Volume 22, No. 2, Art. 12 – Mai 2021
Was geschieht da eigentlich in Interviews? Ethnomethodologisch inspirierte Forschung zur qualitativen Interviewforschung
Judith Eckert
Review Essay:
Kathryn Roulston (Hrsg.) (2019). Interactional Studies of Qualitative Research Interviews. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins; 330 S.; ISBN 9789027202222 / ISBN 9789027262905; 99,00 Euro / 149,00 US-Dollar
Zusammenfassung: Interviews erscheinen als die qualitative Forschungsmethode der Wahl, sind selbst jedoch bislang nur selten Gegenstand qualitativer Methodenforschung geworden. Weitgehend unklar ist daher, was in qualitativen Interviews eigentlich genau geschieht und wie Interviews als Kommunikations- und Interaktionssituationen empirisch konstituiert werden. Mit dem in diesem Review Essay besprochenen Sammelband "Interactional Studies of Qualitative Research Interviews" setzt ROULSTON an dieser Forschungslücke an. In 12 Beiträgen widmen sich die Autor*innen ethnomethodologisch inspirierten (Re-)Analysen interaktiver Dynamiken, sozialer Handlungen und konversationeller Ressourcen in vorwiegend mündlich und Face to Face durchgeführten Interviews. Insgesamt liegt ein sehr lesenswerter Band vor, mit dem (erneut) die Leistungsfähigkeit einer ethnomethodologisch und konversationsanalytisch geschulten Perspektive für das Verständnis von Interviewinteraktionen demonstriert wird und dadurch Forschende angeregt werden können, in ihren eigenen Projekten Interaktionsdynamiken intensiver zu untersuchen. Für Forschende, die an einer methodologischen Auseinandersetzung mit Interviewforschung interessiert sind, bietet der Band nicht nur Einblicke in den interaktionstheoretischen State of the Art, sondern auch Anregungen für zukünftige Untersuchungen im Bereich der "social studies of interview studies" (RAPLEY 2012, S.552). Soll die Forschung zur Interviewforschung als Feld konsolidiert werden, schlage ich vor, die bislang dominierenden reflexiven Auseinandersetzungen mit eigenen Forschungserfahrungen durch systematische Studien zur Interviewforschung zu ergänzen, die Perspektiven verschiedener Forschungstraditionen einzubeziehen und den internationalen Austausch zur Interviewforschung weiter zu stärken.
Keywords: Interviews; Interviewforschung; Interaktion; Ethnomethodologie; Konversationsanalyse; angewandte Konversationsanalyse; Membership Categorization Analysis; diskursive Psychologie; Forschungspraxis; Reflexivität
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Beiträge des Bandes
2.1 Die Genese und Rahmung des Bandes
2.2 Beiträge zu Identitätskonstruktionen und Wissensproduktion in Interviews
2.3 Beiträge zu konversationellen Ressourcen und sozialen Handlungen in Interviews
2.4 Der Abschluss des Bandes
3. Abschließende Bewertung
4. Ausblick
Während Interviews innerhalb der qualitativen Forschung einerseits als die Methode der Wahl erscheinen und teilweise von einer "Interview Society" (ATKINSON & SILVERMAN 1997; vgl. auch CISNEROS-PUEBLA, FAUX & MEY 2004) die Rede ist, wird andererseits seit Längerem ein großes Forschungs- und Reflexionsdefizit bezüglich der Praxis qualitativer Interviewforschung moniert (z.B. BREUER et al. 2014, S.267ff.; BRIGGS 1986, S.2; DEPPERMANN 2013, §§27-28; HELFFERICH 2011, S.8; RAPLEY 2012, S.541f., 546; ULLRICH 2020, S.60ff.). Dies betrifft besonders die Untersuchung des Interviews als Kommunikations- und Interaktionssituation (vgl. bereits CICOUREL 1970 [1964]; siehe auch WITZEL & MEY 2004). [1]
Im angelsächsischen Forschungskontext haben sich dieser Aufgabe bislang vorwiegend ethnomethodologisch und konversationsanalytisch arbeitende Forscher*innen angenommen. Untersucht wurden neben Surveyinterviews (z.B. MAYNARD, HOUTKOOP-STEENSTRA, SCHAEFFER & VAN DER ZOUWEN 2002; SUCHMAN & JORDAN 1990) auch Interaktionen in qualitativen Interviews (z.B. HESTER & FRANCIS 1994; vgl. auch DE FINA & PERRINO 2011; GUBRIUM & HOLSTEIN 2001a). Mit anderem Fokus haben Forscher*innen aus den ungleichheitssensiblen und machtkritischen Women's Studies, Feminist Studies und der Critical Race Theory Interviewdynamiken mit Blick auf die jeweiligen – inzwischen meist intersektional konzipierten – Subjektpositionen der Beteiligten und deren Bedeutung für Macht(as)symmetrien, die Möglichkeit von Verständnis und die Herstellung von Rapport beleuchtet (z.B. BEST 2003; JOHNSON-BAILEY 1999; OAKLEY 1981). Darüber hinaus lassen sich in den vergangenen Jahren einige vielfach ebenfalls ethnomethodologisch und konversationsanalytisch inspirierte Beiträge zu solchen Interviews verzeichnen, die die Interviewenden bzw. Forschenden zunächst als schwierig oder problematisch empfanden (z.B. JACOBSSON & ÅKERSTRÖM 2013; NAIRN, MUNRO & SMITH 2005; PRIOR 2014; ROULSTON 2011). Dass das Kommunikations- und Interaktionsereignis Interview nicht nur in seinem interaktiv-situativen Kontext, sondern auch in einem größeren sozio-historischen und kulturellen Kontext zu verstehen ist, wurde von den Proponent*innen der "Interview Society"-Debatte betont (ATKINSON & SILVERMAN 1997; siehe auch BRIGGS 2001, 2007; GUBRIUM & HOLSTEIN 2001b).1) [2]
Auch im deutschsprachigen Kontext sind einige aufschlussreiche Beiträge zu Interviewdynamiken und -interaktionen erschienen. So haben beispielsweise Forschende, die spezifisch an der Textsorte der Erzählung interessiert sind, untersucht, welche Strategien der Interviewführung erzählförderlich und -hinderlich sind (ROSENTHAL, KÖTTIG, WITTE & BLEZINGER 2006), aber auch Reflexionen zu Interviews veröffentlicht, in denen trotz erzählförderlicher Interviewführung Narrationen ausblieben und/oder vorwiegend Argumentationen produziert wurden – sprich: die erwartete Wirkung von Fragen bzw. Stimuli nicht eintrat (z.B. CARLSON, KAHLE & KLINGE 2018; HINRICHSEN, ROSENTHAL & WORM 2013; JUKSCHAT 2018; MAXELON, PIVA, JÖRKE & NAGEL 2018; RIEMANN 1986). Ferner lassen sich auch hierzulande einige Beiträge zu schwierigen oder scheinbar misslungenen Interviews verzeichnen (z.B. HEIZMANN 2003; INOWLOCKI 2016; JUKSCHAT 2018; SCHÄFER 2016; WELZER 1995; vgl. für einen Überblick ECKERT & CICHECKI 2020). [3]
Bei diesen exemplarisch genannten Publikationen handelt es sich meist um punktuelle Reflexionen eigener Forschungserfahrungen aus spezifischen Projektkontexten. Eine systematische methodologische Untersuchung der behandelten Aspekte steht indes noch aus. Darüber hinaus erscheinen die bisher veröffentlichten Beiträge als weithin disparat: Bezugnahmen auf Debatten aus anderen (nationalen) Forschungstraditionen erfolgen in aller Regel eher sparsam. In der Bilanz kann von einer etablierten und institutionalisierten Forschung zur qualitativen Interviewforschung kaum die Rede sein.2) [4]
Vor diesem Hintergrund stellt der von ROULSTON 2019 herausgegebene Sammelband "Interactional Studies of Qualitative Research Interviews" eine begrüßenswerte Neuerscheinung dar.3) Ausgehend von der Kritik, dass der Interaktionscharakter von Interviews bislang zu wenig beachtet worden sei (klassisch: BRIGGS 1986; CICOUREL 1970 [1964]; MISHLER 1986; aktueller z.B. POTTER & HEPBURN 2005, 2012), soll im Band gezeigt werden, was in Interviews eigentlich geschieht – auch und gerade jenseits der offensichtlichen Frage-Antwort-Handlungen. Dies diene dazu, diejenigen interaktiven Prozesse besser zu verstehen, durch die das Interview als Datengenerierungsmethode zustande komme. Mit GARFINKEL (1964, S.226) gesprochen sollen die "'seen but unnoticed,' expected, background features" sichtbar gemacht und alltägliche Forschungsroutinen befremdet und "entselbstverständlicht" werden. Hierfür versammelt ROULSTON zwölf ethnomethodologisch inspirierte Beiträge aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsfeldern, in denen unterschiedliche interaktive Phänomene in vorwiegend mündlich und Face to Face durchgeführten Interviews beleuchtet werden. Insgesamt sollen die Beiträge des Bandes, so ROULSTON in ihrer Einleitung, andere Forschende inspirieren, die Interaktion in ihren Interviews ebenfalls näher zu untersuchen und auf diese Weise bislang nicht beachtete Phänomene zu entdecken. Darüber hinaus leiste der Band einen Beitrag zu den von RAPLEY (2012, S.552) geforderten "social studies of interview studies". [5]
Die Rahmung der Beiträge als ethnomethodologisch oder auch konversationsanalytisch inspiriert oder informiert wird nicht explizit begründet, lässt sich meiner Lesart des Textes nach aber als Vorsichtsmaßnahme gegenüber möglicher Kritik von Vertreter*innen einer vermeintlich "reinen" ethnomethodologischen oder konversationsanalytischen Lehre interpretieren – auch wenn es schwierig ist, eine solche angesichts der theoretischen und methodologischen Diversität innerhalb der Ethnomethodologie eindeutig zu benennen (MAYNARD & CLAYMAN 1991). Im Allgemeinen jedoch scheinen Interviews als primäre Methode der Datengewinnung dispräferiert zu sein. Als Goldstandard für ethnomethodologische Studien kann vielmehr die von GARFINKEL (1996, S.19) propagierte "unique adequacy requirement" gelten, derzufolge die Forschenden eine umfassende Teilnehmer*innenkompetenz im untersuchten Feld erwerben müssen. Auch für Konversationsanalytiker*innen stellen Interviews oftmals, wie ROULSTON einleitend verdeutlicht, keine geeigneten Daten für die Erforschung sozialer (Vollzugs-)Wirklichkeiten dar, insofern es sich nicht um "natürliche Daten" handle und sich die Analyse auf bloße Selbstauskünfte der Teilnehmenden stütze. Demgegenüber haben die Autor*innen des Bandes Interviews durchaus zu Datenerhebungszwecken eingesetzt, nutzten allerdings ethnomethodologische und konversationsanalytische Perspektiven und Analyseheuristiken (im Band oft als "tools" bezeichnet, z.B. auf S.3), um das Interview konsequent als Interaktionsereignis und interaktiven Prozess zu untersuchen und so ihr Verständnis der Daten zu vertiefen. Dies geschah mit unterschiedlichen Zielsetzungen, wie auch in den Beiträgen des Bandes sichtbar wird: Zum einen erscheint das Interaktionsgeschehen im Interview (als eine bestimmte Art des institutionellen Gesprächs) als relevanter Forschungsgegenstand an sich, was kongruent zum ethnomethodologischen und konversationsanalytischen Interesse an lokalen Interaktionsordnungen in verschiedenen sozialen Settings ist. Zum anderen aber wird das Interview als Forschungsinstrument gerade nicht verworfen. Vielmehr werden die ethnomethodologischen und konversationsanalytischen "tools" für die Verbesserung der Interviewforschung genutzt, sowohl in Projekten der einzelnen Forschenden als auch für die Weiterentwicklung der Interviewforschung. [6]
