Volume 20, No. 2, Art. 10 – Mai 2019



Forschungspraktische Probleme bei der Archivierung von leitfadengestützten Interviews

Grit Laudel & Jana Bielick

Zusammenfassung: Die Forschungspolitik erwartet zunehmend, dass auch qualitative sozialwissenschaftliche Daten archiviert und für die Nachnutzung zur Verfügung gestellt werden. Es mangelt jedoch an empirischen Analysen zu den forschungspraktischen Möglichkeiten und Folgen einer Archivierung. Mit unserem Beitrag adressieren wir diese Lücke. Wir stellen einen gescheiterten Archivierungsversuch von leitfadengestützten Interviews in einem wissenschaftssoziologischen Projekt vor, der durch die Forderung des Forschungsförderers nach der Bereitstellung der Daten für eine Nachnutzung veranlasst wurde. Wir rekonstruieren alle Entscheidungsprozesse, die zur Vorbereitung der Datenarchivierung getroffen wurden. Wir mussten entscheiden, ob und in welcher Form Daten archiviert werden sollen, wie das Prinzip der informierten Einwilligung realisiert wird, wie wir die Einwilligung der Interviewten einholen, wie wir die Interviews anonymisieren und wie Kontextinformationen bereitgestellt werden. Unsere Analyse zeigt, dass die Erfordernisse des Datenschutzes und der Forschungsethik zu unüberwindbaren forschungspraktischen Problemen führen können, die einer Archivierung von qualitativen Daten entgegenstehen. Solche Probleme treten auch in anderen Gebieten der Soziologie auf.

Keywords: Archivierung; Sekundäranalyse; Leitfadeninterview; Datenschutz; Forschungsethik

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das empirische Projekt und Charakteristika der Primärdaten

3. Der Prozess der Archivierung qualitativer Daten – eine empirische Rekonstruktion

3.1 Wer entscheidet über die Datenarchivierung?

3.2 Entscheidung für eine Anonymisierung der Daten

3.3 Datenarchivierung und das Prinzip der informierten Einwilligung

3.4 Einholen der Einwilligung der Befragten zur Datenarchivierung

3.5 Anonymisierung der Interviews

3.6 Kontextinformationen

3.7 Nachnutzbarkeit der Interviews

4. Diskussion

5. Schlussfolgerungen

Danksagung

Anhang 1: Interviewleitfaden (Biologie, AMO Physik)

Anhang 2: Einwilligungserklärung

Anmerkungen

Literatur

Zu den Autorinnen

Zitation

 

1. Einleitung

Seit einiger Zeit ist die Forschungspolitik bestrebt, auch qualitative Daten für die Archivierung und Nachnutzung verfügbar zu machen. In Großbritannien verbindet der wichtigste Geldgeber für sozialwissenschaftliche Forschung, der Economic and Social Research Council (ESRC) seine Förderung mit der Forderung, dass qualitative Daten archiviert werden (HEATON 2008, S.37). In Deutschland wird die Erwartung einer Archivierung und Nachnutzung qualitativer Daten von Geldgebern wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft als gute wissenschaftliche Praxis definiert (DFG 2013, S.5-6). Eine Verpflichtung zur Archivierung ist bisher nur in einigen Förderlinien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) implementiert worden (BIRKE & MAYER-AHUJA 2017, S.109; GEBEL & ROSENBOHM 2017, S.160). [1]

Die Erwartung, dass qualitative Forschungsdaten archiviert werden, wird von dem Aufbau der entsprechenden Infrastrukturen begleitet, z.B. des Archivs Qualidata in Großbritannien in den 1990er Jahren1) und später des Henry A. Murray Research Archive in den USA, des Finnish Social Science Data Archive (FSD) und von Qualiservice in Deutschland (für einen Überblick siehe BISHOP & KUULA-LUUMI 2017, S.2-3; MEDJEDOVIĆ & WITZEL 2010, S.86-88). Dabei wird versucht, die Spezifik qualitativer Daten in den Blick zu nehmen und die datenschutzrechtlichen, methodologischen und forschungsethischen Probleme der Archivierung zu adressieren. [2]

In den betroffenen sozialwissenschaftlichen Fachgemeinschaften hat eine intensive Diskussion über die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der Datenarchivierung begonnen. Diese Diskussion wird vorrangig mit abstrakten konzeptionellen, methodologischen und normativen Argumenten geführt. Sowohl die AdvokatInnen der Datenarchivierung als auch die GegnerInnen stützen sich auf eine eingeschränkte Datenbasis, denn bislang gibt es nur wenige systematische empirische Analysen der forschungspraktischen Möglichkeiten und Folgen einer Archivierung qualitativer Daten. [3]

Erfahrungen mit der Archivierung von Daten wurden bisher kaum publiziert: Selbst für Studien wie die im Rahmen des britischen Timescapes-Projekts (HOLLAND 2011) durchgeführten, die explizit die Archivierung qualitativer Daten zum Ziel hatten, wird nur wenig über die konkreten methodologischen Probleme berichtet, die zu lösen waren, und es bleibt stattdessen zumeist bei konzeptionellen Debatten (z.B. COLTART, HENWOOD & SHIRANI 2013; FELDMAN & SHAW 2018; IRWIN, BORNAT & WINTERTON 2014). [4]

Solche empirischen Belege sind aber notwendig, um die Frage: "Welchen wissenschaftlichen Sinn hat die Archivierung von [qualitativen] Daten überhaupt und welchen Unsinn könnte sie fördern?" (HIRSCHAUER 2014, S.301) beantworten zu können. Natürlich kann man – wie HIRSCHAUER das tut – die Archivierung qualitativer Daten aus prinzipiellen methodologischen Gründen ablehnen. Damit entsteht aber letztlich nur eine weitere Frontlinie im unproduktiven Kampf zwischen der (archivierenden) quantitativen und der (nicht archivieren wollenden) qualitativen Sozialforschung, den Letztere angesichts des politischen Drucks am Ende wohl verlieren würde. Deshalb braucht die qualitative Sozialforschung auch empirische Argumente über den Sinn und Unsinn der Archivierung qualitativer Daten, die sie bisher nicht besitzt. [5]

In unserem Beitrag möchten wir zur Schließung dieser Lücke beitragen und die konkreten forschungspraktischen und forschungsethischen Probleme diskutieren, die bei der Vorbereitung von Transkripten von Leitfadeninterviews für eine Archivierung entstanden sind. Es handelt sich dabei um einen gescheiterten Archivierungsversuch in einem wissenschaftssoziologischen Projekt. Ausgangspunkt war die Forderung des Förderers BMBF, Daten für die Nachnutzung zur Verfügung zu stellen. An diesem Prozess waren die Forschungsförderer, die Scientific Community (in Form der Ethik-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, DGS), die Datenschutzbeauftragte der Universität, das archivierende Datenzentrum, die Interviewten und wir als Forscherinnen beteiligt. Wir stellen zunächst das empirische Projekt vor (Abschnitt 2) und rekonstruieren dann die Schritte im Archivierungsprozess von der Entscheidung über die Archivierung, dem Umgang mit dem Prinzip der informierten Einwilligung, der Anonymisierung der Daten bis zur Diskussion der Nachnutzbarkeit der Interviews (Abschnitt 3), gefolgt von einer Diskussion unserer Befunde (Abschnitt 4) und einigen Schlussfolgerungen (Abschnitt 5). [6]

Wir fokussieren unseren Beitrag auf die Archivierung für einen bestimmten Zweck (den der Nachnutzung), auf einen bestimmten Datentyp (leitfadengestützte ExpertInneninterviews) und auf in wissenschaftssoziologischen Projekten erhobene Daten. Andere Zwecke (Archivierung zum Zwecke der Datensicherung), andere Datentypen wie audio-visuelle Daten (KNOBLAUCH & WILKE 2018) oder ethnografische Daten (MEIER ZU VERL & MEYER 2018) und andere sozialwissenschaftliche Fachgebiete (z.B. die Ethnologie, IMERI 2018) werden hier nicht behandelt. Wir kommen aber in der Diskussion auf den möglichen Verbreitungsgrad unserer Probleme zurück. [7]

2. Das empirische Projekt und Charakteristika der Primärdaten

Unser wissenschaftssoziologisches Projekt wurde vom BMBF als Teil der Förderinitiative Forschung zu den Karrierebedingungen und Karriereentwicklungen des Wissenschaftlichen Nachwuchses (FoWiN) im Zeitraum von 2013 bis 2016 gefördert. In dem Projekt wurde der Frage nachgegangen, wie NachwuchswissenschaftlerInnen intellektuell unabhängig werden und damit eine Erwartung ihrer jeweiligen Scientific Community erfüllen (LAUDEL & BIELICK 2018). Intellektuelle Unabhängigkeit schließt nicht nur die Fähigkeit ein, autonom über Forschungsprobleme zu entscheiden und daran zu arbeiten. Darüber hinaus müssen WissenschaftlerInnen in vielen Fachgebieten in der Lage sein, ein ganzes Set zusammenhängender Forschungsprobleme zu definieren. Das Erreichen intellektueller Unabhängigkeit schließt also die Entwicklung von eigenständigen individuellen Forschungsprogrammen ein, d.h. von Plänen für zukünftige Forschungen, denen ein über die Realisierung eines einzelnen Forschungsprojekts hinausreichendes Erkenntnisinteresse unterliegt. Das Ziel unserer Untersuchung bestand darin, die kausalen Mechanismen zu finden, durch die die heutigen Karrierebedingungen die Entstehung der ersten individuellen Forschungsprogramme des wissenschaftlichen Nachwuchses beeinflussen. [8]

