Volume 25, No. 2, Art. 11 – Mai 2024
Qualitative Interview-Längsschnittforschung – forschungspraktische Chancen und Herausforderungen
Peter Rieker, Jakob Humm & Franz Zahradnik
Zusammenfassung: Die methodologischen Grundlagen und methodischen Möglichkeiten der qualitativen Längsschnittforschung wurden bisher erst ansatzweise dokumentiert und reflektiert. Im vorliegenden Beitrag resümieren wir die bisherige Diskussion und gehen dann anhand einer eigenen qualitativen Längsschnittstudie auf drei forschungspraktische Aspekte ein, die speziell für Längsschnitte mittels Interviews zentrale Bedeutung haben: die Panelpflege, die Interviewführung und die Datenanalyse. Dabei erweisen sich vor allem Strategien der Kontaktaufnahme, die Flexibilität der Interviewenden, eine akzeptierende Grundhaltung sowie Verfahren, mit denen sowohl einzelne Befragungswellen als auch deren Bezug zueinander fokussiert werden kann, als erfolgversprechend. Abschließend werden diese Erfahrungen zusammengefasst und eingeordnet.
Keywords: Längsschnittforschung, qualitative Methoden, Interview, Methodologie
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Forschungs- und Diskussionsstand
2.1 Panelpflege
2.2 Datenerhebung
2.3 Datenanalyse
3. Erfahrungen im Rahmen einer Längsschnittstudie
3.1 Panelpflege im qualitativen Längsschnitt
3.2 Interviewführung und -kommunikation im Längsschnitt
3.3 Datenanalyse im Längsschnitt
4. Abschließende Einschätzungen
Qualitative Längsschnittforschung (QLF) ist kein neuer Forschungsansatz (WITZEL 2020, S.60); er stellte bis in die 2000er-Jahre allerdings eine Ausnahme dar (THIERSCH 2020, S.11) und wurde daher erst vergleichsweise wenig dokumentiert und kaum systematisch reflektiert (LÜDERS 2013, S.636). Die methodologischen Grundlagen sowie methodische Möglichkeiten und Herausforderungen bei der Umsetzung sind in Teilen erst ansatzweise beschrieben. Mit dem vorliegenden Beitrag wollen wir helfen, die forschungspraktischen Herausforderungen qualitativer Längsschnittstudien anschaulich zu skizzieren und vor dem Hintergrund ihrer speziellen Bedingungen zu reflektieren. Wir fokussieren dabei auf Forschungen, bei denen Daten mittels Interviews erhoben werden und berücksichtigen vor allem Panelstudien, d.h. solche, bei denen Angehörige einer Untersuchungsgruppe wiederholt befragt werden. [1]
Zunächst werden vorliegende Forschungen und Diskussionen zum Thema rekapituliert (Abschnitt 2), anschließend wird die Studie vorgestellt, auf deren Methodik und auf die Erfahrungen, die daraus gewonnen wurden, wir uns beziehen (Abschnitt 3). Im Zentrum dieses Beitrags steht die Reflexion der Erfahrungen zu drei Aspekten, die sich in der qualitativen Längsschnittforschung als wichtig erwiesen haben: die Panelpflege (Abschnitt 3.1), die Interviewführung (Abschnitt 3.2) sowie die Datenanalyse im Kontext eines qualitativen Längsschnitts (Abschnitt 3.3). Abschließend werden diese Erfahrungen resümiert und eingeordnet (Abschnitt 4). [2]
2. Forschungs- und Diskussionsstand
QLF wird in unterschiedlichen Forschungstraditionen und Disziplinen praktiziert, um Entwicklungsverläufe, Wandlungsprozesse und andere Aspekte von Stabilität und Veränderung in zeitlicher Perspektive zu erforschen. Der Fokus von Publikationen liegt zumeist auf der Darstellung von Ergebnissen, während methodologische und methodische Fragen seltener thematisiert werden. Und werden diese berücksichtigt, dann nicht immer solche, die sich auf die Längsschnittlichkeit beziehen. Mitunter wird Längsschnittforschung, selbst dann, wenn es um qualitative Verfahren geht, scheinbar selbstverständlich der standardisierten Forschung zugerechnet (MEIER 2020, S.178). Bei der Auswahl der in diesem Abschnitt skizzierten Positionen haben wir vor allem solche Publikationen berücksichtigt, die sich in forschungsmethodischer Hinsicht spezifisch auf qualitative Längsschnitte beziehen. Im Fokus steht dabei die individuelle Ebene, d.h. die besonderen Aspekte der längsschnittlichen Forschung mit Gruppen (ZSCHACH & PFAFF 2013), Organisationen, Diskursen oder Feldern (KÖHLER 2018, S.146) werden hier nicht diskutiert. Um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen, vernachlässigen wir auch die Frage spezifischer Aspekte unterschiedlicher Disziplinen. [3]
QLF ist in den letzten Jahren zum Thema einiger methodisch und methodologisch orientierter Publikationen geworden (DERRINGTON 2019; KÖHLER 2023; NEALE 2019; WITZEL 2020) und wird mit verschiedenen Stärken bzw. Einsatzmöglichkeiten in Zusammenhang gebracht. Dabei sind es vor allem die Aspekte "Zeitlichkeit" und "Reichhaltigkeit", die für sich genommen oder kombiniert hervorgehoben werden. So wird angenommen, QLF eigne sich besonders, um komplexe Themen differenziert zu untersuchen und dabei Dimensionen und Dynamiken zeitlicher Verläufe zu fokussieren (CALMAN, BRUNTON & MOLASSIOTIS 2013, S.1; KÖHLER 2023, S.119; MILLER 2015, S.293; MORROW & CRIVELLO 2015, S.267-270). Es gehe darum, "Aussagen über individuelle bzw. institutionelle Entwicklungsverläufe, gesellschaftliche Wandlungsprozesse oder die Stabilität bzw. Veränderungen von Orientierungen und Handlungsformen" zu generieren (ASBRAND, PFAFF & BOHNSACK 2013, S.3). Speziell wird QLF genutzt, um Entwicklungen und Prozesse zu untersuchen (DERRINGTON 2019, S.8), die Dynamik von Lebensläufen zu erforschen (NEALE 2019, S.1) bzw. Veränderungs- oder Stabilisierungsprozesse zu erfassen (WITTEK, HERICKS, RAUSCHENBERG, SOTZEK & KELLER-SCHNEIDER 2020, S.316), z.B. im Rahmen von Professionalisierungsverläufen. Dabei werden in qualitativen Längsschnittstudien meist kleine Samples untersucht, indem sie intensiv über begrenzte Zeiträume begleitet werden, um auf diese Weise umfassende biografische Daten zu produzieren. Auf diese Weise erhalte man Zugang zur inneren Logik von Lebensverläufen und erkenne, wie Wechsel gestaltet, verhandelt und erfahren wird, so z.B. NEALE (2019, S.9). Untersucht werden in diesem Zusammenhang vor allem Wendepunkte, Übergänge und Verläufe (S.39). Das besondere Potenzial der QLF wird darin gesehen, dass dynamische Entwicklungen auf der Grundlage jeweils aktueller Erhebungen zugänglich werden und nicht gegenwärtige Konstrukte zu Vergangenem rekonstruiert werden (DREIER, LEUTHOLD-WERGIN & LÜDEMANN 2018, S.155; MORROW & CRIVELLO 2015, S.277). [4]
Dabei wird die QLF nicht als einheitlicher Forschungsansatz beschrieben, sondern es lassen sich unterschiedliche Erkenntnisziele unterscheiden. Differenziert wird insbesondere zwischen einer prospektiven Fokussierung, die auf zukünftige Entwicklungen und einer retrospektiven Fokussierung, die auf den nachträglichen Umgang mit früheren Erlebnissen gerichtet ist (NEALE 2019, S.48-49). Zudem finden sich neben Projekten, die bereits zu Beginn als Längsschnitt geplant wurden, auch solche, bei denen erst Jahre später eine zunächst nicht vorgesehene erneute Erhebung realisiert wurde (MILLER 2015). Mitunter werden auch Studien als Längsschnitt verstanden, in denen Personen zu verschiedenen Zeitpunkten mittels identischer Verfahren beforscht wurden, um historische Trendaussagen zu generieren (DERRINGTON 2019, S.28), und die mitunter auch als "unechter" Längsschnitt bezeichnet werden (KÖHLER 2018, S.144). Unterschieden werden können innerhalb der QLF auch verschiedene Zeitrahmen und Erhebungsintervalle (KÖHLER 2018, S.144; NEALE 2019, S.48-49), die von wenigen Jahren bis zu mehreren Jahrhunderten reichen können (STANLEY 2015). In der Forschungsliteratur werden zumeist Projekte behandelt, in denen Befragungen genutzt wurden, vereinzelt aber auch historisch orientierte Analysen von Briefen und anderen Dokumenten (DERRINGTON 2019, S.26-27; STANLEY 2015), ethnografische Langzeitstudien (MEIER 2020) bzw. solche, in denen Gruppendiskussionen zum Einsatz kamen (DERRINGTON 2019, S.29-33; ZSCHACH & PFAFF 2013), oder Studien, bei denen verschiedene Methoden zur Anwendung kamen (THIERSCH 2020, S.12). Verschiedentlich wurde QLF auch als Ergänzung und Vertiefung eines quantitativen Längsschnitts durchgeführt (BÖTTGER et al. 2003, S.48-51; KÜHN 2004, S.37). Zudem muss bei qualitativen Längsschnitterhebungen entschieden werden, ob über den Untersuchungsverlauf hinweg stets dieselben Aspekte thematisiert werden, um über Vergleiche im zeitlichen Verlauf relevante Dimensionen zu erschließen, oder ob die zu klärenden Fragen weiterentwickelt bzw. gewechselt werden, um neu auftauchende Dimensionen untersuchen zu können (NEALE 2019, S.96). Mitunter wird QLF weniger als eigener Forschungsansatz verstanden, sondern vor allem als Möglichkeit der Sensibilisierung in Hinblick auf Aspekte, auf die Forschende sonst nicht aufmerksam würden (THOMSON & McLEOD 2015, S.245). [5]
