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Volume 23, No. 1, Art. 8 – Januar 2022

Asymmetrien aushandeln: Von der (De-)Thematisierung des Gebens und Nehmens in ethnografischen Beziehungen an einem Beispiel der Fluchtforschung

Ingmar Zalewski

Zusammenfassung: In diesem Artikel befasse ich mich mit der Genese und Gestalt meines ethnografischen Promotionsprojektes zu gesellschaftlichen Teilhabeprozessen geflüchteter junger Männer aus Syrien. Meine eigene Beziehungsgestaltung mit den geflüchteten Feldteilnehmern steht dabei im Mittelpunkt. Verfasst als narrative Reflexion aus der Ich-Perspektive, rekonstruiere ich zum einen die Mechanismen, über die sich der Beziehungsansatz als zentraler Gegenstandsbereich des Feldes eigenlogisch konstituierte. Zum anderen zeichne ich entlang von empirischen Materialausschnitten eine Typisierung der Beziehungsdynamik einer Fallgeschichte nach. Die herausgearbeitete Charakteristik gegenseitiger Funktionalisierung diskutiere ich dabei in Anlehnung an Marcel MAUSS (1990 [1925]) als ein Gabentausch-Verhältnis – als ein Beispiel von Geben und Nehmen. Unter Rückgriff auf die Verpflichtung zur Erwiderung einer Gabe, der Vermischung von Person und Sache im Gabentausch sowie dem Schuldverursachungs- und dem Zeitlichkeitsaspekt einer Gabe lege ich insbesondere Zugänge zu meinem Schamerleben in dieser Beziehung offen. Gespiegelt vor dem gesellschaftlichen Panorama zeige ich mittels des empirischen Falls neue Perspektiven auf für ehrenamtliche und professionelle Helfer:innen-Beziehungen mit Geflüchteten.

Keywords: Ethnografie; Beziehung; Gabe; Scham; Austausch; Flucht; Migration; Reflexivität

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklungsdynamiken und Eigenlogiken des Feldes

2.1 Von der Gruppe ...

2.2 ... zur persönlichen Beziehung

3. Von der Definition der Situation zur Definition der Beziehung

3.1 Funktionalisierung und komplementäre Rolle

3.2 Abhängigkeit als Balanceakt

3.3 Scham oder: (de-)thematisierte Funktionalisierung

4. Ein Beispiel von Geben und Nehmen!?

5. Resümee

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Im vorliegenden Text rekonstruiere ich aus ethnografischer Perspektive, wie ich zu dem spezifischen Gegenstandsbereich meiner Feldforschung gekommen bin. Ich beziehe mich auf den Kontext meines laufenden Promotionsprojektes zu gesellschaftlichen Teilhabeprozessen geflüchteter junger Männer aus Syrien. In diesem Projekt wurde der Gegenstandsbereich meiner eigenen Beziehung zu zwei der Feldteilnehmer als primäres "sensitizing concept" (BLUMER 1969, S.147) virulent. Im Folgenden strebe ich eine Klärung der Fragen danach an, wie sich der analytische Fokus auf die Beziehungsdimension konstituierte und welche empirische Gestalt dieser annahm. Eine solche Selbstthematisierung erscheint mir vor dem Hintergrund relevant, dass mit der Art informeller Klient-Helfer-Beziehung, um die es sich hier handelt, eine Konstellation aufgerufen ist, die in der ehrenamtlichen und professionellen Beziehungsgestaltung mit Geflüchteten regelmäßig vorzufinden ist (SUTTER 2019). Methodologische Zugänge, um deren Dynamiken von innen heraus zu verstehen, sind hingegen rar. [1]

Die Feststellung, dass in der Ethnografie die gegenseitigen Beziehungen von Feldforscher:innen und Feldteilnehmer:innen Bedeutung erlangen, ist zunächst banal. Sie kann insbesondere in der Tradition ethnologischer Kulturanalysen verortet werden (HÄBERLEIN 2014; STODULKA 2014), sticht aber auch bei Klassikern wie "Street Corner Society" (WHYTE 1996 [1943]) hervor. Ethnografie ist letztlich immer auch Ethnografie eigener Beziehung(en). Allerdings gehe ich davon aus, dass dieser Umstand in unterschiedlichem Maße funktionalisiert wird. In der Tradition der Ethnopsychoanalyse avanciert er zum Gegenstand schlechthin (DEVEREUX 1984 [1967]; NADIG 1992), wie auch "relationale Ethnografien" (SIMON 2012) durch einen expliziten Beziehungsfokus gekennzeichnet sind (siehe auch GERGEN & GERGEN 2002). Vielerorts ist Beziehung hingegen auch Mittel zum Zweck. Sie fungiert im Rahmen von Feldzugangsprozessen als Eintrittstor, um ethnografisch zu forschen und sich dann anderen Analysefoki zuwenden zu können. Die Beziehungsdimension wird dabei zu einer zentralen Reflexionsfolie der Bedingungen eigener Feldforschung und erlangt insbesondere anhand der Fragen zur Konstruktion des ethnografischen Textes Bedeutung. Seit den Writing-Culture-Debatten (CLIFFORD & MARCUS 1986; siehe auch BERG & FUCHS 1993) werden diese unter dem Gesichtspunkt diskutiert, dass die Forschungsbeziehung in die Geschichte hegemonialer Machtverhältnisse eingebettet ist. Die Impulskraft dieser Einsicht war enorm, wie sich an der Anregung einer Pluralität an ethnografischen Narrativen jenseits der klassisch-entpersonalisierten Autorität (ATKINSON 1990; VAN MAANEN 1988) oder beispielhaft an der Etablierung der Autoethnografie (ELLIS, ADAMS & BOCHNER 2010) als eigenständigem ethnografischen Textgenre ablesen lässt (THOMAS 2019). Ebenso wurden vielfach Vorstöße zu forschungsethischen Gesichtspunkten in der Ethnografie unternommen.1) Die in diesem Zusammenhang gestellte Forderung, der oder dem Anderen im Zuge der ethnografischen Wissensgenerierung auf Augenhöhe entgegenzutreten, stellt gleichzeitig ein erkenntnistheoretisches Dilemma dar. Es wird durch partizipative Ansätze (BERGOLD & THOMAS 2012; WHYTE 1991) und kollaborative Methodologien (BIELER et al. 2021; LASSITER 2005) bearbeitet, ohne dabei allerdings einfach aufgelöst zu werden (FLICK & HEROLD 2021). In der Regel bleibt ethnografische Forschung – und das m.E. legitimerweise – dem Erkenntnisinteresse der Berufsforscher:innen untergeordnet, ohne das Subjekt-Objekt-Verhältnis als solches transzendieren zu können (SPECK 2021).2) [2]

Auch das Herausarbeiten der Beziehungsdimension in der hier vorgestellten Feldforschung bleibt meinem eigenen Erkenntnisinteresse untergeordnet. Die Beziehungsdimension ist allerdings weder bloß reflexiver Teilgegenstand meiner Analyse noch eine Analysekategorie a priori, sondern Erkenntnisinteresse des gesamten ethnografischen Unterfangens als ein Ergebnis vorausgegangener Aushandlungsprozesse im Feld. Bei meiner Thematisierung von Beziehung handelt es sich somit weniger um ein kritisch-reflexives Mitlaufen der Dynamiken und Subjekt-Positionierungen in der ethnografischen Forschungsbeziehung (was in aufgeklärten Ethnografien ohnehin gegeben sein sollte), sondern um die ethnografische Analyse von Beziehung, deren Teil ich selbst geworden bin – und das aus eigenem Recht heraus. Die nachfolgenden Ausführungen sind dabei von der Idee getragen, dass sich der Beziehungsansatz in meinem Projekt nicht etablierte, um etwas herausfinden, sondern dass er vielmehr eine Feldspezifik darstellt, die sich ihrerseits als Analysegegenstand aufdrängte. [3]

