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Volume 25, No. 2, Art. 3 – Mai 2024

Textsorten und Textsortenbestimmung in der qualitativen Interviewforschung: ein methodologisches Update

Judith Eckert, Malin Houben & Carsten G. Ullrich

Zusammenfassung: Das von Fritz SCHÜTZE im Rahmen der Narrationsanalyse eingeführte Textsortenkonzept spielt heute in verschiedenen Interviewverfahren im deutschsprachigen Raum eine wichtige Rolle, um eine bestimmte methodologisch präferierte Qualität von Äußerungen zu erzeugen und entsprechende Passagen im Zuge der Auswertung zu identifizieren. Der anhaltenden Popularität des Konzepts stehen jedoch drei grundlegende Problematiken der Bestimmung gegenüber: 1. die Vernachlässigung des interaktiven Charakters der Textsortenproduktion, 2. die begrenzte Aussagekraft formalsprachlicher Marker und 3. Unklarheiten bezüglich der Textsortentaxonomie. Diese Problematiken rühren daher, dass es seit SCHÜTZEs (und KALLMEYERs) maßgeblichen Arbeiten in den 1970er und 1980er Jahren innerhalb des deutschsprachigen Methodendiskurses kaum weiterführende systematische Arbeiten zu Textsorten und ihrer Bestimmung gegeben hat und einschlägige Beiträge aus der Gesprächslinguistik weithin ignoriert wurden. In diesem methodologisch orientierten Beitrag machen wir einen empirisch erprobten Vorschlag zur Adressierung dieser Probleme durch Rückgriff auf das in der Interviewforschung bislang nicht rezipierte gesprächsanalytische Beschreibungs- und Analyseverfahren "Globalität und Lokalität in der Organisation beidseitig-konstruierter Einheiten" (GLOBE). Mit dieser Weiterentwicklung der Methode wird die Textsortenbestimmung für eine Vielzahl von Forschungskontexten auch jenseits narrativer Erhebungsformate fruchtbar.

Keywords: Interviewforschung; Methodologie; Textsorten; Erzählung; Beschreibung; Argumentation; Narrationsanalyse; Konversationsanalyse

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Textsortenbestimmung in der qualitativen Interviewforschung: von den Anfängen bis zum Status quo

2.1 Textsorten in der Narrationsanalyse nach Fritz SCHÜTZE

2.2 Textsorten als relevantes Konzept in verschiedenen Interviewverfahren

2.3 Textsorten als heuristisches Konzept in der Methodenforschung

3. Probleme der Textsortenbestimmung

3.1 Vernachlässigung der interaktiven Dimension der Textsortenproduktion

3.2 Fokus auf formalsprachliche Marker

3.3 Unklarheiten und Begründungsdefizite bezüglich der Textsortentaxonomie

4. GLOBE als linguistisches Beschreibungs- und Analyseverfahren für "Diskurseinheiten"

4.1 Grundlegend interaktive Produktion von "Diskurseinheiten"

4.2 Orientierung an "Jobs" bzw. Funktionen

4.3 Kontextspezifische Relevanz und Ausgestaltung von "Diskurseinheiten"

4.4 Zwischenfazit

5. Ein Verfahrensvorschlag für die Textsortenbestimmung in qualitativen Interviews

5.1 Berücksichtigung von Interviewendenbeiträgen

5.2 Form und Funktion

5.3 Textsortentaxonomie

6. Beispielanalyse

7. Zusammenfassung

Danksagung

Quellenangaben zu den zitierten Interviews

Literatur

 

Anmerkungen

Zu den Autorinnen und zum Autor

Zitation

1. Einleitung

In den 1970er Jahren führte Fritz SCHÜTZE im Rahmen seiner Arbeiten zum narrativen Interview das Textsortenkonzept in die qualitative Interviewforschung ein (1976a, 1977, 1983; s. auch KALLMEYER & SCHÜTZE 1977). Dabei unterschied er drei distinkte Textsorten: Erzählungen, Beschreibungen und Argumentationen. Erstere sah er als methodologisch primäre Textsorte an, insofern sie vergangenem Handeln "am nächsten stehen" (SCHÜTZE 1977, S.1) und dieses so für die Forschenden rekonstruierbar machten. Rund 50 Jahre später wird das Textsortenkonzept in verschiedenen interpretativen Verfahren genutzt, um bei der Datenerhebung über geeignete Fragen und frageäquivalente Stimuli eine bestimmte methodologisch primäre Textqualität zu erzeugen und in der Datenanalyse entsprechende Transkriptpassagen zu identifizieren, die als besonders erkenntnisreich in Bezug auf das jeweilige Forschungsinteresse erscheinen. Für die Rekonstruktion biografischer Verlaufsprozesse beispielsweise eignen sich besonders Erzählungen (ROSENTHAL 2015; SCHÜTZE 1983), für die Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster Argumentationen (ULLRICH 2020). Im deutschsprachigen Methodendiskurs hat die Textsortenunterscheidung sogar eine so hohe Relevanz erhalten, dass sie neben dem Strukturierungsgrad von Interviews als zweites wichtiges Unterscheidungsmerkmal für die in den vergangenen Jahrzehnten entwickelten Interviewverfahren angesehen wird (MEY & MRUCK 2020, S.323f.; POHLMANN 2022, S.222ff.; vgl. auch HOPF 2017, S.351f.). Wer von Textsorten spricht, rekurriert dabei in der Regel sowohl auf SCHÜTZEs Textsortentaxonomie bestehend aus Erzählungen, Beschreibungen und Argumentationen als auch auf die von ihm schließlich so bezeichnete "formale Textanalyse" (1983, S.286) als Mittel ihrer Bestimmung.1) [1]

Trotz seiner Bedeutung wurde das Textsortenkonzept innerhalb des deutschsprachigen Methodendiskurses zu qualitativen Interviews, auf den wir uns in diesem Beitrag beziehen, seit SCHÜTZEs maßgeblichen Arbeiten allerdings kaum mehr methodologisch diskutiert, geschweige denn weiterentwickelt. Von wenigen wegweisenden Beiträgen abgesehen (DEPPERMANN & LUCIUS-HOENE 2006; LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, Kap.7) gab es kaum grundsätzliche Auseinandersetzungen. Einschlägige Diskussionen fanden vielmehr in der Linguistik und insbesondere in der Gesprächslinguistik statt, wurden jedoch in der Interviewforschung kaum rezipiert. Dies betrifft sowohl konzeptuelle und methodologische Fragen (z.B. zur Interaktivität der Textsortenproduktion) als auch die Auseinandersetzung mit einzelnen Textsorten (v.a. dem Erzählen und Argumentieren).2) In der Folge zeichnete sich innerhalb der qualitativen Interviewforschung eine Trivialisierung des Textsortenkonzepts und der Textsortenbestimmung ab. Damit einhergehen drei zentrale konzeptuelle Leerstellen und damit zusammenhängende forschungspraktische Probleme:

In diesem methodologisch orientierten Beitrag möchten wir die genannten Probleme adressieren und eine Lösungsmöglichkeit vorschlagen, indem wir mit "GLOBE" ("Globalität und Lokalität in der Organisation beidseitig-konstruierter Einheiten") ein linguistisches Verfahren vorstellen, das in der Interviewforschung bislang nicht rezipiert wurde. Anhand methodologischer Überlegungen und mittels Beispielanalysen zeigen wir, wie wir es in unserem Projekt bei der Textsortenbestimmung angewandt haben. Entgegen der vorhandenen Kanonisierung erlaubt ein solches Vorgehen eine gegenstandsangemessene und am eigenen inhaltlichen und methodologischen Forschungsinteresse orientierte Textsortenunterscheidung und -bestimmung, durch die eine vertiefte Analyse sprachlicher und interaktiver Phänomene in qualitativen Interviews möglich wird.3) [3]

Damit greifen wir die allgemeine Debatte um die Interaktivität von Interviews auf (klassisch: BRIGGS 1986; CICOUREL 1970 [1964]; KOHLI 1978; MISHLER 1986; aktueller: DEPPERMANN 2013; POTTER & HEPBURN 2005; ROULSTON 2006, 2019a, 2022) und wenden sie auf Textsorten an. Während es unserer Wahrnehmung nach in der interpretativen Forschung weitgehend Konsens ist, Interviews als Interaktion zu begreifen, fehlt eine solche konsequent interaktionsorientierte Perspektive spezifisch auf das Textsortengeschehen in qualitativen Interviews, obwohl von Linguist*innen wiederholt auf die grundlegend interaktive Produktion auch der scheinbar monologischsten aller Textsorten, der Erzählung, hingewiesen wurde (u.a. DE FINA & GEORGAKOPOULOU 2012, 2015; detailliert dazu Abschnitt 3.1 dieses Beitrags). Textsorten werden in der Interviewforschung meist interviewtenzentriert konzipiert. Wie sie in nicht monologisch verlaufenden und stärker von den Interviewenden strukturierten (Leitfaden-)Interviews produziert und bestimmt werden können, wurde bislang noch nicht ausreichend geklärt (s. jedoch Hinweise bei BETTEN 2003, 2009; KLEEMANN, KRÄHNKE & MATUSCHEK 2013, Kap.7, insbes. S.216ff.). Vor diesem Hintergrund stellen wir Ideen vor, wie das Textsortenkonzept auch für nicht-monologische Erhebungssettings fruchtbar gemacht werden kann. Dies könnte für all jene Interviewforscher*innen anregend sein, die auf ähnliche methodische Probleme der Textsortenbestimmung gestoßen sind wie wir. In übergeordneter Weise möchten wir Anregungen zur Weiterentwicklung der Methode der Textsortenbestimmung geben, die deren gegenstandsangemessenen Einsatz in verschiedenen Forschungs- und nicht-monologischen Interviewkontexten ermöglicht, sowie zur Wiederbelebung des Diskurses zu Textsorten und ihrer Bestimmung in der Interviewforschung beitragen. [4]

Hierfür gehen wir wie folgt vor: In Abschnitt 2 skizzieren wir SCHÜTZEs Überlegungen zur Textsortenbestimmung als dem in der Interviewforschung gängigen Modell, besprechen die bereits erwähnte heutige Bedeutung des Konzepts in der qualitativen Sozialforschung und erläutern unser spezifisches Interesse an Textsorten, das wir im Rahmen eines Methodenforschungsprojekts zur qualitativen Interviewforschung entwickelten. In Abschnitt 3 gehen wir näher auf die genannten Probleme und konzeptuellen Leerstellen der Textsortenbestimmung ein, um dann in Abschnitt 4 mit GLOBE ein von Uta QUASTHOFF begründetes gesprächs- bzw. interaktionslinguistisches Verfahren zur Analyse von Textsorten zu präsentieren, das zurück zu SCHÜTZEs ursprünglich stark konversationsanalytisch geprägten Überlegungen führt. In Abschnitt 5 stellen wir vor, wie wir bezugnehmend auf GLOBE die Herausforderungen der Textsortenbestimmung in unserem Projekt gelöst haben und veranschaulichen zentrale Charakteristika unseres Vorgehens in Abschnitt 6 anhand der Beispielanalyse eines Interviewausschnitts. Schließlich fassen wir unsere Erkenntnisse zusammen und diskutieren Begrenzungen unseres Vorschlags zur Textsortenbestimmung (Abschnitt 7). [5]

2. Textsortenbestimmung in der qualitativen Interviewforschung: von den Anfängen bis zum Status quo

2.1 Textsorten in der Narrationsanalyse nach Fritz SCHÜTZE

Das Textsortenkonzept fand durch SCHÜTZEs Arbeiten zum narrativen Interview Eingang in die Interviewforschung. Anders als klassische Ansätze der Narrativik mit ihren formalen Definitionen ist die Narrationsanalyse ihm zufolge eine streng empirisch ausgerichtete Disziplin, in der Textsortendefinitionen anhand der Untersuchung von qualitativem Datenmaterial oder Alltagsgesprächen entwickelt werden (KALLMEYER & SCHÜTZE 1977, S.165, 168, 173ff.). Schlussendlich haben KALLMEYER und SCHÜTZE drei Textsorten bzw. "Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung" oder kurz "Sachverhaltsschemata" (S.160) näher charakterisiert: Erzählungen zeichnen sich durch die chronologische Darstellung selbsterlebter Erfahrungen singulärer Ereignisse in der Vergangenheit aus, die in Form einer "Ereigniskette" (S.177) präsentiert werden. Sie sind erfahrungsbezogen und nicht abstrakt. Gegenüber diesem singulären Charakter von Erzählungen beziehen sich Beschreibungen auf die Darstellung von sich Wiederholendem bzw. Wiederholbarem oder Statischem und Feststehendem (S.201ff.). Für Argumentationen charakteristisch ist ihre Abstraktheit und Theoriehaltigkeit (SCHÜTZE 1977, S.30f.). Der*die Interviewte agiert dabei als "Experte und Theoretiker seiner selbst" (SCHÜTZE 1983, S.285) und liefert bspw. "Orientierungstheorien, Erklärungstheorien, abstrahierende Beschreibungen, Globalevaluationen und Kommentartheorien" (SCHÜTZE 1987, S.178-185). [6]

Das Erzählschema ist für Narrationsanalytiker*innen methodologisch primär, da es SCHÜTZE zufolge den höchsten Wert für die Rekonstruktion vergangenen Erlebens hat. Zum einen seien selbstläufige, längere Erzählungen eigenerlebter Erfahrungen "diejenigen vom thematisch interessierenden faktischen Handeln abgehobenen sprachlichen Texte, die diesem am nächsten stehen und die Orientierungsstrukturen des faktischen Handelns auch unter der Perspektive der Erfahrungsrekapitulation in beträchtlichem Maße rekonstruieren" (SCHÜTZE 1977, S.1). Zum anderen seien "die narrativen Darstellungsgehalte und Geschichtengestalten [...] von der Erlebnisaufschichtung" (SCHÜTZE 1987, S.94) und weniger von der konkreten Interaktion geformt, in der erzählt wird, wohingegen Argumentationen stark von der jeweiligen Kommunikationssituation geprägt seien (vgl. auch ROSENTHAL 2015, S.165). [7]

