die Vermutung, dass es sich bei den pöbelnden DemonstrantInnen um "hooligans" oder "nazis" handelte. Daraufhin verlangt die Pro-PEGIDA-Person asids "Beweise", worauf die Kontra-PEGIDA-Person eingeht. Nachdem ein Weblink als Quelle angegeben wurde, akzeptiert asids die Aussage, dass eine teilnehmende Gruppe auf der PEGIDA-Demonstration auf Krawalle fokussiert gewesen sei. Der Gesprächsausschnitt deutet darauf hin, dass rationale Begründungen mit Beweisen oder Fakten von beiden Seiten gefordert und auch anerkannt werden. Nichtsdestotrotz scheint asids Loyalität zu PEGIDA durch dieses Eingeständnis nicht infrage gestellt. [31]
Im folgenden Ausschnitt (vom 8. Dezember 2014) tauschen sich zwei PEGIDA-SympathisantInnen über das kollektive Selbstbild "wir" aus.
"urest -> holow: Als Deutsche sollten wir die Begriffe Links und Rechts gar nicht mehr verwenden. Sie waren von Anfang an nur dafür gedacht das Volk in Lager aufzuspalten. Entweder man ist für oder gegen Deutschland (...) so einfach ist das eigentlich.
asids -> urest; richtig urest, wir sind deutsche. Auch wenn es hier wieder einigen nicht passt. wir sind weder links noch rechts noch lila. Wir haben alle eine eigene Meinung und können selber denken. Lasst euch bloss nicht zerreißen. wir sind eins! Und das schmeckt den da ganz und gar nicht!" [32]
Die Pro-PEGIDA-Person urest spricht von vornherein in der "Wir"-Form. Das Volk sei eine geschlossene Einheit, die keine Aufspaltungen durch Ideologien erlaube. Demnach scheint nur ein dichotomes Weltbild möglich: Man ist entweder für oder gegen das Volk. Dem kollektiven Selbstbild als geschlossene Einheit stimmt asids zu. Anstatt inhaltlich über das Volk zu diskutieren, betont sie aber ausdrücklich, dass diese Meinung ihren eigenen Überzeugungen entstamme. Als selbständig denkendes Subjekt wehrt sie sich heftig gegen die (angebliche) Zerreißprobe von außen. Dieses Selbstbild steht dem wahrgenommenen Fremdbild als "Rassistenpack" (PATZELT 2015, S.58) entgegen. [33]
Da die PEGIDA-Bewegung ihren Ausgangspunkt in Dresden hatte und die überwiegende Zahl der ProtestteilnehmerInnen ihren Wohnsitz in der sächsischen Landeshauptstadt hat, steht der regionale Bezug der Proteste unweigerlich im Fokus einiger Gespräche (hier vom 5. Januar 2015).
"alonc: Dresden ist doch nur mutiger als der Rest. (...) Ich würde auch eher nach Dresden fahren, als hier im Westen zu demonstrieren, wo gewaltbereite Spinner der Antifa auf jeden lauern, der zum Versammlungsort durchkommen will. Ich würde mit Familie friedlich demonstrieren wollen und das geht z.Zt nur in Dresden. Deshalb kommen wir hier im Westen auch nicht auf die hohen Teilnehmerzahlen der PEGIDA. Aber das Signal Dresden kommt an – und zwar Bundesweit!
iseta -> alonc: Jawohl die Antifas sind die Neuen Faschisten und werden vom Staat weitgehendst geschützt.
alonc -> iseta: Richtig, weil der Staat mehr Angst vor Rechts hat. Die Antifanten haben vermutlich nicht den Rückhalt in der Bevölkerung wie PEGIDA, sind aber deutlich aggressiver. (...)" [34]
Das Gespräch wird dadurch eingeleitet, dass die Pro-PEGIDA-Person alonc Gründe nennt, weshalb sie nicht an Demonstrationen der Bewegung an ihrem Standort ("hier im Westen" der Republik) teilnimmt. In dem Beitrag wird eine kognitive Differenz zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands vorausgesetzt: Für PEGIDA-Demonstrationen sei der "Westen" nicht geeignet, da dort die GegnerInnen der Bewegung aktiver seien. Im Gegensatz zur "friedlichen" PEGIDA-Demonstration, auf die man die Familie mitnehmen könne, wird der Feind (Antifa) als gewaltbereit bezeichnet. Der Vorteil von Dresden als Versammlungsort liege nicht in der lokalen Geschichte und Tradition. Stattdessen wird hier eine strukturelle Bedingung, nämlich das Fehlen eines Antifa-Netzwerkes, positiv hervorgehoben. Die beiden SympathisantInnen diskutieren dabei nicht, wie PEGIDA mit der Antifa umgehen könnte, stattdessen wird eine rein individuelle (also nicht: kollektive) Strategie empfohlen: "eher nach Dresden fahren". [35]
Das Gespräch wird durch die Pro-PEGIDA-Person iseta fortgeführt, die bereits eine klare Meinung über die Antifa entwickelt hat: iseta teilt das Feindbild mit alonc und bezeichnet die antifaschistische Gruppe als "Neue Faschisten". Negative Fremdzuschreibungen (hier: "Faschisten") direkt auf die GegnerInnen zurückzuprojizieren ist eine bevorzugte Argumentationsform der PEGIDA-AnhängerInnen. Dabei wird jegliche inhaltliche Diskussion unterlassen. alonc bringt daraufhin das Feindbild Staat ins Spiel: Die "Antifanten", wie alonc die GegnerInnen sarkastisch betitelt, seien staatlich geschützt. In der Bevölkerung genieße die Gruppierung hingegen "nicht den Rückhalt ... wie PEGIDA". Dies impliziert, dass der Staat auf der Seite der Antifa steht, die Bevölkerung auf der Seite von PEGIDA. [36]
4.2 "nicht schuldig für eventuell begangene Verbrechen aus Naziregimezeiten"
Nach dem ersten Höhepunkt der Protestmobilisierung befindet sich PEGIDA in einer von den OrganisatorInnen selbst als solche bezeichneten "Sommerpause". Die TeilnehmerInnenzahl bleibt auf konstant niedrigem Niveau. Bisherige Forschungen sprechen von einem Wandel der PEGIDA-Demonstrationen – von einem Rechtsruck (PATZELT 2015, S.92) oder einer Radikalisierung (FINKBEINER et al. 2016) ist die Rede. Doch weisen auch die Gespräche im Internet auf einen solchen Wandel hin?