Ich verfasse diesen Text aus der Ich-Perspektive und orientiere mich dabei am Vorschlag von STRECK, UNTERKOFLER und REINECKE-TERNER (2013) zu einer bekennenden Haltung von Feldforscher:innen sowie an neueren Impulsen zum reflexiven Schreiben in der Ethnografie (NIERMANN 2020; SCHINDLER & SCHÄFER 2021) und der Migrationsforschung (DIETERICH & NIESWAND 2020). Aus diesem Zugriff heraus werde ich zunächst einige Entwicklungsbedingungen aufzeigen, unter denen sich der Beziehungsfokus in der konkreten Forschungssituation meines Promotionsprojektes konstituierte (Abschnitt 2). Danach erfolgt ein beispielhafter Einblick in meine Beziehungsdynamik zu einem Feldteilnehmer (Abschnitt 3). Entlang von drei Typen ethnografischen Datenmaterials skizziere ich wesentliche Dimensionen dieser Beziehung. In Abschnitt 4 nehme ich entlang der erarbeiteten Typisierungen eine weitere Verdichtung zu einer vorläufigen Gestalt der Beziehung vor. In Abschnitt 5 resümiere ich meine Analysen vor dem Hintergrund der hier aufgeworfenen Relevanzen. [4]

2. Entwicklungsdynamiken und Eigenlogiken des Feldes

In der Chronologie meines Projekts setzte eine Eigendynamik von persönlicher Beziehung aus einer anfänglichen Gruppensituation heraus ein. In diesem Abschnitt schildere ich zunächst, wie sich letztere unter mindestens drei zentralen Gesichtspunkten konstituierte (Abschnitt 2.1): Mein Gruppenmitgliedschaft war geknüpft an Männlichkeit, sie wurde durch die Teilnahme an zentralen Feldpraktiken routinisiert hergestellt, und meine Unterstützungskapazität als Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft diente mir zur Sicherung meines Status in der Gruppe. In meinem Feld verselbstständigte sich sodann eine bestimmte Art von persönlicher Beziehung so stark, dass der Gruppenfokus in meinen Promotionsprojekt im Anschluss nicht mehr haltbar war. Die Voraussetzungslogiken dieses dynamischen Beziehungsgeschehens bestanden u.a. in einer persönlichen Vorgeschichte und wurden durch habituelle Klassenzugehörigkeit vermittelt (Abschnitt 2.2). [5]

2.1 Von der Gruppe ...

Begonnen habe ich mein Projekt im Frühjahr 2018, um die Frage zu untersuchen, wie sich Teilhabeprozesse von unbegleitet geflüchteten Jugendlichen und jungen Männern aus Syrien in ihrem alltäglichen Leben langfristig materialisieren. Zur Untersuchung dieser Fragestellung fasste ich a priori den Entschluss, eine realistisch-objektivierende Ethnografie (VAN MAANEN 1988) eines migrantischen Milieus anzufertigen. In forschungspragmatischer Hinsicht konnte ich hierfür auf einen bereits etablierten Feldzugang aus einem partizipativen Forschungsprojekt zurückgreifen, in dem ich im Jahr zuvor mitgearbeitet hatte (SAUER, THOMAS & ZALEWSKI 2019; THOMAS, SAUER & ZALEWSKI 2018). Die Anfangszeit in meinem Feld verbrachte ich daher nosing around in einer ostdeutschen Hochhaussiedlung, wo meine Feldkontakte in einer achtköpfigen Clique an syrischen Nachbarn zusammenwohnten. Ich hielt es für zielführend, eine längsschnittliche ethnografische Bestandsaufnahme dieser Gruppe – etwa nach dem Vorbild MacLEODs (2009 [1987])3) – anzufertigen. [6]

Die vergemeinschaftenden Praxen dieser Gruppe waren im hohen Grade vergeschlechtlicht. Meine eigene Männlichkeit war eine primäre Ermöglichungsbedingung, um ein Teil von ihr werden zu können. Zentral war insbesondere das regelmäßige Shisha-Rauchen in wechselnden Wohnungen der jungen Männer im Modus des kollektiven "Abhängens".4) Ich beteiligte mich aktiv an den beim Shisha-Rauchen aufkommenden Diskussionen. HITZLER und EISEWICHT (2020, S.43) sprachen diesbezüglich von der Notwendigkeit einer alltagspraktischen Bearbeitung des eigenen Forschungsthemas, welche nur dann gelingen kann, "wenn man bei dem, was die Leute tun, für die man sich interessiert, mitmacht". In Anlehnung an PFADENHAUER (2005) führte ich in der Gruppe eine leidenschaftlich-engagierte beobachtende Teilnahme durch. Mein "über die situative Präsenz hinausgehendes Engagement" (HITZLER & EISEWICHT 2020, S.44) bestand vor allem darin, dass ich den Menschen mit persönlichen lebenspraktischen Ratschlägen half, wenn dies an mich herangetragen wurde. Über diese Helferrolle verfestigte sich zugleich mein Platz in der Gruppe. Meine Herangehensweise rückte somit in die Nähe von WACQUANTs körperlich-sinnlich fundierten Ansatz, Soziologie zu betreiben:

"Die Soziologie muss darauf hinarbeiten, dass diese leibliche Dimension der Existenz, [...] wieder hergestellt und greifbar wird. [...] Den erfolgversprechendsten Weg zu diesem Ziel bietet eine Beobachtungs- und Analysetechnik, die mit einer Initiation in den und eventuell sogar einer moralischen und sinnlichen Konversion zum untersuchten Kosmos einhergeht und, unter der ausdrücklichen Voraussetzung ihrer theoretischen Fundierung, dem Soziologen die Aneignung der kognitiven, ethischen, ästhetischen und konativen Schemata ermöglicht, die den Alltag derer bestimmen, die diesen Kosmos bevölkern" (2003 [2001], S.269-270). [7]

Im Rahmen meiner "Konversion" zur Gruppe half mir das Gewahrwerden meiner eigenen emotionalen Reaktionen – nicht zuletzt, um ein distanzloses going native zu verhindern. Vor dem Hintergrund, dass Ethnograf:innen selbst zum unverzichtbaren Medium ihrer eigenen Analyse werden, begriff ich mich zunehmend als eine Art ethnografischer Sensor und erhob ebenjene gefühlsmäßigen "Gegenübertragungen" auf mein Feld im Sinne von DEVEREUX (1984 [1967]) zu einer primären Datenquelle meiner Forschung.5) [8]

2.2 ... zur persönlichen Beziehung

Mein analytischer Fokus auf "Gruppe" wurde im zweiten Jahr meiner Feldforschung zunehmend prekär. Anfang 2020 kam es letztlich zu einem Wandel der Sozialform in meinem Projekt von der Gruppe hin zur persönlichen Zweierbeziehung. Mit meiner oben skizzierten ethnografischen Haltung hatte ich aktiv Beziehungsangebote geschaffen, die in zwei Fällen stark erwidert wurden. Zum einen hatte ich dabei eine persönliche Vorgeschichte unterschätzt: Ursprünglich in die Gruppe eingeführt worden war ich über die die Cousins Mervan und Enis6), die aus dem kurdischen Teil Nordsyriens nach Deutschland geflüchtet waren. Beide kannte ich bereits seit dem Sommer 2016. Uns verband die intensive Zusammenarbeit aus einem vorangegangenen Forschungsprojekt, als sie noch minderjährig waren und in einer stationären Einrichtung der deutschen Kinder- und Jugendhilfe gelebt hatten.7) Mervan (geboren 1999) war der jüngere und zurückhaltendere der beiden, gleichzeitig sehr intelligent und wissbegierig. Er ging besonders stark auf meine Beziehungs- und Unterstützungsangebote ein. Für ihn erfüllte ich mit meinem Eintritt ins Feld im Rahmen meiner Dissertationsstudie in gewissem Sinne die Funktion eines großen Bruders. Der extrovertierte Enis (geboren 1998) war hingegen stark orientiert am unmittelbaren Leben und insgesamt wesentlich unabhängiger als Mervan. Er brauchte meine Hilfe zu keinem Zeitpunkt. Als er im Laufe meines ersten Jahres im Feld einen festen Job fand, verloren wir uns aus den Augen. [9]

