Volume 22, No. 3, Art. 12 – September 2021
Erfahrungen organisierter Gewalt in Lebenserzählungen syrischer Flüchtlinge zwischen Exit, Voice und Loyalty
Ludger Pries & Nick Linsel
Zusammenfassung: Nach dem umfangreichen Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland hat sich auch die Forschungslandschaft in diesem Feld diversifiziert. Einen bedeutsamen Aspekt innerhalb dieser Forschung bieten Ansätze, in denen die Lebenswelt der Betroffenen in den Fokus gestellt und versucht wird, deren Erfahrungsraum zu rekonstruieren. Hiervon ausgehend werden in diesem Beitrag folgende Fragen beantwortet: Welche Rolle spielten Gewalterfahrungen und besonders die Erfahrungen organisierter Gewalt vor und während der Flucht bei den in Deutschland vor etwa fünf Jahren aus Syrien angekommenen Menschen? Wie werden Erfahrungen mit (organisierter) Gewalt und Willkür von Schutzsuchenden biografisch verarbeitet? Wie verorten sich diese Menschen nach ihrem Ankommen in Deutschland zwischen Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle? Zur Beantwortung dieser Fragen greifen wir auf biografietheoretische Annahmen, die dokumentarische Methode sowie das Konzept von Exit, Voice und Loyalty nach HIRSCHMAN (1970) zurück. Wir vergleichen auf dieser Grundlage zwei biografische Erzählungen junger Flüchtlinge aus Syrien, die von uns 2019 im Rahmen mehrerer Lehrforschungsprojekte als Teil von 19 narrativen Interviews zu Erfahrungen der Rolle organisierter Gewalt erhoben wurden. Die Auswertungen zeigen, dass sich biografische Orientierungsrahmen im Kontext erzwungener Migration nach dem Grad wahrgenommener Selbstwirksamkeit stark verändern können und die Exit-Option dabei eine Übergangsposition zwischen Protest und Anpassung repräsentiert.
Keywords: organisierte Gewalt; Flucht; Biografie; Syrien; Lebenserzählungen; Orientierungsrahmen; erzwungene Migration; Selbstwirksamkeit; Fremdbestimmung; Hirschman; narratives Interview; Biografieforschung; dokumentarische Methode
Inhaltsverzeichnis
1. Globale Fluchtbewegungen und biografische Erfahrungen
2. Erzwungene Migration, organisierte Gewalt und biografische Erzählungen
3. Konzeptionelle Annahmen und methodisches Vorgehen
4. Zwischen Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle, Exit, Voice und Loyalty
4.1 Fall 1: Mustafas Wandel von Voice zu Exit
4.2 Fall 2: Asinas Fluchtverlauf: Wendepunkte in Herkunfts- und Ankunftsland
5. Vergleich der Fälle: Orientierungsrahmen und organisierte Gewalterfahrungen
1. Globale Fluchtbewegungen und biografische Erfahrungen
Für 2021 kalkulierte der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen 97 Millionen Menschen als "people of concern" (UNHCR 2021, S.4). Davon wurden 21 Millionen als internationale Flüchtlinge, 49 Millionen als interne Vertriebene, 11 Millionen als in einem Antragsverfahren befindliche oder zurückgekehrte Asylsuchende sowie 12 Millionen weitere Menschen gezählt, um die sich der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) (vor allem in Venezuela und Kolumbien) zu kümmern hatte (S.4). Allein für die Türkei schätzte der UNHCR für Mitte 2020 knapp 4 Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende (S.14). In absoluten Zahlen und im Verhältnis zur Weltbevölkerung war das Volumen erzwungener Migration noch nie so groß wie gegenwärtig.1) Gleichwohl ist die öffentliche Aufmerksamkeit in den reicheren Ländern des globalen Nordens weniger auf forcierte Migration als auf den Klimawandel und seit 2020 auf die SARS-CoV-2-Pandemie konzentriert. [1]
Dies korrespondiert damit, dass sich der allergrößte Teil von Fluchtmigration weiterhin in den Ländern des globalen Südens konzentriert. Als eine Ausnahmesituation hatte die große Flüchtlingsbewegung von 2015 und 2016, die aus dem Mittleren Osten, vor allem aus Syrien, nach Europa gelangte, das Thema forcierte Migration und Flüchtlingsschutz im wörtlichen Sinne direkt nach Europa getragen. In Deutschland und den anderen EU-Mitgliedsstaaten wird seitdem lebhaft über den Schutz von Flüchtlingen und den Schutz vor Flüchtlingen diskutiert. Ohne dass eine tatsächlich nachhaltige Lösung für die Aufnahme und Verteilung Schutzsuchender in der EU erreicht wurde, ist der Zugang zu Asyl und Flüchtlingsschutz in Europa durch vielfältige Maßnahmen wie verstärkte Grenzkontrollen, politischen und wirtschaftlichen Druck auf EU-Anrainerstaaten, Erklärung bestimmter Herkunfts- und Transitländer zu sicheren Drittstaaten und Absprachen mit Ländern wie der Türkei oder Marokko erheblich erschwert worden (PRIES 2018). Nicht selten wurde dabei in der Öffentlichkeit argumentiert, viele der hier in der EU angekommenen Menschen suchten weniger Schutz vor aktueller Verfolgung, sondern vorrangig den Zugang zu Arbeit und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen. [2]
Welche Rolle aber spielten Gewalterfahrungen und besonders die Erfahrungen organisierter Gewalt tatsächlich vor und während der Flucht bei den in Deutschland vor etwa fünf Jahren aus Syrien angekommenen Menschen? Wie werden Erfahrungen mit (organisierter) Gewalt und Willkür von Schutzsuchenden biografisch verarbeitet? Wie verorten sich diese Menschen nach ihrem Ankommen in Deutschland zwischen Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle? Zu diesen Fragen liegen inzwischen einige Befunde aus sozialwissenschaftlichen Studien vor. Die folgenden Ausführungen leisten einen Beitrag dazu, durch die Analyse biografischer Erzählungen betroffener syrischer Flüchtlinge den Erfahrungszusammenhang von (organisierter) Gewalt vor, während und nach der Flucht zu rekonstruieren. Dabei werden biografietheoretische Annahmen mit der dokumentarischen Methode und dem von Albert O. HIRSCHMAN entwickelten Konzept von Exit, Voice und Loyalty verknüpft. Hierzu werden zunächst einige Ergebnisse vorhandener Studien zur Rolle von (organisierter) Gewalt in Prozessen forcierter Migration zusammengefasst (Abschnitt 1). Sodann werden konzeptionelle und methodische Grundlagen sowie leitende Fragestellungen der eigenen Studie expliziert (Abschnitt 2). Anschließend werden Befunde aus der Analyse biografisch-narrativer Interviews ausführlicher vorgestellt (Abschnitt 3). Zum Schluss werden die Fälle verglichen und Folgerungen für weitere Forschungen zur Rolle organisierter Gewalt in biografischen Erzählungen diskutiert (Abschnitt 4). [3]
2. Erzwungene Migration, organisierte Gewalt und biografische Erzählungen
Mit der Flüchtlingsbewegung von 2015 hat das Thema erzwungene Migration und Flucht massiv Eingang in die deutschsprachige Migrationsforschung gefunden.2) In Studien zur Flüchtlingsbewegung von 2015 wurden transnationale, organisationsbezogene und einige der in der sogenannten Grenzregime-Forschung behandelten Aspekte aufgenommen und integriert (BIM 2016; GANSBERGEN, PRIES & WITKOWSKI 2016; HESS et al. 2016; KRAUSE & SCHMIDT 2018; PRIES 2016; STOECKLIN, SCELSI & ANTONY 2013; YILDIZ 2016; ZAJAK & GOTTSCHALK 2018). Ein wichtiger Schritt zur Kombination quantitativer und qualitativer Methoden in der Forschung zu forcierter Migration war der Beginn einer Längsschnittstudie in Erweiterung des Sozio-ökonomischen Panels in 2016 mit der Befragung und Analyse der Flucht- und Integrationsverläufe von etwa 4.500 Flüchtlingen in Deutschland in Verbindung mit insgesamt 123 qualitativen Interviews mit Flüchtlingen (BRÜCKER, ROTHER & SCHUPP 2016, 2018). Wichtige Pionierarbeiten zur Rekonstruktion biografischer Perspektiven Betroffener wurden allerdings bereits viel früher vorgelegt, z.B. von INHETVEEN (2010) und von ROSENTHAL (1998, 2004), ohne dass diese immer entsprechend zur Kenntnis genommen wurden.3) [4]
Generell hat sich die sozialwissenschaftliche Forschung von einer Fokussierung auf Flucht und Asyl zu einer Beschäftigung mit forcierter Migration in einem erweiterten Verständnis und als Teil von "mixed migration flows" (IOM 2019, S.141f.) ausgeweitet. Flucht wurde lange Zeit überwiegend in der Perspektive der Genfer Flüchtlingskonvention als Verfolgung aus politischen, rassischen oder ethnischen Gründen thematisiert. Gewalt wurde dabei vorwiegend im Zusammenhang mit offenen kriegerischen Auseinandersetzungen wie den Postjugoslawien-Kriegen behandelt. Bereits mit den Diskussionen um mixed migration flows wurde deutlich, dass die Grenzen zwischen freiwilliger und erzwungener Migration fließend sind (GOSH 2018, S.37f.; IOM & ALTAI CONSULTING 2015, S.11; UNHCR 2007, 2011). Für ein erweitertes Konzept forcierter Migration wird jenseits individueller zunehmend organisierte Gewalt thematisiert. Darunter wird der Gebrauch physischer Gewalt in einer kollektiven, andauernden sowie organisierten Form verstanden, die von kollektiven oder korporativen Akteur*innen ausgeübt wird. Hierzu zählen z.B. gegen Individuen gerichtete Verhaftungen, Folter, Entführungen, Vergewaltigungen, Mord und gegen Gruppen ausgeführte bewaffnete Konflikte zwischen Ländern, aber auch jenseits staatlicher Akteur*innengruppen (mit)getragen etwa von Milizen, Gangs und paramilitärischen Gruppen als kollektiven Akteurinnen und Akteuren (KALDOR 2012).4) [5]
Eine solche Perspektive auf organisierte Gewalt als wesentlicher Kontext forcierter Migration erscheint gerade für die aus Syrien geflohenen und nach Deutschland migrierten Menschen relevant. Denn die Rolle organisierter Gewalt, wie sie in erheblichem Ausmaß durch staatliche Organe wie Militär und (Geheim-)Polizei ausgeübt wurde, aber auch etwa durch bewaffnete Gruppen wie den Islamischen Staat im Irak und Syrien (ISIS), die Freie Syrische Armee (FSA), Al Nusra oder die kurdische Miliz Kurdische Volksverteidigungseinheiten Syriens (YPG), ist für diese Fluchtmigration offensichtlich (FERRIS & KIRISCI 2016). Dies führt unmittelbar zu einer weiteren Charakterisierung organisierter Gewalt. Sie kann durchaus legal sein oder auch illegal. Sie kann legitim sein im Sinne einer breiten Akzeptanz in bestimmten sozialen Gruppen und Regionen, oder sie kann als illegitim wahrgenommen und eingestuft werden. Organisierte Gewalt kann von Staaten ausgeübt oder unterstützt werden, und sie kann von politischen, kriminellen oder auch paramilitärischen Gruppen als nicht-staatlichen Akteur*innen organisiert werden (BABEROWSKI 2015). Durch organisierte Gewalt können vorwiegend ökonomische, politische, religiöse oder andere Ziele und Legitimierungen angestrebt werden. Organisierte Gewalt unterscheidet sich insofern von einfacher kollektiver Gewalt, die z.B. auch nach einem Fußballspiel zwischen Fangruppen entstehen kann. Organisierte Gewalt wird hier also von anderen Formen kollektiver Gewalt dadurch unterschieden, dass sie einen ereignisübergreifenden organisierten Charakter hat.5) [6]
