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Volume 26, No. 1, Art. 10 – Januar 2025

Von der Quantenphysik zur sozialwissenschaftlichen Forschung: Versuch einer systematischen Annäherung an Karen BARADs diffraktive Methodologie

Werner Vogd & Kathleen Neher

Zusammenfassung: In diesem Beitrag führen wir in Karen BARADs Konzept des agentiellen Realismus und die darauf basierende diffraktive Methodologie ein, die von den Arbeiten Niels BOHRs zum Komplementaritätsprinzip in der Quantentheorie inspiriert wurde. Mit ihren Arbeiten versucht BARAD, die traditionelle Trennung zwischen Ontologie und Epistemologie zu überwinden, um eine neue Perspektive auf die Beziehung zwischen Beobachter*innen und Beobachtetem zu gewinnen. Wir erläutern zentrale Begriffe wie "Intraaktion", "Apparat" und "entangled reconfigurings of spacetimemattering", um herauszuarbeiten, wie Objekte und Subjekte in einem Netzwerk von Beziehungen entstehen und sich gegenseitig konstituieren. Wir stellen zudem kritische Überlegungen zum Transfer von quantenmechanischen Theoriefiguren auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen vor und diskutieren die Potenziale sowie die Herausforderungen und Missverständnisse, die sich aus einer solchen interdisziplinären Herangehensweise ergeben. Anhand von Beispielen aus der Krankenhausethnografie wird illustriert, wie BARADs methodologische Begriffe in der empirischen Forschung angewendet werden können, um komplexe soziale Phänomene in einem neuen Licht zu betrachten. In der abschließenden Diskussion wird deutlich, dass dieser methodologische Zugang insbesondere bei Fragestellungen produktiv ist, in denen eine bestimmte Form von Identität und Subjektivität nicht vorausgesetzt werden kann, sondern erst in einer jeweils zu spezifizierenden Konstellation etabliert wird. Außerdem werden die ethischen Implikationen dieses Ansatzes eingehender diskutiert.

Keywords: Karen BARAD; diffraktive Methodologie; rekonstruktive Sozialforschung; Epistemologie; Ethik; Beobachter*innenabhängigkeit; Wissenschaftstheorie; agentieller Realismus; Polykontexturalität; Quantentheorie

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Grundbegriffe von BARADs diffraktiver Methode

3. Komplementäre Methodologien: ein nicht-klassisches Paradigma für komplexe soziale Phänomene

4. Versuch einer forschungspraktischen Annäherung an den agentiellen Realismus

5. Illustration anhand von Beispielen aus der Krankenhausethnografie

6. Fazit

7. Diskussion: Verantwortung für die eingegangenen Verschränkungen übernehmen

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor und zur Autorin

Zitation

 

1. Einleitung

"No question, no answer. [...] In brief, the choice of question asked, and choice of when it's asked, play a part—not the whole part, but a part—in deciding what we have the right to say" (WHEELER 1990, S.10).

Inspiriert von der Auseinandersetzung mit der Quantentheorie im Anschluss an Niels BOHR (1928) hat Karen BARAD (2007) auch in den Kultur- und Sozialwissenschaften für eine Aufhebung der Trennung zwischen Ontologie, Epistemologie und Ethik plädiert. Diese Trennung betrifft das Verständnis einer beobachter*innenunabhängigen Wirklichkeit, die Art und Weise, wie Wissen oder Information erzeugt wird, und die Bedeutung dieser Prozesse. Obwohl die Arbeiten von BARAD in den Sozialwissenschaften eine breite Rezeption erfahren haben, wurde bislang nur zaghaft der Versuch unternommen, zentrale Figuren und Konzepte für die qualitative Sozialforschung nutzbar zu machen oder gar weiterzuentwickeln (siehe etwa CALL-CUMMINGS & DENNIS 2019; FOX & ALLDRED 2021; MAUTHNER 2019; MURRIS & BOZALEK 2019; MYERS 2020; SCHADLER 2019, 2024; SCHERRER 2021; TAMBOUKOU 2015). Die quantenmechanischen Grundlagen von BARADs Konzepten und Theoriefiguren wurden dabei oft vernachlässigt (eine Ausnahme ist BARLA 2023). Dies macht es Kritiker*innen leicht, eine "problematische Übernahme naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in postmodernen Theorien" im Sinne "intellektueller Hochstapeleien" anzukreiden, zumal der Verweis auf "naturwissenschaftliche Theorien ohne große Kenntnisse dieser Theorien" geschehe und damit tendenziell in eine "sinnentleerte Phraseologie" münde (SOKAL & BRICMONT 1997, zit. nach BARGETZ 2017, S.134). [1]

Da BARAD ihrerseits Physikerin ist, zu Fragen der Quantenfeldtheorie promoviert hat und zudem mit Blick auf den Transfer auf sozialwissenschaftliche Fragen begrifflich eher genau und konzeptionell streng argumentiert, trifft dieser Vorwurf auf sie nicht zu. Bekanntermaßen hat BARAD allerdings ihrerseits die Auseinandersetzung mit postmodernen Denker*innen gesucht – allen voran zu FOUCAULTs Dispositiv- und Diskursanalyse (1981 [1969]), zu dem rhizomatischen Denken von DELEUZE und GUATTARI (1992 [1980]) sowie den für die feministische Theorie prominenten Arbeiten von BUTLER (1993) und HARAWAY (1991). Sie formulierte dabei das Ziel, diese Autor*innen gemeinsam mit BOHR (1928) einer diffraktiven Lektüre zu unterziehen (BARAD 2012a). [2]

Das aus der klassischen Physik bekannte Prinzip der Diffraktion oder Beugung beschreibt das Verhalten von Wellen beim Auftreffen auf ein Hindernis oder beim Durchgang durch eine enge Öffnung. Dabei ändern sie ihre Ausbreitungsrichtung und überlagern sich. Diese Überlagerung führt zu charakteristischen Mustern, welche es ermöglichen, die Eigenschaften der Wellen und des Hindernisses oder der Öffnung zu analysieren. Texte diffraktiv zu lesen bedeutet, den Überlappungen nachzuspüren, um auf diese Weise neue Einsichten in die zu untersuchenden Gegenstände zu gewinnen (ausführlicher in den Abschnitten 2.5 und 4). [3]

All dies lässt BARADs Arbeiten für die Auseinandersetzung um eine feministische Theoriebildung (VAN DER TUIN 2014) ebenso interessant erscheinen wie für die Protagonist*innen des sogenannten "neuen Materialismus". Letztere sind zu der Auffassung gekommen, "dass der 'linguistic turn' oder primär semiotisch verfasste Ansätze unzureichend sind, um das komplexe und dynamische Zusammenspiel sinnhaft-symbolischer Prozesse und materieller Ordnungen zu erfassen" (HOPPE & LEMKE 2021, S.10). [4]

Will man jedoch, wie BARAD es vorschlägt, mit einer ernstzunehmenden Methodologie des Diffraktiven arbeiten, genügt es nicht, sich nur auf die machtkritischen Implikationen ihres Denkens zu stützen, ohne ihre quantentheoretischen Theoriefiguren näher zu berücksichtigen (siehe etwa BARGETZ 2017; BARLA 2023; FOX & ALLDRED 2021). Auch in der Rezeption durch poststrukturalistische Denker*innen besteht jedoch die Neigung, BARADs Begriffe metaphorisch und nicht wörtlich zu nehmen, wie HOLLIN, FORYSTH, GIRAUD und POTTS (2017, S.935) festgestellt haben: "Several of these concepts travel with Barad from physics. Quantum physics, for Barad, is resolutely not a metaphor but, rather, underpins agential realism's articulation of how the material world is brought into being" (siehe zur kritischen Diskussion auch DE FREITAS 2017). [5]

Demgegenüber wird bereits in BARADs (2007) Grundlagenwerk "Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning" deutlich, wie stark die diffraktive Methode mit quantentheoretischen Schlüsselkonzepten wie z.B. Unbestimmtheit, Interferenz oder der prinzipiellen Untrennbarkeit von Innen und Außen bzw. Beobachter*in und Beobachtetem verbunden ist:

"Hence the diffractive methodology that I propose enables a critical rethinking of science and the social in their relationality. What often appears as separate entities (and separate sets of concerns) with sharp edges does not actually entail a relation of absolute exteriority at all. Like the diffraction patterns illuminating the indefinite nature of boundaries—displaying shadows in 'light' regions and bright spots in 'dark' regions—the relation of the social and the scientific is a relation of 'exteriority within'" (S.93). [6]

Vor diesem Hintergrund möchten wir mit diesem Beitrag eine tiefergehende Einführung in Karen BARADs agentiellen Realismus und die darauf basierende diffraktive Methodologie geben. Dabei werden wir auch zentrale Theoriefiguren der Quantentheorie wie die der Wellenfunktion und die mit ihr verbundenen Eigenfunktionen und Eigenwerte einführen. Dies ist notwendig, um die Schlüsselkonzepte von BARADs Denken verständlich zu machen. Auch wird nur so nachvollziehbar, warum es für die empirische Sozialforschung gewinnbringend sein könnte, soziale Welten homolog zur Quantenphysik als "polykontextural" zu beschreiben (VOGD & HARTH 2019) und damit die Möglichkeit einer Vielzahl von miteinander inkommensurablen Beobachtungspositionen und der hiermit einhergehenden ontologischen und epistemischen Unbestimmtheiten anzuerkennen. [7]

Da qualitative Forschung nicht allein von der Theorie her, sondern nur in Bezug auf ihre Praxis verstanden werden kann, möchten wir zudem Relevanz und Anwendbarkeit des agentiellen Realismus am Beispiel der Analyse von Datenmaterial aus einer Krankenhausethnografie illustrieren. Wir hoffen, zeigen zu können, dass die diffraktive Methode für die empirische Sozialforschung zumindest aus zwei Gründen gewinnbringend sein kann. Zum einen ermöglicht sie, in der Analyse qualitativen Datenmaterials systematisch mit dem Problem der Kontingenz umzugehen (indem beispielsweise rekonstruiert werden kann, wie sich Wahrscheinlichkeiten von Ausschlüssen verändern, wenn sich Umgestaltungen im [Forschungs-]Apparat ergeben). Zum anderen wird ein methodologischer Zugang deutlich, bei dem Identitäten (wer z.B. in welcher Form als Subjekt, Objekt, handelnd oder erleidend erscheint) nicht mehr als vorab gegeben vorausgesetzt werden, sondern untersuchbar wird, wie diesbezügliche Beobachtungs- und die mit ihnen einhergehenden Kausalitätsverhältnisse im Sinne "fungierender Ontologien" (FUCHS 2004, S.11) situativ aufgebaut und wieder abgebaut bzw. umgebaut werden können. Mittels der diffraktiven Methodologie können ontologische Annahmen in Hinblick auf das, wer oder was Beobachter*in und Beobachtetes bzw. Ursache und Wirkung ist, erst einmal eingeklammert werden, um dann zu untersuchen, welche unterschiedlichen Ontologien und Kausalzusammenhänge die untersuchten Verhältnisse hervorbringen:

"While diffraction can be used to read both the instrument and the object through each other in a way in which the identification of "subject" and "object" is not fixed, reflection has an asymmetrical focus that fixes one as the standard (i.e., a fixed mirror) against which the other is read. [...] Turning the mirror around, as it were, is a bad method for trying to get the mirror in the picture" (BARAD 2007, S.418, FN 17). [8]

Einer Metaphysik der Relationen (ESFELD 2004) folgend gilt die Quantenphysik nicht mehr als klassische physikalische Theorie, da weder Dinge noch Subjekte intrinsische Eigenschaften besitzen, sodass die Relata den Relationen im Sinne eines reduktionistischen Kausalitätsprinzips nicht mehr vorausgehen. Beobachtung ist demnach kein abgrenzbarer subjektiver Prozess der Relationierung weitgehend beobachter*innenunabhängiger Objekte. Vielmehr folgt aus BARADs These die Feststellung, dass es ohne Beobachtung überhaupt keine Realität gibt, wie auch der Quantenphysiker Časlav BRUKNER (2017, 2018) pointiert darlegte. [9]

Um die damit verbundenen komplexen Beziehungen zu artikulieren, verwendete BARAD Neologismen und paradox anmutende Wortkombinationen: Subjekte und Objekte sind hiernach nicht im Voraus gegeben, sondern Resultat einer "Intra-Aktion". Sie manifestierten sich als "entangled reconfigurings of spacetimemattering" (2012a, S.68) in einer komplexen Bewegung des "cutting together-apart" (S.52). Zudem entstünden sie infolge unterschiedlicher "Apparate", die dann ihrerseits als "dynamic (re)configurations of the world" (BARAD 2003, S.816) zu betrachten seien.1) All die mit diesen Begriffen verbundenen Konzepte fließen in die "diffractive' methodology" mit ein, die dann – so das zentrale Anliegen dieses Beitrags – auch einen metamethodologischen Zugang für die Analyse und Produktion qualitativer Daten unterschiedlichster Art ergibt. [10]

Im Folgenden erläutern wir zunächst die zentralen Begriffe BARADs mit Blick auf deren quantentheoretischen Ursprung (Abschnitt 2). Im Anschluss gehen wir auf die Problematik des transdisziplinären Theoriedialogs ein und klären die Bedingungen, unter denen eine Übertragung von Theoriefiguren aus der Physik auf die Sozialwissenschaften überhaupt sinnvoll ist (Abschnitt 3). Danach loten wir aus, was die aus dem quantentheoretischen Formalismus entlehnten Begriffe in einer sozialwissenschaftlichen Methodologie bedeuten könnten (Abschnitt 4). Unser Fokus liegt jedoch nicht auf der Geschichte der Atomphysik oder der Erkenntnistheorie, sondern auf BARADs Methodologie. Daher wenden wir die Überlegungen auf ein sozialwissenschaftliches Beispiel aus der Krankenhausforschung an (Abschnitt 5). Abschließend ziehen wir ein vorläufiges Fazit (Abschnitt 6) und diskutieren die forschungsethischen Implikationen von BARADs Methodologie (Abschnitt 7). [11]