"sofer: PEGIDA ist einfach nur peinlich geht wo anders hin ihr nazis
ofupo -> esere: Schon wieder der selbe Unfug von dir. Wieder behauptest du das diese Demonstranten Nazis sind. Und wieder ohne ein Argument. Du kannst gar nicht mit mir diskutieren, weil du ja gar keine Argumente hast. Ich zb. fühle mich überhaupt nicht angesprochen wenn du mich als Nazi beschimpfst. Den ich fühle mich nicht schuldig für eventuell begangene Verbrechen aus Naziregimezeiten. (...)" [37]
Der obige Ausschnitt (vom 6. April 2015) wird von der Kontra-PEGIDA-Person sofer mit einer typischen provokativen Etikettierung eröffnet, die von den PEGIDA-AnhängerInnen zumeist als Beschimpfung empfunden wird. Es folgt sogleich ein "Gegenschlag" durch eine Pro-PEGIDA-Person: ofupo reagiert mit Verdrossenheit, aber zugleich auch gelassen und weist auf den Mangel an Argumenten aufseiten von sofer hin. Darüber hinaus distanziert ofupo sich von der Etikettierung als "Nazis" und relativiert aber zugleich deren Taten in der Vergangenheit als "eventuell begangene Verbrechen". Die Pro-PEGIDA-Person ofupo stellt damit infrage, ob es sich bei den Nazi-Verbrechen tatsächlich um historische Fakten handele. Aber selbst wenn es so wäre, so lässt sich ofupos Argumentation entnehmen, hätte es keinen Einfluss auf die Gegenwart, weil der oder die Schreibende sich persönlich "nicht schuldig" fühle. Eine mögliche (zukünftige) normative Positionierung gegen den Nationalsozialismus wird hier zwar formal nicht ausgeschlossen, aber aufgeschoben. ofupo verhält sich dabei keinesfalls defensiv gegenüber der Etikettierung als "Nazi", sondern weist diese als falsch zurück. So wird eine weitere Diskussion über das Thema "Nazis" von vornherein blockiert. Eine offene inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorwurf findet nicht statt. [38]
Ein weiterer Ausschnitt (vom 6. April 2015) enthält erneut einen Schlagabtausch zwischen einer Pro- und einer Kontra-PEGIDA-Person bezüglich der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands.
"erest -> nacro: wenn wir ein andres Land wären würde ich rechten zuhören aber nicht in Deutschland! Wer hier noch überzeugt ist hat definitiv im Geschichtsunterricht geschlafen.
lines -> erest: Wer in Deutschland im Geschichtsunterricht schläft, macht das einzig Richtige! Lügenpresse – Lügengeschichtsschreibung." [39]
Die Kontra-PEGIDA-Person erest macht zunächst eine ironische Bemerkung über den Bildungsmangel der Rechtsextremen. Sie meint, diese würden sich nicht mit der (deutschen) Vergangenheit auskennen, da sie "definitiv im Geschichtsunterricht geschlafen" hätten. Die Pro-PEGIDA-Person lines reagiert darauf mit einem reframing, in dem sie ihre ablehnende Haltung gegenüber der "offiziellen" Geschichtsschreibung ohne Umschweife zum Ausdruck bringt. Sie verbindet dabei die wohlbekannte Parole "Lügenpresse", die unter PEGIDA-SympathisantInnen inzwischen als selbstverständlich akzeptiert wird, mit dem Geschichtsunterricht in deutschen Schulen zum neuen Wort "Lügengeschichtsschreibung". Im Vergleich zur früheren Phase der Bewegung lässt sich hier eine neue Dimension der politischen Einstellung erkennen, welche die Nazi-Vergangenheit Deutschlands explizit verleugnet.18) Für die Pro-PEGIDA-Person lines handelt es sich bei den "Nazi-Verbrechen" um eine Lügengeschichte. Dem Fremdbild der "Nazis" wird hier entsprochen; man verteidigt sich nicht mehr. [40]
Im folgenden Beispiel (vom 6. April 2015) geht es um die regionale Eingrenzung der PEGIDA-Proteste. Außenstehende sehen die Bewegung eng an Dresden, Sachsen oder die ostdeutschen Bundesländer ("Ossis") gekoppelt. Wie wirkt sich diese Außenwahrnehmung auf das Selbstbild aus?
"oflou: Was für ein jämmerlicher Auftritt, ich schätze mal das sind so um die 500 Ossis die da herumkrakehlen. Ab damit in den Mülleimer der Geschichte, besser is!
ewais -> oflou: Ossis waren in Dresden am 06.04.15 keine. Nur über 14000 deutsche. Wenn du Ossis sehen möchtest musst du nach Ostpreußen fahren. Das wird jedoch z.Z. noch von den Polen verwaltet. Und PEGIDA gibt es da noch nicht. Kann sich aber mal ädern, wenn die erstem Musel19) dort erscheinen." [41]
Kontra-PEGIDA-Person oflou bezeichnet die PEGIDA-Protestteilnehmenden abwertend als "Ossis". Eine derartige regionale Einbettung der Bewegung lehnt die Pro-PEGIDA-Person ewais deutlich ab: Die Bezeichnung als "Ossis" sei formell falsch, da es sich um "Deutsche" handle. ewais lehnt es ab, PEGIDA-TeilnehmerInnen als spezifische Deutsche zu charakterisieren. Stattdessen werden PolInnen und RussInnen, die heute im früheren Ostpreußen leben, als "Ossis" bezeichnet. ewais erhebt implizit einen Anspruch auf das Territorium, das vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch zu Deutschland gehörte ("noch von den Polen verwaltet"). Es wird zudem angedeutet, dass PEGIDA über die nationalen Grenzen hinaus nach Osteuropa expandieren könnte (vgl. EIDENBENZ 1993; RÖSSLER 1987). [42]
4.3 "Manche kleine, aber feine Unterschiede sind eben wichtig"
Nach dem einjährigen Bestehen von PEGIDA ergibt sich für die Bewegung erneut eine günstige Gelegenheit, mehr TeilnehmerInnen zu mobilisieren. Der Anstieg der Flüchtlingszahlen, insbesondere aus Syrien, seit September 2015 spielt den PEGIDA-OrganisatorInnen in die Karten, so das folgende Gespräch (vom 19. Oktober 2015) von zwei AnhängerInnen.