Der erste Analyseschritt in der von SCHÜTZE (1983, S.286) ausgearbeiteten sechsschrittigen Narrationsanalyse besteht folglich darin, Erzählungen von den anderen Sachverhaltsschemata zu unterscheiden, in diesem Zuge "alle nicht-narrativen Textpassagen zu eliminieren" und die narrativen hinsichtlich ihrer formalen Abschnitte zu segmentieren. In einem späteren, insgesamt aber eher wenig rezipierten Aufsatz relativierte SCHÜTZE (2016, S.66ff.) allerdings diese Priorisierung von Erzählungen und (vorläufige) Aussonderung von Argumentationen. Vielmehr diene der erste Analyseschritt dazu, dominante Sachverhaltsschemata zu identifizieren und zu schauen, wo das Erzählschema von anderen Textsorten durchbrochen wird. [8]

Für die empirische Textsortenbestimmung lässt sich in SCHÜTZEs Schriften keine genaue Anleitung identifizieren. Die elaboriertesten Überlegungen finden sich im Beitrag von KALLMEYER und SCHÜTZE zur Konstitution von Sachverhaltsschemata (1977) und in SCHÜTZEs Studienbrief zu den erzähltheoretischen Grundlagen des narrativen Interviews (1987, S.145ff.). Die darin entfalteten Gedanken lassen sich vorrangig als aufgabenorientierte Herangehensweise an die Textsortenbestimmung lesen: Im Fokus der Analyse steht die Rekonstruktion derjenigen konstitutiven Aufgaben, die die Interagierenden zu vollbringen haben, um ein bestimmtes Sachverhaltsschema zu produzieren und füreinander als solches erkennbar zu machen (KALLMEYER & SCHÜTZE 1977; vgl. dazu auch SCHÜTZE 1984). KALLMEYER und SCHÜTZE (1977, S.170) gingen davon aus, dass die Sachverhaltsschemata des Erzählens, Beschreibens und Argumentierens (wie jeder andere interaktive Ablauf) einem Drei-Phasen-Modell von Anfang, Aktivitätskern und Abschluss folgen. Für jedes Sachverhaltsschema müsse zunächst "der Strukturzusammenhang [...] von einem Hintergrund abgelöst", "in seiner Form (Art, Perspektive, Detaillierungsniveau, Schauplatz) vorgreifend angedeutet" und "in seiner Andeutung vom Interaktionspartner verstanden werden und als 'Thema' akzeptiert werden beziehungsweise in seiner hörerseitigen Akzeptierung unterstellt werden" (a.a.O.). Im Aktivitätskern, auch Schemakern genannt, müsse dann der Strukturzusammenhang in einem "geordneten 'Kommunikationsverfahren' entwickelt" und dies "vom Interaktionspartner interaktionsflexibel mitgetragen werden"; auch müsse diese*r das "Mitkommen" regelmäßig zum Ausdruck bringen (a.a.O.). Zum Abschluss solle "die Schließung des Strukturzusammenhangs [...] dokumentiert" und von der interviewten Person "akzeptiert werden" – oder aber die Schließung könne als "akzeptiert unterstellt werden" (S.171). [9]

Den im Aktivitätskern von Erzählungen und Beschreibungen abzuarbeitenden "Aufgabenkatalog" (S.170) beschrieben KALLMEYER und SCHÜTZE in Form der "konstitutive[n] kognitive[n] Strukturen" (S.176) näher. Die Abwicklung des Aktivitätskerns des Erzählens bspw. enthält als "minimale[n] Aufgabenkatalog" die folgende Thematisierung spezifischer "kognitiver Strukturen" bzw. Figuren (S.182f.): Es müssten 1. soziale Einheiten, insbesondere Handlungsträger*innen, eingeführt, 2. eine Zustandsänderung dieser sozialen Einheiten entlang einer Ereignisabfolge dargestellt, 3. situative Höhepunkte herausgearbeitet und 4. Erzählperspektive, Thema und Moral der Geschichte verdeutlicht werden (vgl. auch SCHÜTZE 1984). [10]

KALLMEYER und SCHÜTZE (1977, S.166) stellten auch die Existenz von sprachlichen Markern heraus in Form von "Textindikatoren, in denen sich die kognitiven Strukturen empirisch niederschlagen" und die als "empirische Repräsentationen 'tiefenstruktureller' Zwänge der Darstellung kognitiver Strukturen" fungieren. Für jede Aufgabe lassen sich so typische sprachliche Mittel identifizieren, anhand derer sie realisiert werden (vgl. auch SCHÜTZE 1987, S.145ff.). So könnten Erzählungen in ihrem Aktivitätskern z.B. durch "Verkettungselemente wie 'und dann'" (KALLMEYER & SCHÜTZE 1977, S.177) angezeigt und identifiziert werden, ebenso durch die Verwendung der Vergangenheitsform (SCHÜTZE 1987, S.149). Beschreibungen könnten z.B. durch den Marker "immer", Vorgangsbeschreibungen im Speziellen auch über Formulierungen wie "wenn-dann" oder "und dann" kenntlich gemacht und registriert werden (KALLMEYER & SCHÜTZE 1977, S.214). Argumentationen zeichneten sich demgegenüber durch einen typischen Zeitbezug "zum Gegenwartsstandpunkt des Erzählers" aus (SCHÜTZE 1987, S.149) und seien "stets mit auffälligen Mitteln vom Erzählstrom abgesetzt" (S.146). Sie könnten ferner logische oder modalisierende Partikel wie "also" oder "wohl" und verallgemeinernde "Quasiallsätze" beinhalten wie "Ich habe daraus gelernt, daß ich mich mit neuen Stellen immer schwer tue" (S.147). Aufgrund solcher offensichtlichen sprachlichen Marker sprach SCHÜTZE auch von einer "intuitive[n] Erkennbarkeit" (S.145) argumentativer im Vergleich zu narrativen Darstellungen. [11]

2.2 Textsorten als relevantes Konzept in verschiedenen Interviewverfahren

Das von SCHÜTZE in die Interviewforschung eingeführte Textsortenkonzept spielt heute in unterschiedlichen monologischen und dialogischen Interviewvarianten sowie verschiedenen Auswertungsverfahren eine wichtige Rolle, um methodologisch primäre Interviewtenäußerungen zu erzeugen bzw. im Material zu identifizieren. Analytisch können so diejenigen Transkriptausschnitte erfasst werden, die sich für die Beantwortung des jeweiligen Forschungsinteresses besonders eignen und sodann sequenz- und feinanalytisch untersucht werden (vgl. auch KLEEMANN et al. 2013, S.217). Zwar variieren die methodologischen Begründungen für die jeweilige Textsortenpräferenz – wobei Erzählungen oft als "Königsweg" (MEY 2000, S.14)) für die Rekonstruktion des jeweils interessierenden Sinngehalts gelten –, nicht jedoch die grundsätzliche Vorstellung zur Taxonomie und Bestimmung von Textsorten: Wer von Textsorten spricht, rekurriert in aller Regel auf SCHÜTZEs Ideen, nämlich dass es im Wesentlichen drei Textsorten gibt, diese primär in den Äußerungen der Interviewten zu identifizieren sind und zwar anhand formalsprachlicher Kriterien.5) Diese Betonung von Textsorten als analytischer Heuristik im Erhebungs- und Auswertungsprozess wollen wir im Folgenden exemplarisch anhand einiger methodischer Verfahren veranschaulichen, die prominent in Einführungstexten und Lehrbüchern beschrieben werden, um Noviz*innen das Erlernen der jeweiligen Methode zu erleichtern. [12]

Am offensichtlichsten ist der Einfluss SCHÜTZEs in der an ihn anschließenden Narrations- und Biografieforschung (FISCHER-ROSENTHAL & ROSENTHAL 1997; ROSENTHAL 1995, 2015), in der Erzählungen wie bei SCHÜTZE als methodologisch primäre Textsorte gelten. Zu beobachten ist dabei jedoch eine Tendenz der Aufwertung der anderen Textsorten: Ohne die Priorisierung von Erzählungen für die Rekonstruktion vergangenen Erlebens aufzugeben, schlug ROSENTHAL (1987, S.147) vor zu analysieren, welche Erfahrungen in welcher Darstellungsform (d.h. welcher Textsorte) kommuniziert werden. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass Erfahrungen prinzipiell in allen Textsorten präsentiert werden könnten (ROSENTHAL 2015, S.166; s. dazu auch KÜSTERS 2016, S.603). [13]

Im Paradigma der "Rekonstruktion narrativer Identität", das von LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) vertreten wird und in dem ebenfalls narrativ-biografische Interviews die Datengrundlage darstellen, wird die Bedeutung von Erzählungen noch weiter relativiert: Da das Forschungsinteresse nicht auf das vergangene Erleben ("Repräsentation"), sondern auf die Her- und Darstellung von Identitäten im Hier und Jetzt der Interaktionssituation ("Performanz") zielt (S.41f.) und ferner angenommen wird, dass die unterschiedlichen Textsorten unterschiedliche interaktive Funktionen haben (Kap.7), werden in der Auswertung alle Textsorten mit der gleichen Aufmerksamkeit analysiert. Leitend ist die Frage, welche Textsorte die Interviewten im konkreten Zusammenhang mit welcher Funktion nutzen (vgl. auch GRIESE & GRIESEHOP 2007, S.45ff.). Der heuristische Wert, der der Textsortenunterscheidung für die Rekonstruktion narrativer Identität zukommt, wird dadurch unterstrichen, dass LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) ihr in ihrem Arbeitsbuch ein ganzes Kapitel (Kap.7) widmeten und in detaillierter Weise auf die drei von SCHÜTZE beschriebenen Textsorten des Erzählens, Beschreibens und Argumentierens eingingen, innerhalb des Erzählens drei Erzählformen ausdifferenzierten (S.145ff.) und einige Herausforderungen der Textsortenbestimmung benannten. Hierbei handelt es sich unseres Wissens um die intensivste Auseinandersetzung mit Textsorten innerhalb der qualitativen Interviewforschung nach SCHÜTZEs bahnbrechenden Arbeiten, wobei der Fokus nach wie vor auf einem monologischen Erhebungssetting lag. [14]

In der dokumentarischen Methode (BOHNSACK 2017, S.98f.; NOHL 2017) werden neben Erzählungen Beschreibungen als bevorzugte Textsorte angesehen, wenngleich vor einem anderen methodologischen Hintergrund: Um das im Fokus stehende konjunktive Wissen als atheoretisches, implizites und handlungsleitendes Wissen zu rekonstruieren, eigneten sich besonders – wenn auch nicht ausschließlich – erzählerische oder beschreibende Darstellungen der Handlungspraxis (BOHNSACK 2017, S.98). In ähnlicher Weise gelten laut MEUSER und NAGEL (2009) Berichte über konkrete Ereignisse sowie Beispielerzählungen als besonders wertvoll, um Expert*innenwissen zu rekonstruieren. [15]

Eine gänzlich andere Präferenzstruktur weist die Methode des diskursiven Interviews auf (ULLRICH 1999, 2020). Zwar können ULLRICH zufolge alle drei von SCHÜTZE identifizierten Sachverhaltsschemata für die angestrebte Rekonstruktion von Deutungsmustern nützlich sein. Allerdings stellten Argumentationen bzw. Begründungen insofern "das beste Ausgangsmaterial" dar, als sich die Interviewten hierüber "direkt" zu bestimmten Sachverhalten positionierten (ULLRICH 1999, S.438; vgl. auch ULLRICH 2020, S.40). [16]

Entgegen diesen eindeutigen Textsortenpräferenzen werden Erzählungen und Argumentationen für das episodische Interview (z.B. FLICK 2011a, 2011b) als gleichermaßen erkenntnisförderlich für die Rekonstruktion des Alltags- und Weltwissens der Subjekte angesehen: Während das narrativ-episodische Wissen als Wissen über autobiografische Erinnerungen "eher über Erzählungen zugänglich" sei (FLICK 2011b, S.28) – genauer: über Erzählungen zu Situationen –, sei das begrifflich-semantische Wissen als Wissen über "das Normale, Regelhafte, Routinisierte und damit das über eine Vielzahl von Situationen und Erfahrungen hinweg Verallgemeinert[e]" eher über eine "argumentativ-theoretische Darstellung" verfügbar (FLICK 2011a, S.274). Eine ähnliche Betonung des Erkenntnispotenzials aller drei Textsorten findet sich in Ausführungen zum problemzentrierten Interview (WITZEL & REITER 2022). [17]

Quer durch die verschiedenen Verfahren hindurch lässt sich beobachten, dass in der Rezeption von SCHÜTZEs Ansatz die Orientierung an formalsprachlichen Markern in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurde und der Bezug dieser Marker zu den konstitutiven Aufgaben, die sie sprachlich ja eigentlich repräsentieren, zunehmend verloren ging. Diese Orientierung kennzeichnet demnach die heutige Art und Weise der Textsortenbestimmung in der qualitativen Interviewforschung. Gleichzeitig verschob sich der Fokus der Textsortenbestimmung von einer grundlegend interaktiven Konzeption – beide bzw. alle Beteiligten sind prinzipiell an der Aufgabenerledigung beteiligt – auf die Äußerungen der Interviewten. [18]