Im Folgenden geht es um die Rolle organisierter Gewalt in den biografischen Orientierungen und Selbstkonzepten von Menschen, die aus Syrien nach Deutschland geflohen sind. Bereits vorliegende Befragungen und Studien zeigen, dass Menschen aller Bevölkerungsschichten die forcierte Migration aus Syrien nicht zuletzt wegen der Gefahren organisierter Gewalt auf sich genommen haben (BRÜCKER et al. 2016). Inzwischen liegen auch Untersuchungen dazu vor, wie diese Menschen etwa im Hinblick auf Spracherwerb und Arbeitsmarkt in Deutschland ankommen (BRÜCKER et al. 2018). Wie aber werden diese Erfahrungen forcierter Migration und organisierter Gewalt biografisch verarbeitet? Welche längerfristigen Lebensorientierungen ergeben sich hieraus? Zur Beantwortung solcher Fragen kann eine Integration biografietheoretischer Annahmen und der dokumentarischen Methode mit dem von HIRSCHMAN (1970) entwickelten Konzept von Exit, Voice und Loyalty hilfreich sein. Ganz allgemein kann davon ausgegangen werden, dass sich biografische Orientierungsrahmen gerade von Menschen mit Fluchterfahrungen zwischen den Extrempolen von Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle aufspannen. Wir benutzen diese besonders in der Sozialpsychologie gebräuchlichen Begriffe, um aufbauend auf das bereits von Fritz SCHÜTZE (1984) dargestellte Spannungsfeld biografischer Verlaufskurven die besonders für Lebenssituationen der Fluchtmigration bestehende Ambivalenz zwischen Getriebenwerden und Selbstbewegung zu adressieren.6) Dies kann mithilfe der von HIRSCHMAN (1970) entwickelten Unterscheidung der drei grundlegenden biografischen Handlungsorientierungen von Exit, Voice und Loyalty ausdifferenziert werden. HIRSCHMAN selbst musste bereits als 18-Jähriger wegen seines jüdischen und sozialistischen Hintergrundes aus Berlin zunächst nach Paris und London, dann über Lissabon und Marseille in die USA emigrieren (ADELMAN 2013). Die konzeptionelle Unterscheidung von Exit, Voice und Loyalty entwickelte er nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen biografischen Erfahrungen und wandte sie auf das Verhalten von Mitgliedern in Unternehmen, anderen Organisationen und sogar Staaten an (HIRSCHMAN 1970). Demnach können Menschen in solchen Lebenszusammenhängen bei Unzufriedenheit entweder versuchen, ihre Bedingungen aktiv zu verändern (Voice), diese zu ertragen (Loyalty) oder ihnen durch Verlassen zu entkommen (Exit). [7]
In einer an Alfred SCHÜTZ orientierten Perspektive ist den Menschen ihre alltägliche Lebenswelt gegeben als "jener Wirklichkeitsbereich [...], den der wache und normale Erwachsene in der Einstellung des gesunden Menschenverstandes als schlicht gegeben vorfindet. Mit schlicht gegeben bezeichnen wir alles, was wir als fraglos erleben, jeden Sachverhalt, der uns bis auf weiteres unproblematisch ist" (SCHÜTZ & LUCKMANN 1988 [1979], S.25). Die menschlichen Orientierungen in der alltäglichen Lebenswelt beruhen auf drei verschiedenen Wissensarten. Neben dem wissenschaftlichen Wissen, welches nach den Kriterien intersubjektiver Validität, Reliabilität und Objektivität organisiert wird, sind dies das Wissen der alltäglichen Lebenswelt als sprachlich kommunizierbare lebensweltliche Typisierungen und das konjunktive Wissen, welches auf der gelebten Teilhabe an milieuspezifischen Erfahrungsräumen basiert, die der expliziten Reflexion weitgehend entzogen sind (BOHNSACK, NENTWIG-GESEMANN & NOHL 2013; MANNHEIM 1980). [8]
Forcierte Migration und die dabei gemachten Erfahrungen organisierter Gewalt hinterlassen tiefe Spuren in den biografischen Orientierungen der Betroffenen. Sie führen in zugespitzter Weise zu Veränderungen der alltäglichen Lebenswelt und der Lebensorientierungen. Für forcierte Migrant*innen gelten die folgenden allgemeinen Annahmen der soziologischen Biografieforschung in besonderer Weise, nämlich
"daß a) Menschen von sich behaupten, 'Erfahrungen zu machen', daß sie b) mit ihrem Tun 'Ziel und Sinn' verbinden und daß ihnen c) die Alltagswelt als bereits geordneter und geregelter Erfahrungsraum vorgegeben ist. Wir vertreten [...] die These, daß Erfahrungs-, Handlungs- und Strukturaspekt im sozialen Konstrukt 'Biographie' bereits auf der Ebene der Sozialwelt integriert sind, d.h. nicht erst durch soziologische Theoriearbeit integriert werden müssen, sondern in der soziologischen Rekonstruktion von Biographien aufgedeckt werden können" (FISCHER & KOHLI 1987, S.30f.). [9]
Schon aus der obigen Definition der drei Wissenssorten ergibt sich, dass der Wandel von Lebenswelten und biografischen Orientierungen nicht einfach durch standardisierte Surveys oder qualitative leitfadengestützte Interviewbefragungen erfasst werden kann. Im Rahmen einer interpretativen Methodologie können autobiografische Erzählungen genutzt werden, um wesentliche Elemente alltäglicher Lebenswelten und der darin wirksamen biografischen Orientierungsrahmen zu verstehen und in ihren Wirkungszusammenhängen zu erklären. In unserer Studie wurde die biografische Erzählung nach Vorgesprächen je nach Vertrautheitsgrad mit einem Impuls wie dem folgenden eingeleitet: "es wäre schön, wenn du deine Fluchtgeschichte mit mir teilen könntest. Also erzähl mir bitte, was passiert ist und wie sich das für dich angefühlt hat" oder:
"wir können vielleicht einfach da anfangen, wann und warum du dich entschieden hast zu fliehen, wo du gewohnt hast, wie deine Situation war, bevor du geflohen bist und wie sich das dann entwickelt hat, dass du dann diese Entscheidung getroffen hast". [10]
Fluchterfahrungen führen – neben psychischen und oft traumatischen Leiden – in der Regel zu grundlegenden Rekonstruktionen von Lebensprojekten. Dabei werden biografische Orientierungen und das "konjunktive Wissen" (MANNHEIM 1980) aus der alltäglichen Lebenswelt des sozialen Herkunftskontextes mit der neuen alltäglichen Lebenswelt des Ankunftskontextes verglichen und subjektiv neu verhandelt. FISCHER und KOHLI (1987, S.35) "verstehen 'Biographie' als alltagsweltliches Konstrukt, das die lebensweltliche Ambiguität vorgegebener Regelhaftigkeit und Emergenz gleichermaßen beinhaltet". Diese Ambiguität kann zwischen der Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle, von Getriebensein durch externe Strukturen und Selbstentfaltung in der Welt schwanken.7) [11]
Zur Frage der biografischen Verarbeitung von Fluchterfahrungen liegen zahlreiche empirische Studien vor. Im deutschsprachigen Raum haben vor allem Gabriele ROSENTHAL (z.B. 1998) und ihre Forschungsgruppe (z.B. BAHL & BECKER 2020; BOGNER & ROSENTHAL 2014; ROSENTHAL, BAHL & WORM 2016) seit Jahrzehnten biografische Erzählungen im Zusammenhang von Holocaust, Postjugoslawienkriegen und forcierter Migration in Afrika und anderen Regionen erhoben und ausgewertet. Diese Studien folgten weitgehend einer an den Arbeiten von SCHÜTZE (1983, 1984) orientierten Narrationsstrukturanalyse, durch die die Wechselwirkungen zwischen erlebter und erzählter Lebensgeschichte, zwischen sozialer Rahmung und Ereignisverläufen einerseits und inneren Erfahrungsaufschichtungen und -verarbeitungen sowie (Erleidens-)Prozessen andererseits systematisch analysiert wurden. Dabei changierte die Rolle organisierter Gewalt in den erzählten Lebensgeschichten zwischen disruptivem Hereinbrechen in eine ansonsten als weitgehend gewaltarm erfahrene alltägliche Lebenswelt bis hin zum Extrem organisierter Gewalt als einem genuinen, geradezu natürlichen Bestandteil der Alltagswelt. [12]
Interessante Einblicke in den alltagsweltlichen Umgang mit organisierter Gewalt und deren biografische Verarbeitung gaben Untersuchungen von Teresa Koloma BECK (2017) in Afghanistan. In phänomenologischer Perspektive analysierte sie die Raumbezüge alltäglicher Lebenswelten in der Hauptstadt Kabul und deren Einteilung in sichere und unsichere bzw. berechenbare und unberechenbare Räume. Danach sind die alltäglichen Lebenswelten der befragten und begleiteten Menschen in Kabul durch topologische Ordnungen von Räumen und Grenzen strukturiert, die jeweils eigene und spezifische Handlungsrepertoires erfordern. Aus vorliegenden Studien lässt sich schließen, dass alltägliche Lebenswelten nach der Intensität von Gewaltpräsenz und dem Grad der Berechenbarkeit von Gewalterfahrungen subjektiv konstruiert werden. Ganz allgemein kann zwischen gewaltintensiven Sozialräumen und gewaltreduzierten Sozialräumen einerseits und nach entsprechenden Potenzialen individueller und organisierter Gewalt unterschieden werden. [13]
Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive wurde ebenfalls gezeigt, dass soziale Unterstützung und Selbstregulierung die Selbstwirksamkeit syrischer Studierender erhöht, die in die Türkei geflohen waren (SARI, GELBAL & SARI 2020). Weiterhin haben BOGNER und ROSENTHAL (2014) in Interviews mit Überlebenden des Bürgerkriegs in Uganda herausgefunden, dass diese eine biografische Verarbeitung und Thematisierung von Gewalterfahrungen vor allem in Abhängigkeit vom kollektiven Diskurs und Umgang mit jenen vornehmen, was dementsprechend ebenfalls als Anhaltspunkt für Fremdkontrolle bei einem hinderlichen Diskurs und für Selbstwirksamkeit bei Gelingen dieser Verarbeitung interpretiert werden kann. Zudem wurden Erfahrungen der Fremdkontrolle und Fremdbestimmung bei syrischen Flüchtlingen berichtet aufgrund von "als fremdbestimmend und undurchsichtig empfundenen Verwaltungsprozeduren und Organisationsstrukturen im Lager"8) (WORM 2019, S.129), welche auch als Bestandteil einer "re-traumatisierenden Konstellation" (ROSENTHAL 2004, S.221) betrachtet werden können. Generell navigieren Schutzsuchende innerhalb ihrer Biografie zwischen "individuellen Selbstverortungsleistungen" und "sozialen und politischen Kräfteverhältnissen, mit denen Zugehörigkeitsverortungen verwoben sind" (WORM 2019, S.27). Weiterhin finden sich Faktoren der Fremdkontrolle in der Forschung über Phänomene wie "protracted displacement" (z.B. KRAUSE 2018, S.13f.) oder "immobility" (z.B. LØNNING 2020, S.324), da diese Situationen oftmals als fremdbestimmt gelten. Gleichzeitig bringt Fremdkontrolle im Zusammenhang mit Erfahrungen wie Gewalt oder Diskriminierung gewisse Zäsuren in der Biografie mit sich, die auch zu Migrationsentscheidungen führen können (BERGEDIECK 2019, S.307), unter Umständen kann sogar von organisierter Gewalt als festem Bestandteil des Alltags, welcher Mobilität beschränkt und Praxis beeinflusst, ausgegangen werden (PRIES, SCHRAMM & WIESCHALLA 2020, S.155). In Bezug auf Selbstwirksamkeit wurde in sozialpsychologischen Untersuchungen gezeigt, dass das Leben innerhalb eines für Flüchtlinge vorgesehenen Lagers mindernde Auswirkungen auf diese hat (AL HARBI 2017, S.65f.), gleichzeitig gilt Selbstwirksamkeit bei DENKINGER, ENGELHARDT, ROMETSCH-OGIOUN EL SOUNT, SEIFRIED-DÜBON und JUNNE (2019) als wichtiger Aspekt der emotionalen Stärke von jesidischen Frauen, die Erfahrungen organisierter Gewalt durch den IS erleben mussten. [14]
