Volume 25, No. 1, Art. 12 – Januar 2024
Aktuelle Transformationen des Lehrens und Lernens qualitativer Forschung. Eine Diskussion
Günter Mey, Debora Niermann, Petra Panenka & Nicole Weydmann
Zusammenfassung: In dem Beitrag wird das Symposium "Transformationen des Lehrens und Lernens qualitativer Forschung" beim 18. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung dokumentiert. Hierzu werden zunächst kursorische Bemerkungen zu den in den letzten 20 Jahren zu beobachtenden Veränderungen der Thematisierung von Lehren und Lernen qualitativer Forschung gegeben. Es folgen kurze Erfahrungsberichte der Podiumsteilnehmenden, um einige Herausforderungen in und mit der Lehre qualitativer Forschung zu pointieren. In der anschließenden Diskussion werden nicht nur Besonderheiten der qualitativen Forschung aufgrund ihrer Essentials (Offenheit, Kommunikativität, Reflexivität) herausgestellt, sondern vor dem Hintergrund der zunehmenden Didaktisierung und Digitalisierung auch Anforderungen an eine erfahrungsbasierte Lehre konkretisiert. Darüber hinaus werden Ansprüche dahingehend formuliert, in welcher Weise die Methodenausbildung zu reformieren ist, die nicht nur weit über den Ausbau der hochschulischen Strukturen hinausweisen, sondern auch ein grundsätzlich anderes Verständnis der Gestaltung der Lehr-Lern-Arrangements bedeuten.
Keywords: Offenheit; Partizipation; Bologna-Reform; forschendes Lernen; Reflexivität; Lehrwerkstätten; Digitalisierung; Erfahrungswissen; Scholarship of Teaching and Learning
Inhaltsverzeichnis
1. Vorbemerkung
2. Einleitende Bemerkungen zur Etablierung, Didaktisierung und Digitalisierung qualitativer Methodenlehre
3. Eigene einprägsame Lehr-Lern-Erfahrungen
4. Sonderstatus der Lehre qualitativer Forschung im Kontext institutioneller Vorgaben
5. Methodenlehre in einer öffentlicheren und entzauberten Wissenskultur
6. Das Lehren und Lernen qualitativer Forschung selbst zum Untersuchungs- und Entwicklungsgegenstand machen, um Hochschullehre zu transformieren
Zum Autor und zu den Autorinnen
1. Vorbemerkung1)
Die im Folgenden dokumentierte Diskussion wurde am 29. Juli 2023 im Rahmen des Symposiums beim 18. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung (BMT) an der Freien Universität Berlin geführt. Von der Aufzeichnung wurde mittels des Programms f4x zur automatischen Spracherkennung ein Transkript erstellt2), das zunächst von Günter MEY aufbereitet und sodann in einem mehrmaligen Abstimmungsprozess unter allen Beteiligten überarbeitet wurde. Die Redebeiträge wurden hierbei sprachlich geändert, ausgewählte Publikumsbeiträge integriert, Passagen gekürzt bzw. um bei der Vorbereitung der Diskussion vermerkte Aspekte erweitert und schließlich um Literaturangaben ergänzt. Die Originalversion der Podiumsdiskussion ist als Video abrufbar auf der Dokumentationswebseite des BMT. [1]
2. Einleitende Bemerkungen zur Etablierung, Didaktisierung und Digitalisierung qualitativer Methodenlehre
Günter MEY: Wir haben beim BMT bereits 2006 und 2010 das Thema Lehren und Lernen diskutiert (BREUER & SCHREIER 2007; FLICK et al. 2014), sodass sich die Frage stellt, warum das Thema nun ein drittes Mal verhandelt wird. Dafür sehe ich drei Gründe. Zunächst ein historischer: Das BMT wurde Anfang des Millenniums initiiert und dann 2005 das erste Mal ausgerichtet, da qualitative Forschung damals, so die Diagnose, an Hochschulen und Universitäten einen schweren Stand hatte. Sie befand sich oftmals in der Peripherie und wurde marginalisiert. Es gab zwar auch schon zu der Zeit einige Übersichtsbände und erste Lehrbücher, aber wie qualitative Forschung zu praktizieren ist, war zumindest in vielen Fachdisziplinen und an vielen akademischen Orten – jenseits der Hochburgen – eine Leerstelle (MRUCK & MEY 2000). Jahrelang konnte ich bedenkenlos auf ein Zitat von Christel HOPF und Walter MÜLLER (1994, S.43f.) zurückgreifen.
"Bedauerlich ist [...], daß im Rahmen der Universitätsausbildung qualitative Verfahren nicht den Stellenwert haben, den sie wegen ihrer Bedeutung für die Auseinandersetzung mit elementaren Fragestellungen [...] haben müssten. So ist die Ausbildung in den Methoden der empirischen Sozialforschung an den meisten Universitäten sehr stark durch die Ausbildungsansprüche im Bereich der quantitativen Verfahren bestimmt. Kein Wunder, wenn Studierende und Absolventen [...] vielfach Probleme mit der Umsetzung elementarster Anforderungen an qualitative Forschung haben. Mit der Aufnahme von Feldkontakten, mit der Durchführung teilstandardisierter Interviews, mit der Fähigkeit zu beobachten, Beobachtungsprotokolle zu schreiben oder die Angemessenheit von Transkriptionen zu beurteilen." [2]
Heute würden wir diese Diagnose mutmaßlich anders formulieren, auch wenn an einigen Orten und auch in den Lehrplänen einiger Studiengänge es mitunter wie Mitte der 1990er Jahre zugehen mag. Sicherlich würden wir heute auch problematisieren, dass qualitative Forschung so vielfältig geworden ist, dass es kaum möglich erscheint, in der Lehre auch nur ansatzweise entsprechende Angebote zu unterbreiten (KELLER 2014). [3]
Ein zweiter Grund, warum das Thema Lehren und Lernen zentral scheint, ist seine Bedeutung für die Güte unserer Forschung. Denn wir wollen am Ende qualitativ hochwertige Studien präsentieren. Aber ebenso relevant ist eine gute Ausbildung für die weitere Etablierung und Entwicklung der qualitativen Forschung. Hier erinnere ich an das Memorandum für eine fundierte Methodenausbildung, das wir 2008 vorgelegt haben und das von 20 Fachgesellschaften ratifiziert wurde (MEY 2008; MEY & MRUCK 2014, 2020). Damit wurde eine Lehre eingefordert, die in Umfang und Arbeitsform den methodischen Ansprüchen der Forschungspraxis Rechnung trägt und für die besondere Charakteristik qualitativer Forschung sensibilisiert, also vom Forschungsdesign über die Plausibilisierung von Methoden bis hin zur Berücksichtigung forschungsethischer Richtlinien. Um eine solche Lehre zu ermöglichen, heißt es im Memorandum, dass an Hochschulen "ausreichend Lehrmittel und kommunikative Räume wie Interpretations- und Analysegruppen [...] durch Bereitstellung angemessener Ressourcen (Räume, Anrechnung auf Lehrdeputat) und Strukturen nachhaltig sicherzustellen" sind. Wie weit wir mit dieser Forderung gekommen sind, haben wir 2022 auf dem Symposium Zur Organisation Qualitativer Forschung zu diskutieren begonnen. Nebenbei ist daraus eine Initiative zur Vernetzung der existierenden Methodenzentren angestoßen worden, da die damaligen Podiumsteilnehmenden (Alexa M. KUNZ, Katharina MIKO-SCHEFZIG, Debora NIERMANN und Ursula OFFENBERGER) sich mit anderen formiert haben und im Juni 2024 eine Auftakttagung in Frankfurt am Main ausrichten werden (siehe zu Methodenzentren auch KALKSTEIN & MEY 2021; MIKO-SCHEFZIG 2023). Wie sehr eine übergeordnete Vernetzung und der Austausch unter Lehrenden qualitativer Methoden weiterhin nötig ist, zeigen auch die jüngsten Entwicklungen. Die Initiative von Nicole WEYDMANN 2022 über die Mailingliste Qualitative Sozialforschung (QSF_L) als Aufruf zur Vernetzung und zum Austausch über qualitative Methodenlehre hat für viel Resonanz gesorgt und zur Etablierung eines Netzwerks von derzeit zehn Lehrwerkstätten geführt. Dies scheint mindestens ein Indiz für die Ausbreitung qualitativer Forschung zu sein, vielleicht aber auch für nach wie vor anhaltende Missstände. [4]
Drittens müssen wir schließlich über qualitative Forschung und über deren Lehre reden, da wir uns in einer rasant wandelnden Welt bewegen und damit auch Veränderung immer mitzudenken ist (KANTER & MEY 2021; RIEGLER, HAMETNER, WRBOUSCHEK, DISTLER & SLUNECKO 2023). Nach der Transformation durch die Bologna-Reform hatten und haben wir mit Fragestellungen zu kämpfen, die durch sehr kleinteilige Modularisierungen und die zunehmende Rede vom kompetenzorientierten Lernen, Lehren und Prüfen entstanden sind. Einige sprechen auch von einer Überdidaktisierung und andere gar von einer Verschulung (KANTER, JÜRISCH & MEY 2019). Infolgedessen ist auch zu konstatieren, dass sich eine Veränderung von Lehrmaterialien vollzieht. Es wird eine Fülle zunehmend digitaler Schulungsmaterialien produziert (ÜLPENICH 2023), zahlreiche Lehr- und Erklärvideos werden auf YouTube bereitgestellt und vieles mehr. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, ob es uns überhaupt als Lehrende physisch vor Ort noch benötigt oder, wenn wir schon vor Ort sind, welche Folgen dies für die Konzipierung der Lehre hat und wie wir unsere Lehr-Lern-Arrangements gestalten. Insofern wollen wir heute auch stärker auf diese Transformationen eingehen, die sich durch die Didaktisierung einerseits und die Digitalisierung andererseits hinterrücks ergeben haben. Hinterrücks, weil wir uns in einem Kontext bewegen, der verschiedene Spannungsfelder aufweist (STAMANN, LEHWALD & RUPPEL 2023) und vermuten lässt, dass mit der Diskussion um Lehren und Erlernen vielleicht eine Hidden Agenda auch für die Ausformung der qualitativen Forschung mitverhandelt wird. Die Stichworte wären hier etwa Vergleichbarkeit, Überprüfbarkeit und Standardisierung. Vor diesem Hintergrund bewegen wir uns in einem Spannungsfeld zwischen Kanonisierung von Forschungsmethoden einerseits und einer zunehmenden Pluralisierung andererseits. Zu fragen ist aber auch, wie es sich mit dem Erlernen methodisch-technischen Wissens auf der einen Seite und mit der Bedeutung der Enkulturation und damit der Einübung einer qualitativen Haltung auf der anderen Seite verhält. Schließlich ist zu erörtern, inwieweit über die Digitalisierung von Lehr-Lern-Arrangements nicht nur die für qualitative Forschung bedeutsame Priorisierung leiblicher Kopräsenz und analoger Verfahren unterlaufen wird, sondern mehr noch die didaktische Vorstrukturierung institutioneller Lernprozesse gerade für eine Aneignung qualitativer Forschungskompetenzen hinderlich ist, die Offenheit, Selbstreflexivität und selbstgesteuerte Gestaltungsprozesse beim Forschen umfassen. [5]