Um diese Frage zu beantworten, haben wir vergleichende Fallstudien durchgeführt. Unsere Fälle waren die Karrieren von deutschen NachwuchswissenschaftlerInnen aus drei Fachgebieten, der Pflanzenbiologie, der Atomaren und Molekularen Optik (AMO) als ein Spezialgebiet der experimentellen Physik und der Geschichtswissenschaften der Frühen Neuzeit. Diese enge Begrenzung der Fachgebiete war notwendig, um die Variation der Eigenschaften von Forschungsprozessen innerhalb der Gebiete gering zu halten. Die AMO-Physik und das Gebiet der Geschichte der Frühen Neuzeit sind eher kleine Fachgemeinschaften in Deutschland mit ca. 30 Gruppen bzw. Lehrstühlen, während die Pflanzenbiologie erheblich größer ist. [9]

Wir haben Nachwuchsphasen von WissenschaftlerInnen verglichen, die ihre Promotion zwei bis neun Jahre vor dem Interview abgeschlossen hatten. Die meisten unserer InterviewpartnerInnen hatten für diese Phase typische, befristete Stellen als Postdocs, AssistentInnen, JuniorgruppenleiterInnen oder JuniorprofessorInnen. [10]

Ergänzend zu den qualitativen Fallstudien haben wir eine auf Internet-Recherchen beruhende quantitative Analyse der CVs von NachwuchswissenschaftlerInnen durchgeführt. Für das hier zu untersuchende Problem sollen im Weiteren die qualitativen Daten, die im Forschungsprojekt erzeugt wurden, betrachtet werden. Dabei handelt es sich um folgende Daten:

Unser empirisches Material enthielt reichhaltige Informationen über Karrieren von NachwuchswissenschaftlerInnen an deutschen Universitäten, die für eine Nachnutzung attraktiv sein können. Als WissenschaftlerInnen waren die von uns Interviewten aber auch in jeweils einzigartige Arbeitskontexte integriert. Zudem waren ihre Arbeitsverläufe und Arbeitspraktiken, die den Hauptgegenstand der Studie bildeten, jeweils einzigartig. Wir diskutieren im Folgenden allgemeine Probleme der Archivierung und Probleme, die aus der Einzigartigkeit unserer Fälle entstanden. [12]

3. Der Prozess der Archivierung qualitativer Daten – eine empirische Rekonstruktion

Im Folgenden rekonstruieren wir die Entscheidungen, die wir zur Vorbereitung der Datenarchivierung getroffen hatten, und diskutieren die dabei aufgetretenen Probleme. Wir beginnen mit der Frage, wer entscheidet, ob und welche Daten archiviert werden, gefolgt von der Darstellung unseres Entscheidungsprozesses, die Daten in anonymisierter Form weiterzugeben. Wir diskutieren das Prinzip der informierten Einwilligung, beschreiben das Einholen der Einwilligung von den Interviewten zur Archivierung ihrer Daten, stellen den Prozess der Anonymisierung dar und prüfen die Nachnutzbarkeit unserer Interviewtranskripte. [13]

3.1 Wer entscheidet über die Datenarchivierung?

Unter inhaltlichen und methodischen Gesichtspunkten müssen qualitative Daten archivierungswürdig sein. Eine Archivierung muss aus rechtlicher und ethischer Sicht zulässig sein. Schließlich müssen die Daten archivierungstauglich sein, d.h. ein Mindestmaß an technischer und informationeller Qualität aufweisen (DGfE 2017, S.6). Diese Bedingungen sind in den verschiedenen sozialwissenschaftlichen Fachgebieten und Projekten in sehr unterschiedlichem Maße gegeben. So treten in bestimmten Forschungsgebieten gehäuft Interviewdaten auf, die nur schwer anonymisierbar sind, wie in der Biografieforschung (VON UNGER 2018, S.690), in der Arbeitssoziologie (z.B. PARRY & MAUTHNER 2004, S.144) oder der Gesundheitsforschung (SAUNDERS, KITZINGER & KITZINGER 2015). Angesichts dieser Variation hat es uns überrascht, dass das BMBF bereits mit der Ausschreibung der Förderinitiative FoWiN die AntragstellerInnen verpflichtete, die in den Projekten erhobenen empirischen Daten für die Nachnutzung verfügbar zu machen:

"Die Antragsteller/-innen verpflichten sich, die im Rahmen des Projektes gewonnenen Daten nach Abschluss des Projekts in weitergabefähiger Form einer geeigneten Einrichtung (z. B. dem Zentralarchiv für empirische Sozialforschung an der Universität Köln [ZA] oder einem Forschungsdatenzentrum) zur Verfügung zu stellen. Dort werden die Daten archiviert, dokumentiert und auf Anfrage der wissenschaftlichen Community zur Verfügung gestellt" (BMBF 2012).2) [14]

Von den neun bewilligten sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekten sollte in sechs Projekten vorrangig mit quantitativen Methoden gearbeitet werden. Bei drei Projekten – wie unserem eigenen – dominierten qualitative Methoden. Die Forderung, die Daten für eine Nachnutzung verfügbar zu machen, wurde mit der Bewilligung der Projekte noch einmal bekräftigt:

"Sie sind verpflichtet, die im Rahmen des Projektes gewonnen Daten nach den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis für die Sekundärnutzung verfügbar zu machen. Die Aufbereitung, Dokumentation und Weitergabe der Daten ist frühzeitig mit dem BMBF abzustimmen. Sie haben spätestens drei Monate nach Projektbeginn einen zweiseitigen Datenmanagementplan nach internationalen Standards vorzulegen ..." (Bewilligungsbescheid für unser Projekt FoWin004, S.4).3) [15]

Die Entscheidung, ob eine Nachnutzung der Daten erfolgen soll, wurde hier a priori vom Forschungsförderer (dem BMBF) ohne Einbeziehung der ForscherInnen und ohne Berücksichtigung der Spezifika der Projekte getroffen. Das betraf nicht nur die grundsätzliche Entscheidung, dass die Daten von anderen genutzt werden können, sondern auch die Form: Daten sollen einer "geeigneten Einrichtung" zur Verfügung gestellt, sprich: einem Datenarchiv übergeben werden. Andere Formen wie die informelle Datenweitergabe an andere Forschende (HEATON 2008, S.35-36) oder innerhalb einer mitgliedschaftsbasierten Forschergemeinschaft (STAMM 2018) wurden damit ausgeschlossen. [16]

Kurz nach Projektbeginn forderte das BMBF alle Projekte auf, einen Datenmanagementplan zu erstellen, der Informationen zur Weiternutzung der Daten einschließen sollte. Angesichts der Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes ist eine Anonymisierung der Daten dafür die zweckmäßigste Lösung (GEBEL et al. 2015, §11). Gerade für die Wissenschaftssoziologie ist aber schon vor zwei Jahrzehnten festgestellt worden, dass die wissenschaftlich relevanten Informationen zugleich die sind, die Personen identifizierbar machen (GLÄSER 1999, S.37-40). Das ist auch bei unserer Untersuchung der Fall. Bereits mit dem bewilligten Untersuchungsdesign stand fest, dass die Interviews überwiegend aus Narrationen über die Forschungsinhalte der Interviewten bestehen würden und dass eine Anonymisierung der Interviewtranskripte diese mit großer Wahrscheinlichkeit wertlos machen würde. Deshalb entschieden wir uns – trotz der expliziten Forderung des BMBF – gegen eine Weitergabe der Interviewtranskripte:

"Die anonymisierten CV-Daten der quantitativen Untersuchung werden öffentlich zugänglich gemacht, wenn eine weitere Nutzung dieser Daten sinnvoll erscheint, und ein geeignetes Datenarchiv zur Aufnahme dieser Daten bereit ist. Alle anderen Daten können für Sekundäranalysen nicht zur Verfügung gestellt werden. Die Sekundärnutzung qualitativer Daten ist nach wie vor ein ungelöstes Problem und zurzeit noch im Forschungsstadium. Bislang gibt es keine Lösung für das Dilemma, dass die vom Datenschutzgesetz geforderte Anonymisierung die Interviews für qualitative Sekundärnutzungen wertlos macht, da zu viele Daten entfernt oder verfälscht werden müssten. Dieses Problem ist bei wissenschaftssoziologischen Interviewdaten besonders gravierend, weil diese zum überwiegenden Teil aus detaillierten Beschreibungen von individuellen und leicht auf Personen zurechenbaren Forschungsinhalten bestehen" (FoWiN04, Datenmanagementplan, Januar 2014).4) [17]

Die Archivierung qualitativer Daten wurde auch in den anderen, von der BMBF-Förderinitiative finanzierten qualitativen Projekten als problematisch angesehen. Das BMBF bzw. der Projektträger reagierten darauf mit der Forderung, die Datenmanagementpläne nachzubessern mit folgender Begründung:

"Allerdings kann die aufwändige Erhebung von Daten immer nur für ein einziges Forschungsprojekt insgesamt nicht im Sinne der qualitativen Forschung sein. Insofern muss die Bemühung um eine Archivierung qualitativer Daten (genauso wie quantitativer Daten) als Teil der Forschungsaufgabe angesehen werden" (E-Mail des Projektträgers, 16. Juni 2014). [18]

Das führte dazu, dass wir unseren Datenmanagementplan änderten und eine Weitergabe unserer Interviewtranskripte an ein Datenarchiv planten.