Der in der gegenwärtigen Forschung zu bemerkende "signifikante Perspektivwechsel hin zu Geflüchteten als AkteurInnen" (KRAUSE 2018, S.26) wirft auch die Frage danach auf, welche Strategien den Handelnden zur Verfügung stehen und wie sich die Handlungsorientierungen in Bezug auf diese Strategien innerhalb der Lebenswelt und des Erlebens organisierter Gewalt über die Zeit entwickeln. Migrationssoziolog*innen sind in diesem Feld schon lange auf der Suche nach geeigneten Konzepten9), zu denen beispielsweise die Kombination von "proactive" und "reactive migration" (RICHMOND 1993, S.10f.) oder auch die seit Langem diskutierte Erweiterung der Push-Pull-Dichotomie (ETZOLD 2019; VAN HEAR, BAKEWELL & LONG 2018) gehören. Die Typologie von Exit, Voice und Loyalty zieht ihre Stärke innerhalb dieser Debatte vor allem aus der Aufhebung einer Dichotomie, die sich im Konzept des Exit wiederfindet, bei dem der handlungsbeschränkende Charakter des Fluchtgrundes mit dem ermächtigenden Moment der Flucht selbst verbunden ist. Zudem implizieren Exit, Voice und Loyalty einen Fokus auf Selbstwirksamkeit und Handlungsmacht, da sie Formen des Widerstandes gegen Gewalterfahrungen darstellen und somit ein aktives Aufbegehren in zwei der drei verwendeten Kategorien eingelagert ist. [15]
3. Konzeptionelle Annahmen und methodisches Vorgehen
Hinsichtlich der biografischen Erfahrungen und Orientierungen von jungen Menschen, die in den 2010er Jahren von Syrien nach Deutschland geflohen sind, ergeben sich einige wichtige Fragen. Wie haben diese Menschen ihre erzwungene Migration und hierbei besonders organisierte Gewalt erfahren und biografisch verarbeitet? Haben sich grundlegende Veränderungen in den biografischen Orientierungen und Projekten der Menschen ergeben oder ist der allgemeine Orientierungsrahmen weitgehend gleichgeblieben? Wie haben sich die biografischen Orientierungen zwischen den Polen von Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle entwickelt? [16]
Innerhalb der Fluchtforschung gibt es einige Befunde über Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle bei Flüchtlingen oder damit zusammenhängende Faktoren. So haben Forschende um Gabriele ROSENTHAL in ihrer biografisch ausgerichteten Forschung unter Anderem herausgefunden, dass Migrationsentscheidungen aus anhaltender "Diskriminierung und Machtlosigkeit" (ROSENTHAL et al. 2016, §103, 105) resultieren können, was sicherlich mit Formen von Fremdkontrolle in Verbindung gesetzt werden kann, gleichzeitig betonen sie die Relevanz verschiedener Kapitalsorten zur Bewältigung einer Flucht (§104, 107; siehe auch SCHON 2019, S.17). [17]
Da forcierte Migration immer ein Mindestmaß an Handlungsfähigkeit und Entscheidung impliziert, stellt sich auch die Frage, wie sie in biografischen Erzählungen zwischen Exit, Voice und Loyalty (re)konstruiert wird. Eine biografiesoziologische Perspektive ermöglicht es hierbei, systematisch Verlaufskurven und Wendepunkte in Biografieverläufen zu analysieren. Während in entsprechenden Studien häufig induktive bzw. theorie- und typengenerierende Vorgehensweisen dominieren (KLUGE 2000; NOHL 2013), wird im Folgenden ein typenüberprüfendes Verfahren gewählt. Ausgehend von dem aus der dokumentarischen Methode bekannten Konzept der Orientierungsrahmen (BOHNSACK 1989; BOHNSACK et al. 2013) wird angenommen, dass sich biografische Selbstkonzepte zwischen den beiden generellen idealtypischen Handlungsschemata von Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle ausgestalten und auf konjunktivem und alltagsweltlich kommunizierbarem Wissen beruhen. "Handlungsleitende Orientierungsrahmen bilden sich in einem dynamischen, ineinander verschränkten Zusammenspiel von geschlechts-, milieu-, generations- und bildungsspezifischen konjunktiven Erfahrungen heraus" (SCHÄFFER 2013, S.68f.). Dabei lässt sich das kommunizierbare Wissen vor allem in biografischen Erzählungen aufdecken, während das konjunktive Wissen sich vor allem in Argumentationen wiederfindet (FRANZ & GRIESE 2010). Weiterhin wird angenommen, dass diese Orientierungsrahmen als Lebensgrundorientierungen relativ stabil sind und gleichsam als Filter im Lebenslauf die soziale Praxis in der alltäglichen Lebenswelt strukturieren. Einschneidende Lebensereignisse können eine Veränderung dieser Grundorientierung – von Selbstwirksamkeit zu Fremdkontrolle oder umgekehrt – auslösen. Es ist davon auszugehen, dass Erfahrungen organisierter Gewalt und forcierter Migration die Wahrscheinlichkeit von Veränderungen des biografischen Orientierungsrahmens erhöhen (ROSENTHAL 1987; WORM 2019). Die vor allem in der Narrationsstrukturanalyse verwendeten Konzepte von biografischen Verlaufskurven und Wendepunkten werden hier aufgenommen, um die grundlegenden Veränderungen des biografischen Handlungsschemas als biografischen Wendepunkt zu markieren (SCHÜTZE 1984; siehe auch FRANZ & GRIESE 2010). [18]
Diese aus der Biografieforschung weithin bekannten und bewährten konzeptionellen Annahmen sollen für die Analyse forcierter Migrationsprozesse mithilfe des von HIRSCHMAN entwickelten Rahmens von Exit, Voice und Loyalty (EVL) kombiniert und ausdifferenziert werden. Nach HIRSCHMAN (1970) können Akteur*innen in gegebenen und für sie unbefriedigenden Situationen, die er auf ein Unternehmen, eine Organisation oder ein Land bezog, grundlegend drei Handlungsschemata mobilisieren. Als "social agents overcoming difficulties" (ADELMAN 2013, S.341) können sie versuchen, ihre Lebensbedingungen in der gegebenen Handlungssituation durch Aufbegehren aktiv zu verbessern (Voice); sie können die gegebene Handlungssituation aushalten und sich anpassen (Loyalty), oder sie können der Handlungssituation zu entkommen versuchen (Exit). [19]
HIRSCHMAN (z.B. 1978) hat diese Optionen auch explizit auf Migrationsprozesse bezogen. Die deutsche Wiedervereinigung charakterisierte er als eine Kombination von massivem Exit und tumultartiger Voice (HIRSCHMAN 1993). Aus politikwissenschaftlicher Perspektive haben DOWDING, JOHN, MERGOUPIS und VAN VUGT (2000) die analytische und empirische Fruchtbarkeit des EVL-Konzepts diskutiert und vor allem hervorgehoben, dass Exit und Voice keine sich ausschließenden Strategien darstellen, sondern eher Voice und Loyalty (bzw. Silence) als aktives oder passives Handlungsschema einander gegenüberstehen und beide mit Exit oder Nicht-Exit kombiniert werden können (besonders S.473 und 482). Auf die Fruchtbarkeit des EVL-Rahmens für die neuere Migrationsforschung allgemein hat z.B. HOFFMANN (2010) aufmerksam gemacht. GAMMAGE (2004) präsentierte für die interne und transnationale Migrationsdynamik Haitis einige Anhaltspunkte dafür, dass Männer eher international, Frauen eher intern migrieren, dass Geldrücküberweisungen als eine Form von Loyalty interpretiert werden können und dass Migration als Exit neue Voice-Strategien innerhalb des Landes ermöglicht, die durch Ausgewanderte bzw. Diasporen unterstützt werden. [20]
Auf der Basis dieser konzeptionellen Annahmen erhoben Studierende autobiografische Erzählungen und biografisch orientierte Interviews mit insgesamt 19 syrischen Flüchtlingen. Alle Interviewerinnen und Interviewer wurden jeweils während eines Semesters in der Methodologie der Biografieforschung und der Methode der Durchführung autobiografischer Erzählungen sowie entsprechenden Auswertungsmethoden geschult. Da das Thema der durchzuführenden Interviews besondere Sensibilität und ein Mindestmaß an Vertrauen voraussetzte, wurden die Erfahrungen anderer Studien (z.B. ROSENTHAL 2002, 2004) mit allen Interviewenden ausführlich besprochen. Da viele der Interviewenden entweder selbst in der Flüchtlingsbewegung aktiv waren oder über universitäre Programme Kontakte zu Studierenden hatten, die als Asylsuchende nach Deutschland gekommen waren, wurde die Auswahl der zu Interviewenden auf der Basis festgelegter Kriterien im Schneeballverfahren über soziale Netzwerkbeziehungen organisiert (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2014, S.184f.). Zunächst wurden Teilnehmende der universitären Deutschkurse für syrische Flüchtlinge angesprochen, danach auch deren Sozialkontakte. Auswahlkriterien waren dabei, dass alle zu Interviewenden aus Syrien geflohen und zwischen 2010 und 2016 als Schutzsuchende in Deutschland angekommen waren. [21]
Die Interviews wurden mit einer kurzen Erzählaufforderung begonnen; der spontanen Erzählung folgten dann ein immanenter und danach ein an vorstrukturierten Stichwörtern orientierter Nachfrageteil. Nach einer vollständigen Transkription der Interviews wurden diese unter Rückgriff auf Konzepte der Sequenzanalyse (wie die kognitiven Figuren autobiografischen Stegreiferzählens nach SCHÜTZE [1984] und die darauf aufbauenden Kategorien zur Sequenzierung wie beispielsweise die Textsorten der Narrationssequenzen nach ROSENTHAL [1995]) sowie auf Konzepte der dokumentarischen Methoden (wie die Orientierungsrahmen nach BOHNSACK et al. [2013] und ebenfalls die Sequenzanalyse nach z.B. BOHNSACK et al. [2013] und NOHL [2005]) analysiert. Den teilnehmenden Studierenden wurde dabei in einem ersten Schritt die Wahl gelassen, durch vergleichendes Vorgehen entweder von erzählter und erlebter Lebensgeschichte oder von Orientierungsrahmenelementen induktiv typische Sequenzmuster oder Orientierungsrahmen auf der Basis der Interviewtranskripte zu rekonstruieren. Im ersten Fall bezog sich das vergleichende Vorgehen also auf die erzählte und die erlebte Biografie innerhalb einer Narration (die induktiv erschlossen werden sollten) und die Identifikation möglicher Wendepunkte (die abduktiv erschlossen werden sollten), im zweiten Fall auf den Vergleich von Elementen und Veränderungen der Orientierungsrahmen von jeweils zwei Narrationen. Hierdurch sollten die Studierenden für eine biografieanalytische Perspektive und jeweils unterschiedliche methodische Vorgehensweisen sensibilisiert werden. Im Anschluss daran erfolgte in Kooperation zwischen Lehrenden und ausgewählten Studierenden eine weitere Analyse, bei der die die aus der ersten Auswertungsphase gewonnenen Befunde mit deduktiv aus dem HIRSCHMANschen EVL-Konzept gewonnenen Kategorien verglichen wurden. Während im ersten Analyseschritt die Weltdeutungen und allgemeinen Lebensorientierungen im Vordergrund standen, waren dies im zweiten Analyseschritt die idealtypischen Handlungsstrategien von Exit, Voice und Loyalty. [22]