Als Inspiration für eine solche Vorgehensweise wird u.a. BAKER genannt, die nicht nur ROULSTONs Lehrerin, sondern auch eine Vorreiterin darin war, ethnomethodologische Ideen auf Interviews als eine spezifische Interaktionsform anzuwenden (siehe z.B. BAKER 1983, 1997, 2001). Konkret besteht der damit verbundene Blickwechsel darin, nicht ausschließlich auf das "Was", also die besprochenen Inhalte zu fokussieren, wie dies in den üblichen inhaltsanalytischen und thematisch fokussierten Auswertungen geschehe, sondern auch und vor allem das "Wie" von Äußerungen und Interaktionen zu untersuchen. Hierfür schlug BAKER eine phänomenologisch, ethnomethodologisch und konversationsanalytisch geschulte Herangehensweise vor, ohne diese aber als einzig adäquate Perspektive zu verabsolutieren (z.B. 1983, S.503; siehe auch ROULSTON, S.26). Wie bereits angedeutet, könnten Interviewforschende in mehrfacher Hinsicht von einer solchen Herangehensweise profitieren, wie ROULSTON argumentiert. Neben einer grundlegenden Selbstreflexion der eigenen Beiträge zum Interviewgeschehen können sie in methodischer Hinsicht z.B. die Interviewführung oder das Forschungsdesign verbessern, indem etwa Frageformulierungen angepasst werden. In methodologischer Hinsicht könnten sie beispielsweise untersuchen, wie abstrakte Phänomene und Anweisungen aus der Methodenliteratur wie das Herstellen von Rapport empirisch vollzogen werden. Und schließlich trage die Analyse der gemeinsamen Hervorbringung des Interviews auch zu einem vertieften Verständnis der besprochenen Themen selbst bei. [7]
In diesem Review Essay frage ich besonders danach, inwiefern ROULSTON mit dem Band das selbst gesetzte Ziel erreicht, nämlich die meist vernachlässigten interaktiven Prozesse zu untersuchen, die für das Interview konstitutiv sind, um auf diese Weise einen Beitrag zur qualitativen Interviewforschung zu leisten. Daneben diskutiere ich, inwiefern die dem Band zugrunde liegende primär ethnomethodologische Perspektive aus dem angelsächsischen Sprachraum für Leser*innen im deutschsprachigen Interviewmethodendiskurs interessant sein kann – einem Kontext, in dem eigene sequenzanalytische Methoden entwickelt wurden, mit denen ebenfalls die Interviewinteraktion berücksichtigt werden kann. Um diese Fragen zu klären, werde ich zunächst die Beiträge des Bandes im Einzelnen vorstellen (Abschnitt 2), um dann eine abschließende Bewertung vorzunehmen (Abschnitt 3) und im Ausblick weiterführende Überlegungen zur Erforschung der qualitativen Interviewforschung anzustellen (Abschnitt 4). [8]
Ein erster Hinweis, warum dieser Band für deutschsprachige Leser*innen interessant sein könnte, ergibt sich aus meiner eigenen Forschungsbiografie: ROULSTONs (2010a, 2010b) systematisierende Ausführungen zu verschiedenen Interviewkonzeptionen, deren jeweilige Gütekriterien und inhärente Vorstellungen von Interviewfehlern und "Bias" stellen für mich wie für andere Forschende im deutschsprachigen Raum wichtige Ressourcen für epistemologische und methodologische Überlegungen dar (siehe z.B. DEPPERMANN 2013). Von praktischem Nutzen für meine eigene Forschung waren ROULSTONs Publikationen zu "problematischen" Interviews, die sie aus einer konstruktivistischen (genauer: konversationsanalytisch geprägten) Interviewkonzeption heraus als aufschlussreiche Analysegegenstände klassifizierte (z.B. 2011). Dies war auch der Grund, warum meine Kollegin Diana CICHECKI und ich im Rahmen unseres Projekts zu "gescheiterten" Interviews (ECKERT & CICHECKI 2020) Anfang 2019 ROULSTON an der University of Georgia besuchten und in dieser Zeit erste Einblicke in den hier besprochenen Sammelband nehmen konnten. Darüber hinaus bin ich seit 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-geförderten Projekt Fragen in qualitativen Interviews. Sekundäranalysen zur Bedeutung unterschiedlicher Frageformen in Interviews tätig (Leitung: Carsten G. ULLRICH; Universität Duisburg-Essen; UL 186/15-1), in dem wir Methodenforschung zur Interviewforschung betreiben. Obwohl nicht konversationsanalytisch ausgelegt, sind konversationsanalytisch beeinflusste Beiträge für dieses DFG-Projekt wichtig (z.B. KALLMEYER & SCHÜTZE 1977). Insgesamt lässt sich meine Perspektive daher als konversationsanalytisch interessiert, aber nicht versiert bezeichnen. [9]
2.1 Die Genese und Rahmung des Bandes
Wie in ROULSTONs Danksagung deutlich wird, startete das Sammelbandprojekt 2015 mit einer Paneldiskussion auf der Konferenz der International Pragmatics Research Association im belgischen Antwerpen. Neben den Vortragenden wurden weitere Autor*innen für Beiträge gewonnen, die allesamt einem Peer-Review-Verfahren unterzogen wurden. Wie der Überblick über die Beitragenden zeigt, arbeiten diese in unterschiedlichen disziplinären Kontexten (angewandte Gesundheitsforschung, Disability Studies, Erziehungswissenschaften und Linguistik), an Universitäten in verschiedenen Ländern (vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien, Italien, Portugal und Südkorea) und befinden sich auf unterschiedlichen Positionen ihrer Forschungslaufbahn (von Promovierenden bis zu emeritierten Professor*innen). Was die Autor*innen trotz aller Diversität eint und sich als roter Faden durch das gesamte Buch zieht, ist eine interaktionistische Perspektive auf Interviewdaten, bei der analytische Heuristiken vorwiegend aus der Ethnomethodologie (im Folgenden: EM), Membership Categorization Analysis (MCA) und Konversationsanalyse (KA), aber auch aus der diskursiven Psychologie (DP), interaktionalen Linguistik, Pragmatik und GOFFMANschen Soziologie genutzt und Literatur primär aus dem englischsprachigen Diskurskontext einbezogen wird.4) Dieser rote Faden zeigt sich auch darin, dass in allen Beiträgen die gleichen Transkriptionskonventionen verwendet werden (aufbauend auf JEFFERSON 1984). [10]
ROULSTONs Einleitung trägt den programmatischen Untertitel "Examining the Social Practices of Interviewing". Angesichts der bereits seit Jahrzehnten auch aus eigenen Reihen geäußerten Kritik, dass in vielen Interviewstudien der interaktive Erzeugungskontext der Äußerungen der Interviewten ignoriert und die Inhalte herausisoliert würden, stellt ROULSTON eine ethnomethodologisch informierte Perspektive als einen Ansatz dar, um dieses Defizit auszugleichen. Statt – einer Unterscheidung von TALMY (2010) folgend – das Interview als "research instrument" zu konzipieren, anhand dessen Informationen über die soziale Wirklichkeit außerhalb des Interviews gewonnen werden können, betrachtet es ROULSTON als "social practice", in der interaktiv Wirklichkeit hergestellt wird.5) Dieser Perspektive folgend wird nicht nur das "Was", sondern dezidiert auch das "Wie" von Interviewäußerungen untersucht, nämlich die Charakteristika der Interviewinteraktion, die Konstruktion von accounts im Interview und die Rolle der Interviewenden bei der Generierung der Daten. Bereits 2006 hatte ROULSTON eine Literaturdurchsicht publiziert, in der sie Forschungen vorstellte, für die methodische Werkzeuge der EM, MCA und KA für die Analyse von qualitativen Interviews (inkl. Fokusgruppen) genutzt wurden. Aufbauend darauf stellt sie nun die Aktualisierung dieser Literaturrecherche vor, die insgesamt 66 englischsprachige Artikel aus Zeitschriften mit Peer Review-Verfahren umfasste. Die Vielzahl an Beiträgen verdeutlicht, dass der von BAKER vorgeschlagene ethnomethodologisch informierte "Second Look" (1983) auf zuvor rein antwort- und inhaltsorientiert analysierte Interviewdaten einige Forscher*innen inspiriert hat. Durch die vorgenommene Systematisierung der Beiträge sowie exemplarisch eingebrachte Beispiele wird aufgezeigt, welche Erkenntnisgewinne sich aus einer solchen intensiven Beschäftigung mit dem Material gewinnen lassen. So wurde z.B. untersucht, inwiefern sich telefonisch und Face to Face durchgeführte Interviews unterscheiden (IRVINE, DREW & SAINSBURY 2013), wie Rapport praktisch hergestellt wird (PRIOR 2018) oder wie schwule, drogennutzende Männer ungeschützten Geschlechtsverkehr darstellen und legitimieren und was dies für Public Health-Kampagnen bedeutet (AGUINALDO & MYERS 2008). In dieser Literaturschau demonstriert ROULSTON die Leistungsfähigkeit einer ethnomethodologisch und konversationsanalytisch geschulten Perspektive für das Verständnis von Interviewinteraktionen. Konkret könne diese u.a. der Selbstreflexion der Forschenden dienen, hilfreich für die Fein- und Nachjustierung des Forschungsdesigns und der Interviewführung sein und die Interviewauswertung informieren, indem z.B. die Produktion von accounts oder problematische Interviewinteraktionen rekonstruiert werden. [11]
