Volume 9, No. 1, Art. 4 – Januar 2008

Machtspiele im Krankenhaus: "doing gender" oder "doing profession"?

Kirsten Sander

Zusammenfassung: Anhand einer Situationsbeschreibung aus einer ethnographischen Studie wird die Interaktion von Krankenschwestern und Ärzten nach den darin erzeugten Geschlechter- und Professionskonstruktionen untersucht. Für die mikrosoziologische Rekonstruktion der szenischen Beschreibung aus dem Alltag der Zusammenarbeit von Pflege und Medizin werden die von Erving GOFFMAN (1977) entwickelten rahmenanalytischen Konzepte genutzt. Durch eine dem situierten Vollzug der Interaktion folgende Interpretation sollen die von den AkteurInnen wechselseitig wahrgenommenen und dargestellten Handlungen nach ihrer Wirksamkeit für die Hervorbringung von Geschlechter- und Professionsunterscheidungen befragt werden. Es wird gezeigt, dass die Interaktionen von Schwestern und ÄrztInnen zweiseitig gerahmt sind und prinzipiell Wechsel sowie Verknüpfungen von professionellen und geschlechterstereotypisierenden Rahmungen möglich sind. Ausgangspunkt für die beispielhafte Szene aus einer Chefvisite ist die "unklare" Rahmung der Situation. Die Deutungs- und Entscheidungsmacht der Medizin scheint kurzfristig durch die Intervention einer Schwester infrage gestellt zu ein. Durch die von der Schwester angefragte körperliche Selbstpräsentation des männlichen Stationsarztes transformiert die Szene in einen Geschlechterrahmen. Der Chefarzt "klärt den Rahmen" mit einem vieldeutigen Scherz. In der Interpretation wird ausgeführt, dass die besondere körperliche Sichtbarkeit des Arztes eine Inkongruenz zwischen Professions- und Geschlechterrahmen herstellte. Zur Lösung der bereits in der Intervention der Schwester liegenden Rahmenspannung wird das Geschlecht offensiv durch den Chefarzt "ins Spiel" gebracht. Dass es sich um ein "Machtspiel" handelt, wird am Ergebnis des Interaktionsprozesses verdeutlicht: Durch das gemeinsame Lachen der Ärzte werden die Werte und Bestrebungen der Pflegenden und/oder der Frauen disqualifiziert.

Keywords: Rahmenanalyse, Geschlechterkonstruktion, Medizin-Pflege-Interaktion, Krankenhaus, Ethnografie

Inhaltsverzeichnis

1. Fragestellung und theoretischer Hintergrund

2. Methodische Überlegungen

3. Situationsanalyse

3.1 Professionelle Rahmen

3.1.1 Vorgeschichte: "Ein großes Ding"

3.1.2 Professionelle Rahmung der Situation: Chefvisite

3.2 Situationsbeschreibung und rahmenanalytische Interpretation

4. Diskussion

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Fragestellung und theoretischer Hintergrund

"The doctor-nurse-game" lautet der Titel des 1967 von Leonard STEIN veröffentlichten Aufsatzes zur Interaktion von ÄrztInnen und Schwestern im Krankenhaus. Die grundlegende Regel des Spiels lautet: "The nurse must communicate her recommendations without appearing to be making a recommendation statement. The physician, in requesting a recommendation from a nurse, must do so without appearing to be asking for it" (STEIN 1967, S.699). Das wechselseitige "sub rosa agreement" (ebd.) wird bereits während der Ausbildung erlernt; "Spielverderber", z.B. eine "outspoken nurse" (ebd., S.700), werden sanktioniert. Es bildet sich eine Allianz, von der sowohl Schwestern als auch ÄrztInnen in den bestehenden Anerkennungsverhältnissen profitieren. Eine Ursache für die Beständigkeit des durch widersprüchliche Anforderungen gekennzeichneten Spiels sieht STEIN in der (zu dieser Zeit noch weitgehend) eindeutigen Geschlechtertrennung von Pflege und Medizin und den damit verbundenen stereotypen Verhaltensanforderungen (ebd., S.703). [1]

Ich möchte der Frage nachgehen, wie das "doctor-nurse-game" heute gespielt wird1) und wie hierarchische Strukturen darin ausgehebelt oder reformuliert werden können (vgl. WALBY & GREENWELL 1994; WICKS 1998; COOMBS 2004; LOOS 2006). Meine analytische Perspektive auf die Interaktion von Pflege und Medizin ist eine sozialkonstruktivistische: Es geht mir darum, zunächst den sozialen Prozess der Herstellung von sozialer Wirklichkeit nachzuvollziehen. Wie können – so die zentrale Frage – Geschlechter- und Professionsunterscheidungen in Interaktionsprozessen sozial glaubhaft gemacht werden? Werden sie miteinander verknüpft? Wie wird die hierarchische Beziehung zwischen den Professionen und/oder den Geschlechtern reformuliert oder – wie in STEINs Studie – "unter der Hand" umgangen? Allgemeiner formuliert: Welche Relevanz hat das Geschlecht bei der Zusammenarbeit von Schwestern, Pflegern, Ärztinnen und Ärzten heute? Spielt es immer eine Rolle? [2]

Die Fragestellung ist in das von der DFG geförderte Forschungsprojekt "Interaktion von Pflege und Medizin im Krankenhaus. Konstruktionsprozesse von Geschlecht, Hierarchie und beruflicher Sozialisation" eingebunden. Als methodische Zugänge wurden teilnehmende Beobachtungen auf Krankenhausstationen durchgeführt und teilstrukturierte Interviews mit Pflegenden und ÄrztInnen erhoben. 2) [3]

Um Prozesse der interaktiven Herstellung des sozialen Geschlechts zu untersuchen, haben sich in der Geschlechterforschung die von WEST und ZIMMERMAN (1987) als "doing gender" und in der Weiterentwicklung von WEST und FENSTERMAKER (1995) als "doing difference" vorgestellten Rahmenkonzepte etabliert.3) Die im Anschluss an die ethnomethodologische Forschung entwickelten Konzepte verstehen die Herstellung von Differenz als "ongoing interactional accomplishment". Erst durch die fortlaufende und wechselseitige Interpretation der Akteure in Interaktionen wird eine geteilte Wirklichkeit konstituiert, werden die Geschlechterunterscheidungen hervorgebracht und mit Bedeutungen belegt. [4]

Ein Ausgangspunkt für die Frage nach dem Zusammenspiel von Geschlechter- und Professionskonstruktionen ist die geschlechtsbezogene Arbeitsteilung im Krankenhaus. In der Pflege sind nach wie vor mehrheitlich Frauen tätig, in der Medizin mehrheitlich Männer.4) Studien, die den Zusammenhang von beruflicher Segregation und Geschlechterdifferenz als wechselseitige soziale Konstruktionsprozesse untersuchen (vgl. LEIDNER 1991; WETTERER 1995; HEINTZ, NADAI, FISCHER & UMMEL 1997; KUHLMANN 1999; WILZ 2002; MÜLLER, MÜLLER-FRANKE, PFEIL & WILZ 2007), zeigen, dass die jeweiligen Verklammerungen von Geschlechter- und Berufsstereotypen hochgradig flexibel und historisch wandelbar sind. WETTERER (2002) erörtert in ihrer wissenssoziologischen Studie, wie in der Geschichte von Medizin und Pflege die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern immer wieder neu verhandelt und auf der Meso-Ebene der historischen Formation medizinischer Berufe Geschlechterkonstruktionen erzeugt, verfestigt und revidiert wurden. Ihre zentrale Annahme lautet: "Die Arbeitsteilung macht die Geschlechter zu Verschiedenen und bringt auf diese Weise auch Gender, auch Differenz der Geschlechter, auch Zweigeschlechtlichkeit mit hervor" (WETTERER 2002, S.26, Hervorhebung der Verf.). Dass bei einem Wechsel der Geschlechtszugehörigkeit eines Berufes geschlechtsbezogene Bedeutungszuschreibungen vergessen bzw. andere neu erfunden werden, zeigt, wie erfolgreich "gender at work" ist. [5]