2. Die Grundbegriffe von BARADs diffraktiver Methode

Wer sich intensiver mit der für Lai*innen durchaus herausfordernden Quantentheorie beschäftigt hat,2) wird einige ihrer zentralen Theoriefiguren in BARADs zunächst ungewöhnlich wirkenden Begrifflichkeiten in äußerst verdichteter Form wiedererkennen. Dabei ist zu beachten, dass die von BARAD geschaffenen Neologismen darauf beruhen, BOHRs Quantenmechanik diffraktiv zu lesen und durch Überlegungen und Konzepte wie "apparatus", "dispositiv" und "discourse" von Michel FOUCAULT (1980 [1972], S.194), "materialization" und "performativity" von Judith BUTLER (1993, S.8 und S.33) sowie "material-semiotic actor" und "apparatus of bodily production" von Donna HARAWAY (1991, S.199 und S.207) anzureichern. BARAD geht es dabei nicht darum, die Quantenmechanik im Sinne eines physikalischen Reduktionismus auf die Analyse der Gesellschaft anzuwenden, sondern neue Einsichten und Perspektiven zu generieren, indem unterschiedliche theoretische Konzepte nebeneinandergelegt und miteinander verbunden werden. Im Folgenden werden wir diese Begriffe primär von der quantentheoretischen Seite her einführen und lesen, da die damit verbundenen Theoriefiguren einem sozialwissenschaftlichen Publikum in der Tiefe kaum bekannt sein dürften. [12]

2.1 Intraaktion

Entsprechend den Positionen von HEISENBERG (1925) und BOHR (1928) "existieren" "Teilchen"3) (im Sinne einer lokalisierbaren Entität) nicht vor der Messinteraktion. Der Teilchen- oder Wellencharakter eines Elektrons oder Photons manifestiert sich erst während der Beobachtung, wobei unterschiedliche Beobachtungsweisen zu verschiedenen Ergebnissen führen können. Beispielsweise werden in einem Doppelspaltexperiment, wenn an den Spaltöffnungen gemessen wird, "Teilchen" festgestellt. Wird jedoch nicht gemessen, entstehen Interferenzmuster, was darauf hindeutet, dass eine "Welle" durch beide Öffnungen gleichzeitig gegangen ist, aber keine "Teilchen". Entitäten "existieren" also nicht unabhängig von der Messinteraktion. Mit anderen Worten: Es gibt kein "Teilchen", das mit dem Messinstrument interagiert. Es manifestiert sich nur innerhalb eines Versuchsaufbaus, der ein "Teilchen" bzw. die Teilcheneigenschaft als messbare Größe möglich werden lässt – daher der Begriff Intraaktion. In Anlehnung an das Eingangszitat von WHEELER (1990, S.10) können wir auch sagen: "Keine Frage, keine Antwort" (1991, S.199 und S.207). Dies führt zu einem bestimmten methodischen Zugang, der dann Bestimmtes erkennen lässt, jedoch andere Formen der Manifestation von Wirklichkeit ausschließt. Der erkenntnistheoretische Zugang zum Untersuchungsgegenstand (die Frage) beeinflusst mit, was der Gegenstand (die Antwort) ist. Um es am Beispiel des Doppelspaltexperiments zu formulieren: Um das vollständige Bild zu bekommen, benötigen wir eine Methodologie, die zwei komplementäre erkenntnistheoretische Zugänge gestattet – nämlich die Beschreibung und Untersuchung des Gegenstandes als Teilchen und als Welle sowie jeweils unterschiedliche Versuchsaufbauten, die dies manifestieren lassen. [13]

Diese ontologische Unbestimmtheit ist bereits in der Theoriearchitektur der Quantentheorie angelegt: Observablen besitzen für Quantenphysiker*innen keine eigenständige, kontextunabhängige Existenz, sondern manifestieren sich nur innerhalb einer bestimmten Konstellation oder Funktionsbeziehung. Dies wird im mathematischen Formalismus dadurch ausgedrückt, dass Observablen durch Operatoren ersetzt werden – also Funktionen, die auf andere Funktionen und auf sich selbst wirken. Genau deshalb sprach BARAD (2007, S.175f.) im Zusammenhang von Messungen nicht mehr von einer Interaktion des Messaggregats mit einer vorab bestehenden Entität, sondern von Intraaktionen als spezifischen Relationen, die nur in bestimmten Konstellationen auftreten. [14]

Genau an diesem Punkt setzte auch BARADs diffraktionale Lesart an, wenn sie BOHRs philosophischem Standpunkt der Unbestimmtheit folgt statt HEISENBERGs Begriff der Unschärfe. Vor diesem Hintergrund fragte BARAD demnach nicht mehr ausschließlich nur nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Theorie wie der Quantentheorie, sondern vielmehr primär nach dem Standpunkt der Physiker*innen, die nunmehr ohne den festen Stand einer idealistischen Ontologie auskommen müssen; deshalb Unbestimmtheit statt Unschärfe. Denn innerhalb des Kreises der Physiker Niels BOHR, Werner HEISENBERG und Max BORN, die für die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie stehen, bestand keineswegs Einigkeit in Hinblick auf die Implikationen. Wie BARAD rekonstruiert hat, zeigte sich auch dort eine eher männliche Lesart, die von der Überzeugung getragen gewesen sei, die Dinge prinzipiell in den Griff bekommen zu können. Im Gegensatz dazu stehe eine weibliche Lesart, die Offenheit aushalten könne und willkommen heiße.

"Kopenhagen wird von seinen eigenen Brüchen/Rissen durchspukt, die die angenommene Einheit von Orten, Räumen, Zeiten und anderen Wesen Lügen strafen. Ein Geist durchspukt [...] die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik. Was wäre, wenn dieser Geist ernst genommen würde? Das heißt, was wäre, wenn wir verstünden, dass es schließlich nicht um Unschärfe geht – nicht um das männliche Wissen gemessen an einer gegenwärtigen Präsenz, die ist oder eine vergangene Präsenz, die war – sondern vielmehr um Unbestimmtheit – hauntologische Multiplizität – die sich entscheidenderweise, nicht wieder um den Mann dreht, am Ende nicht um das Ursprüngliche, und auch nicht um das Ende der Zeit?" (2015, S.107) [15]

Nicht zuletzt auch deshalb ist die Theoriefigur der Intraaktion für die sozialwissenschaftliche Forschung von besonderem Interesse, denn sie verweist auf einen Weg, wie systematisch mit dem Problem der Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit der untersuchten Gegenstände umgegangen werden kann – ein Thema, das in Abschnitt 4 ausführlich behandelt wird. [16]

2.2 Cutting together-apart

Eine fundamentale Konsequenz der Quantentheorie ist die HEISENBERGsche Unbestimmtheitsrelation (1927). Jede Bestimmung – etwa eines "Teilchens" an einem bestimmten Ort wie z.B. an einer Spaltöffnung – führt unweigerlich zu Nichtwissen hinsichtlich anderen, komplementären Variablen. Mit der Messung verschmilzt das messende System mit dem gemessenen System,4) was eine neue epistemologisch-ontologische Konstellation schafft. Denn Verschränkung bedeutet, dass man dem neu entstandenen System einen wohldefinierten Zustand zuweisen kann (es ist als verschränktes bestimmt), ohne den beteiligten Teilsystemen spezifische Zustände zuordnen zu können. Dies steht im Gegensatz zur klassischen Physik, in der jedes Teilsystem zu jedem Zeitpunkt einen eindeutigen Zustand besitzt, der sein Verhalten definiert. In der klassischen Physik wird angenommen, dass die Zustände aller Teilsysteme zusammen den Zustand und das Verhalten des gesamten Systems erklären. In der Quantenmechanik befinden sich die Zustände der Teilchen gleichzeitig in einer Überlagerung verschiedener Möglichkeiten. Jeder mögliche Zustand eines Teilchens ist mit spezifischen Zuständen anderer Teilchen verbunden. Bei einer Messung an einem Teil des Systems wird nur eine dieser Möglichkeiten realisiert, und alle anderen werden ausgeschlossen. Oder um es mit SCHRÖDINGERs Worten zu sagen:

"Wenn sich der Zustand eines Quantensystems ändert – etwa durch eine Messung oder eine andere Interaktion, die das System neu kontextualisiert – entsteht ein neuer Eigenzustand, der durch eine veränderte Wellenfunktion beschrieben wird, wobei in der neuen Funktion stets auch Aussagen fehlen, die in der früheren enthalten waren" (1935, S.825). [17]

Durch die Messbeobachtung wird somit ein neues System geschaffen bzw. eine neue Realität phänomenalisiert, während das, was nicht bestimmt wurde, undefiniert bleibt und im Bereich der Verschränkungen und im Ausschlussbereich verbleibt. Niels BOHR (1928) entwickelte daraus sein Komplementaritätsprinzip, dem zufolge zwei unterschiedliche methodische Betrachtungen eines Ereignisses oder Phänomens gleichzeitig nicht möglich sind. Es ist immer nur möglich, eine Eigenschaft pro methodologischem Zugang hervorzubringen. Beide zusammen ergeben dann erst das vollständige Bild. [18]

Der Begriff der Verschränkung ergibt sich also daraus, dass zwei zuvor voneinander getrennte Systeme durch eine Messung so miteinander verbunden werden, dass bestimmte Aspekte gemeinsam unbestimmt werden, jedoch, wenn ein Teilsystem durch eine weitere Interaktion bestimmt wird, das komplementäre Teilsystem ebenfalls in Bezug auf den zuvor unbestimmten Aspekt bestimmt wird. [19]

Im Fall verschränkter Quantensysteme ist es irrelevant, wie weit diese auseinanderliegen, in welcher Reihenfolge sie gemessen wurden und ob sie erst nach der Messung verschränkt wurden. Mit Blick auf die hier zum Ausdruck kommende Metaphysik der Relationen (ESFELD 2004, S.601), muss die Messung mit BARAD (2012a) als eine Intraaktion erscheinen, bei der im cutting together-apart die Verhältnisse neu "zusammengeschnitten" werden, also eine bestehende Verschränkung aufgehoben und eine neue erzeugt wird. [20]

2.3 Reconfigurings of spacetimemattering

In der Quantentheorie wird keine deterministische Beschreibung der Welt mehr geliefert. Im Gegensatz zur klassischen Physik, in der probabilistische Aussagen ebenfalls möglich sind, ist die probabilistische Sichtweise in der Quantenphysik von fundamentaler Natur (BRUKNER 2017). Das bedeutet, sie dient nicht nur als Technik, um mit Unwissenheit aufgrund von Komplexität umzugehen, sondern sie impliziert auch, dass Phänomene nicht in jedem Fall vorhersagbare Ereignisse sind. Um es mit MITTELSTAEDT auszudrücken: "Quantenmechanische, statistische Kausalität ist schwächer als klassische Kausalität, die als ein selten realisierter Spezialfall erscheint, und der quantenmechanische Substanzbegriff ist schwächer als der klassische, da Quantenobjekte anders als klassische Objekte nicht Träger aller Eigenschaften sind" (2000, S.67). [21]

Um dies physikalisch näher zu erläutern: Die Wahrscheinlichkeit, dass an einer bestimmten Stelle etwas geschieht (etwa im Doppelspaltexperiment, wo ein "Teilchen" gemessen werden kann), wird durch die Wellenfunktion der SCHRÖDINGER-Gleichung (1935) beschrieben. Beispielsweise besteht jeweils eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, dass ein "Teilchen" am linken oder am rechten Spalt gemessen wird. Die Wellenfunktion kann in diesem Fall als Superposition der zwei Zustände |rechter Spalt˃ + |linker Spalt˃ beschrieben werden.5) Wenn an den Spalten nicht gemessen wird, durchqueren beide Wellen die Spaltöffnungen und überlagern sich auf der anderen Seite zu einem Interferenzmuster. Die "Teilchen" manifestieren sich dann auf dem Schirm entsprechend der Wahrscheinlichkeitsverteilung des Interferenzmusters. Auf den schwarzen Streifen erscheinen keine "Teilchen", da sich die Wellen so überlagern, dass die Wahrscheinlichkeit der Manifestation eines "Teilchens" Null wird. Auch hier wird durch die Wellenfunktion beschrieben, was im Falle einer Messung möglich ist. Bei einer Messung ändert sich der Kenntnisstand im Quantensystem, und damit ändern sich auch die "Erwartungskataloge" (S.844) bezüglich dessen, was überhaupt möglich ist. Wenn an einem Spalt gemessen wird, ist zu 100% bekannt, was dort gemessen wurde. Der Kenntnisstand hat sich geändert. Bemerkenswerterweise verändert dies, der quantenmechanischen Logik folgend, auch, was sich physikalisch in dem Versuchsaufbau infolge weiterer Messungen manifestieren kann. In diesem Fall gibt es keine Interferenz mehr, da sich auf der anderen Seite die Wellenfunktion verändert hat. Die Interferenzen verschwinden, da keine Superposition mehr besteht; denn es wurde nun bestimmt, wo das "Teilchen" durchgegangen ist. Eine kleine Änderung der Messanordnung – das Hinzufügen von Instrumenten zur Erhebung der Weginformation – verändert die Wellenfunktion und damit, was als Wirklichkeit erscheinen kann. Insbesondere BOHR (1964 [1961]) hatte immer wieder auf die Verbindung von Epistemologie und Ontologie hingewiesen. Eine veränderte Messanordnung führt zu einem anderen Kenntnisstand und damit zu einer anderen Konfiguration dessen, was als Materialisation von Fakten möglich ist. [22]

Die veränderte Wellenfunktion übergreift zudem Raum und Zeit. ZEILINGER, der eine Vielzahl solcher Experimente am Beispiel von Photonen durchgeführt hat, schrieb:

"Es ist eine Tatsache, dass die Ereignisse, die an den Photonen Y und B registriert werden, objektive Ereignisse sind. Ereignisse sind eben Ereignisse und stehen für sich. Wenn wir als Physiker diese Ereignisse verstehen möchten, müssen wir eine konsistente Interpretation präsentieren, und die Interpretation dreht sich in unserem Fall um die Verschränkung. Das Interessante ist aber, dass wir für die Resultate nun zwei Interpretationen präsentieren können, je nachdem wie die Entscheidung ausfällt, was an einem späteren Zeitpunkt gemessen wird. Es ist also nicht daran zu rütteln, dass die Ereignisse Ereignisse sind, aber die Begründung, warum sie so ausfallen, wie sie ausfallen, die Erklärung ihrer Bedeutung, eben ihre Interpretation, hängt offenbar von unseren Handlungen und Entscheidungen ab. … [Dies bedeutet auch,] dass der Quantenzustand, den wir verwenden und den wir als Erklärung eines Ereignisses benutzen, nichts Absolutes ist. Er hängt von den Einzelheiten der Versuchsanordnung ab. Dies kann Einzelheiten einschließen, die erst in der Zukunft entschieden werden" (2007, S.309f.). [23]

Durch die Wellenfunktion der SCHRÖDINGER-Gleichung (1926) werden die Wahrscheinlichkeiten benannt, was in einer bestimmten Konstellation von Verschränkungen möglich ist und was nicht. Die Auswahl einer Versuchsanordnung oder die Entscheidung zu einem veränderten Versuchsaufbau ändert dabei auch – wie ZEILINGER (2007) angedeutet hat – die Kausalzusammenhänge der Interpretation des Geschehens. Kausalität im Sinne eines vorab definierten Ursache-Wirkungszusammenhangs (im Sinne: A -> B -> C) ist in der Quantenwelt nicht per se gegeben, sondern hängt von der Gesamtkonstellation ab. [24]

Auf diese Weise lassen sich auch die sogenannten Quantenradierer-Experimente begreifen. Hierunter ist eine Versuchsanordnung zu verstehen, mit der im Sinne des Doppelspaltexperiments zunächst die Weginformation erhoben wird, sodass die Interferenz nach dem Spalt verschwindet, dann aber in einer verzögerten Entscheidung ("delayed choice", WHEELER 1978, S.9ff.) entschieden wird, die Weginformationen wieder in eine Superposition zu bringen, sodass die ursprüngliche Information ausgelöscht wird (MA et al. 2012). Gerade BARAD (2011) wies jedoch darauf hin, dass damit nicht die Vergangenheit ausgelöscht wurde, sondern durch einen veränderten Versuchsaufbau sich nur ein neues Arrangement aus Raum, Zeit, Materie und Bedeutung manifestiert – also dem, was bestimmt und unbestimmt ist. Was zuvor bestimmt war, rückt in der veränderten Anordnung in den Ausschlussbereich und die Materialisierung dieses Prozesses kann mit BARAD, JUELSKJÆR und SCHWENNESEN als entangled reconfigurings of spacetimemattering begriffen werden:

"But erasure of past events is not what's going on in the experiment. If you really attend to the data in terms of phenomena (as opposed to things, and this very shift is in fact confirmed loud and clear by this very experiment), you see that the diffraction pattern only shows up again if you do the work of tracing the entanglements. In performing the labor of tracing the entanglements, of making connections visible, you're making our obligations and debts visible, as part of what it might mean to reconfigure relations of. So spacetimemattering can be reconfigured in a way that reopens the past, in fact it happens all the time whether or not it's something that we directly observe under specific experimental conditions. But what it says then is that, what is at issue is not the erasure of events, but reconfigurings of spacetimemattering. Indeed, it shows that the universe itself holds a memory of each event—the fact that the first the particle goes through one slit or the other of the which-slit Apparatus, and then after it hits the screen, the which-slit information is destroyed, and then the pattern on the screen is reconfigured and reanalyzed [...] all of this is on record" (2012, S.21). [25]

Auch hier lässt sich mit etwas Vorstellungskraft erahnen, warum die beiden Theoriefiguren cutting together-apart und reconfigurings of spacetimemattering für die sozialwissenschaftliche Forschung von Nutzen sein könnten. Sie könnten nämlich einen methodologischen Zugang zu Musterwechseln bieten, insbesondere im Hinblick auf die Kontinuität und Diskontinuität sozialer Identitäten und die hiermit einhergehenden Ontologien (siehe hierzu ausführlich die Abschnitte 4 und 5). [26]

2.4 Apparat

Spätestens seit VON NEUMANNs (1932) Formulierung der "Mathematische[n] Grundlagen der Quantentheorie" ist bekannt, dass sowohl die untersuchten Quantenobjekte als auch die Versuchsanordnung quantentheoretisch – d.h. als Wellenfunktion – beschrieben werden müssen. Dies bedeutet, dass die Grenze zwischen Beobachtetem und Beobachtung willkürlich gesetzt werden kann. So können nicht nur mikroskopische Objekte wie ein radioaktives Atom in einer Superposition existieren, sondern auch die damit verschränkten Konstellationen. Dies führt zu dem berühmten Gedankenexperiment von SCHRÖDINGERs Katze (1935, S.812), bei dem ein Tier, dessen Überleben an einen Zerfallsprozess gekoppelt ist, sich in einer Überlagerung aus |tot˃ und |lebendig˃ befinden kann. Dieses Gedankenexperiment kann durch die Einbeziehung beliebiger anderer Mess- und Beobachtungsprozesse erweitert werden. Luftmoleküle interagieren mit dem radioaktiven Atom und "messen" es.6) Innerhalb des Versuchsaufbaus können sich – wie z.B. BRUKNER (2017) demonstriert hat – auch menschliche Beobachter*innen befinden, die feststellen können, was vor sich geht, jedoch externen Beobachter*innen nur ein Bit an Information übermitteln können, nämlich ob sie eine Messung durchgeführt, nicht aber, was sie gemessen haben. Damit müsste sich für externe Beobachter*innen die Situation gemäß dem Formalismus der Quantenmechanik so darstellen, dass die beiden Zustände |lebendig˃ und |tot˃ weiterhin in einer Superposition existieren. Falls sie selbst eine Messung durchführen könnten, würden sie bei einem bestimmten Versuchsaufbau eine Interferenz sehen, jedoch kein eindeutiges Ergebnis. Wie im Quantenradierer-Experiment (HERZOG, KWIAT, WEINFURTER & ZEILINGER 1995) kann an einer Stelle ein distinkter Zustand beobachtbar sein, an anderer Stelle bzw. zu anderer Zeit eine Interferenz. [27]

Es ist wichtig zu betonen, dass nicht zwingend eine lebendige beobachtende Instanz oder ein elaboriertes Messinstrument vorhanden sein muss, um die mit der Wellenfunktion einhergehenden Potenzialitäten in ein distinktes Resultat zu überführen. Entscheidend ist allein, ob der Apparat so gestaltet ist, dass prinzipiell eine bestimmende Intraaktion – sei es etwa durch ein Luftmolekül, also nicht nur durch einen absichtsvoll aufgestellten Detektor – stattfinden kann, oder ob die Anordnung so gestaltet ist, dass prinzipiell kein Wissen generiert werden kann. Die Möglichkeit, etwas zu beobachten (oder nicht), liegt im Gesamtarrangement, ist jedoch unabhängig von der Eigenschaft eines Teils, sich selbst als Beobachter*in bezeichnen zu können oder gar Bewusstsein zu haben (WANG et al. 1991). [28]

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass für das Erzielen solcher Effekte hochgradig raffinierte Versuchsaufbauten erforderlich sind. In den meisten im Alltag auftretenden Situationen führt Dekohärenz (also Kaskadeneffekte aneinander anschließender Intraaktionen) dazu, dass keine Superpositionen – etwa |lebendige Katze˃ und |tote Katze˃ – auftreten. Dies verweist wiederum auf den Apparat, die jeweils spezifische Konstellation, die an bestimmten Stellen in Raum und Zeit etwas erscheinen lässt bzw. materialisiert und anderes ausschließt. In einer anderen Konstellation mag sich dann etwas anderes manifestieren, wobei damit etwas anderes ausgeschlossen (d.h. unbestimmt) bleiben muss:

"Apparatuses are not inscription devices, scientific instruments set in place before the action happens, or machines that mediate the dialectic of resistance and accommodation. They are neither neutral probes of the natural world nor structures that deterministically impose some particular outcome [...] apparatuses are not mere static arrangements in the world, but rather apparatuses are dynamic (re)configurations of the world, specific agential practices/intra-actions/performances through which specific exclusionary boundaries are enacted" (BARAD 2003, S.816). [29]

Subjekt und Objekt, Innen und Außen, Beobachtung und Beobachtetes, Daten und Bedeutung verweben sich im Apparat zu einem spezifischen, jedoch angesichts seiner Historizität und Materialität nicht willkürlichen Gewebe. Der Apparat als jeweils eigene Form des spacetimemattering, wie es BARAD et al. (2012, S.20) bezeichnet haben, bestimmt was möglich und was unmöglich ist bzw. ausgeschlossen wird. [30]

Gerade hier sah BARAD Anknüpfungspunkte zu den Arbeiten von Michel FOUCAULT, insbesondere in Bezug auf sein Verständnis von Diskurspraktiken:

"Foucault zufolge sind Diskurspraktiken die örtlichen, sozialgeschichtlichen, materiellen Bedingungen, die disziplinäre Erkenntnispraktiken wie zum Beispiel Sprechen, Schreiben, Denken, Rechnen, Messen, Filtern und Sich-Konzentrieren ermöglichen und einschränken. Diskurspraktiken bringen die Subjekte und Objekte der Erkenntnispraktiken hervor, anstatt sie nur zu beschreiben. In Foucaults Sichtweise sind diese Bedingungen immanent und geschichtlich anstatt transzendental oder phänomenologisch. Sie sind also keine Bedingungen im Sinne von ahistorischen, universalen, abstrakten Gesetzen, die die Möglichkeiten von Erfahrung festlegen (Kant), sondern wirkliche, geschichtlich und kulturell spezifische gesellschaftliche Bedingungen" (BARAD 2012b [2007], S.34). [31]

2.5 Diffraktive Methodologie

Der Begriff Diffraktion bezeichnet in der Physik, wie bereits zuvor erwähnt, die Beugung von Wellen an einem Hindernis. In der Quantentheorie beschreibt die Wellenfunktion der SCHRÖDINGER-Gleichung (1926) die räumlich-zeitliche Verteilung der Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten eines Ereignisses bei einer Messung. Jede Beobachtung verändert die Wellenfunktion und damit das, was an anderer Stelle möglich bzw. wahrscheinlich (konstruktive Interferenz) oder unwahrscheinlich bzw. ausgeschlossen (destruktive Interferenz) ist. Jede Ergänzung einer bestehenden Konfiguration (Apparat) – und somit auch jeder gewählte methodologische Zugang – beugt die Wellenfunktion, was zu einem veränderten Muster der Wahrscheinlichkeitsverteilung führt. [32]

Dies eröffnet eine Methodologie, in welcher die gewonnenen Daten als Resultat von Brechungen oder Beugungen an der Wellenfunktion verstanden werden. In der Quantentheorie werden durch die SCHRÖDINGER-Gleichung die Wahrscheinlichkeiten des aktuell Möglichen aufgespannt. Es gibt eine Klasse von Lösungen dieser Gleichung, die als Eigenfunktionen bekannt sind. Eine Eigenfunktion beschreibt einen Zustand, in dem sich das Quantensystem mit einer bestimmten, wohldefinierten Eigenschaft befindet. Befindet sich ein System in einem solchen Eigenzustand, liefert eine Messung der entsprechenden Größe immer dieselben Werte – die Eigenwerte. [33]

So lässt sich beispielsweise mit der SCHRÖDINGER-Gleichung das Wasserstoffatom modellieren. Die Eigenfunktionen, die Orbitale, geben die Orte und Wahrscheinlichkeiten an, an denen Elektronen prinzipiell gemessen werden könnten. Die Eigenwerte entsprechen den Energiezuständen des Elektrons, die dabei festgestellt werden können. Diese Energieniveaus sind quantisiert. Bei einer Messung ergibt sich ein distinktes, klares Ergebnis statt beispielsweise unscharfen oder schemenhaften Überlagerungen von Spektrallinien (oder einer Überlagerung von lebendigen und toten Katzen). Jede Messung mündet somit in eine klassische Welt, in der ein eindeutiges Datum erscheint. [34]

Konzeptionell hat gerade diese Theoriefigur für die Sozialwissenschaften eine hohe Relevanz. Denn jenseits von Realismus und Konstruktivismus7) ergibt sich hiermit methodologisch ein dritter Weg, der erlaubt, mit Kontingenz umzugehen, ohne jedoch in eine Beliebigkeit der Interpretationen münden zu müssen. Denn die Bedingungen, entsprechend denen etwas möglich ist, können präzise benannt werden, und typologisch ist mit konkreten Ergebnissen zu rechnen (siehe zum Verhältnis der Eigenformen in der Kybernetik und der Quantentheorie auch KAUFFMAN 2011). [35]

Eigenwerten entspricht also das, was in einer Messung als konkrete Beobachtung gefunden wird. Mittels einer diffraktiven Methode würden demzufolge methodologisch begründete Varianten im Zugang zum Untersuchungsgegenstand entwickelt und dann beobachtet werden, was sich in den Intraaktionen – dem Hervorbringen eines Phänomens durch das jeweilige Arrangement – als Eigenwert manifestiert. Der Vergleich unterschiedlicher Arrangements, etwa mit oder ohne Weginformation am Doppelspalt, ermöglicht Rückschlüsse auf die Wellenfunktionen. Basierend auf der Varietät der gefundenen Phänomene (Eigenwerte) lässt sich zudem abschätzen, ob diese relativ robust und eher unabhängig von kleineren Abweichungen der Anordnung erscheinen oder sehr sensitiv auf Kontextveränderungen reagieren. Zudem lässt sich beurteilen, ob die Hinzufügung bestimmter weiterer Kontextelemente die Eigenfunktionen in einer Weise beeinflusst, dass bei der Messung andere Phänomene zu erwarten sind. [36]