Mervans bester Freund im Wohnhaus war Musa (geboren 1993). Musa stammte aus einer syrischen Metropole aus einer Familie des gehobenen Bildungsbürgertums.8) Die Familie besaß zwei Häuser, die im Krieg zerstört worden waren. Sein Vater hatte aus beruflichen Gründen für eine längere Zeit in Kanada gelebt, seine älteren Geschwister studierten allesamt. Er war volljährig nach Deutschland gekommen und hatte zuvor in einer Gemeinschaftsunterkunft gelebt. Mervan blickte zu ihm auf. Ohne die spezifische Beziehungsdynamik mit Musa, die ich im folgenden Abschnitt im Detail darstellen werde, an dieser Stelle vorwegzunehmen, ist es wichtig, Folgendes festzuhalten: Musa war angetrieben von starken Ambitionen, in Deutschland auf seinem biografischen Weg strategisch weiter voranzukommen. Schnell war ihm das gemeinsame "Abhängen" in der Gruppe nicht mehr so wichtig, wie mit mir alleine Zeit zu verbringen, um sich unter vier Augen über seine Pläne in Deutschland austauschen zu können. Aus seiner Klassenlage heraus – aus einer gutsituierten Familie aus einer Großstadt und mit einem syrischen Abituräquivalent mit geisteswissenschaftlichem Vertiefungsprofil ausgestattet – war er außerdem in der Lage, mein Promotionsprojekt detailliert nachzuvollziehen und sich dafür verstärkt zu interessieren. Der geringere Altersunterschied zwischen mir (geboren 1988) und ihm stiftete zusätzlich eine gewisse Augenhöhe. [10]

Ich konnte mir zunächst nicht eingestehen, dass meine Milieuethnografie nur gegen den Widerstand der Beziehungsdynamiken zu Mervan und Musa aufrechterhalten bleiben konnte. Sie pochten auf ihr eigenes Recht, und ich drohte somit, gegen eine Eigenlogik des Feldes anzuarbeiten, wenn ich sie nicht genügend berücksichtigte. Lange Zeit hatte ich an einem Exposé über den Gruppenansatz gefeilt, mit dem ich erst nach fast zwei Jahren mühevoller theoretisch-analytischer Arbeit zufrieden war. Als die ursprüngliche Idee einer klassischen Milieuethnografie überholt zu werden drohte, stand daher zunächst ein starkes Verlustgefühl meinerseits im Raum. Ich konnte es erst durch zwei externe Einflüsse überwinden. Zum einen bemerkte meine wissenschaftliche Betreuerin während meiner Präsentationen erster Analyseergebnisse in ihrem Kolloquium im Januar 2020, wie sehr ich mich immer wieder für die Beziehungsdimension in meiner Argumentation stark machte. Sie schlug vor, dem konsequenter nachzugehen. Außerdem motivierte mich meine in der Tradition der Ethnopsychoanalyse stehende Supervisionsgruppe9) dazu, die persönlichen Beziehungen in meiner Ethnografie ernst zu nehmen. MORGENTHALER (1984) hatte dem ethnografischen Ansatz zu seiner Zeit einen wichtigen Impuls gegeben. "Das Wissenschaftliche" lag ihm zufolge nicht länger im Abarbeiten eines vorgefertigten Forschungsplans "am Studienobjekt", sondern "in der Authentizität der Information über den emotionalen Austausch von Vertretern verschiedener Kulturen" (S.16). Hieran konnte ich nach einer krisenhaften Phase in meinem Projekt anschließen: weg von einer ethnografierenden Beforschung der Anderen hin zu einer Ethnografie der Beziehung zwischen ihnen und mir selbst. [11]

3. Von der Definition der Situation zur Definition der Beziehung

In meinem Promotionsprojekt strebe ich eine Aufarbeitung beider Beziehungen inklusive ihrer späteren Kontrastierung an. Aufgrund des starken Work-in-progress-Charakters des Projekts und im Rahmen der gegebenen Kürze dieses Textes habe ich mich jedoch dazu entschieden, an dieser Stelle nur einen Fall vorzustellen. Es ist der Fall, der mich stärker dazu aufforderte, mein eigenes Forscherdasein zu reflektieren und – dem aufgerufenen Debattendiktum folgend – "von mir selbst zu sprechen": Musa. Entlang von drei empirischen Materialsorten aus meinem Projekt werde ich spezifische Aspekte meiner Beziehungsdynamik mit Musa auffächern: Am Beispiel einer dichten Beschreibung unserer Treffen in seiner Wohnung weise ich auf die Dynamik der Funktionalisierung der Beziehung seitens Musa hin (Abschnitt 3.1). Entlang eines Ausschnitts aus einem Beobachtungsprotokoll fokussiere ich sodann auf den Aspekt von Abhängigkeit (Abschnitt 3.2). Im letzten Schritt erarbeite ich auf der Grundlage von dialogischem Interviewmaterial Einsichten zu meiner Scham in dieser Beziehung, die auf einer Form tendenziell dethematisierter Funktionalisierung fußte (Abschnitt 3.3). [12]

3.1 Funktionalisierung und komplementäre Rolle

Die Beziehung zwischen Musa und mir begann auf der weißen Kunstledercouch in seinem Zimmer. Als ich ihn im September 2018 das erste Mal alleine in seiner Wohnung besuchte, bat er mich dort um 11 Uhr am Vormittag Platz zu nehmen. Ich ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ich hier in unveränderter Position bis 17 Uhr sitzen bleiben würde, bevor ich mich wieder auf den Rückweg machte, und sich das Szenario über das nächste halbe Jahr hinweg nicht ändern würde. [13]

Eine typische "Couchsituation" wurde von Musa mit einem kleinen Euphemismus eingeleitet. Er hätte da "mal eine kurze Frage bitte, Ingmar". Am ersten Tag lautete diese: "Kannst du meine Bewerbung schreiben?" Bevor überhaupt die Möglichkeit bestand, sich mit etwas Smalltalk in die Situation einzufinden, nahm Musa mich in Beschlag. Es gab für mich keine Zeit, in Ruhe anzukommen. Musa redete sehr schnell, manchmal verhaspelte er sich, so als ob er fürchtete, nicht genug Zeit zu haben, alles Wichtige zu erzählen und mich fragen zu können, dabei hatten wir gerade das auf der Couch: sehr viel gemeinsame Zeit. Musa nahm meine Worte immer sehr ernst. Er richtete sich daran aus, mit mir auf der Couch über sein Fortkommen in Deutschland gemeinsam zu beraten. Jedes unserer Treffen war mit einem konkreten Anliegen seinerseits verbunden. Ganze Tage verbrachten wir in besagtem Winter auf folgende Art und Weise auf seiner Couch. Meistens kam ich im Laufe des Vormittags. Als Erstes gab es einen Schwarztee, wobei Musa in sein aktuell drängendes Thema, was es zu besprechen galt, einführte. Die Analogie zur Couch der Psychotherapie drängt sich auf, weil die Geschehnisse auf der Couch gewissen ungeschriebenen Regeln folgten. Wir trafen uns in einem wiederkehrenden Rhythmus auf der Couch, etwa alle ein bis zwei Wochen. Die Anfangssequenzen glichen einander insofern, als Musa mir unaufgefordert erzählte, was ihn gerade beschäftigte und was er in letzter Zeit erlebt hatte. Ich hörte ihm zu, bevor er mich in ein konkretes Anliegen involvierte. Auf der Couch überarbeiteten wir mehrmals seinen Lebenslauf, spähten regionale Praktika- und Ausbildungsstellen aus, schrieben Bewerbungen und tauschten uns im steten Konversationsfluss mündlich über seine vielfältigen Fragen zu Ausbildung, Studium und Jobs in Deutschland aus. Musa machte mir meine Besuche immer so angenehm wie möglich, sodass ich lange Zeit gar nicht merkte, dass wir auf der Couch de facto oft an etwas arbeiteten. Von Anfang an fiel mir allerdings auf, dass ich gegen Ende der Treffen – und teils auch zwischendurch – von Müdigkeitsattacken heimgesucht wurde, die ich damals vor allem mit Ereignislosigkeit in Verbindung brachte:

"Ich habe fünf Stunden am Stück auf dem gleichen Platz auf der Couch in Musas Wohnung gesessen. Habe mich unterhalten, hatte immer was zu trinken und wurde mit Gastfreundschaft überschüttet, ohne dass ich einmal selbst einen Handgriff machen 'durfte'. Das Abhängen und Nichtstun kamen mir nach einer gewissen Zeit sehr lang vor. Ich merkte meine Müdigkeit und mir war ehrlich gesagt zwischendurch nach einem Mittagsschlaf auf der Couch von ihm" (Feldnotiz, 12. September 2018). [14]

In Anbetracht dessen, wie viel auf der Couch tatsächlich geschah, verstehe ich meine Erschöpfung heute vielmehr als körperliche Reaktion auf eine Funktionalisierung meiner Person seitens Musa. Aufgrund meiner privilegierten Position als Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft wurde mir von ihm das Wissen zugeschrieben, ihm auf seinem Weg in Deutschland helfen zu können. Auf der Couch diente ich ihm als Ressource und wurde sein zentraler Gehilfe und Begleiter auf seinem anfänglichen Weg in Deutschland. Musa war bezüglich der vielfältigen Arbeits- und Ausbildungsmodalitäten anfangs stark auf Hilfe angewiesen. Ich spürte nicht nur seine Hilflosigkeit und Ungeduld, sie übertrugen sich auf der Couch stellenweise auch auf mich. Nicht der Leerlauf, sondern in eine hilflose Rolle hineingedrängt und benutzt zu werden, löste bei mir Erschöpfung aus. [15]

Musas Plan, mich für die Klärung drängender Fragen in seinem Leben einzuspannen, ging auf, indem diese Fragen mit mir zusammen ihren Raum auf der Couch bekamen. Was die gemeinsame Gestaltung unserer Zeit betraf, besaß Musa somit sehr viel Handlungsmacht. Im Rahmen unserer Beziehung schrieb er uns die gemeinsam verbrachte Zeit auf der Couch regelrecht vor. So entstand eine spezifische Art einer Klient-Helfer-Beziehung zwischen uns, die durch Musas hohe Agency bestimmt war. Besser verstehen kann ich diese Dynamik in der Rückschau mit DEVEREUX (1984 [1967]), der das Phänomen der Übernahme einer "komplementären Rolle" in der ethnografischen Forschungsbeziehung als den "Wunsch [beschrieb], ihr durch komplementäres Verhalten zu genügen". Damit sind jene Reaktionen im Feld gemeint, "die ihm [dem Ethnografen ...] untergeschoben werden und die er dann unwissentlich seinem Persönlichkeitsbild entsprechend weiter ausbildet" (S.274). Musa platzierte mich demzufolge auf seiner Couch und ich nahm die mir von ihm zugeschriebene Helferrolle an, um die Beziehung zu ihm zu sichern. [16]

3.2 Abhängigkeit als Balanceakt

Das Besondere an der Beratungssituation zwischen Musa und mir war, dass ich jedes Mal Schwierigkeiten hatte, mich aus ihr zu lösen. Die folgende Beobachtung soll dies illustrieren:

"Ich habe den Tag auf Musas Couch verbracht und bin am Abend dort bei einer Shisha 'versackt'. Die Regionalbahn zurück in meine Stadt fährt stündlich vom Hauptbahnhof ab. Die letzte Verbindung um 0:19 Uhr muss ich nun wirklich nehmen. Da zu dieser Zeit keine Busse mehr dorthin fahren, muss ich zu Fuß gehen. Ich frage Musa, wie lange das dauern würde, woraufhin er meint, das sei entspannt, er würde die Strecke oft zu Fuß gehen, es seien nur 20 Minuten. Da mir das etwas sehr kurz vorkommt, kontrolliere ich dies noch einmal per Google Maps. Dort werden mir für die Strecke 40 Minuten zu Fuß angegeben. Musa meint, das würde nicht stimmen. Ich sage ihm dennoch, dass ich gerne um halb 12 losgehen würde. Musa scherzt daraufhin, dass ich ja auch bei ihm schlafen könne. Als ich schließlich aufstehe, um meine Jacke und Schuhe anzuziehen, sagt Musa mir, dass ich warten solle, er würde mich gern begleiten. Wir unterhalten uns weiter, während Musa recht umständlich und langwierig überlegt, was er anzieht. Draußen ist es sehr kalt. Vor ein paar Tagen gab es den ersten Frost des Jahres. Ohne unhöflich zu sein, versuche ich unseren gemeinsamen Aufbruch zu beschleunigen, indem ich mich fertig angezogen an die Tür stelle. Es ist letztlich 23:41 als wir das Haus verlassen. Nach Musas 20-Minuten-These sind wir immer noch mehr als rechtzeitig 18 Minuten vor Abfahrt am Hauptbahnhof. [...] Draußen weht uns ein eisiger Wind entgegen. Meine Jacke ist halboffen aufgrund eines geschienten Verbands, den ich am rechten Arm trage und der nicht in den Jackenärmel passt. Mein Umhängebeutel hängt mir links von der Schulter, und mit meinem linken Arm halte ich mir gleichzeitig meine Jacke behelfsmäßig zu, sodass möglichst wenig Kälte reinzieht. Nach einer Weile bemerkt Musa, dass ich mich ziemlich abmühe und bietet mir an, den Beutel zu nehmen. Das ist eine Erleichterung für mich. Ich komme mir aber immer noch leicht derangiert vor, nachts ausgesetzt an einem fremden Ort, mit einer Armverletzung durch eine klirrend kalte Geisterkulisse irrend, in der ich keine Orientierung habe, sondern Musa vielmehr blind vertraue. Zum ersten Mal wieder auf die Uhr schaue ich kurz nachdem wir über einen Fluss gehen und ich den Innenstadtbereich wiedererkenne. Es ist 12.03 Uhr. In 16 Minuten fährt mein Zug und noch ist weit und breit kein Bahnhof in Sicht. Nach meinem vagen Gefühl zu urteilen, sind wir erst bei der Hälfte der Wegstrecke angelangt. Intuitiv gehe ich daher ab sofort einen deutlichen Schritt schneller. Musa muss das bemerkt haben, denn er sagt umgehend zu mir, dass wir den Zug auf jeden Fall schaffen würden. Die Straßen ziehen sich nun sehr in die Länge. Ich gucke das nächste Mal auf die Uhr, der Bahnhof ist immer noch nicht in Sichtweite. Es ist bereits 10 Minuten nach 12 Uhr. Ich sehe nun die reale Gefahr, dass er es wohlmöglich völlig unterschätzt und sich mit der Zeit grandios verkalkuliert haben könnte. Wir gehen nun richtig schnell und ich überlege mir, ab wann es nötig sein wird zu rennen. Es ist 12.13 Uhr – noch 6 Minuten. Am Ende der Straße muss nun dringend der Bahnhof in Sicht kommen. Endlich, nach einer weiteren Kurve, sehen wir die Lichter des Bahnhofs, was Musa sogleich nüchtern bestätigt: 'Das ist der Bahnhof'. Ich kann feststellen, dass meine Bahn noch nicht eingefahren ist. Ich habe es gerade noch so geschafft. Musa hat von meiner zwischenzeitlich starken inneren Unruhe wahrscheinlich gar nicht viel mitbekommen. Ganz ruhig meint er nun zu mir: 'Du hast Zeit'. Zeitgleich fährt mein Zug ein. Wir verabschieden uns und noch einmal beschleunige ich kurz meine Schritte, um stark erleichtert in meinen Zug zu huschen" (Protokollausschnitt, 28. November 2018). [17]