2.3 Textsorten als heuristisches Konzept in der Methodenforschung

Ein weiteres Anwendungsfeld für das Textsortenkonzept ist die qualitative Methodenforschung. In verschiedenen Projekten, in die wir eingebunden waren, nutzten wir die Textsortenunterscheidung nicht zur Beantwortung eines inhaltlichen Forschungsinteresses (etwa im Sinne der Rekonstruktion vergangenen Erlebens oder gegenwärtiger Deutungsmuster), sondern als Heuristik, um die in verschiedenen qualitativen Erhebungskontexten gestellten Fragen und generierten (Antwort-)Texte in ihrer Beschaffenheit zu beschreiben. In zwei Projekten von ULLRICH und SCHIEK bzw. SCHIEK und ULLRICH ging es um die Frage, inwiefern sich bestimmte Formate der Onlineerhebung, konkret Forumsdiskussionen (ULLRICH & SCHIEK 2019) und per E-Mail oder Webforum geführte asynchrone schriftliche Interviews (SCHIEK 2022), als Erhebungsinstrumente für die qualitative Sozialforschung eignen. Neben weiteren Beurteilungskriterien wie der Selbstläufigkeit der Äußerungen diente das Textsortenkonzept dazu, die Eigenschaften der in diesen Settings erzeugten Texte zu beschreiben. Auf dieser Basis kann dann eingeschätzt werden, für welche Forschungsinteressen die jeweiligen Erhebungsmethoden sinnvoll einsetzbar sind. [19]

In ähnlicher Weise nutzten wir die Textsortenheuristik im Forschungsprojekt "Fragen in qualitativen Interviews. Sekundäranalysen zur Bedeutung unterschiedlicher Frageformen in Interviews".6) Ausgangspunkt dieser Studie war der Sachverhalt, dass Fragen als zentral für die Antworten der Interviewten gelten, bislang aber kaum systematisch empirisch untersucht worden ist, wie sich unterschiedliche Fragen und frageäquivalente Stimuli sowie die gesamte Interviewinteraktion auf die Antworten der Interviewten auswirken.7) Um die Bedeutung unterschiedlicher Frageformen zu rekonstruieren, führten wir umfassende Sekundäranalysen von Frage-Antwort-Sequenzen in qualitativen Interviewtranskripten durch und fokussierten dabei auf Textsorten: Welche wurden durch Fragen bzw. frageäquivalente Stimuli initiiert, welche in den Antworten produziert und inwiefern ließen sich hierbei Zusammenhänge erkennen? In Bezug auf Erzählungen interessierte uns beispielsweise, mittels welcher Frageformulierungen sie relativ zuverlässig elizitiert wurden und – umgekehrt – welche als erzählförderlich geltenden Formulierungen nicht genuin narrative oder gar eher argumentative Antworten nahelegten. Um die Frage- und Textsortenvielfalt qualitativer Interviewforschung in unserer Studie abzudecken, war ein Großteil der o.g. Erhebungsverfahren in unserem Datenkorpus repräsentiert, womit ein breites Spektrum an Monologizität/Dialogizität und an unterschiedlichen Textsortenprofilen abgedeckt war (ausführlicher zum Projekt s. HOUBEN & ECKERT 2022). [20]

Im Zuge unserer sekundäranalytischen Rekonstruktion von Textsorten in qualitativen Interviews begegneten uns zwei Probleme, die in der Literatur zu Textsorten bislang unbeantwortet bleiben. Sie sind daher Ausgangspunkt der in diesem Beitrag präsentierten Überlegungen und lauten: Welche Textsorten gibt es jenseits der Unterscheidung narrativer und nicht-narrativer Textsorten? Und wie genau können wir Textsorten empirisch bestimmen? Die Frage nach der Vielfalt rekonstruierbarer Textsorten stellte sich uns, weil sich unser Erkenntnisinteresse nicht auf die Unterscheidung zwischen narrativ und nicht-narrativ bzw. argumentativ begrenzte, sondern wir die empirische Vielfalt an Textsorten erfassen wollten, wie sie in ganz unterschiedlichen Interviewformen zu Tage tritt. Mit anderen Worten bestand also kein methodologisches Interesse an bestimmten Textsorten, sondern an all den verschiedenen Textsorten, die in unserem Datenkorpus relevant sind, d.h. erfragt und/oder produziert werden. Mit dem zweitgenannten Problem waren wir konfrontiert, weil sich formalsprachliche Marker als unzuverlässig für die Textsortenbestimmung erwiesen und bei dialogischen Erhebungsvarianten die Forschenden mitunter recht stark in die Textsortenproduktion eingebunden waren, aber unklar war, wie wir deren Beiträge analytisch adäquat berücksichtigen konnten. [21]

3. Probleme der Textsortenbestimmung

Auch über unseren spezifischen Projektkontext hinaus erscheinen uns drei Aspekte der bisherigen Art und Weise der Textsortenbestimmung kritisch: die Vernachlässigung der interaktiven Dimension der Textsortenproduktion (Abschnitt 3.1), der Fokus auf formalsprachliche Marker (Abschnitt 3.2) und Unklarheiten und Begründungsdefizite bezüglich der Textsortentaxonomie (Abschnitt 3.3). [22]

Diese Probleme resultieren u.a. aus dem methodologisch weitestgehend unbearbeiteten Sachverhalt, dass die Textsortenbestimmung sensu SCHÜTZE über ihren spezifischen Entstehungs- und Anwendungskontext des narrativen Interviews hinaus generalisiert und kanonisiert wurde, ohne dass mögliche methoden- und gegenstandsspezifische Anpassungsnotwendigkeiten oder überhaupt Schwierigkeiten der Art und Weise der Textsortenbestimmung explizit diskutiert würden. Ausnahmen sind hier lediglich, wie erwähnt, gesprächslinguistisch informierte Forschende, die Herausforderungen und mögliche Lösungen bei der Textsortenbestimmung ausführlich diskutieren. Neben LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004, Kap.7) beschäftigten sich BETTEN (2003, 2007, 2009, 2017) und MAJER (2012) mit Textsorten in qualitativen Interviews. KLEEMANN et al. (2013, Kap.7) haben gezeigt, dass das Textsortenkonzept auch in Leitfaden- und somit stärker gesteuerten Interviews angewandt werden kann. [23]

3.1 Vernachlässigung der interaktiven Dimension der Textsortenproduktion

Dass Interviews prinzipiell als Interaktionsereignisse zu verstehen und daher nicht nur die Antworten der Interviewten, sondern auch die Fragen und sonstigen Handlungen der beteiligten Forschenden in ihrem interaktiven Verstrickungszusammenhang zu analysieren sind, wurde im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in unterschiedlichen Kontexten betont (s. dazu Abschnitt 1). Im deutschsprachigen Raum hat DEPPERMANNs (2013) Kritik, wonach Interviews allzu oft in epistemologisch unzulässiger Weise als Text, der "die Welt, Psyche oder soziale Sinnstrukturen widerspiegeln" solle (§6), und nicht konsequent als Interaktion analysiert würden, besondere Prominenz erlangt (s. auch KOHLI 1978). Während wir meinen, dass interpretativ Forschende Interviews nicht nur theoretisch, sondern auch forschungspraktisch in aller Regel als Interaktionsereignisse behandeln, ist allerdings zu vermerken, dass eine solchermaßen interaktionsorientierte Konzeption speziell von Textsorten noch weithin aussteht. [24]

Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Grund ist in der Genese des Textsortenkonzepts innerhalb der qualitativen Interviewforschung zu suchen: Die narrationsanalytische Art der Textsortenbestimmung sensu SCHÜTZE bezieht sich auf idealiter monologische Gesprächssettings, in denen die Interviewten nach dem anfänglichen Erzählstimulus umfängliches Rederecht erhalten, und somit im Kern auf deren Beiträge und die darin enthaltenen Textsorten. Angesichts dieser Orientierung ist ungeklärt, wie in stärker dialogischen Settings Interviewendenbeiträge und weitere -einflüsse jenseits von Eingangsstimuli und Fragen zu berücksichtigen sind – was nicht nur für Erhebungsverfahren zutrifft, in denen die Forschenden stärker strukturieren als in narrativen Interviews, sondern auch für narrative Interviews, die in der Praxis manchmal dialogischer ausfallen (vgl. auch BETTEN 2003, 2007; MEY 2000). Bedeutsam scheint in diesem Kontext auch die zurückhaltende Rezeption gesprächslinguistischer Arbeiten und angelsächsischer Beiträge zur Narrationsforschung (s. besonders BAMBERG 1997; DE FINA & GEORGAKOPOULOU 2012, 2015; DE FINA & PERRINO 2011), in denen wiederholt auf die interaktive Produktion von Textsorten im Allgemeinen und Erzählungen im Speziellen hingewiesen wurde. [25]

Konkret lassen sich verschiedene Einflussdimensionen der Interviewenden auf die Text(sorten)produktion ausmachen: Ganz grundlegend orientieren sich die Interviewten bei der Produktion von Äußerungen an ihrem Gegenüber (Stichwort: Recipient Design bzw. Adressat*innenzuschnitt von Äußerungen): "Das Erinnern und kognitive Rekonstruieren der Geschichte vollzieht sich bereits unter dem Einfluß des beim Hörer (häufig als Repräsentanten des 'generalized other') gemutmaßten Systems von Wertungen und Erwartungen" (QUASTHOFF 1980, S.72f.). Darüber hinaus lassen sich verschiedene Aktivitäten der Interviewenden beobachten, anhand derer sie bei der Textsortenproduktion mitwirken. So sind Zuhörer*innen über erzählfördernde oder -hemmende "Zuhöreraktivitäten" (QUASTHOFF 1981) an der Durchführung von Erzählungen beteiligt. Zuhörer*innenaktivitäten, die eine erzählfreundliche Atmosphäre schaffen, sind QUASTHOFFs Analyse nach verständnisanzeigende Signale wie "hm", noch mehr aber Lachen oder formelhafte Wendungen wie "ach du Schreck", da sie nicht nur signalisierten, dass Informationen verarbeitet wurden, sondern darüber hinaus auch zeigten, "wie er [der Zuhörer] sie verarbeitet, d.h., welche Einstellung er gegenüber dem Erzählten hat" (S.302). Zu den erzählhemmenden Zuhörer*innenaktivitäten gehören u.a. Nachfragen, die "auflösungsorientiert" oder "inhaltsorientiert" bzw. "informationsorientiert" sind (S.307), d.h., dass die Darstellung des Prozesses abzukürzen versucht wird. Auf diese Weise kann angezeigt werden, ob Erzählen aus Sicht der Zuhörenden als Kommunikationsmodus in der spezifischen Situation angemessen ist oder nicht (S.311). Dass selbst Kleinstbeiträge von Forschenden von Bedeutung sein können, hat auch RICHARDS (2011, S.106) gezeigt: Eine im Vergleich zu den vorigen Rückmeldungen verzögerte und darüber hinaus gedehnt gesprochene Rückmeldung des*der Interviewer*in ("Ri::ght") elizitierte einen "justificary account by the interviewee". Mit anderen Worten wurde hier die Textsorte der Argumentation im SCHÜTZE'schen Sinne nicht durch eine entsprechende Frage, sondern durch einen Rückmeldepartikel motiviert, der als evaluative Positionierung aufgefasst wurde. Ganz offensichtlich sind Interviewendeneinflüsse, wenn in eigentlich monologischen Formaten dialogische Zwischenpartien auftreten (BETTEN 2009), Zwischen- und Nachfragen gestellt werden oder Erzählungen interaktiv über verschiedene Frage-Antwort-Sequenzen hinweg produziert werden (SLEMBROUCK 2015). Und schließlich erscheint für die Textsortenproduktion auch die Beziehungsstruktur zwischen Interviewer*in und interviewter Person relevant (BETTEN 2003), die darüber entscheiden kann, ob im Rahmen einer lebensgeschichtlichen Darstellung ein eher knapper, sachlich-berichtender Ton oder eine ausführlichere, stärker monologische Darstellung gewählt wird. Bilanzierend lässt sich festhalten, dass jede Textsorte – auch in monologischen Formaten – gemeinschaftlich hergestellt wird (BETTEN 2009) und die "Interviewenden 'editorische Helfer' und 'temporäre Assistent[(inn)en]'" (BRUNER 1997, S.122 zit. n. MEY 2000, S.12) dabei sind. [26]

3.2 Fokus auf formalsprachliche Marker

SCHÜTZE (1984, 1987) betonte in ausführlicheren Darstellungen die Relevanz der schemaspezifischen Ausgestaltung kognitiver Figuren, d.h. der Aufgaben, die vonnöten sind, um ein bestimmtes Sachverhaltsschema zu produzieren, und deren Erfüllung bestimmte formalsprachliche Marker anzeigen (dazu auch bereits KALLMEYER & SCHÜTZE 1977). In seinem vielzitierten Aufsatz "Biographieforschung und narratives Interview" (1983) bezog SCHÜTZE sich bei der Darstellung der "formalen Textanalyse" allerdings nur noch auf diese formalsprachlichen Marker, was sich in der an ihn anschließenden Literatur fortsetzt. Der Bezug zu kognitiven Figuren ging dabei meist verloren (s. jedoch GLINKA 1998; KÜSTERS 2009). Fraglich ist allerdings, inwiefern eine solche an formalsprachlichen Indikatoren orientierte Vorgehensweise ausreicht, um Textsorten im empirischen Material identifizieren zu können. Dies betrifft auch gerade die in der Narrationsanalyse so wichtige Unterscheidung von Erzählung und Argumentation und hat verschiedene Gründe. [27]