Durch diese Methodologie werden Forscher*innen auch dazu aufgefordert zu reflektieren, dass sie nicht in der Lage sein werden, die bei einem Apparat superponierenden Teilwellen der Wellenfunktion bzw. ihre Veränderungen in Intraaktionen auch nur annähernd vollständig nachzuzeichnen. Da sie selbst Teil der Welt sind, können sie keinen allwissenden Standpunkt einnehmen, sondern nur die Bereiche reflektierend erforschen, die durch ihre Interventionen beeinflusst werden, oder falls ihnen die Spuren der Intraaktionen der beforschten Verhältnisse anderweitig als Datenmaterial zugänglich werden. Doch auch wenn nur ein mittelbarer Zugang möglich ist, werden sich Regelmäßigkeiten zeigen können, da die Art der Verschränkungen, die mit den verschiedenen Intraaktionen einhergehen, typische Muster offenbaren, insofern man sich die Mühe macht, die Verflechtungen zwischen beobachtetem Phänomen und Versuchsanordnung zu rekonstruieren:

"If you really attend to the data in terms of phenomena (as opposed to things, and this very shift is in fact confirmed loud and clear by this very experiment), you see that the diffraction pattern only shows up again if you do the work of tracing the entanglements. In performing the labor of tracing the entanglements, of making connections visible, you're making our obligations and debts visible, as part of what it might mean to reconfigure relations of spacetimemattering" (BARAD et al. 2012, S.20). [37]

3. Komplementäre Methodologien: ein nicht-klassisches Paradigma für komplexe soziale Phänomene

Wie lässt sich die diffraktive Methode auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen übertragen und in welchen Problemkontexten erscheint dies sinnvoll? Zunächst eine kritische Vorbemerkung. Es gibt zwei Ansätze, Theorien aus den Naturwissenschaften aufzugreifen: Einerseits, indem man soziale Phänomene durch physikalische, physiologische oder genetische Ursachen erklären möchte. So könnte man versucht sein, Gruppenphänomene, Bewusstseinszustände oder das Bewusstsein auf Quantenfelder zurückzuführen.8) Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die dabei postulierten Zusammenhänge nach dem derzeitigen State of the Art der Fachwissenschaften spekulativ sind bzw. es gibt es keine anerkannten empirischen Belege, welche die formulierten Hypothesen stützen könnten. Dies führt dazu, dass sich die Protagonist*innen solcher Thesen schnell den Vorwurf der Pseudowissenschaft einhandeln (so z.B. bei SOKAL & BRICMONT 1997 nach BARGETZ 2017, S.134). Andererseits besteht die Möglichkeit, Theorien aus anderen Disziplinen dahingehend zu überprüfen, ob deren Abstraktionsleistung nicht auch für die eigene Disziplin von Nutzen sein könnte. [38]

3.1 Quanteninformationstheorie als Modell: Komplexität und Kontingenz im interdisziplinären Dialog

Im interdisziplinären Theoriedialog ist es daher produktiver, die Architektur eines bestimmten Forschungsparadigmas zu betrachten und zu überlegen, ob in der Art der Problemdefinition und -behandlung nicht auch Lösungswege für die eigene Disziplin liegen könnten. So stellt die Quanteninformationstheorie – wie ASANO et al. (2015) aufgezeigt haben – ein paradigmatisches Modell für jegliche Art von Systemen dar, in denen Teilsysteme komplex interagieren. Dabei sollte jedoch nicht versucht werden, biologische, kognitive oder soziale Prozesse auf (quanten-)physikalische Phänomene zu reduzieren. Stattdessen sollte die Entwicklung eines eigenständigen Modells im Vordergrund stehen, das analog zur Quanteninformationstheorie funktioniert. Ein solches Modell würde auf der Prämisse basieren, dass mehrere Teilsysteme einander in einer Weise beeinflussen, dass ihr Verhalten aus der Perspektive im System befindlicher Beobachter*innen nicht mehr als determiniert erscheint. Die damit verbundenen Unbestimmtheiten lassen sich mit den Mitteln der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie nicht berechnen, da Systeme hier als Superposition mehrerer Zustände vorkommen und die Wahrscheinlichkeiten für jedes Teilsystem aufgrund der Verschränkung nicht mehr unabhängig voneinander bestimmt werden können. [39]

Dies impliziert, dass die damit einhergehenden Dynamiken mit den Methoden, die dem klassischen Wissenschaftsparadigma folgen (ELLIS 2001), nicht mehr modellierbar sind. Letzteres setzt in Bezug auf die zu untersuchenden Verhältnisse eine eindeutige kausale Ordnung voraus, entsprechend der die Ereignisse in einer festen Reihenfolge stattfinden. Dies bedeutet, dass gemäß dem genannten Paradigma ein Set von Ursachen (Explanans) ein bestimmtes Phänomen erklärt (Explanandum). [40]

Demgegenüber wird der Formalismus der Quantentheorie aus zwei Gründen als nicht-klassisch angesehen. Der erste Grund liegt in einem spezifischen Kausalitätsverständnis und einer nicht-klassischen Vorstellung von Linearität bzw. (Dis-)Kontinuität, insofern in bestimmten Konstellationen von einer unbestimmten Kausalordnung ausgegangen werden muss, d.h. die Reihenfolge, in der Ereignisse eintreten – und damit die Kausalzusammenhänge – ist nicht a priori festgelegt, sondern entsteht ihrerseits – um in der Terminologie von BARAD (2007, S.178) zu bleiben – erst in der "Intraaktion". Was Ursache und Wirkung bzw. beobachteter Gegenstand und beobachtendes Subjekt ist, steht erst nach der Messung fest. Methodologisch bedeutet das, dass – wie FOUCAULT (2009 [2001], S.183) aus einer ähnlichen onto-epistemologischen Haltung heraus formulierte (siehe auch Abschnitt 5) – nach eben diesem Grund, dem "Ur" der Sache, nicht gesucht werden muss. [41]

Der zweite Grund für eine nicht-klassische Bewertung der Quantentheorie liegt im Konzept der Komplementarität von BOHR (1928). Darin wird die Inkommensurabilität logisch akzeptiert – nach einer Messung ist nur ein Zustand beobachtbar (z.B. tote oder lebende Katze) – und die Überlagerung der jeweils möglichen, aber einander widersprechenden Zustände (tot oder lebendig) bzw. Phänomene (Wellen- oder Teilcheneigenschaft) oder Beobachtungspositionen (Messung von Impuls oder Ort) als gleichwertig betrachtet. [42]

Die nicht-klassische Anlage der Quantentheorie schließt jedoch nicht aus, dass der Versuchsaufbau und die dabei erhaltenen Messungen einen klassischen Charakter aufweisen können. Auch wenn diese Elemente nach VON NEUMANN (1932) quantenmechanisch beschrieben werden können (und je nach Fragestellung auch müssen), erscheinen beispielsweise Photonenquellen, Spiegel und Messinstrumente als distinkte Entitäten. Sobald der Schnitt zwischen Beobachtung und beobachtetem Gegenstand durch den Versuchsaufbau gesetzt ist9) – etwa bei einem "Klick" am Detektor – und das Resultat aufgezeichnet wird, befinden wir uns in klassischen Verhältnissen. Es wird etwas festgestellt, ob Welle oder Teilchen. Quantenzustände, Wellenfunktionen usw. sind somit stets nachträgliche Rekonstruktionen, die entstehen, wenn man nach einem Rahmen sucht, um inkommensurable Versuchsaufbau-Ergebnis-Konstellationen (wie Welle und Teilchen) miteinander zu verknüpfen. [43]

Wenn dieses nicht-klassische Paradigma auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen übertragen wird, muss auch das BOHRsche Komplementaritätsprinzip (1928) berücksichtigt werden. Auch würden klassische Begriffe dabei keineswegs ihre Gültigkeit verlieren. Es wäre also falsch, sich mit dem Verweis auf die Quantentheorie darauf zu berufen, dass Akteur*innen mit ihren jeweiligen Identitäten oder Kollektive und Interaktionen nicht existierten – nur weil alles miteinander verschränkt ist und erst durch eine Beobachter*innenperspektive ein bestimmter Schnitt gesetzt wird. Vielmehr sollte untersucht werden, wie sich verschiedene methodologische Zugänge und Weisen der Gegenstandsproduktion komplementär ergänzen, um tiefere Einblicke in das untersuchte Phänomen zu gewinnen. [44]

Die Anwendung von BARADs diffraktionaler Methode bedeutet also nicht, wie auch SCHADLER (2019, S.220) betonte, dass Forscher*innen auf verfügbare (klassische) methodologische Instrumente verzichten müssen. Ebenso bedeutet die Anwendung analytischer Forschungsinstrumente nicht, dass man einem repräsentationalistischen Paradigma folgen muss, bei dem davon ausgegangen wird, Entitäten, Akteur*innen und andere Identitäten existierten an sich. Dies erfordert jedoch einen metatheoretischen Rahmen, mit dem methodisch kontrolliert zwischen den theoretischen Welten navigiert werden kann. Erst dadurch wird es möglich zu unterscheiden, wo Kontingenz und wo Invarianz zu erwarten ist, und welche relationalen Gefüge bestimmte Möglichkeiten eröffnen oder einschränken. [45]

3.2 Qualitative Methoden: komplementäre klassische Herangehensweisen bei nicht-klassischen Problemstellungen

Um sich systematisch diesem Problem zu nähern, lohnt es sich zunächst, einen Blick auf die Kritik an sozialwissenschaftlichen Methoden zu werfen, die strenggenommen als klassisch gelten können, insofern sie nur auf eine Form der Manifestation sozialer Realität bezogen werden (z.B. Akteur*innen, Interaktion, Gruppen, Netzwerke, Gemeinschaft, Habitus etc.) und dabei ein mehr oder weniger eindeutiger Ursache-Wirkungs-Zusammenhang postuliert wird. [46]

Bereits BÜHL (1969) stellte fest, dass eindimensionale, auf einen Kausalzusammenhang fokussierte methodologische Ansätze zwar bei bestimmten Fragestellungen angemessen sein können, jedoch ungeeignet sind, um komplexe psychologische und soziale Verhältnisse zu untersuchen. In Anlehnung an GÜNTHER (1976) forderte er eine polykontexturale Perspektive, bei der unterschiedliche, inkommensurable, aber sich wechselseitig bedingende Beobachtungsperspektiven berücksichtigt werden. [47]

Darüber hinaus lässt sich mit NASSEHI und SAAKE (2002) – wie sie in ihrem einflussreichen Artikel "Kontingenz: Methodisch verhindert oder beobachtet?" betonten – nicht leugnen, dass Gegenstände durch jeden methodischen Ansatz auf spezifische Weise geformt werden und das Ergebnis somit ein Artefakt der jeweils angewandten Methode ist. In ihrer grundsätzlichen Kritik an herkömmlichen (qualitativen) Methoden argumentierten sie, dass "in qualitativen Forschungen Kontingenz (also die Tatsache, dass ein bestimmter Zusammenhang weder notwendig noch unmöglich ist) selbst zum Thema gemacht werden sollte, anstatt mithilfe von Methoden eine bereits vorausgesetzte Ordnung zu entdecken" (S.66). [48]

Dieses Argument kann jedoch leicht in eine (radikal) konstruktivistische Position münden, bei der die Sinnhaftigkeit des angewandten Zugangs grundsätzlich infrage gestellt wird, da nur die durch die Methode erzeugten Konstruktionen betrachtet werden und nicht mehr nach den übergreifenden Mechanismen und Mustern sozialer Realitäten gefragt wird. Zwischen der Skylla einer methodologisch rigiden, eindimensionalen Gegenstandskonstitution in Anlehnung an einen naiven Realismus und der Charybdis postmoderner Beliebigkeit stehen Sozialwissenschaftler*innen vor einem Dilemma: Soziale und psychologische Wirklichkeiten sind einerseits oft äußerst robust und lassen sich nicht einfach aus dem Unbestimmten heraus konstruieren. Andererseits kann jeder spezifische methodische Zugang als selektiv und abhängig von der Beobachtung dekonstruiert und infrage gestellt werden. [49]

Könnte man nicht gerade hier von einer Physik lernen, die einerseits mit Recht als "harte" Wissenschaft begriffen wird, in der andererseits aber gelernt wurde, mit Beobachtungsabhängigkeit und einander widersprechenden Beschreibungsweisen und der hiermit verbundenen Pluralität analytisch methodischer Zugänge produktiv umzugehen? Wäre es für die Sozialwissenschaften nicht angebracht, ein Komplementaritätsprinzip zu fordern – sowohl in Bezug auf den methodologischen Fokus (Akteur*in, Gruppe, Interaktion etc.) als auch hinsichtlich der onto-epistemologischen Haltung –, das es erlaubt, beides zu tun: sowohl eine Perspektive zu verfolgen als auch andere nicht auszuschließen? [50]

Um es anhand einer vertrauten Diskussion infolge der Grounded-Theory-Methodologie (GTM) zu veranschaulichen: Wenn man den Gedankengang der Komplementarität der Methodologien auf die qualitative Sozialforschung überträgt, dann würde das beispielsweise bedeuten: Es geht nicht nur um die Ansätze von GLASER (2002), der seine Forschung realistisch verstanden wissen wollte, nicht allein um jene von STRAUSS (1987), der sich dem interaktionistischen Paradigma verpflichtet fühlte oder nur um CHARMAZ (2000), die sich als Konstruktivistin begriff. Stattdessen bedeutet es, dass Forschung gleichzeitig realistisch, relational und konstruktivistisch sein kann. [51]