Für die hier gestellte Frage nach der möglichen Verknüpfung sowie analytischen Unterscheidung von Interaktionsprozessen, in denen "Geschlecht ins Spiel kommt", und Prozessen, in denen dies nicht der Fall ist – die also sozusagen "geschlechtsneutral professionell" sind – ist die in der Geschlechterforschung geführte Diskussion um die Omnirelevanz von Geschlecht bedeutsam. WEST und ZIMMERMAN (1987) gehen im Anschluss an GARFINKEL (1967) von einer fortlaufenden, kontinuierlichen Herstellung des sozialen Geschlechts aus. Sie fragen lediglich rhetorisch: "Can we ever not do gender?" (WEST & ZIMMERMAN 1987, S.137). HIRSCHAUER (1994) vertritt die Position, dass die Geschlechterdifferenz zwar in jeder Situation erzeugt und mit Relevanz ausgestattet werden kann, aber ebenso auch vergessen, negiert und neutralisiert wird.5) Statt von einer Kontinuität "ist von einer Diskontinuität der Geschlechterkonstruktion auszugehen: der Prozess der Geschlechtskonstruktion besteht aus Episoden, in denen Geschlecht in sozialen Situationen auftaucht und verschwindet" (ebd., S.677, Hervorhebungen des Verf.). Ich beziehe mich hier auf die Annahme, dass die Hervorbringungen von Geschlechterdifferenzen an einen spezifischen – hier den professionellen – Kontext gebunden sind und in ihm mit Relevanz oder Irrelevanz ausgestattet werden (vgl. HEINTZ, NADAI, FISCHER & UMMEL 1997). Ob es ein "geschlechtsneutrales" berufliches Handeln innerhalb des untersuchten Feldes geben kann, soll als offene empirische Frage behandelt werden. [6]

Wie die Herstellungsprozesse von Geschlechterdifferenzen erforscht werden können, ohne lediglich die bereits vorab angenommenen Unterschiede zu reifizieren (GILDEMEISTER & WETTERER 1992), wirft eine Vielzahl methodologischer und methodischer Fragen auf (vgl. HAGEMANN-WHITE 1993; KELLE 1999, 2000; DAUSIEN 2002). Im Folgenden sollen die Konzepte der Rahmenanalyse von Erving GOFFMAN (1977) eine theoretische und methodologische Orientierung bieten. Zweierlei erscheint mir damit für einen ersten Klärungsversuch der empirischen Fragen möglich: Zum einen rekonstruiert das rahmenanalytische Instrumentarium Interaktionsprozesse in ihrem Vollzug. Der rahmenanalytische Nach- oder auch Mitvollzug von Interaktionsverläufen bietet durch einen umfangreichen Begriffsapparat eine Bestimmung der in einer Face-to-Face-Interaktion hervorgebrachten sozialen Wirklichkeit. Zum anderen geraten mit der Rahmenanalyse die prinzipielle Mehrdeutigkeit und der Wechsel von Situationen und ihren sozialen Bedeutungen in den Blick. Letzteres ist für die hier angestrebte "zweifache Perspektive" auf die Herstellung von Differenz und Hierarchie bedeutsam (vgl. KELLE 2001).6) GOFFMAN geht davon aus,

"daß Menschen, die sich gerade in einer Situation befinden, vor der Frage stehen: Was geht hier eigentlich vor? Ob sie nun ausdrücklich gestellt wird, wenn Verwirrung und Zweifel herrschen, oder stillschweigend, wenn normale Gewißheit besteht – die Frage wird gestellt, und die Antwort ergibt sich daraus, wie die Menschen weiter in der Sache vorgehen" (GOFFMAN 1977, S.16). [7]

"Rahmen" bezeichnen Interpretationsschemata, mit denen sich die in einer Situation Anwesenden wechselseitig wahrnehmen und darstellen. Die in Interaktionsprozessen aktivierten Rahmen organisieren die Erfahrungen der Teilnehmenden. Sie bieten ihnen eine (häufig vorläufige) Antwort auf die Frage, "was wirklich" vor sich geht.7) Die Serialität und Sequenzialität der Interaktionsprozesse wird mit "Klammern" angezeigt, sie grenzen unterschiedliche Rahmen voneinander ab und bestimmen die Rahmenwechsel. Räumliche und zeitliche Anfangs- und Endklammern sowie innere Klammern, die eine Pause oder eine Verschiebung der Ebenen innerhalb des Vorgangs kennzeichnen, schützen den "Seinsbereich, der, wenn alles gut geht, erzeugt werden soll" (GOFFMAN 1977, S.293). [8]

Anforderungen an die Kompetenz der AkteurInnen entstehen vor allem durch die Vielschichtigkeit der Rahmen. Durch Modulationen wie z.B. das "So-tun-als-ob" und "In-einen-anderen-Zusammenhang-stellen" (GOFFMAN 1977, S.60ff.) und durch "Täuschungen" in guter oder schlechter Absicht (ebd., S.98ff.) werden "primäre Rahmen" (ebd., S.37ff) transformiert. Es wird eine weitere "Schicht" um das eigentliche Stück Handlung gelegt, die den Bedeutungsgehalt – ihren "Status als Bestandteil der wirklichen Welt" (ebd., S.96) – verändert. Irritationen tauchen aufgrund des kollektiv verfügbaren Rahmungswissens selten auf, wenn doch, werden sie als "normale Schwierigkeiten" (ebd., S.331ff.) in den Interaktionsprozess einbezogen. So kann die "Mehrdeutigkeit" (ebd., S.332ff.) einer Situation zu Zögern und Unsicherheit der Handelnden führen, bis der Rahmen für sie hinreichend "geklärt" ist, d.h. klar ist, wie weiter vorgegangen werden soll. [9]

Die Herstellung von Geschlechterdifferenzen wird von GOFFMAN (1994) als "Genderismus" beschrieben. Zuschreibungen und Verstehenskonzepte verbinden spezifische Verhaltensmerkmale und Personen zu "geschlechtsklassengebundenen individuellen Verhaltensweise" (ebd., S.113). Genderismen bestätigen das soziale Geschlecht einer Person, indem sie ihre Verhaltensweise als geschlechtsspezifisch zuordnen. Mit Hilfe eines "geschlossenen Bündels sozialer Glaubensvorstellungen und Praktiken" (ebd., S.106) wird der Unterschied der Geschlechter beständig institutionalisiert (ebd., S.113f.).8) [10]

Ich möchte im Folgenden überprüfen, welchen Gewinn eine rahmenanalytische Interpretation einer Face-to-Face-Situation von Krankenschwestern und ÄrztInnen für die Frage nach der Herstellung von Geschlechter- und Professionsunterscheidungen haben kann.9) Die von GOFFMAN entwickelten Konzepte sollen als Hilfsinstrumentarium für die Analyse genutzt werden, um am empirischen Beispiel erste Interpretationen und weitere Fragen für die Verbindung von Professions- und Geschlechterdifferenzen diskutieren zu können. [11]

2. Methodische Überlegungen

Das für die Analyse zugrunde gelegte empirische Material wurde während einer vierwöchigen teilnehmenden Beobachtungsphase auf einer chirurgischen Krankenhausstation gewonnen. Neben den im Folgenden kursiv gekennzeichneten Zitaten aus den Beobachtungstagebüchern wird das Material durch Zusammenfassungen von Notizen ergänzt. Die mit dem methodischen Konzept angestrebte "dichte Beschreibung" (GEERTZ 1987) von Situationen aus dem Alltag der Zusammenarbeit von Pflege und Medizin bietet bereits selbst eine vielschichtige Rahmenstruktur, auf die hier nur kurz eingegangen werden soll. [12]