Neben solch allgemeinen Themen, die regelmäßig diskutiert werden und bei denen es u.a. um die Positionierung des jeweils gewählten Forschungsansatzes geht, sind es vor allem drei Themen, die als Herausforderungen skizziert und zu denen konkrete Erfahrungen mitgeteilt werden. Dies sind Fragen des Samplings bzw. der Panelpflege, der Datenerhebung und der Datenanalyse, auf die wir in den folgenden Abschnitten genauer eingehen. [6]
In der QLF ist angesichts der eher kleinen Samples von zentraler Bedeutung, wie Kontakte zu Untersuchungsteilnehmenden erhalten oder dauerhaft gepflegt werden können (NEALE 2021, S.347). Dennoch wurde dieser Frage bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet (MILLER 2015, S.296). Aspekte der Panelpflege sind vor allem dann von Bedeutung, wenn sich die Lebensbedingungen der zu Befragenden verändern, was z.B. mit dem Wechsel ihrer institutionellen Zugehörigkeit verbunden sein kann. Bei Untersuchungen mit vielen Erhebungswellen wird zudem ein erhöhtes Risiko der Panelmortalität gesehen (KÖHLER 2018, S.145; KOŠINÁR & LAROS 2021, S.243). Vereinzelt empfohlen wird in diesem Zusammenhang, ähnlich wie in der quantitativen Längsschnittforschung, ein Oversampling, durch das Ausfälle bei späteren Erhebungswellen kompensiert werden können (CALMAN et al. 2013, S.6; WITZEL 2020, S.69). Eher unüblich ist es, dass in späteren Wellen neue Untersuchungsteilnehmende hinzugenommen werden, um Ausfälle zu ersetzen (BÖTTGER et al. 2003, S.50). [7]
Zumeist richten sich die Überlegungen in der QLF eher auf den Aufbau und die Pflege tragfähiger Beziehungen zu den Untersuchungsteilnehmenden, die durch Interviewenden-Kontinuität (a.a.O.) sowie durch klare Informationen zu den geplanten Erhebungen, zum Umgang mit dem Datenmaterial, zu eventuell bevorstehenden Wechseln im Forschungsteam und zum voraussichtlichen Abschluss der Forschungsbeziehungen erreicht werden können (CALMAN et al. 2013, S.3; GRIMM & SCHÜTT 2020, S.411; KÖHLER 2018, S.145). Ohne solche Informationen ist die erneute Kontaktaufnahme mit großen Unsicherheiten verbunden, da unklar ist, ob diese sich an das Forschungsprojekt überhaupt noch erinnern und ob sie zur erneuten Teilnahme bereit sind. Dies trifft vor allem zu, wenn seit der ersten Erhebung viele Jahre vergangen sind, da sich das Leben der Beteiligten ganz unterschiedlich entwickeln kann (MILLER 2015, S.297). Empfohlen wird vor diesem Hintergrund, mittels regelmäßiger Updates (z.B. Newsletter oder Neujahrskarten) Kontakt zur Untersuchungsgruppe zu halten (CALMAN et al. 2013, S.6; GRIMM & SCHÜTT 2020, S.410). [8]
Hinzu kommt möglicherweise das Problem, dass Kontaktdaten nicht mehr aktuell sind, sodass Befragte mittels unterschiedlicher Suchstrategien erneut aufgespürt werden müssen. Teilweise kann dies relativ schnell über Internetrecherchen und soziale Netzwerke erfolgen, mitunter sind aber auch zeitaufwändige Verfahren notwendig, z.B. Nachfragen bei ehemaligen Gatekeepern oder anderen Untersuchungsteilnehmenden (MILLER 2015, S.298-299). Bei Folgebefragungen von Schulabsolvent*innen, die sich durch eine hohe regionale Mobilität auszeichneten, wurde auf Interviews via Skype zurückgegriffen, um diese auch dann weiter einbeziehen zu können, wenn sie sich nicht mehr vor Ort befanden (KRÜGER 2019, S.15). [9]
In Hinblick auf die Datenerhebung lassen sich Längsschnittuntersuchungen mittels verschiedener Erhebungsmethoden unterscheiden, z.B. mit Interviews, Gruppendiskussionen oder Beobachtungen. Im Folgenden geht es um Interviews, die in der QLF vermutlich am häufigsten verwendet werden. Dabei stellen sich Fragen u.a. im Hinblick auf die Interviewführung. So ist umstritten, ob in späteren Interviews Stellungnahmen zu den Aussagen in früheren Interviews erhoben werden sollten (NEALE 2019, S.102). Einerseits wird empfohlen, ein Folgeinterview mit einer Erinnerung an das, was bei früheren Interviews gesagt worden war, zu beginnen und dabei die Worte der Befragten zu nutzen (CALMAN et al. 2013, S.6; MILLER 2015, S.301), oder es wird darum gebeten zu erzählen, was seit dem letzten Interview geschehen ist (GRIMM & SCHÜTT 2020, S.409; KÜHN 2004, S.40-41; STRUCK-MÖBBECK et al. 1996, S.19). Andererseits werden solche Bezüge kritisch gesehen, da sie die Möglichkeit offener Erzählungen einschränkten und bei den Befragten zu Konsternierung, Überraschung oder Einschüchterung beitragen könnten (RYAN, LOPEZ RODRIGUEZ & TREVENA 2016, §26-27). Zusätzlich wird befürchtet, Verweise auf frühere Aussagen könnten dazu beitragen, dass keine offenen Stehgreiferzählungen zustande kommen könnten, da die Erzählungen der Befragten durch Synchronisierungsbemühungen in Hinblick auf frühere Erzählungen gekennzeichnet seien (DREIER et al. 2018, S.158). Diskutiert wird zudem die Frage, ob in allen Erhebungswellen dieselben Fragen thematisiert werden sollten, um Vergleiche zwischen den Erhebungszeitpunkten zu ermöglichen, oder ob bei späteren Befragungen neue Aspekte berücksichtigt werden sollen (NEALE 2019, S.96). Eine konsequente Orientierung an einheitlichen Dimensionen wird für einen längsschnittlichen Typologievergleich als wichtig erachtet (KOŠINÁR & LAROS 2021, S.230). Für die Einbeziehung neuer Aspekte wird das für die qualitative Forschung wichtige Gebot der Offenheit angeführt (KOŠINÁR & LAROS 2021, S.230) sowie die Möglichkeit zusätzlicher Erkenntnismöglichkeiten (BÖTTGER et al. 2003, S.51; DERRINGTON 2019, S.87; NEALE 2019). Empfohlen wird schließlich auch, Informationen zu den jeweiligen Kontexten z.B. durch Protokolle zu berücksichtigen und in die Analyse einzubeziehen (MAUTHNER 2015, S.323). Feldnotizen seien zudem wichtig, da durch sie Konzepte und Vorurteile der Forschenden offengelegten werden könnten (S.328). [10]
Ein besonderes Potenzial der QLF wird in den zunehmend vertrauten Beziehungen zwischen Forschenden und Befragten gesehen (GRIMM & SCHÜTT 2020, S.413), die zu besonders reichhaltigen Schilderungen und auch dazu beitragen könnten, dass schwierige Sachverhalte thematisiert würden (MILLER 2015). Allerdings wurden auch problematische Aspekte solch langfristiger Forschungsbeziehungen beschrieben: Sie werden als Gefahr für die Balance zwischen Nähe und Distanz gesehen (WITZEL 2020, S.69); auch könnte die Form des Interviews durch Befragte zunehmend unterlaufen und es könnten vertrauliche Gespräche angestrebt werden (GRIMM & SCHÜTT 2020, S.414). Um ein solches Abgleiten ins Private zu vermeiden, wurde vorgeschlagen, die Interviewenden regelmäßig zu wechseln (S.416). Mitunter wurde Folgeinterviews sogar eine therapeutische Wirkung zugeschrieben, da vergangene Erfahrungen hier reflektiert und eingeordnet würden (MILLER 2015, S.301). Diese Argumente zeigen, dass in der Praxis und in der Diskussion zu QLF mitunter die Grenzen der Forschung überschritten werden: Während eine Vertrauensbeziehung zwischen den Beteiligten in Bezug auf die Informationsqualität durchaus sinnvoll sein kann, erscheint es wenig sinnvoll, die Forschung zusätzlich mit therapeutischen Aufgaben oder Wirkungen zu überfrachten – ganz abgesehen von der Frage der Qualität. [11]