"netot -> ersar: Alle die jetzt ins Land strömen werden den Freiheitskampf für Deutschland und Europa nicht unterstützen. Mit jedem Tag schwindet also die Möglichkeit Recht und Ordnung wieder einzuführen und unsere kulturelle Identität wiederzuergreifen.
dursi -> netot: (...) Bis jetzt gibt es nur 'ganz normale' Kriminalität, und die kann man noch gut verheimlichen, Berichte manipulieren usw. Man muß aufklären! Auf die Staatsmedien kann man sich nicht verlassen, man muß sich seine Infos woanders besorgen. Man muß sich über den Islam, die Scharia und über die Zustände in ganz Europa informieren, und dann sein Wissen an andere weitergeben. Viele denken doch es geht hier nur um Rassismus und um die Rückkehr der Nazis!
netot -> +ersar: Ja. Die Frage was wirklich unter Hitler passiert ist, kann man vielleicht erst 2030 oder 2040 diskutieren. Es ist immer noch nicht möglich sachlich und vorurteilslos diese Zeit auszuwerten. (...)
dursi -> netot: (...) Netanjahu hat vor kurzem gesagt das Hitler ursprünglich gar keinen Holocaust wollte, die Juden nur aus Europa vertreiben wollte.20) (...)
netot -> ersar: (...) Mich hat z.B. die Rede von Benjamin Freedman21) aufgeweckt. Eine einzige historische Rede kann das komplette Weltbild verändern!" [43]
Pro-PEGIDA-Person netot eröffnet das Gespräch mit einer Warnung vor den Konsequenzen des Flüchtlings"stroms". Der Beitrag vermittelt die Dringlichkeit des Handelns durch den Ausdruck "Mit jedem Tag schwindet also die Möglichkeit" [meine Hervorhebung]. In ihrem zustimmenden Beitrag äußert dursi, ebenfalls eine Pro-PEGIDA-Person, den Verdacht, dass die in ihrer Perspektive staatlich kontrollierten Medien die "ganz normale" Kriminalität von Flüchtlingen vertuschten. Daraus ergibt sich schließlich die Legitimation einer Gegenöffentlichkeit gegen die "Staatsmedien". Mit der Formulierung "Viele denken" geht dursi zunächst auf eine gewisse Distanz zum Rassismus und zur Rückkehr der Nazis und macht auf die (aus ihrer Sicht bestehenden) Gefahren des Islam aufmerksam. netot greift die Äußerung nicht auf. Stattdessen spricht sie das Thema "Nazis" im Allgemeinen an. Eine "sachlich[e] und vorurteilslos[e]" Diskussion über das Hitler-Regime sei erforderlich. Der Anspruch auf eine faktenorientierte Sachlichkeit taucht erneut auf. Die von netot in die Zukunft ("vielleicht erst 2030 oder 2040") aufgeschobene Diskussion über den Nationalsozialismus wird jedoch von dursi in die Gegenwart geholt, indem sie Hitlers Intention für den Holocaust mit Verweis auf eine Aussage des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu infrage stellt. netot erzählt daraufhin, dass bei ihr ein radikaler Gesinnungswandel durch die Rede eines antisemitischen AktivistInnen ausgelöst worden sei. Beide GesprächspartnerInnen nähern sich vorsichtig aneinander an und vergewissern sich ihrer gemeinsamen Ansicht. Eine solche wechselseitige Annäherung kann, wenn sie häufig vorkommt, zur Stärkung der kollektiven Identität und zur weiteren Mobilisierung beitragen. [44]
Im folgenden Gespräch (vom 19. Oktober 2015) wird die häufig aufgeworfene Frage thematisiert, warum PEGIDA-SympathisantInnen nur zuschauen, wenn Nazis bei den Demonstrationen mitlaufen, ohne etwas dagegen zu unternehmen.
"otime: Wer Nazis unter sich tolleriert und das tut PEGIDA. Ist in meinen Augen asoziales Gesindel nichts weiter (...)
urono -> otime: Nazis sind NSDAP-Mitglieder, falls du es nicht wusstest.
otime -> urono: Und das du stümperhaft versuchst Nazis zu schützen, verstärkt nur meinen Eindruck dieser Organisation. Warum machst du das? Ich denke ihr seid keine Nazis, sagt ihr doch immer (...)
urono -> otime: Manche kleine, aber feine Unterschiede sind eben wichtig. Ich kämpfe gegen antideutsche Propaganda, dich zwingt doch bisher keiner dich daran zu beteiligen.
otime -> urono: Ja stimmt wohl (...) aber man muss sich klar gegen die Extremen stellen, rechts wie links. Das fehlt mir bei PEGIDA ein wenig." [45]
Das obige Gespräch beginnt mit einer offensiven kritischen Aussage der Kontra-PEGIDA-Person otime: Die tolerierende Haltung der PEGIDA-AnhängerInnen gegenüber Rechtsextremen sei nicht akzeptabel. Diesen Vorwurf weist die Pro-PEGIDA-Person urono mit dem formellen Hinweis zurück, dass Nazis NSDAP-Angehörige seien. Die NSDAP gehöre der Vergangenheit an und sei irrelevant für die Gegenwart. Durch ihren Versuch, Nazis der Vergangenheit zuzuordnen, ignoriert urono jedoch, dass sich otimes Kritik nicht gegen die formale Mitgliedschaft in einer vergangenen und verbotenen Partei richtet, sondern allgemeiner gegen nationalsozialistisches Gedankengut. Sie weicht damit der Forderung otimes nach einer klaren Positionierung gegen Nazis aus. Mit dem Verweis auf "feine Unterschiede" distanziert sich urono einerseits persönlich vom Nazi-Vorwurf, outet sich aber andererseits als Kämpferin "gegen antideutsche Propaganda". Sie fügt hinzu, die DemonstrantInnen nähmen freiwillig an den Protesten teil. Die Frage, ob PEGIDA-ProtestteilnehmerInnen gegen mitlaufende Nazis etwas unternehmen sollten, bleibt unbeantwortet. Darüber hinaus werden Nazis nur als eine Fraktion der Bewegung beschrieben, die mehr oder weniger "feine Unterschiede" zu anderen Gruppen aufweise. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen wird in dem obigen Gespräch nicht abschließend geklärt. Trotzdem wird deutlich, dass die AnhängerInnen ihre Bewegung selbst als heterogen wahrnehmen. [46]
4.4 Exkurs: Buhrufe statt Applaus
Zu den festen Ritualen seit Beginn der PEGIDA-Demonstrationen gehört es, dass von den OrganisatorInnen eingeladene Gäste während der Demonstration einen Vortrag halten. Als Akif Pirinçci, ein türkischstämmiger deutscher Schriftsteller, zum Jahrestag der PEGIDA-Bewegung in Dresden eine Rede hielt, hatten die DemonstrationsteilnehmerInnen vor Ort zunächst wie üblich gejubelt und Beifall geklatscht. Nach 25 Minuten fiel aber eine Aussage, die das Publikum dazu veranlasste, den Redner auszubuhen: "Es gäbe andere Alternativen, aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb". Dies sorgte für so große Unruhe unter den ZuhörerInnen, dass Versammlungsleiter Bachmann die Rede abbrach. Wie kam es dazu? [47]
Die PEGIDA-ProtestteilnehmerInnen hatten bis zu diesem Zeitpunkt alle Entscheidungen der OrganisatorInnen entweder stillschweigend oder jubelnd akzeptiert. Warum ist durch die Rede von Akif Pirinçci diese Hemmschwelle überwunden worden? Der folgende Ausschnitt (vom 19. Oktober 2015) zeigt, wie einige PEGIDA-AnhängerInnen die Situation interpretierten.