Als zentrale Textgattung werden Interaktionsbeschreibungen zugrunde gelegt. Die Beschreibungen der beobachteten Szenen zielen darauf ab, "den situierten Vollzug kultureller Praxis" zu rekonstruieren, "um zu verstehen, wie soziale 'Tatsachen' ihren Status als solche erhalten" (KELLE 2001, S.39). In der mikrosoziologischen Rekonstruktion von Interaktionssituationen wird eine Symmetrie der TeilnehmerInnen- und ForscherInnenperspektive angestrebt (KNORR-CETINA 1989). [13]

Textanalytisch bieten ethnografische Beschreibungen selbst eine vielschichtige Rahmenstruktur; sie sind komplexe Transformationen der sozialen Wirklichkeit. Der Text wird durch Klammern gegliedert, die den Beginn und das Ende von sozialen Vorgängen verdeutlichen. Indexikalische Hinweise zur Zeit, zu den Orten und Personen spezifizieren die Bedeutungskontexte der Situation. Die Verschriftlichung erzeugt eine weitere komplexe Rahmenschicht, die das eigentliche "Handlungsstück" (GOFFMAN 1977, S.607) konfiguriert. Als differente ethnografische Textformate lassen sich z.B. Beschreibungen des Alltagswissens der AkteurInnen, detaillierte Interaktionsbeschreibungen einzelner Situationen und persönliche Kommentare der BeobachterInnen unterscheiden. Mit dem Einfügen von wörtlichen Zitaten kann die "Schweigsamkeit des Sozialen" (HIRSCHAUER 2001) dramaturgisch zum Sprechen gebracht und ein Glaubwürdigkeitsrahmen erzeugt werden. [14]

Beschreibungen der beobachteten sozialen Praxis sind als Ergebnisse einer komplexen "rekonstruierenden Konservierung" (BERGMANN 1985) zu analysieren. Sie sind Darstellungen, in denen durch Auslassungen und Akzentuierungen soziale Wirklichkeit erzeugt wird. Erst die prozessualen Verstrickungen und Einbindungen der ForscherInnen über den zeitlich gestreckten Erhebungs- und Auswertungsprozess, ihre Befremdung und Annäherung an das untersuchte Feld, generieren den sozialen Sinn, der in ethnografischen Studien erfasst werden kann. Die Wahrnehmungs- und Interpretationsschemata der ForscherInnen und ihre in der reflexiven Auseinandersetzung mit den Beobachtungs- und Teilnahmeerfahrungen (weiter-) entwickelten Forschungsfragen und Hypothesen erzielen den Erkenntnisgewinn (vgl. HIRSCHAUER & AMANN 1997; BREIDENSTEIN & KELLE 1998). Damit ist eine eindeutige Trennung von Datenerhebung und -auswertung nicht sinnvoll. Das Schreiben, Überarbeiten und Verdichten ist selbst Teil der analytischen und interpretierenden Prozesse. Es zielt darauf ab, die Erfahrungen und Erkenntnisse für LeserInnen nachvollziehbar zu machen. [15]

Die im Folgenden vorgestellten Beschreibungen unterscheiden sich durch den Zeitpunkt ihrer Erstellung und durch ihren Charakter in zwei ethnografische Textformate: Erstens wurden in zeitlicher Distanz zur Beobachtungsphase Informationen aus dem Gesamtdatenmaterial zu einer Beschreibung verdichtet. In sie fließen die im Forschungsprozess gewonnenen Erkenntnispotenziale ein. Angestrebt ist eine Kontextualisierung der Situation, die die Entstehungsbedingungen sowie die den TeilnehmerInnen selbstverständlichen Wissensbestände explizieren kann (3.1). Zweitens wird szenisch eine zeitnah zu den Erfahrungen im Feld festgehaltene detaillierte Situationsbeschreibung vorgestellt. Der Charakter des "Unmittelbaren" wird hier durch Kursivsetzungen symbolisiert. Mit der mikrologischen Beschreibung einer Situation soll die darin erzeugte Vollzugswirklichkeit nachgezeichnet und rahmenanalytisch interpretiert werden (3.2). [16]

3. Situationsanalyse

3.1 Professionelle Rahmen

3.1.1 Vorgeschichte: "Ein großes Ding"

Frau Weiß, eine schwerstpflegebedürftige ältere Dame, wird in der Nacht aus ihrem Pflegeheim in das Krankenhaus verlegt. Sie hat sehr viele, tiefe Druckgeschwüre. Insbesondere ein Bein ist betroffen, so dass die Durchblutung nicht mehr gewährleistet ist. Dieses ist der Grund, warum sie auf der beobachteten gefäßchirurgischen Station eingewiesen wird. Im professionellen pflegerischen Handeln steht zunächst die Frage der moralischen Bewertung im Zentrum. In der morgendlichen Übergabe sowie in Pausengesprächen wird besprochen, wie "so etwas passieren" kann. Die Schwestern sind entsetzt über die vielen tiefen Druckgeschwüre der Patientin. Die Pflegenden im Altenheim hätten doch auch eine Ausbildung und müssten wissen, wie so etwas zu vermeiden sei. Bereits am Morgen erscheint die stellvertretende Pflegedienstleitung, Frau Eichling, zu einem kurzen Besuch bei Frau Weiß und versichert sich bei den Pflegenden, dass ihr Zustand umfassend dokumentiert wird. Sie erwähnt zudem, dass sie nicht nur den Sozialdienst informiert habe, um einen neuen Heimplatz zu suchen, sondern auch die Heimaufsicht über diesen Vorfall informieren möchte. Sie sagt, da könne man "ein großes Ding" daraus machen. [17]

Die zuständige Schwester füllt nach einer ausführlichen Begutachtung der Patientin einen umfangreichen Dokumentationsbogen aus, um die Wunden quantitativ und qualitativ zu erfassen. Es werden zudem Polaroidfotos von den einzelnen Wunden angefertigt. Frau Eichling kopiert die Dokumentationsunterlagen und bringt sie während der Mittagsübergabe zurück. An die zuständige Schwester gewandt sagt sie: "Vielen Dank, das ist eine hervorragende Arbeit". [18]

Der zuständige Arzt führt zunächst ein Telefongespräch mit dem Hausarzt, um genauere Informationen über Frau Weiß zu erhalten. Mittels der diagnostischen Verfahren wird festgestellt, dass das Bein nicht mehr gefäßchirurgisch operiert werden kann. Nach Rücksprache des Stationsarztes mit einer Verwandten der Patientin wird eine Beinamputation bei der Patientin durchgeführt. Frau Weiß wird gemeinsam mit einer anderen schwerstpflegebedürftigen Frau in ein Zimmer gelegt. [19]

Während für die MedizinerInnen der Fall der Patientin Frau Weiß unkompliziert ist, haben sich die Pflegenden mit der Frage der Schuld an dem aus professioneller Sicht unnötigen Leiden und der Zumutbarkeit von Lebensbedingungen befasst. Die Intervention der stellvertretenden Pflegedienstleiterin Frau Eichling hat den moralischen Diskurs weiter aufgeladen und den Umgang mit der Patientin zu einer Frage der professionellen Ehre erhöht. Eine weitere grundlegende Unterscheidung definiert die Situation für die beiden Berufsgruppen: Die MedizinerInnen können anhand des Falles von Frau Weiß ihre hoch spezialisierte professionelle Heilkunst nicht unter Beweis stellen. Die Pflegenden hingegen können gerade in der Begutachtung, Dokumentation und Behandlung von Druckgeschwürwunden eine ihrer besonders stark professionalisierten Handlungen ausüben und sich damit profilieren.10) [20]