Die leitende Fragestellung bei der Analyse der biografischen Erzählungen war, wie die Menschen selbst ihre Situation vor und während ihrer Flucht nach Deutschland besonders im Hinblick auf organisierte Gewalt wahrgenommen und biografisch verarbeitet hatten. Aus verschiedenen Gründen entsprachen die durchgeführten Interviews nur teilweise den Standards autobiografischer Stehgreiferzählungen (SCHÜTZE 1984). Für viele der Interviewten waren die Gewalterfahrungen vor und während der Flucht mit erheblichen persönlichen negativen bis traumatischen Erfahrungen verbunden. Dies schränkte ihre Bereitschaft und Fähigkeit ein, unbeschwert und spontan über ihr Leben zu erzählen. Hinzu kam, dass fast alle Interviewten im Rahmen amtlicher Befragungen oder in freundschaftlichen Gesprächen ihre Fluchterfahrungen bereits mehrfach erzählt hatten. Dies führte zu standardisierten Redeflüssen und Erzählfiguren, die einen spontanen und sich selbst generierenden Redefluss ebenfalls erschwerten, was dementsprechend ebenfalls Einschränkungen bei der Identifizierung und Analyse sogenannter "Stümpfe" in der Narration (SCHÜTZE 1983, S.286) zur Folge hatte. Schließlich ist zu bedenken, dass die Interviews auch für die Interviewenden methodisches und lebensweltliches Neuland bedeuteten. Die Studierenden waren zwar während eines halben Jahres gründlich mit den Ansätzen und Methoden der biografischen Forschung sowie den spezifischen Bedingungen von Gesprächen mit Schutzsuchenden vertraut gemacht worden. Gleichwohl bestand bei vielen von ihnen, nicht zuletzt aufgrund der Fluchtschilderungen, ein großes Bedürfnis nach emotionaler, empathischer Intervention gegenüber den Interviewten. Dies äußerte sich etwa in zustimmenden und Empathie ausdrückenden Äußerungen, wie sie in autobiografischen Narrationen eigentlich im ersten Erzählhauptteil nicht vorkommen sollten (ROSENTHAL 2002; VON UNGER 2018). Diese Interviewenden-Interventionen haben aber – zumindest nach gemeinsamer Problematisierung im Lehrforschungsprojekt – zu keinen systematischen Veränderungen der von den Interviewten wahrgenommenen Interviewererwartungen geführt, sondern – ähnlich wie die Tatsache, dass Interviewende und Interviewte der gleichen Alters- und Statusgruppe Studierender angehörten – eher Erzählhemmnisse abgebaut. Neben den erläuterten Herausforderungen bietet die Methode des biografischen Interviews auch bedeutsame Vorteile, die sich insbesondere für sensibel zugängliche Erfahrungen ergeben. So unterstützt die Haupterzählung "Erinnerungsprozesse", "Selbstverstehen" und in Form von "Reorganisation" eine "Verbalisierung von bisher Unberücksichtigtem" (ROSENTHAL 2002, S.216f.). [23]
Alle diese Aspekte erscheinen vor dem Hintergrund belastender, mit Gewalt verwobener Erfahrungen also als besonders bedeutsam, sodass auch ROSENTHAL eine "Chance der Integration von Bedrohlichem" (S.218) sah und von förderlichen Aspekten für die Verarbeitung von gewissen Erfahrungen sowie die Zugänglichkeit jener gleichermaßen ausging. Die Interviewenden präsentierten jeweils die erzählte und die erlebte Lebensgeschichte der von ihnen Interviewten und schlugen Wendepunkte vor, die unter Anleitung der Lehrenden gemeinsame diskutiert und erhärtet oder relativiert wurden. Dieses pragmatische Vorgehen erwies sich angesichts des sensiblen Themas, der aufgrund dessen zu erwartenden Abweichungen vom Idealtyp autobiografischer Stehgreiferzählungen und der Erkenntnisinteressen (vor allem: Identifizieren von Orientierungsrahmen und Wendepunkten im Migrationsverlauf) als angemessen. [24]
Trotz der erwähnten Einschränkungen ermöglichen die biografischen Erzählungen tiefere Einblicke in den Zusammenhang von organisierter Gewalt und erzwungener Migration. Im Folgenden werden beispielhaft zwei erzählte Lebensgeschichten vorgestellt, die daraufhin analysiert wurden, welche Orientierungsrahmen sich zwischen den Polen von Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle identifizieren ließen, wie im Rahmen der forcierten Migration die Erfahrung organisierter Gewalt biografisch verarbeitet wurde, an welchen Stellen der erzählten Lebensgeschichte Wendepunkte zu verzeichnen waren und welche Rolle dabei organisierte Gewalt spielte. Dabei wird das EVL-Schema von HIRSCHMAN als eine Differenzierung der Selbst-/Fremdkontroll-Dichotomie genutzt. Während Loyalty dem Pol der Fremdkontrolle und Voice dem der Selbstwirksamkeit zugeschrieben werden können, changiert Exit zwischen beiden Polen. [25]
4. Zwischen Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle, Exit, Voice und Loyalty
Die folgenden Fälle wurden ausgewählt, weil sie längere, autobiografisch gestaltete Narrationssequenzen aufweisen, die unter anderem prägnante Schilderungen organisierter Gewalt beinhalten. Dadurch war es möglich, die biografische Verarbeitung derartiger Erfahrungen, die damit zusammenhängenden Orientierungsrahmen sowie Wendepunkte zu identifizieren und analysieren, um dem zuvor erwähnten typenüberprüfenden Verfahren gerecht zu werden. Die beiden interviewten Personen waren durch persönliche Netzwerke und migrantische Selbstorganisationen kontaktiert worden. Vor dem Interview fand jeweils ein Kennenlerntreffen statt, bei dem das Projekt und die Art der Datenerhebung kurz erläutert wurden. Die Interviews fanden dann kurze Zeit nach dem Treffen statt, wobei die Interviewten nach ihrer Präferenz für den Ort des Interviews gefragt wurden. Da die Interviewten jeweils einen nichtöffentlichen Ort für das Interview wählten, sind diese in einer störungsarmen und ruhigen Atmosphäre erhoben worden. [26]
In den Erzählungen wurde immer wieder Bezug genommen auf die historische sowie politische Entwicklung Syriens und auf bestimmte soziokulturelle Konfliktlinien. Besonders häufig erwähnt wurde die ethnisch-kulturelle Zusammensetzung des Landes, vor allem die in vielen Interviews zum Ausdruck kommende wahrgenommene Diskriminierung der Kurd*innen in Syrien, die etwa ein Zehntel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Entsprechende interne soziale Spannungen wurden teilweise implizit behandelt, so etwa solche im Zusammenhang mit einem Fußballspiel 2004 zwischen einer kurdischen und einer arabischen Mannschaft oder die Tötung des Kindes Hamza al-Khatib in 201110), ebenso die komplexen politischen Verstrickungen des ASSAD-Regimes mit Iran und der Hisbollah im Libanon. Regelmäßiger Bezug in allen Erzählungen war auch der sogenannte Arabische Frühling, der ab 2010 in vielen Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas zu zivilgesellschaftlichen Protesten und dann deren autoritärer Niederschlagung geführt hatte. [27]
4.1 Fall 1: Mustafas11) Wandel von Voice zu Exit
Mustafa wurde Anfang der 1990er geboren und hat in einem Dorf nahe Damaskus gelebt. Er stammt aus einer Familie mit mehreren Geschwistern. Die Familie verfügte über Immobilienbesitz, bezog aus dessen Verwaltung und Vermietung Einkünfte, worum sich der Vater kümmerte. Zudem wurden auch kleinere landwirtschaftliche Aktivitäten betrieben, bei denen die Kinder im Sommer ebenfalls mithalfen. Trotz der Angabe, mehrere Geschwister zu haben und in der Kindheit sowie Jugend viel Zeit mit der Familie verbracht zu haben, stellte jene allerdings kein dominantes Thema in der biografischen Selbstdarstellung Mustafas dar. Nach dem Besuch von Grundschule und weiterführender Schule erwarb Mustafa 2011 das Abitur und begann im Anschluss daran ein Jurastudium in der Hauptstadt Damaskus. Nach circa einem Jahr sah er sich aufgrund des anhaltenden Konfliktgeschehens und von Repressionen dazu gezwungen, jenes zu beenden. Dieses Ereignis stand im Zusammenhang mit der Teilnahme an Demonstrationen und dem Entdecken des Familiennamens auf Fahndungslisten syrischer Soldaten, welche an den Checkpoints auf dem Weg nach Damaskus Kontrollen durchführten, bei denen es immer wieder zu Willkür, Gewaltanwendung und Festnahmen kam (DANISH IMMIGRATION SERVICE 2019, S.7-12; HUMAN RIGHTS WATCH 2020, S.38f.). [28]
Nach dem Abbruch des Studiums begann Mustafa damit, eine anderweitige Tätigkeit auszuüben. Er engagierte sich in einer Nichtregierungsorganisation, welche medizinische Hilfe für Kranke und Verletzte leistete. Dieses Engagement geschah anfangs auf ehrenamtlicher Basis, wurde jedoch später zu einer Erwerbstätigkeit mit fester Entlohnung. So nahm Mustafa im Rahmen dieser Tätigkeit auch an einer radiologischen Schulung teil. Zu erwähnen ist hier außerdem, dass medizinisches Personal in Syrien auf besondere Weise dem Risiko organisierter Gewalt ausgesetzt ist, da es Berichte über gezielte Angriffe auf medizinische Einrichtungen sowie deren Personal aufgrund der Behandlung (vermeintlicher) Oppositioneller gibt (FLECK 2015, S.2194f.). Mustafa engagierte sich dort bis zum Jahre 2015, in dem es zu einem Vorfall in der Klinik der Organisation gekommen ist. Er wurde von einer bewaffneten Gruppe angegriffen, welche mutmaßlich der Terrororganisation ISIS angehört. [29]
Kurz nach dieser Erfahrung während Mustafas medizinischer Tätigkeit entschied er sich dazu, Syrien zu verlassen. Ende 2015 reiste er in den Libanon, wo er circa einen Monat verbrachte und auf seinen Bruder traf. Von dort aus reisten beide gemeinsam weiter in die Türkei und anschließend über die "Balkan-Route" (vgl. CRAWLEY, DÜVELL, JONES, McMAHON & SIGONA 2018, S.33-36 zur "Eastern Mediterranean Route") bis nach Deutschland. Sie kamen im Frühjahr 2016 an und lebten zuerst in einer Aufnahmeeinrichtung. Mustafa erhielt zügig einen gültigen Aufenthaltstitel für drei Jahre und zog in eine Großstadt im Ruhrgebiet, da dorthin persönliche Netzwerke bestanden und er ein Studium anstrebte. Nach dem Absolvieren von Deutsch- und Integrationskursen begann er 2018 ein Studium an einer großen Universität. Zum Zeitpunkt des Interviews war sein Aufenthaltstitel gerade um drei weitere Jahre verlängert worden. [30]
Betrachtet man Mustafas Erzählung, lassen sich zwei klare Wendepunkte festmachen.