ROULSTONs Einleitung in den Band (Teil I) folgen zwei umfangreiche Hauptteile mit jeweils fünf Beiträgen und einer je eigenen Einleitung, in der ROULSTON den thematischen Rahmen des jeweiligen Teils absteckt, die einzelnen Beiträge vorstellt und mit Blick auf die Forschungsliteratur ihren Erkenntniswert verdeutlicht. Der erste Hauptteil (Teil II des Bandes) ist interaktiven Details der Interviewer*in-Interviewten-Identitäten und der Wissensproduktion in Forschungsinterviews gewidmet. Im zweiten Hauptteil (Teil III des Bandes) befassen sich die Autor*innen mit konversationellen Ressourcen und sozialen Handlungen in Interviews. Abgeschlossen wird der Band durch RAPLEYs Einordnung der Beiträge und Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten (Teil IV). [12]
2.2 Beiträge zu Identitätskonstruktionen und Wissensproduktion in Interviews
Gegenstand des zweiten Buchteils sind die Identitätskonstruktionen in der Interviewinteraktion, wie sich die Beteiligten darauf beziehen und wie dies die Art und Weise beeinflusst, wie sie über Themen sprechen und damit Wissen produzieren. Im ersten Beitrag dieses Teils reflektiert WILLIAMS unter dem Titel "'Like Us You Mean?' Sensitive Disability Questions and Peer Research Encounters" Interviewinteraktionen aus verschiedenen Projekten im Bereich der Disability Studies. Zunächst verdeutlicht sie mit Blick auf die Literatur, dass Fragen zu beantworten generell eine ungewisse Angelegenheit darstelle, da diese immer schon Vorannahmen enthielten, das Vorwissen der anderen Beteiligten nicht umfassend bekannt sei (Stichwort epistemics, siehe dazu den folgenden Absatz zum Beitrag von ROULSTON) und Fragen zudem auf unterschiedliche Weise verstanden werden könnten. Diese Prekarität des Antwortens werde gesteigert, wenn Interviewpartner*innen mit Behinderung nicht wissen, ob ihre eigene Behinderung relevant für ihre Rekrutierung und Teilnahme an einem konkreten Forschungsprojekt ist, sprich: Wenn sie im Unklaren darüber sind, welche Erwartungen die Forschenden haben, wie deren epistemischer Status in Bezug auf Behinderung ist und wer die Interviewpartner*innen für die Forschenden sind. WILLIAMS zeigt in ihrem Beitrag u.a., dass die in den Disability Studies präferierte peerness der Beteiligten relevant ist, wenn sie als gemeinsame Identität von Interviewer*innen und Interviewten in der Interaktion erkennbar gemacht wird. Denn in diesen Fällen gingen ihrer Analyse zufolge die Interviewpartner*innen von einem bestimmten einschlägigen Wissen seitens der Interviewer*innen aus, sodass ihre eigenen Beeinträchtigungen entweder als bekannt und somit nicht thematisierenswert oder als nicht relevant für die Antwort auf die konkrete Frage gelten. Wenn die Behinderung der Interviewpartner*innen kein relevantes Interviewthema darstellt, werde so der Weg für die Beantwortung der eigentlichen Interviewfragen eröffnet. Umgekehrt gingen, so WILLIAMS, Interviewpartner*innen mit Behinderung davon aus, dass Fragen von scheinbar nicht-behinderten Interviewenden etwa zu ihren Lebenszielen an sie als Behinderte gerichtet waren, weswegen sie mit Blick auf ihre Einschränkungen antworteten. Nicht die konkreten Fragen an sich, sondern die im Raum stehende Kategorisierung als behindert beeinflusse also, wie die Interviewpartner*innen die Fragen beantworteten. Im Ergebnis deutet WILLIAMS die "peer identity work" (S.57) im Interview als Gegengewicht zu asymmetrischen Interaktionen, in denen die Forschenden bzw. Interviewenden in der Machtposition sind, die Agenda festzulegen, Fragen zu stellen und die Antworten auf ihre Adäquatheit hin zu beurteilen. [13]
In ihrem Beitrag "Research Interviewers as 'Knowers' and 'Unknowers'" macht ROULSTON HERITAGEs Konzept der "epistemics" (z.B. HERITAGE 2012, 2013), das auch hierzulande in konversationsanalytisch informierten Arbeiten aufgegriffen wird (z.B. DEPPERMANN 2015; MOREK 2016), für die Interviewforschung fruchtbar. In Kürze geht es bei epistemics um das Wissen, das Gesprächsteilnehmende für sich in Anspruch nehmen und der anderen Person zuschreiben, was auch für den Adressat*innenzuschnitt von Äußerungen (recipient design), die Herstellung und Sicherung von Common Ground und Selbst- und Fremdpositionierungen relevant ist.6) Dies im Blick lassen sich bei Gesprächsteilnehmer*innen unterschiedliche epistemische Status identifizieren, die ggf. mit einem epistemischen Gefälle (epistemic gradient) einhergehen. ROULSTON argumentiert nun, dass sich dieses Konzept in besonderer Weise für die Interviewforschung eigne, da der Zweck von Interviews ja gerade in der Wissensgenerierung liege und angenommen werde, dass die Interviewten über das fragliche Wissen verfügten und es zu teilen bereit seien. Damit sei üblicherweise eine bestimmte Erwartung verbunden, nämlich dass es sich bei den Interviewenden um relativ Unwissende (unknowers bzw. "K-") und bei den Interviewpartner*innen um relativ Wissende (knowers bzw. "K+") handle, deren Erfahrungen und Einschätzungen im Fokus der Forschung stehen. Anhand von Beispielen demonstriert ROULSTON vier mögliche epistemische Beziehungen zwischen Interviewer*in und interviewter Person, die sie als dynamische Eckpunkte eines Kontinuums begreift. Die erste epistemische Beziehung entspricht der bereits skizzierten Standarderwartung: Bei einem*r relativ unwissenden Interviewer*in (K-) und einem*r relativ wissenden Interviewten (K+) ließe sich eine Kongruenz bezüglich des epistemischen Zugangs feststellen, d.h. ein Einverständnis der Sprechenden darüber, wer über welches Wissen verfügt. Interessanter sind aus meiner Sicht die Fälle, in denen mit dieser Erwartung gebrochen und die Interviewinteraktion zumindest kurzzeitig problematisch wird (beide als K+; beide als K-; Interviewer*in als K+ und Interviewte*r als K-). Hierbei untersucht ROULSTON besonders, wie die Beteiligten agieren und welche Reparaturarbeiten sie vollbringen. Insgesamt, so ROULSTON, könne das epistemics-Konzept als analytische Heuristik auch für Interviewforschende relevant sein, die sich nicht in der EM und KA verorten. So könne damit beispielsweise untersucht werden, unter welchen Bedingungen und in welchen Kontexten epistemische Inkongruenz zu beobachten ist und inwiefern dies erhellen kann, warum manche Bevölkerungsgruppen als schwierige Interviewpartner*innen gelten (ADLER & ADLER 2001). [14]
HERRON praktiziert in ihrem Beitrag mit dem Titel "On Doing 'Being Feminist' and 'Being Researcher': Lessons From a Novice Interviewer" den von BAKER (1983) empfohlenen zweiten, ethnomethodologisch geschulten Blick auf ein Interview, das sie im Rahmen eines Studienprojekts in Georgien durchgeführt, zunächst als "gescheitert" beurteilt und deshalb aus der Analyse ausgeschlossen hatte. Grund dafür war, dass das im Interview Besprochene nicht relevant für ihre Forschungsfrage erschien, nachdem sie als Interviewerin vom Leitfaden abgewichen war, mäandernde Fragen gestellt, sich selbst stark ins Interview eingebracht hatte und es regelmäßig zu überlappender Rede und wechselseitigen Unterbrechungen gekommen war. Unter Bezugnahme auf PRIORs (2014, S.497) Feststellung, dass die Bewertung als gelungenes oder gescheitertes Interview von der Interviewtheorie der Forschenden beeinflusst werde, identifiziert HERRON einen Konflikt, der aus ihrer positivistischen Sozialisation in die empirische Sozialforschung und ihrem neu aufkommenden Interesse an feministischer Forschungsethik resultierte. Wegen Letzterem habe sie im fraglichen Interview den Leitfaden beiseitegelegt, um sich ganz der Perspektive der Interviewpartnerin zu widmen; wegen Ersterem sei ihr das so geführte Interview als gescheitert erschienen. Mithilfe der MCA und SACKS' (1984) Konzept des "doing 'being ordinary'" nahm sie sodann den von PRIOR (2014, S.497) vorgeschlagenen Perspektivwechsel von "failure" zu "accomplishment" vor, d.h. vom Fokus dessen, was schlecht lief oder fehlte, hin zur Aufmerksamkeit darauf, was die Interviewbeteiligten konkret taten. So stellt HERRON fest, dass die von ihr zunächst diagnostizierten Interviewfehler im Kontext der Herstellung von Gemeinsamkeit der einander bis dahin fremden Interviewbeteiligten zu sehen seien, die trotz aller Unterschiede – Studentin aus den USA, Aktivistin aus Georgien – durch die Art und Weise ihrer Redebeiträge zwei gemeinsame Identitäten anzeigten: die der Forscherin (so bezog die Interviewpartnerin Ergebnisse aus ihrer eigenen Masterarbeit ein) und die der Feministin. Diese Herstellung von Gemeinsamkeit und Rapport werde u.a. durch überlappende Rede, Unterbrechungen und Zustimmung zu den Äußerungen der je anderen Person zum Ausdruck gebracht. Eine Erkenntnis aus HERRONs Beitrag ist m.E. somit, dass ein kontextualisierender Blick auf vermeintliche Interviewfehler überraschende Einsichten bereithalten kann. Eine zweite Lektion betrifft die Einsicht, problematische Interviews nicht auszusortieren, sondern auf Basis einer Mikroanalyse zur Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Praxis als Interviewer*in zu nutzen – insbesondere, aber nicht nur, wenn es sich um Noviz*innen handelt. [15]