"yuree: Eure Bewegung ist sehr wichtig. Doch einiges wurde meiner Meinung nach ungeschickt gemacht. Dieser Akif Pirinçci, der selbst ein Ausländer ist und sich über andere mit unaussprechlichen Namen äussert und dann noch ungeschickte Sätze rauslässt, hat dort nichts verloren. (...) Herr Bachmann, sie sollten überlegter handeln und an mancher Stelle ihrer Reden wäre mehr Emotion angebracht finde ich. (...) LG aus der Schweiz (...)
dursi -> yuree: Ohne Bachmann gäb's vielleicht gar keine PEGIDA (...) also bißchen mehr Respekt! :P Die Gegenseiten interessieren sich auch nicht für eventuelle Vorstrafen und sogar Deutschfeindlichkeit, solang die Leute nur die 'richtige' Meinung vertreten." [48]
Pro-PEGIDA-Person yuree (angeblich) aus der Schweiz äußert mit dem BeobachterInnenblick Kritik an "Eure[r]" (deutschen) Bewegung. Dadurch, dass sie den Zwischenfall als "ungeschickt" bezeichnet, spricht sie nicht substanzielle Inhalte an, sondern kritisiert lediglich die praktische rhetorische Kompetenz des Redners. Sie kritisiert, er sei "selbst ein Ausländer", weist aber zugleich die Schuld für den Eklat PEGIDA-Chef Bachmann zu. Dessen Führungsqualität stellt sie damit infrage. Kritische Bemerkungen von PEGIDA-SympathisantInnen gegenüber den OrganisatorInnen waren bis zu diesem Zeitpunkt eher eine Seltenheit. Die eher distanzierte Position, die der/die Schweizer/in yuree einnimmt, scheint ein Vorteil zu sein, wenn es darum geht, interne Kritik vorzubringen. dursi nimmt Bachmann jedoch in Schutz. Dessen vorrangige Stellung in der Bewegung scheint für sie nicht zur Diskussion zu stehen: Seine kriminelle Vergangenheit wird im Vergleich zu (angeblich) äquivalenten Verbrechen von PEGIDA-GegnerInnen verharmlost. [49]
Im Folgenden (vom 19. Oktober 2015) geht es ebenfalls um die Rede von Akif Pirinçci, die mit Buhrufen bedacht und schließlich abgebrochen wurde. Das Ereignis wurde aus einer PEGIDA-treuen Innenperspektive so bewertet:
"icelo: Ich finde es gut, dass man Pirincci's 'Rede' so nicht Akzeptiert hat, das Spricht sehr Für PEGIDA und alle Demomstranten! Diesen zutiefst schmutzigen, schwarzen Akif Humor verstehen nicht viele und er passt auch nicht zu PEGIDA. PEGIDA ist eine Anständige Bürgerbewegung, wie man gestern mal kristallklar erkennen konnte! Ich Bin jedem der dort war, für die Zukunft meiner Kinder dankbar und werde das nächste mal wieder mit vielen Freunden dabei sein. DANKE PEGIDA, ihr seid großartig!
isury -> icelo: die haben 25 minuten zugehört wie er von benutzem klopapier seine rede runtergestottert hat (...) sagt doch alles, oder?" [50]
Pro-PEGIDA-Person icelo deutet die negative Stimmung in eine positive um: Für den Vortragsinhalt sei allein der Redner verantwortlich. Die PEGIDA-OrganisatorInnen, die ihn eingeladen hatten, könnten dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden. Einzelne Teilnehmende der Demonstration hätten sich eindeutig von dem "zutiefst schmutzigen, schwarzen Akif Humor" distanziert und somit unter Beweis gestellt: "PEGIDA ist eine Anständige Bürgerbewegung", d.h., es handele sich nicht um Nazis. Für icelo hat Akif Pirinçcis Rede mit PEGIDA nichts zu tun. icelo bringt "schwarzen Akif Humor" nicht mit PEGIDA in Verbindung; weniger deshalb, weil sie in der Bewegung hierarchischen Strukturen unterworfen wäre, sondern sie nimmt überhaupt keinen Bezug auf die OrganisatorInnen. Der Hinweis "DANKE PEGIDA, ihr seid großartig!" [meine Hervorhebung] deutet sogar auf eine gewisse Distanz zur Bewegung hin. Die Bindung scheint eher informell zu sein, und icelo will die Mikro-Mobilisierung ihres Bekannten- und Freundeskreises fortsetzen: "das nächste mal wieder mit vielen Freunden". Darauf reagiert Kontra-PEGIDA-Person isury mit der pejorativen Bemerkung, dass sich die Einstellung der PEGIDA-AnhängerInnen nicht von der Akif Pirinçcis differenzieren lasse: Immerhin hätten sie ihm "25 minuten zugehört", ehe die Rede abgebrochen wurde. Die Kluft zwischen den KommentatorInnen, die für bzw. gegen PEGIDA sind, scheint trotz einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die Rede von Akif Pirinçci kaum überbrückbar, mit anderen Worten: Eine konstruktive Kommunikation zwischen beiden Lagern scheint kaum möglich. [51]
5. Wandel kollektiver Formation
Am Beispiel von PEGIDA wurde gezeigt, dass das Internet als Plattform für Online-Kommentare einen wichtigen Gesprächsraum bietet, in dem PEGIDA-AnhängerInnen eine kollektive Identität entwickeln. Darauf aufbauend soll im nächsten Schritt auf der Basis der Ergebnisse aus der Gesprächsanalyse der Wandel kollektiver Formationen im Zeitverlauf rekonstruiert werden. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich dabei insbesondere auf die Übergänge zwischen den drei oben erwähnten Phasen der PEGIDA-Bewegung (1. Entstehung und Entwicklung, 2. Stillstand und Stabilisierung, 3. Wiederbelebung und Ausdifferenzierung). Diese drei Phasen des Wandels lassen sich anhand von vier Kategorien deuten: Subjektverständnis, Rechtfertigungsstrategie, Selbstwahrnehmung im Hinblick auf das Fremdbild sowie Handlungsorientierung. Für die Analyse wurde eine Synopse aus Kategorien zusammengestellt, an denen sich die weitere Interpretation der PEGIDA-Bewegung orientiert. Diese sind in den Zeilenüberschriften von Tabelle 2 abgebildet.