"Nach Abschluss der Untersuchung, jedoch rechtzeitig vor Projektende, werden alle Interviewten angeschrieben und um schriftliche Zustimmung zur Langzeitarchivierung ihrer Daten durch ein noch zu identifizierendes Datenzentrum [...] gebeten. Diese Anfrage wird von der Einwilligung zum Interview separiert, weil die forschungspraktischen und methodischen Aspekte (z.B. Einfluss auf Teilnahmebereitschaft und Interviewinhalte) bislang nicht geklärt sind (Liebig et al. 2014, S.13). [...] Die Interviews mit den Befragten, die einer Langzeitarchivierung zustimmen, werden vollständig anonymisiert und im Original und in der anonymisierten Form weitergegeben" (FoWiN04, Datenmanagementplan, Juli 2014). [19]

3.2 Entscheidung für eine Anonymisierung der Daten

Bezug nehmend auf ein für den Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) erstelltes Arbeitspapier (LIEBIG et al. 2014) wurde vom Projektträger in der oben zitierten E-Mail vorgeschlagen, die Daten entweder zu anonymisieren oder eine Einwilligungserklärung der Befragten zur Weitergabe der Daten in nichtanonymisierter Form einzuholen. [20]

Dass die Sachlage so simpel nicht ist, wird aber von LIEBIG et al. bereits angesprochen. Eine Einwilligungserklärung muss zuallererst datenschutzrechtlichen Bestimmungen genügen, d.h., Primärdaten dürfen nur weitergegeben werden, wenn die beforschten Personen einwilligen. Sie dürfen auch in nichtanonymisierter Form weitergegeben werden, wenn die Beforschten dies ausdrücklich gestatten. Darüber hinaus muss die Einwilligungserklärung aber auch forschungsethischen Grundsätzen in den Sozialwissenschaften genügen. Hierbei geht es um das Prinzip der informierten Einwilligung, bei dem die Befragten "umfassend über die geplante Durchführung des Forschungsvorhabens und die Art der Verarbeitung ihrer Daten informiert werden ('informed consent')" müssen (S.12). In diesen Einwilligungserklärungen sichern SoziologInnen den Befragten Anonymität zu, um deren Teilnahme- und Auskunftsbereitschaft zu gewährleisten. Auch wir hatten unseren InterviewpartnerInnen beim ersten schriftlichen Kontakt Anonymität zugesichert: "Das Gespräch sowie der Mitschnitt und die entstehende Transkription werden von uns absolut vertraulich behandelt. Wir versichern Ihnen, dass aus im Projektzusammenhang entstehenden Publikationen sowie Präsentationen weder Ihre Universität noch Sie als Person identifizierbar sein werden" (Ausschnitt aus dem Anschreiben). [21]

In unserem Projekt hatte diese Entscheidung erhebliche forschungspraktische Bedeutung, da sich NachwuchswissenschaftlerInnen häufig in komplizierten, ihre weitere Karriere beeinflussenden Abhängigkeitsverhältnissen befinden. Die Teilnahmebereitschaft und die Offenheit im Interview hängen unter diesen Bedingungen von der glaubhaften Zusicherung der Anonymität ab. Während der Datenerhebung zeigte sich, wie wichtig die von uns zugesagte Anonymität den befragten NachwuchswissenschaftlerInnen war. Immer wieder kam es während des Interviews zu Rückversicherungen wie: "Also, das ist ja alles anonym, dann kann ich das vielleicht sagen"; "... ist ja anonym alles, ne?"; "Das wird ja wirklich anonymisiert, okay?"; "Aber es ist dann auch anonymisiert?" Eine Weitergabe der Daten in nichtanonymisierter Form schlossen wir angesichts dieser Erfahrungen aus. [22]

Zu einem späteren Zeitpunkt haben wir diese Entscheidung auch mit MitarbeiterInnen des Datenzentrums Qualiservice in Bremen diskutiert. Eine andere, von Qualiservice vorgeschlagene Option wäre gewesen, die Interviews nicht zu anonymisieren, im Datenarchiv statt der Interviewtranskripte lediglich Informationen über unsere Studie zu hinterlegen und bei Ad-hoc-Anfragen von interessierten NutzerInnen in nicht anonymisierter Form weiterzugeben. Wir haben uns aus drei Gründen gegen diese Variante entschieden. Erstens hätten wir unsere 80 InterviewpartnerInnen für jede Anfrage neu ausfindig machen müssen, denn NachwuchswissenschaftlerInnen sind sehr mobil. Zweitens hätten wir sie anschreiben müssen, um dem Prinzip der informierten Einwilligung zu genügen. Beides wäre – angesichts der großen Zahl von Interviews – mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Der dritte und ausschlaggebende Grund war aber, dass die Folgen für die zukünftige Teilnahmebereitschaft an sozialwissenschaftlichen Studien ungeklärt sind (LIEBIG et al. 2014, S.13), wenn, wer einmal zugesagt hat, immer wieder mit Anfragen zur Nachnutzung behelligt wird. Als weitere Schwierigkeit kam im konkreten Fall hinzu, dass eine Nichtweitergabe der Daten dem Auftrag des BMBF widersprochen hätte. Deshalb blieb als Lösung nur die Archivierung von anonymisierten Interviewtranskripten. Die Aufnahme von qualitativen Daten in anonymisierter Form entspricht zudem der gängigen Praxis in Archiven (z.B. FSD o.J.; QUALISERVICE o.J.; VAN DEN EYNDEN, CORTI, WOOLLARD, BISHOP & HORTON 2011, S.25). [23]

3.3 Datenarchivierung und das Prinzip der informierten Einwilligung

Als Nächstes mussten wir entscheiden, wie wir für die Archivierung der Interviewtranskripte die Zustimmung der InterviewpartnerInnen einholen. LIEBIG et al. (2014, S.20) haben eine Mustereinwilligungserklärung mit folgendem Wortlaut erarbeitet:

"Ihre Interviewdaten (Originaltext des Interviews und veränderte Version) werden an [einsetzen: konkretes Datenservicezentrum] zur Archivierung und weiteren wissenschaftlichen Nutzung übermittelt. Dort wird die Vollständigkeit der Anonymisierung der Interviews geprüft. Falls erforderlich, wird das [einsetzen: konkretes Datenservicezentrum] zusätzliche Maßnahmen zur Anonymisierung vornehmen. Der Originaltext des Interviews wird nach den genannten Maßnahmen gelöscht.

Das Datenservicezentrum stellt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die anonymisierten Interviewdaten für ausschließlich wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung." [24]

Bezüglich des Forschungszweckes wird lediglich gesagt, dass die Daten für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt werden sollen, da über den konkreten Forschungszweck keine Aussagen gemacht werden können. Damit entstand für uns ein grundsätzliches Problem: Reichen die in der Mustereinwilligungserklärung gegebenen Informationen aus, um dem Prinzip der informierten Einwilligung Genüge zu tun? Wir haben diese Frage und die Frage, ob wir nichtanonymisierte Interviews zur Prüfung an das Datenarchiv weitergeben dürfen, an die Datenschutzbeauftragte der Technischen Universität Berlin und an die Ethik-Kommission der DGS gestellt. [25]

Nach Aussage der Datenschutzbeauftragten ist die Weitergabe auch nicht anonymisierter Daten gestattet, wenn die Befragten dem zustimmen. Die erforderliche Information besteht in einer Beschreibung des Umgangs mit den Daten und der Sicherungsmaßnahmen. Das forschungsethische Problem ist komplizierter. Laut Ethik-Kodex der DGS besagt das Prinzip der informierten Einwilligung: "Generell gilt für die Beteiligung an sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, dass diese freiwillig ist und auf der Grundlage einer möglichst ausführlichen Information über Ziele und Methoden des entsprechenden Forschungsvorhabens erfolgt" (DGS & BDS 2017, §2[3]). [26]

Zu Beginn des Projektes hatten Jochen GLÄSER und Grit LAUDEL eine entsprechende Anfrage an die Ethik-Kommission der DGS gestellt:

"Wir erwarten von den Untersuchten, dass sie der Weitergabe ihrer Daten an ihnen unbekannte Dritte zustimmen, ohne zu wissen, wofür sie verwendet werden. Dass die Untersuchten ja ablehnen können, ist kein Argument, da man ja dann das Prinzip der informierten Einwilligung überhaupt nicht brauchte. [...] Wir würden gern wissen, ob die Ethikkommission der Ansicht ist, dass die beiliegende Mustererklärung das Prinzip der informierten Einwilligung ausreichend erfüllt" (Anfrage vom 11. Juli 2014). [27]

Die Ethik-Kommission schlug vor, die Einwilligungserklärung hinsichtlich des Prinzips der informierten Einwilligung zu explizieren:

"... Das Datenservicezentrum stellt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die anonymisierten Interviewdaten für ausschließlich wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung. Für solche Anwendungen können wir weder genaue Zielsetzung noch eingesetzte Methoden angeben. Allerdings ist zugesichert, dass die Daten ausschließlich für wissenschaftliche Forschungsvorhaben zu verwandten Themen benutzt werden und dass sich die Forscher/innen auch bei den folgenden Untersuchungen an den Ethik-Kodex halten werden" (Antwortschreiben der Ethik-Kommission vom 7. Februar 2015) [28]

Diese Auslegung des Prinzips der informierten Einwilligung ist überraschend. Die von der Ethikkommission vorgeschlagene Passage entspricht formal dem Ethik-Kodex, dass die Information so ausführlich wie möglich erfolgt. Es kann eben im Falle einer Archivierung nicht gesagt werden, wofür die Daten später verwendet werden. Entspricht sie aber auch dem Geist des Prinzips der informierten Einwilligung? Die dahinter liegende Idee ist doch, dass die TeilnehmerInnen an sozialwissenschaftlichen Untersuchungen entscheiden können, für welche Forschungszwecke sie Informationen zur Verfügung stellen. Diese Möglichkeit wird ihnen bei einer Pauschalvereinbarung genommen. [29]