3.1.2 Professionelle Rahmung der Situation: Chefvisite

Am Tag nach der Operation von Frau Weiß findet die wöchentliche Chefarztvisite statt. Als medizinisches Personal begleiten neben dem Chefarzt Doktor Merk der Stationsarzt Herr Teufert, zwei Oberärzte, ein weiterer Assistenzarzt und ein Arzt im Praktikum die Visite. Als pflegerisches Personal sind die Stationsleiterin Schwester Dörte, zwei für das Zimmer zuständige Krankenschwestern sowie die Beobachterin anwesend. Als allgemeine Organisationsmerkmale des stark ritualisierten Chefvisite-Rahmens lassen sich folgende Kennzeichen definieren: [21]

Anfangs- und Endklammern: Die Handlungen werden gewohnheitsgemäß vom Chefarzt eingeleitet und durch ihn beendet. Durch das Setzen von Anfangs- und Endklammern bestimmt er, wann die Visite beginnt und wann sie endet. Als räumliche Klammer fungiert das PatientInnenzimmer: Das Hinein- und Hinaustreten definiert die beiden grundlegend unterschiedlichen Erfahrungsorganisationen der Chefvisite als "Vorder- und Hinterbühne" (GOFFMAN 1969, S.99ff.), also als eine Sphäre, in der das, was offiziell vor sich geht, "spielt", und als eine Sphäre, in der Vorbereitungen oder Nachbereitungen der offiziellen Handlungen vollzogen werden. Der Stationsflur wird für Hinterbühnengespräche genutzt, um das in den PatientInnenzimmern Gesprochene oder zu Sprechende nach- oder vorzubereiten und Entscheidungen zu formulieren. [22]

Ensemble (ebd., S.73ff.): Die Gruppe der ÄrztInnen agiert als DarstellerInnen, wobei es HauptdarstellerInnen und NebendarstellerInnen, z.B. StationsärztInnen, ÄrztInnen im Praktikum etc. gibt, während die Krankenschwestern und -pfleger weitgehend in der Rolle der Zuschauenden verbleiben (vgl. WEBER 2002).11) Das Zuschauen ist prekär, da die Zuschauenden zugleich stumme Mitglieder im DarstellerInnen-Ensemble sind. Es gilt, ein "gelungenes Stück" vor den PatientInnen aufzuführen. Ein Mitglied der Ärzteschaft kann eine Pflegekraft zum stummen Nicken, verbalen Bestätigen oder auch ergänzenden Kommentieren auffordern. Die Besonderheit im hier untersuchten Fall ist die eindeutige Professions- und Geschlechtertrennung der Ensembles: Alle anwesenden Mediziner sind Männer, alle anwesenden Pflegenden sind Frauen.12) [23]

Dem Stationsarzt Teufert kommt in der Organisation des Rahmens eine Sonderrolle zu: Durch einen kurzen Rapport soll er den Chefarzt über die medizinische Situation der PatientInnen informieren. Hierfür stellt er sich an eine Bettseite, der Chefarzt positioniert sich gegenüberstehend. Die Ausführungen des noch in der Einarbeitung befindlichen Stationsarztes Herr Teufert werden häufig vom Chefarzt Doktor Merk unterbrochen und als fehlerhaft dargestellt. Der Chefarzt definiert das Tempo, das Frage- und Antwortschema, die Auf- oder Bedeckung von Patientenkörperteilen, das Mitspracherecht von einzelnen Ärzten, Patientinnen oder Krankenschwestern. [24]

3.2 Situationsbeschreibung und rahmenanalytische Interpretation

Die Visite ist vor dem Zimmer der beiden schwerstpflegebedürftigen Frauen angelangt. Der Chefarzt Doktor Merk erzählt, dass Frau Eichling, die stellvertretende Pflegedienstleiterin, ihn wegen des schlechten Zustandes, mit dem Frau Weiß aus ihrem Pflegeheim in das Krankenhaus gekommen sei, angerufen habe. Doktor Merk fragt in die Runde, ob "so etwas" bei diesem Pflegeheim häufiger vorkomme. Die Stationsleiterin Schwester Dörte sowie die umstehenden Ärzte stimmen zu. Der Chefarzt betont kurz und knapp: "Da will ich nichts mit zu tun haben." Es könne nicht angehen, dass das Krankenhaus auch noch eine Kontrollfunktion für die Altenheime übernehme. Ohne weitere Reaktionen abzuwarten, betritt er das Zimmer.

Vor der Tür stehend wird durch den Chefarzt Doktor Merk geklärt, was während des eigentlichen Auftritts auf der Vorderbühne passieren soll. Das von der stellvertretenden Pflegedienstleiterin Frau Eichling geforderte chefärztliche Eingreifen13) wird als nicht erstrebenswerte Kontrollfunktion demontiert. Durch die Formulierung auch noch nimmt der Chefarzt implizit Bezug auf die durch die im Zuge der Gesundheitsreform ausgeweiteten Pflichten, die offensichtlich nicht seinem professionellen Selbstverständnis entsprechen. Mit der unspezifischen Ablehnung "Da will ich nichts mit zu tun haben" wird die Distanz zwischen originärer medizinischer Praxis und angefragter Intervention vergrößert. Obgleich die Runde von anwesenden Ärzten und Schwestern mit ihrer Bestätigung, dass "so etwas" in diesem Altenheim öfter vorkomme, den moralischen Druck erhöht, setzt der Chefarzt – ohne weitere Kommentare der anwesenden Schwestern und Ärzte – seine Ablehnung des moralisch legitimierten Auftrags durch. Mit der Ablehnung werden die Professions- und Geschlechterhierarchien zwischen Medizin und Pflege verdeutlicht: Eine Pflegedienstleiterin kann einem Chefarzt keinen Auftrag erteilen, zumal nicht, wenn dieser außerhalb seines professionellen Selbstverständnisses liegt. Die von ihr geführte moralische Argumentation lässt sich offensichtlich eindeutig von dem medizinischen Auftrag abgrenzen. In der medizinischen Handlungslogik ist lediglich eine Überprüfung des Erfolgs der durchgeführten Intervention nötig. Die Visite betritt das Zimmer.

Die Ärzte treten an das Bett von Frau Weiß. Der Chefarzt spricht die Patientin nicht an, sondern fragt sogleich nach ihrem Zustand. Die Decke wird vom Stationsarzt zurückgeklappt und die Amputationswunde von den Ärzten betrachtet. Die Frau hat die Amputation gut überstanden, ist aber zurzeit noch verwirrt (berichtet Herr Teufert). Doktor Merk wendet sich bereits ab, als Schwester Susann sich einschaltet. Die Patientin habe eine sehr tiefe Druckgeschwürwunde am Steißbein, die sie noch zeigen wolle. Sie hat bereits Handschuhe angezogen und tritt von der Mitte des Raumes an den Ärzten vorbei an das Bett. In den Händen hat sie noch ein zweites Paar Handschuhe. Die bereits zugeschlagene Decke wird wieder abgedeckt. Um das Druckgeschwürs am Steißbein zu sehen, muss die auf dem Rücken liegende Frau Weiß auf die Seite gedreht werden. [25]