Tabelle 2: Drei Phasen der kollektiven Formation anhand von Online-Kommentaren zu Live-Übertragungen der PEGIDA-Demonstrationen
in Dresden [52]
Beim Subjektverständnis geht es um die Frage, welche subjektive Orientierung die PEGIDA-AnhängerInnen aufweisen. Da sie spontan und unorganisiert am Protest teilnehmen, bietet das Subjektverständnis eine wichtige Grundlage für die Klärung eigener Motive. Den Gesprächsanteilen der PEGIDA-AnhängerInnen ist ein modernes Subjektverständnis zu entnehmen: Die individuell Handelnden begreifen sich als rationale, selbständig denkende und freiwillig handelnde Subjekte. Sie bauen ihre Argumentation – aus ihrer Perspektive – auf Fakten, Beweisen und Sachlichkeit auf. Dies kann als eine "Versozialwissenschaftlichung von Identitätsformationen" im Sinne von OEVERMANN (1985, S.470-472) gedeutet werden. Das moderne Subjekt ist zudem weniger traditionell oder regional eingebettet, sondern vielmehr auf selbstbestimmtes Handeln ausgerichtet. Demnach soll die regionale Verbundenheit der Proteste nicht hervorgehoben werden. Die politischen Gelegenheitsstrukturen von Dresden werden als unterstützend für die weitere europaweite Expansion der Bewegung über die Grenzen Deutschlands hinaus erachtet. [53]
Die Rechtfertigungsstrategie bezieht sich auf den Umgang der PEGIDA-AnhängerInnen mit der Etikettierung als "Nazis". Dabei stützen sich die PEGIDA-BefürworterInnen stark auf eine formale Logik, die auch die PEGIDA-GegnerInnen teilen. Nach dem Meinungsfreiheitsverständnis der PEGIDA-AnhängerInnen sollten die Verbrechen der NationalsozialistInnen keineswegs undiskutierbar sein, sondern einer "unvoreingenommenen" Debatte unterzogen werden dürfen. Die rationalen Begründungen führen aber nicht zu einer Veränderung politischer Einstellungen. Eigene Positionen, die unter starker Kritik stehen, werden dadurch verharmlost, dass PEGIDA-GegnerInnen auch Verbrechen begingen. Zugleich wird das den PEGIDA-BefürworterInnen zugeschriebene Fremdbild als "Nazis" oder "Faschisten" auf die gegnerische Seite projiziert. Die PEGIDA-AnhängerInnen werden durch die Auseinandersetzungen mit den GegnerInnen nicht aufgeklärt. Kognitive Aussagen werden genutzt, um die eigene Position zu rechtfertigen, nicht jedoch, um persönliche normative Positionen oder Wertorientierungen zu korrigieren. [54]
Hierbei lässt sich eine schrittweise Veränderung der Rechtfertigungsstrategie der PEGIDA-AnhängerInnen erkennen. Anfangs, in der Entstehungs- und Entwicklungsphase, wurde eine inhaltliche Debatte über eine eventuelle rechtsextreme Einstellung einiger ProtestteilnehmerInnen strikt vermieden. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik setzt erst langsam in der zweiten Phase ein. In der dritten Wiederbelebungs- und Ausdifferenzierungsphase wird schließlich eine "vorurteilslose" Diskussion gefordert. Wie die Veränderung der Rechtfertigungsstrategie zeigt, treten die seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit tabuisierten (relativierenden oder positiven) Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit Volksverhetzung, AusländerInnenfeindlichkeit, Holocaustleugnung oder nationalsozialistischen Gesinnungen langsam immer stärker in den Vordergrund. Die anfänglich geübte Zurückhaltung im Umgang mit den obengenannten sensiblen Themen lässt nach. Diese zunehmende Enttabuisierung des Diskurses ist somit eine logische Konsequenz des PEGIDA-Phänomens, deren Dynamik durch die Interaktion zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen immer weiter vorangetrieben wird. Damit ist der Damm zur political incorrectness gebrochen. Die Debatte wird dabei weniger als normative Auseinandersetzung geführt, vielmehr wird diskutiert, warum und inwiefern bestimmte Stellungnahmen oder Haltungen als rechtsextrem oder nationalsozialistisch kategorisiert und klassifiziert werden können (oder nicht). [55]
Als dritte Kategorie rückt die Selbstwahrnehmung im Hinblick auf das Fremdbild ins Zentrum. In der ersten Entstehungs- und Entwicklungsphase haben sich PEGIDA-BefürworterInnen mithilfe einer formalen Rechtfertigungslogik vehement gegen eine Brandmarkung als "Nazis" gewehrt. Sie grenzen sich vom Rechtsextremismus ab und distanzieren sich auch vom Nazi-Vorwurf. Einen Kontrast dazu bildet die zweite Phase des Stillstandes und der Stabilisierung. Die Gespräche unterscheiden sich hier von der frühen Phase durch Einstellungsmuster, die vor allem in konfrontativen Bemerkungen zum Ausdruck kommen. Dabei werden Nazis oder der Holocaust allgemein inhaltlich verharmlost und relativiert. Die Gruppenidentität wird deutlich radikaler. [56]
Die Wiederbelebungs- und Ausdifferenzierungsphase der PEGIDA-Bewegung wurde durch die Zuwanderung von Flüchtlingen eingeleitet und ist durch einen nunmehr eher "differenzierenden" Umgang mit dem Fremdbild gekennzeichnet. Auch wenn die dritte – wie schon die erste – Phase durch aufsehenerregende Ereignisse ausgelöst wurde und es gelungen ist, aus der konkreten Situation neue TeilnehmerInnen zu mobilisieren, gibt es Unterschiede zwischen beiden Entwicklungsetappen: Neben dem Selbstbild als "Nicht-Nazis" bildet sich in der dritten Phase ein Kollektiv heraus, das eine "vorurteilslose" Diskussion über die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands fordert und den Nationalsozialismus deutlich relativiert oder sogar in Schutz nimmt. Hinzu kommt aber auch die interne Kritik an den PEGIDA-OrganisatorInnen. Es zeigt sich, dass einige PEGIDA-AnhängerInnen in der dritten Phase auch in der Lage sind, Selbstkritik zu üben. [57]