3. Eigene einprägsame Lehr-Lern-Erfahrungen
Günter MEY: Wir starten damit, dass jede der Teilnehmerinnen ein Beispiel aus der eigenen Lehre qualitativer Forschung einbringt, sei es eines, das als Best Practice verstanden werden könnte oder auch ein Worst Case, um besondere Schwierigkeiten zu verdeutlichen. [6]
Nicole WEYDMANN: Im Laufe eines Semesters bin ich alltäglich mit außerordentlichen Erlebnissen in der Lehre konfrontiert. Mein heutiges Beispiel stammt aus diesem Semester, und ich habe kein Best-Practice-Beispiel gewählt, sondern eine Episode, mit der ich verdeutlichen möchte, wie komplex und vielschichtig die Herausforderungen an Lehrende im Alltag sind. Zugetragen hat sie sich im zweiten Semester des Studiengangs "Angewandte Gesundheitswissenschaften" im Seminar "Einführung in die qualitative Forschung" an der Hochschule Furtwangen. Die Studierenden durchlaufen in diesem Seminar erstmals einen qualitativen Forschungsprozess von der Entwicklung einer Fragestellung über die Datenerhebung bis hin zur Analyse und Verschriftlichung. Idealerweise führen sie in diesem Rahmen pro Person ein Interview oder eine Fokusgruppendiskussion durch und besuchen zu einem ähnlich gelagerten Thema auch das angekoppelte quantitative Methodenseminar. In diesem Semester hatte ich eine Gruppe, die sich mit dem Zusammenhang von Armut und Gesundheit auseinandersetzen wollte. Genauer interessierte sie, welchen subjektiven Zusammenhang es zwischen dem Bezug von Bürgergeld und dem eigenen Bewegungsverhalten gibt. Die kleinen Forschungsgruppen befragen in der Regel nahe Bezugspersonen wie Freund*innen, Eltern, Großeltern oder andere Verwandte. Den Feldzugang und damit verbundene ethische Implikationen haben wir im Seminar diskutiert, ohne jedoch explizit mit jeder Gruppe einzeln ihr Forschungsvorgehen zu besprechen. In diesem Semester hörte ich bei einer Gruppe dann nur beiläufig auf dem Flur, dass deren Mitglieder planten, mit einem Sixpack Bier im Park nach Empfänger*innen von Bürgergeld Ausschau zu halten, um eine Ad-hoc-Fokusgruppe abzuhalten. [7]
Was sollte ich tun? Das Thema Forschungsethik und stigmatisierende Zuschreibungen hatten wir zuvor anhand verschiedener Beispiele gemeinsam erörtert und diskutiert. Diese schienen aber bei dieser Studierendengruppe nicht wirklich angekommen zu sein. Daher überlegte ich, ob ich den Studierenden diesen Feldzugang untersagen musste. Ich entschied mich, nachzufragen, ob dies eine ernsthafte Planung einer Rekrutierung oder doch vielmehr ein schlechter Scherz war; ich hatte gehofft, damit ein nochmaliges Überdenken anzustoßen. In der darauffolgenden Woche haderte ich immer wieder damit, ob ich das Vorgehen der Studierendengruppe hätte unterbinden müssen. Deren Mitglieder erzählten in der nächsten Sitzung dann auch prompt, dass sie Bier gekauft hatten und tatsächlich in den Park gegangen waren. Allerdings wurde ihnen dann bei ihrer Suche nach Gesprächspartner*innen für ihre Fokusgruppe deutlich, dass es den Personen im Park nicht unmittelbar anzusehen war, ob sie Bezieher*innen von Bürgergeld waren. Sie hatten es mit zwei verschiedenen Gruppen ausprobiert, aber gemerkt, dass sie sich mit ihrem Vorgehen und ihren Zuschreibungen sehr unwohl fühlten. Dieser missglückte Feldzugang hat letztlich einen wichtigen Reflexionsprozess bei den Studierenden angestoßen, den diese dann in ihrem Forschungsbericht reflektiert haben. Daher kann ich im Nachhinein bestätigen, dass dieser Erfahrungsraum ein wichtiger Lernimpuls für sie war und vermutlich nicht zu Schaden bei den Beteiligten im Park geführt hat. Diese Wendung war jedoch nicht zwangsläufig, und ich erzähle dieses Beispiel heute, da es vor Augen führen kann, mit welchen komplexen Anforderungen und Rollenaushandlungen Lehrende qualitativer Methoden konfrontiert sind: Welche Erfahrungsräume des Lernens ermöglichen oder schaffen wir für Studierende? Wie viel Rahmung und Begrenzung müssen vorab entwickelt werden oder eben auch nicht? Wie weit reicht die Verantwortung von Lehrenden im Kontext des forschenden Lernens, und welches Maß an Selbstverantwortung kann vorausgesetzt werden? [8]
Petra PANENKA: Ich habe ein Beispiel gewählt, das bei mir Fragen in Bezug auf die Partizipation Studierender an Lehrveranstaltungen weckte und sowohl zu einer neuen Konzipierung der Veranstaltung als auch damit einhergehend zur Auseinandersetzung mit meiner Lehrhaltung führte. Es stammt aus dem dritten Semester des interdisziplinären Masterstudiengangs "Interkulturelle Bildung, Migration und Mehrsprachigkeit" an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, in welchem das Modul nach dem "forschenden Lernen" (HUBER & REINMANN 2019) konzipiert ist. Es besteht aus einer Blockveranstaltung zu Beginn des Semesters und im Anschluss der Durchführung eines in der Regel qualitativen Forschungsprojekts. Die Blockveranstaltung sollte den Studierenden jeweils ermöglichen, ihr Projekt durch die (Weiter-)Planung des Forschungsdesigns zu beginnen. Jedoch zeigte sich nach kurzer Zeit in der Lehrveranstaltung, dass dieses Vorgehen für die wenigsten zu diesem Zeitpunkt sinnvoll war. Manche hatten bereits ein Forschungsdesign geplant, andere dagegen wollten ihre Fragestellung bewusst erst später entwickeln. Letzteres traf insbesondere zu, wenn sie ihre Fragestellung in Kooperation mit Personen einer Organisation oder Einrichtung – wie beispielsweise aus NGOs oder Flüchtlingsunterkünften – konkretisieren wollten. In beiden Fällen hatten die Studierenden trotzdem recht konkrete Vorstellungen, mit welchen Lerninhalten sie sich eingehender auseinandersetzen wollten. Hierzu zählten insbesondere die Vertiefung von Expert*inneninterviews (BOGNER, LITTIG & MENZ 2022) und ein "Einüben" der Leitfadenerstellung mit der SPSS-Methode3) nach Cornelia HELFFERICH (2022). [9]
Ich erkannte, dass das angestrebte Lernergebnis in Form einer konkreten Planung der einzelnen Forschungsdesigns zu eng gefasst war. Für viele Studierende war dieses Lehrziel zu dem Zeitpunkt nicht sinnvoll. Meine Ad-hoc-Lösung war eine dialogische Aushandlung der Lernziele und -formen mit den Studierenden, das heißt, eine gemeinsame Re-Konzipierung der Lehr-Lern-Arrangements für das verbleibende Blockseminar. Damit ging die Veränderung zu einer partizipativen Lehrhaltung einher, mit der ich das Seminar im nächsten Jahr von Beginn an durchführte. Zwar bewährte sich diese Herangehensweise, jedoch würde ich nicht von Best Practice sprechen, da der Erfolg dieser Vorgehensweise stark von den Vorerfahrungen und der Fähigkeit zur Mitbestimmung aufseiten der Studierenden abhängig ist. Ebenso stellt sich die Frage, wie in partizipativen Zusammenhängen geprüft und bewertet werden kann. In meinem Fall hatte ich das Glück, dass nur eine Studienleistung ohne Note in dieser Lehrveranstaltung vergeben wird. [10]
Debora NIERMANN: Ich hatte auch überlegt, von einem Studienforschungsprojekt zu berichten, und es ist sicher kein Zufall, dass es das ist, was uns einfällt, wenn wir nach einprägsamen Lehr-Lern-Erfahrungen gefragt werden. Dann habe ich mich aber entschieden, darüber zu sprechen, wie ich selbst qualitative Forschung gelernt habe. Nicht, weil das ein Best-Practice-Beispiel ist, sondern weil Cornelia HELFFERICH, von der ich an der Evangelischen Hochschule Freiburg Anfang der 2000er Jahre grundständig qualitative Sozialforschung lernen durfte, den laufenden Lehrbetrieb, den sie als Fachhochschulprofessorin zu leisten hatte, klug mit ihren unzähligen, groß angelegten interpretativen Studien verbunden hat. Von dieser Verwobenheit haben insbesondere wir Studierende sehr profitiert. Für mich hieß das, dass ich vier Wochen nach meiner ersten Einführung in die qualitative Sozialforschung in einen real laufenden Forschungsprozess involviert war. Für die Familienplanungsstudie "frauen leben" (HELFFERICH, KLINDWORTH & KRUSE 2011) konnte ich als Interviewerin tätig sein und später als Hilfskraft regelmäßig an den Analysegruppensitzungen teilnehmen. Bis heute ist mir sehr präsent, mit welcher Selbstverständlichkeit Cornelia HELFFERICH uns bei Besprechungen mit Auftraggebenden wie z.B. der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat teilnehmen lassen. Das hat bei mir die Vorstellung, wie reflexive Wissenstransfers aussehen können und wie es gelingen kann, qualitativ-interpretative Logiken in solchen Kontexten überzeugend zu kommunizieren, nachhaltig geprägt. Diese Durchlässigkeit von Forschung und Lehre war und ist für mich ein wesentliches Qualitätsmerkmal herausragender Methodenlehre. Das andere, wofür ich Cornelia HELFFERICH bis heute dankbar bin, ist, dass sie einen realistischen Blick auf die Bandbreite an Emotionen gegeben hat, die mit qualitativen Forschungsprozessen verbunden sein können. Da ist erst einmal Begeisterung bei der Entwicklung neuer Ideen und von Forschungsdesigns, und es sind die Aha-Momente im Verlauf der gemeinsamen Datenanalyse. Ich bin aber auch froh, dass sie gleichzeitig viel über die Schwierigkeiten gesprochen hat, die sie in Projekten erlebte, teils hat sie auch ungelöste Probleme mit ins Masterseminar gebracht mit der ehrlichen Anfrage, ob wir vielleicht noch einen anderen Blick darauf hätten. Diese Palette als eine Normalität zu erzählen, finde ich einen zentralen Aspekt, der mir auch in der Kommunikation mit Studierenden, die ihre Qualifizierungsarbeiten schreiben, wichtig ist. [11]