Der Datenanalyse werden im Rahmen der QLF besondere Erkenntnismöglichkeiten zugerechnet, da durch sie prozessuale Entwicklungen erfassen werden könnten und nicht bloß Schnappschüsse zu einzelnen Zeitpunkten (NEALE 2019, S.111). Allerdings gelten diese Analysen als besonders komplex und bisher kaum dokumentiert (DERRINGTON 2019, S.56; NEALE 2019, S.108). Die Komplexität wird für rekonstruktive Verfahren wie die dokumentarische Methode und die objektive Hermeneutik auch mit dem Spannungsverhältnis zwischen der diesen Verfahren inhärenten Annahme stabiler Hervorbringungslogiken und dem längsschnittlichen Fokus auf Wandel und Veränderung begründet (KRAMER 2020, S.110; THIERSCH 2020, S.17). Diskutiert wird, wie das zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhobene Material am besten auszuwerten ist. Ein Ansatzpunkt kann darin bestehen, Ähnlichkeiten und Differenzen im Material verschiedener Erhebungswellen zu identifizieren und nach deren Bedingungen zu suchen (DERRINGTON 2019, S.58-60; GRIMM & SCHÜTT 2020, S.421; STRUCK-MÖBBECK et al. 1996), um auf diese Weise eine "verlaufsorientierte Analyse" (KÜHN 2004, S.44) zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang wird allerdings auch die Frage der Vergleichbarkeit gestellt, z.B. weil phasenspezifische Entwicklungsprobleme unterschiedlich gelagert sein können (KOŠINÁR & LAROS 2021, S.238). Zudem wird die Möglichkeit gesehen, die verwendeten Temporaladverbien sowie explizite Zeit- und Lebensphasenbezüge zu untersuchen (KÖHLER 2023, S.130). Empfohlen wird ein mehrschrittiges Auswertungsverfahren, durch das ein Fall jeweils erst zu einem Zeitpunkt ausgewertet und dann über alle Erhebungszeiträume erfasst wird (DREIER et al. 2018, S.156). Befürchtet wird in diesem Zusammenhang allerdings, dass "neues" Datenmaterial nicht nur für sich ausgewertet würde, sondern immer auch ein neues Licht auf "alte" Daten erlaube, sodass eine konsequente Trennung zwischen "alten" und "neuen" Daten nicht möglich sei (MILLER 2015, S.300). Auf jeden Fall sei zu vermeiden, Wiederholungsinterviews als Validierungsstrategie für frühere Interviews zu nutzen (NEALE 2021, S.350; RYAN et al. 2016, §40), stattdessen sollten sie genutzt werden, um die Komplexität von Erzählungen unter wechselnden räumlichen und zeitlichen Bedingungen zu erkennen (§51). Als Spezifik der Analyse von Längsschnittdaten gilt dabei, dass eine komparative Analyse nicht erst im Fallvergleich, sondern bereits fallintern erfolgt, indem z.B. gefragt wird, inwieweit sich im Zeitverlauf stabile oder sich transformierende Haltungen, Einschätzungen oder Erlebnisweisen zeigen (DREIER et al. 2018, S.159; HOLLAND 2011, §10). Dementsprechend wird mittels der QLF das "Spannungsfeld von Transformations- und Reproduktionsprozessen" (THIERSCH 2020, S.16) untersucht. In diesem Zusammenhang ist auch von Triangulation im zeitlichen Verlauf die Rede (KRAMER 2020, S.120-121). Angeregt wird zudem eine Unterscheidung zwischen Auswertungsstrategien, bei denen fallbezogen der gesamte Längsschnitt in den Blick genommen wird, und dem Vergleich zwischen den einzelnen Querschnittstypologien (KOŠINÁR & LAROS 2021, S.239). Falls letztere den Ausgangspunkt von Längsschnittanalysen bilden, können über die gezielte Untersuchung von Veränderungen und Kontinuitäten im Verlauf schließlich "Längsschnittbasistypen" oder "Veränderungsmodi" ermittelt werden (KRÜGER, DEINERT & ZSCHACH 2012, S.59; LEINHOS, KRÜGER & KEẞLER 2019, S.42-43). Um am Einzelfall den Wandel grundlegender Orientierungen aufzuzeigen, wurden zudem Längsschnittporträts erstellt (KRÜGER 2019, S.16). Vereinzelt findet sich die Einschätzung, die QLF sei vor allem Veränderungen und Transformationen gewidmet (DREIER 2020, S.382; KOŠINÁR & LAROS 2021, S.244), während Momente der Stabilität und Kontinuität eher randständige Themen seien (WINTER, NIEMANN, KOTZYBA & HÜFNER 2019, S.94). Formuliert wurde auch der Eindruck, bei der QLF orientiere man sich durch die Fokussierung auf komparative Dimensionen stärker auf Einzelfälle als im Falle querschnittlicher Forschung (ASBRAND et al. 2013) bzw. sie würde ohne systematischen Fallbezug keinen Sinn machen (LEINHOS et al. 2019, S.45). [12]
Zudem wurden in Publikationen zur QLF forschungspragmatische Herausforderungen betont, vor allem die Notwendigkeit eines erhöhten Bedarfs an zeitlichen und finanziellen Ressourcen, aber auch das anspruchsvolle Datenmanagement (NEALE 2021, S.347; WITZEL 2020, S.63). Problematisiert wurde darüber hinaus die besondere Komplexität im Hinblick auf Fragen der Einwilligung sowie der Darstellung von Forschungsbefunden in Publikationen sowie ihrer Anonymisierung (RYAN et al. 2016, §2; WITZEL 2020). Dies kann auch deswegen besonders herausfordernd sein, da bereits Ergebnisse veröffentlicht werden können, wenn die Erhebung noch andauert bzw. Kontakte zur Untersuchungsgruppe wieder aufgenommen werden (TAYLOR 2015, S.282). Schließlich wurde auch bemängelt, im Rahmen der QLF habe sich unreflektiert ein unzureichendes Vokabular herausgebildet, das den erforschten Dynamiken nicht gerecht werde. Vor diesem Hintergrund wird dafür plädiert, passendere Begrifflichkeiten aus dem empirischen Material zu entwickeln (LÜDEMANN 2020, S.403). [13]
Obwohl in den voranstehenden Absätzen eine ganze Reihe von Erkenntnissen und Diskussionen zur QLF zusammengetragen werden konnte, scheint dieses Wissen in der Forschungspraxis und im Forschungsdiskurs wenig präsent zu sein, d.h. im Rahmen der Publikationen zu qualitativen Längsschnittstudien wird vielfach gar nicht hierauf Bezug genommen. Dementsprechend besteht vielfach der Eindruck einer unzureichend dokumentierten Tradition, sodass Forschende sich bei der Planung einer Studie nicht auf Literatur, sondern lediglich auf eigene Überlegungen stützen könnten (CALMAN et al. 2013, S.2). Es fehlt vor allem an methodologisch und methodisch ausgerichteten Publikationen, da selbst in spezifisch auf qualitative Längsschnittforschung zugeschnittenen Veröffentlichungen teilweise vor allem inhaltliche Ergebnisse referiert werden. [14]
Im Folgenden unternehmen wir den Versuch, einige der zentralen methodischen Herausforderungen einer auf Interviews basierenden QLF, die oben deutlich wurden, mit Bezug auf eine konkrete Untersuchung weitergehend zu reflektieren und Erfahrungen in Hinblick auf die Bewältigung dieser Herausforderungen fruchtbar zu machen. Dabei geht es zunächst um Fragen der Panelpflege, um über mehrere Jahre hinweg die Chancen der Wiedererreichung von Untersuchungsteilnehmenden zu verbessern. Zudem werden Aspekte der Interviewführung aufgegriffen, die im Längsschnitt in einem Spannungsverhältnis zwischen Standardisierung und Flexibilität gesehen werden. Und schließlich geht es darum, wie das Potenzial der QLF in der Datenanalyse genutzt werden kann. [15]
3. Erfahrungen im Rahmen einer Längsschnittstudie
Wir beziehen uns hier auf das Forschungsprojekt Wege aus der Straffälligkeit – Reintegration verurteilter Straftäter, das wir als prospektive Längsschnittstudie zwischen 2013 und 2022 am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich umgesetzt haben und das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziell unterstützt wurde. Im Rahmen des Projektes haben wir Interviews mit Männern unterschiedlichen Alters geführt, die strafrechtlich verurteilt worden waren und daher vor der Herausforderung der sozialen Reintegration standen, d.h. die Interviews wurden durch die Projektmitarbeitenden geführt. Die Interviewten wurden zunächst in der Einrichtung kontaktiert und befragt, in der sie eine Haftstrafe verbüßten oder in der sie sich im Maßnahmenvollzug befanden (RIEKER, ZAHRADNIK & HUMM 2017). Wir waren an einer breit gefächerten Untersuchungsgruppe interessiert, d.h. an Befragten, die strafrechtlich unterschiedlich belastet waren und vor unterschiedlichen Herausforderungen der Reintegration standen. Potenzielle Befragte haben wir über Fachkräfte der Bewährungsdienste kontaktiert. In den folgenden Jahren haben wir diejenigen, die sich bereit erklärt hatten, an weiteren Befragungen teilzunehmen, jeweils im Abstand von ca. eineinhalb Jahren erneut kontaktiert und interviewt. Die