Gerade in den letzten 20 Jahren hat sich auch in anderen Forschungstraditionen einiges in Bezug auf die Entwicklung komplementärer methodologischer Zugänge getan. Im Hinblick auf BARADs (2007, S.235f.) Affinität zu FOUCAULT (1978 [1976], S.92) sind zunächst Versuche zu nennen, aus dessen gesellschaftstheoretischen und philosophischen Arbeiten einen methodologischen Zugang abzuleiten. Beispielsweise wäre hier die Dispositivanalyse (DIAZ-BONE 2006; JÄGER 2011) zu erwähnen, durch die das enge Zusammenspiel von Sprache, Macht und materieller Wirklichkeit erfasst werden kann, ohne diese simplifizierend ineinander zu überführen. Oder man denke an die verschiedenen Varianten der Subjektivierungsanalyse (GEIMER & AMLING 2019), bei denen etwa sozialphänomenologische Ansätze in die an FOUCAULT (1978 [1976]) angelehnten Governmentality Studies integriert werden. [52]

Auch die Begründer*innen der Akteur*in-Netzwerk-Theorie sahen sich herausgefordert, komplementäre methodologische Ansätze zu entwickeln. Mit den "Existenzweisen" (LATOUR 2014 [2012]) wurde die Theorie dahingehend erweitert, dass nicht nur die grenzenlose Verästelung von Netzwerken thematisiert wird, sondern auch anerkannt wird, dass innerhalb sozialer Phänomene klar umrissene Reflexions- und Beobachtungsorte mit eigenen Ontologien und Kausalattributionen entstehen (VOGD 2015).10) [53]

Zu erwähnen sind zudem die Kontexturanalyse, bei der im Anschluss an LUHMANN (1984) von der Gleichzeitigkeit und wechselseitigen Bedingtheit unterschiedlicher Systemreferenzen ausgegangen wird (JANSEN & VOGD 2022) sowie die multidimensionale Typologie der dokumentarischen Methode (BOHNSACK 2017), mittels der die spezifischen Erfahrungshintergründe und Entstehungsgeschichten als eine Soziogenese rekonstruiert werden, die an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten stattfand und sich in gegenwärtigen lokalen Handlungen ausdrückt. [54]

Und um auf das vorangegangene Beispiel der GTM zurückzukommen: Mit der "Situationsanalyse" nach CLARKE (2012 [2005]) gibt es auch hier Versuche, etwa mithilfe von Maps methodisch damit umzugehen, dass verschiedene soziale Welten gleichzeitig für die sozialwissenschaftliche Rekonstruktion des untersuchten Phänomens von Bedeutung sind. Der agentielle Realismus von BARAD (2012b [2007]) könnte eine metamethodologische Perspektive eröffnen, die es ermöglicht, die zuvor genannten Ansätze produktiv so miteinander zu verbinden, dass nicht nur der Komplexität der Empirie bzw. der sozialen Gegenstände, sondern auch der von deren Beobachtung und demzufolge auch dem Apparatus sozialwissenschaftlicher Forschung Rechnung getragen würde. [55]

4. Versuch einer forschungspraktischen Annäherung an den agentiellen Realismus

Wer sozialwissenschaftliche Forschung und Theoriebildung mithilfe von BARAD um quantentheoretische Theorieansätze anreichern möchte, wird – wie bereits mehrfach angedeutet – nur dann überzeugen können, wenn letztere als theoretisch-methodologische Perspektive verstanden werden, ohne sie jedoch fälschlicherweise als physikalisches Erklärungsprinzip zu interpretieren. Hier zunächst ein paar allgemeine Einsichten:

BARADs Ansatz ermöglicht es darüber hinaus zu untersuchen, wie abhängig von einem spezifischen Apparat eine Kombination aus Bestimmtheit und Unbestimmtheit entsteht. Daher sollte der methodologische Ansatz gezielt erweitert werden um:

Methodologisch gesehen muss der rekursive Zirkel, der aus der Figur des Apparates entsteht, auf verschiedene Beobachtungsweisen und Zugänge verteilt werden. Der Apparat umfasst auch alle Vorgänge, die Beobachtung ermöglichen, einschließlich sozialer Interaktionen, psychischer Prozesse der beteiligten Akteur*innen, schriftlicher Kommunikation, materieller und rechtlicher Konsequenzen sowie Ansätze einer wissenschaftlichen Untersuchung des Gegenstands. Er stellt dabei selbst eine materielle, d.h. harte Realität dar, weshalb sich zur Charakterisierung von BARADs Ansatz der Terminus "agentieller Realismus" (2012b [2007]) etabliert hat. Dies impliziert – wie bereits zuvor erwähnt – die Zurückweisung radikal-konstruktivistischer Positionen, durch die nahegelegt wird, dass in einer Interaktion oder im subjektiven Erleben beliebige Interpretationen und Sinngebungen entstehen können. Denn entlang des aus der Quantentheorie entlehnten Operator-Formalismus, dem entsprechend Observablen nicht mehr als von der Beobachtung unabhängige Entitäten begriffen werden, sondern als komplexe Funktionen, die auf sich selbst und andere Funktionen wirken, sind Subjektivität oder Interaktionen nicht kontextfrei möglich, sondern ihrerseits als Produkt des umfassenden Apparates anzusehen. Auch die Tatsache, dass in einer Interaktion überhaupt etwas ausgehandelt werden kann, verdankt sich den vielfältigen Operationen eines Apparates, der an manchen Stellen Interaktion und Subjektivität ermöglicht, an anderen Stellen jedoch nicht. [58]

Entsprechend der klassischen Logik und Wissenschaftstheorie (siehe etwa ELLIS 2001) kann dies nicht modelliert werden. Mit dem nicht-klassischen Formalismus der Quantentheorie wird es jedoch möglich, genau diese Beziehung zu beschreiben. In diesem Sinne könnte auch für sozialwissenschaftliche Fragestellungen versucht werden, homolog zur SCHRÖDINGER-Gleichung (1926) die Wahrscheinlichkeitsverteilungen des momentan Möglichen zu rekonstruieren, sodass eine spezifische Lösungsgruppe sichtbar wird, die dann analog zur quantenmechanischen Begrifflichkeit als Eigenfunktion der jeweiligen sozialen Konstellation bezeichnet werden kann. Mit Blick auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen könnten Subjekte und Akteur*innen damit ebenso als Eigenfunktionen oder Eigenwerte eines bestimmten sozialen Arrangements betrachtet werden, wie auch Interaktionen, kollektive Orientierungen und andere soziale Strukturen. [59]

Wenn Sozialforscher*innen diese aus der Quantentheorie entlehnten Konzepte zur Rekonstruktion eines sozialen Geschehens nutzen wollen, sollte allerdings zunächst die Sinnhaftigkeit des Theorietransfers anhand der infrage kommenden Leitgedanken überprüft werden. Dies möchten wir im Folgenden mit Blick auf BARADs diffraktionale Methode versuchen. [60]

4.1 Apparat, Wellenfunktion und Superposition: zum Zuschnitt der Fragen und den möglichen Antworten

Zunächst möchten wir dabei den Fokus auf den Zuschnitt der Fragen und die in diesem Kontext möglichen Antworten legen, um an das Ausgangszitat von WHEELER (1990, S.10) anzuschließen. In der Experimentalphysik kann der Apparat als eine spezifische Anordnung technischer Elemente verstanden werden, etwa Laser, Spiegel, Messdetektoren und Filter. In den Sozialwissenschaften hingegen wäre er als eine spezifische Konstellation aus gesellschaftlichen Institutionen (wie Wirtschaft, Recht und Organisationen), materiellen und technischen Objekten (wie Architekturen und Maschinen) sowie Menschen mit einer verkörperten Geschichte (beispielsweise Ärzt*innen, Forscher*innen oder Pflegekräften) zu begreifen. [61]

Da der quantenmechanische Formalismus holistisch konzipiert ist und – mit VON NEUMANN (1932) – der Schnitt zwischen Beobachtung und Beobachtetem von Forscher*innen beliebig gesetzt werden kann, könnten in der Beschreibung des Apparates prinzipiell auch andere Wirkzusammenhänge berücksichtigt werden, z.B. geologische oder astronomische Bedingungen oder kulturhistorische Einflüsse. Die Entscheidung, was als zum Apparat gehörig betrachtet wird und was nicht, ist stets Teil der Forschungsfrage. [62]

Wer sich für den Einfluss des Klimawandels auf die sozialen Verhältnisse im Südsudan interessiert wird den Schnitt anders setzen als Forschende, die ärztliche Entscheidungsprozesse in einem gegenwärtigen bundesdeutschen Krankenhaus untersuchen. Durch die Wahl der Fragestellung wird zwangsläufig ein Ausschlussbereich erzeugt. Durch sie wird bestimmt, was letztendlich über Wirkzusammenhänge ausgesagt werden kann – und was nicht. Außerdem beeinflusst die einmalige Festlegung, was nicht mehr sagbar ist. Jeder Messvorgang verändert die Wellenfunktion und damit auch die Möglichkeit dessen, was als Antwort erhalten (also gesagt) werden kann. [63]

Durch die Wellenfunktion der SCHRÖDINGER-Gleichung wird dabei die Wahrscheinlichkeit angegeben, dass etwas eintreten kann. Superposition bedeutet, dass sich die Wahrscheinlichkeiten unterschiedlicher "Erwartungskataloge" (1935, S.844) produktiv oder destruktiv überlagern können. Dadurch setzt sich die Wellenfunktion eines Apparates aus vielfältigen Teilfunktionen zusammen.11) Übertragen auf soziale Phänomene würde dies bedeuten, dass beispielsweise für bestimmte Konstellationen von Interaktionen (etwa dem Ärzt*in-Patient*in-Gespräch) Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Arten von Anschlüssen benannt werden können. Ein konkret gewählter Anschluss entspricht dann dem, was in der Quantenphysik als Messbeobachtung erscheint. Dies impliziert homolog, dass in sozialen Aggregaten nicht nur Forschende messen, sondern dass in dem untersuchten sozialen Aggregat selbst permanent Messungen, d.h. kommunikative Anschlüsse, geschehen. [64]

An dieser Stelle ist jedoch zu beachten, dass die Wellenfunktion in der Quantenphysik, durch die sich Wahrscheinlichkeiten formulieren lassen, und die sich hieraus ergebenden Eigenfunktionen eine präzise mathematische Bedeutung haben. Vermutlich können in den Sozialwissenschaften keine vergleichbaren mathematischen Strukturen oder Operatoren formuliert werden, durch die die Bedingung der Möglichkeit bestimmter sozialer Realitäten auf dieselbe Weise exakt beschrieben wird. In der qualitativen Forschung sollte daher in einem weniger strengen Sinne von Plausibilitäten gesprochen werden – etwa, ob in einer bestimmten Konstellation etwas sehr wahrscheinlich, weniger wahrscheinlich, eher unwahrscheinlich oder nahezu unmöglich erscheint.12) [65]

Unabhängig davon, ob mathematisch exakt formulierbar, würde die Theoriefigur der Superposition unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsfunktionen – auf soziale Wirklichkeiten übertragen – den gesellschaftstheoretischen Befund widerspiegeln, dass wir in einer "polykontexturalen Welt" (LUHMANN 1998, S.248) leben, einer "Gesellschaft der Gegenwarten" (NASSEHI 2011). Dies besagt, dass gleichzeitig eine Vielzahl von systemischen Zusammenhängen existiert und potenziell (etwa von Sozialforscher*innen, die sich an einer bestimmten Stelle positionieren) auf ein Geschehen Bezug genommen werden kann – aber nicht muss. Dies würde in der quantentheoretischen Modellierung dem Befund von BRUKNER (2017) entsprechen, dass sich in einem Versuchsbau, in dem Beobachter*innen an verschiedenen Stellen positioniert sind, für diese unter bestimmten Bedingungen unterschiedliche Fakten oder Kausalzusammenhänge zeigen können. [66]

Die Annahme, dass in der Weltgesellschaft zumindest theoretisch alles mit allem in Beziehung gesetzt werden kann, dies jedoch nicht im Sinne einer Kausal-, sondern einer Möglichkeitsbeziehung, ist für uns dabei zentral. Räumlich gedacht könnte etwa (muss aber nicht) ein TikTok-Post peruanischer Schüler*innen Mitarbeiter*innen in einer Berliner Einrichtung so irritieren, dass sie sich in einer Teamsitzung zu einer Bemerkung hinreißen lassen, die ihre Vorgesetzten zu einer folgenschweren Entscheidung anregt. Zeitlich gedacht könnte sich beim Aufräumen des Speichers ein Dokument finden, das vor 50 Jahren erstellt wurde, aber nun erst seine Wirkung entfaltet. Raum- und zeitübergreifend könnte vieles mit vielem in Beziehung gesetzt werden, nur dass dies in den meisten Fällen so unwahrscheinlich ist, dass es nicht geschieht. Doch selbst wenn es kommunikativ aufgegriffen wird, ist damit noch nicht bestimmt, welcher Anschluss gewählt wird, allerdings verändert sich hierdurch die soziale Konstellation (sprich: also der Apparat) und damit das Set der möglichen Eigenfunktionen. [67]

Gerade der Gedanke der wahrscheinlichen Unwahrscheinlichkeiten erscheint uns auch sozialwissenschaftlich bedeutend, denn hiermit eröffnet sich ein methodologischer Zugang zum Problem der Kontingenz, nämlich dass etwas möglich, aber nicht notwendig ist. So zielen etwa qualitative Forscher*innen in der Regel darauf ab, Feinkörnigkeit, Zufall und empirische Besonderheiten, kurzum: Individualitäten zu erfassen, bringen diese dann jedoch als "Grenzfälle" des Sozialen aufgrund ihrer methodologischen Begrenzungen wieder in eine (durchaus erforderliche) Typisierung und Quantifizierung in Form einer begrenzten Anzahl von Mustern bzw. Rastern. Da es gerade in der Forschung darum geht, Beliebigkeit zu verhindern, muss eingeordnet werden. Die Einordnung selbst muss (methodologisch gesprochen) jedoch als Eigenfunktion ihrerseits Anlass zur wissenschaftstheoretischen Diskussion geben – etwa ob sie als Operation im untersuchten Feld in ähnlicher Weise vorgenommen wird wie im Forschungsprozess.13) [68]