"[...] bis ungefähr 2012, 2012 hab ich die letzten Klausuren an der, in der Uni geschrieben, ehm, in manche Zeiten konnte ich die Uni nicht mehr besuchen, weil ich nicht mehr in Damaskus [fahren] konnte, wenn die Situationen, dass unterwegs entweder Konflikte war oder dass ich, ehm, mich nicht sicher gefühlt habe dahinzufahren, weil da unterwegs viele Checkpoints waren und die die Menschen geärgert haben, sodass ich die Gefahr sehe, dass ich beispielsweise verhaftet sein kann" (Transkript, Z.58-63).12) [31]
Der erzwungene Abbruch des Studiums gilt als erster Wendepunkt. Er besitzt einen eindeutig gewaltsamen Charakter, da sowohl direkte Gewalt als auch indirekter Zwang durch Präsenz und Praxis der an den Checkpoints befindlichen Soldaten ausgeübt wurde. Zudem lassen sich die syrischen Soldaten als organisierte Gruppe, welche gemeinsame Interessen verfolgt, charakterisieren, sodass die Erfahrung, welche mit diesem Wendepunkt zusammenhängt, als Erfahrung organisierter Gewalt gelten kann. Der Wendepunkte führt endgültig zu einer Voice-Strategie, durch die er eine Verbesserung der Handlungssituation innerhalb des Bürgerkriegs herbeizuführen versuchte und deren Charakter in den Argumentationen Mustafas über das Ergreifen eines medizinischen Engagements deutlich wird:
"und die durften in Damaskus nicht fahren, weil da zwischen gibts Checkpointe, sodass, also, wenn die verletzten Menschen dann in Damaskus fahren, werden sie entweder verhaftet oder die durften nicht reinkommen, weil [...] ja, weil sie politisch dagegen und dann [...] danach manche davon [...] gekämpft haben, dann werden sie für- für die Regierung gefährliche Menschen, dass sie verhaftet werden müssen, auch wenn sie verletzt sind dann hab ich mich langsam dafür engagiert, also eigentlich nur, medizinisch, um Menschen zu helfen [...] und wenn ich auch mich für, eh, die Menschen engagiere, in einer Organisation, die [...] nicht für die Regierung gehört, das war verboten" (Transkript, Z.87-103). [32]
Gleichzeitig kann diese Reaktion auf organisierte Gewalt auch als Versuch der Wiedererlangung von Selbstwirksamkeit betrachtet werden: Der fremdbestimmte, forcierte Abbruch des Studiums hätte in einer weiterhin fremdbestimmten Situation enden können. Mustafa aber verfolgte Voice, um seine Selbstwirksamkeit aufrechtzuerhalten, da er weiterhin als Handelnder auftrat und gleichzeitig versuchte, aktiv an den Lebensbedingungen mitzuwirken und diese zu verbessern. Der Wendepunkt, der Wandel zu Voice und der damit einhergehende ausgehandelte Orientierungsrahmen der Selbstwirksamkeit sind also in ihrer Entwicklung entscheiden miteinander verwoben. [33]
Die Erfahrungen organisierter Gewalt im Rahmen des Studienabbruchs haben demnach einerseits zu einem biografischen Wendepunkt geführt, andererseits äußert sich die alltägliche Präsenz von organisierter Gewalt auch in der Lebenswelt. Mustafa beschrieb das Erscheinen seines Namens auf einer Fahndungsliste des Staates und erwähnte, diese Form der Fahndung gelte "als Selbstverständnis bei uns, wenn man aktiv gegen die Regierung ist" (Transkript, Z.449f.), was sich als konjunktives Wissen einordnen lässt. Er berichtete weiterhin, diese Fahndung trete teilweise "nur einfach wegen der Nachnamen, wegen der Familie" auf und Menschen würden "dann verhaftet" (Transkript, Z.291 f.), damit sich andere Familienmitglieder der Regierung stellten. Zwar lässt sich nicht einwandfrei rekonstruieren, ob Mustafa bereits vor dem Studienabbruch oder erst im Anschluss daran begonnen hat, an Demonstrationen teilzunehmen, jedoch zeigt sich in beiden Fällen eine prozessartige Entwicklung hin zu Voice, die dann zum Engagement im medizinischen Bereich führte. [34]
Weitere Anhaltspunkte für die Präsenz von Erfahrungen organisierter Gewalt in der alltäglichen Lebenswelt finden sich in Erzählungen Mustafas über die Allgegenwart von Waffen oder die Willkür der syrischen Soldaten, insbesondere an Checkpoints. So berichtete er von willkürlicher Gewalt bei Routinekontrollen und der Festnahme von Schwerverletzten beim Passieren jener Checkpoints oder in öffentlichen Krankenhäusern. Das Gewaltgeschehen war demnach seit langer Zeit Teil der alltäglichen Lebenswelt. Es wird in Mustafas Narration innerhalb von Argumentationen sowie auch Erzählungen thematisiert, sodass diese Erfahrungen im Zuge der Analyse als Bestandteil von kommunizierbarem, unmittelbar geäußertem und gleichermaßen von konjunktivem Wissen gelten können. Als Reaktion auf diese Gewalterfahrung wählte Mustafa eine Voice-Strategie, welche sich in der Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen sowie dem Engagement in einer medizinischen Organisation ausdrückte. Das Engagement wurde dabei explizit mit einer normativ-politischen Begründung erläutert:
"und dann hab ich mir vorgenommen, entweder, also wenn ich dann weiter demonstrieren möchte und dann für die Menschen arbeiten, auch in dieser Organisation arbeiten möchte mit das- mit dieser Gruppe die Menschen helfen, dann, muss ich nicht mehr in die Stadt fahren durch die Checkpointe" (Transkript, Z.474-477). [35]
Dieses neu gewählte Handlungsschema lässt sich dementsprechend als "to voice one's complaints, while continuing as a member or customer, in the hope of improving matters" (HIRSCHMAN 1978, S.90) interpretieren. Denn es war in Bezug auf die Teilnahme an Demonstrationen einerseits darauf orientiert, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und schaffte andererseits durch die damit verbundene ehrenamtliche Tätigkeit eine Alternative zur institutionell vorgegebenen Ordnung, was insgesamt eine Verbesserung der Umstände zur Folge haben sollte. Das Schema gilt demnach als Voice, was insbesondere hinsichtlich der anfänglich beschriebenen Risiken für medizinisches Personal zu betrachten ist (siehe §29 in diesem Text). Der Wendepunkt, den der erzwungene Abbruch des Studiums darstellt, scheint diese Reorientierung in Richtung Voice eingeleitet zu haben. Die Voice-Strategie wurde auch beibehalten, als sein Familienname auf einer Fahndungsliste an den Checkpoints auftauchte und seine Schwester infolgedessen bei einer Kontrolle von den wachhabenden Soldaten abgewiesen wurde. Während die beschriebenen Ereignisse ebenfalls als Akte organisierter Gewalt (durch die indirekte, zwanghafte Wirkung) zu betrachten sind, wählte Mustafa also weiterhin die Voice-Strategie im Sinne eines "attempt at changing the [...] policies" (HIRSCHMAN 1970, S.30). [36]
Auch den fremdkontrollierenden Charakter der Ereignisse innerhalb der Biografie verdeutlichen Mustafas Schilderungen, da klar formuliert wird, dass die Soldaten zum Teil willkürlich vorgingen und die Bewegungsfreiheit durch Kontrollen sowie angedrohte Gewalt massiv eingeschränkt wurde: "die denken, die sind die Soldaten und die dürfen alles machen mit den anderen" (Transkript, Z.306f.). Darüber hinaus belegt auch der erzwungene Studienabbruch, dass Mustafa seine Situation als fremdbestimmt wahrgenommen hatte. Der Wendepunkt hatte dann zur Folge, dass Mustafa nicht nur eine Voice-Strategie ergriff, sondern damit auch wieder Erfahrungen der Selbstwirksamkeit machte. Sein aktives Engagement im medizinischen Bereich, verbunden mit seinen argumentativen Äußerungen über Unrecht und mangelhafte Versorgung durch das syrische Regime zeigen, dass er aktiv versuchte, seine Lebensumstände zu verbessern. Der Orientierungsrahmen lässt sich – dem weiter oben erläuterten Kontinuum entsprechend – als durch Selbstwirksamkeit geprägt charakterisieren. [37]
Als nächster Wendepunkt gilt der Angriff einer (mutmaßlichen) Gruppe des IS auf Mustafas Arbeitsstelle:
"also ich bin mir nicht sicher ob die auch für ISIS arbeitet, aber die war so bedroht, ne, also die war schon- also die meinten, die arbeiten dafür, ich kenne sie persönlich nicht und da an diesem Tag dann gabs auch noch eine- ehh, einen- so, Angriff auf uns und da war ich im Zentrum, nur ich mit einem Krankenpfleger und da wurden wir auch geschlagen, und, ehh, genau, das war in dieser Zeit ungefähr, also bevor ich dann Syrien [...] verlassen habe [...] also die Menschen haben wegen Konflikte Stress draußen und dann bist du, da musst du alles dann vielleicht erleben, dann können sie dich schlagen [...] und das konnte ich auch nicht mehr" (Transkript, Z.572-585). [38]
Dieser Wendepunkt birgt eine besonders tiefgreifende Veränderung des Orientierungsrahmens. Er hat Mustafa dazu gebracht, auf die anhaltenden Erfahrungen organisierter Gewalt nicht mehr mit Voice zu reagieren, sondern vorerst Exit als Strategie zu wählen.13) Gleichzeitig war neben der wahrgenommenen Gewalt im alltäglichen Umfeld (welche für diese Periode von Mustafa angesichts eines Konfliktes zwischen dem IS und anderen Oppositionellen als besonders einschneidend beschrieben wurde) eine persönliche Betroffenheit von organisierter Gewalt durch den Angriff entstanden. Dieser Wechsel zwischen den Strategien vollzog sich allerdings nicht plötzlich, da das Ereignis nicht unmittelbar zu einem Wendepunkt führte, sondern prozessartig. Zudem zeigt dieser Punkt in der Erzählung eindrücklich den ambivalenten Charakter von Exit: Während sowohl der Studienabbruch als auch der Beginn der Flucht durch fremdbestimmte (durch Akteur*innen organisierter Gewalt verantwortete) Erlebnisse ausgelöst wurden, enthält die dann getroffene Entscheidung der Flucht in Mustafas Erzählung auch ein Element von Selbstwirksamkeit. Die Fremdkontrolle führte also in diesem Fall zu Exit, was aber gleichzeitig in einer langfristigen Perspektive und in Bezug auf die daraus resultierenden Handlungsoptionen zu einer Wiedererlangung der Selbstwirksamkeit führt. Letztere kann zwar in bestimmten Fällen wieder zu einer Form des Voice führen (GAMMAGE 2004, S.760; HOFFMANN 2010, S.60f.), dass dies aber nicht automatisch geschieht, wird in der späteren Gegenüberstellung der hier betrachteten Fälle deutlich.14) [39]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Exit im Falle Mustafas aus langanhaltender Präsenz von Gewalt in der alltäglichen Lebenswelt sowie zwei biografisch relevanten Ereignissen resultierte, die Wendepunkte darstellten und zu einer Rekonstruktion des Orientierungsrahmens zwischen Selbst- und Fremdbestimmung geführt haben. Diese Neuausrichtung vollzog sich prozessartig und sequenziell, sodass der Fall die Notwendigkeit eines "prozessanalytischen Zuganges" (WORM 2019, S.43f.) zur Migrationsforschung im Kontext von Bürgerkriegen und anderen (gewaltsamen) Konfliktlagen widerspiegelt. Diese Annahme unterstützen beispielsweise Aussagen Mustafas darüber, dass er schon mehrere Wochen vor dem Angriff über eine Flucht nachgedacht hatte und auf Nachfrage angab, fast ein Jahr lang Geld zu diesem Zwecke gespart zu haben. [40]
In der gegenwärtigen Perspektive assoziierte Mustafa mit Deutschland Worte wie "Freiheit", "Sicherheit" (Transkript, Z.820, 902, 911) oder auch die Abwesenheit von "Stress" (Transkript, Z.809f.) und die Möglichkeit zum "ins Bett fallen lassen" (Transkript, Z.811), während die Erzählungen über Syrien bis heute in Verbindung mit Erfahrungen organisierter Gewalt stehen (vor allem präsent durch die Erwähnung von "Waffen" [Transkript, Z.177, 412, 520-527] oder "schlagen" [Transkript, Z.576, 584] sowie die häufige Beschreibung der damaligen Lage mit dem Wort "Stress" [Transkript, Z.183, 551, 564-569, 582f., 592]). Seine Integration im Sinne einer chancengerechten Teilhabe an den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (PRIES 2016, S.171-182) erscheint gelungen. Das lässt sich an einer gefestigten Erzählperspektive in der Gegenwart sowie fortgeschrittener Teilhabe in verschiedenen Gesellschaftsbereichen wie Erwerbsleben, Bildungswesen und kulturellen Tätigkeiten festmachen. Die Narration dazu lässt an manchen Stellen ebenfalls auf eine prozesshafte Entwicklung seit der Ankunft in Deutschland schließen, liefert allerdings nur bedingt Informationen über jene. Generell fällt aber auf, dass die (historische) Zeit dieser Ereignisspanne sich als kleiner erweist als beispielsweise bei Asina (Abschnitt 4.2) oder auch anderen im Rahmen der Forschung interviewten Personen. Mustafa hat seine Selbstwirksamkeit durch Exit wiedererlangt. "Success via exit from one's group" (HIRSCHMAN 1970, S.112) scheint also nicht nur zuzeiten HIRSCHMANs, sondern auch in der Betrachtung gegenwärtiger Migrationsverläufe eine Perspektive zu sein. Exit meint hierbei allerdings vor allem ein Verlassen der Handlungssituation und sollte im Kontext von Teilhabe nicht mit einer Loslösung von den Bezügen der Herkunftsgruppe verwechselt werden, wie es in an Assimilation orientierten Integrationsmodellen der Fall ist (ESSER 2001). Zum Zeitpunkt des Interviews bezogen sich Mustafas Selbstwirksamkeitsbestrebungen auf Deutschland. Auf dem Weg dorthin endet entsprechend die grafische Darstellung seines biografischen Orientierungsrahmens (Abbildung 1).