Ob unbewusst oder bewusst, in dieser Nacht sabotierte Musa fast meine Abreise. Ich verspürte starke Nervosität auf dem eisigen Spaziergang, was ich als weiterführende Konsequenz meiner Funktionalisierung durch Musa verstehe: Beim gemeinsamen Spaziergang kommt paradigmatisch zum Ausdruck, wie meine komplementäre Rolle eine abhängige Position zur Folge hatte. Diese Abhängigkeit zeigt sich im Material in Form meines ständigen Ringens um Distanz und im Gewahrwerden meiner eigenen Grenzen. Gerade da der Bedarf an der Verfügbarmachung meiner Person durch Musa so groß war, wachte ich darüber, dass sich meine komplementäre Rolle nicht überdehnte. Ich ließ ein partielles Abhängigmachen von Musa zwar grundsätzlich zu, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Letztlich sorgte ich dafür, dass ich meinen Zug rechtzeitig bekam. Unsere Begegnung erlebte ich an diesem Punkt als einen herausfordernden Balanceakt der Austarierung meiner Ressourcen, die ich in die Beziehung hineingab. [18]

Ebenso deutlich wird, dass unser Beziehungsgeschehen an dieser Stelle von zwischenmenschlichen Bedürfnissen nach Bezogenheit und Nähe vorangetrieben wurde. Musa verkörperte sie, indem er die Natürlichkeit des beieinander Übernachtens von Freunden propagierte. Wie im Zuge meiner komplementären Rolle bereits rekonstruiert, ging ich nicht in gleichem Maße darauf ein, sondern zog mich auf die funktional-distanzierte Seite unserer Beziehung zurück. Interessant daran ist, dass nicht nur ein Zuviel an Nähe in unserer Beziehung für mich bedrohlich werden konnte, sondern ebenso ein Zuviel des funktionalen Charakters, womit sich im folgenden Abschnitt eine zentrale Ambivalenz unserer Beziehung weiter entfaltet. [19]

3.3 Scham oder: (de-)thematisierte Funktionalisierung

Zu Musas Funktionalisierung meiner Person gab es ein leicht zu übersehendes Gegenstück, bei dem ich maßgeblich von ihm profitierte: mein Forschungsprojekt zur Promotion, das "Buch", das ich schrieb. Es lässt sich argumentieren, dass unsere Beziehung zumindest teilweise auf einer solchen Reziprozität fußte. Nicht nur die Wiedererlangung seines sozialen Status, auch die Erlangung meines Doktorgrades wurde in gleichem Maße zu unserem Projekt. Uns beiden ging es damit um einen (Wieder-)Aufstieg in der Gesellschaft, bei dem wir uns gegenseitig helfen konnten. Genauer betrachtet hinkt dieses Bild zu meinen Gunsten, denn zuerst war der Gedanke zu meiner Forschung da gewesen. Mein Eigeninteresse war von Anfang an Teil und Bedingung unserer Beziehung. Das heißt nicht, dass dieses im Laufe der Zeit nicht weiter in den Hintergrund treten konnte und neue zwischenmenschliche Bedarfslagen und Dynamiken hinzukamen. Es ist vielmehr wichtig, diese strukturelle Asymmetrie festzustellen, d.h. meine Funktionalisierung Musas für mein Forschungsprojekt aktiv zu thematisieren. Sie reflexiv anzuerkennen heißt, sich vor der Gefahr zu schützen, sie letztlich zu verwischen. BREIDENSTEIN, HIRSCHAUER, KALTHOFF und NIESWAND (2015) beschäftigten sich mit dem Umstand, dass die Funktionalisierungen von Feldteilnehmer:innen seitens der Feldforscher:innen häufig dethematisiert sind, wie folgt:

"Insbesondere in längeren Forschungen entstehen in aller Regel auch intimere Formen von sozialen Beziehungen. Aber es ist das Schicksal von Ethnografen, ein oftmals anstrengendes doppeltes Wissensspiel spielen zu müssen und diese Beziehungen immer auch im Sinne sozialwissenschaftlicher Wissensgewinnung zu nutzen. Vor diesem Hintergrund scheinen [Ethnografierende] [...] zu reagieren, indem sie vielfach dazu tendieren, ihre Informantenbeziehungen in Freundschaften umzudeuten und damit das instrumentelle Moment der Ethnografie zu kaschieren. Dies scheint auch eine Form der Bearbeitung der moralischen Skrupel der Feldforscher zu sein. [...] Gemildert wird dieser Konflikt weniger durch freundschaftliche Umdeutung des Rapports als dadurch, dass Ethnografen auch für Interessen ihrer Informanten oft profitabel sind. In diesem Sinne sollten forschungsethische Fragen eher nach möglichen Formen der Reziprozität gestellt werden, als die Feldforschung mit starken moralischen Ansprüchen zu belasten. Was kann die Ethnografin selbst geben?" (S.69) [20]

Der instrumentelle Charakter meiner Forschung kam im Rahmen unserer Beziehung zur Sprache. Das Besondere daran war, dass die Thematisierung unserer Beziehung vom Feldteilnehmer Musa und nicht von mir als Forscher ausging:10)

"Musa: Was denkst du, ja, was denkst du über mich? Ich bin als Arbeit? Oder ich bin Kumpel? Oder ich bin, ja, das ist wichtig für mich. Wirklich.

Ingmar: Naja, ja. Naja wie Mervan.

Musa: Jaa, Mervan, was denkst du über Mervan?

Ingmar: (5 Sekunden Pause) Wie du eigentlich auch, ihr seid schon irgendwie, wir treffen uns ja oft und wir haben so auch Spaß zusammen. Und gleichzeitig bin ich ja auch, naja nicht in meiner Arbeit, aber finde ich das ja so, schreib ich ja auch ein Buch da drüber. Also das ist wahrscheinlich dann beides.

Musa: Ich kenn, das ist sehr wichtig für mich.

Ingmar: Also einmal sind wir Kumpel und wir helfen uns auch gegenseitig finde ich.

Musa: Jaa (lacht)

Ingmar: Also zum Beispiel ich helfe dir auch.

Musa: Jaa (lacht)

Ingmar: mit Bewerbung schreiben und neue Leute kennenlernen und wir haben Spaß beim Tischtennis

Musa: Jaa.

Ingmar: und mit Shisha. Und ihr helft mir auch bei meinem Buch schreiben. So sehe ich das manchmal.

Musa: Ja, deshalb ist das wichtig für mich.

Ingmar: Wie siehst du das denn mit mir? (lächelnd)

Musa: Ich?

Ingmar: Ja, wie denkst du über mich?

Musa: Ich denke du, das ist sehr einfach. Du bist für mich jetzt gute Kumpel.

Ingmar: Cool.

Musa: Wirklich. Du bist gute Kumpel und du bist, das ist wirklich nicht Kompliment (ernst werdend), du bist, wie heißt das? Du bist freundliche? Freundliche Mann. Gute Mann. So-viel-Sachen-Mann (lacht, dann beide lachen). Verstehst du? Das meine ich. Ich muss nicht, ich mag nicht so sagen, aber du bist für mich gute Kumpels und du hast gute Denken. Das ist sehr wichtig für mich auch. Und das ist alles. Ja.