Damit liegt es nahe, auch in sozialwissenschaftlichen Fragestellungen Modalbeziehungen (etwas ist möglich, notwendig oder unmöglich) homolog zur Quantenphysik durch eine Superposition von Wahrscheinlichkeitswellen zu beschreiben, zumal dies einen methodologisch kontrollierten Zugang zum Problem der Kontingenz bietet, wie ihn NASSEHI und SAAKE (2002) gefordert haben. Für qualitative Forscher*innen wird es dabei jedoch weniger darum gehen, die damit einhergehenden Wahrscheinlichkeiten zu quantifizieren, vielmehr geht es um qualitative Wendungen, etwa um Kipppunkte, die einen zuvor wahrscheinlichen Anschluss unwahrscheinlich werden lassen und umgekehrt, und durch welche Modalitäten dies konditioniert wird. [69]

So können beispielsweise für einen Krankenhausbetrieb unterschiedliche Aspekte des Apparates benannt werden, die eine konkrete Entscheidungssituation beeinflussen können, etwa: Interaktionen, Organisation, diagnostische und therapeutische Optionen, bestehende Kapazitäten und Technologien, Recht, Liebe, Wirtschaft, Wissenschaft, massenmediale Diskurse sowie Mentalitäten der beteiligten Akteur*innen und vieles andere (siehe ausführlich VOGD 2004). Jeder Bestandteil dieses Apparates wäre seinerseits als ein Operator zu betrachten, der auf die Wahrscheinlichkeitsfunktion einwirkt und damit beeinflusst, welche Vorhersagen Forschende in Bezug auf das, was in einer bestimmten sozialen Situation festgestellt werden könnte, treffen können. Dabei kann auch berücksichtigt werden, welche Einflüsse der Forschungsprozess selbst auf das Ergebnis hat. Hierbei können mit Blick auf die Erfahrungen aus der Quantenphysik zwei Effekte unterschieden werden. Der erste betrifft die Selektivität der Fragestellung. Das Erkenntnisinteresse und die damit einhergehenden Fragen bestimmen den Fokus und die Methodologie – und damit, was sichtbar wird und was ein blinder Fleck bleibt (dies ist unvermeidbar). Zweitens ist zu fragen, ob der Apparat der zu untersuchenden Konstellation durch die Erhebung auf eine Weise beeinflusst wird, dass sich die Wahrscheinlichkeiten, dass ein bestimmtes Phänomen auftritt, wesentlich verändern. [70]

Hiermit könnten dann unterschiedliche Ebenen der Wirklichkeitskonstitution systematisch unterschieden und damit das Problem adressiert werden, dass qualitative Forscher*innen dazu neigen, ihre eigene Rolle sowohl zu unterschätzen als auch zu überschätzen. Einerseits ist klar, dass zum Beispiel das Rollenverhältnis "Forscher*in-Beforschte" erst durch den Forschungsprozess selbst konstituiert wird. Andererseits werden nicht durch jeden Eintritt in das beforschte Feld die dominanten Eigenfunktionen der untersuchten sozialen Konstellation grundlegend verändert werden (also wie sich die sozialen Verhältnisse in wiederholten Intraaktionen selbst messen). Ebenso kann nun – homolog zu dem zuvor benannten Experiment von ZEILINGER (2007, S.309f.) – berücksichtigt werden, dass ein Material, das zu einem anderen Zweck erhoben wurde, ex post neu aktiviert und mit einem anderen Sinn versehen werden kann – und damit auch das Verhältnis von Forscher*in-Beforschte zu einem anderen Zeitpunkt neu konfiguriert werden kann. [71]

4.2 Eigenfunktionen, Eigenwerte: die (Klassen von) Antworten, die auf eine Frage möglich sind

Homolog zur Quantenphysik lässt sich die (soziale) Welt als polykontextural beschreiben, d.h. als eine Vielzahl von Beobachtungspositionen, die sich wechselseitig hervorbringen, indem Operatoren auf Operatoren einwirken und hierdurch die Wahrscheinlichkeit bestimmen, was an einer bestimmten Position der Fall sein kann. Die Beobachtung dessen, was der Fall ist und was prinzipiell in der Folge in Form von Daten produziert und fixiert werden kann, sind die Eigenwerte dieses Prozesses. Unter Daten ist hier all das gemeint, was in Form von Texten, Bildern, Ton- und Videoaufnahmen, Zeichnungen oder anderen Artefakten in einer Weise eingeschrieben oder materialisiert ist, dass es eine erinnerbare Spur hinterlässt. Damit stellt sich die Frage, was sich im sozialwissenschaftlichen Kontext unter Eigenfunktionen verstehen lässt. Letztere könnten – homolog zur Quantenphysik – wiederum als Lösung einer superponierten Wellenfunktion verstanden werden, durch die die Wahrscheinlichkeiten angegeben werden, dass in einem bestimmten Apparat etwas der Fall sein könnte. [72]

Wir möchten nun ein bundesdeutsches Krankenhaus als einen Apparat betrachten. Es wurden Patient*innen auf eine chirurgische Abteilung eingewiesen, auf der gerade ein soziologischer Feldforscher anwesend war. Im nächsten Abschnitt werden wir zwei konkrete Beispiele einführen, anhand derer wir die verschiedenen Übertragungen der quantenphysikalischen Implikationen auf die Krankenhausethnografie diskutieren. Im ersten Beispiel wurde eine Patientin mit rektaler Blutung eingeliefert. Sie war bereits zehn Jahre zuvor in dieser Klinik operiert worden und hatte sie anschließend verklagt. Im zweiten Beispiel wurde einem älteren Mann, der bereits mehrfach aufgrund eines Rektumkarzinoms operiert worden war, der Wunsch nach einer weiteren Therapie verweigert, weil aus medizinischer Sicht keine Erfolgschancen gesehen wurden. Wir werden untersuchen, wie mit diesen Patient*innen und ihren Vorgeschichten umgegangen wurde, wenn sie auf Ärzt*innen, Pfleger*innen und Forscher*innen trafen. Dabei analysieren wir, an welchen Stellen welche Messoperationen empirisch rekonstruiert werden können und wie methodisch mit der daraus resultierenden Polykontexturalität umgegangen werden kann. Zuvor werden wir jedoch in Bezug auf das Krankenhaus einige allgemeine Bemerkungen zur diffraktiv-methodologischen Arbeit machen und die Figur der Verschränkung erläutern, die wir bislang noch nicht genauer eingeführt haben. [73]

Die Datenerhebung im Kontext der beiden Fallbeispiele und darüber hinausgehend hatte zunächst eine Vielzahl von Befunden zu durchgeführten chirurgischen Eingriffen geliefert. Diese Befunde umfassten unter anderem die Erkenntnis, dass häufig und gerne operiert wurde, aber auch, dass darauf geachtet wurde, die Fälle gewinnbringend abrechnen zu können. Die Bestimmung der Eigenfunktionen bestand nun darin, die erhaltenen Daten mit den Wahrscheinlichkeiten, die die untersuchte sozio-materielle Konstellation mit sich brachte, in Beziehung zu setzen, sodass sich aus den erhaltenen Daten eine funktionale Beziehung ableiten ließ (siehe zur funktionalen Methode in den Sozialwissenschaften auch LUHMANN 2005 [1970]). [74]

In Anbetracht der Tatsache, dass der Apparat "Krankenhaus" eine gesellschaftliche Einbettung impliziert, können die genannten Eigenfunktionen auch hierauf bezogen werden. Es kann angenommen werden, dass in Krankenhäusern Patient*innen einer Untersuchung und Therapie unterzogen werden – was der offiziellen gesellschaftlichen Funktion dieser Institution entspricht. In der Chirurgie ist damit zu erwarten, dass Patient*innen chirurgisch untersucht oder behandelt werden, wobei in diesem Kontext invasive Diagnostik oder Therapie zu nennen sind. Diese Annahme konnte durch die empirische Untersuchung bestätigt werden. Dabei wurde ersichtlich, dass nicht jede Operation erfolgreich war und nicht jede Intervention zu einer Heilung oder einer Diagnose mit einer therapeutischen Option führte. Diese Umstände beeinträchtigten die Arbeit der Chirurg*innen jedoch in der Regel nicht. Dies legt nahe, die zentrale Eigenfunktion der Chirurgie im Operieren zu sehen, nicht in der Heilung von Patient*innen: Die durchgeführten Eingriffe führten bei einem Teil der Patientinnen und Patienten zu einer Besserung des Zustandes, während sie bei einem anderen Teil keine Wirkung zeigten oder manche sogar tödlich endeten. Weitere Eigenfunktionen, die sich aus dem Datenmaterial ableiten ließen, waren die Erwirtschaftung von Gewinn und die Einhaltung rechtlicher Vorschriften (VOGD 2004). Im Falle von justiziablen Fehlern wurde darauf geachtet, dass diese nicht dokumentiert wurden. Zudem wurde von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten bei Risiken um die schriftliche Zustimmung der Patientinnen und Patienten gebeten, die damit die Bereitschaft signalisierten, die jeweiligen Risiken auf sich zu nehmen. Die Beobachtung dieser Aktivitäten lässt den Schluss zu, dass auch rechtliche Eigenfunktionen bestanden. Zudem wurde allen Ärzt*innen von ihren Vorgesetzten oder der Controlling-Abteilung wiederholt nahegelegt, ihre Fälle in einer bestimmten Weise zu kodieren und das Entlassungsmanagement so zu gestalten, dass das Krankenhaus bei der Abrechnung der behandelten Patient*innen nicht ins Minus geriet. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass auch die Ökonomie als eine Eigenfunktion betrachtet werden muss. [75]

Nun könnte man auf den Gedanken kommen, auch andere Dinge, die in der chirurgischen Abteilung geschehen, als Eigenfunktionen von irgendeiner auf sich selbst verweisenden Relation zu sehen. Dies würde jedoch die Herangehensweise ins Beliebige und damit in die methodologisch unbefriedigende Tautologie führen: Jedes Datum ist zugleich seine Funktion. Wir möchten deshalb nochmals zur Quantentheorie und der Bedeutung des Apparates zurückkehren. Hier gilt:

"Je nachdem wie die Frage gestellt ist – also der Versuchsaufbau gewählt wird –, ergibt sich immer das gleiche Ergebnis oder (diskrete) Zufallsverteilungen, wenn sich das System nicht in einem Eigenzustand befindet. Oder um es [...] mit Heisenberg auszudrücken:

'Die Resultate zweier Experimente lassen sich nur dann exakt auseinanderhalten, wenn die beiden Experimente die physikalischen Größen in gleicher Weise in 'bekannte' und 'unbekannte' einteilen', also 'in beiden Experimenten von der gleichen Richtung 'angesehen' werden' (Heisenberg 1927, S.183). Führen demgegenüber 'zwei Experimente' zu verschiedenen 'Einteilungen in 'Bekanntes' und 'Unbekanntes', so läßt sich der Zusammenhang nur statistisch angeben.' (ders. S.184) [...] Wenn ich also ausgewählte Eigenschaften von Quantenobjekten in einer bestimmten Weise bestimme, erscheinen andere Eigenschaften ebendieser Objekte unbestimmt. Aus diesem Grunde ergeben sich ihre Eigenschaften – das, was bestimmt und was unbestimmt ist – dadurch, welche Frage ich mit dem von mir gestalteten Versuchsaufbau stelle" (VOGD 2020, S.47). [76]

HEISENBERGs Begrifflichkeiten mögen zunächst ein wenig verwirren. Doch wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Eigenfunktionen die erwartbaren Eigenzustände eines Quantensystems repräsentieren, wie es durch den Versuchsaufbau gestaltet wird, wird die Sache klar: Der quantentheoretische Formalismus lässt einerseits bei einer Versuchsanordnung erwarten, dass es einerseits distinkte Lösungen gibt, die Eigenfunktionen, die eine bestimmte Klasse von Werten spezifizieren lassen. Anderseits müssen dabei aber auch andere Aspekte unbestimmt oder "unbekannt" bleiben, wie HEISENBERG (1927, S.183) formuliert hatte. Hier bekommt man dann keine distinkten Beziehungen zwischen Werten und Funktionen, sondern statistische Streuungen in unterschiedliche Richtungen. [77]

Übertragen auf unser Beispiel lässt sich jetzt feststellen: Kommunikationen und Handlungen der Beteiligten kreisten um die Eigenfunktionen Operieren, rechtliche Absicherung und wirtschaftlicher Erfolg. Die ethnografisch erhobenen Daten verwiesen dabei jedoch zugleich auf vieles andere: Mitarbeiter*innen mochten glücklich oder unglücklich sein, müde und unkonzentriert, wach und aufmerksam, sich über die Verhältnisse beklagen oder mit ihrer Stellung zufrieden sein, in der Interaktion mit anderen über Privates reden, manchen Patient*innen mehr Zeit widmen, andere gefühllos oder ohne Empathie behandeln und vieles andere (VOGD 2004). Gleiches galt für Patient*innen und Angehörige. All dies mag auf die eine oder andere Weise das Geschehen im Krankenhaus und vielleicht auch Behandlungsprozesse beeinflusst haben (vielleicht war ein Arzt oder eine Ärztin bei einem wichtigen Gespräch nicht ganz bei der Sache). Doch es ist nicht möglich, diese Wirkungen systematisch mit Blick auf die Fragestellung im Sinne einer klar benennbaren Eigenfunktion rückzubinden, da die Merkmale der Daten zu sehr streuen, um als distinkte Lösung der durch die an das Krankenhaus gestellten Erwartungshorizonte zu gelten bzw. umgekehrt durch die Gestaltung des Apparates systematisch kontrolliert werden zu können.14) [78]