In der Literatur wird dieser Widerspruch häufig ignoriert (so bspw. bei CORTI 2011, § 29; GEBEL et al. 2015, §20; MEDJEDOVIĆ & WITZEL 2010, S.70, 75). Andere AutorInnen erwähnen beiläufig, dass archivierende ForscherInnen unsicher waren, "whether consent for archiving was informed where the specifics of re-use were unknowable" (NEALE & BISHOP 2012, S.62). Nur selten wird der Widerspruch zwischen der dem Prinzip der informierten Einwilligung unterliegenden Intention und dem im Falle der Datenarchivierung unausweichlichen Informationsdefizit explizit als solcher genannt (PARRY & MAUTHNER 2004, S.146-147; SCHAAR 2017, S.18-19; VON UNGER 2018, S.690). Archivierung bedeutet, dass qualitative Daten für multiple, zum Zeitpunkt der Archivierung noch nicht bekannte Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Der Versuch, dieses Problem mit einem broad consent – der Einwilligung zur Nachnutzung für bestimmte Bereiche der Forschung – zu lösen, ist umstritten (SCHAAR 2017, S.18-19). Problematisch sei außerdem, so PARRY und MAUTHNER (2004, S.146), dass die Unbestimmtheit qualitativer Untersuchungen häufig einen prozesshaften Umgang mit der informierten Einwilligung erfordert, was im Falle einer Archivierung nicht geleistet werden kann. [30]

3.4 Einholen der Einwilligung der Befragten zur Datenarchivierung

Im nächsten Schritt war zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt wir die Befragten um ihre Zustimmung zur Datenweitergabe bitten. LIEBIG et al. (2014, S.13) empfehlen:

"Die Einwilligungserklärung zur Übermittlung und Nutzung der Primärdaten zur Archivierung und für wissenschaftliche Zwecke nach Projektende sollte erst nach Beendigung des Interviews besprochen werden, um den Umfang der Information zu Beginn des Interviews zu verringern und eine fundierte Entscheidung der Befragten auf der Basis des Wissens um die im Interview gegebenen Informationen zu ermöglichen." [31]

Weiterhin weisen sie darauf hin, dass die forschungspraktischen und methodischen Aspekte (Einfluss auf Teilnahmebereitschaft und auf Forschungsinhalte) bisher nicht geklärt sind. Wir haben deshalb die Einwilligung zur Datenweitergabe von der Einwilligung zum Interview separiert und die Interviewten erst nach Projektende (statt unmittelbar nach dem Interview) kontaktiert, um absolut sicher zu sein, dass die Primärerhebung nicht mehr beeinflusst werden konnte. Das war vor allem deshalb wichtig, weil es gelegentlich erforderlich war, die Interviewten auch nach dem Interview mit Nachfragen zu kontaktieren. [32]

Die Kontaktaufnahme nach Projektende hatte außerdem den Vorteil, dass wir die Anfrage zur Weitergabe des Interviews damit verbinden konnten, den Befragten gleichzeitig unsere Projektergebnisse zuzuschicken. Da unser Projektbericht viele Interviewzitate enthielt, konnten die TeilnehmerInnen eine Vorstellung gewinnen, was Anonymisierung – zumindest von einzelnen Textpassagen – bedeutet. Sie hatte den Nachteil, dass mögliche Fragen zur Datenweitergabe nicht in einem persönlichen Gespräch geklärt werden konnten. [33]

Wir haben die Befragten per E-Mail angeschrieben und ihnen eine Einwilligungserklärung übersandt (siehe Anhang 2). Die nachträgliche Anfrage zur Datenweitergabe stellte uns vor ein Dilemma, da wir ja nun nach der Zustimmung für etwas fragten, was wir zuvor in unserer Anfrage zur Einwilligung in ein Interview ausgeschlossen hatten: Die Bereitschaft zum Interview bezog sich auf eine Untersuchung mit einem spezifizierten Forschungszweck. Wir haben deshalb in unserem Anschreiben deutlich gemacht, dass wir mit der Anfrage zur Archivierung einer Vorgabe des Förderers folgen. Wir haben auch erklärt, dass unsere Anonymisierung zur Unbrauchbarkeit der Interviews würde führen können. Für diese Aussage hatten wir drei Gründe. Erstens waren wir aufgrund bisheriger Erfahrungen mit der Auswahl von Interviewzitaten für Publikationen ziemlich sicher, dass dies tatsächlich der Fall ist. In unseren Veröffentlichungen versuchen wir stets, die Analyseergebnisse mit Zitaten zu belegen (siehe z.B. LAUDEL & BIELICK 2018). Die Suche nach geeigneten Zitaten ist ein langwieriger und oft erfolgloser Prozess, weil die notwendige Anonymisierung die meisten relevanten Interviewpassagen unverständlich und damit unbrauchbar macht. Häufig können wir Verständlichkeit nur durch eine begrenzte Anonymisierung herstellen, die aber ihrerseits nur möglich ist, weil das Zitat vom Rest des Interviews getrennt ist.5) Zweitens hielten wir es für wichtig, den Interviewten zu verstehen zu geben, dass uns bewusst ist, wie weit sich die Anonymisierung auf die Beschreibung ihrer Forschungsinhalte erstrecken muss. Drittens schließlich wäre es einfach unehrlich, die Interviewten in dem Glauben zu lassen, dass ihre Einwilligung und die dadurch ausgelöste Anonymisierung eine Archivierung und Nachnutzung der Interviews ermöglichen würden. Wir fühlten uns im Rahmen der informierten Einwilligung verpflichtet, auf die Probleme hinzuweisen. [34]

Wir können nicht ausschließen, dass wir mit unserem Anschreiben die Interviewten beeinflusst haben, sich gegen eine Datenweitergabe zu entscheiden.6) Es war aber aufgrund der spezifischen forschungsethischen Probleme in diesem Fall nicht vermeidbar. In dem Anschreiben haben wir darüber hinaus die Übergabe der Interviewtranskripte an das Datenzentrum Qualiservice in Bremen sowohl im Original (das später vernichtet wird) als auch in anonymisierter Form angekündigt. Für den Fall des Einverständnisses hätten wir den Interviewten eine Einverständniserklärung zur Unterschrift zugesandt. Damit entstand eine "Opt-in"-Situation: Interviewte, die auf unsere E-Mail nicht reagierten, gaben kein Einverständnis. [35]

Für die schriftliche Kontaktierung der Befragten nach Abschluss der Erhebung mussten deren E-Mail-Adressen überprüft und die E-Mails verfasst werden. Ein Physiker und zwei BiologInnen waren nicht mehr auffindbar. Einen Historiker, der eine ungewöhnliche Karriere hatte, haben wir nicht um die Einwilligung zur Datennachnutzung gebeten, da seine spezielle Situation eine Anonymisierung von vornherein unmöglich gemacht hätte. [36]

Von den übrigen 76 interviewten NachwuchswissenschaftlerInnen haben insgesamt 31 reagiert, wobei die HistorikerInnen wesentlich antwortfreudiger waren als die NaturwissenschaftlerInnen. Die insgesamt geringe Rücklaufquote kann zwei Ursachen haben. Erstens gehen unserer Erfahrung nach solche E-Mails häufig im Alltagsgeschäft unter (werden übersehen oder vergessen, landen im SPAM-Filter usw.). Zweitens können InterviewpartnerInnen deshalb nicht geantwortet haben, weil sie mit der Datenweitergabe nicht einverstanden waren und darauf vertrauten, dass sie nicht erfolgt, wenn sie nichts tun. Wir hätten Erinnerungsschreiben senden können. Damit geraten wir aber in die bereits erwähnte Situation, dass wir unser Feld nach erfolgter Untersuchung wiederholt belasten. Am Ende haben wir auch deshalb keine Erinnerungsschreiben versandt, weil sich zu diesem Zeitpunkt bereits herausgestellt hatte, dass wir die Daten zu Archivierungszwecken nicht würden weitergeben können. [37]

Die Reaktionen der Befragten auf unsere Projektergebnisse waren durchgängig sehr positiv: Sie fanden diese interessant und konsistent mit ihren Erfahrungen. Offensichtlich hatten sie das Gefühl, mit ihrer Teilnahme an einem sozialwissenschaftlichen Interview einer guten Sache gedient zu haben. In dieser Hinsicht gab es durchaus gute Voraussetzungen, die Befragten für eine Weitergabe der Interviewtranskripte zu motivieren. [38]

Hinsichtlich der Datenweitergabe waren die Reaktionen dennoch heterogen (siehe Tabelle 1): während die NaturwissenschaftlerInnen einer Datenweitergabe in den meisten Fällen zustimmten, hat etwa die Hälfte der antwortenden HistorikerInnen eine Datenweitergabe ihres anonymisierten Interviews abgelehnt. Weitere drei Historiker sowie eine Biologin machten ihre Entscheidung von der Einsicht des Interviewtranskripts abhängig, das wir ihnen deshalb zugeschickt haben. Diese fachspezifischen Unterschiede sind interessant, können aber von uns nicht aufgeklärt werden, da wir unsere InterviewpartnerInnen nicht nach Gründen für ihre Entscheidung befragt haben. Dass die HistorikerInnen, die geantwortet haben, eine Archivierung eher ablehnten als die NaturwissenschaftlerInnen lässt lediglich vermuten, dass erstere als den Sozialwissenschaften verwandtere Disziplin eine bessere Vorstellung über die Nutzung der Daten hatten, also ihre Entscheidung informierter trafen.

 

AMO-PhysikerInnen

PflanzenbiologInnen

Frühe-Neuzeit-HistorikerInnen

Zahl der geführten Interviews

30

27

23

Zahl der zur Datenweitergabe kontaktierten Befragten

29

25

22

Befragte, die geantwortet haben

9

7

15

Datenweitergabe zugestimmt

8

5

4

Datenweitergabe abgelehnt

1

1

7

Entscheidung zur Datenweitergabe nach Einsicht des Transkripts

0

1

4

Tabelle 1: Übersicht über die Reaktionen der Befragten zur Datenweitergabe [39]

Häufig gab es kommentarlose Zustimmungen oder Ablehnungen wie die folgenden:

"Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mein Interview weitergeben, sodass die Daten anonymisiert genutzt werden können" (Physiker).

"Mit der Weiterleitung der Interview-Datensätze bin ich einverstanden" (Historiker).

"Ehrlich gesagt möchte ich in der Tat nicht, dass das Transkript des Interviews an Dritte weitergegeben wird" (Historikerin).