SMITH wendet sich in "'What Does It Mean?' Methodological Strategies for Interviewing Children" im Rahmen einer erziehungs- bzw. bildungswissenschaftlichen Perspektive einer Bevölkerungsgruppe zu, die als schwierig zu interviewen gilt. Wie SMITH einleitend darstellt, werden Interviews mit Kindern etwa deswegen als heikel angesehen, weil diese kaum Erfahrung mit dem Interviewformat hätten, weil Interviews im institutionellen Kontext Schule die verfügbaren Rollen und Verhaltensweisen einschränkten, oder weil Erwachsene die Beiträge der Kinder aus ihrer eigenen Erwachsenenperspektive heraus statt in ihrem Eigensinn verstünden und Kinder für inkompetente Gesprächs- und Interviewteilnehmer*innen halten könnten (vgl. dazu im deutschsprachigen Raum MEY & SCHWENTESIUS 2019). Um diese Herausforderungen in ihrer ethnografischen Studie zur Datafizierung kindlicher Lernerfahrungen in US-amerikanischen öffentlichen Schulen zu überwinden, erprobte SMITH in den Begegnungen mit den von ihr untersuchten Drittklässler*innen zahlreiche in der Literatur vorgeschlagene konzeptuelle und vor allem methodische Strategien. Die gerade in schulischen Settings herrschende Erwachsenen-Kind-Binarität z.B. versuchte sie zu überwinden, indem sie sich auf neuere Vorstellungen von Kindheit bezog, denen zufolge Kinder aktive, handlungsfähige Akteur*innen statt noch nicht vollständig entwickelte und daher inkompetente Befragte darstellen. Zudem nutzte sie u.a. Elemente der von CORSARO (2003) vorgeschlagenen reactive entry method, derzufolge die forschenden Erwachsenen nicht etwa via Fragen Interaktionen initiieren, sondern sich ethnograf*innengleich in kindliche Lebenswelten begeben, die Reaktion der Kinder abwarten und erst darauf reagieren. Spannend wird der konversationsanalytische Beitrag aus meiner Sicht vor allem dort, wo SMITH einen zweiten Blick auf Interviews wirft, in denen die Kinder die Fragen nicht adäquat zu beantworten schienen. In ihrer Reanalyse kommt sie demgegenüber zum Ergebnis, dass die spielerischen Redebeiträge und körperlichen Handlungen der Kinder nicht nur relevante Antworten beinhalteten, sondern beispielsweise auch als Bemühen zu verstehen seien, die Aufmerksamkeit der Interviewerin für die eigene Person trotz des angekündigten Studien- und Interviewendes aufrechtzuerhalten oder andere Kinder aus dem Interview fernzuhalten und somit das eigene Rederecht gegenüber potenzieller Rederechtkonkurrenz zu verteidigen – was SMITH zufolge zeigt, dass Kinder ihre eigene "hidden agendas" (S.124) verfolgen können. Insgesamt warnt die Autorin davor, Beiträge und Handlungen von Kindern vorschnell als inkompetent und unpassend misszuverstehen und zeigt anhand zahlreicher Literaturbezüge und empirischer Beispiele auf oft überzeugende Weise, wie Forschende adäquat mit diesen Herausforderungen umgehen können. Ferner demonstriert sie, wie das Interview als Sozialisationsinstanz hinsichtlich sozialer Normen der Forschungsteilnahme fungieren kann. Offen blieb für mich bei der Lektüre, warum SMITH die Kinder im schulischen Setting mit seiner spezifischen hierarchischen Struktur der Erwachsenen-Kind-Beziehung (Lehrer*in-Schüler*in) interviewte, einem Setting also, das – wie sie selbst bemerkt – ihrer Idee, die Stimmen der Kinder bestmöglich einzufangen, zuwiderlaufen kann. Allerdings kann ihr Beitrag genau deswegen auch als Anregung verstanden werden, wie Interviews in besonders schwierigen Kontexten gestaltet werden können. [16]
In ihrem Beitrag "Epistemic Shifts. Examining Interviewer and Self-Praise in Interviews" greift SHELTON auf das von ROULSTON vorgestellte Konzept der epistemischen Positionierungen zurück und untersucht deren Wandel im Verlauf von sieben Interviews mit einer Interviewpartnerin, die sie innerhalb eines Jahres im Rahmen eines Projekts zu "early career teachers' identity development as allies to lesbian, gay, bisexual, transgender, and queer (LGBTQ) students" (S.130) geführt hatte. Dieses Längsschnittdesign trug laut SHELTON zu einer zweiten methodischen Besonderheit bei: eine zunehmende freundschaftliche Vertrautheit der beiden Frauen, die sich außerdem bereits schon zuvor aus Lehrkontexten und als Mentorin/Mentee kannten. Dies mündete in Interviews, die SHELTON mehr als zwanglose Gespräche denn als formale Interviewinteraktionen beschreibt. Ihrer Analyse nach positionierte sich die Interviewerin in den ersten Interviews als relativ Wissende (K+) und die Interviewpartnerin als relativ Unwissende (K-), die von der Interviewerin als ehemaliger Lehrerin und Mentorin Rat erbat, indem sie fragte, wie SHELTON sich in bestimmten Lehr-Situationen verhalten würde, für die sie selbst keine Lösung hatte. Im Verlauf des Jahres lässt sich jedoch ein epistemischer Wechsel in den Interviews beobachten: Die Interviewpartnerin stellt sich, so SHELTON, selbst als kompetente Lehrkraft dar, die auf Basis ihres eigenen Wissens Problemlösungen entwickelt, diese als erfolgreich evaluiert und ihre Unterrichtskonzepte mit anderen erfahrenen Lehrkräften teilt. Dadurch positioniere sie sich selbst als Wissende (K+) und revidiere ihre frühere Konstruktion einer epistemischen Asymmetrie gegenüber der Interviewerin genauso wie gegenüber Kolleg*innen. Das damit verbundene Eigenlob verstoße eigentlich gegen das Selbstlobtabu. SHELTON führt dies auf die Art und Weise der interaktiven Begegnung zurück: Sie selbst trug, wie in den Interviewauszügen sichtbar wird, über all die Begegnungen hinweg durch positive, wertschätzende und ermunternde Kommentare dazu bei, dass sich die Interviewte sicher fühlte, sowohl ihr Nichtwissen als auch ihr Wissen darzustellen. Insofern seien die Beiträge der Interviewerin und die konkrete Interaktions- und Beziehungsqualität für den Normbruch der Interviewpartnerin mitverantwortlich und nicht dieser alleine zuzurechnen. Vom konkreten Beispiel abstrahierend zeigt SHELTON in ihrem Beitrag, wie Interviewende die Selbstpräsentationen der Interviewten beeinflussen können. [17]
2.3 Beiträge zu konversationellen Ressourcen und sozialen Handlungen in Interviews
Der dritte Teil des Buches ist konversationellen Ressourcen, auf die in Interviews zurückgegriffen wird, und sozialen Handlungen gewidmet, die in Interviews vollzogen werden. Zwar führen Forschende Interviews in aller Regel durch, um informative Antworten zu erhalten und so ihre Forschungsfrage beantworten zu können. Jedoch wäre es, wie in den Beiträgen gezeigt wird, zu eng gedacht, wenn die Interviewaktivitäten von Interviewenden und Interviewpartner*innen alleine unter diesem Aspekt betrachtet würden. [18]
In ihrem über 30 Seiten umfassenden Beitrag "'That's a Stupid Question!' Competing Perspectives and Language Choice in an English-Japanese Bilingual Research Interview" präsentieren OHTA und PRIOR die konversationsanalytische Reanalyse eines Interviews, das sie zunächst als Sonderfall und "negative case" (S.151) in ihrer Studie erachteten und das ihren Erwartungen widersprochen hatte. Dabei handelt es sich um ein Interview aus einer Studie zur bilingualen Erziehung japanisch-amerikanischer Paare, in der verschiedene Familienmitglieder interviewt wurden. Ein aus Japan kommender und seit Jahrzehnten in den USA lebender Familienvater wurde von einer ebenfalls bilingualen Interviewerin als letzter seiner Familie telefonisch interviewt und erschien dabei als schweigsamer, nahezu widerständiger Interviewpartner, der nach Pausen lediglich Minimalantworten auf Teilaspekte von Fragen lieferte. OHTA und PRIOR rekonstruieren, woher diese Schwierigkeiten rühren und welche Rolle dabei die Sprachwahl und der Sprachwechsel ("code-switching", S.148) spielen. Deutlich wird in ihrer Analyse, dass sich die in den Fragen enthaltenen Vorannahmen, die sich auch aus den Interviews mit anderen Familienangehörigen speisten, anfangs nahezu konträr zur Darstellung des Interviewpartners hinsichtlich seiner Spracherziehungspraktiken verhielten: Während die Interviewerin davon ausgegangen war, dass bilinguale Paare vor der Geburt der Kinder über die Spracherziehung entscheiden und der Interviewte zumindest gelegentlich Japanisch mit den Kindern sprach, grenzte sich dieser von einer solchen aktiven Planung ab und beharrte darauf, kein Japanisch mit den Kindern gesprochen zu haben. Diese Diskrepanz verwirrte die Interviewerin, wurde aber später durch die kurzen Redebeiträge des Interviewten relativiert bzw. erklärbar gemacht. Japanisch lernen stellte für ihn, so OHTA und PRIOR, keine Angelegenheit elterlicher Planung und Intervention dar, sondern das Ergebnis einer freien persönlichen Wahl der Kinder in ihrem Entwicklungsprozess. Dies habe der Interviewte durch eine Wiedergabe wörtlicher Rede illustriert, in der seine Tochter ihn bat, kein Japanisch mehr, sondern Englisch zu sprechen. Mit diesem Beispiel aus dem Leben seiner Tochter, dargeboten mittels Redewiedergabe, demonstriere der Interviewpartner Wissen, zu dem er als Vater privilegierten Zugang habe, und festige so seine epistemische Autorität7) gegenüber der Interviewerin, die bis dahin Zweifel an seiner Darstellung hatte erkennen lassen. Bei der sukzessiven Aufklärung der Diskrepanz zwischen den Annahmen der Interviewerin und dem Relevanzsystem des Interviewten spielt laut OHTA und PRIOR auch die Nutzung multilingualer Ressourcen eine Rolle: Während der erste Interviewteil auf Englisch geführt wurde, wechselte die Interviewerin nach einiger Zeit zwecks Begriffsklärung