Abbildung 1: Orientierungsrahmen zwischen Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle [41]
4.2 Fall 2: Asinas Fluchtverlauf: Wendepunkte in Herkunfts- und Ankunftsland
Bei Asina handelt es sich um eine Syrerin kurdischer Herkunft15), welche aus Aleppo stammt und ebenfalls Anfang der 1990er Jahre geboren wurde. Asina war zum Zeitpunkt der Flucht Schülerin, ihre Familie war bereits 2012 in Deutschland angekommen, sodass ihre Flucht im Vergleich zu den meisten anderen Interviewten verhältnismäßig früh stattfand und die Ankunftssituation anders war als im Jahre 2015, welches als besondere Aufnahmesituation betrachtet werden kann (PRIES 2016, S.21f.). Sie hat mehrere Geschwister, und ihr Vater arbeitete in Syrien als Arzt, was der Familie ein gewisses Prestige sowie eine komfortable ökonomische Ausgangssituation bot. Im Jahre 2012 strebte sie gerade ihr Abitur an, um in Anschluss daran ein Studium aufnehmen zu können. Im Interview beschrieb sie ein inniges Verhältnis zu ihren Eltern sowie einen hohen emotionalen Stellenwert der Familie. [42]
Zeitgleich zum anvisierten Abitur von Asina begannen auch die Konflikte in Syrien. Asinas Vater war ebenfalls von der Repression der Konfliktparteien gegenüber medizinischem Personal betroffen, welche bereits für Mustafas Fall näher erläutert wurde. So schilderte sie, dass ihr Vater und seine Kolleg*innen immer wieder von verschiedenen Parteien des Bürgerkrieges dazu gedrängt wurden, Informationen weiterzugeben. Eine freie Ausübung der medizinischen Tätigkeit schien nicht möglich gewesen zu sein, die Repression äußerte sich in Form von Drohungen, körperlicher Gewalt sowie Entführungen von betroffenen Ärzt*innen oder auch deren Angehörigen. Aufgrund der ständigen und koordinierten Vorgehensweise der Konfliktparteien gegenüber Ärzt*innen lassen sich diese Handlungen als organisierte Gewalt definieren. Sie traten recht früh in der Erzählung auf und wurden als Teil der alltäglichen Lebenswelt dargestellt. So wurde von Entführungen berichtet, die die Kinder von Bekannten (ebenfalls medizinisch Tätigen) getroffen hatten oder von massiver Gewalt gegenüber anderen Ärzt*innen, welche im öffentlichen Raum geschah:
"Und äh, der Zeitraum auch äh gings auch andere Ärzte halt ähm (2)16) auch halt, wie heißt das? Ging denen halt scheiße äh wurde halt ein Mädchen auch ähm (2) entführt, also ne Bekannte halt, äh die der Mann- also der Vater von ihr war der äh Freund von meinem Papa. Und da hat auch ein anderer Mediziner also wurde halt einfach geschlagen also richtig ohne Ende und irgendwo beim Mülleimer geschmissen und da gings richtig Berg runter bei uns von Sicherheit her" (Transkript, Z.64-69). [43]
Diese Schilderungen zeigen, wie Asina die Erfahrungen innerhalb ihrer Lebenswelt als abnehmende Sicherheit insbesondere für Ärzt*innen und deren Familien typisierte, sodass sie zum kommunizierbaren Wissen der alltäglichen Lebenswelt gezählt werden können. Diese Erfahrungen hatten kein Ergreifen einer Exit- oder Voice-Strategie zur Folge. Asinas Orientierungsrahmen war zunächst durch Loyalty geprägt. Die Möglichkeit des Eintretens derartiger Situationen liefert einen ersten Anhaltspunkt für einen fremdbestimmten Orientierungsrahmen, der sich aus der organisierten Gewalt ergab. Auch Asina wurde als Opfer einer versuchten Entführung zum Ziel dieser organisierten Gewalt, was den ersten biografischen Wendepunkt darstellt:
"Einmal wurde ich- das war zwei Tage, einen Tag, ne das- einen Tag vor dem ähm (2) flüchten, also von Syrien flüchten, ähm wurde ich halt äh versucht zu entnommen, also äh dass sie halt mich ernehmen so n äh nicht äh, festnehmen nicht, sondern entführen. Genau" (Transkript, Z.76-83). [44]
Von ähnlichen Entführungsversuchen berichteten auch andere Schutzsuchende aus Aleppo mit kurdischer Herkunft (AMNESTY INTERNATIONAL 2016, S.22f.; BERGEDIECK 2019, S.201). Generell lässt sich zudem feststellen, dass Menschen mit kurdischer Zugehörigkeit ein erhöhtes Risiko aufweisen, Opfer von Gewalt und Repression zu werden (ROSENTHAL et al. 2016, §87ff.; SÆVERÅS & FABRA-MATA 2016, S.17-22; WORM 2019, S.171-207). Die Familie floh als Reaktion auf die versuchte Entführung Asinas zeitnah in die Türkei. Für Asina führte dies zu einem biografischen Wendepunkt von Loyalty zu Exit. Auch hier zeigt sich die Ambivalenz von Exit im Hinblick Selbstwirksamkeit und Fremdkontrolle, denn die Exit-Entscheidung wurde von der gesamten Familie getroffen und war zunächst als aktive, aber defensive Problemlösung zu interpretieren im Sinne von HIRSCHMANs "solving their problems through 'physical flight'" (1970, S.107). Aufgrund ihrer kurdischen Herkunft und der als problematisch beschriebenen rechtlichen Lage für Flüchtlinge dort entschied sich die Familie allerdings nach kurzer Zeit, die Flucht fortzusetzen und nach Deutschland zu reisen. Das zeigt, dass Exit als zwischenzeitliche Strategie nicht immer denselben Ausgang haben muss und sowohl "Voicelessness" (HEINS 2020, S.46f.) als auch "Voice in exile" (S.48f.) denkbare Resultate einer Exit-Strategie sein können. [45]
In Bezug auf Orientierungsrahmen kann Exit auf Dauer sowohl zu einer selbstwirksameren als auch zu einer fremdkontrollierten Orientierung führen. Asinas Vater reiste 2012 zurück nach Syrien, um seine Arbeit fortsetzen zu können und die Familie zu unterstützen. Während sich Asina und der Rest der Familie der Fremdkontrolle durch organisierte Gewalt mittels Exit-Strategie entzogen, kehrte der Vater zurück. Er wählte eine Loyalty-Strategie mit Voice-Elementen, indem er die Einschränkungen durch das Gewaltgeschehen zunächst für sich selbst weiter hinnahm und sich den damit einhergehenden Handlungszwängen unterwarf. Dies tat er, um die ökonomische Stellung seiner Familie zu sichern und den Rest der Familie im Transit zu unterstützen und somit deren Exit-Strategie zu sichern. Seine Loyalty ermöglichte gewissermaßen die Exit-Strategie der restlichen Familie. Das zeigt erneut, dass die hier angewandten Kategorien prozessartig und relational zu verstehen sind. [46]
Gegen Ende des Jahres kam Asina mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in Deutschland an. Die Ankunftssituation wurde von Asina als sehr belastend empfunden, da sie sich in einer vollen Erstaufnahmeeinrichtung befanden, in der viele Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern wohnten. Trotz der allgemein prekären Lage wurde der Familie von anderen Kurd*innen in dieser Situation Hilfe angeboten, sodass einige kurdische Männer ihre Zimmer der Familie gaben und stattdessen auf dem Boden übernachteten. In dieser Situation zeigte sich in Asinas Erzählung deutlich der ambivalente Charakter von Exit. Zwar hat Exit zunächst ein ermächtigendes Moment von Selbstwirksamkeit, diese Strategie kann aber auch, zumindest temporär, in einer fremdbestimmten Lage enden, wie es bei Asinas Wahrnehmung der Aufnahmesituation in Deutschland der Fall war. [47]
Da Asina und ihre Familie auf einen Nachzug des Vaters gehofft hatten, warteten sie lange auf das Erlangen eines dafür geeigneten Aufenthaltstitels. Die Abwesenheit dieses Titels sorgte dafür, dass Asina nicht zur Schule gehen konnte, die Familie oft umziehen musste und es viele Gespräche mit Behörden gab. Asina stellte die Abwesenheit des Aufenthaltstitels gemeinsam mit der Abwesenheit des Vaters als zentrale Probleme in Deutschland dar. Neben einem Hinweis auf die Bedeutung des Asylstatus für Zugehörigkeit und Teilhabe (JANOTTA 2014; MOHR 2005) zeigt sich hier, dass ein fehlender Asylstatus als fremdbestimmendes Element innerhalb des Lebensablaufes wirken kann. Aus Asinas Erzählung wird deutlich, dass auch die in Deutschland als undurchsichtig und schwer nachvollziehbar empfundene Bürokratie eine fremdbestimmte Orientierung verstärkte. Diese Aspekte des Orientierungsrahmens wurden durch die Erfahrung finanzieller Restriktionen und eines unsensiblen Umgangs mit der Familie dargestellt:
"Und grade du bist im Stress, du bist im Sprachprobleme, du bist im ähm Papierkram und sowas halt alles, das ist alles neu für uns auch, ne. [...] Ich bin grade siebzehn. Eigentlich muss ich zur Schule. Gesetzliche Schulordnung ne. Nöö. Warten. 'Sie haben noch nicht- keinen Aufenthaltstitel' und sowas halt" (Transkript, Z.812-831). [48]
Diese Erfahrungen lassen sich ebenfalls dem konjunktiven Wissen zuordnen, da Asina diese Erfahrungen vor allem in Verbindung mit der Abwesenheit ihres Vaters in der Zeit nach der Ankunft in Deutschland schilderte, was als spezifischer Erfahrungsraum für Asina als älteste Tochter einer geflüchteten Familie ohne gültigen Aufenthaltsstatus gelten kann. Biografisch bedeutsam war dabei die fehlende Teilhabe am Bildungssystem, die gleichzeitig ihren jüngeren Geschwistern nicht verwehrt wurde. [49]