Die vierte Kategorie thematisiert die Handlungsorientierung im kollektiven Formationsprozess. In der ersten Phase wird hervorgehoben, dass sich die Teilnahme an der PEGIDA-Bewegung auf individuelle Überzeugungen stütze; in der zweiten Phase überwiegen demgegenüber radikalisierte Einstellungen, während in der dritten Phase wieder eine gewisse Distanz zur Radikalisierung aufkommt. Zudem wird die Bewegung als aus unterschiedlichen Fraktionen zusammengesetzt beschrieben. Trotz der obengenannten Unterschiede bleiben die Selbstbilder der Bewegung in allen drei Phasen unorganisiert. Sie bilden eine jeweils 1. stark projizierende, 2. relativ homogene und 3. teilweise differenzierte kollektive Formation: In der ersten Phase beschäftigen sich viele damit, das eigene Stigma auf die GegnerInnen zu projizieren und abzuwehren. In der zweiten Phase formiert sich allmählich eine relativ homogene Bewegungsidentität. In der dritten Phase wird die Bewegung von ihren AnhängerInnen wieder vermehrt als differenziert und heterogen wahrgenommen. [58]
In dem vorliegenden Beitrag habe ich eingangs die Frage gestellt, wie sich eine aus spontaner Mobilisierung entstandene soziale Bewegung als kollektive Formation im Internet entwickelt. Es wird zumeist angenommen, dass schwache kollektive Formationen entweder in individuelle Identitäten zerfallen oder sich langsam zu einer einheitlichen kollektiven Identität (sozialer Bewegung) verstärken. Die Ergebnisse dieser Studie zeichnen jedoch ein anderes Bild: Was das Subjektverständnis und die Rechtfertigungsstrategie anbelangt, orientieren sich in allen drei Phasen die TeilnehmerInnen an der Vorstellung eines modernen Subjekts, das selbst denkt, freiwillig handelt und Begründungszwängen mit "sozialwissenschaftlichen" (rationalisierten) Deutungsmustern begegnet. Die von OEVERMANN (1985) diagnostizierte Tendenz zur "Versozialwissenschaftlichung von Identitätsformationen" scheint somit den kulturellen Rahmen für den Meinungsaustausch zwischen den Gesprächsteilnehmenden zu bestimmen. [59]
Der Wandel kollektiver Formationen lässt sich mit Blick auf die Rechtsfertigungsstrategie, Selbstwahrnehmung und Handlungsorientierung anschaulich erfassen. Beim Schritt von der ersten zur zweiten Phase scheint sich zunächst die Erwartung zu bestätigen, dass sich das (noch) heterogene Kollektiv zu einem relativ homogenen Kollektiv entwickelt. Beim nächsten Schritt von der zweiten zur dritten Phase wird jedoch wieder eine andere Richtung eingeschlagen. Entgegen der Erwartung, dass die PEGIDA-Bewegung sich nun in eine soziale Bewegung mit einer stärkeren Solidarität bzw. kollektiven Identität verwandelt, zeigt die dritte Phase einen Trend zur verstärkten Reflexion, hinzu kommen sogar selbstkritische Äußerungen über PEGIDA. Obwohl die erste und dritte Phase im Vergleich zur zweiten Phase weniger homogen und stärker individuell charakterisiert sind, gibt es Unterschiede: In der ersten Phase wird das Fremdbild der PEGIDA-Protestteilnehmenden als "Nazis" abgelehnt und auf die gegnerische Seite zurückprojiziert, während in der dritten Phase eine offene und "unvoreingenommene" Diskussion über die "Nazi-Vergangenheit" gefordert wird, was in letzter Konsequenz auf eine Revision der Geschichtsschreibung hinauslaufen oder zur Holocaust-Relativierung und Holocaust-Leugnung führen könnte. [60]
Die vorliegende Studie zeigt somit, dass sich kollektive Identitäten innerhalb "nicht-organisierter Formationen" verändern können. Sie entwickeln sich aber nicht linear zu entweder schwächeren oder stärkeren kollektiven Identitäten. Es handelt sich vielmehr um einen offenen Prozess unter dem Einfluss sich ständig ändernder Rahmenbedingungen, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden konnte. [61]
Mit Blick auf die Formation handlungs- und strategiefähiger Kollektive sind die PEGIDA-OrganisatorInnen nach der dritten Phase mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Die Diskussion über den Rechtsextremismus wurde von der massenmedialen Öffentlichkeit rezipiert. Die anhaltende Debatte könnte die Protesthandlungen jedoch kurzfristig hemmen und so verhindern, dass die Bewegung ein spezifisches Programm formuliert oder entsprechende Aktionen organisiert. Wie das Beispiel von Akif Pirinçci zeigt, ist es für die Bewegung teilweise schwierig, jene MitläuferInnen unter Kontrolle zu halten, deren Gesinnung sich von den Einstellungen der OrganisatorInnen unterscheidet. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass nach den Ausschreitungen zu Silvester 2015 in Köln die Zahl der PEGIDA-ProtestteilnehmerInnen in Dresden nicht mehr wesentlich angewachsen ist. [62]
Vor diesem Hintergrund drängt sich nun eine Frage ganz besonders auf: Was wird aus der Bewegung? Wie geht es mit ihr weiter? Die PEGIDA-Demonstrationen konnten durch spontane Mobilisierung einen Zuwachs an Teilnehmenden verbuchen. Auch besondere (weltpolitische) Ereignisse begünstigten zeitweise eine hohe Mobilisierung. Dabei ist aber noch offen, ob dies auch weiterhin unter dem Banner der PEGIDA stattfinden wird. Trotzdem wäre es illusorisch zu glauben, dass die Bewegung oder ähnliche Gruppierungen in absehbarer Zeit an Einfluss verlieren würden. Wie oben erwähnt, ist die Pro- und Kontra-Diskussion über den Rechtsextremismus, -radikalismus bzw. -populismus inzwischen in der Öffentlichkeit offen entbrannt. Darüber hinaus haben PEGIDA-AnhängerInnen mehr als ein Jahr lang praktische Protesterfahrungen gesammelt. Dies bildet ein kognitives und praktisches Fundament für die Entwicklung weiterer rechtsgerichteter Bewegungen. Auch wenn PEGIDA relativ diffuse Einstellungen vertritt und schwach organisiert ist, bleibt anzunehmen, dass sich ähnliche Bewegungen ereignisbedingt spontan bilden können. Vieles spricht dafür, dass zum jetzigen Zeitpunkt in Deutschland ein ernstzunehmendes Mobilisierungspotenzial für rechtspopulistische Themen vorhanden ist. [63]