Ich möchte aber noch zwei Dinge zu den Schattenseiten dieser ansonsten sehr überzeugenden Lehrpraxis sagen. Die erste ist, dass oft in intellektuellen Erzählungen romantisiert wird. Das sind die Abende am Küchentisch, bei der Professorin zu Hause oder wenn am Sonntagmorgen gemeinsam ein Herausgeber*innenband diskutiert wird. Diesen Erlebnissen ist eine Entgrenzung immanent, bei der zentrale Vermittlungsprozesse qualitativer Sozialforschung in großer Selbstverständlichkeit extracurricular stattfinden. Die zweite Schattenseite ist für mich, dass wir in der Lehre qualitativer Sozialforschung oft von Partizipation und Interpretationsgruppen auf Augenhöhe, jenseits von Statusgruppenzugehörigkeiten, sprechen. Je ausgeprägter dieses Narrativ ist, umso mehr müssen wir hinschauen. Das gilt gerade auch für die Auswahlprozesse beim Lernen-Dürfen von wichtigen Expert*innen der qualitativen Sozialforschung. Dabei müssten wir uns selbstkritisch fragen, wer welche Ausbildungswege als qualitativ Forschende*r warum gehen kann, und was das mit Ungleichheitsdynamiken zu tun hat, die in unsere Lehr-Lern-Arrangements eingeschrieben sind. Wer wird durch sie gefördert, wer ausgeschlossen? [12]
Günter MEY: Ich würde auch gerne ein aktuelles Beispiel anführen und dabei gar nicht die Ebene von Best oder Worst Case berühren, sondern einfach einen Aspekt herausstellen, der mich begeistert hat. An der Hochschule Magdeburg-Stendal biete ich die "Projektwerkstatt Qualitatives Arbeiten" (PW, MEY 2021; MRUCK & MEY 1998) an, bei der ich jede Woche für vier Stunden mit denen zusammenkomme, deren Bachelor- und Masterarbeiten ich betreue, und in der im Sinne werkstattförmigen Arbeitens im gemeinsam Peer-to-Peer-Austausch die Teilnehmenden sich wechselseitig ergänzen und unterstützen. Dazu eine erste Beobachtung: In der Regel ist es so, dass die Masterstudierenden zwar einen etwas größeren Vorsprung aufweisen und die Bachelorstudierenden eher das Gefühl haben, sie wüssten noch nicht so viel. Dies nivelliert sich aber, wenn auch die Masterstudierenden erstmals eine Qualifikationsarbeit schreiben. Eine zweite Beobachtung ist, dass die Studierenden, wenn sie neu in die PW kommen, fast alle gerne Interviews führen möchten – scheinbar verbinden sie (nicht ganz zu Unrecht und wohl auch aufgrund der Inhalte meiner Einführungsvorlesung) mit qualitativer Forschung vor allem Interviewstudien. Im letzten Jahr kamen dann drei Studierende in die PW, bei denen dies anders gelagert war. Nach den Diskussionen in der Gruppe entschied sich eine der Studierenden mit einem Interesse an pferdegestützter Supervision für eine Videografie und hat die aufbereiteten Aufnahmen – im Sinne eines Selbstkonfrontations-Interviews (BREUER 1995) – mit der Supervisorin hinsichtlich der Abläufe und Interventionen kontrastiert (KÖHLER 2023). Eine andere Studentin wollte Interviews zum Thema Ruhestand führen. Da ich um ihre Leidenschaft für die Fotografie wusste, schlug ich ihr vor, diese als methodischen Zugang zu wählen. Sie hat ihre Arbeit dann in Anlehnung an den Photovoice-Ansatz konzipiert (MAI 2023). Die dritte Studentin interessierte sich dafür, wie in Altenheimen kommuniziert wird und wollte dazu Interviews mit den dort Wohnenden führen. Da sie aber noch ein Praktikum zu absolvieren hatte, schlug ich vor, dieses zu nutzen. Sie machte eine vierwöchige Ethnografie, sehr aufwendig mit vielen ausführlichen Protokollen (WIECK 2023). Damit bin ich beim Punkt. Mich hat es begeistert, dass die drei als Bachelorstudierende sich auf ein Abenteuer eingelassen haben, also nicht nur ein Interesse verfolgten, sondern dieses dann auch gegenstandsangemessen methodisch gelungen umsetzten, dies alles mit großem Engagement und einem immensen Workload. Und damit bin ich bei den Schattenseiten. Qualitative Forschung, ernst genommen, ist ungeheuer aufwendig, wirklich harte Arbeit und verlangt Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz. Am Ende gibt es dafür zwölf Credits im Bachelor plus vier Credits für die Teilnahme an der PW. Das steht in keinem Verhältnis zum Aufwand. Das zweite aus meiner Sicht Problematische ist: Wenn ich diesen Raum so öffnete und Studierende den Vorschlägen nachgingen, waren sie nicht einmal von mir in den vorangegangenen Semestern an der Hochschule darauf vorbereitet worden, weil es in der Standardlehre gar nicht möglich war, die ganze Vielfalt an Verfahren vorzustellen. Insofern ist es auch kein Wunder, wenn Studierende Interviews einsetzen wollen, weil ich dies in der Vorlesung und in zugehörigen Übungen anbiete, aber nicht in die Breite gehen und Gegenstandsangemessenheit für alle oder zumindest viele Methoden durchspielen kann. Es wäre zu diskutieren, wie angesichts der Pluralität von Methoden und Ansätzen die Lehre auszurichten ist, um sich auf Gegenstände einzulassen, sie zu erkunden, offen zu sein für Fragestellungen. Gleichzeitig gilt es, die Einschränkungen nicht zu übersehen. Das ist ein Spannungsfeld, das nicht allein durch die Begeisterung der Studierenden und Lehrenden ausgeglichen werden kann. Denn trotz der Magic Moments braucht es ungeheuer viel Energie, und wir kommen sehr schnell an den Punkt der Entgrenzung sowohl bei denjenigen, die die Arbeiten betreuen und noch mehr bei denen, die diese Qualifikationsarbeiten schreiben. [13]
Benedict LANG (aus dem Publikum): Die Diskussion und die dargestellten Positivbeispiele scheinen darauf aufzubauen, dass es notwendig ist, aus "Begeisterung" über die strukturell vorhandenen Ressourcen hinauszugehen, um erfolgreiche Projekte zu machen. Müssten wir im Gegensatz dazu nicht schon im Studium genau diese Ressourcenknappheit vermitteln, reflektieren und einen Umgang damit lernen und lehren? Sollten wir nicht lieber an einem Gegenentwurf arbeiten? Dieser könnte beispielsweise aus pragmatischem Widerstand oder pragmatischem Bestreiken der strukturellen Gegebenheiten bestehen. So würden Wissenschaftler*innen auch früh erlernen, dass sie sich nicht zwangsläufig vom wissenschaftlichen System ausbeuten lassen. [14]
4. Sonderstatus der Lehre qualitativer Forschung im Kontext institutioneller Vorgaben
Günter MEY: Die Bandbreite an Möglichkeiten, aber auch die damit einhergehenden Herausforderungen und Begrenzungen der Lehr-Lern-Arrangements in der durch die Bologna-Reform entstandenen Modulstruktur in Studienplänen verweisen auf ein Spannungsfeld (KANTER et al. 2019). Inwieweit bestehen hier Vorgaben, die sich mit den Ansprüchen und Prinzipien qualitativer Forschung – insbesondere Offenheit – reiben? [15]
Nicole WEYDMANN: Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Lehre qualitativer Forschung an unterschiedlichsten Orten und in unterschiedlichsten Kontexten stattfindet. Das bedeutet auch, entweder in eher qualitativen Methoden freundlich oder unfreundlich gesinnte Umgebungen eingebunden zu sein. Ebenso gilt zu differenzieren, ob Lehrende auf einer unbefristeten Professur oder in prekären, befristeten Anstellungen lehren, ob Lehrangebote curricular verankert sind oder nicht. Im Kontext der Lehrwerkstätten wird jedoch auch deutlich, dass Lehrende über diese Spannungsfelder hinweg mit ähnlichen didaktischen und strukturellen Herausforderungen ringen. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Umsetzung der paradigmatischen Fundamente qualitativer Forschung in der Lehre im Sinne eines Anspruchs an Offenheit, an wechselseitige Kommunikation und angesichts der Bestandsaufnahme, dass dieser Anspruch den hochschulischen modularen Strukturen widerspricht. Daher stellt sich die Frage: Für wen oder was lehren wir? Diese wird im Kontext von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) besonders zugespitzt diskutiert, da hier die Orientierung auf eine effiziente marktförmige Produktion zur Entwicklung von notwendigen Fachkräften noch stärker empfunden wird. Wie lassen sich diese Logiken mit der Enkulturation in eine offene, explorative Forschungshaltung verknüpfen? Lehrende sind entsprechend aufgefordert, sich zu positionieren und zu klären, welche Ziele sie mit ihrer Methodenlehre verfolgen, und ob hierbei ein eher pragmatischer Werkzeugkasten zur fachlichen Anwendung oder auch erkenntnistheoretische Einbettungen gelehrt werden. In den Lehrwerkstätten ist diese Aushandlung ein regelmäßiger Diskussionspunkt, insbesondere weil die Lehre qualitativer Forschung zumeist zeitlich und personell sehr eng aufgestellt ist. Daher behaupte ich, dass die Lehre qualitativer Forschungsmethoden eine politische Dimension hat, weil Lehrende sich in diesem Spannungsfeld positionieren müssen. Aktuell zeigt sich diese Dimension auch in den Diskussionen um gesellschaftliche Transformationen und in der Nachhaltigkeitsdebatte, sodass sich daraus die Frage ergibt: Wie politisch ist qualitative Sozialforschung und welche Perspektiven eröffnen wir darin unseren Studierenden? Wie sehr lasse ich mich auf marginalisierte Gruppen ein und trage dazu bei, Vielstimmigkeit hörbar zu machen? Oder wie sehr reproduziere ich professionskonforme und marktgängige Logiken, die vielleicht von meinem Dekanat oder meiner Hochschulleitung gewünscht werden? [16]