Der Erhalt des Aufenthaltstitels sowie der anschließende Nachzug des Vaters stellten einen weiteren biografischen Wendepunkt dar, welcher allerdings losgelöst von Erfahrungen organisierter Gewalt zu sehen ist. Auch Asinas Vater schloss sich nun der Exit-Strategie an und flüchtete vor dem Konfliktgeschehen. Die nun gegebene Möglichkeit des Schulbesuches sowie die Ankunft des Vaters stellten den Beginn einer Neuaushandlung des Orientierungsrahmens dar. Asina konnte ab diesem Zeitpunkt die Schule besuchen, lernte Deutsch, und die Familie zog dauerhaft in eine Großstadt im Ruhrgebiet. Ihr Vater konnte nach dem Absolvieren eines Sprachkurses wieder als Arzt arbeiten, sodass sich auch die ökonomische Stellung der Familie verbesserte. Im Jahre 2017 machte Asina ihr Abitur und begann im Anschluss daran ein Studium an einer Universität im Ruhrgebiet. Sie zog zu diesem Zwecke auch von Zuhause aus. Gleichzeitig beschrieb Asina regelmäßige Gespräche über Skype mit ihren Eltern, aber auch mit Verwandten im Ausland oder in anderen deutschen Städten. Ihre Teilhabe erstreckte sich über mehrere Nationalstaaten überspannende soziale Räume und war somit transnational (PRIES 2010, S.35-39). Ihr Orientierungsrahmen hat sich nach diesem Wendepunkt erneut gewandelt. Die Selbstwirksamkeit wurde wieder zur vorherrschenden Orientierung in der biografischen Darstellung, was durch das Verlassen des Elternhauses und das Ziehen in eine eigene Wohnung, die positive Darstellung des Lebens in der Diaspora in Deutschland sowie persönlichen Erfolg in der Bildungskarriere durch das Abitur und die Aufnahme eines Studiums verdeutlicht wird. In der Gegenwart schilderte Asina ihre Erfahrungen sehr gefasst und sicher, zudem hatte sie ihre Fluchtgeschichte auch schon einmal in einem öffentlichen Medienauftritt erzählt. Es gibt also Anhaltspunkte dafür, dass Asinas Exit in einer langfristigen Entwicklung zu einer "externalization of voice" (HOFFMANN 2010, S.60) geführt hat. [50]
Auch Asinas Fall zeigt, dass die Präsenz organisierter Gewalt im Kontext der alltäglichen Lebenswelt nicht notwendigerweise zum Ergreifen der Exit-Option führte, da gegenüber der Familie solange Loyalty praktiziert wurde, bis es zu einer persönlichen Betroffenheit durch organisierte Gewalt kam. Vielmehr wurde die Präsenz organisierter Gewalt im Wirklichkeitsbereich des Alltags in den hier präsentierten Fällen alternativ bearbeitet. Erst wenn die Verlaufskurve, welche das Gewaltgeschehen in den Narrationen oft darstellt, den Handlungsraum immer zunehmender einschränkte und dadurch auch biografische Perspektiven der Betroffenen verunmöglichte, führte dies für Mustafa und Asina zur forcierten Migration. [51]
5. Vergleich der Fälle: Orientierungsrahmen und organisierte Gewalterfahrungen
Hinsichtlich der erzählerischen Darstellung und Verarbeitung organisierter Gewalt fällt zunächst im Vergleich zu Mustafas Fall auf, dass Asinas Flucht deutlich früher nach Beginn des Bürgerkrieges erfolgte. Zudem flüchtete Asina gemeinsam mit der Familie, während Mustafa nur mit seinem Bruder migrierte. Die Lage des Wohnortes in Syrien sowie die Zugehörigkeit Asinas zur kurdischen Minderheit spielten bei diesen Unterschieden möglicherweise ebenfalls eine Rolle (OKAMOTO & WILKES 2008, S.348). Die mit organisierter Gewalt zusammenhängenden Erfahrungen machten in Asinas biografischer Erzählung einen vergleichsweise kleinen Anteil aus; Mustafa hatte den Bürgerkrieg bis 2015 selbst erlebt. Da beide zum Zeitpunkt des Interviews eine stabile Situation und eine recht hohe gesellschaftliche Teilhabe aufwiesen, lässt sich die Verarbeitung von Erfahrungen organisierter Gewalt in der Narration gut vergleichen. [52]
So existieren Unterschiede hinsichtlich des Umgangs mit Gewalt: Mustafa hat auf die Fremdkontrolle lange Zeit mit Voice reagiert, bis der Angriff des IS einen Wendepunkt in Richtung Exit einleitete. Asina hat in Absprache mit ihrer Familie früh mit Exit reagiert, während ihr Vater lange Zeit Loyalty praktiziert hat. Diese unterschiedlichen Reaktionen zeigen, dass das EVL-Konzept einen idealtypischen Charakter hat und insbesondere die Kategorie des Exit einen ambivalenten Charakter aufweist, der abhängig von weiteren Ereignissen und Erfahrungen, insbesondere von weiteren biografischen Wendepunkten, langfristig sowohl zu Selbstwirksamkeit als auch zu Fremdkontrolle führen kann. Die Phase des Exit kann somit als Umschlagspunkt zwischen den Orientierungsrahmen betrachtet werden. Das zeigt sich dadurch, dass jene bei Asina sowohl in der Türkei als auch nach der Ankunft in Deutschland für eine lange Zeit weiterhin zu einer als fremdkontrolliert wahrgenommenen Perspektive geführt hat, während das Prozessieren von Exit bei Mustafa deutlich schneller zu erhöhter Selbstwirksamkeit und der Wiedererlangung der Handlungsmacht führte. [53]
Im Vergleich zu Mustafa hat Asina zwar auch zwei biografische Wendepunkte erlebt, hier war aber nur der erste mit direkten Erfahrungen organisierter Gewalt verbunden. Die Entscheidung zum Exit führte für Asina erst verhältnismäßig spät zur Wiedererlangung der Selbstwirksamkeit, während ein fremdbestimmender Aspekt auch nach der Ankunft in Deutschland, vor allem wegen ungeklärter Aufenthaltsstatusfragen noch lange wirkte. In beiden Fällen war Exit eine Reaktion auf massive Fremdbestimmung, die sich als Orientierungsrahmen durch das Erleben organisierter Gewalt in der alltäglichen Lebenswelt ergeben hat. Dieses Erleben in der alltäglichen Lebenswelt wurde dann aufgrund spezifischer Ereignisse zu einem biografischen Wendepunkt, der in beiden Interviews als eine vergleichsweise ausgedehnte erzählerische Ausgestaltung spezifischer Wegscheidensituationen, mit denen ein Wechsel der ergriffenen Strategie in Bezug auf Exit, Voice und Loyalty sowie eine Neuaushandlung des Orientierungsrahmens einhergeht, identifiziert werden kann. [54]
Beide Fälle zeigen, dass Erfahrungen organisierter Gewalt in narrativen Interviews sowohl als Teil der alltäglichen Lebenswelt als auch als Auslöser für biografische Wendepunkte dargestellt werden. Die Typisierung von Erfahrungen organisierter Gewalt in der alltäglichen Lebenswelt war in den vorgestellten Fällen ähnlich. In beiden Fällen wurde organisierte Gewalt auch explizit und spontan von den Interviewten thematisiert. Damit zusammenhängende Erfahrungen wurden in beiden Fällen direkt kommuniziert im Sinne des Wissens der alltäglichen Lebenswelt, wenn die Interviewten von Angriffen gegen sie selbst oder in ihrem Umfeld berichteten. Weiterhin sind diese Erfahrungen auch Teil des konjunktiven Wissens, sie sind eingelagert in Erzählungen und Berichten über die eigenen Handlungen, aber auch über die fremdbestimmenden Faktoren innerhalb der Biografie. Aus ihnen ergibt sich eine implizite Verarbeitung der Erfahrungen basierend auf der alltäglichen Lebenswelt, in der sich immer wieder Ereignisse abspielen, die Akteur*innen organisierter Gewalt zuzuordnen sind. Es handelt sich hier dementsprechend auch um einen spezifischen Erfahrungsraum. [55]
Die Abbildung 1 kann verdeutlichen, dass die idealtypische Differenzierung zwischen Fremdkontrolle und Selbstwirksamkeit sowie die von HIRSCHMAN entwickelte EVL-Typologie hilfreich sein können, um die Dynamik biografischer Orientierungsrahmen unter den spezifischen Bedingungen organisierter Gewalt zu analysieren. Mustafas Lebensablauf war nach Erleben des ersten Wendepunktes vor allem von einer Selbstwirksamkeit im Sinne des Voice gekennzeichnet. Diese Selbstwirksamkeit hat er durch Demonstrationen und sein medizinisches Engagement praktiziert, welches nach dem erzwungenen Abbruch des Studiums zu einem Wiedererlangen von Handlungsmacht geführt hat. Der bewaffnete Überfall auf die Klinikarbeitsstätte leitete einen zweiten Wendepunkt ein, der in Mustafas Exit-Strategie forcierter Migration mündete. Diese Exit-Strategie kann auf Dauer als ermächtigendes Moment gesehen werden, sodass der fremdbestimmte Abbruch des biografischen Voice-Projektes langfristig zu einer Wiedererlangung von Selbstwirksamkeitserfahrungen führte. Auch viele andere der durchgeführten biografischen Interviews lassen erkennen, dass biografische Wendepunkte, die mit Exit verbunden sind, im weiteren Lebenslauf sowohl zu einer Stärkung von Selbstwirksamkeit und Voice als auch zu Fremdkontrolle und Loyalty führen können. Generell wird die Voice-Option wahrscheinlicher, wenn die alltägliche Lebenswelt insgesamt Möglichkeiten für Selbstwirksamkeitserfahrungen bietet. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kamen z.B. SARI et al. (2020) für syrische Studierende in der Türkei. Diese Erkenntnisse haben weitreichende Konsequenzen für die praktische Eröffnung und Gestaltung von Teilhabestrategien in Ankunftsländern wie Deutschland. Sie liefern Anhaltspunkte für die Notwendigkeit transparenter und inklusiver Verwaltungs- und Bildungsstrukturen, um eine Form von Selbstwirksamkeit für jeden in Deutschland lebenden Menschen gleichermaßen zu verwirklichen. Auch über Deutschland hinaus kann weitere Forschung in diesem Kontext Stellen aufdecken, an denen durch humanitäre oder politische Interventionen die Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit in der Fluchtmigration begünstigt werden kann. [56]
Hinsichtlich der verwendeten Methodologie und Methoden ist kritisch anzumerken, dass Gewalterfahrungen in anderen Interviews teilweise nur wenig thematisiert wurden oder längere Passagen spontaner Erzählungen kaum zustande kamen. Teilweise wurden Gewalterfahrungen gar nicht oder erst im immanenten oder exmanenten Nachfrageteil angesprochen. Um die Brauchbarkeit des EVL-Konzeptes zu prüfen, wurden für diesen Beitrag zwei Interviews ausgewählt, die relativ ausführliche Anteile autobiografischer Spontanerzählungen aufweisen. Dies ist bei möglichen vergleichenden oder generalisierenden Betrachtungen zu berücksichtigen. Denn es liegt nahe, dass bestimmte Typen von biografischen Verarbeitungen von Fluchtmigration, vor allem von traumatischen Erfahrungen, nicht durch die Methodologie autobiografischer Stehgreiferzählungen erfasst werden können. Dies kann zu einem Bias führen, gewalt- oder traumabedingt wenig "flüssige" Narrationen in der soziologischen Migrations- und Fluchtforschung nicht ausreichend zu berücksichtigen. Diese systematische Verzerrung mischt sich mit einer weiteren Problematik, die sich aus der eingeschränkten Narration aufgrund sprachlicher Barrieren ergibt. Eine solche besonderen Probleme berücksichtigende Erweiterung der Methoden beispielsweise durch Visualisierungen oder Gruppendiskussionen (BOGNER & ROSENTHAL, 2014) oder "Participatory Mapping" (EMMEL, 2008) könnte hier möglicherweise helfen, gewissen Lebenserfahrungen mehr Beachtung zu verschaffen. Aus Platzgründen konnte hier eine umfassendere Kontextualisierung der biografischen Erzählungen nicht vorgestellt werden; diese konnte aber bei der Analyse immer wieder vorgenommen werden, wobei vor allem die Tatsache hilfreich war, dass im Auswertungsteam ein aus Syrien geflohener und inzwischen in Deutschland Soziologie Studierender beteiligt war. Hierdurch konnten viele, auch implizite Datums- und Ortsangaben in größere Ereigniszusammenhänge eingeordnet werden. Auch diese Erfahrung unterstreicht die Bedeutung eines integrativen und partizipativen Vorgehens. [57]