Ein Grund liegt darin, dass formalsprachliche Marker wie "und dann" (der Indikator für Erzählungen) und "weil" (der Indikator für Argumentationen) mehr- und damit uneindeutig sind. In ihrer Untersuchung von Verwendungsweisen von "weil" in der gesprochenen Sprache verdeutlichten GOHL und GÜNTHNER (1999), dass "weil" zwar entsprechend der üblichen Erwartung in begründender Funktion oder im Rahmen einer Erzählung als Einleitung einer argumentativen Hintergrundkonstruktion im SCHÜTZE'schen Sinne verwendet werden kann. Allerdings identifizierten sie auch eine Reihe weiterer Funktionen jenseits argumentativer Zusammenhänge: "Weil" kann beispielsweise einen thematischen Wechsel oder Wechsel in der kommunikativen Aktivität z.B. von einer Beschreibung zu einer Erzählung anzeigen oder auf Ebene der Sprecher*innenwechselorganisation als "konversationelles Fortsetzungssignal" (GOHL & GÜNTHNER 1999, S.51) fungieren, indem sein "projektive[s] Potenzial" (a.a.O.) genutzt wird, um den aktuellen Redezug fortzusetzen und das Rederecht zu behalten. Ähnliche Vorbehalte gegenüber einem einfachen Bezug von Marker zu Textsorte gelten für "und dann": Was im engeren Sinne nur eine chronologische Reihenfolge indiziert, wird im Alltag auch als Hinweis auf einen Verursachungs- oder Begründungszusammenhang und insofern als Hinweis auf eine Argumentation verstanden. Bezugnehmend auf SACKS (1972) definierten LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004, S.187) dieses Prinzip des "post hoc ergo propter hoc" (wörtlich aus dem Lateinischen: nach diesem, also wegen diesem) wie folgt: "Soweit der Erzähler nichts Gegenteiliges verlauten lässt, ist das Spätere als Folge des zuvor Dargestellten zu verstehen", sodass "aus dem Prinzip der narrativen Chronologie auch eine narrative Kausalität" folgt (S.21). [28]

Ein zweiter Grund für die limitierte Indikationskraft formalsprachlicher Marker liegt darin, dass Textsorten auch ohne Nutzung typischer Marker produziert werden können (S.169) – etwa mittels nicht konventioneller (sprich: untypischer) Marker oder gar "unmarkiert", wie GOHL (2006) es in ihrer Studie zu Begründungshandlungen nannte (zur Definition von Begründungen s. Abschnitt 5 dieses Beitrags). Der Zusammenhang zwischen der Begründungsaktivität und der Aktivität, auf die sie sich bezieht, wird dann z.B. über Prosodie oder inhaltliche bzw. weltwissensbezogene Aspekte hergestellt. Ein eindrucksvolles Beispiel für eine unmarkierte Argumentation findet sich bei DEPPERMANN und LUCIUS-HOENE (2006) in der Darstellung eines Mannes, dessen Bruder bei einem Autounfall zu Tode kam, bei dem der Erzähler selbst am Steuer saß. Der Erzähler schilderte in 13 in formaler Hinsicht nahezu prototypisch aufgebauten erzählerischen Episoden in äußerst detaillierter Weise den Todestag seines Bruders. Diese 13 Episoden wurden durch die einleitende Präambel gerahmt, wonach dieser Tag "komisch" (S.133) gewesen sei, und jede einzelne Episode drehte sich um einen vom Bruder initiierten Bruch mit sonst üblichen Normalitäten. Über in formaler Hinsicht prototypische episodische Erzählungen wird nach DEPPERMANN und LUCIUS-HOENE eine Argumentation mit impliziter Conclusio realisiert, die um die Schuldfrage kreist (der Bruder habe sein bevorstehendes Ende schicksalshaft geahnt und sich deswegen komisch verhalten, der Autofahrer konnte deswegen nicht verantwortlich sein). Die Besonderheit dieser argumentativen Darstellung liegt nun gerade darin, dass ihr argumentativer Charakter nicht explizit als solcher markiert, sondern im Rahmen einer Erzählung mit 13 Episoden mit gemeinsamer Moral (Ungewöhnlichkeit als Schicksalshaftigkeit) realisiert wurde. In solchen Fällen kann die Begründungs- oder Argumentationsaktivität als solche also nicht über formalsprachliche Marker, sondern nur über eine sequenzielle und funktionale Analyse rekonstruiert werden (vgl. auch BETTEN 2007, 2017).8) [29]

Aufgrund dieser Problematiken kommt eine rein formalsprachlich operierende Analyse an ihre Grenzen; u.U. ist dann eher eine aufwendige feinanalytische Herangehensweise nötig (vgl. auch WENGRAF 2001, S.245), bei der auch funktionale Zusammenhänge berücksichtigt werden. Eine solche Vorgehensweise liegt SCHÜTZEs Ideen nicht fern, da sich auch bei ihm eine Durchbrechung der Form-Orientierung bei der Textsortenbestimmung andeutet, wenn er auf die Existenz von Belegerzählungen anspielt, Textstücken also, die formal eine Erzählung darstellen und funktional in eine Argumentation eingebettet sind (z.B. KALLMEYER & SCHÜTZE 1977, S.169f., 187, 250). Umso wichtiger wird eine solche zugleich formal und funktional operierende Textsortenanalyse, wenn, wie in den folgenden Abschnitten verdeutlicht, die bei SCHÜTZE undifferenzierte Kategorie der Argumentation in spezifischere Textsorten wie z.B. Begründungen und Erklärungen unterteilt wird, die (fast) alle mit "weil" indiziert werden können. [30]

3.3 Unklarheiten und Begründungsdefizite bezüglich der Textsortentaxonomie

Wer nach Übersichten über die verschiedenen Textsorten sucht, wird oft auf die drei von SCHÜTZE definierten Sachverhaltsschemata stoßen, in manchen Fällen aber auch auf ausdifferenziertere oder gar gänzlich andere Textsortentaxonomien. In Bezug auf Erzählungen unterschieden LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004, S.145ff.) neben den von KALLMEYER und SCHÜTZE (1977) sowie ROSENTHAL (2015) erwähnten zwei Erzählmustern Bericht und Geschichte noch die Chronik, die in vielen Interviews "zur vorherrschenden Darstellungsform" werde (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.155).9) Sie diskutierten außerdem den Status von Erklärungen – in der Linguistik verstanden als Darstellung kausaler Ursachen für Ereignisse – als potenziell eigenständiges Schema, siedelten es im Kontext des biografischen Interviews aber als Unterform von Argumentationen und somit nicht eigenständige Textsorte an, da sie in diesem Kontext empirisch kaum von anderen Unterformen des Argumentierens (insbesondere dem Begründen) zu unterscheiden seien und auch keine andere Funktion hätten (S.166). NOHL (2017, S.23f.) führte zusätzlich zu Erzählungen, Beschreibungen und Argumentationen noch Bewertungen ein, und ULLRICH (2020, S.67f.) nannte als Textsorten Erzählung, Beschreibung, Begründung, Reflexion, Information, Validierung und Explikation. In linguistischen Publikationen wurde neben dem Erzählen und Beschreiben v.a. noch das Begründen (GOHL 2000), Erklären (MOREK 2012) und Argumentieren im engeren Sinne10) (HELLER 2012) unterschieden (vgl. auch BRINKER et al. 2000, 2001; QUASTHOFF, HELLER & MOREK 2021). [31]

Dies weist auf einen dritten problematischen Aspekt der bisherigen Auseinandersetzung mit Textsorten hin: Auf den ersten Blick erscheinen die vorliegenden Taxonomien und Definitionen uneinheitlich und teilweise inkommensurabel. Nicht immer wird ausreichend geklärt und begründet, warum welche Textsorten für wichtig erachtet, wie sie genau definiert und empirisch ausgestaltet werden. Diese Uneinheitlichkeit lässt sich dadurch erklären, dass die jeweils als bedeutsam angesehenen Textsorten einerseits von den konkreten inhaltlichen und methodologischen Forschungsinteressen (z.B. der jeweils interessierenden Sinnform) und andererseits (und davon beeinflusst) vom jeweiligen empirischen Kontext (z.B. der Interviewform) und den darin vorkommenden Schemata abhängig sind. Dies wurde bislang allerdings nicht immer in hinreichendem Maß expliziert. Damit bleibt eine grundlegende Idee unterbeleuchtet, nämlich dass das Textsortenkonzept inklusive der Textsortentaxonomie – genauso wie Methoden generell – nicht einfach nur angewandt werden können, sondern als Teil des methodischen Vorgehens ihrem Forschungsgegenstand angemessen sein und entsprechend flexibel angepasst werden müssen (BETHMANN 2020). Problematisch ist daher, wenn relevante Textsorten mitsamt ihrer Definition von konkreten Geprächskontexten und Forschungsinteressen abstrahiert und über den Entstehungskontext des narrativen Interviews hinaus kanonisiert werden. Um gegenstandsangemessen forschen zu könnten, müsste das Textsortenkonzept vielmehr an die jeweiligen Forschungskontexte und -interessen angepasst und dabei (weiter-)entwickelt werden (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.143ff.). Die von SCHÜTZE konzipierte Textsortentaxonomie kann somit als Ausgangspunkt für eine offene, gegenstandsangemessene Erarbeitung einer eigenen Taxonomie dienen (vgl. auch WENGRAF 2001, S.141f.). [32]

Festhalten lässt sich, dass in der Interviewforschung für die drei vorgestellten Probleme (fehlende Berücksichtigung der Interaktivität, Engführung auf formalsprachliche Marker, kanonisierte Textsortentaxonomie) bislang kaum explizite bzw. generalisierbare Lösungen entwickelt wurden. Anknüpfend an die aufschlussreichen Überlegungen von LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) sowie BETTEN (2003, 2007, 2009, 2017) und MAJER (2012) soll im Folgenden eine grundlegende methodologische Herangehensweise für die Textsortenbestimmung entwickelt werden, die für verschiedene Zwecke und Kontexte flexibel angepasst werden kann. In unserem eigenen Projekt hat sich GLOBE hierfür als äußerst hilfreich erwiesen, das wir zunächst näher vorstellen. [33]

4. GLOBE als linguistisches Beschreibungs- und Analyseverfahren für "Diskurseinheiten"

Mit GLOBE ("Globalität und Lokalität in der Organisation beidseitig-konstruierter Einheiten)" steht ein Beschreibungs- und Analyseverfahren für sogenannte "Diskurseinheiten" (in unserem Sinne: Textsorten) zur Verfügung, durch das die Textsortenbestimmung auf besonders systematische und explizite Weise dargestellt werden kann, das in der Interviewforschung bisher jedoch nicht wahrnehmbar rezipiert wurde. GLOBE wurde von Uta QUASTHOFF mit verschiedenen Kolleg*innen in unterschiedlichen Projektzusammenhängen entwickelt (z.B. HAUSENDORF & QUASTHOFF 2005 [1996]; s. auch bereits QUASTHOFF 1980 und für einen Überblick QUASTHOFF et al. 2021 sowie QUASTHOFF, KERN, OHLHUS & STUDE 2019) und ist in der interaktionalen Diskurslinguistik verortet. Wurde anfangs die Entwicklung der Erzählfähigkeit von Kindern fokussiert (HAUSENDORF & QUASTHOFF 2005 [1996]), wird GLOBE inzwischen auch für andere Textsorten angewandt, insbesondere für bildungssprachliche Praktiken des Erklärens und Argumentierens in der schulischen, familialen und Peer-Kommunikation (MOREK et al. 2017; s. auch HELLER 2012; MOREK 2012).11) Im Folgenden stellen wir dar, welche Herangehensweisen und Lösungen GLOBE für die genannten Probleme der Textsortenbestimmung in der Interviewforschung bietet. [34]

4.1 Grundlegend interaktive Produktion von "Diskurseinheiten"

Zentrales Merkmal von GLOBE ist, dass die Produktion von Diskurseinheiten prinzipiell als interaktive, d.h. von den Gesprächsbeteiligten gemeinsam zu bewerkstelligende Aufgabe angesehen wird. Diese Analyseeinstellung liegt zum einen in den untersuchten Kommunikationskontexten begründet, in denen Gespräche deutlich dialogischer ablaufen als im weithin monologisch konzipierten narrativen Interview. Zum anderen verweist diese Orientierung an der Dialogizität auf die theoretisch-methodologische Verortung innerhalb der Konversationsanalyse, mit der als Interaktionsanalyse die lokale und gemeinsame Erfüllung eines globalen Zwecks untersucht wird.12) Dabei kann es sich um "Diskurseinheiten" (WALD 1978) handeln, d.h. Einheiten, die mehr als einen Satz umfassen und in ihrem Umfang auch über die in der Konversationsanalyse oft fokussierten Paarsequenzen hinausreichen können. Solche größeren globalen Gesprächsstrukturen können etwa narrative Diskurseinheiten sein, wie sie von LABOV und WALETZKY (1973) in ihrer Binnenstruktur beschrieben wurden (vgl. auch QUASTHOFF, HELLER & MOREK 2017, S.86). Von der in der Soziologie, speziell von LUCKMANN (z.B. 1986) entwickelten Gattungsanalyse wurde die funktionale Sichtweise übernommen, dass solche größeren Äußerungseinheiten gesellschaftlich vorgefertigte und verfestigte Lösungen für wiederkehrende kommunikative Probleme darstellen. Die diskursive Praxis des Erklärens etwa ist "darauf zugeschnitten, Probleme des Wissenstransfers und der Wissensdemonstration zu lösen" (MOREK et al. 2017, S.17). [35]

Um eine Diskurseinheit zu produzieren, sind verschiedene "Jobs"13) zu erfüllen. Prinzipiell können alle Jobs von allen Beteiligten durchgeführt werden, allerdings gibt es typische gattungsspezifische Rollenverteilungen. Üblicherweise wird die Produktion einer Diskurseinheit nämlich von einem*r primären Sprecher*in übernommen (WALD 1978): der Person, die bspw. erzählt oder erklärt. Beim Argumentieren allerdings stehen die typischen Rollen Proponent*in und Opponent*in zur Verfügung (MOREK et al. 2017, S.18f.). Diskurseinheiten bzw. Textsorten gelten auch in ihrem Aktivitätskern als interaktiv konzipiert, da verschiedene Zuhörer*innenaktivitäten zentral für das Aufrechterhalten (oder Beenden) von Erzählungen sind. [36]

4.2 Orientierung an "Jobs" bzw. Funktionen

Empirisch bestimmt werden Diskurseinheiten bzw. Textsorten nicht über formalsprachliche Mittel, sondern zentral über die Rekonstruktion typischer "Jobs" bzw. Aktivitäten, die von den Beteiligten vollzogen werden müssen, um füreinander erkennbar eine bestimmte Diskurseinheit zu produzieren. Dies beginnt bei der gesprächsorganisatorischen Vorbereitung einer Diskurseinheit, bei der sie als eigene Einheit innerhalb eines Gesprächs konstituiert wird, führt über ihren Vollzug und endet mit ihrer gesprächsorganisatorischen Nachbereitung inkl. Abschluss. Somit lassen sich Randjobs (Vor- und Nachbereitung) und Kernjobs (Vollzug) unterscheiden. Für das Argumentieren bspw. sind folgende fünf Jobs konstitutiv:

In Tabelle 1 fassen wir die fünf Jobs nicht nur für das Argumentieren, sondern auch für das Erzählen und Erklären zusammen.