Während in dieser Situation das Ensemble der Schwestern in der zweiten Reihe steht, bildet das Ensemble der Mediziner eine erste Reihe um das Patientinnenbett. Plötzlich tritt Schwester Susann von der Zuschauerposition der Schwestern auf die Bühne des Geschehens, sie schaltet sich ein. Zwangsläufig wird durch diese nicht eingeplante Verzögerung eine "Rahmenspannung" erzeugt. Grundsätzlich ist eine eigene Handlungsinitiative der Pflegenden in der gängigen Interaktionsordnung der Chefvisite nicht vorgesehen und muss – wenn sie gelegentlich auftritt – als "normale Schwierigkeit" eingebunden werden. Die besondere Provokation des Auftritts liegt hier aber in der spezifischen Vorabrahmung der Situation. Unvermittelt und eindeutig fordert Schwester Susann die erneute medizinische Begutachtung der Patientin Frau Weiß und stellt damit das moralische Anliegen sowie die diagnostischen Kompetenzen der Pflegenden in den Vordergrund der Szene. Mit der eindeutigen Handlungsaufforderung an den Chefarzt, sich die Patientin und ihre durch die tiefen Wunden sichtbare prekäre Situation, mit der er nichts zu tun haben wollte, noch einmal anzusehen, provoziert sie einen "Rahmenbruch". Der Chefarzt wird durch die Strategie von Schwester Susann kurzzeitig entmachtet, er kann das unvermittelte Vorgehen der Schwester nicht ohne Weiteres ignorieren. Einerseits unterläuft sie mit ihrem Auftritt seine Vorgabe, gleichzeitig zeigt sie mit ihrem Handeln eine spezifische Form ordnungsgemäßer pflegerischer Professionsausübung: Eine sehr große, in der Behandlung problematische Wunde muss, da sie potenziell für die Patientin lebensgefährlich werden kann, von Pflegenden den verantwortlichen Medizinern gezeigt werden. Der in dieser Situation gefragte Chef-Mediziner würde fahrlässig handeln, wenn er eine Beurteilung ablehnen würde. Er muss, zumindest zur Wahrung der Form, der Bitte von Schwester Susann nachkommen. Die Visite kehrt an das Bett der Patientin zurück.

Schwester Susann hat sich neben dem Stationsarzt an der Seite des Bettes positioniert. Es ist anscheinend einen Moment lang nicht klar, wie die Patientin am leichtesten gedreht werden kann. Niemand spricht die Patientin direkt an. Schwester Susann hält die Handschuhe auffordernd in Richtung Stationsarzt Teufert. Er nimmt sie ihr nicht ab, sondern schreitet unmittelbar zur Tat. Herr Teufert hat bereits seinen Arztkittel ausgezogen und schiebt seine entblößten Unterarme unter Rücken und den Beinstumpf, um Frau Weiß auf die Seite zu drehen. Die Schwester fasst mit an, doch lässt sie den Arzt die Hebearbeit alleine machen. Die schnelle Initiative des Arztes und das stumme Ablehnen der angereichten Handschuhe werden von dem Chefarzt, noch während der Stationsarzt Teufert die Patientin hebt, durch einen Witz kommentiert: "Doktor Teufert fasst alles an." Die Ärzte lachen, während der Stationsarzt die Patientin endgültig auf die Seite gedreht bekommt. Der Stationsarzt Herr Teufert lächelt, doch hat er auch einen roten Kopf. Vielleicht von der Hebearbeit. Er richtet sich von der gebeugten Haltung, die er für die Arbeit einnehmen musste, auf und zieht seinen kurzfristig auf einem Stuhl abgelegten Arztkittel wieder an.

Schwester Susann greift mit behandschuhten Händen an die Steißbeinwunde und zeigt sie. Aus gebührendem Abstand – vom Kopfende des Bettes her – wirft der Chefarzt einen kurzen Blick darauf. Ohne eine Antwort auf die Anfrage, was mit der Wunde geschehen solle, wendet er sich ab und sagt so etwas wie, dass man da jetzt sehen müsse, wie man weiterkommt. Die Visite geht zum Bett der nächsten Patientin. Schwester Susann deckt Frau Weiß zu und stellt das Bettgitter wieder hoch. Sie sagt etwas zu ihr … wie "Ich komme dann gleich zu Ihnen und bette sie neu" und folgt der Visite. [26]

Es scheint so, als ob für einen Moment nicht klar wäre, was jetzt eigentlich vor sich gehen soll. Neben der Irritation, die eine Neudefinition des professionellen Rahmens erfordert, passiert noch etwas anderes: Die eindeutige szenische Aufforderung der Schwester an den Stationsarzt, ihr beim Umlagern der Patientin zu helfen – sie reicht ihm Handschuhe – transformiert die Handlung in einen zweigeschlechtlichen Rahmen. Während es normalerweise Sache der Pflegenden ist, die PatientInnen zu heben, wäre es gemäß der konventionellen Regeln unhöflich, wenn eine Gruppe von Männern zwei Frauen bei einer schweren Hebearbeit unbeteiligt zusehen würde. Da kein Pfleger anwesend ist, kann der Angefragte nicht ablehnen. [27]

Der Stationsarzt befindet sich in einer prekären Situation. Es gilt in der Demonstration sowohl Männlichkeit als auch medizinische Professionalität darzustellen. In der Situation entsteht ein Moment der Deutungs- und Handlungsunsicherheit. Dann schreitet der Stationsarzt unmittelbar zur Tat. Obwohl er sich mit dem Ablehnen der Handschuhe von der Krankenschwester abgrenzt, muss er sich seiner sozialen Fassade als Arzt kurzfristig entledigen: er zieht den Arztkittel aus und präsentiert sich mit entblößten Armen als Mann, der heben kann. Es ist zu vermuten, dass diese ungewöhnliche Selbstpräsentation des Arztes durch seine Einschätzung, dass ein langarmiger Arztkittel bei der Hebearbeit behindern könnte, motiviert wurde. [28]

Die im Hebevorgang gemeinsam mit der Schwester dargestellte Körpernähe zur Patientin scheint die aufgetretene Rahmenspannung zu erhöhen. Diese Form der Demonstration "passt nicht" in den Interaktionsrahmen der Chefvisite. Das Ensemble der Ärzte wird für einen Moment gemeinsam mit dem Ensemble der Pflegenden zu Zuschauenden der gemischtgeschlechtlichen Hebe-Szene transformiert. [29]

Mit seinem Kommentar "Doktor Teufert fasst alles an" löst der Chefarzt die Spannung auf. Mit dem Scherz gelingt es ihm, den unklaren und spannungsaufgeladenen Rahmen "herunterzumodulieren". Das gemeinsame Lachen der Männer über einen rangniedrigen Kollegen stellt einen eindeutigen, von der medizinischen Profession definierten Interaktionsrahmen wieder her. Die Gruppe der pflegenden Frauen ist nicht zu hören, ihre kurzfristige Präsenz in einem gemeinsamen Zuschauendenensemble ist wieder zugunsten der stummen, alleinigen Zuschauerschaft aufgelöst. [30]

Der Chefarzt nimmt mit seinem Ausspruch Bezug auf die angebotenen und abgelehnten Handschuhe der Schwester und nutzt die Geste als doppelsinnige Scherzvorlage: Der Stationsarzt Herr Teufert fasst ummittelbar und für alle sichtbar "etwas" an, was bereits aus den professionellen medizinischen Handlungsmöglichkeiten ausgeschlossen wurde. Als ein "alles Anfassender" negiert er die gesetzten ökonomischen und erfolgsorientierten Paradigmen der modernen Medizin und macht sich damit lächerlich. Alles ist der Körper der beinamputierten Patientin Frau Weiß, sie wird in dieser Situation ihres Status als Person beraubt und zu einer beliebigen Materie, alles, deklariert. "Alles anfassen" steht der gezielten professionellen medizinischen Berührung von Körperteilen mit spezifischen Techniken und Instrumenten entgegen – insbesondere der gefäßchirurgischen. Es ist Aufgabe der Pflegenden, den ganzen Körper der PatientInnen – also alles – auf unspezifische Art und Weise "anzufassen". [31]

Eine weiterer Doppelsinn liegt in den abgelehnten Handschuhen selbst: Einerseits disqualifiziert die Missachtung der hygienischen Schutzmaßnahme den handelnden Stationsarzt. Geht man davon aus, dass die Situation durch die Hebearbeit in einen zweigeschlechtlichen Rahmen transformiert wurde, beinhaltet der Ausspruch noch eine andere Bedeutung; er lässt sich als eine sexualisierte Männlichkeitszuschreibung verstehen. Herr Teufert wird als ein sexuell potenter Mann karikiert, der alles anfasst, dem kein weiblicher Körper zu "gefährlich" ist. [32]