Folgegespräche wurden in ganz unterschiedlichen Kontexten geführt, welche die Befragten bestimmt hatten. Nach Möglichkeit wurden sie stets vom selben Interviewenden geführt. Die Befragten erhielten eine finanzielle Aufwandsentschädigung, wurden über das geplante Vorgehen umfassend informiert und bestätigten jeweils ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Untersuchung. In der ersten Erhebungswelle konnten wir 50 Männer interviewen, von denen 40 bereit waren, sich auch ein zweites Mal befragen zu lassen. Für die dritte Erhebungswelle konnten 36 Befragte erneut erreicht werden, in der vierten Erhebungswelle waren es noch 30, und an einer fünften Befragung beteiligten sich noch 20 der ursprünglichen Untersuchungsteilnehmer (HUMM, RIEKER & ZAHRADNIK 2022a, S.27). Die zum Schluss erhöhte "Panelmortalität" hängt auch mit den Corona-bedingten Kontakteinschränkungen zusammen, die in den Jahren 2020 und 2021 in Kraft waren. Zudem bemühten wir uns im Anschluss an diese Befragung strafrechtlich verurteilter Männer um Interviews mit für die Befragten relevanten Drittpersonen, um eine multiperspektivische Sicht auf die Reintegrationsprozesse zu erhalten. Insgesamt konnten auf diese Weise zehn Interviews mit Fachpersonen und Menschen aus dem privaten Umfeld realisiert werden (HUMM, ZAHRADNIK & RIEKER 2022b, S.286). [16]
In den Interviews haben wir den Befragten einen breiten Raum für die Thematisierung solcher Aspekte eingeräumt, die für sie jeweils relevant waren. In methodischer Hinsicht wurde dies durch eine offene Erzählaufforderung sowie durch erzählgenerierende Nachfragen angestrebt, wie sie in der Biografieforschung praktiziert werden (ROSENTHAL 2008, S.148-149). Zudem wurde versucht, verschiedene Aspekte zu thematisieren, die für Fragen der sozialen Reintegration relevant waren. Dafür bezogen wir uns auf Überlegungen zum problemzentrierten Interview (WITZEL 2000), d.h., ein Teil der Gespräche wurde durch einen Leitfaden strukturiert, mit dem allerdings sehr flexibel umgegangen wurde. Einerseits haben wir auf diese Weise über alle Gespräche bestimmte Aspekte bei allen Befragten immer wieder angesprochen, andererseits gab es auch fall- und interviewspezifische Schwerpunktsetzungen. Direkt im Anschluss an die Interviews wurden Protokolle verfasst, in denen die Interviewer Kontextbedingungen, Informationen zum Verlauf und zur Stimmung der Gespräche sowie Irritationen und Auffälligkeiten festhielten. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, anschließend wortwörtlich transkribiert, dabei allerdings ins Hochdeutsche übertragen, um die Verständlichkeit sicherzustellen und anonymisiert, um die Vertraulichkeit der Informationen zu gewährleisten. [17]
Für die Auswertung haben wir Informationen zu einem breiten Spektrum an Dimensionen der sozialen Reintegration berücksichtigt, z.B. Erwerbsarbeit, soziale Beziehungen, gesundheitliche Belastungen oder strafrechtliche Auffälligkeit. Methodisch orientierten wir uns dabei an der Grounded-Theory-Methodologie (STRAUSS 2007 [1987]). Durch offenes Kodieren wurden zunächst relevante Auswertungskategorien identifiziert und im Rahmen der weiteren Analyse ausdifferenziert (S.95-101). In die Entwicklung dieser Kategorien flossen auch theoretische Überlegungen ein (SCHMIDT 2010). Im weiteren Verlauf wurden verschiedene Ausprägungen dieser Kategorien erschlossen, um das Vergleichspotenzial des Datenmaterials zu nutzen; zudem wurden Bezüge zwischen den Kategorien hergestellt (STRAUSS 2007 [1987], S.101). Auf diese Weise haben wir die verschiedenen Erhebungswellen zunächst jeweils für sich und anschließend in Bezug zueinander ausgewertet, wobei die Frage im Vordergrund stand, inwieweit Aspekte der Reintegration stabil geblieben bzw. Veränderungen durchlaufen worden waren. Um diesbezüglich spezifische Entwicklungen noch besser erkennen und untersuchen zu können, wurden zu ausgewählten Fällen dann ausführliche Fallanalysen (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004) erarbeitet und dokumentiert (HUMM et al. 2022a, S.33). [18]
3.1 Panelpflege im qualitativen Längsschnitt
Uns war bewusst, dass die Gewährleistung eines möglichst stabilen Samples über den gesamten Untersuchungszeitraum zu den größten Herausforderungen eines Längsschnittprojektes zählt. Zu Beginn des Projektes wurden daher verschiedene Strategien der Panelpflege vereinbart, um die Chance zu erhöhen, Untersuchungsteilnehmer auch für ein Folgeinterview zu erreichen. So wurden die Befragten zum Abschluss jedes Interviews gebeten, ihre Kontaktdaten anzugeben bzw. zu aktualisieren. Zudem wurde nach Kontaktpersonen gefragt, über die die Befragten ebenfalls würden erreicht werden können, und sie wurden um ihre Zustimmung zu solch einer Kontaktaufnahme gebeten. Schließlich erhielten die Befragten eine finanzielle Aufwandsentschädigung, um ihren Aufwand und die Bereitschaft zu würdigen, in den Interviews über sich und ihre mitunter konflikthaften und schwierigen Entwicklungen zu erzählen. [19]
Im Verlauf der Untersuchung zeigte sich allerdings, dass diese Strategien nicht immer ausreichten, um eine erneute Beteiligung zu gewährleisten. Vor allem in den Fällen, in denen umfassende Veränderungen der Lebensbedingungen vermutet wurden, hatten erneute Kontaktversuche mitunter keinen Erfolg. So konnten Untersuchungsteilnehmer beispielsweise unter finanziell prekären Bedingungen ihre Handyrechnung nicht bezahlen oder haben sich aus anderen Gründen entschieden, unter der bisherigen Telefonnummer nicht mehr erreichbar zu sein. Bei anderen kam es zu einer erneuten Inhaftierung oder zu einem Wechsel des Wohnorts ins Ausland, was ihre Erreichbarkeit erschwerte oder verunmöglichte. Sofern Befragte zuvor ihre Bereitschaft erklärt hatten, für ein weiteres Interview kontaktiert zu werden, haben wir die Kontaktstrategien in solchen Fällen ausgeweitet. Einerseits wurden dann Kontaktanfragen über soziale Medien (z.B. Facebook, Messenger) gestellt, andererseits wurden Fachpersonen oder Peers, von denen anzunehmen war, dass sie noch Kontakt haben könnten, gebeten, bei diesen Untersuchungsteilnehmern nachzufragen, ob sie einverstanden wären, durch das Forschungsteam erneut kontaktiert zu werden. Wenn auf diese Weise erneut Kontakt hergestellt werden konnte, kam es in den meisten Fällen zu einem weiteren Interview. Es gab allerdings auch Fälle, in denen keine weiteren Befragungen möglich waren, z.B. wenn Befragte Verbindungen zu ihrem "alten Leben" gekappt hatten und nicht mehr darüber sprechen wollten oder wenn sie in der Zwischenzeit verstorben waren. [20]
Folgeinterviews wurden mitunter auch erst durch die Geduld und Flexibilität der Interviewer ermöglicht. So konnten Gespräche teilweise erst nach langwierigen Verhandlungen über Termin und Ort stattfinden oder es war nötig, solche Vereinbarungen mehrfach zu treffen, wenn Termine nicht eingehalten worden waren. Es kam auch vor, dass die Interviewten unter derart instabilen Bedingungen lebten, dass der Ort des Interviews erst in der Situation vereinbart werden konnte, so z.B., als ein Interviewer einen Befragten mit dem Auto abholte und dann überlegt wurde, wo das Interview am besten geführt werden könnte. Grundsätzlich wurde den Befragten die Wahl des Ortes überlassen, sodass Interviews an der Universität, in der Wohnung oder der Institution, in der Befragte lebten, in einer Gaststätte oder im Freien stattfanden. Es gab Befragte, die im Untersuchungszeitraum – mitunter mehrfach und nicht immer freiwillig – den Wohnort wechselten, sodass die Interviewer in der gesamten Schweiz bis hin zu entlegenen Bergdörfern unterwegs waren, um die Folgeinterviews zu gewährleisten. In einem Fall, in dem ein Befragter ins Ausland verzogen war, um einer Strafverfolgung zu entgehen, konnten wir das Interview dort unter konspirativen Bedingungen führen. [21]