Ingmar: Ok, ja. Ist doch gut (lacht, dann beide lachen)" (Interviewausschnitt, 28. November 2018). [21]

Es war Musa, der hier die Beziehungsdefinition explizit einforderte. Seine Initiative überraschte mich und forderte mich gleichzeitig stark heraus. In der Helferrolle fühlte ich mich auf sicherem Terrain, solange diese nicht überdehnt wurde, aber als jemand, der für seine Promotion forschte, war ich stark verunsichert. Sobald der Forschungsaspekt in unserer Beziehung virulent wurde, verspürte ich ein diffuses emotionales Unbehagen, was ich an dieser Stelle als Scham deuten möchte – wobei ich den Übergang dieser Scham zu stärker mit Schuld konnotierten Gefühlen als fließend betrachte.11) [22]

In Anlehnung an NECKEL (1991) meine ich damit in erster Linie eine soziale Scham, die sich über ein wahrgenommenes Auseinanderfallen eigener Ist- und Soll-Ideale vermittelt. Ich begriff mich in jeder Hinsicht selbst als der "So-viel-Sachen-Mann", indem ich mich daran abmühte, eine Menge gleichzeitig zu schultern: Ich wollte großer Bruder und nahbar-loyaler Kumpel für Musa sein, gleichzeitig der deutsche Staatsbürger, der sich mit den Dingen vor Ort auskannte und seine Fragen gut beantworten konnte. Auf der anderen Seite wirkten Ideale des (methodisch und ethisch) korrekten Forschers, der sich gegenüber seiner wissenschaftlichen Community samt deren Standards souverän verantworten konnte. Nicht zuletzt sollte ich der stets mit seinem Projekt prozessierende Doktorand sein, der im Lehrstuhlkolloquium seiner Betreuerin Zeugnis über seine Fortschritte ablegte.

"Dem Schamgefühl kommt in diesem Zusammenhang die Funktion zu, als nach innen geleitete Kontrolle der Einhaltung von Wertmustern zu dienen. Durch das selbstreflexive Gefühl der Scham bewerten und kontrollieren sich die Individuen in ihren Handlungen mit Hilfe einer eigenen, persönlichen Instanz, die auch dann anwesend ist, wenn externe Kontrollen abwesend sind" (NECKEL 1991, S.199). [23]

Oft meinte ich, meinen Wertemaßstäben nicht gleichzeitig gerecht werden zu können. In der dokumentierten Konversation spürte ich wohl, nicht vollends der loyale Kumpel sein zu können, wenn gleichzeitig salient wurde, dass ich da war, um Fortschritte mit meiner Arbeit zu erzielen. "Die Scham ist ein moralisches Gefühl" (S.201), womit der Übergang zu impliziten Schuldgefühlen an dieser Stelle fließend wäre. Sie bestünde dann vor allem in der Diskrepanz zwischen meiner Vorstellung, eine freundschaftliche Beziehung auf Augenhöhe mit Musa zu führen und dem Ist-Zustandsaspekt, dass ich ihn gleichzeitig in meine Forschung einspannte (was ich für gewöhnlich mit Freund:innen nicht tue). [24]

Die aus der beschriebenen Gemengelage resultierenden sozialen Scham- und Schuldgefühle trieben mich dazu an, mich hinter dem "Buch" zu verstecken bzw. mich daran festzuhalten; es gab mir Sicherheit. Das Buch war der zentrale Faktor im Rahmen meines "Methodological Impression Management" (GENGLER & EZZELL 2018), d.h. Teil dessen, "wie man sich und sein Forschungsprojekt den Teilnehmenden und Gatekeepern im Feld darstellen kann" (HITZLER & EISEWICHT 2020, S.42). Aus WHYTEs "Street Corner Society" ist dazu die folgende viel beachtete Stelle überliefert:

"Als ich anfing, in Cornerville herumzuhängen, stellte ich fest, daß ich eine Erklärung für mich und mein Projekt brauchte. Solange ich mit Doc [WHYTEs Gatekeeper und wichtigster Informant im Feld] zusammen war und er für mich einstand, fragte mich keiner, wer ich war und was ich machte. Wenn ich mich in anderen Gruppen bewegte oder sogar unter den Nortons [Straßengang mit Doc an der Spitze] ohne ihn, war es offensichtlich, daß sie meinetwegen neugierig waren. Ich fing mit einer ziemlich ausführlichen Erklärung an. Ich würde die Sozialgeschichte Cornervilles untersuchen – aber ich hätte einen neuen Blickwinkel. Anstatt mich aus der Vergangenheit in die Gegenwart vorzuarbeiten, würde ich versuchen, eine gründliche Kenntnis der gegenwärtigen Bedingungen zu bekommen und dann von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit gehen. Damals gefiel mir meine Erklärung gut, aber niemand sonst schien viel davon zu halten. Ich brachte sie nur bei zwei Gelegenheiten vor, und jedesmal folgte eine peinliche Stille. Niemand, auch ich nicht, wußte was er nun sagen sollte. Während es wenigstens für diese Erklärung sprach, daß sie alles abdeckte, was ich irgendwann einmal in Cornerville vorhaben mochte, war sie offensichtlich zu kompliziert, um für die Leute in Cornerville irgendeine Bedeutung zu haben. Bald fand ich heraus, daß die Leute ihre eigene Erklärung für mich und meine Anwesenheit entwickelten: Ich schriebe ein Buch über Cornerville, hieß es. Dies mag sich wie eine viel zu unklare Erklärung anhören, aber sie war ausreichend. Ich entdeckte, daß der Grad meiner Akzeptanz im Viertel viel mehr von den persönlichen Beziehungen, die ich entwickelte, abhing als von irgendwelchen Erklärungen, die ich geben konnte. Ob es eine gute Sache war, ein Buch über Cornerville zu schreiben, hing völlig von der Meinung der Leute über mich persönlich ab. Wenn ich in Ordnung war, war auch mein Projekt in Ordnung; wenn ich nicht okay war, konnten noch so viele Erklärungen sie nicht überzeugen, daß das Buch eine gute Idee sei" (1996 [1943], S.301-302). [25]

WHYTEs unhintergehbares Argument der persönlichen Beziehung, auf das auch ich mich hätte stützen können, war jedoch nicht imstande, mir meine Scham gänzlich zu nehmen. Angetrieben von dieser Scham wich ich Musas ursprünglicher Frage nach unserer Beziehung vielmehr aus. Ich wählte den indirekten Weg, sie mit Verweis auf meine Beziehung zu Mervan zu beantworten. Intuitiv fühlte ich mich dazu veranlasst, mein eigensinniges Forschen tatsächlich in Form einer Reziprozität zu rechtfertigen, indem ich Musa aufzeigte, was ich alles für ihn tat. In der Folge gab ich außerdem die Frage nach unserer Beziehung vorzeitig an ihn zurück. Musa nahm mir letztlich etwas von meiner inneren Anspannung, indem er den Begriff "Kumpel" für uns definierte und damit unserer Beziehung zu meiner großen Erleichterung eine Rahmung verschaffte. [26]

Das "Buch" stiftete Verwirrung und trug dazu bei, dass grundsätzlich Klärungsbedarf bestand, was die Natur unserer Beziehung anbelangte. Die Initiative dazu ergriff allerdings nicht ich, sondern Musa, was einer strukturellen Variation und Irritation des herkömmlichen Blicks in der Ethnografie gleichkam: Ich wurde dabei als Forscher in Unwohlsein versetzt, gerade weil diese Variation in der klassischen Form ethnografischer Feldforschung nicht unbedingt vorgesehen ist. Ein einseitiges Objektivierungsschema, welches darin besteht, dass ausschließlich Forschende sehen und erkennen, die Teilnehmer:innen im Feld von ihnen gesehen werden – etwa wie bei einem Kunstwerk und seinen Betrachter:innen – wurde hier von Musa umgedreht. Er blickte zurück und sah mich als Ethnograf, der sich auf einmal bei seinem Tun beobachtet fühlte (siehe dazu auch BREUER 2011).12) Nicht ich fragte: "Wer bist du für mich?" Stattdessen stellte Musa mir diese Frage, studierte mich, sah mich nicht nur, sondern drohte vielmehr, mich in letzter Konsequenz zu durchschauen. Ich nehme an, dass daher ein Kern meiner Scham und Verunsicherung herrührte. [27]