Im Hinblick auf den Transfer quantentheoretischer Konzepte stellt sich darüber hinaus gerade auch in sozialwissenschaftlichen und ethnografischen Kontexten die Frage, in welchem Maße der Apparat durch den Forschungsprozess beeinflusst wird. Denn der Apparat beinhaltet all die Aspekte eines Arrangements, die bzw. deren Veränderung das beeinflussen, was in der (beobachteten) Intraaktion möglich ist.15) Damit ist aber klar: Anders als Physiker*innen, die oftmals jahrelang mithilfe von Techniker*innen und präzisen Instrumenten Versuchsanordnungen erarbeiten, treffen sozialwissenschaftliche Feldforscher*innen in der Regel auf eine bereits elaborierte und etablierte Anordnung. In unserem Beispiel ist es eine jeweils spezifische Gesellschaft, in der auf Grundlage ihrer Möglichkeiten Krankenhäuser dieser Art existieren. Forscher*innen haben (anders als in einem Laborexperiment und wenn man von Aktionsforschung absieht) in der Regel keinen oder kaum einen Einfluss auf den Apparat. Die grundlegenden Fragen des Designs (und damit auch die Verantwortung) für das Setting (etwa: Krankenhausfinanzierung, Sozialrecht, Dokumentationspflichten, Mediziner*innenausbildung, Medizintechnik, die Stellung der Pflege, der Kontaktmöglichkeiten zwischen Ärzt*innen und Patient*innen) sind längst schon entschieden worden. [79]

4.3 Verschränkung: Cutting together-apart von Fragen und Antworten

An dieser Stelle wird eine wichtige theoretische Figur notwendig, die bislang noch nicht genauer in Hinblick auf ihre sozialwissenschaftliche Bedeutung eingeführt worden ist: die Verschränkung. Zusammengefasst entsteht mit jeder neuen Beobachtung oder kommunikativen Bestimmung eine Konstellation, in der zuvor festgelegte Aspekte unbestimmt werden. Dabei werden die beteiligten Aggregate oder Teilsysteme so miteinander verbunden, dass ihre weitere Bestimmung voneinander abhängt. In sozialwissenschaftlichen Fragestellungen taucht eine solche Figur beispielsweise auf, wenn eine aus der Distanz geführte Kommunikation in eine Interaktion unter Anwesenden übergeht. Das Andeuten per Aktennotiz, eine Person lieber nicht aufzunehmen und zu behandeln, unterscheidet sich deutlich davon, dem oder der Betroffenen direkt in die Augen zu schauen und bei einer Ablehnung deren Reaktionen mitzufühlen. Hier können sich leicht die Perspektiven verschränken, und die zuvor evtl. gehegte Absicht, es ihr oder ihm "mal richtig zu sagen", kann zugunsten der Veränderung des gemeinsamen Raums verblassen. Aufgrund der Verschränkung – dem Verlust der vorherigen Bestimmtheit – kann und sollte deshalb auch nicht mehr im trivialen Sinne von Interaktion gesprochen werden. Im "cutting together-apart", um es mit der paradoxen Begrifflichkeit von BARAD et al. auszudrücken (2012, S.19f.), entstehen vielmehr spontan aus beiden Seiten der Intraaktion neue Identitäten, die nun jedoch komplementär aufeinander bezogen zu verstehen sind. Diese müssen nicht von Dauer sein. Die Theoriefigur der quantenmechanischen Verschränkung impliziert vielmehr, dass bestehende Verschränkungen durch nachfolgende Bestimmungen in einer neuen Intraaktion aufgehoben werden können, was jedoch mit neuen Verschränkungen einhergeht. [80]

An dieser Stelle könnte man kritisch anmerken, dass bestimmte Akteur*innen (wie "Patient*innen" oder "Ärzt*innen") oder Objekte (z.B. "Krankenakten") hier vorausgesetzt werden, obwohl sie im agentiellen Realismus selbst hinsichtlich ihres ontologischen Status hinterfragt werden müssten. Auch diese Akteur*innen und Objekte entstehen erst durch Intraaktionen innerhalb eines spezifischen relationalen Gefüges. Unsere methodologische Antwort auf dieses Problem lautet: Ebenso wie Physiker*innen entscheiden müssen, wo sie den Schnitt zwischen Beobachtetem und beobachtendem Apparat setzen (der dann als klassisch behandelt wird), müssen auch Sozialforscher*innen entscheiden, was als klassische Realität betrachtet wird (also was sich als stabilisierte Verbindung zwischen Eigenwerten und Eigenfunktionen etabliert hat). Gleichzeitig muss festgelegt werden, an welcher Stelle methodologisch Raum geschaffen wird, um genauer zu untersuchen, wie im cutting-together-apart bestimmte Identitäten entstehen oder sich auflösen. Anders gesagt: Um das Wechselspiel zwischen Patient*innen, Ärzt*innen und Krankenakten sowie die damit verbundenen Subjektivierungsprozesse untersuchen zu können, bedarf es eines hinreichend fixierten Apparates (etwa eines Krankenhauses und Menschen, die wissen, unter welchen Umständen sie ein Krankenhaus aufsuchen sollten), durch den die Stabilität der damit verbundenen Rollen gewährleistet wird.16) [81]

5. Illustration anhand von Beispielen aus der Krankenhausethnografie

Wir greifen auf zwei Beispiele aus der Krankenhausethnografie zurück, um die Sinnhaftigkeit der zuvor eingeführten methodologischen Begriffe zu illustrieren:17)

"Frau Stark, eine 65-jährige Patientin, wird aufgrund einer rektalen Blutung auf die chirurgische Station eingeliefert. Vor 10 Jahren ist die Patientin im gleichen Hause aufgrund eines Darmkarzinoms operiert worden. Die Stationsärztin schaut sich die Patientenakte an und bemerkt, dass als erstes ins Auge springen würde, dass die Patientin schon einmal versucht habe, die Ärzte zu verklagen. Des Weiteren sei auffällig, dass die Patientin von zwei verschiedenen Hausärzten eingewiesen worden sei. Ein wenig später erzählt die Stationsärztin der Oberärztin von dem Fall. Zunächst berichtet sie, dass die Frau schon einmal die Schlichtungsstelle eingeschaltet hat, um dann weitere Einzelheiten zum Fallgeschehen zu erzählen. Die Oberärztin erklärt, dass man diagnostisch zunächst eine Darmausstülpung ausschließen müsse. Die Stationsärztin ergänzt, dass die Symptomatik auch durch eine Leberzirrhose hervorgerufen werden könne. Die Oberärztin erwidert, dass alles Mögliche die Ursache sein könne und dass es gemein sei, so eine Frau ins Krankenhaus abzuschieben. Die Stationsärztin fragt, ob man die Patientin koloskopieren solle. Ihre Vorgesetzte lehnt den Vorschlag ab. Es könne ja sein, dass die Frau Metastasen habe, die man hierdurch anpieke. Besser sei es, nur eine Sonografie durchzuführen und die Patientin dann auf die Innere zu verlegen" (VOGD 2004, S.389). [82]

Es wurde im Rahmen der zitierten Studie festgestellt, dass in vielen ärztlichen Kontexten eine Art Frühwarnsystem im Hinblick auf potenziell klagefreudige Patient*innen etabliert worden ist: Oftmals wurde auf der Akte deutlich sichtbar ein "R" notiert, wenn die betreffende Person eine Rechtsanwält*in war.18) Wenn Verfahren gegen Ärzt*innen bekannt waren, wurde dies ebenfalls deutlich auf der ersten Seite der Akte vermerkt. Darüber hinaus wurde in anderen Fällen beobachtet, dass man sich in der chirurgischen Abteilung normalerweise auch bei Krebspatient*innen nicht scheute, invasive diagnostische Prozeduren durchzuführen. Zunächst wurde vielleicht ein Ultraschall oder eine andere nichtinvasive Methode durchgeführt, dann aber ein OP-Termin angesetzt, um zu untersuchen, wie sich die Situation im Bauchraum darstellte. Eine schnelle Verlegung auf die internistische Station, ohne vorher abzuklären, ob die chirurgische Abteilung noch benötigt würde, erschien demgegenüber untypisch, zumal die Abteilung dann auch nicht die Gelder für die Behandlung abrechnen konnte. Salopp gesagt stellte die kurze Notiz über eine ehemalige Klage die Plausibilität gängiger medizinisch-organisatorischer Abläufe infrage. Stattdessen stand eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines künftigen potenziellen Rechtsbegehrens im Raum. Dies stand in Verbindung mit dem Befund, dass die Patientin sich wohl eine zweite Meinung bei einem anderen Hausarzt eingeholt hatte. Im Gespräch mit der Oberärztin wurde vor dem geschilderten Hintergrund das Urteil "problematische und schwierige Patient*in" schließlich nicht nur reifiziert, sondern es wurde den beiden Hausärzten zudem unterstellt, dass sie die Patientin auch unbehandelt loswerden wollten und sie stattdessen "gemeinerweise" ins Krankenhaus abgeschoben hätten. Bemerkenswerterweise führte dieses Urteil in diesem Fall jedoch nicht dazu, dass man sich jetzt besonders intensiv um die Patientin bemüht hätte, sondern man versuchte, sich nach der minimal möglichen Diagnostik ihrer zu entledigen. [83]

Die Ärztinnen verschränkten sich hier also mit der durch die Akte aufgerufenen rechtlichen Systemrationalität. Dabei war es gleichgültig, wann die zeitliche Verknüpfung stattgefunden hatte (ob vor zehn Jahren nach der Operation oder erst vor einem Jahr), in welchem kausalen, sozialen oder räumlichen Kontext dies geschehen war (in welcher Abteilung und bei welchen Ärzt*innen und ob dies aufgrund eines schweren Behandlungsfehlers gerechtfertigt gewesen wäre). Die Komplexität des Geschehens wurde ausgeblendet. Übrig blieb allein die Bestimmung als problematische, klagefreudige Patientin, und genau dies änderte das Arrangement der chirurgischen Abteilung grundlegend. Die Eigenfunktion Operation (unter der Bedingung einer einigermaßen plausiblen medizinischen Indikation) trat in den Hintergrund, eine neue Eigenfunktion, die sich als "die Patientin schnell wieder loswerden" betiteln ließe, rückte in den Vordergrund. Beide Herangehensweisen gehören, wie auch SCHUBERT (2009) aufgezeigt hat, zu den gängigen Eigenfunktionen medizinischer Einrichtungen. In unserem Beispiel wird aber sichtbar, wie eine einzige medizinfremde Bestimmung – eine kleine Notiz in der Akte – die Wahrscheinlichkeit dessen grundlegend beeinflusste, was mit der Patientin geschah. Die rechtliche Konditionierung der Medizin führte tendenziell zur Absicherung, sodass nun über jede mögliche Panne vorab aufgeklärt wurde oder im Sinne eines "defensive testing" (DeKAY & ASCH 1998, S.19) auch sehr unwahrscheinliche Konsequenzen diagnostisch ausgeschlossen wurden, auch wenn dies der Behandlung aus medizinischer Sicht eher schadete als nutzte. Zudem beeinflusste es in Bezug auf die Ärzt*innen-Patientin-Beziehung das Verhältnis von Vertrauen und Angst und damit die Form der Subjektivierung der Beteiligten. [84]

Wir möchten auf ein weiteres Beispiel aus der gleichen ethnografischen Studie zurückgreifen, um die Anwendung des methodologischen Leitbegriffs der Verschränkung weiter zu verdeutlichen.

"Ein alter Mann, der schon mehrmals aufgrund eines Rektumkarzinoms operiert wurde, liegt mit einem großen Tumorblock im Bauch in einem Zimmer einer chirurgischen Station. Der Mann wünscht dringend eine Therapie. Der Beobachter fragt die Stationsärztin, ihrerseits Fachärztin, was denn nun geschehen werde und ob der Patient, wie von ihm gewünscht, operativ eine Sonde zur künstlichen Ernährung gelegt bekäme. Die Ärztin antwortet 'Nein', das mache keinen Sinn, er werde nur noch wenige Tage leben. Und außerdem entscheide hier nicht der Patient, sondern die Ärzte, was geschehe. Eine halbe Stunde später begleitet der Beobachter die Ärztin zur Oberarztvisite. Vor dem Patientenzimmer unterhalten sich Stationsärztin und Oberärztin kurz und kommen zu dem Schluss, dass die Sonde medizinisch und therapeutisch überhaupt keinen Sinn mehr mache. Im Patientenzimmer fragt die Oberärztin: 'Sie wollten doch eigentlich eine künstliche Ernährung haben.' Der Patient schaut der Chirurgin direkt in die Augen und sagt: 'Bitte, bitte, helfen Sie mir.' Zwei Stunden später wird der Patient in den Operationssaal gefahren und bekommt die Sonde gelegt" (VOGD 2009, S.97). [85]

Mit der Ankunft des Patienten kam es unweigerlich zu einer Verschränkung zwischen ihm und der chirurgischen Abteilung. Patient*innen- und Expert*innenrollen waren zunächst klar definiert, ebenso der diagnostische und gegebenenfalls therapeutische Auftrag. Unbestimmt blieb jedoch, was konkret geschehen sollte, etwa ob und welche chirurgischen Eingriffe durchgeführt werden sollten und wer gegebenenfalls die verantwortlichen Operateur*innen sein würden. Im Laufe der Zeit erfolgten weitere Festlegungen, beispielsweise wurde die betreuende Stationsärztin bestimmt und welche weiteren Diagnostikmaßnahmen notwendig seien. Dies führte schließlich zu der Diagnose eines nicht operierbaren Tumors und der Entscheidung, keine Magensonde mehr zu legen. Als der Feldforscher hiervon Kenntnis erlangte, fragte er die betreuende Ärztin, was mit dem Patienten geschehen sollte, der doch noch operiert werden wollte. Die Ärztin, die vermutlich zuvor mental mit anderen Dingen beschäftigt war, wurde durch diese Frage als verantwortliche Ärztin definiert – und bestätigte sich durch ihre Antwort als diejenige, die aufgrund ihrer Kompetenz die Entscheidung treffen würde. Man könnte auch sagen, die Frage subjektivierte die Befragte als entscheidende Ärztin. Im cutting-together-apart entstanden spontan in der Intraaktion Positionen und Eigenwerte – hier "Ich als Entscheiderin", dort "das objektiv klassifizierte Problem", auf der einen Seite die "Antwortende", auf der anderen Seite der "Fragende" (der Feldforscher). [86]