Eine wichtige Bedingung zur Gewährleistung der Bereitschaft zur Teilnahme an weiteren Interviews kann darin gesehen werden, dass das Forschungsteam sich um Transparenz und um eine akzeptierende Grundhaltung bemühte. Transparenz wurde dadurch hergestellt, dass den Befragten die Ziele des Forschungsprojektes und unsere Vorgehensweisen bereitwillig erläutert und diesbezügliche Fragen umfassend beantwortet wurden. Zudem erhielten sie in regelmäßigen Abständen einen kleinen Newsletter, in dem sie in eher allgemeiner Weise über Entwicklungen und Ergebnisse der Untersuchung informiert wurden. Dabei wurde darauf geachtet, ein Informationsniveau zu wählen, wodurch wir die Befragten in zukünftigen Interviews möglichst nicht einschränkten oder beeinflussten. Zudem erhielten sie jeweils zur Weihnachtszeit eine Grußkarte. Bei den Interviews achteten wir schließlich darauf, die Sichtweisen, Erfahrungen und Relevanzsetzungen der Befragten nachzuvollziehen, ihre Erfolge zu würdigen, auf Schilderungen von Misserfolgen empathisch zu reagieren und Bewertungen zu vermeiden. Wie weitgehend es gelungen ist, den Befragten das Gefühl von Anerkennung und Wertschätzung zu vermitteln, lässt sich aus den Aussagen der Befragten erkennen, z.B. bei Christian und Sebastian:
Christian: "Ich muss sagen, im Großen und Ganzen hat mir das auch eine Stabilität gegeben, alle Jahre mit Ihnen ein Gespräch zu haben, nicht nur wegen dem Geld, sondern auch wegen, als zwischenmenschliche Beziehung [...]. Das hat mir auch gewisse Freude gemacht, Sie immer wieder zu treffen und merken, dass ich etwas weitergeben kann" (V).1)
Sebastian: "Ich habe ihn [den Sohn des Befragten] extra mitgebracht, ich hätte es schon so können einrichten, dass ich ihn nicht muss mitbringen, aber es hat ganz viel positive Sachen gehabt, ihn mitzubringen. Ich habe gedacht, sie sehen mein Sohn, das ist mir auch wichtig, ich bin stolz auf ihn brutal" (IV). [22]
Hier zeigt sich zunächst, dass die finanzielle Aufwandsentschädigung mitunter zur Motivation der Befragten beitrug, gerade dann, wenn die Interviewten über kein oder nur ein geringes Einkommen verfügten. Diese Ausschnitte verdeutlichen aber vor allem, dass die Interviews und die Beziehung zu den Interviewern für die Befragten im Verlauf des Längsschnitts teilweise einen großen Stellenwert bekamen, mitunter auch über das Interview hinaus (ZAHRADNIK, RIEKER & HUMM 2019). In einzelnen Fällen entstand der Eindruck, dass sie die Interviews als Möglichkeit nutzten, über ihre Entwicklung zu reflektieren, und dass sie dies im Rahmen sonstiger sozialer Beziehungen nicht konnten. Vor allem in den Fällen, in denen Interviewpartner von sozialer Isolation oder Einsamkeit berichteten, schienen die Gespräche von ihnen auch als sozialer Kontakt oder "Ersatzbeziehung" geschätzt worden zu sein. [23]
Vor diesem Hintergrund kann geschlussfolgert werden, dass Techniken der Panelpflege wichtig sein können, um Kontakte zu Interviewpartner*innen (wieder) herzustellen, und dass digitalen Medien in diesem Zusammenhang vermutlich eine zunehmende Bedeutung haben. Als entscheidend hat sich in unserer Untersuchung allerdings die Tragfähigkeit der Forschungsbeziehung erwiesen sowie der Ertrag, mit dem die Interviews für die Befragten verbunden waren. Während die persönliche Begegnung vor allem für Befragte, die gesundheitlich, psychisch oder sozial stark belastet waren, erkennbar wichtig war, um die Motivation für eine Beteiligung zu erhalten, könnte die Motivation anderer, z.B. bildungsaffiner, technisch versierter Befragungsgruppen möglicherweise auch durch digitale Tools der Panelpflege gewährleistet werden. [24]
3.2 Interviewführung und -kommunikation im Längsschnitt
Zu den Punkten, die im Zusammenhang mit der qualitativen Längsschnittforschung bisher diskutiert wurden, gehört die Frage, inwieweit im Rahmen eines Interviews auf frühere Interviews Bezug genommen werden kann und soll. In der hier skizzierten Untersuchung wurde durch die Interviewenden in der Eingangsfrage nicht auf Aussagen aus früheren Interviews Bezug genommen, sondern es wurde den Interviewten überlassen, ob und wie sie entsprechende Bezüge herstellen. Dementsprechend erhielten wir sowohl Eingangserzählungen, in denen die Befragten sich auf frühere Aussagen bezogen als auch solche, in denen sie nicht explizit an vorangegangenen Interviews anknüpften. Im weiteren Gesprächsverlauf sprachen die Interviewer dann gelegentlich Aspekte gezielt an, die die Befragten zuvor als besonders wichtig markiert hatten, teilweise verlief diese Bezugnahme auf frühere Interviews auch ungeplant und entwickelte sich aus der Gesprächsdynamik heraus. [25]
Die Reaktionen der befragten Männer fielen, je nach Thema und dessen aktuellem Stellenwert, unterschiedlich aus. In Fällen, in denen sich die Erinnerungen der Interviewer und der Interviewten deckten oder wenn Interviewte erfreuliche Entwicklungen berichten konnten, waren solche Fragen mitunter Anlass für lange, selbstläufige Erzählungen. Mehrfach wurde dann bestätigt, dass die vom Interviewer geäußerte Erinnerung korrekt sei bzw. dass seither eine erstaunliche Entwicklung stattgefunden habe. In anderen Fällen wurde solch eine Bezugnahme lediglich kurz und knapp beantwortet, so wie im folgenden Beispiel, indem der Interviewte daran erinnert wurde, dass er beim letzten Interview den Wunsch nach einer Partnerschaft geäußert hatte.
"Interviewer: Freundin?
Bruno: Nein!
I.: Nein?
B.: Nein.
I.: Hat sich nichts ergeben? Das ist das letzte Mal so irgendwie ein bisschen das Thema gewesen (...).
B.: Nein, nein.
I.: Ok (...).
B.: Freundin nein, pff ja (...), ist momentan nicht gerade ein Thema, ehrlich gesagt (lacht)" (II). [26]
Dieser kurze Austausch zu einem Thema, das dem Interviewten sichtlich unangenehm war, hatte allerdings keine unmittelbaren Folgen für das restliche Interview, bei dem er sich bereitwillig und ausgiebig zu verschiedenen Themen äußerte, und auch zu weiteren Interviews erklärte er sich bereit. [27]
Im Kontext einer qualitativen Längsschnittuntersuchung kommt es unweigerlich dazu, dass Erlebnisse und Einschätzungen wiederholt thematisiert werden, wobei die wiederholte Schilderung früheren Erzählungen entsprechen oder ihnen widersprechen kann. Der Umgang mit solchen Wiederholungen und mit divergierenden Angaben kann herausfordernd sein, zumal sich die Frage stellt, welche Rolle der Interviewführung hierfür zugekommen sein könnte. Für unser Projekt hatten wir beschlossen, uns die von Befragten wiederholt angesprochenen Aspekte jeweils schildern zu lassen und dies auch dann nicht zu kommentieren, wenn Diskrepanzen zu früheren Darstellungen deutlich wurden. Dementsprechend kam es regelmäßig vor, dass in einem Folgeinterview zuvor bereits angesprochene Aspekte erneut thematisiert wurden. Teilweise zeigte sich dabei große Konsistenz, d.h. die zuvor erläuterten Aspekte wurden erneut ganz ähnlich beschrieben. Mitunter wurden aber auch neue Sichtweisen deutlich, die zeigten, dass diese Aspekte durch die Befragten inzwischen anders eingeschätzt oder umfassender reflektiert worden waren bzw. dass die Bereitschaft bestand, gegenüber den Interviewenden hierauf nun umfassender einzugehen. In den meisten Fällen trug dies zur Plausibilisierung des zuvor Berichteten bei, ganz gleich, ob die Interviewer sich darauf beschränkten, einer selbstläufigen Erzählung zuzuhören oder ob sie Nachfragen stellten, um ein für sie stimmiges Bild zu erhalten. [28]
Anders war dies, wenn in einem Folgeinterview zuvor geäußerten Einschätzungen diametral widersprochen wurde, wie es bei Toni in Hinblick auf das Verhältnis zu seinen Eltern bzw. seiner Mutter der Fall war. Er bezeichnete seine Eltern in den ersten beiden Interviews als für ihn "nicht wichtig" bzw. "nicht so wichtig" (I) sowie den Kontakt zu Eltern und Geschwistern als "schlecht" (II) und erzählte, nicht bei den Eltern, sondern bei den Großeltern aufgewachsen zu sein. Während er zunächst berichtet hatte, von seiner Mutter keine Unterstützung erhalten, sondern vor allem Vorwürfe zu hören bekommen zu haben, äußerte er in den folgenden Interviews andere Einschätzungen speziell zu seiner Mutter.