Tabelle 1: Jobs für verschiedene Diskurseinheiten (HAUSENDORF & QUASTHOFF 2005 [1996]; MOREK et al. 2017; QUASTHOFF et al. 2019). Bitte klicken Sie hier, um die PDF-Datei herunterzuladen. [38]

Mit der Zentralstellung der Jobs verlieren die formalsprachlichen Merkmale von Textsorten an Bedeutung. Stattdessen wird angenommen, dass sich die Beteiligten bei der Durchführung ihrer Aktivitäten unterschiedlicher oberflächensprachlicher Formen bedienen können (wobei es jedoch für spezifische Kontexte typische Formen geben dürfte). So können etwa ein Stirnrunzeln oder eine "Warum"-Frage genutzt werden, um eine Begründung für eine Äußerung einzufordern und so eine Diskurseinheit "Argumentieren" einzuleiten (QUASTHOFF et al. 2021, S.23). Diskurseinheiten können auch anhand unterschiedlicher Formen abgeschlossen werden. Beispielsweise kann durch Schweigen oder das Relevantsetzen einer anderen, parallel laufenden Aktivität zu einer anderen Diskursaktivität übergeleitet werden (MOREK et al. 2017, S.27). In der Folge kann eine Identifikation von Diskurseinheiten bzw. Textsorten anhand formalsprachlicher Indikatoren nicht mehr als eine erste und sehr grobe Annäherung darstellen (MOREK 2016, S.112). Erforderlich ist vielmehr eine kontextualisierende Sequenz- und Feinanalyse – auch um die verschiedenen hierarchischen und funktionalen Verschachtelungsverhältnisse von Diskurseinheiten bzw. Textsorten analytisch auflösen zu können. Wie MOREK (S.110f.) am Beispiel von Unterrichtsgesprächen zeigte, kann sich eine Deskription (wie sehen Nebelschwaden aus?) als Textsortenelement einer Erklärung herausstellen (was sind Nebelschwaden?), die wiederum Element einer Argumentation ist (wie lässt sich eine bestimmte metaphorische Gedichtzeile deuten?). Um eine solche Verschachtelung unterschiedlicher "Aggregationsebenen" (S.125) rekonstruieren zu können, muss die spezifische sequenzielle und funktionale Eingebundenheit von Äußerungen dezidiert berücksichtigt werden – was dazu führt, dass die Textsortenbestimmung komplexer wird, aber im Ergebnis auch zu einer tieferen Analyse beiträgt (vgl. in diesem Sinne auch LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.173). [39]

4.3 Kontextspezifische Relevanz und Ausgestaltung von "Diskurseinheiten"

Bislang wurden mit GLOBE prioritär das Erzählen, Erklären und Argumentieren analysiert, diese sind jedoch nicht als ausschließlich zu verstehen. MOREK (2016, S.95) beispielsweise verwies in ihrer Analyse von Formen mündlicher Darstellungen im Deutschunterricht noch auf das Beschreiben, das sie als "phänomenorientierte, zerlegende Repräsentation (v.a. räumlicher und oberflächennaher Natur)" definierte. Zusätzlich erwähnte sie bewertende Aktivitäten, die jedoch im Kontext des Unterrichtsgesprächs ein Begründen implizierten und somit eine argumentative Diskurseinheit eröffneten (S.119), weswegen bewertende Aktivitäten hier keinen eigenständigen Stellenwert als Diskurseinheit hätten. [40]

Allgemeiner formuliert: Für die Definition von Diskurseinheiten bzw. in unserem Verständnis Textsorten gilt, dass sie nicht auf theoretisch hergeleiteten Vorab-Setzungen durch die Forschenden beruhen, sondern Rekonstruktionen der von den Gesprächsbeteiligten im jeweiligen Kontext genutzten gattungsmäßigen Aktivitäten darstellen. Insofern ist die Textsortentaxonomie prinzipiell offen, weil es die kontextspezifische Bedeutsamkeit sowie Ausgestaltung von Diskurseinheiten bzw. Textsorten zu berücksichtigen gilt. Mit Blick auf andere Gesprächskontexte und andere Interviewverfahren stellt sich die Frage, welche Textsorten hier kontextuell relevant sind und inwiefern dann entsprechend vorliegende Taxonomien ergänzt oder modifiziert werden müssen. [41]

4.4 Zwischenfazit

Wie deutlich wurde, weisen die in der qualitativen Interviewforschung gängige Art und Weise der Textsortenbestimmung und diejenige nach GLOBE einige Unterschiede auf, die in Tabelle 2 zusammengefasst sind: Während sich Interviewforschende im Rahmen einer formalen Textanalyse primär auf die Äußerungen der Interviewten stützen, darin die Textsorten anhand formalsprachlicher Indikatoren identifizieren und sich dabei – grosso modo – auf die inzwischen kanonisierten drei Textsorten der Erzählung, Beschreibung und Argumentation konzentrieren, analysieren Forschende, die GLOBE nutzen, die Beiträge aller Gesprächsbeteiligten im Hinblick auf die dort bearbeiteten Aufgaben bzw. Jobs bei empirischer Offenheit für weitere Diskurseinheiten bzw. Textsorten und ihre kontextspezifischen Variationen. Dadurch wird die Textsortenanalyse zu einer recht aufwendigen Aufgabe: Um Textsorten adäquat erkennen zu können, braucht es eine kontextualisierende Fein- und Sequenzanalyse.

Dimensionen der Textsorten-bestimmung

Heutige Interviewforschung

GLOBE

SCHÜTZEs (und KALLMEYERs) Werke

Analysegegenstand

Primär Äußerungen der Interviewten

Beiträge aller Gesprächsbeteiligter

Beiträge aller Gesprächsbeteiligter, aber zugleich besonderes Interesse an den Äußerungen der Interviewten

Analysefokus

Formalsprachliche Indikatoren

Jobs (formalsprachliche Marker nur als erste Annäherung)

Konstitutive Aufgaben und formalsprachliche Indikatoren

Unterschiedene Textsorten

Weitgehende Kanonisierung hin zu drei Textsorten

Empirische Offenheit für weitere Diskurseinheiten und ihre kontextspezifische Ausgestaltung bzw. ihre Variationen

Empirische Rekonstruktion statt theoretische Vorabdefinition von Sachverhaltsschemata

Analysemodus

Formale Textanalyse

Kontextualisierende Fein- und Sequenzanalyse

Unklar

Tabelle 2: Zusammenfassung zentraler Merkmale der Textsortenbestimmung in unterschiedlichen Verfahren [42]

Diese Divergenz zwischen Interviewforscher*innen, die sich an SCHÜTZEs Arbeiten orientieren, und GLOBE darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass SCHÜTZEs (und KALLMEYERs) stark konversationsanalytisch geprägten Äußerungen zu Sachverhaltsschemata und ihrer Bestimmung (z.B. KALLMEYER & SCHÜTZE 1977; SCHÜTZE 1976b, 1984) GLOBE sehr ähnlich sind: In Bezug auf den Analysegegenstand stehen zwar im narrativen Interview die Äußerungen der Interviewten im Fokus, gleichzeitig werden aber die Beiträge aller Gesprächsteilnehmer*innen berücksichtigt. Schließlich löst allein die Anwesenheit einer fremden Person – hier des*der Interviewer*in – die verschiedenen Zugzwänge des Erzählens aus (den Detaillierungs-, Kondensierungs- und Gestaltschließungszwang; vgl. KALLMEYER & SCHÜTZE 1977, S.187ff.). In Bezug auf den Analysefokus lässt sich festhalten, dass auch bei SCHÜTZE eine Orientierung an verschiedenen Interaktionsphasen mit ihren je unterschiedlichen Aufgaben festzustellen ist (Stichworte: Drei-Phasen-Modell und Abarbeiten eines spezifischen Aufgabenkatalogs im Schemakern, s. Abschnitt 2.1). Auch in Bezug auf die unterschiedenen Textsorten ergibt sich bei näherer Betrachtung eine hohe Affinität zwischen KALLMEYER und SCHÜTZE (1977, S.165ff.) und GLOBE, denn grundsätzlich sehen erstere die Narrationsanalyse als eine streng empirisch ausgerichtete Disziplin, weswegen beispielsweise die empirisch begründeten und erarbeiteten (Erzähl-) Definitionen vom bekannten Erzählschema von LABOV und WALETZKY (1973) abweichen können. GLOBE für die Textsortenbestimmung in der Interviewforschung fruchtbar zu machen führt insofern back to the roots, als SCHÜTZEs (und KALLMEYERs) ursprüngliche Überlegungen zu Sachverhaltsschemata und ihrer Bestimmung aufgegriffen und weiterentwickelt werden. [43]

5. Ein Verfahrensvorschlag für die Textsortenbestimmung in qualitativen Interviews

Von den GLOBE-Autor*innen wurde zwar die Kontextspezifität der Relevanz und Ausgestaltung von Textsorten betont, jedoch liegen noch keine Anwendungen für den Kontext qualitativer Interviews vor. Im Folgenden zeigen wir anhand des Vorgehens in unserem eigenen Methodenforschungsprojekt, wie sich GLOBE und damit verbunden SCHÜTZEs und KALLMEYERs zunächst sehr differenzierte Ideen für eine alternative Art der Textsortenbestimmung in der Interviewforschung fruchtbar machen lassen. Dadurch lassen sich nicht nur die in Abschnitt 3 angesprochenen Probleme der bisherigen Art und Weise der Textsortenbestimmung adäquat adressieren, sondern darüber hinaus auch Forschungsgegenstandsangemessenheit und Flexibilität der Methodik als zentrale Grundprinzipien qualitativen Forschens auf die Textsortenunterscheidung und -bestimmung selbst anwenden. [44]

5.1 Berücksichtigung von Interviewendenbeiträgen

Die Idee aus GLOBE, dass jede Diskurseinheit bzw. Textsorte von allen Interaktionspartner*innen produziert wird (wenn auch in unterschiedlichen Rollen), bietet einen wichtigen Ausgangspunkt, um den interaktiven Charakter von Textsorten erfassen zu können. Wie lässt sich die Annahme der "Beidseitigkeit" der Produktion von Diskurseinheiten nun konkret auf Interviews übertragen?

In der Folge betrachten wir als Analysegegenstand bei der Textsortenbestimmung dezidiert die verschiedenen Beiträge von Interviewten und Interviewenden, die wie erwähnt nicht nur über Fragen bzw. frageäquivalente Stimuli, sondern auch über Zwischen- und Nachfragen sowie verschiedene Kleinstbeiträge (darunter auch Rezeptionssignale) als Initiator*innen und "editorische Helfer" (MEY 2000, S.12) bei der Textsortenproduktion fungieren können.14) Mit anderen Worten bezieht sich unsere Textsortenbestimmung nicht lediglich auf die in den Antworten enthaltenen Textsorten, sondern auf Fragen, andere Interviewendenbeiträge und Antworten in ihrem Zusammenhang. [46]

5.2 Form und Funktion

In Bezug auf den Analysefokus dienten uns formalsprachliche Merkmale als erste, grobe Hinweise auf Textsorten, wobei das eigentliche Interesse der Rekonstruktion der vollzogenen textsortenbezogenen Aufgaben galt, die wir durch eine sequenzielle und kontextualisierende Analyse ermittelten. Eine wichtige Auswertungsstrategie für die sequenzielle Analyse war – in Ergänzung zu GLOBE – die aus der objektiven Hermeneutik bekannte Analysestrategie des gedankenexperimentellen Entwurfs möglicher Anschlüsse (OEVERMANN 2000). Auf diese Weise entwickelten wir Interpretationen für einzelne Beiträge wie z.B. Fragen und die durch sie eröffneten Möglichkeitsräume z.B. hinsichtlich sinnhafter Antworten. Mit anderen Worten: Welche Textsorte(n) wurde(n) in und durch Fragen relevant gemacht, welche damit einhergehenden Aufgaben wurden in den Antworten tatsächlich bearbeitet und was sagte dies über den spezifischen Selektionsmodus der Interviewten im Hinblick auf bestimmte Fragen aus? Für die Rekonstruktion von Textsorten via Jobs war es auch nötig, die Analyse nicht auf einzelne Frage-Antwort-Sequenzen zu begrenzen, sondern sie in einem größeren Kontext zu sehen, der mitunter verschiedene Fragen, Zwischen- und Nachfragen und entsprechende Antworten umfassen konnte. Eine Frage wie "Was haben Sie damals gelernt?" verweist alleine aufgrund ihrer zeitlichen Indexikalität ("damals") auf einen vorherigen Kontext, der bekannt sein muss, um die Frage sinnvoll beantworten und die Frage-Antwort-Sequenz verstehen zu können. Noch wichtiger allerdings ist, dass die spezifische textsortenbezogene Funktion dieser Sequenz nur durch den größeren Kontextbezug erschlossen werden kann.15) [47]