Trotz oder gerade in der Anrede als Doktor Teufert positioniert der Chefarzt den Novizen außerhalb des professionellen medizinischen Handlungsrahmens. Lediglich die Pflegenden oder Angehörige bezeichnen den Arzt, der bisher nicht approbierte, als Doktor. Die in der Hebe-Szene gezeigte doppelt sichtbare körperliche Nähe zur Pflege, d.h. zur Pflegeperson wie auch zum Pflegehandeln, wird als Ressource für Abwertung und Ausgrenzung genutzt. Der Stationsarzt Herr Teufert wird "pflegegleich". [33]

Die gelungene Zur-Schau-Stellung des Anfängers im Rahmen der Chefvisite verdeutlicht, dass machtvolles medizinisches Handeln eine spezifische Form der distinktiven Verbindung von Professions- und Männlichkeitsdarstellung erfordert, die dem Stationsarzt Teufert in dieser Situation offensichtlich nicht gelingen kann. Im Ergebnis wird mit dem Lachen der Männer zugleich das von den Schwestern erneut vorgebrachte Anliegen, sich um das am Körper der Patientin sichtbare sowie in der Institution Pflegeheim vermutete "Unreine" professionell zu sorgen, abgewertet. [34]

Das ausgesprochene "Da will ich nichts mit zu tun haben" wird im situierten Vollzug reformuliert. Ohne besondere Schlussklammern – ein kurzer Blick genügt – wird die Szene beendet. Das professionelle Handeln der Pflegenden ist eindeutig von dem professionellen Handeln der Ärzte unterschieden und zudem wirkungsvoll mit der Bloßstellung des Stationsarztes abgewertet worden. Die Sache ist klar, man ist bereits wieder im reibungslosen Chefarztvisite-Rahmen angelangt und geht weiter. [35]

Durch die abschließende Ansprache der Patientin versucht Schwester Susann, den Pflege-Rahmen gegenüber der Patientin zumindest auf der Hinterbühne des Geschehens wieder herzustellen. Sie spricht sie an, um ihr und sich selbst zu versichern, dass sie sie als potenziell leidende Person und nicht lediglich als potenziell verunreinigten Körper sieht. Der szenische Ausdruck des Mitgefühls kann als "Gefühlsarbeit" (STRAUSS, FAGERHAUGH, SUCZEK & WIENER 1980)14) verstanden werden. [36]

4. Diskussion

Mit der ausgeführten rahmenanalytischen Interpretation sollte exemplarisch gezeigt werden, wie das Geschlecht in Interaktionsprozessen von Pflege und Medizin "ins Spiel" kommen kann. Es wurde deutlich, dass spezifische, in den Kontext eingelagerte Aspekte für die Aktivierung des Geschlechter-Rahmens entscheidend sind. Es lassen sich drei das "Geschlechterarrangement" (GOFFMAN 1994) bestimmende Aspekte unterscheiden: [37]

(1) Ein Aspekt, welcher ein geschlechteraktivierendes Bezugssystem in die Situation einlagert, ist die hervorgehobene und besonders sichtbare Anwesenheit von Körperlichkeit in dem von allen Teilnehmenden beobachteten Interaktionsprozess. Durch das Berühren oder Anfassen eines Körpers wird die Geschlechtlichkeit des eigenen und des anderen Körpers thematisiert. Wir stellen Bedeutungen des Körpers an dem und mit dem Körper dar. Geschlechterdifferenzen sind im Sinne von "body-reflexive-practices" (CONNELL 2000) auf den Körper bezogen. In der sozialen Praxis der Professionen Medizin und Pflege sind zwei Bezugs- und Interaktionssysteme körpergebunden: Zum einen behandeln Pflege und Medizin in je spezifischer Art und Weise die weiblichen und männlichen PatientInnenkörper, zum anderen handeln sie selbst durch ihre geschlechtlich definierten weiblichen und männlichen Körper. In der interpretierten Situation führt die Verschränkung von männlich kodierten Körperaktivitäten mit pflegerischen Handlungsweisen zur Aktivierung des Geschlechterrahmens. Dabei sind körperliche Hilfestellung von männlichen Ärzten Teil der alltäglichen Gefälligkeiten, die den Pflegenden im Austausch zu anderen Hilfestellungen gewährt werden. Erst die Darbietung, d.h. die Sichtbarmachung, von männlicher Körperkraft vor einer Gruppe anderer Männer und Frauen, die einerseits die Körperkraft des einen Mannes beobachten und anderseits durch dessen Aktivität von einem eigenen Engagement entlastet sind, erzeugt die spannungsgeladene Situation. Sie sexualisiert den Körper des Arztes und schafft ein "geschlechtskatalysierendes Sozialarrangement" (HIRSCHAUER 1994, S.686ff.), welches hier durch eine explizite Sexualisierung der Situation machtvoll ausagiert wurde. Für die weitere Analyse der Untersuchungsmaterialien sind vor allem zwei Frageperspektiven interessant. Dies ist zum einen die Frage nach der Verbindung von (besonders exponierter) Körperlichkeit, Profession und Geschlecht: Wie wird beispielsweise der weiblich kodierte Körper von Ärztinnen in Interaktionsprozessen mit Pflegenden "eingebracht" bzw. "außer Acht gelassen"? Die geschlechtsgruppenbezogene Indifferenz zur Profession der Pflegenden macht, so die Vermutung, andere Strategien der Abgrenzung nötig. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich festhalten, dass die von uns interviewten und beobachteten Ärztinnen nicht für Hilfestellungen angefragt werden, bei denen der Einsatz von Körperkraft erforderlich ist.15) Zum anderen stellt sich die Frage nach der besonderen Rahmung von geschlechts- und professionshomogenen Situationen. In der hier untersuchten Szene wird die Geschlechterkonstruktion durch die eindeutige Geschlechter- und Professionsdifferenz von Pflegenden und Ärzten (mit-) bestimmt. Es ist weiter zu untersuchen, ob Situationen, in denen ausschließlich Schwestern und Ärzte anwesend sind, eher dazu neigen, Geschlechterkonstruktionen zu erzeugen. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob die im untersuchten Feld inzwischen weitgehend übliche Sichtbarkeit von Ärztinnen und Pflegern als ein geschlechtsnegierender oder sogar neutralisierender Effekt auf die Interaktionen einwirkt. [38]

(2) Ein weiterer, in der Situation eingelagerter Aspekt lässt sich als Inkongruenz zwischen professionellem Rahmen und Geschlechterstereotypen fassen. Innerhalb einer Chefvisite werden von Assistenzärzten andere Ausdrucks- und Darstellungsweisen erwartet. Die Unstimmigkeit zwischen professioneller und männlicher Selbstpräsentation wurde als Auslöser für die Aktivierung eines Geschlechterrahmens interpretiert. Anhand einer Krisensituation (vgl. GARFINKEL 1967) wird die hypothetisch enge Verzahnung von Geschlechter- und Professionsunterscheidungen sichtbar. Kurz gesagt: "doing gender" wurde genau dort lokalisiert, wo es als inkongruent zum "doing profession" verstanden werden kann.16) Hier eröffnen sich weitere Forschungsfragen: Welche Männlichkeitskonstruktionen (MEUSER 2001) sind mit dem medizinischen Handeln kompatibel und wie lassen sie sich rekonstruieren? Wie stellen die AkteurInnen im Alltag der Zusammenarbeit eine Kongruenz zwischen Männlichkeits- bzw. Weiblichkeitskonstruktionen und professionellem Handeln her? In der feministischen Forschung wurde am Beispiel der Krankenpflege eine Verbindung von Weiblichkeit und Berufstätigkeit mit dem Ansatz des "weiblichen Arbeitsvermögens" (BECK-GERNSHEIM & OSTNER 1979) konzipiert. Ohne die umfangreiche Kritik an der differenzfestschreibenden Verbindung von Hausarbeit und Frauenarbeit auszuklammern (vgl. GOTTSCHALL 1995, S.138ff.; WETTERER 2002, S.193ff.), kann der Ansatz einer kritischen Reinterpretation unterzogen und auf seine Anwendbarkeit für die Analyse des Zusammenhangs der Herstellungsprozesse von Geschlechter- und Professionsunterscheidungen überprüft werden. Die Frage ist nicht, ob Pflege weiblich oder Medizin männlich ist, sondern wie und wann eine Kongruenz zwischen Professions- und Geschlechterunterschieden sozial glaubhaft gemacht bzw. negiert werden kann – trotz der inzwischen allgegenwärtigen Durchmischung der inter- und innerprofessionellen Teams, in denen Männer auch als Pfleger und Frauen auch als Ärztinnen agieren. [39]