Petra PANENKA: Dies betrifft aus meiner Sicht nicht nur die Herausforderungen und Begrenzungen von Lehr-Lern-Arrangements, sondern auch die Strukturierung durch das Curriculum, durch das stets schon Rahmenbedingungen für das Konzipieren von Lehr-Lern-Arrangements vorgegeben werden. Bereits 2003 wurden im Berlin Communiqué der Konferenz der europäischen Hochschulminister*innen die Learning Outcomes als stärkendes Element des Bologna-Prozesses genannt, weil sie unter anderem eine kriterienbasierte Vergleichbarkeit ermöglichten. Damit ging die zunehmende Implementierung des didaktischen Constructive-Alignment-Modells (BIGGS, TANG & KENNEDY 2022 [1999]) an Hochschulen einher, um Learning Outcomes, Lehr-Lern-Aktivitäten und Prüfungsformen aufeinander abzustimmen. Im Hinblick auf die Prinzipien qualitativer Forschung bringt das die Herausforderung mit sich, dass aufgrund der Bestimmung der Lernergebnisse die beiden anderen Elemente für die Gestaltung einer Lehrveranstaltung stärker festgelegt werden. Das bedeutet, es erfolgt zugunsten der Vergleichbarkeit eine Vorstrukturierung, die während der Durchführung der Veranstaltung kaum noch verändert werden kann. Gerade um das Erproben von qualitativen Methoden und damit einhergehend die Auseinandersetzung mit Prinzipien wie Offenheit oder (Selbst-)Reflexivität zu ermöglichen, erscheint mir zum einen auf der Ebene der Curricula eine höhere Flexibilisierung sinnvoll. Zum anderen kann auf der Lehrveranstaltungsebene ein partizipatives (Er-)Lernen (BADING & PANENKA 2024) von Methoden das Lehren von Prinzipien qualitativer Sozialforschung fördern, indem Lerninhalte nach den konkreten Bedarfen der Studierenden situativ mit ihnen gemeinsam ausgehandelt und Lehr-Lern-Arrangements gestaltet werden. [17]
Wenngleich die konkrete Durchführung einer Lehrveranstaltung von der einzelnen Lehrperson abhängig ist, denke ich, dass darüber hinaus auch Unterschiede zwischen den Hochschultypen bestehen. Ich habe in verschiedenen Studiengängen gelehrt: an einer Universität, einer Pädagogischen Hochschule und arbeite derzeit an der Hochschule Fulda in der Qualitätsentwicklung in der Lehre. Dabei habe ich wahrgenommen, dass an der Universität in der Lehre theoretische Grundlagen und Methodologien im Vordergrund standen, während an der HAW durchaus die Tendenz zu einem, wie Nicole WEYDMANN es nannte, pragmatischen Werkzeugkasten besteht. Das liegt aus meiner Sicht an der stärkeren Orientierung an den jeweiligen späteren Berufen, beispielsweise bei der Qualifizierung von Fachkräften in den Ingenieur- oder Gesundheitswissenschaften. In meiner eigenen Lehre erachte ich zwar das Erlernen von methodologischen Hintergründen für sehr wichtig, kann jedoch sehr gut verstehen, dass Lehrende aus einer anderen Fachkultur in bestimmten Studiengängen darauf weitestgehend verzichten. [18]
Debora NIERMANN: Ich lehre in beiden Kontexten – an Universitäten und HAW – und erlebe dieses Spannungsfeld natürlich auch. Gleichzeitig sollten wir aufpassen, dass es nicht zu einer Überspitzung der Dichotomie von anwendungsbezogenem Methodenkoffer an den HAW versus methodologiefokussierter universitärer Lehre kommt. Selbstverständlich gibt es berechtigte Tendenzen, aber das Ziel ist letztendlich das gleiche: eine Balance zu schaffen, in der es uns gelingt, dass Studierende in der Lage sind, methodologisch informierte Forschungsentscheidungen begründet zu treffen. Ich denke aber auch, dass es eine positive Herausforderung für uns sein kann, genauer hinzuschauen, wo wir zur Entwicklung von Schlüsselkompetenzen (KUNZ, MEY, RAAB & ALBRECHT 2021) beitragen. Was vermitteln wir in der qualitativen Methodenlehre, das auch jenseits des klassischen wissenschaftlich-akademischen Berufsfeldes einsetzbar ist? Gerade wurden schon die Ingenieurwissenschaften erwähnt. Da gibt es Überraschungen, auch wenn wir an Methoden mit einem gewissen Sonderstatus wie die Ethnomethodologie denken. Dabei kann in Sachen Usability beispielsweise gerade die Ethnomethodologie zeigen, dass der grüne Button auf dem Kopierer die Bedienung des Geräts nur vermeintlich anleitet und die menschlichen Sinnzuschreibungen zum Bedienvorgang kaum ersetzt (SUCHMAN 1987). Um ein weiteres Beispiel zu nennen: In konversationsanalytischen Studien zu Suicide Hotlines wurde gezeigt, wie die Gesprächsführung in den ersten zwei Minuten gestaltet sein musste, damit die Telefonate nicht abgebrochen wurden und stattdessen weitere Stabilisierung geschaffen werden konnte (BLOCH & LEYDON 2019). Ich sehe an dieser Stelle noch viel Potenzial, gemeinsam zu diskutieren und zu benennen, wo die mehrfachen Kompetenzgewinne und Anschlüsse für die jeweiligen Professionen liegen. Da ich ursprünglich aus der sozialen Arbeit komme, fällt mir dazu ein Text von Cornelia HELFFERICH und Jan KRUSE (2007) ein mit dem Titel "Vom professionellen Blick zum hermeneutischen Ohr". Darin veranschaulichten sie sehr eingängig die Bedeutung des Einübens der Prinzipien von Offenheit, Kommunikativität und Reflexivität für die spätere berufliche Praxis. [19]
Günter MEY: Ich frage mich, wenn ich diese Ausführungen höre, ob innerhalb der quantitativen Forschung in der gleichen Weise wie in der qualitativen Forschung über die Frage von Lehre, die Notwendigkeit der Lehre – gerade mit Blick auf die Professionalisierung und zukünftige Berufspraxis – und in einem ähnlich klingenden Legitimationsdiskurs debattiert würde. Denn bei der Diskussion um Schlüsselqualifikationen (KUNZ et al. 2021), so richtig diese auch ist, schwingt immer auch mit, es könnte für qualitative Forschung nicht ausreichend sein, dass es sie gibt und sie gute Resultate erzielt. Wir haben scheinbar immer noch einen Legitimationsdruck, obschon nach über 50 Jahren Debatte unsere Position stärker sein könnte und sich nicht in dieser Rechtfertigungslogik zu bewegen bräuchte. [20]
Debora NIERMANN: Ich denke, das ist eine eigentlich schlüssige Formation professionnelle unsererseits: Wir beschäftigen uns die ganze Zeit mit der Analyse von Interaktionen, den gemeinsamen Bedeutungsherstellungen, und das heißt, wir verdoppeln das auf der Ebene des Lehrdiskurses. Das ist einerseits stimmig und führt andererseits sicherlich auch zu überzogenen Ansprüchen, die wir an die Qualität unserer Veranstaltungen haben. [21]
Nicole WEYDMANN: Als qualitativ Forschende ist die Gegenstandsbezogenheit eine unserer zentralen Prämissen, daher verwundert es mich nicht, wenn wir diese auch konsequent für unsere Lehre reflektieren. Vielmehr erscheint es mir als eine logische Folge, dass wir unsere Lehre, unser Lehrhandeln und auch die damit verbundenen Kommunikationsräume auf Gegenstandsangemessenheit reflektieren. Und dies umso mehr, wenn wir dabei zu dem Schluss kommen, dass die strukturellen Bedingungen der Vermittlung qualitativer Denkweisen und Haltungen und dem damit verbundenen Offenheits- und Flexibilitätspostulat entgegenstehen (SCHREIER & BREUER 2020). Die Bedingungen von hochschulischer Lehre sind häufig nicht gegenstandsangemessen: weder für den Gegenstand der qualitativen Methodenlehre, noch für die Lernprozesse unserer Studierenden und auch nicht mit Blick auf die Bedingungen für Lehrende qualitativer Methoden. Aus diesem Grund erscheint mir das starke Reflexionsinteresse von Lehrenden qualitativer Methoden als erkenntnistheoretisch in unserem Kompetenzbereich begründet. Als eigenes didaktisches Format nutzen wir in der qualitativen Forschung die Forschungswerkstätten (DAUSIEN 2007; FUHRMANN, MEY, STAMANN & JANSSEN 2021; STAMANN & JANSSEN 2019), und mit unserer Reflexionsleistung glaube ich auch, dass wir gute und wichtige Impulse in die hochschulweite Didaktik hineintragen können und sollten – die auch über den Horizont des forschenden Lernens hinausgehen. Ich sehe es als Teil unserer Verantwortung, Reflexionsräume zu öffnen und hochschulische Strukturen explizit zu spiegeln. Unsere qualitativen Perspektiven auf Lehren und Lernen scheinen mir essenziell für die Weiterentwicklung hochschulischer Strukturen. Als qualitativ Sozialforschende haben wir eine starke Expertise in Verstehensprozessen (KRUSE 2009) und sollten uns mit dieser auch entsprechend einbringen. [22]