eines Wortes ins Japanische, was zunächst zum ersten gemeinsamen Lachen im Interview und insofern einer Auflockerung und schließlich auch dazu geführt habe, dass der Interviewpartner neben Englisch die japanische Standardsprache und seinen regionalen japanischen Dialekt verwendete. Interessanterweise habe er dabei auf Japanisch seine Gegenposition zu den Erwartungen und der Agenda der Interviewerin ohne Zögern, elaborierter und direkter ausgedrückt als auf Englisch; die Verwendung dialektaler Wendungen sei zudem mit emphatischen und affektgeladenen Statements einhergegangen. Insgesamt, so OHTA und PRIOR, führe die Analyse die Hartnäckigkeit von Vorannahmen der Interviewenden vor Augen, die sich nicht nur aus den vorigen Interviews, sondern auch aus deren Erfahrungen, Sprach-, Kultur- und Erziehungsideologien speisten, und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für die Interviewten. Zweitens verdeutlichten ihre Ausführungen die Herausforderungen, die sich aus Interviews mit verschiedenen Familienangehörigen angesichts ihrer unterschiedlichen Darstellungen ergeben. Drittens sehen sie ihre Analyse als Beitrag zu einem Thema, das ihrer Einschätzung nach immer wichtiger werden wird: multilinguale Interviews und die Bedeutung der Sprachwahl für den Interviewverlauf, nicht zuletzt da diese stets auch mit soziokulturellen Normen sowie Identitätsbedrohungen und -konstruktionen verbunden sei. [19]
VERONESI fokussiert in ihrem Aufsatz "'But You're Gonna Ask Me Questions, Right?' Interactional Frame and 'For-the-Record' Orientation in Language Biography Interviews" die gemeinsame Verhandlung und Konstruktion des Forschungsinterviews als eine bestimmte Art institutioneller (statt informeller) Gespräche. Mittels einer konversationsanalytisch informierten Perspektive und auf Basis von rund 30 narrativen, soziolinguistischen Sprachbiografie-Interviews mit Südtiroler*innen beleuchtet sie, was die Ko-Konstruktion von Interviews konkret bedeutet. Das erste der drei von VERONESI untersuchten Phänomene betrifft die Aushandlung des Interaktionsrahmens (nach GOFFMAN 1974), wobei sie anhand von Datenmaterial zeigt, dass in manchen Interviews anfangs zwei unterschiedliche Rahmen mit Folgen für die jeweiligen Rollen im Interview entworfen wurden: Während ihrer Analyse nach sie als Interviewerin den narrativen Rahmen des Geschichtenerzählens aufwarf (etwa indem sie die Interviewpartner*innen zu Beginn bat, frei zu sprechen und ihre Lebensgeschichte in Bezug auf Sprachen zu erzählen) und darüber hinaus ankündigte, erst später mit Fragen zu intervenieren, orientierten sich manche (nicht alle) Interviewten zunächst am Rahmen des Frage-Antwort-Interviews, etwa mit den titelgebenden Worten "you're gonna ask me questions, right?" und der Begründung "you're gonna guide me obviously. it's an interview!" (S.189). VERONESI vermutet, dass die übliche Bezeichnung "Interview" genau dieses Erwartungsschema an die Forschungsbegegnung ausgelöst habe. Ferner zeigt sie am konkreten Beispiel, wie sie als Interviewerin die konfligierenden Rahmungen aufgelöst habe, etwa durch die Abgrenzung vom journalistischen Interview und der Betonung, dass es mehr um eine Erzählung gehe, wodurch die Interagierenden schließlich zu einer übereinstimmenden Rahmung des Interviewereignisses als Narration gelangt seien.8) Eine zweite Art und Weise, wie beide Interviewbeteiligten den institutionellen anstelle eines informellen Charakters der Begegnung hergestellt hätten, sei ihre Orientierung an einem "for the record" (S.193), d.h. den offiziellen Zielen der Forschung. Hierbei hätten die Interviewenden und die Interviewpartner*innen im gesamten Interview, vor allem aber zu dessen Beginn und an dessen Ende ausgehandelt, inwiefern die Äußerungen der Interviewten nützlich für die konkreten Forschungszwecke sind. Die Interviewten hätten dies z.B. dadurch getan, dass sie explizit oder implizit fragten, ob ihre Antworten der Interviewaufgabe entsprächen. Die Interviewenden hätten dies getan, indem sie etwa die Antworten als informativ evaluierten.9) Das dritte von VERONESI untersuchte Phänomen betrifft Grenzziehungen und -öffnungen seitens der Interviewten hinsichtlich der Adressat*innen ihrer Ausführungen. So weist sie darauf hin, dass die Interviewten ihre Aussagen zwar aufgrund bestimmter Fragen oder Stimuli der Interviewenden, aber nicht nur für diese produzierten. Der Status als Daten weise vielmehr über die konkrete Interaktionssituation hinaus, insofern später Zitate und Ergebnisse veröffentlicht und die Interviewpassagen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht würden. Folglich werde bereits im Interview ausgehandelt, was als wissenschaftlich verwendbare und "offizielle" Daten gilt, etwa indem die Interviewpartner*innen die Löschung bestimmter Passagen verlangten oder sich beide Interviewbeteiligten über die Datenanonymisierung verständigten. Ausführlicher beleuchtet VERONESI in diesem Zusammenhang, wie die Interviewpartner*innen das Interview nutzten, um ihre Positionen, Erfahrungen und Einsichten einem breiten Publikum verfügbar zu machen. Während meinem Eindruck nach im Aufsatz vor allem die gemeinsame Herstellung des Interviews als institutionelles Gespräch fokussiert wird, deutet eine solche eigene Agenda der Interviewten auf mögliche und durchaus subtile Diskrepanzen zwischen den Erwartungen der Interviewenden und widerständigen Handlungen der Interviewten hin – einen Aspekt, auf den auch VERONESI abschließend hinweist. [20]
Empirische Basis von JUNGs Beitrag "'It Doesn't Make Sense, But It Actually Does'. Interactional Dynamics in Focus Group Interaction" sind – als Ausnahme in diesem Band – nicht Interviews, sondern Auszüge aus einer "focus group", die im Rahmen eines Evaluationsprojektes zu einem Weiterbildungsprogramm für koreanische Englischlehrer*innen durchgeführt wurde.10) Wie JUNG einleitend und abschließend darstellt, würden Fokusgruppen üblicherweise inhaltsanalytisch ausgewertet. Dies bewertet sie als kritische und unangemessene, da dekontextualisierende Engführung, da so der grundlegend interaktive Charakter von Fokusgruppen ignoriert werde. Dennoch seien bislang nur wenige Analysen zur Interaktion in Fokusgruppen durchgeführt worden (siehe aber beispielsweise PUCHTA, POTTER & WOLFF 2004 im Kontext Marktforschung). Vor diesem Hintergrund situiert JUNG ihre "applied conversation analysis" (ANTAKI 2011) einer kurzen Passage eines multimodalen Fokusgruppentranskripts. Konkret zeigt sie anhand dieses Materials drei verschiedene Aspekte der Interaktionsdynamik auf: Erstens betont sie den interaktiven Charakter der Fokusgruppe, da die Teilnehmer*innen nicht nur die Moderator*innenfrage aufgriffen und schlussendlich beantworteten, sondern dazwischen miteinander diskutierten, wofür sie auf verschiedene interaktionale Ressourcen (z.B. das Ausdrücken von Meinungsverschiedenheit oder die Kleingruppenbildung) zurückgegriffen hätten. Zweitens führt laut JUNG die Aufmerksamkeit für die Fokusgruppeninteraktion samt der Herstellung von Konsens und Dissens unter den Teilnehmenden anstelle der Annahme einer einheitlichen Meinung zu nuancierteren Einsichten im Hinblick auf die Forschungsfrage. Damit sei ferner eine spezifische sequenzielle Organisation verbunden, die Fokusgruppen grundlegend von Einzel- und Gruppeninterviews unterscheide, die auf Frage-Antwort-Sequenzen zwischen Interviewer*in bzw. Moderator*in und einzelnen Interviewpartner*innen zielten. Drittens sieht JUNG Ähnlichkeiten zwischen dieser Fokusgruppe und Interaktionen in Besprechungen, da in beiden Kontexten die Teilnehmenden als Expert*innen mit eigener Agenda verstanden würden und die Rolle der Moderator*innen darin bestünde, den Austausch unter diesen Expert*innen anzuleiten. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse plädiert JUNG für eine sorgfältigere Transkription und Analyse von Fokusgruppeninterviews. Sie erwähnt, dass die Ergebnisse ihrer Analyse relevant für die Programmevaluation gewesen seien, was sie aber leider nicht konkretisiert und somit nicht nachvollziehbar macht. [21]
POPE beschäftigt sich in ihrem Beitrag "Continuers in Research Interviews. A Closer Look at the Construction of Rapport in Talk About Interfaith Dialogue" mit der Frage, wie Rapport zwischen Interviewenden und Interviewten, der eine Gelingensbedingung besonders für Interview mit vulnerablen Gruppen und zu sensiblen Themen darstelle, realisiert werden kann. Dies untersucht sie anhand von drei telefonisch geführten, ethnografisch eingebetteten Interviews aus ihrer Studie zu Bildungsprozessen von Erwachsenen, die an einem interreligiösen Dialog teilnahmen. Während in der Forschungsliteratur die Herstellung von Rapport in Telefoninterviews u.a. aufgrund des Fehlens von Körpersprache als besondere Herausforderung gelte, arbeitet POPE mit Bezug zu PRIORs (2018) Konzeption von Rapport als beobachtbarem Handlungsphänomen heraus, wie mittels der konversationellen Ressource "mm hm", d.h. kleinsten, oft vernachlässigten Beiträgen der Interviewenden Rapport hergestellt wird:
Das Rezeptionssignal "mm hm" mit fallender Intonationskurve drücke zum einen im Sinne eines "acknowledgement token" (S.224) aus, dass die bisherige Sequenz als beendet gelten könne. Es lade zum anderen aber im Sinne eines Fortsetzungssignals ("continuer") zu weiteren Ausführungen ein, da den Interviewpartner*innen der "conversational floor" (S.224) überlasse werde.