"Hinsichtlich der Vertraulichkeit der Daten wäre es mir jedoch lieber, wenn diese – auch in anonymisierter Form – nicht an Dritte weitergeleitet werden" (Biologe). [40]

Unsere Aussagen zum Umfang der Anonymisierung haben anscheinend unterschiedliche Wirkungen erzielt. Einerseits vertrauten Interviewte auf unsere Anonymisierung: "Sie können gerne meine Daten für wissenschaftliche Zwecke weiterleiten. Ich denke die Anonymität wird gewährleistet sein" (Biologe). Es gab unter den Antwortenden aber auch zwei, die trotz unserer Versicherungen eine Deanonymisierung befürchteten und die Datenweitergabe daher ablehnten. Auf unseren Hinweis bezüglich der möglichen Folgen für die Nutzbarkeit der Interviews gingen einige Interviewte zwar ein, stimmten jedoch einer Archivierung trotzdem zu:

"Anbei finden Sie auch meine Einwilligung, dass mein Interview anderen Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden kann, wenngleich ich Ihre Einschätzung teile, dass durch die Anonymisierung die Aussagekraft des Interviews stark herabgesetzt wird" (Physiker).

"Ich gebe Ihnen auch vollständig Recht, dass das Material, wenn es ausreichend anonymisiert ist höchstwahrscheinlich nutzlos wird. [...] Auf der anderen Seite, bin ich auch der Meinung, dass Wissenschaftler immer die breiteste Datenbasis haben sollten, die möglich ist. Vor dem Hintergrund würde ich mich bereit erklären, die Einverständniserklärung zu unterschreiben" (Physikerin). [41]

Andere sahen die Weitergabe angesichts der Folgen der Anonymisierung als sinnlos an und lehnten eine Archivierung ab:

"Ich sehe nicht wirklich den Sinn, dass das Interview verfügbar gemacht wird, wenn alle Informationen zur Themafindung und zu Karrierewegen gelöscht werden – das heißt alle Informationen, die Gegenstand der Studie waren. Deshalb stimme ich der Weitergabe des Interviews nach Bremen nicht zu" (Historiker).

"Die fast komplette Anonymisierung macht wirklich die Daten kaum mehr nutzbar, da haben Sie sicher Recht. Darum will ich Ihnen nicht noch mehr Arbeit machen und unterzeichne die Einwilligungserklärung nicht" (Historikerin). [42]

3.5 Anonymisierung der Interviews

Die Interviewtranskripte waren bereits formal anonymisiert, da Namen und Adressen der Befragten unmittelbar nach der Erhebung von den Interviews getrennt aufbewahrt und die Dateinamen und Überschriften der Interviews mit Codes versehen worden waren. Als personenbeziehbare Daten im Sinne des Datenschutzgesetzes enthielten unsere Interviewtranskripte:

All diese Informationen hätten einzeln oder in ihrer Kombination zu einer Deanonymisierung geführt. Die ersten drei Kategorien von Daten sind solche, die in ähnlicher Form auch in Interviews aus anderen sozialen Bereichen auftauchen und für deren Anonymisierung viele positive Erfahrungen vorliegen (HADFIELD 2010; KRETZER 2013a). Wir haben an mehreren Interviews getestet, wie gut sich unsere Interviews anonymisieren lassen. Personen-, Zeit- und Ortsangaben ließen sich faktisch anonymisieren, indem wir einzelne Wörter oder Wortgruppen ersetzt haben. Wann immer möglich, haben wir die Daten pseudonymisiert. Pseudonymisierung heißt, dass wir Informationen in sozialwissenschaftlich relevante abstrakte Begriffe übersetzt haben, um Bezüge im Text aufrechtzuerhalten (KRETZER 2013a, S.5). Zum Beispiel haben wir "Hamburg" in "[Ort1]", "Universität Wien" in "[Universität1 im Ausland]" umgewandelt. Jahreszahlen wurden anonymisiert (unkenntlich gemacht), z.B. 2011 als "2XXX" dargestellt.7) [44]

Diese Strategie der Pseudonymisierung stieß auf Schwierigkeiten, als es um die Anonymisierung von Daten der vierten Kategorie – von Forschungsinhalten – ging. Hier muss man sich noch einmal vergegenwärtigen, um welche Gruppe von Befragten es sich handelt, nämlich um NachwuchswissenschaftlerInnen in spezifischen Fachgebieten, in der AMO-Physik, im Fachgebiet Geschichte der Frühen Neuzeit und in der Pflanzenbiologie. Insbesondere die AMO-Physik und das Gebiet der Geschichte der Frühen Neuzeit sind in Deutschland klein. Die Fachgebiete enthalten viele Kontextinformationen für einige wichtige Argumente unserer Studie. Sie können daher in unseren Publikationen nicht pseudonymisiert werden. Besonders für die kleinen Fachgebiete folgt daraus, dass bereits wenige Details der bearbeiteten Forschungsprojekte eine Person identifizierbar machte. [45]

Um uns einen Überblick darüber zu verschaffen, wie hoch der Anteil veränderter Textstellen in einem Interview sein würde, haben wir einen ersten Test durchgeführt: Bei vier zufällig ausgewählten Interviews aus allen drei Disziplinen haben wir untersucht, in wie vielen Zeilen pro Interview Anonymisierungen vorgenommen werden müssten (siehe Tabelle 2). Dieser Anteil betrug 20-30%. Daraus konnten wir schließen, dass erstens der Arbeitsaufwand für die Anonymisierung beträchtlich sein würde und dass zweitens bis zu einem Drittel des Interviewtranskripts würde verändert werden müssen. Letzteres würde die Nachnutzbarkeit stark beeinflussen.

Interview

Zeilen insgesamt

Zeilen Anonymisiert

Anonymisierung in %

Biologie (Fall 10)

541

138

25,5

Geschichte (Fall 13)

1.064

329

30,9

Physik (Fall 12)

960

192

20,0

Physik (Fall 9)

734

209

28,5

Tabelle 2: Anteil zu anonymisierender Interviewzeilen [46]

Der zweite Test bestand darin, tatsächlich ein Interview zu anonymisieren. Diese Anonymisierung eines Interviews mit einem AMO-Physiker hat Grit LAUDEL durchgeführt. Wann immer das möglich war, wurde eine Pseudonymisierung vorgenommen. Tabelle 3 enthält einige Beispiele.

Forschungsdetail (Originalinterview)

Forschungsdetail pseudonymisiert

Methode der ultrakalten Quantengase

[Methode1]

hochauflösendes Mikroskop

[Gerät1]

Interferometer

[Gerät2]

Bose-Einstein-Kondensat

[Objekt1]

Rubidium

[Objekt2]

kontinuierliche Systeme

[Objekt3]

Rydberg

[Objekt4]

Leitfähigkeit

[Effekt1]

die räumliche Verteilung

[Effekt2]

Verschränkung

[Zustand1]

die Wechselwirkungsstärke tunen

[Zustand2 herstellen]

Vakuum

[Zustand3]

Tabelle 3: Code-Liste der Pseudonymisierung von Forschungsdetails (Auszug) [47]

In 15 Fällen war eine Pseudonymisierung nicht möglich, das heißt ganze Sätze und Absätze mussten gelöscht werden. Dabei handelte es sich zum einen um Forschungsdetails, die sich nur schwer abstrahieren ließen. Zum anderen betraf es Aussagen über Forschungsbedingungen, die einzigartig waren und deshalb nicht anonymisiert werden konnten. Selbst wenn eine Pseudonymisierung gelang, wurden Absätze oft unbrauchbar, weil so viel ersetzt werden musste, dass sie nicht mehr sinnvoll interpretiert werden konnten, wie im folgenden Beispiel:

Frage: Und ich würde gerne mit der Doktorarbeit beginnen, die hat ja den Titel [Titel der Dissertation]. Und es ging anscheinend, wenn ich das richtig verstanden habe, um Methodenentwicklung für eben [Methode1], um ...

Antwort: Um proof of principle, sagen wir mal so.

Frage: Proof of principle.

Es ist nicht wirklich eine Methode, die jetzt irgendwie direkt benutzbar ist um, sagen wir mal, die State of the Art-[Gerät1], zum Beispiel zur [Variable1]messung, direkt zu verbessern, weil man dann in andere Limits läuft. Also wir haben ja in einem Limit von kleiner [Objekt1]zahl gezeigt, dass man da die Wechselwirkung, die eigentlich immer als schlecht gesehen werden, doch benutzen kann, um das [Gerät1] am Limit von [Objekt1]zahl doch besser zu machen. Und in der Praxis ist es so, dass viele [Gerät1], also sagen wir mal die genauesten, einfach sehr viel mehr [Objekt1] benutzen und dann doch wieder besser sind als wir. Aber der Punkt ist, die Denkweise ist, man hat eine Limitierung in der Anzahl der Ressourcen, Anzahl der [Objekt2]e, Anzahl der [Objekt1] und dann kann man [Zustand5]e Effekte ... Also eigentlich geht es darum, und das ist auch der zusammenhängende Teil von fast allem hier, [Objekt4]effekte, also [Zustand5]e [Objekt3]effekte zu kontrollieren und zu verwenden, um was Nützliches sozusagen zu machen." [48]

Mit dieser Eingangsfrage des Interviews sollte erfasst werden, wie sich die Forschungen der Interviewten seit Karrierebeginn entwickelt hatten. Da die Antwort des Interviewpartners in anonymisierter Form völlig unverständlich ist, können alle nachfolgenden Fragen zu Veränderungen und Wechsel in Forschungsthemen auch nicht mehr interpretiert werden. Wir können uns keine wissenschaftssoziologische Untersuchung vorstellen, für die eine solche Interviewpassage genutzt werden könnte. Angesichts der Veränderungen der Semantik und Pragmatik der Sprache durch die Anonymisierung ist auch schwer vorstellbar, dass so anonymisierte Interviews für irgendeinen anderen Zweck taugen – eine Einschätzung, die vom Datenarchiv bestätigt wurde. [49]