Im Grunde geht die Mehrheit der PEGIDA-BefürworterInnen auf die Straße, wenn etwas passiert ist. Politische oder andere Ereignisse werden als bewegungsrelevante Situation wahrgenommen und interpretiert. Für diejenigen, welche die Ziele von PEGIDA unabhängig von situativen Ereignissen entwickeln möchten, befindet sich die Bewegung an einem Scheideweg. Der Schritt von der spontanen Mobilisierung zum organisierten kollektiven Handeln ist kein Selbstläufer. Außerhalb der virtuellen Öffentlichkeit des Internets gibt es viele weitere Faktoren, die diesen Prozess beeinflussen können. Es existieren somit zahlreiche Zukunftsszenarien für die PEGIDA-Bewegung wie z.B. Institutionalisierung, Lokalisierung oder Transnationalisierung. Die OrganisatorInnen haben bis dato diverse Optionen getestet: die Affinität zur AfD etwa ist kein Geheimnis. PEGIDA-Ableger in anderen Städten fokussieren sich schon lange auf spezifische lokale Themen wie den Widerstand gegen die Einrichtung von Asylunterkünften. Auch die europaweite Organisation rechtspopulistischer Kräfte ist bereits erprobt und wird im jeweiligen nationalen Kontext vorangetrieben. [64]
Die Protesthandlungen der PEGIDA-AnhängerInnen zeigen bislang vor allem auf lokaler Ebene ihre Stärke. Lokale Ableger verfügen über eine konkretere Agenda und haben mittlerweile ihre Handlungsstrategien ausgearbeitet und umgesetzt, ungeachtet der Pro- und Kontra-Diskussion über den Rechtsextremismus. Für die zentralen PEGIDA-OrganisatorInnen stellt sich nun die Frage, wie solche lokalen Aktionen einem Selbstbild der PEGIDA-Bewegung subsumiert werden können. Eine kollektive Formation als einheitliches Subjekt der Bewegung hat sich auf Bundesebene bis heute nicht etabliert. Vor diesem Hintergrund ist unklar, inwiefern spezifisch lokale Aktionen (gesteuert durch lokale Neonazi-Netzwerke, Bürgerinitiativen mit breitem Spektrum etc.) bundesweit einen ideologischen und personellen Anschluss an die PEGIDA-Bewegung herstellen können. [65]
Trotz verschiedener Einschränkungen bei PEGIDA darf nicht unterschätzt werden, dass es der Bewegung gelungen ist, einer undefinierten Menge von Unzufriedenen eine Stimme zu verleihen und sich im massenmedialen Diskurs laut wahrnehmbar zu positionieren. Die vorliegende Studie zeigt anhand von PEGIDA das Potenzial, aber auch die Grenzen spontan mobilisierter Bewegungen auf. In einer modernen Gesellschaft entstehen solche impulsiven Massendemonstrationen mithilfe des Internets immer wieder neu, werden gegebenenfalls institutionalisiert oder sie verschwinden wieder – trotz ihrer zeitweise möglicherweise dramatischen Wirkung. Diese Entwicklungen müssten im Bereich der Bewegungsforschung und der Kultursoziologie aber noch weiter erforscht werden. [66]
1) Der Begriff "Nazi" wird in der vorliegenden Studie lediglich als soziales Konstrukt verwendet, das im alltäglichen Gebrauch und insbesondere im massenmedialen Diskurs derzeit gängig ist und die Debatte über PEGIDA im Kern charakterisiert. Auf eine präzise Unterscheidung zwischen Nazis und Neonazis oder Rechtsextremen und RechtspopulistInnen wurde verzichtet. <zurück>
2) Lutz Bachmann ist eine höchst umstrittene Figur aus den Anfängen der PEGIDA-Bewegung. Einerseits ist er seit den 1990er Jahren für seine kriminellen Aktivitäten bekannt, andererseits wurde er 2014 als einer von 500 FluthelferInnen mit dem sächsischen Fluthelferorden ausgezeichnet. <zurück>
3) In diesem Zusammenhang wird oft auch von einer digitalen "Schmähgemeinschaft" (VORLÄNDER et al. 2016, S.22) gesprochen, die in Form einer diskursiven Enthemmung zum Ausdruck kommt – oft im Zusammenhang mit ausländerInnenfeindlichen und rechtsradikalen Äußerungen. <zurück>
4) Die bisherige Forschung ist mehr oder minder von zwei methodischen Problemen geprägt: der mangelnden Repräsentativität und dem Authentizitätsproblem (TEUNE & ULLRICH 2015): Die mangelnde Repräsentativität gerade von Surveydaten ist auf den schwierigen Zugang zu den DemonstrantInnen und die geringe Rücklaufquote zurückzuführen. Das Authentizitätsproblem bei den gesammelten Daten rührt daher, dass viele Befragte die Neigung haben, sich selbst zu zensieren und gesellschaftlich erwünschte Antworten zu geben. Zur Lösung dieser Forschungsprobleme schlagen fast alle Studien einen Methodenmix aus standardisierten Surveys, qualitativen Interviews, teilnehmender Beobachtung und einer zusätzlichen Analyse von Webseiten vor (DAPHI et al. 2015, S.4; PATZELT 2015, S.97). <zurück>
5) Die Anzahl der ZuschauerInnen auf YouTube, die "Mag ich" oder "Mag ich nicht" angeklickt haben, bezieht sich immer darauf, wie viele Personen bis dato die Funktion genutzt haben. Die dort angegebenen Werte schließen alle Aktivitäten ein, auch diejenigen, welche nach der Live-Übertragung aufgezeichnet wurden. <zurück>
6) Die politische Neigung vieler PEGIDA-AnhängerInnen zu politisch unkorrekten Äußerungen zeigt sich beispielsweise an der engen Zusammenarbeit zwischen PEGIDA und dem politischen Weblog Politically Incorrect. Diese Webseite kritisiert die Forderung nach einer politisch korrekten Sprache in der Öffentlichkeit als Zensur und Einschränkung der Redefreiheit. Bei einigen PEGIDA-Veranstaltungen waren Hinweise auf die Internetadresse Politically Incorrect beispielsweise auf der Bühne angebracht. <zurück>