"Also sie, sie sie ist immer für mich da gewesen, eigentlich. [A]m Geburtstag und Weihnachten habe ich einfach zwei große Einkaufstaschen bekommen von meiner Mutter, mit Süßem, mit Schokolade, mit allem Drum und Dran und dort habe ich eigentlich gewusst, sie steht hinter mir ja, und in all den Jahren haben wir immer telefonisch Kontakt behalten, ich habe sie wöchentlich, drei, vier Mal angerufen, sie ist mich immer zweimal im Monat besuchen gegangen und das macht sie auch heute noch, also sie ist immer für mich da und ich finde sie eigentlich eine tolle Mutter" (III). [29]
Tonis Neupositionierung im Hinblick auf die Mutter im dritten Interview erschließt sich nicht ohne Weiteres, da er hier über Erfahrungen sprach, über die er in den ersten beiden Interviews bereits verfügt hatte. Sie könnte damit zusammenhängen, dass zum Zeitpunkt des dritten Interviews beide Großeltern gestorben waren, die zuvor stets als positiver Gegenpol zu den desinteressierten Eltern fungiert hatten, die ihn als Kind weggegeben hatten. Im fünften Interview erfolgte dann eine ganz ähnliche Neupositionierung gegenüber dem Halbbruder, von dem er zuvor berichtet hatte, keinerlei Kontakt mehr mit ihm zu unterhalten. [30]
Im Unterschied hierzu erzählte Toni eine andere für ihn wichtige Beziehungserfahrung in den ersten drei Interviews jeweils fast wortgleich: Kurz nach seiner Inhaftierung bekam seine damalige Freundin ein Kind von ihm, habe es aber so stark vernachlässigt, dass es gestorben sei, woraufhin die Freundin inhaftiert worden war und sich dann selbst getötet habe, was bei Toni einen Nervenzusammenbruch ausgelöst habe. Die Stabilität dieser Erzählung könnte damit zusammenhängen, dass Toni angibt, diese Erfahrung in verschiedenen Therapien umfassend bearbeitet zu haben. Zusammengenommen scheinen sowohl diese wiederkehrende Schilderung als auch die Neupositionierung gegenüber seiner Mutter weniger mit dem Interview und der Interviewführung, sondern eher mit zwischenzeitlichen Vorfällen bzw. mit einer zuvor erfolgten Bearbeitung zusammenzuhängen. [31]
In anderen Fällen kam es anlässlich differierender Erinnerungen an frühere Interviews zu ausführlichen Neupositionierungen und Erläuterungen der Interviewpartner, so bei Herbert:
"Interviewer: Also ich mag mich noch erinnern, wie Sie recht frisch im Kulturzentrum waren, da haben Sie gesagt 'ja, mit den Leuten dort jetzt ist es OK, aber hab' ich jetzt nicht so viel mit zu tun'.
Herbert: Ui, nein das stimmt nicht. Nein, nein. Nein, nein, das ist nie so gewesen. Nein, im Gegenteil. Also (...) ähm, es ist eigentlich schon (.) eben, ich habe einen Austausch und es ist (...) also, ich habe es eigentlich von Anfang an angenehm gefunden [...]. Nein, ich habe das wahrscheinlich mehr so gemeint gehabt, irgendwo, dazumal, (...) dass halt gewisse Sachen schon ablaufen, wo ich kenne, und dass ich dort einfach, also dass ich mit der Sucht, oder mit, bis auf den Alkohol, wo jetzt vielleicht, aber so das völlig easy kann nehmen. [...] Nein, das ganze Projekt des Kulturzentrums ist schon noch so in meinem Sinn" (V). [32]
Der Erinnerung des Interviewers an Aussagen aus einem früheren Interview widersprach der Befragte vehement, wobei es ihm darum gegangen zu sein scheint, dass er bereits früher ein gutes Verhältnis und einen guten Austausch mit dem Kulturzentrum gepflegt hatte. Seine Äußerungen legen nahe, er habe sich zuvor möglicherweise missverständlich ausgedrückt, und er bemühte sich daher zu erläutern, was er "wahrscheinlich mehr so gemeint" habe. Hier wie auch in anderen Fällen waren für die Befragten eigene Erinnerungen relevanter als die der Interviewer, d.h., sie ließen die Deutungshoheit über ihre Geschichte nicht einfach infrage stellen – unabhängig davon, ob es – wie in diesem Beispiel – um Fragen der Interpretation ging oder um die korrekte Erinnerung an Fakten (wann bzw. wo genau etwas stattgefunden hat) gerungen wurde. [33]
Obwohl wir keine Bezugnahme auf frühere Aussagen der Befragten geplant hatten, haben wir entsprechende Nachfragen verschiedentlich gestellt. Die Interviewten reagierten unterschiedlich auf diese Erinnerungen, es war allerdings nicht erkennbar, dass diese den Interviewverlauf nennenswert beeinflussten. Entscheidender scheint u.E. zu sein, den teilweise neuen und überraschenden Interpretationen und Relevanzsetzungen der Befragten mit Akzeptanz zu begegnen und diese nicht mit früheren Aussagen zu kontrastieren. Auf diese Weise konnten sie die für sie (jeweils aktuell) relevanten Sichtweisen darlegen, und es kam weder zu erzwungenen Synchronisationsleistungen (DREIER et al. 2018) noch zu Abbrüchen der Interviews. Allerdings geraten Forschungsbeziehungen durch Aussagen, die widersprüchlich erscheinen, in ein Spannungsverhältnis, das nicht immer aufgelöst werden kann. [34]
3.3 Datenanalyse im Längsschnitt
In Hinblick auf die Datenanalyse wird in der Fachdiskussion vor allem die Frage thematisiert, inwieweit die einzelnen Interviews bzw. die einzelnen Interviewwellen unabhängig voneinander ausgewertet werden können bzw. sollen (KOŠINÁR & LAROS 2021). Dabei erscheint es wichtig, durch Vergleiche zwischen Äußerungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Entwicklungen oder die Stabilität der von den Interviewten berichteten Erfahrungen, Erlebnisweisen und Bewertungen rekonstruieren zu können. [35]
In unserem Projekt hatten wir uns, wie bereits erwähnt, für eine Datenanalyse gemäß der Grounded-Theory-Methodologie entschieden (STRAUSS 2007 [1987]), wobei sowohl aus dem Datenmaterial entwickelte Kodes als auch solche, die durch den Forschungsstand bzw. theoretische Annahmen der Reintegrations- und Desistanceforschung angeregt waren (SCHMIDT 2010), in das Kodiersystem eingingen. Dieses Kodiersystem war im Verlauf der Analyse der Interviews der ersten Erhebungswelle entwickelt worden, und es wurde in Auseinandersetzung mit den Interviews der folgenden Erhebungswellen ergänzt und weiter ausdifferenziert. In Hinblick auf einen der zentralen Analysebereiche – die Bedeutung sozialer Beziehungen im Kontext der sozialen Reintegration – konnten auf diese Weise verschiedene Differenzierungen vorgenommen werden, die uns nach der ersten Welle noch nicht deutlich gewesen waren – z.B. die mitunter erhebliche Bedeutung von Großeltern, gerade dann, wenn zu Eltern keine tragfähigen Beziehungen möglich waren, oder die früherer Partnerschaften, die für die Befragten mitunter jahrelang bedeutsam blieben, ebenso z.B. von Nachbarskindern oder Kindern von Partnerinnen für die von den Befragten erlebte Reintegration. [36]
Um solche zunächst nicht erwarteten Konstellationen erkennen zu können, war es wichtig, in der Auswertung auch den nachfolgenden Interviews unvoreingenommen zu begegnen, d.h., auch Daten aus späteren Wellen zunächst offen zu kodieren und erst danach zu prüfen, inwieweit die Kategorien des Kodiersystems und ihre Ausprägungen bestätigt oder erweitert werden konnten. Um die Chancen auf Analysen zu steigern, die nicht durch vorangegangene Auswertungen dominiert wurden, wurde das Material nicht nur in der Forschungsgruppe, sondern regelmäßig auch in verschiedenen Interpretationsgruppen, Forschungswerkstätten und Kolloquien mit anderen Kolleg*innen gelesen und diskutiert. Zudem wurden einzelne Fälle in der Forschungsgruppe anonymisiert interpretiert, um die notwendige Offenheit zu fördern. Auf diese Weise konnte ein Kodiersystem entwickelt werden, dessen Kategorien zunehmend gesättigt und differenziert erschienen. Gemäß diesem Kodiersystem wurden dann für jeden Befragten Informationen zur jeweiligen Kodierung und zu jeweils spezifischen Ausprägungen festgehalten. Diese wurden für jede Erhebungswelle gesondert dokumentiert. In einem weiteren Dokument wurden für jeden Untersuchungsteilnehmer, für alle Kategorien und differenziert nach Erhebungswellen Passagen aus den Interviews festgehalten, die die Grundlage der Kodierung darstellten. Auf diese Weise konnten Kodierungen überprüft werden und es war möglich, deren Stabilität oder Variabilität empirisch fundiert zu rekonstruieren. [37]
In einem weiteren Auswertungsschritt wurden Verlaufskodierungen vorgenommen. Im Fokus stand dabei die Frage, inwieweit Kodierungen im Längsschnitt stabil blieben bzw. sich veränderten. Solche Veränderungen können beispielhaft anhand der Bedeutung aufgezeigt werden, die die Befragten im Längsschnitt der Beziehung zu ihren Eltern zuschrieben:
Abnehmende Bedeutung: In sechs Fällen veränderte sich die Bedeutung der Eltern zumeist in dem Sinne, dass sie zunächst als zentrale Stützen und dann nur noch als regelmäßige Kontakte relevant waren.