Das "mm hm" mit unterschiedlicher Intonation kann laut POPE auch als Zustimmungssignal dienen, das eine prinzipiell positive Haltung der interviewenden Person zu den Erklärungen oder Rechtfertigungen der Interviewten ausdrücke – gerade angesichts persönlicher Darstellungen wie in dem von ihr genutzten Interviewbeispiel.
Auch das Schweigen von Interviewer*innen vor oder nach dem Rezeptionssignal "mm hm" könne rapportförderlich sein, indem damit auf freundliche und geduldige Weise die Bitte an die Gesprächspartner*innen ausgedrückt werde, weiterzusprechen und das Rederecht zu behalten, sowie die Bereitschaft der Interviewerin, weiter zuzuhören. [22]
Insgesamt signalisierten diese drei sprachlichen Mittel sowie weitere rapportförderliche Maßnahmen die Aufmerksamkeit und das Interesse der Zuhörer*innen bzw. Interviewer*innen – oder mit PRIOR (2018, S.491) gesprochen: sowohl "aligment" als Unterstützung der laufenden Aktivität als auch "affiliation" als Bestätigung der Perspektive der Sprechenden. Abschließend betont POPE bezugnehmend auf RICHARDS (2011) die Relevanz einer solchen Sensibilisierung für Kleinstbeiträge der Interviewenden nicht nur für die Selbstreflexivität der Forschenden hinsichtlich ihrer eigenen Beiträge zum Interview, sondern auch für die Verfeinerung der Interviewführung. Als Forschungsdesiderat benennt sie die Untersuchung weiterer rapportförderlicher konversationeller Ressourcen.11) [23]
In ihrem Beitrag "Discourse Strategies of Mitigation in an Oral Corpus of Narratives of Life Experience Collected in Interviews" untersucht ALMEIDA die Nutzung von "mitigation devices" wie "I believe", "most", "probably" oder "like" (auch: "downtoners", "fuzziness markers", "hedges" und "softeners" genannt, S.240-242). Dabei fokussiert sie zu Beginn ihres Beitrags auf solche Abtönungsmarker, die den Inhalt des Gesagten abschwächten und so die "epistemic obligations of the speaker" (CAFFI 2000 S.96, zit. n. ALMEIDA, S.242) reduzierten, indem eine Distanz zum Gesagten hergestellt werde. Insgesamt aber zielt ALMEIDA auf eine allgemeinere Analyse der Interviewinteraktion und gemeinsamen Produktion von Narrativen zu Lebenserfahrungen, wie sie etwa von DE FINA (2009) gefordert wurde. Dabei bezieht sie auch weitere sprachliche Ressourcen ein, etwa "intensifiers" (S.254), die teils in Kombination mit Abtönungsmarkern verwendet würden. Dies hat es für mich schwergemacht, den Fokus des Beitrags zu erkennen, und ich beschränke mich deshalb auf Abtönungsmarker. [24]
Grundlage von ALMEIDAs Analysen ist ein Korpus von 23 Interviews zu Lebenserfahrungen von Portugies*innen, aus denen sie ausführlich zitiert – für mein Empfinden zu ausführlich, weil manche Phänomene gleich anhand mehrerer Interviewpassagen illustriert, diese aber kaum analytisch durchgearbeitet werden (z.B. S.258f., 264ff.), was die Nachvollziehbarkeit der Beispielauswahl einschränkt und zu gewissen Längen führt. Für die Nutzung von Abtönungs- und Vagheitsmarkern wie "I believe" (S.251f.) seitens der Interviewenden zeigt ALMEIDA beispielsweise, dass sie zusammen mit Verzögerungspartikeln wie "eh" in der Frage-Einleitung zu sensiblen Themen genutzt wurden, die mit dem Risiko des "threatening the positive face of the interviewee" (S.252) einhergingen. Diese Schwierigkeiten würden die Interviewenden durch Abtönungsmarker abmildern, was es ihnen ermögliche, ihre Frage zu stellen, sich aber zugleich davon zu distanzieren und mögliche Widersprüche oder Anfechtungen vorwegzunehmen. Aufseiten der Interviewenden deutet ALMEIDA Abtönungsmarker teils in Kopplung mit Rückversicherungsfragen wie "right?" (S.255ff.) als Strategie, selbstkompromittierende Äußerungen abzuschwächen, dem dargestellten Verhalten die Ernsthaftigkeit zu nehmen und so nicht nur das Gesicht zu wahren, sondern auch intersubjektiven Konsens bezüglich der gelieferten Erklärung für dieses Verhalten einzufordern. Ähnliches gelte für die Verwendung von unpersönlichen Formulierungen wie "you" (S.264ff.) im Rahmen von Gemeinplätzen, die bei sensiblen Themen aufgrund ihres verallgemeinernden und objektivierenden Charakters als distanzierendes Schutzschild für die Interviewten dienten und ein geteiltes Wissen mit den Interviewenden unterstellten. [25]
Im Abschlusskapitel "The Way(s) of Interviewing. Exploring Social Studies of Interviews" stellt RAPLEY dar, inwiefern die vorliegenden Beiträge den methodologischen Forschungsstand zur qualitativen Interviewforschung bereichern und formuliert Ideen für zukünftige Studien. Die Einordnung und Bewertung der Beiträge fällt – zumal bislang nur wenige methodologische Untersuchungen speziell zur qualitativen Interviewforschung vorliegen – insgesamt sehr wertschätzend aus: "They all work to uncover the seen-but-often-unnoticed (extra)ordinary features that make up interview interaction. They all work to explore, and enact, a social studies of interviews" (S.271f.). [26]
Weitere Forschungsfragen sind nach RAPLEY beispielsweise, wie unterschiedliche Modi (z.B. telefonisch vs. Face to Face), Formate und Typen von Fragen und Frage-Antwort-Sequenzen (MAZELAND & TEN HAVE 199612)) sowie unterschiedliche Interviewtenanzahlen die Dynamik beeinflussen; welche interaktive Arbeit nötig ist, um verfahrensspezifische Arten und Weisen der Organisation der Interviewinteraktion – etwa narrative oder ethnografische Interviews – hervorzubringen; und wie und wofür "Aktanten" (LATOUR 1987) wie das Aufnahmegerät und der Interviewleitfaden über ihre offensichtlichen Funktionen hinaus genutzt werden. Bezugnehmend auf BRIGGS (2007, S.554, Fußnote 4), der einen ausschließlichen Fokus auf die unmittelbare Interviewinteraktion und die darin situierten Frage-Antwort-Sequenzen problematisiert hat, betont RAPLEY abschließend die Notwendigkeit, diese auch im Band zentrierte Perspektive um die Untersuchung der "pre-interview work" (Rekrutierung, Warming Up etc.) und des "post-interview talk" zu erweitern: "I feel we need a social studies of interviews that looks both within, across and beyond the recorded interview interactions" (S.282). [27]
RAPLEYs Einschätzung kann ich mich nur anschließen. Insgesamt liegt mit "Interactional Studies of Qualitative Research Interviews" ein sehr wichtiger und anregender Beitrag zu den "interactional" bzw. "social studies of interview studies" (RAPLEY 2012, S.552) vor: Forscher*innen können über die Einblicke in die Forschungspraxis anderer Inspiration und Hinweise für ihre eigenen Projekte dazu beziehen, wie ein "zweiter Blick" hilft, Interaktionsdynamiken zu durchdringen und Selbstreflexivität zu praktizieren. Für diejenigen, die an einer methodologischen Auseinandersetzung mit Interviewforschung interessiert sind, bietet der Band nicht nur Einblicke in den interaktionstheoretischen State of the Art, sondern auch Anregungen für zukünftige Forschungen im Bereich der "social studies of interview studies". [28]
Dass hierbei auf ethnomethodologisch orientierte Ansätze fokussiert wird, stellt einerseits eine Engführung dar, sichert andererseits jedoch eine hohe Kohärenz innerhalb der ansonsten diversen Beiträge des Bandes und verdeutlicht erneut die Leistungsfähigkeit dieser Perspektive für ein nicht nur theoretisches, sondern vor allem auch konsequent methodisch und empirisch umgesetztes Verständnis von Interviews als wesentlich sprachbasierten Interaktionen. Dies bietet, wie die Beiträge zeigen, die Chance, eine befremdete bzw. befremdende Perspektive auf Alltägliches und scheinbar Selbstverständliches zu werfen und einen Bruch mit bisherigen methodischen und Deutungsroutinen zu vollziehen. Erkennbar wird dadurch beispielsweise die hohe Bedeutung, die die Äußerungen der Interviewenden – und seien sie noch so unscheinbar – für die Antworten der Interviewten haben, und dass folglich "eine Äußerung nie nur dem 'gehört', der sie produziert" (AYASS 2008, S.348). So können karge Antworten der Interviewten mit hartnäckigen Vorannahmen der Interviewenden (OHTA & PRIOR) und ein Verstoß gegen das Eigenlobtabu mit einer spezifischen Qualität der Interviewführung (SHELTON) zusammenhängen. Indem solche Beiträge der Interviewenden mit der gleichen Aufmerksamkeit analysiert werden wie die der Interviewten, kann mittels einer ethnomethodologisch informierten Perspektive gleichsam zur häufiger geforderten als praktizierten Reflexivität qualitativer (Interview-)Forschung beigetragen werden. Diese Perspektive zwingt schließlich geradezu dazu, das beobachtbare Sprachhandeln der Interviewenden akribisch unter die Lupe zu nehmen und hinsichtlich seiner interaktiven Bedeutung zu untersuchen. [29]