Eng mit der Kontextgebundenheit der Bedeutung von Frage-Antwort-Sequenzen verknüpft ist der Aspekt der berücksichtigten Ebenen. Um die vielfältigen Verschachtelungen und Einbettungen adäquat zu adressieren, unterscheiden wir drei Ebenen: 1. die kleinste Ebene der Textsortenelemente (ULLRICH 2020) analog zu Hintergrundkonstruktionen im SCHÜTZE'schen Sinne, 2. die uns hauptsächlich interessierende Ebene der Textsorten, die verschiedene Elemente umfassen kann, und 3. die "größte" Ebene der Diskurseinheiten – wobei wir diesen GLOBE-Begriff für Einheiten jenseits der Textsortengröße nutzen wollen. DEPPERMANNs und LUCIUS-HOENEs (2006) Beispiel einer "argumentativen Erzählung" in 13 Episoden (S.133ff.) würde in unserem analytischen Vokabular also aus 13 Erzählungen als Textsorten bestehen, die in einem übergeordneten diskursiven Argumentationskontext stehen. Die Unterscheidung dieser Ebenen erlaubt also, funktionale Zusammenhänge zwischen Textsortenelementen, Textsorten und Diskurseinheiten in den Blick zu nehmen und darüber die Eingebundenheit der einzelnen Elemente bzw. Textsorten in größere Zusammenhänge genauer zu bestimmen. Da dabei nicht immer intuitiv erkennbar ist, ob es sich bei einer Sequenz um eine eigenständige Textsorte oder nur ein Textsortenelement – wenn ja: innerhalb welcher Textsorte? – handelt, das in eine größere Sinneinheit eingebettet ist, ist eine Berücksichtigung des weiteren Interviewkontexts wichtig. [48]

5.3 Textsortentaxonomie

Die im Folgenden vorgestellte analytische Taxonomie ist das Resultat eines zunächst offenen und zunehmend empirisch gesättigten Prozesses der Deskription und Rekonstruktion von Textsorten in unserem methodisch vielfältigen Datenkorpus. Wir verstehen sie als eine Art empirisch begründeter Theorie dazu, welche Textsorten in gänzlich verschiedenen Typen qualitativer Interviews relevant sind, d.h. von den Beteiligten elizitiert und produziert werden. [49]

Um das Geschehen in den uns vorliegenden Daten gemäß unserem Forschungsinteresse an Frage-Bedeutungen und Frage-Antwort-Zusammenhängen adäquat erfassen zu können, unterschieden wir im Ergebnis sieben Textsorten (Erzählung, Beschreibung, Argumentation im engeren Sinne, Begründung, Erklärung, Bewertung, Information). Ihre Definitionen wurden im Forschungsprozess in Auseinandersetzung mit dem eigenen Datenmaterial und mit v.a. linguistischen Beiträgen zu Textsorten (s. Anmerkung 2) sukzessive entwickelt und empirisch gesättigt. In Tabelle 3 liefern wir einen Überblick über die für die Textsortenproduktion erforderlichen Kernaktivitäten und veranschaulichen diese beispielhaft anhand einer Frage-Antwort-Sequenz (die Randjobs wurden jenseits der Einleitung durch die Fragen nicht abgebildet, da sie wenig textsortenspezifisch sind).

Tabelle 3: empirische Beispiele für die Textsortenunterscheidung. Bitte klicken Sie hier, um die PDF-Datei herunterzuladen. [50]

Im Vergleich zur Textsortenunterscheidung aus der Narrationsanalyse ergaben sich zwei wesentliche Änderungen: Während die Definitionen der Textsorten Erzählung und Beschreibung, wie sie in der Interviewforschung z.B. KALLMEYER und SCHÜTZE (1977), LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) sowie ROSENTHAL (2015) vorgeschlagen haben, auch für unser Material passend waren, war es nötig, die narrationsanalytische Residualkategorie der Argumentation wie folgt in vier spezifischere Textsorten auszudifferenzieren:

Ergänzt haben wir außerdem die Textsorte der Information, wie wir sie vorläufig (auch mangels einer besseren Bezeichnung) nennen wollen. Auch wenn diese in der qualitativen Interviewforschung tendenziell als unerwünscht gilt, da im Fokus der Datenerhebung nicht die geschlossene Faktenabfrage, sondern die Elizitation umfassenderer Wissensformationen steht (ROULSTON 2008), waren Informationsfragen und -antworten in unserem Material empirisch außerordentlich relevant und bedurften daher einer Charakterisierung.16) Entgegen mancher Verwendungsweisen, bei denen Information mit Wissen allgemein und Informieren mit der Wissensweitergabe gleichgesetzt wird17), legen wir eine sehr viel engere Definition von Informationen zugrunde (SCHWITALLA 1979, S.117; ULLRICH 2020, S.67; vgl. auch ROLF 1983, S.55ff.): Informationen umfassen in unserem Verständnis keinen vollständigen Sachverhalt, sondern lediglich Elemente eines Sachverhalts (z.B. involvierte Akteur*innen, Ort oder Zeit des Geschehens) und beziehen sich somit auf faktenbezogene, weithin wertfreie sowie v.a. punktuelle Aspekte eines Geschehens. Ein paradigmatisches Beispiel ist das Stellen und Beantworten bestimmter "kleiner" W-Fragen (wer, was, wo, wann?). Entsprechend sind Informationen ein Grenzfall: Sie können u.E. zwar eine Textsorte darstellen, wenn sie eine gewisse Eigenständigkeit aufweisen und sich damit von Informationen als Textsortenelement abgrenzen, aber keine Diskurseinheit, da sie die Satzgrenze selten übersteigen und außerdem wenig gesprächsorganisatorische Vor- und Nachbereitung erfordern. [52]

6. Beispielanalyse

Mit der folgenden Beispielanalyse zeigen wir, wie wir GLOBE genutzt haben, um das Textsortengeschehen in den von uns untersuchten Daten beschreiben und verstehen zu können – von Interviews also, die in Teilen sehr dialogisch waren und in dieser Dialogizität in starkem Kontrast zu idealtypisch verlaufenden narrativen Interviews stehen. Anhand eines solchen Beispiels sollen zentrale Perspektivierungen von GLOBE gerade auch in ihrer Abweichung zur bisherigen Art und Weise der Textsortenbestimmung in der qualitativen Interviewforschung veranschaulicht werden. Dies betrifft:

Das folgende Interviewbeispiel stammt aus der Studie "Brüchige Legitimationen – neue Handlungsorientierungen? Gerechtigkeitsansprüche und Interessenorientierungen in Arbeit und Betrieb vor dem Hintergrund von Krisenerfahrungen" (WOLF, TULLIUS & VOGEL 2012-2014, Interview: AU_B_B_5, hier zitiert S.1-2), und stellt innerhalb dieser Studie ein außergewöhnlich knappes, dialogisch gestaltetes Interview dar. Der in Tabelle 4 zitierte Ausschnitt enthält die ersten Fragen des*der Interviewer*in (im Transkript wurde keine Geschlechterbenennung vorgenommen) nach einigen allgemeinen "Regieanweisungen" zum Interview sowie die von uns identifizierten Textsorten (hervorgehoben durch Kursivschrift). Eine ausführlichere Analyse, wie die jeweiligen Textsorten sprachlich produziert wurden, findet sich im Anschluss an die Tabelle. Die interviewende Person wird in der Tabelle mit "I", die interviewte Person mit "B" abgekürzt.

Tabelle 4: Beispielanalyse. Bitte klicken Sie hier, um die PDF-Datei herunterzuladen. [54]

In Segment 1 eröffnete die interviewende Person das Interview mit einigen rahmenden Bemerkungen, in deren Zuge sie "Ihre Arbeit" als Thema und "wenn Sie das Heft in die Hand nehmen würden" als anvisierten Interviewmodus präsentierte und damit die Strukturierung des Interviews wesentlich in die Hand des Interviewten gab. Darüber hinaus nannte sie einige sie interessierende Aspekte, die verschiedene Textsortenbezüge implizierten: Beschreibungen ("was Sie tun"), Bewertungen ("wie Sie das beurteilen", "Bewertungen") sowie Argumentationen und Begründungen ("Meinungen", "persönliche Meinung oder Ansichten"). Im Anschluss daran formulierte der*die Forscher*in in Segment 2 einen Erzählstimulus zur Ausbildungs- und Berufsbiografie des Interviewten bis hin zur aktuellen Tätigkeit. Mit anderen Worten: Er*sie bereitete eine Erzählung gesprächsorganisatorisch vor, indem eine Inhaltsrelevanz (Thema Ausbildungs- und Berufsbiografie) erzeugt und ein Erzählinteresse (Erzählbitte) signalisiert wurden. Gleichwohl handelte es sich hierbei nicht um eine eindeutige Einladung zu einer ausführlichen, selbstläufigen lebensgeschichtlichen Darstellung. Zwar kann die Frage "wie sind Sie hier gelandet" im Speziellen und die Mehrfachfrage im Allgemeinen ein Erzählpotenzial entfalten – erstere als Variante der klassischen Formulierung eines erzählgenerierenden Stimulus ("wie kam es, dass"), letztere über ihre Vagheit und Offenheit (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2014, S.68) –, allerdings gibt es auch Hinweise, die eine eher knappe Beantwortung der Frage sinnvoll erscheinen ließen: Erstens verdeutlichten die adversative Konjunktion "aber" und die Charakterisierung als "gezielte Frage", dass diese erste Redeaufforderung des Interviews mit dem zuvor dargestellten Interviewmodus ("möglichst viel erzählen") kontrastiert. Zweitens wurde mit der Informationsfrage nach der Zeit ("wann das war") das Interesse (auch) auf konkrete Fakten gelenkt. Drittens machte die Relevanzhochstufung "die wichtigsten Stationen" eine Kondensierung des Dargestellten erforderlich. [55]

Der Interviewte nahm in Segment 3 die Erzählelizitation an ("ja gut") und ging dann zur Erfüllung der Kernaktivitäten über, indem er eine maximal reduzierte, chronologisch geordnete (Jahreszahlen, "dann") Ereignis- bzw. Handlungssequenz wiedergab, bei der er sich auf Schulabschluss, Ausbildungsabschluss und seine kontinuierliche Tätigkeit in einer nicht näher benannten Abteilung in der Firma konzentrierte. Dies lässt sich mit LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004, S.154ff.) als Erzählmuster "Chronik" – als aufzählende Abfolge diskreter Ereignisse – fassen. Mit der gegenwartsbezogenen Formulierung "wo ich eigentlich heute noch bin" schloss der Interviewte seine Darstellung vergangener Stationen ab, wobei das Adverb "eigentlich" andeuten kann, dass es sich um eine vereinfachte Darstellung handelte. [56]

Für den*die Interviewer*in (Segment 4ff.) hingegen waren mit der Produktion einer Chronik die Kernaktivitäten offenbar nicht hinreichend erfüllt – er*sie ließ sich nicht auf die "nachbereitenden" Aktivitäten des Abschließens und Überleitens zu einer neuen Diskursaktivität ein, sondern kehrte zu den Kernaktivitäten zurück. Dies geschah jedoch nicht durch eine erneute oder reformulierte Erzählbitte, sondern durch eine zielgerichtete, über andere Textsorten und Frageformate realisierte Erfragung von ihm*ihr fehlenden biografischen Aspekten: 1. Mit der Informationsfrage "Was haben Sie damals gelernt?" und der entsprechenden Antwort "Dreher" wurden die Textsorte der Information produziert und die in der bisherigen Antwort nicht näher dargestellte Ausbildung benannt (Segmente 4 und 5). 2. Mit dem echoähnlichen Statement "86 ausgelernt und sind dann in die" (Segment 6) adressierte der*die Interviewer*in in der Chronik des Lebenslaufs eine spätere Situation, nämlich den Übergang von der Ausbildung in eine nicht näher genannte andere Station (zur Echofrage und ihren affirmativen oder explikativen Funktionen s. ROST-ROTH 2006). Dieses Statement stellt in formaler Hinsicht keine Frage dar, hat aber eine frageäquivalente Wirkung, da die interviewende Person das Rederecht an den Interviewten zurückgab und eine Explikation des Erwähnten erwartbar machte. Diese lieferte der Interviewte sodann in Segment 7 in Form einer Information ("das war die [Produkt]fertigung gewesen") und schloss eine Hintergrundbeschreibung an (Ort der Abteilung, Abkürzung für das heutige Produkt der Abteilung), die auch die vorherige Vagheit des "eigentlich" behob. Mittels einer Informationsbitte erfragte die interviewende Person sodann die Bedeutung der Abkürzung, die der Interviewte in den Segmenten 8 und 9 lieferte. 3. Schließlich griff der*die Interviewer*in in Segment 10 auch die bis dahin nicht beantwortete Frage auf, wie der Interviewte zur Firma gekommen war, wobei er*sie in der konkreten Fragereformulierung nicht mehr in erzählgenerierender Hinsicht auf den Prozess, sondern auf eine Begründung abstellte (Frage nach Alternativen und nach Beweggründen). Dies durchbrach den rein aufzählenden Charakter einer Chronik und lenkte den Gesamtcharakter der erhofften Antwort in Richtung Bericht, der als Erzählmuster im Vergleich zur vollausgebauten Geschichte zwar ebenfalls recht reduziert ist, aber doch mehr Details, etwa zur Verknüpfung biografischer Phasen oder Geschehnisse, enthält (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.153ff.). Der Interviewte lieferte in Segment 11 nach einem Redeannahmemarker ("na ja gut") eine Begründung (Mutter arbeitete bereits in der Firma; Pleite des angedachten Ausbildungsunternehmens) mit Erklärungselementen insofern, als sich zumindest Teile des Dargestellten (Pleite) seiner Handlungsmacht entzogen. [57]