(3) Ein dritter Aspekt, der das Geschlechter- und Professionsarrangement bestimmt, ist der Bezug der Situation zur hierarchischen Beziehung von Pflege und Medizin. Es geht in der Szene darum, die infrage gestellte Definitions- und Entscheidungsmacht der Medizin zu behaupten. Generalisiert man diese Annahme, so wird auf die potenziell immer mögliche Aktivierung von Geschlechterkonstruktionen gerade dann zurückgegriffen, wenn eindeutige Machtpositionen zur Disposition stehen. Mit einer scherzhaften Äußerung, die als Mittel zur Spannungslösung interpretiert wurde, kann der Chefarzt die hierarchische Interaktionsstruktur erneut festigen. Das gemeinsame Lachen der männlichen Ärzte schafft eine wechselseitige Rückversicherung über die geteilten Werte. Mit der Bemerkung "Doktor Teufert fasst alles an" wird der durch die Krankenschwester szenisch aufgezeigte Interessenskonflikt zwischen dem erfolgsorientierten Medizin-Rahmen und dem moralisch aufgeladenen Pflege-Rahmen erneut thematisiert und humoristisch gelöst. "Indem man die Zuhörer/innen einlädt, durch ihr Lachen ein Bewußtsein für den Konflikt zum Ausdruck zu bringen, schützt man sich selbst und schafft sich eine Unterstützung durch das Kollektiv" (COSER 1996, S.109). Der Werte- und Machtkonflikt von Pflege und Medizin, von Frauen und Männern, wurde auf den Stationsarzt und sein Handeln "abgeschoben" und durch das Lachen endgültig bereinigt. Hier schließen sich Fragen nach der territorialen Gebundenheit von Konflikten an. In welchen Gebieten der Zusammenarbeit führen differente Werte zu einer Auseinandersetzung um professionelle Zuständigkeiten (vgl. ABBOTT 1988), und welche Strategien werden für die Durchsetzung eigener Interessen genutzt? Wird Geschlecht vor allem dann relevant, wenn die Zuständigkeit für ein auftauchendes Problem, nicht "klar" gerahmt ist? Von besonderem Interesse ist hier das durch ein neues Dienstleistungsverständnis sich ausweitende Aufgabengebiet der PatientInnenberatung bzw., wie in diesem Fall, das Management von institutionellen Übergängen für eine Patientin, welches sowohl von den Pflegenden als auch von den Medizinern besetzt werden kann. [40]

Mit der Interpretation einer Szene aus der alltäglichen Zusammenarbeit von Pflege und Medizin sollte die Frage nach der Herstellung und Verknüpfung von Geschlechter- und Professionsdifferenzen beispielhaft beantwortet werden. Der besondere Gewinn der mit den GOFFMANschen Konzepten durchgeführten Interpretation liegt in der differenzierten Analyse von gleichzeitig oder in einer engen Verzahnung "laufenden" Rahmungsaktivitäten. Durch die Analyse der "Zweiseitigkeit" oder auch "Zweispurigkeit" des hier untersuchten Interaktionsrahmens konnten Rahmenwechsel und die spannungsreiche Verknüpfung von Geschlechter- und Professionskonstruktionen gezeigt werden. Für die agierenden TeilnehmerInnen der Situation stehen geschlechter- und professionsbezogene Bezugssysteme als Bestandteil ihres Alltagswissens zur Verfügung. Sie bieten differente Rahmen, die im interaktiven Vollzug aktiviert, gewechselt oder negiert werden können. Im Ergebnis der Interpretation wird deutlich, dass in der Zusammenarbeit von Pflege und Medizin potenziell mindestens eine zweifache Ressource zur Herstellung von Differenz und Hierarchie interaktiv "ausgespielt" werden kann. Dabei ist per se weder die Geschlechts- noch die Professionszugehörigkeit entscheidend. Auch ein der dominierenden Professionsgruppe zugeordneter Mann kann für die Reinszenierung der Unterordnung von pflegerischem Handeln und/oder Frauen "auf die Bühne gestellt" werden. [41]

Die Analyse alltäglicher Interaktionssituationen im Krankenhaus verdeutlicht, wie Geschlechter- und Professionsdifferenzen mit Relevanz ausgestattet und Dominanz und Unterordnung reformuliert werden. Während in dem von STEIN (1967) vorgestellten "doctor-nurse-game" die Intervention der Schwester ihre Akzeptanz der Unterordnung unter den auf der "Vorderbühne" agierenden Arzt voraussetzt, deutet die hier interpretierte Szene eine Verschiebung der Machtverhältnisse an: Das "Spiel" wird dann ein "Machtspiel", wenn die Unterordnung der Pflege zur Medizin nicht mehr fraglos gegeben ist. [42]

Danksagung

Ich danke Prof. Carol HAGEMANN-WHITE und meiner Kollegin Dipl. Soziologin Britta SCHLIEPER (Universität Osnabrück) für die theoretischen Anregungen und die Unterstützung innerhalb des DFG-Forschungsprojektes sowie den Mitgliedern der Forschungswerkstatt des Instituts für Angewandte Biographie- und Lebensweltforschung (IBL, Universität Bremen) und Prof. Bettina DAUSIEN (Universität Flensburg) für ihre ergänzenden Lesarten der empirischen Materialien und hilfreichen Kommentierungen dieses Textes.

Anmerkungen

1) Der 1990 erschienene Artikel "The doctor-nurse-game revisited" von STEIN, WATT und HOWELL revidiert die ursprünglichen Aussagen von STEIN (1967) weitgehend und kommt zu der Schlussfolgerung, dass sich infolge der Veränderungen im Gesundheitswesen, der Professionalisierung der Pflegenden und nicht zuletzt der Frauenbewegung das Verhältnis der Professionen entscheidend verändert habe. Es sei heute an den Ärztinnen und Ärzten, sich neuen "Spielregeln" zu stellen: "When a subordinate [the nurse, K.S.] becomes liberated, there is the potential for the dominant one [the doctor, K.S.] to become liberated too" (STEIN, WATT & HOWELL 1990, S.549). <zurück>

2) Innerhalb des Projektes sind in einer zweiphasigen Erhebung auf insgesamt fünf Krankenhausstationen teilnehmende Beobachtungen durchgeführt worden. Zudem wurden mit 72 Schwestern, Pflegern, Ärztinnen und Ärzten der unterschiedlichen Ausbildungs- und Funktionsebenen teilstrukturierte Interviews geführt. Die Interviews fragten nach dem beruflichen Selbstverständnis, der Sicht auf die jeweils andere Berufsgruppe und der Zusammenarbeit von Pflege und Medizin. Das Projekt wurde von Prof. Carol HAGEMANN-WHITE, Universität Osnabrück, geleitet. <zurück>

3) Zur Reichweite und Grenze des "doing gender"-Ansatzes siehe DAUSIEN (2002, S.76-87). <zurück>