U-Verlauf: In drei Fällen war in der Relevanz, die den Eltern zugeschrieben wurde, ein Einschnitt deutlich: Nachdem die Beziehung zwischenzeitlich als konflikthaft bzw. nicht vorhanden skizziert worden war, wurden diese schließlich wieder wie zu Beginn des Untersuchungszeitraums als Unterstützung bzw. regelmäßiger Kontakt gewürdigt.
S-Verlauf: In drei Fällen fanden wir im Untersuchungsverlauf äußerst wechselhafte Bedeutungszuschreibungen in Hinblick auf die Eltern, die insgesamt ein eher inkonsistentes Bild ergaben (HUMM et al. 2022a, S.54). [38]
Auf diese Weise konnte für alle Kategorien dokumentiert werden, inwieweit sich Entwicklungen feststellen ließen, um dann z.B. auch der Frage nachzugehen, mit welchen Bedingungen solche Entwicklungen zusammenhingen. Anhand des Kodiersystems und der Verlaufskodierungen konnten solche weiterführenden Analysen nur begrenzt realisiert werden – diese erfolgten stattdessen durch detaillierte Fallanalysen. Für die Auswahl der Fälle, die vertiefend analysiert wurden, waren die Kodierungen allerdings sehr hilfreich, da anhand dieser Kodierungen z.B. Kontrastfälle oder "negative Fälle", d.h. solche, die theoretischen Vorannahmen oder den anderen Fällen widersprachen, ermittelt werden konnten. [39]
4. Abschließende Einschätzungen
Am Beispiel der in diesem Beitrag skizzierten Studie wurde das Potenzial qualitativer Längsschnittforschung deutlich. So bestätigte sich, dass es mit diesem Ansatz möglich ist, individuelle Entwicklungsverläufe im Hinblick auf die Reintegration der Befragten zu rekonstruieren und zu erkennen, inwieweit diese durch Stabilität oder Veränderungen gekennzeichnet waren (ASBRAND et al. 2013). Angesichts sich verändernder Einschätzungen und Erinnerungen zeigte sich, wie wichtig es ist, nicht nur zu einem späteren Zeitpunkt Vorstellungen zu Vergangenem zu erfassen und zu rekonstruieren, sondern diese im zeitlichen Verlauf mehrfach jeweils aktuell zu erfragen (DREIER et al. 2018; MORROW & CRIVELLO 2015). Dabei erscheint es ratsam, nicht nur sparsam bemessene Untersuchungszeiträume und einige wenige Erhebungswellen vorzusehen. So haben sich in unserer Untersuchung mitunter noch in der fünften Erhebungswelle, d.h. etwa sechs Jahre nach Beginn der Untersuchung, Informationen zu relevanten Entwicklungen, Veränderungen oder Kontextbedingungen gezeigt, die zuvor nicht abzusehen waren. [40]
Im Rahmen der Studie, die wir in diesem Beitrag vorgestellt haben, wurden in methodischer Hinsicht wesentliche Erfahrungen mit Verfahren und Schwerpunktsetzungen gemacht, die für die qualitative Längsschnittforschung relevant sein können. So ist die Panelpflege bzw. der Erhalt einer stabilen Untersuchungsgruppe im Rahmen einer von Beginn an geplanten Längsschnittstudie offenbar erfolgversprechender als dann, wenn nachträglich ein Längsschnitt etabliert werden soll (MILLER 2015). In unserem Fall konnte ungeachtet ungünstiger Voraussetzungen (KOŠINÁR & LAROS 2021) eine über fünf Erhebungswellen relativ stabile Untersuchungsgruppe erreicht werden, was mit vielfältigen Strategien der Kontaktaufnahme sowie mit einer Panelpflege mittels regelmäßiger Newsletter und Grußkarten in Zusammenhang stehen dürfte (GRIMM & SCHÜTT 2020). Um die Interviewpartner auch dann noch persönlich und nicht nur online zu erreichen, wenn sie (über-)regional mobil waren, nahmen die Interviewer zum Teil erhebliche Anreisewege in Kauf, auch weil bei einer in verschiedener Hinsicht teilweise stark belasteten Untersuchungsgruppe ansonsten Beeinträchtigungen der Interviewqualität befürchtet wurden – anders als bei Schulabsolvent*innen, die am Beginn einer exklusiven Bildungskarriere stehen (KRÜGER 2019). Dies spricht dafür, dass der Aufbau und die Pflege tragfähiger Beziehungen (CALMAN et al. 2013; KÖHLER 2018) für die QLF zentrale Bedeutung hat. Zu diskutieren wäre in diesem Zusammenhang, inwieweit dabei in Kauf genommen werden sollte, dass diese Forschungsbeziehungen für die Befragten – mangels sonstiger sozialer Bezüge – zeitweise zu "Ersatzbeziehungen" werden können. Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Erfahrungen sind solche sich im Untersuchungsverlauf intensivierenden Beziehungen in erster Linie als besonderes Potenzial (MILLER 2015) anzusehen und weniger als Gefahr für die "sachliche Distanz" der Forschenden bzw. als Quelle für "Interviewfehler" (WITZEL 2020, S.69). Sie erscheinen dann produktiv und vertretbar, wenn sie in ihrem Stellenwert für die Datenerhebung und die Untersuchungsergebnisse reflektiert werden und wenn gegenüber den Untersuchungsteilnehmenden stets transparent gemacht wird, dass es sich um Forschungsbeziehungen handelt. Der Reflexion und Balance des Nähe-Distanz-Verhältnisses (KÖHLER 2018) kommt in der QLF in jedem Fall hohe Bedeutung zu. Die Flexibilität der Interviewer, die sich auf unterschiedliche und unklare Rahmenbedingungen eingelassen haben, sowie eine akzeptierende Grundhaltung während den Interviews halfen, eine vergleichsweise stabile Untersuchungsgruppe zu gewährleisten. Ein Unterlaufen der Interviews durch die Befragten und ein Abdriften ins Private (GRIMM & SCHÜTT 2020) konnte in unserer Untersuchung durch freundliches Beharren auf dieser Gesprächsform vermieden werden – was nicht bedeutet, dass Interviewende keine Informationen über sich preisgegeben hätten. Der systematische Wechsel von Interviewenden, wie von GRIMM und SCHÜTT vorgeschlagen, wäre u.E. mit dem Risiko verringerter Teilnahmebereitschaft verbunden gewesen. Auch erscheint die Möglichkeit, Ausfälle in der Untersuchungsgruppe wie in der quantitativen Längsschnittforschung durch ein Oversampling in frühen Erhebungswellen zu kompensieren (BÖTTGER et al. 2003; WITZEL 2020), im Rahmen qualitativer Studien aufgrund der begrenzten Fallzahlen nur eingeschränkt praktikabel. Selbst wenn eine über mehrere Erhebungswellen möglichst stabiles Sample je nach Untersuchungsansatz unterschiedliche Bedeutung hat, kann in der QLF grundsätzlich keine quantitative Rekrutierungslogik verfolgt werden in dem Sinne, dass in späten Erhebungswellen einfach eine ausreichende Anzahl an Datensätzen verfügbar sein müsse, ggf. auch durch den nachträglichen Einbezug weiterer Personen (BÖTTGER et al. 2003). Solch ein Sampling wäre mit dem Risiko verbunden, bestimmte Teilgruppen systematisch zu "verlieren". Vor diesem Hintergrund wäre in zukünftigen Längsschnittuntersuchungen durch systematische Drop-out-Analysen stärker als bisher darauf zu achten, wer an späteren Erhebungswellen nicht mehr teilnimmt, und diese Informationen auch bei der Datenanalyse zu berücksichtigen. [41]