Von den 11.830 Wörtern des Test-Interviews wurden 430 Wörter durch 112 Codes (Pseudonyme) ersetzt und 1.070 Wörter gelöscht. Insgesamt wurden damit 13% des Originaltextes des Interviewtranskripts verändert. Absätze, die durch die starke Anonymisierung ihres Inhalts beraubt wurden (wie im oben zitierten Beispiel), machten 34% des Originaltextes aus. [50]

Der Aufwand für die Anonymisierung des 82-minütigen Interviews betrug sieben Stunden. Der Grund dafür war, dass sehr viele komplexe Entscheidungen getroffen werden mussten. Software-Tools, die die Anonymisierung unterstützen könnten (KRETZER 2013b, S.104), hätten den Aufwand daher kaum verringert. Es musste in starkem Maße Kontextwissen über das jeweilige Fachgebiet herangezogen werden, um zu entscheiden, welche Sachverhalte so spezifisch sind, dass sie die Identität einer Person preisgeben würden. Solches Kontextwissen betraf die Dauer des Aufbaus von physikalischen Experimenten – eine Aussage wie "der Aufbau dauerte fünf Jahre" hätte eine Person identifizieren können. Dagegen gibt die Aussage, dass man mit der Pflanze Arabidopsis gearbeitet hat, die Identität nicht preis, da es sich um einen von sehr vielen PflanzenbiologInnen genutzten Modellorganismus handelt. Aufgrund dieses Kontextwissens ist die Anonymisierung keine Routinetätigkeit, die studentischen Hilfskräften übertragen werden könnte. Die Anonymisierenden müssten überdies in der Lage sein, Forschungsinhalte abstrakt zu beschreiben (was ein Forschungsobjekt, ein Effekt, ein Zustand ist, etc.), was entweder gar nicht oder nur nach langer Einarbeitungszeit möglich wäre. Hätten alle Interviewten der Archivierung zugestimmt, wären deshalb mehr als drei Personenmonate einer Wissenschaftlerin/eines Wissenschaftlers erforderlich gewesen, um die Interviewtranskripte zu anonymisieren. [51]

3.6 Kontextinformationen

Für eine Archivierung müssen detaillierte Kontextinformationen zusammengestellt werden. Sie umfassen ausführliche Beschreibungen des Konzepts der Studie (Ziele, theoretischer Bezugsrahmen, Begriffsdefinitionen, Überlegungen zum Forschungsdesign), des Samplings, der Datenerhebung, der Auswertungsprozesse, des Datenschutzes und der Datensicherheit (KRETZER 2013b, S.105-107). Den Zeitaufwand dafür haben wir nicht getestet, da die Entscheidung gegen eine Archivierung bereits gefallen war. [52]

Neben den in die Primäruntersuchung einfließenden, nur partiell aufgezeichneten "weichen" Kontextinformationen wie den Eindrücken vom Arbeitsort der Interviewten, Beobachtungen bei uns angebotenen Führungen durch die Labors usw. haben wir zu jedem Interview Dokumente gesammelt. Dazu gehörten

Diese Dokumente können nicht anonymisiert und deshalb nicht mit den Interviews an das Datenarchiv übergeben werden. Internetseiten und Publikationen sind zwar im Prinzip öffentlich zugänglich, aber durch sie würden unsere InterviewpartnerInnen natürlich identifizierbar sein. Wir haben alle vier genannten Quellen für die Auswertung herangezogen. NutzerInnen unserer archivierten Interviewdaten wären dieser Möglichkeit beraubt. Insbesondere das Fehlen der bibliometrischen Rekonstruktion von Forschungsbiografien würde den ersten Teil des Interviews, das aus einer Diskussion über diese Grafik bestand, erheblich entwerten. [54]

3.7 Nachnutzbarkeit der Interviews

Angesichts des enormen Aufwands und der starken Veränderung der Transkripte nach ihrer Anonymisierung, stellte sich die Frage, ob wir weitere Anonymisierungen vornehmen sollten. Wir haben deshalb an das Datenzentrum Qualiservice das anonymisierte Testinterview geschickt mit der Frage: "Für welche sozialwissenschaftlichen Fragestellungen eignen sich solche anonymisierten Interviews?" Zusätzlich fragten wir, ob wir die Anonymisierung der Interviews fortsetzen sollten. Die Antwort war, dass derart anonymisierte Interviews für keine sozialwissenschaftliche Fragestellung als Datenmaterial geeignet wären. Damit beendeten wir den vom Geldgeber forcierten Versuch, unsere Daten für eine Nachnutzung an ein zentrales Datenarchiv in anonymisierter Form zu übergeben. [55]

Wir können nicht alle theoretisch möglichen Nachnutzungen antizipieren. Unabhängig von der sozialwissenschaftlichen Aufgabenstellung wären im Falle einer Nachnutzung immer eine Interpretation der Daten und Kontextinformationen erforderlich. Für unsere Studie wäre der Informationsgehalt der Interviews durch die beschriebene Anonymisierung drastisch reduziert worden, und die strukturbibliometrischen Daten, Publikationslisten und Publikationen der Interviewten, Projektanträge sowie weiter nicht anonymisierbare Forschungsinformationen ständen nicht zur Verfügung. [56]

Offensichtlich sind solche wissenschaftssoziologischen Interviews und Kontextinformationen nur in nicht anonymisierter Form nachnutzbar. Eine Form der Nachnutzung ist die durch die Forschenden der Primärstudie selbst (HEATON 2008, S.35-36). Für unsere in diesem Beitrag beschriebene empirische Studie konnten wir sechs Interviews aus zwei vorangegangenen Untersuchungen (LAUDEL 2017; LAUDEL & GLÄSER 2014) nachnutzen, d.h., einer Sekundäranalyse unterziehen. Auch für die Nachnutzung durch die PrimärforscherInnen ist dem Ethik-Kodex der DGS zufolge die informierte Einwilligung der Interviewten erforderlich (DGS & BDS 2017). Da die Forschungsfragen sich in unserem Fall jeweils auf den Zusammenhang von institutionellen Bedingungen und die Entwicklung der Forschungsinhalte in den Karrieren des wissenschaftlichen Nachwuchses bezogen, thematisch also sehr nahe beieinander lagen, entsprach der Untersuchungszweck dem in der ursprünglichen Anfrage angegebenen. Wir entschieden, dass keine weitere Einwilligung notwendig ist. Dass dennoch nur sechs Interviews brauchbar waren, verweist auf das Problem des data fit (HAMMERSLEY 2010), dass nämlich qualitative Interviews auf einen bestimmten Untersuchungszweck zugeschnitten werden und damit für andere Untersuchungszwecke weniger oder gar nicht geeignet sind. [57]

Für einige Interviews gab es zudem eine zweite Form der informellen Nachnutzung nicht anonymisierter Interviews durch eine unserer DoktorandInnen. Grit LAUDEL hat dazu die InterviewpartnerInnen kontaktiert, sie über die Forschungsfrage der Doktorandin informiert und um Nachnutzung des Interviews gebeten. Alle zehn angeschriebenen InterviewpartnerInnen haben der Nachnutzung zugestimmt. Die Zustimmung wurde sicher dadurch erleichtert, dass die Datenerhebung zehn Jahre zurücklag und sich keiner der Interviewten mehr in prekären Beschäftigungsverhältnissen befand. [58]

4. Diskussion

Die Entscheidung, dass qualitative Daten für eine Nachnutzung zur Verfügung gestellt werden sollen, wurde in unserem Fall nicht von uns als Primärforscherinnen, sondern vom Forschungsförderer getroffen. Sie beruhte auf der Annahme, dass eine Archivierung qualitativer Daten unter allen Umständen möglich und sinnvoll ist. Diese Annahme wird weder durch den Stand der Forschung zur Datenarchivierung noch durch die Erkenntnisse aus der Forschungspraxis gedeckt. In einer gemeinsamen Resolution fordern die SEKTIONEN BIOGRAPHIEFORSCHUNG & METHODEN DER QUALITATIVEN SOZIALFORSCHUNG der DGS, dass die Überlassung von Datensätzen an ein Datenarchiv freiwillig erfolgen muss (2014, Punkt 1). Die Argumentation, dass "im Bereich der qualitativen Sozialforschung grundsätzlich eine Kultur der Datenbereitstellung" (RatSWD 2015, S.453) gefördert werden müsse, wie sie in der quantitativen Forschung bereits existiere, mag richtig sein. Dass der Zwang zur Datenbereitstellung unabhängig von den konkreten Forschungsinhalten zur Förderung einer solchen Kultur beiträgt, bezweifeln wir. [59]

Die Forderung nach Autorität der Forschenden über die Weitergabe ihrer Daten hat sehr viel damit zu tun, dass diese es am Ende sind, die die Verantwortung für die Einhaltung des Datenschutzes, die Befolgung ethischer Grundsätze und die Aufrechterhaltung der Teilnahmebereitschaft des Feldes tragen. Es überrascht uns nicht, dass es – trotz der Verpflichtung durch den Research Council – eine generelle Zurückhaltung von britischen ForscherInnen gibt, ihre Daten zu archivieren (SLAVNIC 2013, §21). Eine ähnliche Zurückhaltung zeigte sich auch bei Befragungen von schwedischen WissenschaftlerInnen (§26). [60]