Indem die interviewende Person im anschließenden Segment 12 nun gerade nicht zu einer neuen Diskursaktivität überging, sondern mittels eines Statements zur Unterschiedlichkeit der Berufe bei den unterschiedlichen Ausbildungen verweilte, signalisierte sie, dass weiterer Begründungsbedarf zur Ausbildungswahl bestand, d.h. die Kernaktivität des Begründens aus ihrer Sicht nicht ausreichend durchgeführt worden war. Auch dieses Statement stellt in formaler Hinsicht keine Frage dar, hatte aber erneut frageäquivalente Wirkung und lud im Sinne einer Explikation dazu ein, die Unterschiedlichkeit zu kommentieren. Der Interviewte nahm jedoch nicht direkt zur Unterschiedlichkeit Stellung, sondern produzierte vielmehr eine Bewertung aus damaliger ("Notlösung") und heutiger Sicht ("aber ging ja bis heute"), die implizierte, dass die damalige "Wahl" seines schlussendlichen Ausbildungsberufs nicht seinen Wünschen entsprochen hatte und somit nicht begründet, sondern allenfalls über sich seiner Agency entziehende Geschehnisse erklärt werden konnte, wobei er aber eine komplette Negativevaluation mit Verweis auf die Kontinuität in seinem Berufsleben zurückwies (Segment 13). [58]

In der nachfolgenden Auslassung, die der Raffung der Analyse dient und in der analytisch betrachtet nichts Neues passierte, stellte der*die Interviewer*in im Rahmen von sechs Frage-Antwort-Zügen weitere Fragen und Nachfragen zu den Erwartungen, die der Interviewte an seine Ausbildung und Arbeit gehabt hatte (Beschreibung/Bewertung), ob zum Tätigkeitsbeginn des Interviewten bereits ein spezifisches Produkt gefertigt worden (Information) und welche die erste Tätigkeit des Interviewten im Unternehmen gewesen war (Information). Nach dessen Antwort "das war Drehen und Reibschweißen. nach wie vor", schloss der*die Interviewer*in (hier als Segment 14 dargestellt) die Diskurseinheit berufsbiografische Erzählung, in die verschiedene Textsorten (Begründungen, Beschreibungen, Informationen und Bewertungen) eingebettet waren, ab und leitete zu einer neuen Diskursaktivität über, indem er*sie eine Frage zu einem anderen Thema (Beschreibung des Arbeitsalltags) stellte. Diese Frage hat die Scharnierfunktion der gesprächsorganisatorischen Nachbereitung einer vorherigen Diskursaktivität (Signalisieren, dass diese aus Sicht der interviewenden Person abgeschlossen war) und gleichzeitigen Vorbereitung einer neuen Diskursaktivität (Relevantmachen eines neuen Themas und Etablieren einer neuen Darstellungsaufgabe). [59]

Insgesamt verstehen wir diese Passage als eine Diskurseinheit Erzählung im Erzählmuster Bericht/Chronik, bei der beide Gesprächspartner*innen gemeinsam an der Textsortenproduktion arbeiteten. Hierbei übernahm der*die Interviewer*in nicht nur rahmende Jobs, sondern arbeitete über zielgerichtete Fragen und frageäquivalente Statements auch an den Kernaktivitäten mit. Zudem wird hier die funktionale Verschachtelung von Textsorten und Diskurseinheiten sichtbar, wenn die größere Darstellungsaufgabe "ausbildungs- und berufsbezogene Erzählung", die der Interviewte offenbar nicht zur Zufriedenheit des*der Interviewer*in erfüllte, mittels anderer, "kleinerer" Textsorten (Information, Beschreibung, Begründung/Bewertung) gewissermaßen herunteroperationalisiert wurde. Eine solche stark von den Forschenden strukturierte Textsortenproduktion kann verschiedene Hintergründe haben: eine mögliche Unklarheit des Interviewten bezüglich der erwünschten Ausführlichkeit und des Grads an Selbstgestaltung der Antwort ("wenn Sie das Heft in die Hand nehmen würden" vs. "gezielten Frage"), ein mögliches interviewendenseitiges Interesse nur an bestimmten (nämlich den abgefragten) Aspekten des Lebenslaufes oder ein sprachökonomischer Stil des Interviewten, der sich auf Minimalantworten beschränkt und mehr andeutet als ausführt (vgl. zu einem solchen Sprechstil HELFFERICH 2011, S.153f.). Funktional sind Informationsfragen hier insofern, als durch sie für die Forschenden wichtige, aber in der vorigen biografischen Thematisierung des Interviewten fehlende Aspekte zur Sprache kamen. Dysfunktional können diese Fragen, wenn es durch sie nicht möglich ist, längere, selbstläufige Antworten zu motivieren. [60]

Diese beispielhafte Analyse zeigt, wofür eine an GLOBE geschulte Textsortenbestimmung nützlich sein kann: Sie erlaubt Rückschlüsse auf den Zusammenhang von Fragen und Antworten anhand der elizitierten (d.h. per Frage oder anderer Äußerung konditionell relevant gemachten) und produzierten (d.h. in den Antworten formulierten) Textsorten. Im Speziellen konnten wir auf diese Weise ein empirisch basiertes Verständnis für die interaktionalen Folgen und (Dys-)Funktionen verschiedener Frageformate und Frageformulierungen entwickeln. Informationsfragen beispielsweise gelten in der Methodenliteratur tendenziell als "Interviewfehler". In unserer Analyse hingegen sehen wir, dass die (Dys-)Funktionen von Informationsfragen nicht pauschal zu bestimmen sind, sondern wesentlich von ihrer sequenziellen Platzierung in und Verschränkung mit anderen Textsorten bzw. Diskurseinheiten abhängen. Bezüglich prozessorientierter und daher oft als narrativ geltender "Wie kam es, dass"-Fragen (im Beispiel: "wie Sie dann hier bei [Firma] in [Ort] gelandet sind") zeigt sich, dass diese nicht nur und manchmal vielleicht sogar weniger als Erzählbitte verstanden werden, sondern (auch), wie die Nachfrage des*der Interviewer*in nach Alternativen und Beweggründen nahelegt, als Begründungsaufforderung. Tatsächlich hat sich auch in anderen Interviews herausgestellt, dass das Frageformat "wie kam es, dass" typischerweise als Erzähl- und Begründungsaufforderung, teilweise auch nur als Begründungsaufforderung behandelt wurde.18) [61]

7. Zusammenfassung

Mit diesem Beitrag möchten wir die seit SCHÜTZEs grundlegenden Beiträgen weitgehend verstummte Diskussion um Textsorten in der qualitativen Interviewforschung wiederbeleben und zur Weiterentwicklung des Textsortenkonzepts sowie der Textsortenbestimmung anregen. Im vorliegenden Beitrag haben wir auf Basis von GLOBE, einem gesprächslinguistischen Verfahren zur Textsortenanalyse, Vorschläge entwickelt, um drei grundlegende Probleme der in der qualitativen Interviewforschung etablierten Art und Weise der Textsortenbestimmung zu lösen. Diese führen zurück zu SCHÜTZEs ursprünglich stark konversationsanalytisch geprägten Ausführungen zu Textsorten und ihrer Bestimmung:

Kurz gefasst sollte das Textsortenkonzept wie jede methodische Herangehensweise in der qualitativen Interviewforschung verwendet werden: nicht als strikte Anwendung der Methode gemäß Lehrbuch, sondern als Heuristik, die gemäß eigener Projekterfordernisse entlang der Kriterien der Offenheit und Flexibilität im Methodengebrauch zugunsten der Herstellung von Gegenstandsangemessenheit angepasst werden muss und kann (BETHMANN 2020). [63]

Abschließend möchten wir noch auf zwei Begrenzungen unseres Ansatzes eingehen: Während unser Vorgehen für manche Interviewforschenden den Eindruck erwecken könnte, durch eine Orientierung an einem "linguistischen Goldstandard" (um ein schönes Zitat aus einem der Gutachten aufzugreifen) aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes nicht praktikabel zu sein, könnten linguistische Forscher*innen Verkürzungen monieren. Die von uns vorgestellte Vorgehensweise der Textsortenbestimmung hat sich in unserem Forschungskontext bewährt, weil sie eine differenzierte Untersuchung der Bedeutung von Fragen und Frageformulierungen für Antworten ermöglicht hat. In anderen Forschungszusammenhängen hingegen kann sich die Frage der Relevanz und Gegenstandsangemessenheit der Textsortenbestimmung anders stellen und damit auch anders beantwortet werden. Die herkömmliche Art und Weise der Bestimmung (Stichworte: monologische Produktion, formalsprachliche Merkmale, Unterscheidung der üblichen drei Textsorten) mag in manchen Projekten als Basis für das Erzielen tragfähiger inhaltlicher Erkenntnisse ausreichen, während in anderen Projekten eine intensivere und weiter differenzierte Beschäftigung erforderlich ist (Stichworte: nicht-narrative Interviews bzw. gemeinsame Textsortenproduktion, aufgabenorientierte Bestimmung, Erweiterung der bisherigen Textsortentaxonomie). Wir verstehen unseren Vorschlag daher als Anregung für Interviewforschende, die in ihren Projektzusammenhängen mit der etablierten Art der Textsortenbestimmung an ihre Grenzen kommen und/oder etablierte Methoden gegenstandsangemessen weiterentwickeln wollen. Anzumerken ist allerdings auch, dass die Intensität der analytischen Auseinandersetzung mit Textsorten (genauso wie die Intensität von Analysen generell) selbstredend auch von den zur Verfügung stehenden finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen abhängt. Eine entscheidende Voraussetzung für vertiefte Analysen ist ferner eine bestimmte Qualität der vorliegenden Transkripte, da eine vornehmlich semantisch orientierte Transkription detaillierte Analysen des interaktiven Geschehens erschwert (HOUBEN & ECKERT 2022). [64]

Daran schließt unmittelbar eine konzeptuelle Einschränkung des vorgestellten Ansatzes an, die den für die Interviewforschung charakteristischen Logozentrismus betrifft: In unserer Analyse und Darstellung haben wir uns auf die (para-)sprachliche Ebene der Textsortenproduktion beschränkt bzw. beschränken müssen, da wir in unserem Projekt archivierte Transkripte sekundäranalytisch genutzt haben und in aller Regel keinen Zugang zu Audio- bzw. den ohnehin nicht existierenden Videoaufnahmen der Interviewsituationen hatten (s. dazu Anmerkung 14). Die Leiblichkeit und Körperlichkeit von Interaktion, die sich z.B. im Stirnrunzeln oder Nicken der Forschenden niederschlägt und ebenfalls textsortenrelevant sein kann, stellt demgegenüber sowohl theoretisch als auch methodisch noch weitgehend eine Leerstelle in der qualitativen Interviewforschung dar. Während in der Soziologie als wichtiger Bezugsdisziplin qualitativer Sozialforschung einige theoretische Auseinandersetzungen zu Leiblichkeit und Körperlichkeit vorliegen, müssen praktikable methodische Zugänge spezifisch für die Interviewforschung erst noch entwickelt werden (GUGUTZER, KLEIN & MEUSER 2022a, 2022b). Die in der Gesprächsforschung praktizierte multimodale Analyse von Interaktionen auf Basis von Videoaufnahmen bietet hierfür wichtige Anregungen, findet aber ihre Grenzen in der Abwägung von Aufwand und Ertrag z.B. für vorwiegend sprachlich-inhaltsbezogene Fragestellungen. In unserem Beitrag reflektieren wir insofern den (für manche sicherlich bedauerlichen) Status quo der Interviewforschung, bei dem die Analyse mancher interaktiver Features von Interviews aufgrund bestimmter Aufnahme- und Transkriptionstechniken eingeschränkt wird. Ein Anliegen für zukünftige Auseinandersetzungen in der qualitativen Interviewforschung im Allgemeinen und zum Textsortenkonzept im Speziellen könnte folglich darin bestehen, Mehrwert, Praktikabilität, aber auch Herausforderungen und Begrenzungen multimodaler Zugänge zu erkunden (HITZLER & BÖHRINGER 2021). [65]

Danksagung

Georgios COUSSIOS danken wir herzlich für zahlreiche hilfreiche Kommentare und Hinweise während des Überarbeitungsprozesses dieses Beitrags.