In Hinblick auf die Interviewführung hat es sich in unserer Untersuchung bewährt, Hinweise auf frühere Aussagen der Befragten zu vermeiden, um die Interviewten in ihren aktuellen Relevanzsetzungen nicht einzuschränken (RYAN et al. 2016). Auf diese Weise konnten deren Synchronisierungsbemühen (DREIER et al. 2018) vermieden, ihre Bereitschaft zu ausführlichen Erzählungen erhalten und in einigen der untersuchten Fälle im Untersuchungsverlauf auch erkennbar gesteigert werden. Das gezielte Ansteuern von Aussagen aus früheren Interviews (CALMAN et al. 2013, S.6; MILLER 2015, S.301) hatte ganz unterschiedliche Reaktionen zur Folge – Bestätigungen, Korrekturen, Relativierungen, Ergänzungen und Diskussionen –, es wirkte sich aber nicht erkennbar auf den weiteren Verlauf der Interviews aus. Dagegen kann angenommen werden, dass die akzeptierende Haltung und Strategie der Interviewer den Gesprächsverlauf und die Bereitschaft der Befragten, weitere Interviews zu geben, begünstigten: Wir hatten beschlossen, auf die mitunter gravierenden Umdeutungen der Interviewten zu Aspekten, die zuvor ganz anders dargestellt bzw. bewertet worden waren, nicht kritisch einzugehen, sondern in jedem Fall interessiert nachzufragen. Wenn man sich entscheidet, die jeweiligen Untersuchungszeitpunkte ernst zu nehmen und hier nicht nur die Möglichkeit sieht, frühere Aussagen zu relationieren, liegt es nahe, im Untersuchungsverlauf nicht lediglich die gleichen Fragen immer wieder zu stellen, sondern diese im Interesse der Offenheit (KOŠINÁR & LAROS 2021) anzupassen bzw. auch neue Aspekte hinzuzunehmen, die sich als relevant herauskristallisieren (DERRINGTON 2019; NEALE 2019). Es erscheint sinnvoll, in weiterführenden Analysen die Frage, ob und wie durch Interviewende und Interviewte auf frühere Aussagen Bezug genommen wird und inwiefern von ihnen neue Aspekte einbezogen werden, stärker zu berücksichtigen. Die Erkenntnisse zu dieser Frage können in Abhängigkeit von der Forschungsfrage einer Längsschnittstudie auch dazu beitragen, die Ergebnisse anzureichern – etwa dann, wenn z.B. bestimmte Aspekte mit der Zeit betont, umgedeutet oder ignoriert werden. Dabei ist auch die Möglichkeit im Blick zu behalten, dass je nach methodologischer oder theoretischer Schwerpunktsetzung einer Studie auf die Frage der Bezugnahme auf frühere Aussagen unterschiedliche Antworten gegeben werden müssen. [42]
Wie bereits deutlich wurde, erachten wir es als zentral, einzelne Interviews bzw. Befragungswellen ernst zu nehmen und zu analysieren und sie nicht in erster Linie zur Validierung früherer Aussagen zu nutzen (RYAN et al. 2016). Zur Anwendung kam in unserem Projekt eine Kombination aus Auswertungen einzelner Befragungswellen und der Analyse über verschiedene Befragungswellen hinweg (DREIER et al. 2018). Grundlage der Datenanalyse bildeten gesonderte Auswertungen zu jeder Befragungswelle, wobei die Diskussion jedes einzelnen Falls in der gesamten Projektgruppe dazu beitrug, auch gänzlich unerwartete Entwicklungen zu erfassen und nicht bloß Erwartungen zu reproduzieren (MILLER 2015). Zusätzlich wurde der Frage nach Stabilität bzw. Veränderungen im Hinblick auf Erlebnisweisen und Bewertungen der Befragten durch die Entwicklung von Verlaufskategorien Rechnung getragen. Hierdurch konnte, so unser Eindruck, dem dynamischen Charakter der im Längsschnitt analysierten Entwicklungen besser Rechnung getragen werden als durch die Ermittlung von "Längsschnittbasistypen" (KRÜGER et al. 2012, S.59) oder "Längsschnitttypen" (LÜDEMANN 2020, S.393-394). Zudem boten diese Verlaufskategorien Anhaltspunkte für detaillierte Fallanalysen (vgl. auch KRÜGER 2019). Auf diese Weise konnte der längsschnittlichen Perspektive neben der Analyse einzelner Erhebungswellen ein angemessener Stellenwert eingeräumt werden. Neben längsschnittlichen Fallanalysen (ASBRAND et al. 2013) war es auf der Grundlage der Kodierungen gemäß einem einheitlichen Kategoriensystem aber auch möglich, Verteilungen und Dynamiken für die gesamte Untersuchungsgruppe im Längsschnitt zu ermitteln und zu dokumentieren (HUMM et al. 2022a). [43]
Abschließend kann festgehalten werden, dass die QLF ein äußerst ertrag- und perspektivenreicher Ansatz ist. Es gibt daher keinen Grund, Längsschnittforschung pauschal der standardisierten Sozialforschung zuzurechnen (MEIER 2020). Allerdings wurden die Potenziale und Herausforderungen der QLF bisher erst ansatzweise erschlossen und reflektiert. Notwendig erscheint es auch, die Begrifflichkeiten auf den Prüfstand zu stellen, mit denen QLF bislang diskutiert wird (LÜDEMANN 2020). Notwendig erscheinen vor allem Arbeiten, die die methodologischen und methodischen Besonderheiten berücksichtigen und dokumentieren. Dies könnte dazu beitragen, Forschenden, die ein QLF-Projekt realisieren, mehr Sicherheit zu geben und das Gefühl zu vermeiden, in methodischer Hinsicht immer wieder von vorne beginnen zu müssen. [44]
1) Zu den Interviewausschnitten wird jeweils angegeben, aus welcher Befragungswelle dieser stammt (I, II, III, IV, V). Bei allen Namen handelt es sich um Pseudonyme, und zudem wurden alle Angaben so anonymisiert, dass keine Rückschlüsse auf unsere Interviewpartner möglich sind. Kurzes Innehalten in der Erzählung haben wir mit (.), eine Pause im Erzählen mit (…) kenntlich gemacht. <zurück>
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Peter RIEKER ist Professor für außerschulische Bildung und Erziehung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Er forscht zu Kindheit und Jugend, zu abweichendem Verhalten und Extremismus sowie zu politischer Partizipation, Migration und interethnische Beziehungen. Zudem arbeitet er zu Methoden der qualitativen Sozialforschung und zu multimethodischer Forschung. |
Kontakt: Prof. Dr. Peter Rieker Institut für Erziehungswissenschaft Tel.: +41 44 634 45 61 E-Mail: prieker@ife.uzh.ch |
Jakob HUMM ist Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Luzern und arbeitet dort in den Bereichen Lehrer*Innen-Bildung sowie Alltag und Wissenschaft. Zwischen 2013 und 2022 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich mit den Forschungsbereichen Desistance, Reintegration und Delinquenz.
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Kontakt: Dr. Jakob Humm Pädagogische Hochschule Luzern Tel.: +41 41 203 02 47 E-Mail: jakob.humm@phlu.ch |
Franz ZAHRADNIK ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Sozialpädagogik des Instituts für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Themenbereichen soziale Probleme und soziale Kontrolle, insbesondere Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum, Kriminalität, Strafvollzug und Resozialisierung. |
Kontakt: Dr. Franz Zahradnik Institut für Erziehungswissenschaft Tel.: +41 44 634 27 97 E-Mail: franz.zahradnik@ife.uzh.ch |
Rieker, Peter; Humm, Jakob & Zahradnik, Franz (2024). Qualitative Interview-Längsschnittforschung – forschungspraktische Chancen und Herausforderungen [44 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 25(2), Art. 11, https://doi.org/10.17169/fqs-25.2.4164.