Weiterhin hat insbesondere der Fall Mustafas gezeigt, dass die Fähigkeit zu einer ausführlicheren Narration über Flucht- und Gewalterfahrungen damit zusammenhängt, ob die erzählende Person eine stabile Gegenwartsperspektive und einen Mindestgrad gesellschaftlicher Teilhabe aufweist. Die weiter oben erwähnten möglichen Implikationen der Ergebnisse im Hinblick auf die Gestaltung verschiedener Aspekte des Ankommensprozesses im Ankunftsland lassen sich hier noch einmal bestätigen. Eine ähnliche Relevanz der aktuellen Lebenssituation für die Fähigkeit zur Narration betonte auch ROSENTHAL, wenn sie auf besondere Erfordernisse für "Gespräche in akuten Lebenskrisen" hinwies (2002, S.222). [58]
Die Analysearbeit an den zwei hier vorgestellten Interviews hat gezeigt, dass neben den Verfahren der (induktiven) Typengewinnung durch die dokumentarische Methode eine eher abduktive Identifikation von Wendepunkten durch vergleichende Sequenzanalysen und eine eher deduktiv-induktiv-abduktive Auswertungsstrategie unter Zuhilfenahme des EVL-Konzeptes in dem in Abschnitt 2 skizzierten konzeptionellen Rahmen möglich und sinnvoll ist. Für die gerade in Deutschland in den letzten Jahren im Zusammenhang der großen Flüchtlingsbewegung von 2015 entstandene Fluchtforschung erscheint eine explizite Fokussierung auf biografische Erfahrungen mit organisierter Gewalt sinnvoll. Dies erscheint geboten, um die biografischen Orientierungsrahmen der Menschen zu verstehen und die Dynamik von Fluchtentscheidungen und forcierter Migration aus der Perspektive von handlungsfähigen Subjekten und in der Perspektive ihrer von organisierter Gewalt durchzogenen alltäglichen Lebenswelten zu erklären. Das EVL-Konzept wurde von Albert HIRSCHMAN als selbst von forcierter Migration betroffenem Biografieträger entwickelt, aber bisher eher in politikwissenschaftlichen und organisationswissenschaftlichen Analysen verwendet. Ihm ist in der Fluchtforschung und vor allem in der auf forcierte Migration bezogenen biografischen Forschung eine angemessene Verbreitung zu wünschen. [59]
Wir danken den anonymen Gutachtenden für die substanziellen Hinweise und Vorschläge. Wir bedanken uns außerdem bei Carla SCHEYTT und Christian SCHRAMM für bedeutendes Feedback. Ein besonders großer Dank gilt allen Interviewteilnehmenden, die bereit waren, ihre Geschichten mit uns zu teilen.
1) Da formale Asylantragstellungen in vielen Ländern – auch in der Türkei – kaum möglich sind, verwenden wir hier die weiter gefassten Begriff forcierte, erzwungene oder Fluchtmigration synonym im Sinne der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Er bezieht sich auf "Migrationsbewegungen, die, auch wenn die Ursachen vielfältig sein können, Gewalt, Nötigung und Zwang einschließen" (IOM 2019, S.77). Der Begriff umfasst z.B. auch die venezolanischen Migrierenden, die ihr Herkunftsland (meistens nach Kolumbien) verlassen mussten und vom UNHCR als Extragruppe forcierter Migrierender ausgewiesen wurden. Zu den vielfältigen Begriffsverwendungen, die selbst in den Vereinten Nationen nicht einheitlich sind, vgl. etwa das Glossar der IOM (2019). <zurück>
2) Zuvor war schon 2013 das Netzwerk Fluchtforschung gegründet worden, vgl. https://fluchtforschung.net/ [Datum des Zugriffs: 23. Juli 2021]. <zurück>
3) Vgl. auch Studien über Vertreibungen und andere Formen erzwungener Auswanderung im Kontext des Nationalsozialismus in Deutschland oder des Frankismus in Spanien (PRIES & YANKELEVICH (2019). <zurück>
4) Die Frage, inwieweit auch ökonomische oder umweltbedingte Lebenszusammenhänge zu forcierter Migration führen können, kann hier nicht erörtert werden. <zurück>
5) Das hier entwickelte Verständnis von organisierter Gewalt ist wesentlich enger als etwa das von Johan GALTUNG vorgestellte: "violence as avoidable insults to basic human needs, and more generally to life, lowering the real level of needs satisfaction below what is potentially possible" (1990, S.292). Ein solches Verständnis von in gesellschaftliche Strukturen eingelagerten ungleichen Macht- und Chancenverteilung soll keineswegs in seiner möglichen Relevanz völlig negiert werden. Allerdings hat sich eine solch breite Gewaltdefinition als wenig hilfreich für spezifische empirische Untersuchungen im Allgemeinen erwiesen und erscheint für den hier interessierenden Zusammenhang erzwungener Migration zu diffus. <zurück>
6) "Wenn biographische Handlungsschemata das intentionale Prinzip des Lebensablaufs und institutionelle Erwartungsmuster wie das des Lebenszyklus das normativ-versachlichte Prinzip des Lebensablaufs repräsentieren, so stehen Verlaufskurven für das Prinzip des Getriebenwerdens durch sozialstrukturelle und äußerlich-schicksalhafte Bedingungen der Existenz. Etwas altmodischer kann man mit Aristoteles von Prozessen des Erleidens sprechen" (SCHÜTZE 1983, S.288). Biografische Wendepunkte werden dann definiert als "Wechsel zwischen einzelnen suprasegmentalen Prozeßstrukturen des Lebensablaufs" (SCHÜTZE 1984, S.100). Derartige Wendepunkte markieren also einen Wechsel in der Orientierung des Lebensablaufes, der je nach wirksamer Prozessstruktur anders ausfallen kann. <zurück>
7) Neben den in der Psychologie prominenten Begriffen der Selbstwirksamkeit, Fremdkontrolle und "erlernten Hilflosigkeit" (z.B. SELIGMAN 1979 [1975]) hat in der Soziologie vor allem Norbert ELIAS (1976 [1939]) mit dem Gegensatzpaar von Fremd- und Selbstkontrolle (allerdings spezifischer auf Leidenschaften und Gefühle bezogen) gearbeitet. Als Beispiel für entsprechende biografische Orientierungsrahmen von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte vgl. etwa BOZAY (2016). <zurück>
8) Arne WORM bezieht sich hier auf die Centros de Estancia Temporal de Inmigrantes (CETI), die als Aufnahmelager von der spanischen Regierung in der Enklave an der Grenze zu Marokko betrieben werden. <zurück>
9) Für eine ausführliche Debatte über diese und weitere Konzepte in der Fluchtforschung siehe ETZOLD (2019). <zurück>
10) Während einer Protestaktion am 29. April 2011 in der syrischen Stadt Daraa wurde der 13 Jahre alte Junge Hamza Ali Al-Khateeb von Sicherheitsbehörden verhaftet. Sein Leichnam, der viele Verletzungen, Verbrennungen und drei Einschusswunden aufwies, wurde den Eltern knapp einen Monat später ausgehändigt. Nachdem diese Bilder ihres toten Jungen verbreiteten, kam es zu zahlreichen Protesten, vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Death_of_Hamza_Ali_Al-Khateeb [Datum des Zugriffs: 30. Juli 2021]. <zurück>
11) Es wurden Pseudonyme verwendet und spezifische Ortsangaben, die die Anonymität der Interviewten infrage gestellt hätten, weggelassen. <zurück>
12) Kursive Hervorhebungen sind kein Teil des transkribierten Interviews, sondern dienen der Markierung sprachlicher Besonderheiten, die Rückschlüsse auf Wendepunkte erlauben. <zurück>
13) Vgl. zu solchen Wechseln von Voice zu Exit allgemein DOWDING et al. (2000, S.475): "the decision to exit could be taken at a later date following the failure of voice to raise standards". <zurück>
14) HIRSCHMAN (1978, S.96) selbst meinte, dass die Möglichkeiten des Wechsels von Exit in Voice "unequally distributed in modern societies" aufträten; die Chance, durch Exit auf Dauer die Selbstwirksamkeit zurückzuerlangen, hängt in der Regel mit sozioökonomischen Faktoren zusammen (OKAMOTO & WILKES 2008, S.359). <zurück>
15) Während Mustafa seine ethnische Selbstverortung im gesamten Interviewverlauf nicht thematisiert hat, sondern diese erst beim Ausfüllen des Bogens mit sozioökonomischen Merkmalen zur Sprache kam, hat Asina diese recht früh im Interviewverlauf selbst zur Sprache gebracht. <zurück>
16) Klammerausdrücke mit Ziffern in Interviewzitaten verweisen auf Sprechpausen in Sekunden. <zurück>
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Prof. Dr. Ludger PRIES, Lehrstuhl für Soziologie an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum; Forschungs- und Lehraufenthalte in Brasilien, Mexiko, Spanien und den USA. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: (international vergleichende) Organisations- und Arbeitssoziologie, Migrationssoziologie, Transnationalisierungsforschung. |
Kontakt: Prof. Dr. Ludger Pries Ruhr-Universität Bochum Tel.: +49 234 32-25429 E-Mail: ludger.pries@rub.de |
Nick LINSEL ist als Hilfskraft am Lehrstuhl Soziologie/Organisation, Migration, Mitbestimmung der Ruhr-Universität sowie im DFG-geförderten Projekt ForMOVe tätig. Bisherige Studien- und Forschungsschwerpunkte bilden unter anderem die Migrationssoziologie und die Biografieforschung. |
Kontakt: Nick Linsel Ruhr-Universität Bochum Tel.: +49 234 32-19663 E-Mail: nick.linsel@rub.de |
Pries, Ludger & Linsel, Nick (2021). Erfahrungen organisierter Gewalt in Lebenserzählungen syrischer Flüchtlinge zwischen Exit, Voice und Loyalty [59 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 22(3), Art. 12, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-22.3.3708.