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Anmerkungen

1) Obwohl KALLMEYER und SCHÜTZE den Begriff "Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung" oder kürzer "Sachverhaltsschemata" (1977, S.160) verwendeten, nutzen wir in diesem Beitrag "Textsorten", da es der in der qualitativen Interviewforschung gängige Begriff ist, um über die hier behandelten Phänomene zu sprechen und zu schreiben. <zurück>

2) Wer nach Arbeiten zu Textsorten sucht, wird schnell unzählige Beiträge von Linguist*innen finden, die als eigentliche Urheber*innen des Konzepts gelten können (vgl. z.B. GÜLICH & RAIBLE 1972) und sich intensiv mit der Definition, Klassifizierung und Bestimmung von Texten und Textstücken beschäftigten (z.B. BRINKER, ANTOS, HEINEMANN & SAGER 2000, 2001). Allerdings sind für die Interviewforschung relevante Beiträge nicht ohne Weiteres zu identifizieren, da das Textsortenkonzept in der Linguistik zumeist für (noch) größere textuelle Zusammenhänge verwendet wird, die dem "kommunikativen Haushalt" (LUCKMANN 1986, S.205) einer Gesellschaft entstammen, z.B. Gebrauchsanweisungen, Telefongespräche, Verträge, Wetterberichte, Rezepte oder Rechnungen (z.B. ADAMZIK 2007 [2000]; BRINKER et al. 2000, 2001; GÜLICH & RAIBLE 1972). Für Textsorten im hier interessierenden Verständnis kursieren gänzlich andere und keinesfalls einheitlich verwendete Begriffe, etwa "Vertextungsmuster" (HEINEMANN 2000, S.358), "Grundformen der Themenentfaltung" (BRINKER, CÖLFEN & PAPPERT 2018 [1985], S.60ff.), "kommunikative Gattungen" oder "Diskurseinheiten" (HAUSENDORF & QUASTHOF 2005 [1996], S.5, 16; MOREK, HELLER & QUASTHOFF 2017, S.16ff.) sowie "text-types" (DE FINA & GEORGAKOPOULOU 2012, Kap.1). Jenseits dieser terminologischen Hürden liegen zahlreiche Beiträge für die in der Interviewforschung bekannten sowie weiteren Textsorten vor. Besonders relevant sind dabei empirische Arbeiten zu dialogisch-sprachlichem Handeln aus der Gesprächslinguistik (Konversations- und Gesprächsanalyse, Dialoganalyse, Diskursanalyse, Gattungsanalyse usw.): Meist werden Daten aus "authentischen", also nicht eigens zu Forschungszwecken veranstalteten Gesprächen untersucht (z.B. DEPPERMANN & HARTUNG 2006; GOHL 2006; GOHL & GÜNTHNER 1999; QUASTHOFF 1980; SCHWITALLA 1979), teilweise jedoch auch Daten, die im Rahmen von Forschungsinterviews erzeugt wurden (z.B. BAMBERG 1997; BETTEN 2003, 2007, 2009, 2017; DE FINA & PERRINO 2011; DEPPERMANN & LUCIUS-HOENE 2006; LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004; MAJER 2012). <zurück>

3) Unser Ziel ist es also nicht, inhaltliche Forschungsergebnisse zu präsentieren, die mittels der Textsortenunterscheidung gewonnen werden können, sondern die Methode selbst zum Gegenstand der Reflexion zu machen. In diesem Sinne ist unser Beitrag ein methodologischer. <zurück>

4) Zitation gemäß https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/447 [Zugriff: 14. Juli 2023]. <zurück>

5) Dies drückt sich bspw. darin aus, dass Textsorten und ihre Bestimmung in Einführungs- und Lehrbüchern in aller Regel auf nur wenigen Seiten und meist anhand kurzer Textsortendefinitionen sowie knapper Beispiele behandelt werden (s. z.B. KLEEMANN et al. 2013, S.65f.; KÜSTERS 2009, S.24-29, 78-79; MISOCH 2019, S.47f.; ROSENTHAL 2015, S.165-167; ULLRICH 2020, S.67-70), was nahelegt, dass hier wenig Erklärungsbedarf gesehen wird. Wenn näher geklärt wird, wie Textsorten identifiziert werden können, wird in aller Regel auf formalsprachliche Marker eingegangen. Eine Ausnahme stellen LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004, Kap.7) dar. <zurück>

6) Das Projekt wurde von Carsten G. ULLRICH geleitet, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (2019-2022; UL 186/15-1) und war am Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen angesiedelt. <zurück>

7) Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass Frage-Antwort-Sequenzen in zahlreichen linguistischen Studien untersucht wurden. Analysiert wurden beispielsweise der Umgang mit Ja-/Nein-Fragen (z.B. HERITAGE & RAYMOND 2012; RAYMOND 2003; STEENSIG & HEINEMANN 2013; STIVERS 2022) und Frage-Antwort-Sequenzen in journalistischen Interviews (CLAYMAN & HERITAGE 2002; HERITAGE & CLAYMAN 2010; SCHWITALLA 1979). Fragetypen, die in der Methodenliteratur für qualitative Erhebungssettings empfohlen werden (wie z.B. Erzählstimuli), wurden unseres Wissens bisher noch nicht beforscht. <zurück>

8) Zum argumentativen Erzählen und erzählenden Argumentieren außerhalb des Interviews s. HANNKEN-ILLJES (2019). <zurück>

9) Während sich die Geschichte auf herausragende Ereignisse bezieht, die detailreich wiedergegeben werden, und der Bericht als geraffte Darstellung größerer Zusammenhänge definiert ist, wird die chronikartige Erzählung als aufzählende Darstellung in zeitlicher Abfolge verstanden, in der "größere autobiografische Abschnitte oder Ereignisse mehr oder weniger unverbunden in der Reihenfolge ihres Geschehens aufgezählt werden, ohne dass sie in eine erzähldynamische Entwicklung auf einen Höhepunkt hin gebracht werden" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.154). Dazu zählt z.B. die Darstellung von Lebenslaufereignissen, die als biografische Informationen geteilt werden. <zurück>

10) Mit "Argumentieren im weiteren Sinne" meinen wir das Argumentationsverständnis von SCHÜTZE (1987, S.138ff.); Argumentationen stellen hier eine Oberkategorie für verschiedene nicht-narrative und nicht-deskriptive Sachverhaltsschemata dar. "Argumentieren im engeren Sinne" bezieht sich auf eine spezifische Textsorte innerhalb dieser Oberkategorie; s. dazu Abschnitt 5.3. <zurück>

11) Erzählen wird, ähnlich wie von SCHÜTZE, als "Wiedergabe (singulärer) Ereignis- und Handlungssequenzen mit Ungewöhnlichkeitswert" (MOREK 2016, S.95) verstanden. Erklären meint "die auf Zusammenhänge (z.B. Ursache-Wirkung, Bedingungen, Funktionen) orientierte Dar- und Offenlegung von Begriffen, Sachverhalten, Objekten" (a.a.O.). Argumentiert wird bei (potenziell) divergenten Geltungsansprüchen oder einer offenen Problemstellung (MOREK et al. 2017, S.24), d.h., wenn verschiedene Positionen möglich sind, bezogen und verhandelt werden können. Im Zuge des Argumentierens wird eine eigene Position bezogen bzw. eine Behauptung aufgestellt, die begründet wird (vgl. auch HELLER 2012; MOREK et al. 2017). <zurück>

12) Wegen des konversationsanalytisch begründeten Fokus auf dem Vollzug von Praktiken ist im Unterschied zur Narrationsanalyse nicht von Erzählungen, Erklärungen oder Argumentationen als Produkten, sondern von Erzählen, Erklären oder Argumentieren als Prozess der Interaktion die Rede. Wir erlauben uns, hier wahlweise den Prozess oder aber stärker die Produkte des gemeinsamen Tuns (d.h. die erzeugten Textsorten) zu fokussieren und daher wie in der Interviewforschung üblich auch von Erzählungen etc. zu sprechen. <zurück>

13) In Anlehnung an den konversationsanalytischen Begriff der konversationellen Arbeit (MOREK et al. 2017, S.19). <zurück>

14) Dabei liegen die Grenzen der Analyse in der Genauigkeit der Transkripte. In unserem sekundäranalytischen Projekt, in dem wir aus den o.g. methodischen Überlegungen zur Vielfalt der Interviewformen und Fragearten heraus Daten aus ganz unterschiedlichen Studien nutzten, fanden wir unterschiedlichste Transkriptionskonventionen vor, wobei interaktive Details für die Primärforschenden offenbar nicht immer so relevant waren wie für uns als Sekundärforschende (HOUBEN & ECKERT 2022). <zurück>

15) Mit dem Funktionsbegriff meinen wir hier analog zum Verständnis in GLOBE (s. Abschnitt 4), welche Textsorte im Ergebnis von den Sprechenden mittels verschiedener sprachlicher Mittel produziert werden. Es handelt sich somit um seinen sehr basalen Funktionsbegriff. Welche weiterführenden pragmatischen Funktionen mit den jeweiligen Textsorten verbunden sind, wäre Gegenstand vertiefender Analysen. In Bezug auf Erzählungen wurde in der vorliegenden Methodenliteratur beispielsweise festgehalten, dass sie u.a. zu Unterhaltungs-, Beleg-, Rechtfertigungs- und Positionierungszwecken genutzt werden können (s. z.B. BAMBERG 1997). <zurück>

16) In unserem Datenkorpus gehörten Informationen neben Beschreibungen zu den am häufigsten elizitierten und produzierten Textsorten. Exemplarische Erklärungen dafür finden sich in Abschnitt 6. Generell stellt die Untersuchung dieser Textsorte in qualitativen Erhebungsverfahren ein Desiderat dar. Bislang hat sich nur SCHWITALLA (1979) mit der Textsorte der Information in Politiker*innen-, Expert*innen- und Starinterviews auseinandergesetzt. <zurück>

17) So ist v.a. im englischsprachigen, teils aber auch im deutschsprachigen Kontext die Rede davon, dass Interviews der Informationsgewinnung dienten. Zu einem ähnlich breiten Verständnis von Informieren aus linguistischer Sicht s. z.B. DANNERER (1999, S.87ff.), die unter die Kategorie des Informierens beispielsweise auch Erzählen, Beschreiben und Erklären fasste. <zurück>

18) Eine eigenständige Publikation zu den Forschungsergebnissen ist in Vorbereitung. <zurück>

19) Ein*e Gutachter*in merkte an, dass sich eine interaktionsorientierte Konzeption des hier interessierenden Phänomens und der Textsortenbegriff nicht vertrügen, da letzterer Interaktivität ausschlösse. Dieser Auffassung können wir uns nicht anschließen. Wie etwa ROSENTHAL (2015, S.20) es ausdrückte, wird der Textbegriff in der qualitativen Sozialforschung "weit gefasst verstanden und bezieht sich auf alle Ausdrucksgestalten, die in der sozialen Interaktion erzeugt und in irgendeiner Weise protokolliert wurden". In ähnlicher Weise betonte HELFFERICH (2011, S.12), dass "[d]as 'Interview' als fertiger Text [..] gerade das Produkt des 'Interviews' als gemeinsamem Interaktionsprozess [ist]". Wenn Interviewforschende in Bezug auf ihre Daten von "Text" reden, meinen sie also i.d.R. textuelle – anstelle visueller – Daten, womit a priori keine Aussage über die monologische oder dialogische Erzeugung der in den Texten dokumentierten Gespräche getroffen wird. Dieser Auffassung von "Text" folgend lassen sich auch Textsorten interaktiv denken, indem ihre gemeinsame Produktion konzeptuell und methodisch berücksichtigt wird: durch Transkripte, in denen die Beiträge der Interviewenden sichtbar gemacht werden, und eine Analyseweise, bei der die Interaktion zwischen Interviewer*in und interviewter Person in den Blick genommen wird (vgl. auch BETTEN 2003, 2009, die ebenfalls am Textsortenbegriff festhält). Darüber hinaus erscheint es uns aus Gründen kommunikativer Anschlussfähigkeit an den Fachdiskurs innerhalb der qualitativen Interviewforschung nicht sinnvoll, den dort geläufigen Textsortenbegriff aufzugeben. <zurück>

20) "Anonymisierter Datensatz" bedeutet, dass wir die Daten nutzen dürfen, allerdings auf Wunsch der Primärforschenden in ausschließlich anonymisierter Weise, d.h. ohne Angaben zu Autor*innen, Studientitel etc. zu machen, weswegen die Angabe einer URL nicht möglich ist. <zurück>

Zu den Autorinnen und zum Autor

Judith ECKERT, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Schwerpunkt in der qualitativen Methodenausbildung am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück. Zuvor forschte sie an der Universität Duisburg-Essen im Rahmen der DFG-geförderten Projekte "Fragen in qualitativen Interviews. Sekundäranalysen zur Bedeutung unterschiedlicher Frageformen in Interviews" und "Methode und Ungleichheit. Sekundäranalysen zur Bedeutung sozialer Unterschiede in qualitativen Interviews". Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen qualitative Methoden, soziale Ungleichheit, Geschlechterforschung, Beziehungs- und Familiensoziologie sowie Soziologie der (Un-)Sicherheit und Angst.

Kontakt:

Dr. Judith Eckert

Universität Osnabrück
Institut für Sozialwissenschaften
Seminarstr. 20
49074 Osnabrück

E-Mail: judith.eckert@uni-osnabrueck.de
URL: https://www.sozialwiss.uni-osnabrueck.de/index.php?id=2307

Malin HOUBEN, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Geschlechtersoziologie an der Fakultät für Soziologie und Promovendin der Bielefeld Graduate School in History and Sociology, Universität Bielefeld. Zuvor arbeitete sie im von der DFG geförderten Methodenforschungsprojekt "Fragen in qualitativen Interviews. Sekundäranalysen zur Bedeutung unterschiedlicher Frageformen in Interviews" an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der qualitativen Forschungsmethoden, insbesondere Interviewmethodologie und ethnografische Interaktionsstudien, sowie in der mikrosoziologischen Geschlechter-, Medizin- und Körpersoziologie.

Kontakt:

Malin Houben

Universität Bielefeld
Bielefeld Graduate School in History and Sociology
Universitätsstr. 25
33615 Bielefeld

E-Mail: malin.houben@uni-bielefeld.de

Carsten G. ULLRICH, Soziologe, ist Professor für Methoden der qualitativen Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Allgemeine Soziologie, Soziologie der Sozialpolitik und qualitative Methoden. Aktuelle Veröffentlichung: Das Diskursive Interview. Methodische und methodologische Grundlagen. Wiesbaden: Springer VS (2. Aufl. 2020).

Kontakt:

Prof. Dr. Carsten G. Ullrich

Universität Duisburg-Essen
Fakultät für Bildungswissenschaften
Universitätsstr. 2
45141 Essen

E-Mail: carsten.ullrich@uni-due.de
URL: https://www.uni-due.de/biwi/ullrich/person.php

Zitation

Eckert, Judith; Houben, Malin & Ullrich, Carsten G. (2024). Textsorten und Textsortenbestimmung in der qualitativen Interviewforschung: ein methodologisches Update [65 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 25(2), Art. 3, https://doi.org/10.17169/fqs-25.2.4123.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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