4) Für den Untersuchungszeitraum 2001 liegen laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes (STATISTISCHES BUNDESAMT 2001) folgende Zahlen vor: Innerhalb von Krankenhäusern lag der Frauenanteil in der Medizin bei ca. 34%. Der in den davor liegenden Jahren stetig angestiegene hohe Gesamtprozentsatz wird relativiert, wenn man die Verteilung auf die unterschiedlichen Fachgebiete berücksichtigt: So befanden sich z.B. lediglich 11,7% Frauen in der Chirurgie, während in der Inneren Medizin ein Frauenanteil von 23,7% zu verzeichnen war. Im Jahr 2001 waren insgesamt ca. 13% der im Krankenhaus als Pflegekräfte Beschäftigten Männer. Über die prozentuale Verteilung der Pfleger auf die unterschiedlichen Arbeitsbereiche in der stationären Pflege liegen keine statistischen Angaben vor. Während in der Medizin der Prozentsatz der im Krankenhaus tätigen Ärztinnen bis zum Jahr 2005 auf insgesamt ca. 38% anstieg, blieb der Prozentsatz männlicher Pfleger konstant bei ca. 13%. <zurück>

5) HIRSCHAUER (1994, S.676-679) schlägt vor, die Prozesse der Negierung und Neutralisation von Geschlecht als "undoing gender" zu bezeichnen. <zurück>

6) KELLE (2001) nutzt die Konzepte der Rahmenanalyse, um die Schwierigkeiten, "doing gender"-Prozesse empirisch zu erfassen, auszuarbeiten. Für ihre, die methodologischen Probleme beispielhaft aufzeigende Analyse sind insbesondere die in einer Situation liegenden parallelen Handlungsstränge und die Modulationen von primären Rahmen bedeutsam. Ausgehend von der prinzipiellen "Ambiguität von Situationen", in denen "eine eindeutige soziale Bedeutung" (ebd., S.41, Hervorhebung der Verf.) von Geschlecht nicht zuzuordnen ist, empfiehlt KELLE, weniger die Bestimmung von "doing gender"-Prozessen anzustreben, als vielmehr "die Varianz an situierten Bedeutungen der Kategorie Geschlecht aufzufächern" (ebd., S.54). <zurück>

7) In Abgrenzung zur interaktionistischen Perspektive, in der "Bedeutungen ... in den und durch die definierenden Aktivitäten miteinander interagierender Personen hervorgebracht werden" (BLUMER 1973, S.83f.), liegt der Fokus der Rahmenanalyse auf dem bereits als Sinnstrukturierung in der sozialen Wirklichkeit eingelagerten Potenzial (vgl. WILLEMS 1997, S.44). <zurück>

8) GOFFMAN (1994) beschreibt die Stabilität der Herstellung von Geschlechterdifferenzen als "institutionelle Reflexivität", "d.h. daß das soziale Geschlecht so institutionalisiert wird, daß es genau die Merkmale des Männlichen und Weiblichen entwickelt, welche angeblich die differente Institutionalisierung begründen" (KOTTHOFF 1994, S.162). <zurück>

9) VOGD (2002) verfasste für die Interaktion von ÄrztInnen und PatientInnen eine qualitative medizinsoziologische Studie, in der er die Rahmenanalyse mit der dokumentarischen Methode verbindet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Diffusität und Mehrdeutigkeit zentrale Merkmale der ÄrztInnen-PatientInnen-Interaktion sind. <zurück>

10) Die Häufigkeit, mit der die Thematik der Druckgeschwürwunden in den Fachzeitschriften der letzten Jahre behandelt wurde, spricht hier für sich. Siehe z.B. im Jahr 2004 in Die Schwester / Der Pfleger, Beiträge in den Heften 2, 5, 6, 10, 11, 12. sowie 2007 Beiträge in den Heften 1, 4, 7. Darin werden vor allem angemessene Dokumentationsformen, haftungsrechtliche Fragen sowie unterschiedliche Behandlungskonzepte vorgestellt. <zurück>

11) Diese Beobachtung deckt sich mit den Untersuchungsergebnissen von WEBER (2002). In ihrer qualitativen und quantitativen Analyse der Professionalisierung von Pflegenden am Beispiel der Visite stellt sie fest, dass in der Chefarzt- wie auch Oberarztvisite die Pflegenden eine randständige Rolle einnehmen. In der Assistenzarztvisite bringen Pflegende häufiger Gesprächsimpulse ein, überlassen aber auch hier das Aktionsfeld weitgehend den Ärztinnen und Ärzten (ebd., S.84f.). <zurück>

12) Auf den anderen innerhalb des Forschungsprojektes beobachteten Krankenhausstationen befand sich jeweils mindestens ein Mann im Pflegeteam. <zurück>

13) Die institutionelle Macht der stellvertretenden Pflegedienstleiterin reicht offensichtlich nicht so weit, dass sie sich im Konflikt mit den Institutionen allein positionieren könnte. Sie folgt neben der moralisch motivierten pflegerischen Fürsorgepflicht einer der zentralen, in der aktuellen pflegewissenschaftlichen Debatte um Pflegequalität thematisierten Zielsetzung, dass "Qualität [erst, K.S.] durch Kooperation" (HÖHMANN, MÜLLER-MUNDT & SCHULZ 1998) zwischen den unterschiedlichen professionellen Handlungsfeldern und AkteurInnen hergestellt werden kann. <zurück>

14) Ob es sich hierbei um "emotional work", d.h. um die Regulation eigener Gefühle, oder um "sentimental work", d.h. um die Beeinflussung der Gefühle anderer (STRAUSS et al. 1980) handelt, bleibt unklar. Ich vermute, beides ist bedeutsam: Die Schwester tröstet sich selbst und die Patientin. <zurück>

15) Dass in gemischtgeschlechtlichen Pflegeteams auch Pfleger heute nicht mehr auf die Rolle eines "Abteilungskrans" (HEINTZ et al. 1997, S.109) reduziert werden, sondern andere, als besonders professionell (und männlich) geltende Qualifikationen wie z.B. "Coolness" (ebd., S.110) einbringen, wird in unserer Untersuchung bestätigt. Ob und wie die gemeinsame Körperarbeit von Pfleger und Ärztin bzw. Pfleger und Arzt Geschlechterunterschiede hervorhebt bzw. negiert, muss weiter untersucht werden. <zurück>

16) Eine andere Strategie liegt in der vergleichenden Analyse von Situationen, in denen die "Krise" qua Geschlecht gegeben ist: Szenen, in denen Krankenpfleger mit Ärztinnen und Ärzten interagieren oder Ärztinnen mit Krankenschwestern und -pflegern, können mit Szenen, die personell mit der traditionellen Geschlechter- und Professionsdifferenz besetzt sind, verglichen werden. <zurück>

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Zur Autorin

Kirsten SANDER, Dipl. Päd., Lehrerin für Pflegeberufe, Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität Bremen, Diplomarbeit "Biographie und Interaktion in der Pflege. Lebensgeschichten im institutionellen Rahmen eines Altenheims", Bremer Studienpreis 2000, wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem von der DFG geförderten Forschungsprojekt "Interaktion von Pflege und Medizin im Krankenhaus. Konstruktionsprozesse von Geschlecht, Hierarchie und berufliche Sozialisation" an der Universität Osnabrück von 2000 – 2003, Arbeitstitel des laufenden Dissertationsprojektes: "Soziale Praxis der Herstellung von (inter-) professionellen und (zwei-) geschlechtlichen Zugehörigkeitsgebieten. Eine ethnographische Studie zur Zusammenarbeit von Pflege und Medizin im Krankenhaus". Seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften, Fakultät Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität Dresden.

Kontakt:

Kirsten Sander

Technische Universität Dresden
Fakultät Erziehungswissenschaften
Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften
Weberplatz 5
D-01062 Dresden

Tel.: 0351 - 463-34970

E-Mail: Kirsten.Sander@tu-dresden.de

Zitation

Sander, Kirsten (2008). Machtspiele im Krankenhaus: "doing gender" oder "doing profession"? [42 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 9(1), Art. 4, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs080146.

Revised 2/2008

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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