In unserem Fall hat der Zwang dazu geführt, dass unser Wissen über die Besonderheiten unserer Daten bei der Entscheidung über deren Archivierung nicht berücksichtigt wurde. Wir hatten wissenschaftssoziologische Interviews über die Forschungsinhalte geplant und wussten bereits vor Beginn der Untersuchung, dass die soziologisch wichtigen Informationen in den Interviews zugleich die waren, die die Identifizierung der Interviewten gestatten würden (GLÄSER 1999, S.37-40). Dieses Problem beschränkt sich nicht auf die Wissenschaftssoziologie, sondern ist in anderen soziologischen Forschungsgebieten ebenfalls anzutreffen, z.B. in der Biografieforschung, wenn Personenmerkmale unverzichtbar sind für die Analyse (z.B. VON UNGER 2018) oder in der Organisationsforschung, wenn die Leistungsprozesse der Organisation herangezogen werden müssen (z.B. McKEE, MAUTHNER, & MACLEAN 2000; PARRY & MAUTHNER 2004, S.144). [61]

Die soziologische Relevanz personenbeziehbarer Daten führte in unserem Projekt dazu, dass die Interviewtranskripte nur unter extrem hohem Aufwand hätten anonymisiert werden können; einige Passagen hätten gelöscht werden müssen. Das so veränderte Textmaterial wäre für soziologische Nachnutzungen unbrauchbar geworden. Auch dieses Problem ist anscheinend verbreitet. So war für die "Timescapes"-Studien eine vollständige Anonymisierung des qualitativen Datenmaterials nicht immer möglich, weshalb Zugangskontrollen durch die PrimärforscherInnen eingeführt und zeitliche Embargos verhängt wurden (HADFIELD 2010, S.67-68; NEALE & BISHOP 2012, S.62-63). SAUNDERS et al. (2015) haben 20 Interviews in einer sehr kleinen Population, mit Angehörigen von PatientInnen mit schweren Hirnverletzungen, anonymisiert, um sie innerhalb ihrer Forschungsgruppe gemeinsam nutzen zu können. Diesen Prozess beschreiben sie als "extremely time-consuming" und stellen fest: "it also became increasingly apparent how much would be lost if we created maximum protection for our participants and how difficult it would be to make full transcripts completely anonymous for use by other researchers in an academic archive" (S.628). [62]

Der Aufwand für die Aufbereitung von Daten wird in Drittmittelprojekten bislang nicht bilanziert. Eine Aufnahme von etwa drei zusätzlichen Personenmonaten in ein Projekt ist auch riskant, da entweder die erwarteten Projektlaufzeiten überschritten würden oder die inhaltliche Projektbearbeitung verkürzt werden müsste. Außerdem sind solche Arbeiten nicht immer mit den Karrierebedingungen von ForscherInnen auf befristeten Stellen vereinbar. [63]

Das Problem der soziologischen Unverzichtbarkeit personenbeziehbarer Daten tritt nicht oder in sehr viel geringerem Maße auf, wenn allgemeine, in der Gesellschaft weit verbreitete Rollen der Interviewten untersucht werden, die durch viele Personen ausgeübt werden können (WILES, CROW, HEATH & CHARLES 2008, S.423), z.B. "Mutterschaft", "Vaterschaft" im Kontext von "Timescapes" (COLTART et al. 2013, §16-18) oder "LehrlingsausbilderIn" (MARIAK & KLUGE 1998). Solche allgemeinen Rollen lassen sich auch in wissenschaftssoziologischen Untersuchungen finden, z.B. WissenschaftlerInnen als ManagerInnen (UniversitätsdekanInnen). Selbst in der Forschung zu akademischen Karrieren sind Studien denkbar, die prinzipiell anonymisierbar sind, beispielsweise wenn es um die Vereinbarkeit von Karriere und Familie geht. [64]

Die durch die Anonymisierung entstehenden Probleme mögen in diesen Fällen geringer sein, verschwinden jedoch nie völlig. Auch eine weniger in das Textmaterial eingreifende Anonymisierung verändert dieses. "[Ort im Ausland 1]" kann im Kontext eines qualitativen Interviews nicht auf dieselbe Art und Weise in die Interpretation einbezogen werden wie "Wien". Anders als in der quantitativen Sozialforschung verändert die Datenarchivierung deshalb immer den Informationsgehalt und die Nutzungsmöglichkeiten der Interviews. Dieses Problem wird in der Literatur kaum diskutiert, obwohl anzunehmen ist, dass es immer dort auftritt, wo solche zusätzlichen Datenquellen für die Rekonstruktion des Falles typisch sind, z.B. in der Organisationsforschung. [65]

Wegen der mit der Anonymisierung verbundenen Probleme (hoher Zeitaufwand, Entwertung der Daten) betonen einige AdvokatInnen der Archivierung, dass es auch TeilnehmerInnen an qualitativen Studien gebe, die ihre Identität preisgeben wollten (z.B. CORTI & BACKHOUSE 2005, §30; KUULA 2010, S.13). Dass es solche Ausnahmefälle gibt, löst allerdings nicht das generelle Problem, dass normalerweise anonymisiert werden muss. [66]

Unsere Daten zur Bereitschaft der Befragten, ihre Interviews für Zwecke der Nachnutzung an ein Datenarchiv zu geben, sind angesichts unseres pessimistischen Anschreibens und des geringen Rücklaufs schwer zu interpretieren. Zwar war unter den Antwortenden die Zustimmung größer als die Ablehnung, wir wissen aber nichts über die Bereitschaft derer, die nicht geantwortet haben. Manche Befragte stimmten selbst der Archivierung anonymisierter Interviewtranskripte nicht zu. Daraus und aus rückversichernden Äußerungen der Befragten während des Interviews ("das ist ja alles vertraulich") nehmen wir an, dass diejenigen, die auf unsere Anfrage nicht geantwortet haben, einer Datenweitergabe eher ablehnend gegenüber standen und insbesondere eine Datenweitergabe in nicht anonymisierter Form verweigern würden. Das könnte sich mit wachsendem zeitlichem Abstand ändern, z.B. weil sich die NachwuchswissenschaftlerInnen dann in weniger prekären Karrieresituationen befinden. Allerdings zeigt STAMM (2018, §86) für die von ihr untersuchte Sekundärnutzung von interviewbasierten Fallbeschreibungen über transgenerational entrepreneurship, dass die Brauchbarkeit der Daten für die Nachnutzung mit wachsendem zeitlichen Abstand abnahm, weil Forschungsfragen sich veränderten und sich damit das Problem des data fit verschärfte. [67]

Hinsichtlich der Bereitschaft von Befragten in qualitativen Studien hat KUULA (2010) 169 TeilnehmerInnen früherer Studien gefragt, ob sie bereit wären, Interviewtranskripte für das finnische Datenarchiv für eine Nachnutzung zur Verfügung zu stellen. Da 98% der TeilnehmerInnen zustimmten, kommt sie zu der Schlussfolgerung, dass die TeilnehmerInnen die Interviewsituation nicht als "private or secret" ansähen, wie andere AutorInnen behaupteten, sondern als "institutional interaction" (S.16). Sowohl diese Schlussfolgerung als auch die Annahme, dass die Zustimmung generell kein Problem sei, sind aber aus unserer Perspektive kaum generalisierbar: Aufgrund der sehr vagen Informationen über die Primärstudie – wir erfahren lediglich, dass es sich um Studien über "equality and gender issues in working life, environmental conflicts, life of women in Finnish countryside" (S.15) handele und die Daten anscheinend zehn Jahren zuvor oder früher erhoben worden waren – kann über den Geltungsbereich nichts ausgesagt werden. [68]

Ohne dass unsere Interviews durch andere ForscherInnen sekundäranalytisch genutzt worden sind, ließ das Ergebnis der vorgenommenen Anonymisierung in den getesteten Interviews nur einen Schluss zu: Die anonymisierten Interviews sind nicht nachnutzbar, weil die bei der Anonymisierung vorgenommene weitgehende Veränderung des Texts sie unbrauchbar macht. Wie verbreitet dieses Problem ist, ist schwer abschätzbar, da es für die Nachnutzung archivierter qualitativer Daten kaum belastbare Daten gibt. Die Nachnutzung von archivierten qualitativen Daten erfolgt anscheinend eher zögerlich (HEATON 2008, S.39-41; PARRY & MAUTHNER 2005, S.338-339; SLAVNIC 2013, §20). IRWIN beobachtet in Großbritannien: "There has been a significant growth in possibilities for reuse of qualitative data, although arguably such possibilities remain underutilized" (2013, S.295). Bei den aus dem britischen Archiv genutzten Studien für Forschungszwecke handelt es sich vorwiegend um historische Datensätze (COLTART et al. 2013, §12). Außerdem werden archivierte Datensätze vor allem für die studentische Lehre genutzt und weniger für die Forschung (CORTI 2011; BISHOP & KUULA-LUUMI 2017). Studien, bei denen die prinzipielle Bereitschaft, archivierte qualitative Daten nachzunutzen, untersucht wurde (MEDJEDOVIĆ & WITZEL 2010; OPITZ & MAUER 2005), sind schwer interpretierbar, weil sich aus den Aussagen über hypothetische Situationen kaum Schlussfolgerungen über die tatsächliche Nutzung ziehen lassen. [69]

5. Schlussfolgerungen

Wir haben uns in diesem Aufsatz bewusst nicht in der generellen Debatte über Vorzüge und Nachteile einer Archivierung qualitativer Daten positioniert, weil wir die praktischen Probleme hervorheben wollen, vor denen PrimärforscherInnen bei der Archivierung qualitativer Daten stehen. Wenn die Diskussion über die Archivierung konkret wird, wird sie auch unweigerlich spezifisch und vernachlässigt viele Archivierungszwecke, Datensorten, Belange anderer Disziplinen, andere Vor- und Nachteile einer Archivierung usw. Um zu praktischen Lösungen zu gelangen, brauchen wir aber diese Konkretheit und Spezifik dringender als die Reiteration allgemeiner Argumente. [70]