Petra PANENKA: Als sozialisierte Ethnologin bestand für mich weder in der Forschung noch in der Lehre eine Dichotomie zwischen qualitativen und quantitativen Methoden. Der Fokus lag immer auf der Gegenstandsangemessenheit, der (Selbst-)Reflexivität und der Offenheit in der Forschung. Die für ein solches Forschen notwendigen Fähigkeiten versuche ich den Studierenden stets mitzugeben, unabhängig davon, ob sie in Forschungsprojekten qualitativ oder quantitativ forschen. Die Unterscheidung und die historisch begründete Notwendigkeit der Rechtfertigung der qualitativen Sozialforschung lernte ich erst in anderen Disziplinen, insbesondere in der Psychologie (MEY & MRUCK 2020) kennen. Und doch wissen wir beispielsweise aus der Marienthal-Studie (JAHODA, LARZARSFELD & ZEISEL 1975 [1933]) um ein Verbinden beider Denktraditionen, das im Fall von Mixed-Methods-Forschungen gerade in den letzten 15 Jahren stark zugenommen hat (SCHREIER 2017). Parallel werden die Methoden der qualitativen Forschung zunehmend weiter ausdifferenziert. Vor diesem Hintergrund stelle ich mir die Frage: Wie viel Raum braucht die Lehre qualitativer Methoden, gerade wenn Entwicklungen wie Mixed Methods mitdiskutiert werden sollen und dadurch die Verknüpfung mit quantitativen Methoden ebenfalls zum Lerninhalt gemacht wird? [23]
Katharina MIKO-SCHEFZIG (aus dem Publikum): Noch zu der Frage, ob wir Methoden oder Methodologie unterrichten sollten. Wichtig ist hierbei, die Struktur für die Studierenden mitzudenken. Es geht nicht darum, sich nicht mehr mit Methodologie zu beschäftigen, sondern darum, ihnen auch die Lust mitzugeben, das zu tun. Was unser Methodenzentrum an der Wirtschaftsuniversität Wien auch ausmacht, ist, dass wir beraten. Das ist ein bisschen anders als bei anderen Zentren mit ihren Summer Schools und Workshops, da wir wirklich die Aufgabe der Beratung aller Mitarbeitenden ab dem Praedoc-Status haben (MIKO-SCHEFZIG 2023). Bei den Anliegen, die an uns in den Beratungen herangetragen werden, fällt auf, dass wenn man die Methodologie auslässt, sich dann auch für die Methoden Probleme zeigen, zum Beispiel zu verstehen, welchen Sinn ein Code überhaupt hat. Wir müssen diese beiden Aspekte – Methode und Methodologie – gut unterbringen. [24]
5. Methodenlehre in einer öffentlicheren und entzauberten Wissenskultur
Günter MEY: Bei der Vermittlung spielt Digitalisierung eine zunehmende Rolle, seien es Erklärvideos, Lehrvideos und anderes, das an vielen Hochschulen und Universitäten entwickelt wurde, in Kursangebote eingebunden wird und sich auf Lernplattformen findet. Spätestens im Nachgang von Corona liegen sehr viele PowerPoint-Präsentationen vor oder andere Digitalisate, in denen in kleinen Häppchen qualitative Forschung vermittelt werden soll. Hier stellt sich die Frage, wie "gutes" Lehrmaterial auszusehen hat, und damit verbunden die Frage nach Didaktisierung bzw. möglicher Überdidaktisierung. Es gibt nicht wenige, die – immer noch oder wieder – vorschlagen, dass Studierende einfach in das kalte Wasser springen und überrascht werden sollten, und dass genau dabei etwas Produktives entstünde. Eine solche Haltung lässt sich als Gegenpol zu einer geplanten Didaktik verstehen. [25]
Debora NIERMANN: Das mit dem kalten Wasser ist uns anekdotisch als ein nahezu klassischer Ansatz in der Ausbildung der Chicago-School-Ethnograf*innen bekannt. Howard S. BECKER (BECKER & KELLER 2016) zwang seine Studierenden in der ersten Sitzung, sich ohne präventiv vermitteltes Methodologie- oder Methodenwissen auf eine Fieldsite festzulegen und dort die nächsten zehn Wochen zu verbringen. Erst danach wurden die gemachten Beobachtungen entlang von Notizen diskutiert. Dieser Sprung ins kalte Wasser hat auf den ersten Blick einige Vorteile: Zum einen können Feldzugangsängste gar nicht erst aufgebaut werden, zum anderen werden die biografischen Lebenswelten der Studierenden als Forschungsbezüge ernst genommen – eine Verbindung, vor der wir uns im deutschsprachigen Raum oftmals scheuen (BETHMANN & NIERMANN 2015). Aber seine Schattenseiten hat dies natürlich auch. Formate wie das von BECKER lebten didaktisch vom großen Zauber, in dem der Meister das von den Studierenden mitgebrachte Material erkenntnis- und überraschungsreich entschlüsselte. Diese Interpretationskunst des Meisters galt es für die Schüler*innen zu dekodieren und sich im gemeinsamen Arbeiten an unterschiedlichsten Beispielen im Seminarkontext anzueignen. Für die Gegenwart würde ich im Gegensatz dazu eine regelrecht öffentliche Wissenskultur im Feld qualitativer Methoden konstatieren, durch die andere Lehr-Lern-Formate ermöglicht und einfordert werden. Als der Magdeburger Methodenworkshop vor 25 Jahren und das BMT vor 18 Jahren gegründet wurden, war der Zugang zu Ressourcen zur Aneignung von qualitativem Methodenwissen, abgesehen von den ersten einzelnen Lehrbüchern, sehr begrenzt. Vor diesem Hintergrund hatte der Besuch solcher Methodenevents einen bedeutsamen Stellenwert. Da ging es aber nicht nur darum, die Autor*innen der Lehrbücher live zu erleben und eventuell selbst aktiv Material einbringen zu können, sondern vor allem darum, erfahrungsgebundene Wissenserzählungen auszutauschen, die nicht Teil der Lehrbücher waren. Dies war lange ein fruchtbares Format. Inzwischen haben wir es mit einer Bandbreite digitaler Formate zu tun, die bereits vor Corona zu beobachten war, aber nun auch im Bereich der Podcasts einen enormen Schub erhalten hat. Diese Ressourcen binden Lehrende oftmals konstruktiv in ihre Veranstaltungen ein. [26]
Nicole WEYDMANN: Die derzeitige Unübersichtlichkeit der qualitativen Methoden umfasst einerseits einen weitgehend kanonisierten Kernbereich und andererseits eine unüberschaubare Methodenvielfalt (KNOBLAUCH 2007; MEY 2016, 2018). Eine unserer großen Lehraufgaben ist es, hierfür Koordinatensysteme zu entwickeln. Das wirft die Frage auf, wie Lehrende sich in dieser Materialvielfalt bewegen können und welche Handreichungen sie hierfür entwickeln sollten. Viele investieren unglaublich viel Arbeit in ihre E-Learning-Plattformen, um dann frustriert festzustellen, dass nur wenige Studierende dieses Angebot wirklich nutzen, nämlich eher solche, die ohnehin bildungsnah sind und leichten Zugang zu Lektüre finden. Daher frage ich mich, ob wir mit der Diversifizierung von Zugängen wirklich mehr Studierende erreichen, oder ob darin nicht vielmehr die alten Strukturen reproduziert und mit der großen Materialvielfalt wieder die engagierten Studierenden erreicht werden, während andere Studierende unerreichbar bleiben. Gleichzeitig höre ich mit Freude, wenn mir Studierende beispielsweise berichten, dass sie beim Joggen einen Podcast aus dem Methoden:Koffer gehört haben. Solche Formate schaffen alternative Zugänge, was aber für uns als Lehrende bedeutet, Zugänge zu zeigen, die in dieser Materialvielfalt Orientierung geben können. [27]
Petra PANENKA: Bei der Diskussion zum Lehrmaterial erscheint es mir wichtig, auch disziplinäres Wissen und professionsspezifische Kompetenzen mitzudenken. Die bestehende Methodenpluralität bringt die Frage mit sich, welche Methoden und durch qualitative Forschung erworbene Kompetenzen in einer bestimmten Disziplin oder im späteren Beruf besonders relevant sind. Denn gerade fachliche Lerninhalte unterliegen beständiger Transformation und mit diesen auch die Auswahl der sich weiter ausdifferenzierenden Methoden. In diesem Kontext können Lehrende nur eine Auswahl an Methoden vermitteln. Trotz dieser Einschränkung ist es jedoch unabdingbar, dass sie die bestehende Methodenvielfalt und auch die eigene method(olog)ische Positionierung transparent machen. Gerade für eine solche Verortung wäre ein Koordinatensystem sehr hilfreich. [28]
Hinsichtlich der Frage nach der (Über-)Didaktisierung kann aus meiner Sicht eine höhere Partizipation der Studierenden eine Möglichkeit des Entgegenwirkens darstellen. Damit meine ich insbesondere, dass eine Lehrperson an den Lebenswelten der Studierenden anknüpft und eine Rolle als Lernbegleitung einnimmt. So kann sie die – oft diversen – Kenntnisse, Bedarfe und Wünsche der Studierenden aufgreifen. Gerade im Hinblick auf eine sinnvolle Nutzung neuer und auch digitaler Wissensbestände sowie Lehr-Lern-Tools besteht in einer partizipativen Kooperation zwischen Studierenden und Lehrenden eine große Chance. So können Studierende auch digitale Tools und Kompetenzen in die Lehrveranstaltung mit einbringen, welche sie aus ihrer Berufserfahrung heraus als wertvoll für ihre Praxis erachten. [29]