4. Ein Beispiel von Geben und Nehmen!?

In diesem Abschnitt möchte ich die zuvor herausgearbeiteten Beziehungsdimensionen theoretisch weiter durchdringen und den folgenden Vorschlag zu einer vorläufigen Gestalt unserer Beziehung machen: In Anlehnung an MAUSS (1990 [1925]) möchte ich sie als ein Gabentausch-Verhältnis – als ein Beispiel von Geben und Nehmen – diskutieren. Musa und ich schlossen demzufolge einen Pakt, der darin bestand, dass ich mit seiner Hilfe meine Forschung betrieb, während ich ihm auf der Couch mit seinem neuen Leben in Deutschland half. Ich begründe dies im Folgenden mit der Verpflichtung zur Erwiderung einer Gabe, der Vermischung von Person und Sache im Gabentausch, dem Schuldverursachungs- und dem Zeitlichkeitsaspekt einer Gabe. [28]

Die hohe Intensität unserer zwischenmenschlichen Beziehung bestand insbesondere im Gebrauchswert, den sie besaß – in dem Sinne, dass jeder von uns sehr viel aus ihr für sich persönlich herausziehen konnte. Meine Gabe an Musa löste sich auf der Couch ein. Musas Gabe an mich bestand in seiner Hilfe bei der Anfertigung meines "Buchs" zur Promotion. Dieser Austausch von Gaben stiftete eine besondere Bindung zwischen uns. Betrachtet man beide in ihrer Relation, so besteht nach MAUSS eine Verpflichtung, die jeweilige Gabe der anderen Person zu erwidern. Musas Bereitwilligkeit, mir bei meinem Projekt zu helfen, lässt sich demnach auch dahingehend verstehen, dass er mir etwas zurückzugeben wollte, da ich ihm auf der Couch geholfen hatte – und durchaus auch als seine Aufforderung an mich, ein gutes Buch zu schreiben:

"Musa: Du musst schreiben, erfolgreiche Buch. Erfolgreiche Buch. Ich meine gute, gute Buch schreiben. Verstehst du was meine ich?

Ingmar: Ja, n gutes. Klar möchte ich n gutes Buch schreiben. Ein spannendes Buch.

Musa: (lacht leicht, spricht leise) Alles gut" (Interviewausschnitt, 28. November 2018). [29]

Musa vertraute mir bei meinem Buchprojekt, so wie ich mich auf der Couch ihm überantwortete. Wir sahen und erkannten gegenseitig die persönlichen Wege des anderen an, die beide auf einen gesellschaftlichen Aufstieg und Statuserwerb zielten. Gegenseitig nahmen wir uns dafür quasi an die Hand, d.h., wir nahmen auch ein Stück weit Besitz voneinander. MAUSS sprach von "melange" – eine Vermischung von Person und Gabe. Sie besteht an jener Stelle, wo "jemand etwas geben soviel heißt, wie jemand etwas von sich selbst geben" (S.35). Da dabei "der Nehmer [...] gegenüber dem Geber in einen Zustand der Abhängigkeit" (S.146-147) manövriert wird, kann ein vorübergehender Verlust seiner selbst, wie ich ihn am obigen Protokollausschnitt des nächtlichen Spaziergangs herausgearbeitet habe, die Folge sein. Die Inbesitznahme der anderen Person wäre dann bereits in den Gabentausch eingeschrieben. Nach MAUSS "gibt man beim Geben sich selbst, und zwar darum, weil man sich selbst [...] den anderen schuldet" (S.118). Dies eröffnet eine neue Perspektive auf die von mir beschriebene Scham. Es wäre demnach "die Unverhältnismäßigkeit, der Überschuss einer jeden Gabe gegenüber ihrem Empfang, der die Möglichkeit, die Schuld und den Zugzwang zu einer weiteren Erwiderung eröffnet" (DÄRMANN 2010, S.25). Hinzu kommt, dass meine Forschung zum Zeitpunkt der hier präsentierten Materialausschnitte noch unabgeschlossen ist. Die Einlösung bzw. die Materialität der Gabe – das Buch – liegt noch in der Zukunft. DÄRMANN schrieb dazu weiter, dass es "die zeitliche Spanne und Spannung zwischen Gabe und Gegengabe [ist], in der sich das Risiko der Nichterwiderung auftut" (a.a.O.). Dies könnte meine Unsicherheit weiter befeuert haben. BOURDIEU äußerte sich hierzu ähnlich:

"Die Gabe spricht die Sprache der Bindung: eine Verbindlichkeit, die bindet [...], schafft Verbindungen und Bündnisse; sie stiftet legitime Herrschaft. Dies unter anderem, weil sie aus der Zeitspanne, die Gabe und Gegengabe voneinander trennt [...], eine Zeit kollektiver Erwartungen der Gegengabe oder der Dankbarkeit macht" (2001 [1997], S.254). [30]

5. Resümee

Mit dem vorliegenden Text habe ich versucht nachzuzeichnen, wie eine gelingende Beziehungsgestaltung im Forschungsfeld von Teilhabeprozessen junger geflüchteter Menschen in Deutschland einen zentralen Stellenwert einnahm. Dabei vergewisserte ich mich der Annahme, dass sich der Beziehungsansatz als eine zentrale Feldspezifik herausstellte und sich folgerichtig gegen mein apriorisches Diktum einer Milieustudie durchsetzte. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes schreibe ich das besagte Buch über meine Beziehungen zu Musa und Mervan. Die Chronologie meines Forschungsprojekts stellt sich somit abschließend wie folgt dar:

Abschließend möchte ich außerdem eine vorsichtige Generalisierung des von mir betrachteten Falls ausloten. Die Beziehung mit Musa habe ich in einem MAUSSschen Rahmen als ein Beispiel von Geben und Nehmen verstanden. Als kulturelle Praktik ist dieser Gabentausch eine Herstellungsweise von Beziehung. Wir gaben unsere Sachen "nicht nur im eigenen Namen, aus Eigennutz und Eigeninteresse", sondern ebenso "im Auftrag und als Repräsentanten der eigenen Gesellschaft" (DÄRMANN 2010, S.22). Meine Beziehung zu Musa kann damit darauf hindeuten, was sich an anderer Stelle zwischen solchen Repräsentant:innen vollzieht: in ehrenamtlichen und aktivistischen Helfer:innen-Konstellationen mit geflüchteten Menschen (FLEISCHMANN & STEINHILPER 2017; HUKE 2021) wie auch in den professionellen Arbeitsbeziehungen pädagogischer Fachkräfte (SCHMITT 2020; WIENFORTH 2019). Beiden liegt die Gefahr eines Paternalismus zugrunde (ZALEWSKI 2017), womit mir der Verweis auf Musas Agency umso wichtiger ist. Die Definition unserer Beziehung leistete zu großen Teilen Musa. Es war gerade das Verblüffende, dass die fortwährende Beziehungsaushandlung wesentlich von ihm als Feldteilnehmer vorangetrieben wurde und nicht von mir als Forscher. Das Instrumentelle kann wie aufgezeigt ein Teil dieser Nahbeziehung sein (und damit auch eine potenzielle Quelle vielfältiger Konflikte und Verstrickungen), dem sich aber vielmehr zu- als abgewandt werden sollte. Im Rahmen gegenseitiger Funktionalisierungen kann die offene Thematisierung der Beziehung dann als eine wichtige Rückversicherung derselben fungieren. [32]

Das Ideal der Augenhöhe ist für mich weiterhin reflexionswürdig. Mir wurde klar, dass es vor allem mein ureigener (westlicher) Reziprozitätswunsch war, den ich in die Beziehung mit Musa hineintragen habe und der vielfältige Anknüpfungspunkte für ein Schamerleben meinerseits eröffnete – und zwar immer dann, wenn dieses eigene Ideal meiner Ansicht nach zu kippen drohte. MRUCK und BREUER (2003) haben bereits vor längerer Zeit auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, in den Sozialwissenschaften von sich selbst zu sprechen. Es verlangte mir einiges ab, hier öffentlich auch über jene unangenehmen Aspekte meiner Beziehung, eigene Projektionen und Schamerleben zu schreiben. Dies erscheint mir auch vor dem Hintergrund relevant, dass – wie NECKEL es in Anlehnung an SCHEFF (1988) formulierte – auch "die Darstellung von Scham [...] einem kulturellen Tabu unterliegt, Scham also selbst zu einer weiteren Quelle des Schämens werden kann" (NECKEL 1991, S.204). [33]