Ein solcher Blick auf Interviews dürfte, wie ROULSTON einleitend vermerkt, daher auch für diejenigen analytisch nützlich sein, die sich nicht in der Ethnomethodologie verorten. Insofern lese ich den Band auch als Einladung an Interviewforschende, sich zwecks Erkenntnisgewinn ethnomethodologischer Perspektiven und Heuristiken jenseits einer ethnomethodologischen Orthodoxie zu bedienen. Dies erscheint mir unmittelbar plausibel, wenn Forschung in pragmatistischer Hinsicht als Problemlösen und Forschungsmethoden als "Problemlöser" (BETHMANN 2020) verstanden werden – etwa um Sinnhaftigkeits- und Deutungskrisen zu bewältigen, die scheinbar gescheiterte, anderweitig problematische oder schlicht irritierende Interviews aufwerfen (siehe dazu die Beiträge von HERRON sowie OHTA & PRIOR; vgl. auch ECKERT & CICHECKI 2020). Speziell für Sequenzanalytiker*innen im deutschsprachigen Raum sehe ich den analytischen Gewinn darin, dass ethnomethodologische Konzepte wie beispielsweise Identitätskonstruktion, epistemische Positionierung oder membership categories das eigene Deskriptionsvokabular erweitern können. Dadurch können auf eine zusätzliche Weise Deutungen anhand des Textes entwickelt und an diesem belegt werden. Reizvoll erscheint mir die ethnomethodologische Perspektive zudem, da die Interviewbeteiligten grundsätzlich als kompetente Gesprächsteilnehmer*innen gedacht werden, die gemeinsam die lokale Ordnung des Interviews produzieren (accomplishment). Damit kann voreiligen Defizit- und Pathologiezuschreibungen vorgebeugt und eine offene Haltung der Sinnrekonstruktion gefördert werden. Denn, so BAKER (2001, S.793f.): Ethnomethodologisch orientierte Interviewanalysen durchzuführen heißt nicht, sich nur auf formale Aspekte der Rede zu beschränken, sondern Inhalt und Versprachlichung zu verbinden und die geäußerten Inhalte aus ihrem jeweils spezifischen Produktionskontext heraus zu verstehen. Bilanzierend gesprochen kann dies also dazu beitragen, Interviewforschung zu verbessern, was die wechselseitige Abstinenz von Ethnomethodologie und Interviewforschung fragwürdig erscheinen lässt. [30]
Innerhalb dieses insgesamt positiven Eindrucks ist jedoch mit Blick auf die unterschiedliche Prägnanz, Klarheit und Reichweite der einzelnen Beiträge zu differenzieren. Was die Reichweite betrifft, beziehen sich die Autor*innen auf empirisches Material unterschiedlichen Umfangs: von einer kleinen Fokusgruppenpassage (JUNG) über ein ganzes Interview (z.B. HERRON sowie OHTA & PRIOR) hin zu dem Datenkorpus einer größeren Studie (z.B. ALMEIDA, VERONESI). So aufschlussreich Detailanalysen kleinster Datenausschnitte sein können, so fehlt für mich doch bei einigen Aufsätzen der Vergleich und Kontrast mit anderen Datenausschnitten. Erst dieser würde es erlauben, das Phänomen näher einzuordnen (etwa dergestalt, ob es typisch für diese Studie oder ein bestimmtes Forschungssetting ist oder unter welchen Bedingungen es auftritt) und auf diesem Wege einen systematischen methodologischen Beitrag zur Interviewforschung zu leisten. Gleichwohl können Detailanalysen für diejenigen von besonderem Interesse sein, die sich spezifisch für ein bestimmtes Phänomen – in meinem Fall etwa: "gescheiterte" Interviews – interessieren. [31]
Herausfordernd war für mich bisweilen, dass genuin ethnomethodologische und konversationsanalytische Konzepte und Begriffe zwar durchaus erläutert werden, meinem Eindruck nach aber eine Vertrautheit mit einigen Grundlagen für ein angenehmes Leseerlebnis erforderlich ist. Für EM-/KA-Unkundige könnte dies eine Rezeptionsbarriere darstellen. Gleichzeitig ist anzumerken, dass durch einen solchen Band selbstredend keine Einführung in diese Forschungsperspektive geleistet werden kann und das Problem somit eher in der marginalen Stellung der EM und KA in der gegenwärtigen Interviewforschung begründet liegt. [32]
Als besonders lesefreundlich habe ich ROULSTONs und RAPLEYs rahmende und einordnende Beiträge wahrgenommen, da in ihnen der Forschungskontext vergegenwärtigt und der Erkenntniswert der einzelnen Beiträge verortet wird. Den roten Faden des Bandes verdeutlicht ROULSTON zudem über die Einleitungen zu den zwei Hauptteilen. Ebenfalls lesefreundlich ist aus meiner Sicht, dass alle Autor*innen die gleichen Transkriptionskonventionen verwendet haben, jedem Beitrag ein Abstract vorangestellt ist und die schnelle Orientierung im Band ferner über einen Index ermöglicht wird. Dies erlaubt es auch, gezielt einzelne Aufsätze für die Lektüre auszuwählen und sich das umfangreiche Werk auszugsweise zu erschließen. Im Ergebnis lässt sich daher sagen: Wer an spezifischen Thematiken interessiert ist, kann zielgerichtet einschlägige Beiträge identifizieren und lesen; wer an Forschung zu Interviewforschung generell interessiert ist, wird die Stärke des Bandes vermutlich weniger in den einzelnen Beiträgen als vielmehr im Gesamtarrangement mitsamt seinen Rahmungen sehen. [33]
Neben der erwähnten Frage, wofür die Analysen kleiner Passagen eigentlich stehen, haben sich mir beim Lesen weitere Fragen gestellt, die über den Band hinausreichen: Wenn, wie die Beiträge zeigen, ein ethnomethodologisch geschulter "zweiter Blick" auf Interviews so ergiebig ist – warum sollte eine solche Perspektive nicht bereits den ersten Blick informieren und zumindest für ausgewählte Interviewpassagen (wie Intervieweinstiege oder problematische Sequenzen) angewandt werden? Dass von dieser Möglichkeit nicht häufiger Gebrauch gemacht wird, verweist wohl nicht nur auf positivistische Prägungen, wie sie HERRON anspricht, sondern auch darauf, wie der Mainstream der qualitativen Interviewforschung funktioniert. Während – grosso modo – im US-amerikanischen Kontext der Forschendenidealtyp des "fieldworker" (BETHMANN & NIERMANN 2012; vgl. auch BETHMANN & NIERMANN 2015) dominant scheint und sequenz- und feinanalytische Auswertungsverfahren eine untergeordnete Rolle spielen, wird für den deutschsprachigen Raum ein Boom inhaltsanalytischer Verfahren, zumeist kombiniert mit computergestützter Auswertung, diagnostiziert und problematisiert (z.B. BREUER et al. 2014, S.263; KNOBLAUCH 2014, S.78f.). [34]
Eine weitere offene Frage ist, ob und wie genau die dem Band zugrunde liegende Perspektive auf Interviews als soziale Praxis mit einer Perspektive auf Interviews als Forschungsinstrument verbunden werden kann, einer Perspektive also, bei der die in Interviews erzeugten Texte nicht nur als Produkt der Interaktion im Interview gefasst, sondern auch dazu genutzt werden, Einblicke in soziale Wirklichkeiten jenseits des Interviewkontexts zu erhalten. Der einleitende Hinweis von ROULSTON auf BRINKMANNs (2018, S.587) pragmatisch-vermittelnde Sichtweise, wonach beide Perspektiven nützlich seien und die eine oder andere je nach konkretem Anliegen ausgewählt werden sollte, stellt nur einen ersten Schritt bei der Beantwortung dieser Frage dar; weitere sind aus meiner Sicht notwendig. Vielversprechend wäre z.B. der Einbezug von Überlegungen zu anderen Forschungsmethodologien, etwa den im deutschsprachigen Raum entwickelten sequenzanalytischen Methoden, bei denen eine Analyse von Interviewinteraktionen mit der Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit außerhalb des Interviews verknüpft wird (vgl. z.B. PHILIPPS & MROWCZYNSKI 2019 für die dokumentarische Methode). [35]