Debora NIERMANN: Das halte ich für einen wichtigen Punkt und würde gerne in diesem Zusammenhang auf QUASUS eingehen. QUASUS ist eine Onlineplattform zur Vermittlung qualitativer Methodenkompetenzen, zu der wir im deutschsprachigen Raum viel positive Resonanz von Lehrenden und Studierenden erhalten. Auf QUASUS stellen wir neben niedrigschwelligen Einstiegstexten zu Methoden und Praktiken qualitativer Forschung eine weitere, zentrale Wissensressource zur Verfügung, und das ist das konkrete Erfahrungswissen qualitativ Forschender: In kurzen Clips erzählen Forscher*innen aus dem Mittelbau der Pädagogischen Hochschule Freiburg von positiven, unspektakulären, aber eben auch schwierigen Erfahrungen zum Beispiel während des Interviewens, Ethnografierens oder dem Durchführen von Gruppendiskussionen.4) Auch über die Herausforderungen der Datenauswertung wird gesprochen und über Arten der Formulierung der eigenen Forschungsergebnisse (WEITKÄMPER, NIERMANN & FRITZSCHE 2023). Ein relevanter Transfer ist das aus meiner Sicht deshalb, weil darüber ein bislang oftmals exklusiver Kommunikationsraum einer größeren Öffentlichkeit zugänglich wird, der ansonsten fast nur im informellen Austausch in Seminargruppen Platz hat und dann – wenn es ihn überhaupt gibt – jeweils sehr gebunden ist an die Erfahrungshintergründe der einen lehrenden Person. Dazu kommt, dass gerade im deutschsprachigen Raum in Lehrbüchern zwar betont wird, wie unvorhersehbar qualitative Forschungsprozesse verlaufen, dann aber doch sehr idealisierte Forschungsprozesse abgebildet werden. Es bleibt in der Regel rätselhaft, wie es gelingen kann, zum Beispiel in laufenden (Abschluss-)Arbeiten bei einem unerwartet nicht funktionierenden Feldzugang oder bei vermeintlich scheiternden Interviewinteraktionen konstruktiv zu reflektieren, gegenstandsangemessen zu entscheiden und handlungsfähig zu bleiben. Ich bin froh, dass es inzwischen zumindest einzelne Methodenbücher gibt, in denen mehr Einblicke in die erlebte Forschungspraxis geboten werden. Es gibt von Jeannine WINTZER (2016) herausgegeben zum Beispiel einen wunderbaren Band von Studierenden für Studierende über das Durchführen qualitativer Qualifikationsarbeiten. [30]
Ich möchte aber, wenn es um digitale Formate geht, dafür plädieren, dass wir nicht nur die Medien vervielfältigen, also Podcasts oder Videos produzieren, sondern auch die Wissensformen, die wir vermitteln wollen. Erfahrungswissen ist dabei ein zentraler Pfeiler mit viel Anschlussfähigkeit an verschiedene digitale Formate. Ein anderer im deutschsprachigen Raum sträflich vernachlässigter Zugang ist die Beschäftigung mit einschlägigen aktuellen qualitativen Studien. Wir haben insbesondere in der Lehre eine erstaunliche Ignoranz gegenüber dem, was wir selbst produzieren. An diesem Punkt bin ich aus meinen US-amerikanischen Forschungszusammenhängen anders geprägt. In der Lehre, etwa einem Einführungskurs in die Ethnografie, wird dort in jeder Sitzung eine Ethnografie gelesen. Das beginnt mit klassischen Texten wie dem sehr empfehlenswerten Appendix in "Street Corner Society" von William Foot WHYTE (1943) und geht dann über zu viel diskutierten ethnografischen Gegenwartsbestsellern wie "On the Run" von Alice GOFFMAN (2014; vgl. NIERMANN 2021). Ich freue mich sehr, dass mit Podcastformaten wie dem Methodenkoffer sowohl Erfahrungswissen als auch jüngere qualitative Studien stärker im Gespräch sind. [31]
Nicole WEYDMANN: Ich nutze die Erfahrungsberichte von QUASUS ebenfalls regelmäßig in der Lehre, auch um die vielfältigen Erfahrungen von Forschenden in der Praxis aufzuzeigen und darin auch meine eigene Lehre vielstimmiger zu machen sowie methodische Zugänge in ihrer Vielfältigkeit aufzuzeigen. Dennoch möchte ich in diesem Zusammenhang auch betonen, dass wir mit digital angereicherten Formaten wie dem Flipped Classroom (also nach selbstständiger Wissensaneignung seitens der Studierenden erfolgen Übungen sowie Wissensanwendungen im Austausch mit den Lehrenden) und Blended Learning (als Verschränkung von Präsenzveranstaltungen und E-Learning-Angeboten) nicht davon ausgehen können, auch gleichzeitig unsere Lehre zugänglicher zu machen und klassische Bedingtheiten von Lehren und Lernen zu überwinden (WINTZER 2023). Denn auch in diesen neuen Formaten werden die Interaktions- und Beziehungsstrukturen, die Machtverhältnisse und sozialen Determinanten reproduziert. [32]
Petra PANENKA: Gerade im Kontext digitaler Lehrkonzepte, Lehr-Lern-Arrangements und Tools ist mir auch der bereits genannte Aspekt der Reproduktion von Machtstrukturen sehr wichtig. So gilt es, gerade in digitaler Lehre Wege zu finden, die für Studierende eine wirklichkeitsnahe Forschungspraxis aufzeigen. Dies kann beispielsweise durch die Schilderung eigener Forschungserfahrungen und der dabei erlebten Pitfalls sowie der situativen Entwicklung von Strategien während des Forschungsprozesses geschehen. [33]
Günter MEY: Da vorhin die Idee der Meister*in-Schüler*in genannt wurde, nur der Hinweis: Als wir 2010 beim BMT über die Lehre debattierten und Christoph MAEDER immer wieder vom "Meister-Schüler-Verhältnis" sprach, blieb dies nicht unwidersprochen (FLICK et al. 2014). Denn im Grunde ist es die Frage nach der Beziehung, die egalitärer gedacht werden kann als in der Zuordnung Meister*in versus Schüler*in. Diese Idee hat auch mit der Historie qualitativer Forschung zu tun, die sich in der Struktur von Veranstaltungen wie dem BMT ebenfalls ausdrückt. Am Anfang waren es vor allem jene sehr prominenten Personen, die einen Ansatz entwickelt und dazu Lehrtexte geschrieben hatten, die die Forschungswerkstätten anboten. In den letzten Jahren sind viele andere Akteur*innen hinzugekommen, nicht wenige aus dem "Nachwuchs"-Bereich, auch weil sich die qualitative Forschungslandschaft ändert und mit ihr die qualitative Forschung. Hierzu gehört weiterhin, dass sich die Erzählungen ändern müssen hin zu solchen über Grenzen und Begrenzungen, inklusive solcher über das Scheitern. Meine Erfahrung ist, dass sich die – in unseren Veranstaltungen, aber oft auch in unseren Texten – idealisiert inszenierten Forschungsprozesse in den studentischen Arbeiten wiederholen. So finden sich zum Beispiel im Rahmen meiner Vorlesung im dritten Semester Bachelor bei der Bearbeitung der Aufgabenstellung, ein Exposé zu einer fiktiven Studie zu verfassen, ganz oft Idealvorstellungen eines Forschungsprozesses und Imaginationen über die Lösbarkeit aller Herausforderungen. Vermutlich erzeugt dieses Idealbild zusätzlichen Stress. Insofern wäre es auch unsere Aufgabe, in der Lehre ein realistischeres Bild von Forschung zu vermitteln. Das meint keine Preisgabe von Idealen und Standards und auch keine Light-Version. [34]
Debora NIERMANN: Bei der Frage, wie wir dieses realistischere Bild von Forschung vermitteln, ist zu bedenken, dass jedes Lernen Modelle braucht, und das heißt, wir benötigen auch modellhafte Erzählungen von Misslungenem. Es gibt diesen schönen Band "Mit gescheiterten Interviews arbeiten" von Judith ECKERT und Diana CICHECKI (2020). Darin zeigten sie entlang zahlreicher Studien, wie vermeintlich große, nahezu irreparabel anmutende Fehler sich im methodischen Vorgehen hatten konstruktiv wenden lassen. Es waren nicht immer Beispiele, in denen ein Krisenexperiment zum großen Erweckungserlebnis wurde, aber es wurde sichtbar, dass Scheitern zumindest bedingt erkenntnisproduktiv gewendet werden konnte. Inspirierend finde ich auch, wie Julia BOECKER (2022) im Methodenkapitel zu ihrer ausgezeichneten Studie zu Fehlgeburt und Stillgeburt über ihr Herumirren und schließliches Orientierung finden im Datenkorpus schrieb. Das hat nichts mit dem zu tun, was wir in der Ethnografie schnell als narzisstische Nabelschau abtun, sondern mit empirischer Methodologie, die bislang im US-amerikanischen Raum viel präsenter ist (BETHMANN & NIERMANN 2015). Die Normalität, mit der wir in der deutschsprachigen Methodenkultur Methodologie an den Ausgangspunkt setzen, um davon ausgehend in die Forschungspraxis und ins Handeln zu kommen, macht es uns da schwer. Das schafft einen Kohärenzdruck, dem sich hoffentlich unsere Forschungsgegenstände mit ihrer je eigenen Beschaffenheit auch widersetzen. Daher kann es sinnvoll sein, noch einmal über den Tellerrand hinauszuschauen und teils stärker vom Phänomen als von der Methodologie aus zu denken. Noch immer ist es aber so, dass wir uns verteidigen müssen, wenn wir das konsequent tun, während die Glättungen in den Beschreibungen der Erfahrungen bei der Datenproduktion oder beim Sampling häufig belohnt werden. Ich denke da im Umkehrschluss an eine Kollegin, die gewissenhaft Theoretical Sampling betrieben hatte, um im Nachgang unzählige Male die Zahl von 23 Fällen rechtfertigen zu müssen, weil sie zum Beispiel bei Peer-Reviewer*innen damit auf Irritation stieß. Mark MASON (2010) beschäftigte sich in einem einsichtsreichen Beitrag ebenfalls systematisch mit dieser Spannung von erstaunlich glatten Fallzahlen bei gleichzeitig postuliertem Theoretical Sampling in Grounded-Theory-Studien. [35]