7) Die Korrelation (Pearson) zwischen der Verteilung der DemonstrantInnen und der Internet-Aufrufe liegt bei etwa 82 Prozent. <zurück>
8) Quellen: Veröffentlichungszeitpunkt, Webseite:
10. November 2014, https://www.youtube.com/watch?v=NVRSFWMd3v0;
17.November 2014, https://www.youtube.com/watch?v=L1vQH4t024Q;
1. Dezember 2014, https://www.youtube.com/watch?v=lpreaat7O20;
8. Dezember 2014, https://www.youtube.com/watch?v=y3VlgH3A9JY;
5. Januar 2015, https://www.youtube.com/watch?v=MI3P1HUB9UY;
12. Januar 2015, https://www.youtube.com/watch?v=s34s775UIt0;
6. April 2015, https://www.youtube.com/watch?v=STuysWo-80A;
12. Oktober 2015, https://www.youtube.com/watch?v=-FB-jv3-B-k;
19. Oktober 2015, https://www.youtube.com/watch?v=RBYJmhTs-xQ;
9. November 2015, https://www.youtube.com/watch?v=wfFyZzEIqj4 [Zugriff: 19. November 2015]. <zurück>
9) Die Video-Live-Übertragung auf YouTube wird über folgende Kanäle angeboten: "Dresdenpix.de" (ab dem 10. November 2014), "Ruptly TV" (ab dem 8. Dezember 2014) und "Lutz BACHMANN" (ab dem 12. Oktober 2015). Besonders die Live-Übertragung durch "Ruptly TV" hat den PEGIDA-DemonstrantInnen über ihre privaten Kanäle hinaus einen öffentlichen Charakter verliehen: "Ruptly TV" ist eine international agierende Video-Nachrichtenagentur, die aus Russland stammt. <zurück>
10) Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/PEGIDA [Zugriff: 25. Februar 2016]. Die letzten drei Zahlen sind Mittelwerte. <zurück>
11) Die Anzahl der ZuschauerInnen und der Live-Kommentare verändert sich mit der Zeit, wenn weitere Personen das entsprechende Video anschauen, neue Kommentare schreiben oder alte löschen. <zurück>
12) Die Organisation und Bearbeitung aller Protokolle erfolgte mithilfe einer Software für qualitative Datenanalyse (MAXQDA11+). <zurück>
13) Die Bezeichnung "vll" ist eine Abkürzung für "vielleicht". <zurück>
14) Die Gesprächsbeiträge werden möglichst genau so zitiert, wie sie als Kommentare auf YouTube geschrieben wurden: Klein- und Großschreibungen wurden beibehalten. Dialekt oder Fehler im Sprachgebrauch sind unverändert wiedergegeben, sofern die Bedeutung des Textes trotzdem vermittelt werden kann. Beim Zitieren wurden die BenutzerInnen-Namen der KommentatorInnen nochmals pseudonymisiert, um deren Persönlichkeitsrechte zu schützen (vgl. BALLENTHIEN & HENSEL 2015, S.79). <zurück>
15) Die Zeichenfolge ":)" symbolisiert ein "Lächeln". Sie ist eine Variante der Emoticons, die in digitalen Kommunikationen (vor allem beim Chatten) oft verwendet werden, um unterschiedliche Gefühlslagen auszudrücken. <zurück>
16) In der vorliegenden Datenanalyse bezieht sich der Begriff "Gespräch" auf eine Abfolge von miteinander verbundenen Kommentaren. "Kommentar" ist die Bezeichnung von YouTube für Beiträge, die eigentlich zu Videos abgegeben werden. Andere NutzerInnen haben die Möglichkeit, auf Kommentare zu reagieren. Die Interaktion zwischen KommentatorInnen bildet den Gegenstand der Datenanalyse "Gespräch". <zurück>
17) Da die Geschlechtszugehörigkeit der KommentatorInnen online nicht identifizierbar ist, wird in der Wiedergabe der Kommentare auf den geschlechtergerechten Sprachgebrauch verzichtet. Stattdessen werden Formulierungen wie "Pro-PEGIDA-Person" oder "Kontra-PEGIDA-Person" genutzt. <zurück>
18) Vor diesem Hintergrund lässt sich die zu Beginn dieses Abschnitts (4.2) aufgeworfene Frage nach einer möglichen Radikalisierung (FINKBEINER et al. 2016; PATZELT 2015, S.92) auch in Bezug auf die Internetkommunikation bejahen. Ein Vergleich von Ergebnissen aus der Demonstrationsbefragung und der Analyse der Live-Kommentare im Internet würde jedoch den Rahmen dieser Studie sprengen. <zurück>
19) "Musel" ist eine abwertende Bezeichnung für MuslimInnen, die in islamfeindlichen Äußerungen häufig benutzt wird. <zurück>
20) Der Kommentartext bezieht sich auf die folgende Äußerung von Israels Ministerpräsident Benjamin Natanjahu: "Hitler wollte die Juden zu dem Zeitpunkt nicht vernichten, sondern ausweisen" (am 20. Oktober 2015 während einer Ansprache vor Delegierten des Internationalen Zionistenkongresses in Jerusalem). Sie löste Kritik nicht nur seitens israelischer OppositionspolitikerInnen und HistorikerInnen aus, sondern auch seitens der Bundesregierung. <zurück>
21) Der Kommentartext bezieht sich auf eine Rede von Benjamin Freedman, einem antisemitischen und antizionistischen Aktivisten aus den USA. In der Rede im Jahr 1961 im Washingtoner Willard Hotel wurde der Einfluss "der Juden" auf die Wirtschaft und Politik in den USA während der beiden Weltkriege behauptet. Dabei stützte er sich auf die Theorie einer jüdischen Verschwörung. <zurück>
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Dr. Sang-Hui Nam, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften/Fachgruppe Soziologie am Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Europa- und Globalisierungsforschung der Universität Bamberg. Ihre aktuellen Forschungsinteressen sind soziale Bewegung, Cultural Studies, Medien und qualitative Sozialforschung.
Kontakt:
Dr. Sang-Hui Nam
Universität Bamberg
Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
Fachgruppe Soziologie
Feldkirchenstr. 21, Raum F21/01.44
96045 Bamberg
E-Mail: sang-hui.nam@uni-bamberg.de
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