Darüber hinaus eröffnen sich im Anschluss an den Band Forschungsmöglichkeiten, die auch über die von RAPLEY angesprochenen hinausweisen. Interessant wäre zum einen wie von POPE angeregt, stärker als bisher Kleinstbeiträge der Interviewenden in ihrer Bedeutung für die Interviewdynamik und die Antworten der Interviewpartner*innen zu untersuchen (vgl. auch KOOLE 2003; RICHARDS 2011). Je nach Erkenntnissen wäre dies folgenreich für adäquate Transkription und Auswertung von Interviews. Vielversprechend erscheint mir zum anderen eine nahezu gegenteilige Bewegung: Nachdem Konversationsanalytiker*innen gezeigt haben, wie erkenntnisreich die intensive Beschäftigung mit kurzen Sequenzen ist, könnte nun auch verstärkt die Auseinandersetzung mit größeren Einheiten betrieben werden. Diesbezüglich verweist ROULSTON in der Einleitung kurz auf VAN ENKs (2009) Konzept des Genre, RAPLEY auf das Konzept der Diskurseinheiten, wie es von MAZELAND und TEN HAVE (1996) verwendet wurde. Als weiterführend könnte sich hier eine verstärkte transatlantische Debatte erweisen, bei der auf die im deutschsprachigen Raum entwickelten Konzepte der kommunikativen Gattungen (BERGMANN & LUCKMANN 1995) und Textsorten (KALLMEYER & SCHÜTZE 1977) zurückgegriffen wird. Während BERGMANNs und LUCKMANNs Konzept der kommunikativen Gattungen "vielleicht der wichtigste genuin deutsche Beitrag zur KA" ist (DEPPERMANN 2020, S.651), findet die von KALLMEYER und SCHÜTZE ursprünglich konversationsanalytisch fundierte Textsortenunterscheidung inzwischen auch jenseits der Narrationsforschung Verwendung (siehe für die dokumentarische Methode z.B. NOHL 2017; für das diskursive Interview ULLRICH 2020) und ähnelt dem Konzept der Diskurseinheiten (HAUSENDORF & QUASTHOFF 2005 [1996]; MOREK, HELLER & QUASTHOFF 2017). Gleich, ob Kleinstbeiträge oder größere Diskurseinheiten fokussiert werden: Wie in der Pandemie deutlich wurde, braucht es methodische Alternativen zu mündlich durchgeführten Face-to-Face-Interviews, beispielsweise Telefoninterviews (siehe dazu exemplarisch IRVINE et al. 2013; POPE) oder schriftliche Interviews (SCHIEK 2014). Diese Alternativen sollten, wie bei RAPLEY angedeutet hat, viel systematischer als bisher methodologisch reflektiert und systematisch empirisch untersucht werden. [36]
Soll die Forschung zur Interviewforschung konsolidiert werden, fände ich drei Erweiterungen und Entwicklungen sinnvoll: Erstens stellen die Beiträge des Bandes – wie andere vorliegende Veröffentlichungen – mehr oder weniger materialreiche Reflexionen eigener Forschungserfahrungen und insofern keine systematischen Studien spezifischer Phänomene dar. Letztere aber bräuchte es, um zu Aussagen über einzelne Fallstudien hinaus zu gelangen und methodologisch wichtige Fragen klären zu können, z.B. diejenige nach der Bedeutung von Fragen und Frageformulierungen für Antworten (ULLRICH 2020, S.60ff.). Zweitens hat der vorliegende Band gezeigt, dass die Forschung zur Interviewforschung sehr von der EM/KA profitieren kann. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass jegliche Forschung zur Interviewforschung ethnomethodologisch inspiriert sein sollte. Vielmehr sollten Ansätze aus weiteren Traditionen genutzt werden, um Interviews umfassender zu verstehen. Damit könnte auch der Fokus der EM/KA auf das beobachtbare (Sprach-)Handeln in der audio- oder (wie bei JUNG) videodokumentierten On-the-record-Interviewsituation transzendiert werden, indem andere Perspektiven auf die unmittelbare Interviewinteraktion eröffnet werden und/oder das Interview in einem größeren Kontext situiert wird. Denkbar ist hierbei eine Vielzahl von Forschungstraditionen. Ein möglicher Ausgangspunkt könnte sein, die je unterschiedlich konzipierte Involviertheit der Forschenden in den Forschungsprozess zu fokussieren und so deren Beiträge zur Interviewdynamik und zum Produkt "Interview" zu fassen (zu verschiedenen Verständnissen der Involviertheit der Forschenden im Kontext unterschiedlicher Reflexivitätsverständnisse siehe BERESWILL 2003; FINLAY 2012; GÜNTHER & KERSCHGENS 2016; MACBETH 2001; MRUCK, ROTH & BREUER 2002; ROTH, BREUER & MRUCK 2003). Drittens könnte der im Sammelband durchscheinende internationale Austausch von Forschenden zur Interviewforschung als Auftakt dienen, einen solchen Diskurs zu verbreitern und zu vertiefen – nicht nur, um den Kreis der beteiligten Wissenschaftler*innen innerhalb dieses bislang doch eher überschaubaren Feldes zu vergrößern, sondern auch, um von Erkenntnissen aus unterschiedlichen (nationalen) Forschungstraditionen profitieren zu können. [37]
Carsten G. ULLRICH danke ich herzlich für unsere Diskussionen zur Interviewforschung, Malin HOUBEN und Diana CICHECKI für ihr hilfreiches Feedback zu früheren Versionen dieses Textes und Lukas TAUSENDFREUND-KELLER für seine Unterstützung beim Layout.
1) Siehe für einen umfassenderen Einblick in den Forschungsstand zur qualitativen Interviewforschung spezifisch im angelsächsischen Raum ROULSTONs Bibliografie (letztes Update: Mai 2019): https://qualpage.files.wordpress.com/2019/05/interviewing.pdf [Datum des Zugriffs: 12. März 2021]. <zurück>
2) Mit "Interviewforschung" meine ich Studien, in denen qualitative Interviews als Methode genutzt werden, um sich sozialer Wirklichkeit anzunähern. Die Bezeichnung "Forschung zu Interviewforschung" verwende ich für solche Ansätze, in denen qualitative Interviewforschung selbst zum Untersuchungsgegenstand gemacht wird, unabhängig von den hierfür verwendeten Methoden. <zurück>
3) Siehe auch die Rezension von HUANG (2019). <zurück>
4) Eine kurze Einführung in einige dieser Forschungsperspektiven findet sich beispielsweise bei DEPPERMANN (2020) und ROULSTON (2006). Aufschlussreiche Beiträge zur Ethnomethodologie im Allgemeinen und zu GARFINKELs "Studies in Ethnomethodology" (1967) im Speziellen finden sich auch in der FQS-Schwerpunktausgabe "Harold Garfinkels ‚Studies in Ethnomethodology‘ – ein Interviewprojekt" (GERST, KRÄMER & SALOMON 2019). <zurück>
5) Vgl. zur analogen Unterscheidung zwischen "Interview als Text" und "Interview als Interaktion" im deutschsprachigen Raum DEPPERMANN (2013). <zurück>
6) Konkret lassen sich mit STIVERS, MONDADA und STEENSIG (2011) folgende analytische Dimensionen unterscheiden: der epistemische Zugang (epistemic access) zu bestimmten Wissensbereichen, der die Aspekte umfasst, wer wozu mit welchem Gewissheitsgrad und auf Basis welcher Grundlage Wissen hat; das epistemische Primat (epistemic primacy), d.h. wer welche relativen Rechte hat, über ein bestimmtes Wissen zu verfügen und es zu teilen und insofern ggf. auch epistemische Autorität für sich beanspruchen kann; und schließlich die epistemische Zuständigkeit (epistemic responsibility) in Bezug auf bestimmte Wissensbereiche, also die Verantwortung, bestimmte Dinge zu wissen. <zurück>
7) Siehe zu diesem Konzept den weiter oben besprochenen Beitrag von ROULSTON und insbesondere Anmerkung 6. <zurück>
8) Vgl. zu dieser Problematik auch BREUER, MUCKEL und DIERIS (2018, S.237), die deshalb bei der Datengewinnung den Ausdruck "Interview" zunächst vermeiden. <zurück>
9) Dass dies auch auf viel subtilere Weise geschehen kann, verdeutlicht der weiter unten besprochene Beitrag von POPE (vgl. auch KOOLE 2003; RICHARDS 2011). <zurück>
10) Wie BOHNSACK und PRZYBORSKI (2009) verdeutlichten, sind die vorwiegend in den USA entwickelten Fokusgruppen mit den in den britischen Cultural Studies entwickelten Group Discussions und den in Deutschland entwickelten Gruppendiskussionen nicht zu verwechseln. Gerade letztere stellen hinsichtlich ihrer methodologischen Begründung und Konzeption und einer entsprechenden Forschungspraxis einen Kontrapunkt zu Fokusgruppen dar, da zum einen auf die Initiierung einer selbstläufigen Diskussion unter den Teilnehmenden (d.h. nicht auf Antworten auf Fragen) gezielt und zum anderen die Interaktion unter den Teilnehmenden dezidiert zum Analysegegenstand wird. <zurück>
11) Zu Zuhörer*innenaktivitäten jenseits des Interviewkontexts s. beispielsweise GARDNER (2001), auf den POPE verweist, sowie im deutschsprachigen Raum spezifisch für erzählförderliche und -feindliche Zuhörer*innenaktivitäten QUASTHOFF (1981). <zurück>
12) MAZELAND und TEN HAVE unterschieden zwei Typen der Intervieworganisation: discourse unit und turn-by-turn styles. Während Diskurseinheiten auf größere, von den Interviewpartner*innen zu strukturierende Texte zielten, seien bei dem turn-by-turn-Stil eine höhere Strukturierung durch die Interviewenden und häufigere Rederechtswechsel vorgesehen. <zurück>
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Judith ECKERT ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-geförderten Projekt "Fragen in qualitativen Interviews. Sekundäranalysen zur Bedeutung unterschiedlicher Frageformen in Interviews" (Leitung: Carsten G. ULLRICH) an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen qualitative Methoden und Methodenkombinationen, soziale Ungleichheit, Geschlechterforschung, Beziehungs- und Familiensoziologie sowie Soziologie der (Un-)Sicherheit und Angst.
Kontakt:
Dr. Judith Eckert
Universität Duisburg-Essen
Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik
Universitätsstr. 2
45141 Essen
Tel.: +49 201 183 4380
Fax: +49 201 183 42 67 (Sekretariat)
E-Mail: judith.eckert@uni-due.de
URL: https://www.uni-due.de/biwi/ullrich/eckert2.php
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