Marlene SCHUSTER (aus dem Publikum): Ich bin sozialisiert worden an der Universität Wien und Wirtschaftsuniversität Wien und arbeite aktuell am Institut für Marktforschung und Methodik an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Es tut sich schon ein gewisser Gap auf zwischen den Einrichtungen. Wir haben Studierende, die uns permanent fragen, warum sie qualitative Forschung brauchen. Uns gehen außer dem Hinweis der Notwendigkeit für die Bachelor- oder Masterarbeit langsam die Argumente aus. Dabei versuche ich zum Beispiel bei der Lehre zu Interviews den Bezug zur späteren Berufspraxis herzustellen, etwa mit dem Hinweis, dass es für jemand, die oder der in Großunternehmen arbeiten möchte, wichtig sein wird, verstehend Interviews zu führen, dem*der Gesprächspartner*in gut zuzuhören, Interpretationen daraus zu schließen usw. Aber das richtig zu vertiefen oder methodologisch nachzuschärfen ist kaum möglich, ohne immer wieder entgegnet zu bekommen, dass dies in der Arbeitswelt nicht benötigt werde. Wir haben sehr viele externe Lehrende, die aus der Wirtschaft kommen und den Studierenden leider selten verdeutlichen können, wozu sie diese Methoden außer eben für die Qualifikationsarbeiten benötigen. Haben Sie hier Anregungen für uns, wie wir hier besser argumentieren können und dass auch ein Methodeninstitut an der Fachhochschule seine Berechtigung hat? [36]
Katharina MIKO-SCHEFZIG (aus dem Publikum): Ich würde – als eine Antwort auf die Kollegin von der Fachhochschule Wiener Neustadt – an das Argument, dass wir wie im anglo-amerikanischen Kontext Studien lesen sollten, anknüpfen. Denn wir sind extrem methodisch- und auch methodologisch-reflexiv, müssen aber auch mehr darüber reden, wo durch qualitative Studien etwas verständlich gemacht wird und wo wir Wissen produzieren, das eben nicht anders produziert werden könnte. Die Studie über das Sterben im Krankenhaus von Barney GLASER und Anselm STRAUSS (1965) ist für die Pflegewissenschaft noch immer ein Klassiker. Wir sollten auf dieser Ergebnisebene auch zeigen, was wir können und was andere nicht können. Das kann spannend sein, und es kann verändern. Wir haben zum Beispiel gerade ein Projekt am Methodenzentrum der Wirtschaftsuniversität Wien von einem großen Energieträger, der das Problem hat, dass die Regierung Gesetze zur Klimawende vorschlägt, aber diese von den Ländern und lokal umgesetzt werden muss. Die Herausforderung, die sich stellt, ist, dass diese Klimawende in Österreich oftmals mit Kraftwerksbau einhergeht. Wir haben ein Dorf beforscht und uns methodisch an die Marienthal-Studie (JAHODA et al. 1975 [1933]) angelehnt, indem wir die Dynamik eines Ortes nachgezeichnet haben, in dem die Entscheidung gegen ein Biomasse-Kraftwerk gefallen ist. Dieses Wissen ist relevant, um zu verstehen, und dabei geht es mir nicht um die methodische oder methodologische Debatte, sondern darum zu zeigen, was wir getan und wie wir dieses Wissen produziert haben. Das erklärt auch, wieso die lokale Umsetzung so schwierig ist, und dies zu lesen ist auch in den Methodencurricula sehr spannend. [37]
6. Das Lehren und Lernen qualitativer Forschung selbst zum Untersuchungs- und Entwicklungsgegenstand machen, um Hochschullehre zu transformieren
Petra PANENKA: Zu dieser gesamten Diskussion möchte ich noch einen anderen Aspekt hinzufügen, nämlich die (Weiter-)Entwicklung von Lehre auf der Grundlage von Erkenntnissen aus Evaluationsergebnissen. Häufig werden auf Lehrveranstaltungsebene hierzu Fragebögen herangezogen, jedoch hat diese Form der studentischen Rückmeldung nicht immer den gewünschten Effekt. Ich finde, dass das Scholarship of Teaching and Learning (SoTL), also die Beforschung der eigenen Lehrveranstaltung und das Publikmachen der gewonnenen Erkenntnisse (VÖING, REISAS & ARNOLD 2022), eine sehr gute Möglichkeit bietet, die eigenen Lehrkompetenzen zu reflektieren. Mit dem Fokus auf der eigenen Lehrpraxis können Studierende in SoTL-Projekte sehr eng einbezogen und Gelingensbedingungen einzelner Lehrveranstaltungen oder -einheiten en détail mit ihnen gemeinsam untersucht werden. So kann beispielsweise zum einen eruiert werden, in welchen Momenten, aus welchen Gründen und auf welche Weise die Herstellung des Zusammenhangs zwischen Methode, Methodologie und Theorie gelungen ist. Zum anderen wird aber eben auch entdeckt, wenn in einer Lehrveranstaltung das Lernen der Studierenden aus bestimmten Gründen nicht funktioniert hat. Neben dem Grundsatz des studentischen Informiertseins über die einzelnen Forschungsschritte gilt es dabei stets zu klären, inwieweit an der eigenen Hochschule und in einer Publikation eine Anonymisierung der involvierten Studierenden sowohl als Seminarteilnehmende als auch als Forschungspartner*innen gewährleistet werden kann. [38]
Markus LOHSE (aus dem Publikum): Ich komme von der Hochschule Mittweida, Fakultät Soziale Arbeit. Ich möchte gerne den letzten Beitrag aufgreifen und dazu anregen, stärker darüber nachzudenken, gemeinsam mit Studierenden Lehr-Lern-Settings zu entwickeln, zu gestalten und zu evaluieren, möglicherweise nach dem Ansatz der Students as Partners (COOK-SATHER, BOVILL & FELTEN 2014). Damit kämen wir m.E. zügiger weg von einem – meiner Auffassung nach – immer noch weit verbreiteten Grundverständnis des Unterrichtens und des Wissensvermittelns, basierend auf einem Transfergefälle von "viel" Wissen nach "weniger" Wissen. Es wäre so möglich, schneller hin zu einer stärkeren Ausrichtung von selbstgesteuerten Lehr-Lern-Prozessen und zur gegenstandsbezogenen Verwendung von Wissen zu kommen, was wiederum dazu dient, neues Wissen zu generieren. Dafür sind aus meiner Sicht gerade Seminare empirischer Sozialforschung prädestiniert. [39]
Sabrina A. ARNETH (aus dem Publikum): Ich beende gerade meinen Master in Soziologie. Aus studentischer Perspektive erscheint es mir relevant zu reflektieren, wie viele Spielräume ein Studium bietet, um Methoden auszuprobieren. Während meines siebenjährigen Studiums hatte ich lediglich im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts die Möglichkeit, eine qualitative Methode anzuwenden und zumindest ein Stück weit in den Forschungsprozess einzutauchen. Dass diese Räume im institutionellen Rahmen nicht ausreichend zugelassen werden, scheint mir auch darin begründet, dass es kein kohärentes Verständnis als ein Fach mit einem pluralistischen Methodenverständnis gibt. Um es metaphorisch auszudrücken: Es fühlt sich bisweilen so an, als würden (mehrere) geschiedene Elternteile gemeinsam ein Kind haben, nämlich das Studium und die Studierenden im Fachbereich. Alle wollen grundsätzlich das Beste für das Kind, aber aufgrund von (meist) latenten Streitigkeiten kommt es nicht dazu. Es fehlt an gemeinsamen Strukturen und systematischem Austausch. An meiner Universität gibt es beispielsweise keine Methodenlehre, in der verschiedene Methoden und Methodologien miteinander in Beziehung gesetzt werden, ebenso fehlt es an einer systematischen Verschränkung von Theorie und Empirie. Dies scheint mir aber eine Voraussetzung zu sein, um beispielsweise Didaktik in der Methodenlehre überhaupt sinnvoll (weiter-) entwickeln zu können. Selbst die beste Veranstaltung zu einer bestimmten Methode oder eine Einführung in qualitative Verfahren wird wenig fruchten, wenn sie nicht in einen Lernkontext eingebettet ist, in dem Studierende Relationen zu anderen Ideen und ersten eigenen Erfahrungen herstellen können. Die Interessen der einzelnen Elternteile im akademischen Konkurrenzsystem stehen in den institutionalisierten Aushandlungen über die Gestaltung des Studienganges zu oft über den Interessen der Kinder, die (politisch gewollt) mit weniger Macht ausgestattet sind. Die Frage ist, wie wir im Korsett der Bologna-Bedingungen und möglicherweise auch unter Geringschätzung des Faches im Kontext der Hochschule ein Curriculum gestalten können, durch das die bestmögliche Lernerfahrung für die Studierenden in ihrer Vielfalt geboten wird. Das Ziel könnte sein, dass die fertig ausgebildeten Soziolog*innen kompetent so etwas wie Gegenstandsangemessenheit einschätzen können. Dies ist sicherlich keine einfache Aufgabe, denn Studierende haben nicht die gleichen Interessen, nicht das gleiche Vorwissen, nicht die gleichen Möglichkeiten, nicht die gleiche kulturelle Herkunft, sondern vielfältige Lebensläufe sowie Ideen von zukünftigen Lebensläufen, und sie lernen unterschiedlich. Eine integrierte Lernerfahrung mit Raum zum Auszuprobieren, Scheitern, kritisch Reflektieren und Weiterentwickeln kann trotz dieser Herausforderung nur gelingen, wenn die Eltern – um in der Metapher zu bleiben – an einem Strang ziehen. [40]
Nicole WEYDMANN: Mir gefällt die eindrückliche Metapher der geschiedenen Elternteile im Fürsorgestreit um die gemeinsamen Kinder. Um dieses Bild direkt aufzugreifen, treibt uns die Fürsorge um die gemeinsamen Kinder im Sinne einer gegenstandsangemessenen Weiterentwicklung unserer Methodenlehre in allen Gruppen der Lehrwerkstätten um: Einerseits wollen wir Erfahrungsräume für nicht-standardisierte offene Forschung, kreative Prozesse und Reflexionsräume ermöglichen und andererseits müssen wir am Ende vermeintlich objektive und standardisierte Leistungsüberprüfungen vornehmen. Darin sind Lehrende aufgefordert, Formen zu finden, wie sie Kreativität und Reflexionskompetenzen einerseits anstoßen können und andererseits Vulnerabilitäten und das gegebene strukturelle Machtgefüge von Hochschulen im Blick behalten. Leistungsbewertungen haben entsprechend auch eine ethische Dimension. [41]