Unser unfreiwilliges Experiment zur Archivierung qualitativer wissenschaftssoziologischer Daten hat uns eine interessante Erfahrung beschert. Wir geben HUSCHKA, OELLERS, OTT und WAGNER (2011, S.6) recht, wenn sie schreiben "Datenschutz ist jedoch niemals ein grundsätzliches Argument gegen das data sharing". Unser Experiment hat jedoch gezeigt, dass die Erfordernisse des Datenschutzes und der Forschungsethik zu unüberwindbaren forschungspraktischen Problemen führen können (aber nicht müssen, wie viele erfolgreiche Archivierungen von qualitativen Daten zeigen; siehe BISHOP & KUULA-LUUMI 2017). Diese Probleme werden in der Debatte über die Datenweitergabe viel zu häufig ignoriert. [71]

Wir haben dieses Experiment für einen spezifischen Typ wissenschaftssoziologischer Untersuchungen und für einen spezifischen Typ von Daten (Transkripte von ExpertInneninterviews) durchgeführt, konnten aber zeigen, dass die von uns beobachteten Probleme auch in anderen Gebieten der Soziologie auftreten können, und unter welchen Bedingungen das wahrscheinlich ist. Um zu verallgemeinerbaren Aussagen zu kommen, sind sehr viel mehr Experimente erforderlich, in denen die Formen des Einholens der Zustimmung zur Datenweitergabe systematisch variiert und ihr Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft untersucht sowie die Nutzbarkeit anonymisierter Interviews für verschiedene Untersuchungen getestet wird. Solche Experimente müssen aber freiwillig sein und auch angemessen finanziert werden. Wir sehen zwei Probleme als vordringlich an. [72]

Das wichtigste, unserer Ansicht nach unzureichend gelöste Problem betrifft das Prinzip der informierten Einwilligung. Die Archivierung reduziert die Information in "informiert" auf "für wissenschaftliche Zwecke" und auf Information über Archivierungsverfahren und Lagerung. Das entspricht nicht dem Verständnis von informierter Einwilligung, das wir uns in der Soziologie erarbeitet haben. Wir benötigen wenigstens eine Diskussion darüber, wie wir diesen Widerspruch handhaben wollen. Hier sind die sozialwissenschaftlichen Fachgesellschaften gefragt. [73]

Außerdem müssen wir genauer den Zeitaufwand für die Vorbereitung von Daten für Archivierungszwecke dem Nutzen archivierter Daten gegenüberstellen. Dass Data-Sharing von qualitativen Daten sinnvoll sein kann, ist unbestritten. Insbesondere die Sekundäranalyse qualitativer Interviews in der studentischen Lehre (KRETZER 2013c) ist sofort einsichtig und wurde von einer von uns bereits praktiziert (GLÄSER & LAUDEL 2000). Der Nutzen für die Forschung ist dagegen angesichts der unvermeidlichen Veränderungen an den Primärdaten und Verluste von Kontextinformationen eine offene Frage. Auch diese Frage müssen wir empirisch angehen. Dafür wäre es sinnvoll, wenn die archivierenden Datenzentren detaillierte empirische Informationen über die Nutzung ihrer Daten zur Verfügung stellen könnten. [74]

Angesichts der vielen Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Datenarchivierung und -nutzung müssen wir auch immer wieder betonen, dass wir noch nicht genug wissen, um uns auf Routineprozesse einlassen zu können. Deshalb halten wir es für außerordentlich gefährlich, wenn die Entscheidung über die Förderung von qualitativen Studien von der Archivierung für Zwecke der Nachnutzung abhängig gemacht wird. [75]

Danksagung

Für kritische Hinweise und Fragen zu früheren Versionen unseres Artikels bedanken wir uns bei Jochen GLÄSER, Theresa VELDEN, dem Write Club des Instituts für Soziologie an der TU Berlin und bei zwei anonymen GutachterInnen.

Anhang 1: Interviewleitfaden (Biologie, AMO Physik)

Ziel des Projektes: wie die heutigen Karrierebedingungen für deutsche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ihre Forschungsmöglichkeiten beeinflussen

Ziel des Interviews: Ihre Forschungen verstehen, die Sie seit der Promotion durchgeführt haben sowie die Bedingungen, unter denen Sie geforscht haben und forschen

Anonymisierung, Tonbandaufzeichnung

I PhD Phase

II Spätere Forschungen

III Charakterisierung des Forschungsprogramms (falls vorhanden)

IV Forschungsbedingungen

V Absichten und Pläne

VII Abschluss

Anhang 2: Einwilligungserklärung zur Übermittlung und Nutzung personenbezogener Daten für wissenschaftliche Zwecke nach Projektende

Ihre Interviewdaten (Originaltext des Interviews und veränderte Version) werden an das Datenservicezentrum an der Universität Bremen "Qualiservice" zur Archivierung und weiteren wissenschaftlichen Nutzung übermittelt. Dort wird die Vollständigkeit der Anonymisierung der Interviews geprüft. Falls erforderlich, wird "Qualiservice" zusätzliche Maßnahmen zur Anonymisierung vornehmen. Der Originaltext des Interviews wird nach den genannten Maßnahmen gelöscht.

Das Datenservicezentrum stellt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die anonymisierten Interviewdaten für ausschließlich wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung.

Ich bin mit damit einverstanden.

☐ ja

☐ nein

____________________________________________
Vorname; Nachname in Druckschrift

___________________________________________

Ort, Datum / Unterschrift

Anmerkungen

1) "Qualidata" ist inzwischen Teil des UK Data Archive. <zurück>

2) Die DFG geht anders vor. In ihrem Leitfaden für die Projektantragstellung heißt es: "Wenn aus Projektmitteln systematisch Forschungsdaten oder Informationen gewonnen werden, die für die Nachnutzung durch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geeignet sind, legen Sie bitte dar, ob und auf welche Weise diese für andere zur Verfügung gestellt werden" (DFG 2018, S.5). Hier obliegt es in erster Linie den Forschenden zu entscheiden, ob die Daten für eine Nachnutzung geeignet sind. Damit trägt die DFG fachgebiets- und projektspezifischen Unterschieden bis zu einem gewissen Grade Rechnung. <zurück>

3) Das BMBF bezieht sich hier fälschlicherweise auf die Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der DFG (2013). In diesen Empfehlungen geht es um die Archivierung von Daten für einen ganz spezifischen Zweck. Daten sollen sicher aufbewahrt werden, um eine spätere Replikation der Primärstudie zu ermöglichen (S.21-22). <zurück>

4) Das Datenschutzgesetz lässt prinzipiell die Archivierung nichtanonymisierter Daten zu, was aber in der Praxis sozialwissenschaftlicher Forschungsdaten selten erfolgt (siehe Abschnitt 3.4). <zurück>

5) Siehe auch GLÄSER (1999), der die Entscheidung berichtet, eine Studie nicht zu publizieren, weil die Anonymität der Untersuchten nicht gewahrt werden konnte. <zurück>

6) MRUCK und MEY (1996, Abschnitt 2.3) haben beobachtet, dass die Interviewten die Position der Interviewenden zur Datenweitergabe übernahmen. Allerdings gab es in ihrem Fall eine deutliche Statusdifferenz (die Interviewten waren arbeitslose Jugendliche). <zurück>

7) Bereits mit dieser simplen Pseudonymisierung entstehen Informationsverluste. In Sekundäranalysen kann nicht mehr rekonstruiert werden, wie weit der neue Arbeitsort vom vorherigen entfernt war oder welche Sprache in dem Land des neuen Arbeitsortes gesprochen wird. <zurück>

Literatur

Birke, Peter & Mayer-Ahuja, Nicole (2017). Sekundäranalyse qualitativer Organisationsdaten. In Stefan Liebig, Wenzel Matiaske & Sophie Rosenbohm (Hrsg.), Handbuch Empirische Organisationsforschung (S.105-126). Wiesbaden: Springer VS.

Bishop, Libby & Kuula-Luumi, Arja (2017). Revisiting qualitative data reuse: A decade on. Sage Open, 7(1), 1-15, https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/2158244016685136 [Zugriff: 25. Februar 2019].

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2012). Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der Richtlinie von Forschung zu den Karrierebedingungen und Karriereentwicklungen des Wissenschaftlichen Nachwuchses Förderbekanntmachung im Kontext Forschung zum Wissenschaftlichen Nachwuchs vom 14. August 2012, https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-761.html [Zugriff: 25. Februar 2019].

Coltart, Carrie; Henwood, Karen & Shirani, Fiona (2013). Qualitative secondary analysis in austere times: Ethical, professional and methodological considerations. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 14(1), Art. 18, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-14.1.1885 [Zugriff: 25. Februar 2019].

Corti, Louise (2011). The European landscape of qualitative social research archives: Methodological and practical issues. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 12(3), Art. 11, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-12.3.1746 [Zugriff: 25. November 2018].

Corti, Louise & Backhouse, Gill (2005). Acquiring qualitative data for secondary analysis. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 6(2), Art. 36, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-6.2.459 [Zugriff: 25. November 2018].

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Zu den Autorinnen

Grit LAUDEL, Wissenschaftssoziologin am Institut für Soziologie, Technische Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Einfluss von Institutionen (z.B. Forschungsfinanzierung, Evaluationen, akademische Karrieren) auf Forschungsinhalte, Methodologie und Methoden qualitativer Forschung, wissenschaftssoziologische Methodologie und Methoden.

Kontakt:

Grit Laudel

Institut für Soziologie
Sekretariat FH 9-1
TU Berlin
Fraunhoferstr. 33-36
10587 Berlin

Tel.: +49 (0)30 28871

E-Mail: grit.laudel@tu-berlin.de
URL: http://www.laudel.info/

 

Jana BIELICK, bis 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie, Technische Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: akademische Karrieren.

Kontakt:

Jana Bielick

Institut für Soziologie
Sekretariat FH 9-1
TU Berlin
Fraunhoferstr. 33-36
10587 Berlin

E-Mail: karrieremuster@gmail.com

Zitation

Laudel, Grit & Bielick, Jana (2019). Forschungspraktische Probleme bei der Archivierung von leitfadengestützten Interviews [75 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 20(2), Art. 10, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-20.2.3077.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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