Gleichzeitig legte das Aushalten und genauere Hinschauen den MAUSSschen Theoriezugang offen, der diese Gefühle bearbeitbar, mir besser verständlich und somit auch weniger unangenehm machte. Wie herausgearbeitet, kann gerade der Gabentausch dem Ideal unbedingter Augenhöhe an vielen Stellen im Wege stehen, indem er Abhängigkeiten und Inbesitznahmen schafft. Als Austauschprozess, der "zusammenschweißt und gleichzeitig voneinander trennt" (1990 [1925], S.169), symbolisiert er, Asymmetrien auszuhandeln und auszuhalten:

"Funktion des Gabentausches [ist], eine Beziehung zwischen einander fremden Gesellschaften, Personen und Individuen zu stiften, und das heißt, einen Zwischenraum zu eröffnen. [...] Die Gabe ist die inter-subjektive, inter-generative, inter-kulturelle und internationale Praxis des getrennten Zusammenlebens. Durch den Gabentausch werden keine nahtlosen und intimen Beziehungen gestiftet. Die Praktiken und Institutionen der Gabe setzen und unterhalten vielmehr eine 'actio in distans'; sie erzeugen eine Anziehungs- und Abstoßungskraft" (DÄRMANN 2010, S.24). [34]

Vielleicht waren und sind Musa und ich genau das – einander nah und fremd zugleich. Mit der schrittweisen Offenlegung meiner Scham und dem verstehenden Durchdringen der daran anknüpfenden Beziehungsdynamik ist es für mich nicht länger bedrohlich, dass unsere Beziehung in ihrer Intensität wahrscheinlich nur im Rahmen des Promotionsprojekt möglich wurde und damit temporär bleibt. Vielmehr resoniert in Bezug auf sie ein schlichter Satz von MAUSS (1990 [1925], S.90): "Man verbrüdert sich und bleibt einander doch fremd." [35]

Abschließend bleibt zu konstatieren, dass der Gabentausch die tendenzielle Unabgeschlossenheit zwischenmenschlicher Beziehung nicht auflöst. Während er Funktionalisierungs-, Abhängigkeits- und Schamdynamiken analytisch aufbrechen konnte, griff er zu kurz, wenn es darum ging, die nicht-funktionalen Anteile unserer Beziehung stärker zu fokussieren. MAUSS entwarf seine Gabentheorie zwar explizit als nicht-utilitaristische Praxis, um Formen "korporativer Solidarität" offenzulegen (MOEBIUS 2006, S.89). Jenen über wechselseitige Erwartungs- und Verpflichtungsdynamiken hinausragenden Bereich an "reziproken Erfahrung[en] liebevoller Zuwendung" (HONNETH 1994, S.153), der weniger auf Vertrag denn auf Bedingungslosigkeit beruht, vermochte sie trotzdem nicht zu heben: Unsere gegenseitige Sympathie, die guten Wünsche und aufrichtige Anteilnahme am Leben des anderen, die Seite der zwei vertrauten "Kumpels". Für mein "Buch" suche ich aktuell nach solchen Triangulationsmöglichkeiten weiterer theoretischer Perspektiven. [36]

Anmerkungen

1) Beverly SKEGGS (2001) empfahl etwa eine Forschungsethik, basierend auf "reciprocity, honesty, accountability, responsibility, equalitay in order to treat participants of ethnography with respect ... and to establish the intention of non-exploitation"(S.433). <zurück>

2) Eine punktuell partizipative Öffnung des ethnografischen Forschungsdesigns an Stellen der Erhebung und Auswertung oder auch in Form multilogischen Schreibens (MOHAMMED, MUHAMMED, ZALEWSKI & THOMAS 2019) können dann als Mitmachangebote begriffen werden. Die (asymmetrische) Beziehungskonstellation in der ethnografischen Forschung wird dadurch allerdings nicht zwingend angetastet. <zurück>

3) In seiner klassischen ethnografischen Studie "Ain't no making it" begleitete MacLEOD den Werdegang zweier Gruppen Jugendlicher und junger Männer im Kontext von Armut und Rassismus in den USA. Er nutzte eine längsschnittliche Analyseperspektive und kehrte acht Jahre nach Beginn seines Projekts zu den Gruppen zurück, um die gleichen Personen für seine Forschung erneut zu befragen. <zurück>

4) Außerdem kochten wir oft gemeinsam, gingen einkaufen, spielten Karten. <zurück>

5) Entsprechend viel Raum gab ich affektiv-körperlichen Zuständen in meinen Forschungstagebüchern und Protokollen. Um sie als wichtiges Datum ernst zu nehmen, nahm ich außerdem professionelle ethnografische Supervision in Anspruch (BONZ, EISCH-ANGUS, HAMM & SÜLZLE 2017). <zurück>

6) Bei allen hier verwendeten Vornamen handelt es sich – bis auf meinen eigenen – um Synonyme, um die Identitäten der realen Personen zu bewahren. Zu diesem Zwecke sind außerdem Zeiten und Orte der personenbezogenen Daten leicht abgewandelt. <zurück>

7) Mervan und Enis lernte ich für ein Interview im Rahmen der Vorstudie zum Forschungsprojekt kennen. Die Zusammenarbeit im partizipativen Forschungsprojekt bestand u.a. in meiner Hospitation in ihrer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe im Frühjahr 2017. Erst ein Jahr später trat ich eigenständig ins Feld. <zurück>

8) Das Wissen um die persönliche (Familien-)Hintergründe von Musa, welches ich an dieser Stelle erzählerisch einbinde, stammt aus den diversen ero-epischen Gesprächen (GIRTLER 2001), die ich mit ihm persönlich geführt habe. <zurück>

9) In der von Jochen BONZ geleiteten Gruppe bin ich seit Anfang 2019 festes Mitglied. <zurück>

10) Musa und ich verständigten uns seit Beginn ausschließlich auf Deutsch, worauf er bestand. <zurück>

11) Dennoch scheint mir folgende schlichte analytische Trennung nach NECKEL (1991) grundsätzlich sehr instruktiv: "Schuld entsteht in der Übertretung von Verboten, Scham in der Nichterfüllung von eigenen Idealen" (S.51). <zurück>

12) Ich denke an dieser Stelle auch an die prägnante Formel "the other talks back" – ein Umstand den BREUER (2011) im Kontext einer potenziell konfliktären Rückspiegelung wissenschaftlicher Ergebnisse ins Feld problematisierte. <zurück>

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Zum Autor

Ingmar ZALEWSKI (M. Sc.) promoviert an der Universität Kassel am Lehrstuhl für Sozialwissenschaftliche Methodologie qualitativ-rekonstruktiver Forschung bei Prof. Dr. Ulrike KISSMANN. Er ist Lehrbeauftragter des Fachgebiets für partizipative Ansätze in der Sozialforschung, Grounded-Theory-Methodologie und Ethnografie. Seine Forschung wird durch ein Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung finanziert.

Kontakt:

Ingmar Zalewski

Universität Kassel
Fachgebiet Sozialwissenschaftliche Methodologie qualitativ-rekonstruktiver Forschung
Fachbereich Humanwissenschaften, Institut für Sozialwesen
Arnold-Bode-Straße 10
34127 Kassel

E-Mail: ingmar.zalewski@uni-kassel.de

Zitation

Zalewski, Ingmar (2022). Asymmetrien aushandeln: Von der (De-)Thematisierung des Gebens und Nehmens in ethnografischen Beziehungen an einem Beispiel der Fluchtforschung [36 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 23(1), Art. 8, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-23.1.3832.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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