Mit dem Netzwerk der Lehrwerkstätten versuchen wir uns mit den verschiedenen Problemdimensionen des Lehrens qualitativer Methoden in einem Peer-to-Peer-Austausch auseinanderzusetzen. Entsprechend stehen die unterschiedlichen Zugangsweisen zu Bewertungen mit ihren jeweiligen Rastern immer wieder auf der Agenda, indem wir unsere Bewertungsbögen vorstellen und diskutieren. Elemente aus dem forschenden Lernen können uns dabei helfen, Taxonomien zu finden, gleichzeitig bleibt es an uns, Reflexionstiefe zu bewerten und im Verhältnis zu fachwissenschaftlichen Reproduktionen zu gewichten. Gerade in der paradigmatischen Differenz zu den quantitativen Methoden befinden wir uns hier in einer kontinuierlichen Suchbewegung. Gleichzeitig sehe ich uns als Lehrende auch in der Verantwortung für unsere Studierenden, das gemeinsame Feld der Forschungsmethoden gleichberechtigt und konstruktiv auch gemeinsam zu gestalten. Ein wichtiger Aspekt mit Blick auf die Studierbarkeit ist hierbei die Frage nach dem Workload: Wie können wir im Kontext der zumeist zeitlich stark limitierten Räume dennoch offene Verstehensprozesse ermöglichen, die unseren Studierenden grundlegende Zugangswege zu qualitativen Methoden eröffnen? Es scheint mir keine einfachen Antworten zu geben, sondern vielmehr ein Ausloten zwischen einerseits geeigneten didaktischen Formaten und andererseits der Anpassung und Mitgestaltung hochschulischer Strukturen, sodass mehr offene Lernformate für qualitative Methoden zur Verfügung stehen. Ich hoffe, dass wir mit dem überarbeiteten und aktualisierten Konzept der FQS-Debatte Lehren und Lernen qualitativer Methoden zahlreiche neue Beiträge anregen können, in denen auch Fragen der Bewertbarkeit von qualitativen Arbeiten im Rahmen der qualitativen Methodenlehre aufgegriffen werden. [42]
Petra PANENKA: In der gemeinsamen Diskussion wurden aus meiner Sicht viele Herausforderungen, aber auch Chancen in der Lehre qualitativer Methoden sichtbar. Um Studierenden das Erlernen qualitativer Methoden im Studium zu ermöglichen, braucht es beides: die Auseinandersetzung mit dem Lernen in konkreten Lehrveranstaltungen sowie die Diskussion des gesamten Curriculums im Kollegium und mit der Hochschulleitung. Auf diese Weise können Studierende qualitative Methoden systematisch aufeinander aufbauend erlernen, unerwünschte Redundanzen in Lehrveranstaltungen können vermieden und Raum zum Vertiefen bzw. Einüben von qualitativen Methoden kann geschaffen werden. Das ist unser Kerngeschäft, bei dem durch eine intensive Auseinandersetzung Transformationen herbeigeführt werden. Für mich ist es unabdingbar, dass im Sinne eines partizipativen (Er-)Lernens qualitativer Methoden Studierende sowohl an der Gestaltung einzelner Lehrveranstaltungen als auch an der Curriculumentwicklung beteiligt werden. In welchem Maße eine solche Partizipation stattfinden kann, ist immer eine Frage zeitlicher Kapazitäten, insbesondere auf der Seite der Studierenden, aber auch bestehender Hochschulstrukturen und sich darin manifestierender Machtstrukturen. SoTL kann eine Möglichkeit sein, etablierten Hierarchien entgegenzuwirken und innovative Lehrkonzepte unter Einbindung der Studierenden zu entwickeln. Im Rahmen von SoTL können Studierende – wie vorhin vorgeschlagen – nach dem Students as Partners-Ansatz (COOK-SATHER et al. 2014) an der Beforschung von Lehrveranstaltungen mitwirken. Durch die Veröffentlichung solcher SoTL-Ergebnisse lassen sich dann erprobte Wege aufzeigen, die andere Lehrende inspirieren und über den alltäglichen Austausch mit Kolleg*innen hinausgehen können und auch ermutigen, ebenfalls Veränderungen der Lehre mit Studierenden gemeinsam durch eine Beforschung der Lehrveranstaltung anzugehen. [43]
Debora NIERMANN: Das ist doch ein gelungener Schlussakzent in unserem Austausch, gerade weil durch SoTL eindrücklich das Potenzial aufgezeigt wird, das resultiert, wenn wir Lehren und Lernen qualitativer Forschung selbst zum Untersuchungs- und Entwicklungsgegenstand machen, um Hochschullehre zu transformieren. Damit kann auch die Performativität gemeinsam praktizierter Forschung in der Lehre ihre starke Kraft entwickeln. [44]
Günter MEY: Dies weitergedacht und wie mehrfach in der Diskussion herausgestellt – nämlich die Prinzipien qualitativer Forschung auch in der Selbstanwendung viel strikter auszuschöpfen – würde an den Universitäten und Hochschulen alte und neue Diskussions- und Diskursräume eröffnen. Darin könnten Systemwidersprüche und auch Kritik selbst zum Thema (gemacht) werden, und damit würde qualitative Forschung weniger als ein Methodenarsenal denn mehr als ein für soziale, kulturelle und gesellschaftliche Fragen relevanter Ansatz gestärkt. [45]
1) Eine gekürzte Fassung des Beitrags ist im Journal für Psychologie (Heft 31-2) erschienen. Für Anregungen zum vorliegenden Text bedanken wir uns bei Katja MRUCK, der geschäftsführenden Herausgeberin von FQS, sowie bei Franz BREUER und Margrit SCHREIER. Zusätzlicher Dank gilt Paul S. RUPPEL und Christoph STAMANN als Miteditoren des Journal für Psychologie-Themenhefts "Transformationen des Lehrens und Lernens qualitativer Forschung" für zusätzliche Hinweise. <zurück>
2) Vielen Dank an Thorsten DRESING von audiotranskription für die Unterstützung. <zurück>
3) Das Akronym SPSS steht für Sammeln, Prüfen, Sortieren und Subsumieren. <zurück>
4) Die Videointerviews wurden von Julia FAIßT und Kevin ZÄUNER, beide damals Masterstudierende an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, durchgeführt und aufbereitet. <zurück>
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Zum Autor und zu den Autorinnen
Günter MEY, Prof. Dr. habil., ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Privatdozent an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth sowie Co-Leiter des Instituts für Qualitative Forschung in der Internationalen Akademie Berlin. Arbeitsschwerpunkte sind qualitative Forschung, Wissenschaftskommunikation und performative Sozialwissenschaft sowie Weiterentwicklung der Lehre zu qualitativer Forschung. 2015 wurde er für sein Angebot "Projektwerkstatt Qualitatives Arbeiten" mit dem Innovationslehrpreis der Hochschule Magdeburg-Stendal ausgezeichnet.
Kontakt:
Prof. Dr. habil. Günter Mey
Hochschule Magdeburg-Stendal
Angewandte Humanwissenschaften
Osterburger Str. 25, D-39576 Hansestadt Stendal
E-Mail: guenter.mey@h2.de
URL: http://www.humanwissenschaften.h2.de/l/~mey
Debora NIERMANN, Dr.in phil., ist PostDoc-Researcher an der Pädagogischen Hochschule Zürich, Co-Projektleitung des qualitativen Methodenportals QUASUS an der Pädagogischen Hochschule Freiburg sowie Mitherausgeberin der Beltz Juventa-Buchreihe "Qualitativ Forschen – Aktuelle Ansätze". Ihre Arbeitsschwerpunkte sind pädiatrische Palliative Care, Hospice Care, Global Urban Health, US-amerikanische Ethnografie sowie textuelle Performanz in der qualitativen Sozialforschung.
Kontakt:
Dr. Debora Niermann
Pädagogische Hochschule Zürich
Abteilung Bildungswissenschaftliche Forschung
Lagerstrasse 2
CH-8090 Zürich
E-Mail: debora.niermann@phzh.ch
URL: https://orcid.org/0000-0003-2447-1985
Petra PANENKA ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Qualitätsentwicklung in Lehre und Studium an der Hochschule Fulda. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Anthropologe der Bildung, kompetenzorientierte Lehre (forschendes und partizipatives Lernen), Skilled Practice und soziokulturelle Praktiken, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Phänomenologie, Ethnologie der Sinne, qualitative Forschung mit Fokus auf Ethnografie und Grounded-Theory-Methodologie.
Kontakt:
Dr. Petra Panenka
Hochschule Fulda
Leipzigerstr. 123
D-36037 Fulda
E-Mail: petra.panenka@verw.hs-fulda.de
Nicole WEYDMANN, Prof.in Dr.in, ist Professorin für qualitative Methoden an der Hochschule Furtwangen, Mitglied des Lehrwerkstätten Netzwerks für Lehrende qualitativer Forschungsmethoden und Mit-Herausgeberin der FQS-Debatte Lehren und Lernen qualitativer Methoden. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind qualitative Sozialforschung mit Fokus auf reflexiven und performativen Methoden, Lehr- und Lernbedingungen von qualitativen Forschungsmethoden, psychische Gesundheit und Mensch-Umwelt Beziehungen in Zeiten krisenhafter Umweltveränderungen sowie Zugänge und Konzepte von Gesundheitsversorgung mit Schwerpunkt auf traditioneller und alternativer Medizin in Indonesien.
Kontakt:
Prof. Dr. Nicole Weydmann
Hochschule Furtwangen
Angewandte Gesundheitswissenschaften
Robert-Gerwig-Platz 1
D-78120 Furtwangen im Schwarzwald
E-Mail: nicole.weydmann@hs-furtwangen.de
URL: https://www.hs-furtwangen.de/personen/profil/3123-nicoleweydmann/
Mey, Günter; Niermann, Debora; Panenka, Petra & Weydmann, Nicole (2024). Aktuelle Transformationen des Lehrens und Lernens qualitativer Forschung. Eine Diskussion [45 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 25(1), Art. 12, https://doi.org/10.17169/fqs-25.1.4180.