Interessanterweise entwickelte sich während der Visite eine Kette von Intraaktionen, welche die zuvor artikulierte Position erneut infrage stellten. Zunächst besprachen sich die Fachärztin und die Oberärztin vor dem Patientenzimmer über den Fall und kamen in einem fachlichen Austausch zu dem Schluss, dass die Intervention mit der Magensonde sinnlos sei. Dies könnte, dem quantenmechanischen Formalismus folgend, als eine wiederholte Messung betrachtet werden, die die Eigenfunktionen (die Ärztinnen entscheiden, was der Fall ist) und den zu erwartenden Eigenwert (nicht operieren) nicht veränderte. [87]

Im Patientenzimmer kam es jedoch zu einer Intraaktion, durch die die Eigenfunktion des Arrangements verändert wurde. Angelehnt an LÉVINAS (1999 [1983]), der eine Phänomenologie entwarf, entsprechend derer das Subjekt erst entsteht, wenn es durch eine fremde Alterität in Verantwortung gesetzt wird,19) könnte man sagen, dass sich durch den anrufenden Blick des Patienten an die beiden Ärztinnen eine neue Verschränkung entwickelt hatte. Die vorangehende Bestimmung (nicht operieren) löste sich auf. Die Behandlungsperspektive erschien damit wieder unbestimmt. Dieser Prozess kann auch im Sinne von BARAD et al. (2012, S.19f.) als cutting-together-apart beschrieben werden. Die Frage des Patienten führte zu einem neuen Schnitt, der mit einer Verschränkung einherging – etwas zuvor Bestimmtes war nun wieder unbestimmt, die Frage der chirurgischen Anlage einer Magensonde war wieder offen. Dadurch wurde die Möglichkeit einer neuen Entscheidung eröffnet – das Legen einer Sonde. Initiiert wurde dies durch die Frage der Oberärztin: "Eigentlich wollen Sie eine Magensonde?" Obwohl der relativierende Partikel "eigentlich" darauf hinwies, dass es noch eine andere Perspektive gab – nämlich die ärztliche, bei der davon ausgegangen wurde, dass der Eingriff sinnlos sei und die beiden Ärztinnen dies bereits objektiv festgestellt hatten –, brachte dies eine hohe Wahrscheinlichkeit mit sich, dass der Patient als Subjekt aktiviert wurde und nicht mehr nur bloß als diagnostischer Körper erschien. [88]

Mit dem Anruf "Bitte helfen Sie mir" kehrte sich das Verhältnis von Subjekt und Objekt um. Jede Kommunikation kann als eine Intraaktion angesehen werden, durch die zugleich die Rollenverteilung und das Verständnis von Information und Mitteilung erst produziert werden. In diesem Fall erschien der Patient als das Subjekt, das forderte und damit festlegte, was zu tun war ("Helfen Sie mir"), während die anwesenden Ärztinnen in die komplementäre Rolle gedrängt wurden, dem Anruf Folge zu leisten. Sie schienen nun ihrer Helferinnenrolle unterworfen und verloren dabei gleichsam die Möglichkeit, sich selbst als Subjekte dieser Entwicklung entgegenzusetzen, obwohl sie wenige Minuten zuvor noch eigenständig eine abweichende Position vertreten hatten. [89]

Dass solche Entwicklungen auftreten können, ist keineswegs unwahrscheinlich, wie DÖRNER (2001) aus einer medizinphänomenologischen Perspektive heraus aufgezeigt hat. Er benannte drei Eigenfunktionen der modernen Ärzt*in-Patient*in-Beziehung: Die erste besteht darin, Ärzt*innen zum Subjekt zu machen, das die Patient*innen als Körper objektiviert und manipuliert. Die zweite Eigenfunktion besteht darin, sich als Ärzt*innen von den Patient*innen als Helfer*innen unterwerfen zu lassen, sodass deren Leiden das ärztliche Tun anleitet. Die dritte Eigenfunktion besteht in einer besonderen Form des Dialogs, der durch den rechtlichen Anspruch des shared decision making (CHARLES, GAFNI & WHELAN 1997, S.691ff.) geprägt ist und zum wechselseitigen Austausch von Argumenten und Bedürfnissen führt, um in Folge dessen einen Behandlungsvertrag abzuschließen. Im Ärzt*in-Patient*in-Verhältnis können prinzipiell alle drei Varianten aktiviert werden, oft treten sie auch jeweils oszillierend in den Vordergrund. In dem hier dokumentierten Gespräch wurden jedoch weder Argumente wechselseitig ausgetauscht, noch wurde die ärztliche Position dem Patientenwunsch entgegengesetzt. Wie lässt sich dies mithilfe der diffraktionalen Methode erschließen? [90]

Im Formalismus der Quantentheorie gedacht: Wir haben einen Apparat (eine Konstellation) mit einer veränderten Wellenfunktion, die bestimmte Anschlüsse wahrscheinlich und andere unwahrscheinlicher oder gar unmöglich macht. In unserem Beispiel hatten wir den Apparat einer chirurgischen Abteilung, der bestimmte Eigenfunktionen mit bestimmten Eigenwerten hatte. "Operieren" war fast immer eine Option, selbst wenn das Ergebnis für die Patient*innen kaum oder keinen Gewinn versprach. Sich mit Patient*innen und Angehörigen ausführlich hinsichtlich Bedeutung und Umgang eines nahenden Todes auseinanderzusetzen, stellt demgegenüber keine Eigenfunktion gängiger chirurgischer Abteilungen dar, wohl aber etwa von palliativ-medizinischen Stationen. Auch ist es auf chirurgischen Stationen nicht üblich, lange mit Patient*innen über die Behandlung zu verhandeln. Man gibt einen Aufklärungsbogen, beantwortet dazu noch Fragen und bittet um Unterschrift. [91]

Dies schließt jedoch nicht aus, dass einige der beteiligten Ärzt*innen in Hinblick auf Aufklärungsgespräche eine Haltung entwickeln konnten, die von den organisatorischen Vorgaben abwich, und dann beispielsweise – wie auf einer Palliativstation – in der Lage gewesen wären, auch Fragen wie die Angst vor dem Tod oder die Gefahr sinnloser medizinischer Eingriffe anzusprechen und sich diesbezüglich auf ein längeres Gespräch einzulassen. Doch selbst wenn einzelne Akteur*innen persönlich dazu bereit gewesen wären, war dies nicht sehr wahrscheinlich, da die Eigenfunktionen der individuellen Ärzt*innen auch in Resonanz mit den Eigenfunktionen des übergreifenden Apparates der Organisation stehen müssen. Da vorrangig im OP und in der postoperativen Nachsorge gearbeitet wurde, verlangt die Eigenfunktion demnach unter anderem, Patient*innengespräche und Visiten knapp zu halten. [92]

Die Verbindung zwischen Eigenfunktionen und Eigenwerten wird im Formalismus der Quantentheorie durch die Anwendung von Operatoren auf Wellenfunktionen hergestellt. Auf die hier vorgestellte sozialwissenschaftliche Fragestellung übertragen: Der Operator "Gespräch, Dialog, viel Reden" hätte die Wellenfunktion der chirurgischen Abteilung in einer Weise verändert, dass die Arbeitsfähigkeit im chirurgischen Leistungsbereich gefährdet gewesen wäre. Entsprechend war mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit, dass längere Gespräche zwischen Ärzt*innen und Patient*innen zustande gekommen wären, in Hinblick auf den Operator, durch den die Eigenfunktion der chirurgischen Abteilung beschrieben wurde (Operieren, Ökonomie, rechtliche Absicherung), mit einer destruktiven Interferenz zu rechnen.20) Damit lässt sich vermuten, dass im Hinblick auf die Erwartungskataloge, die die Intraaktion im Patientenzimmer prägten, nur die Eigenfunktionen "Operieren" und "dem Patienten helfen" weiterhin relevant waren. [93]

Hiermit einhergehend wäre es – wie die Analyse in Anlehnung an das Quantenradierer-Experiment zeigt (siehe Abschnitt 2.3) – zu einer Auslöschung oder dem Ausschluss zuvor bestimmter Identitäten gekommen. Die Chirurginnen mögen sich in vorangegangenen Intraaktionen im cutting-together-appart selbstbewusst als Subjekte identifiziert haben, die allein entschieden, was medizinisch sinnvoll war. Im Patientenzimmer war ihre Positionsbestimmung jedoch wieder verschwunden und nicht mehr als Stimme artikulierbar. Eine bestimmte subjektive Position und die hiermit einhergehende Entscheidungsmacht kann damit nicht mehr als intrinsische Eigenschaften von Personen (etwa von hochqualifizierten Ärzt*innen) gesehen werden. Vielmehr emergiert situativ aus der Intraaktion ein konkretes Subjekt-Objekt-Verhältnis, entsprechend dem etwas Konkretes der Fall ist – jeweils das beobachtete Datum als Eigenwert der spezifischen Verhältnisse. [94]

Die Faktizität der Messung (diese kann auch in der subjektiven Empfindung einer spezifischen Identität bestehen) verdeckt jedoch die Tatsache, dass der Möglichkeitsraum dessen, was der Fall sein kann, durch die Eigenfunktionen der gesamten Konstellation (den Apparat) aufgespannt wird. Gemäß der vom Formalismus der Quantentheorie inspirierten Methodik können diese als Überlagerung von ermöglichenden oder begrenzenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen (Erwartungswerten) beschrieben werden. Letztere konditionieren, was der Fall sein kann, was also jeweils als Subjekt (beobachtende und entscheidende Instanz) und Objekt (beobachtete oder manipulierbare Instanz) möglich ist. [95]

Dies führt zu einer Beschreibung, durch die die Relevanz subjektiver Positionen weder negiert noch in einer Weise reifiziert wird, als ob es Subjekte oder Beobachter*innen geben würde, die außerhalb der jeweiligen materialen Konstellationen stehen könnten, die sie erzeugen. Es wird möglich zu rekonstruieren, wie subjektive Positionen und die damit verbundenen Handlungen und Entscheidungen in einem psycho-physio-sozialen Gewebe in konditionierter Koproduktion an verschiedenen Stellen entstehen – und wieder verschwinden. Und es wird sichtbar, wie sich die Bedingungen ihrer jeweiligen Möglichkeiten wechselseitig beeinflussen. [96]

6. Fazit

Die Theoriefiguren der Quantentheorie – Erwartungskataloge, Eigenwerte, Eigenfunktionen – erscheinen damit zumindest in ihrer abstrakten Konzeption auf sozialwissenschaftliche Fragen übertragbar. Sobald etwas geschieht, eine Intraaktion erfolgt – und damit etwas bestimmt wird –, verändert sich der Apparat, und infolgedessen das, was ausgeschlossen oder unbestimmt bleibt, also was als Eigenfunktion im Falle einer weiteren Intraaktion möglich ist. Es verändert sich das Muster der Verschränkungen. [97]

Was dabei geschieht, folgt einer Grammatik, durch die ein Arrangement beschrieben wird, das Stellen vorsieht, an denen nicht bestimmt ist, was in einer Intraaktion geschehen kann und was als Eigenwert des Arrangements an dieser Stelle bestimmt werden kann. Allerdings bestimmt das, was an anderen Stellen festgelegt wird, ganz im Sinne der quantentheoretischen Figur des "cutting-together-apart" (BARAD et al. 2012, S.19f.), welche Möglichkeiten an dieser Stelle bestehen. [98]

Dabei scheint es zunächst, als könnten Sozialwissenschaftler*innen nur sehen, wie sich Wahrscheinlichkeiten erfüllen. In unserem Beispiel scheint es sich um die Frage von ja oder nein, Behandlung oder Nichtbehandlung zu handeln. In einer Medizin, in der nur Gesundheit – als Abwesenheit von Leid, Tod und Schmerz – gekannt wird, kann die Varianz des Menschlichen nicht erfasst werden. Die Konzentration auf das Ziel gesund zu sein und die damit verbundene Verneinung der Variabilität des Lebens führte in dem von uns angeführten Beispiel dazu, dass andere Möglichkeiten nicht wahrgenommen wurden, selbst wenn sie explizit im Raum standen. Erst die Konfrontation mit dem Feldforscher schien einen neuen Wahrscheinlichkeitsraum eröffnet zu haben. Dies forderte die Ärztin gewissermaßen dazu auf, ihre Fragestellung "Kann ich ihn noch heilen?" und die darin deutlich werdende Determination von Frage und Antwort "Nein, dann lohnt sich auch kein Zugang mehr" zu erkennen und wieder zu durchkreuzen. Der Hilferuf des Patienten wiederum durchkreuzte die hiermit einhergehende Positionierung. BARADs diffraktive Methodologie zielt genau darauf ab, dieses Durchkreuzen, das Einschieben neuer, anderer Beobachter*innenstandpunkte, die das Potenzial haben, alles in einem völlig neuen Licht erscheinen zu lassen zu analysieren. Referierend auf die quantenphysikalischen Grundlagen lassen sich mit ihr auch für die Logiken von sozialwissenschaftlichen Methoden völlig neue Standpunkte ausmachen. [99]

Für uns ist die Figur der Intraaktion hier entscheidend, denn sie bedeutet, dass individuelle Semantiken wie Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, übergeordnete Ziele und unmittelbare Verantwortlichkeiten, Moral und viele andere nicht mehr als absolut, sondern nun auch als grundlegend relational betrachtet werden müssen. Hiermit entfaltet sich zwangsläufig eine (implizite) ethische Perspektive. Denn was dabei entsteht, muss von den Beteiligten verantwortet werden, ob sie es mögen oder nicht. In den Kontakt zu treten oder eine Frage zu stellen oder einen Kontakt zu vermeiden und eine Frage nicht zu stellen, macht einen Unterschied. [100]

7. Diskussion: Verantwortung für die eingegangenen Verschränkungen übernehmen

Die vorangegangenen Überlegungen zeigten, dass es gewinnbringend sein kann, Theoriefiguren aus dem quantentheoretischen Paradigma auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen anzuwenden. Dies ermöglicht es, bei der Analyse qualitativen Datenmaterials systematisch mit dem Problem der Kontingenz umzugehen – also der Erkenntnis, dass das, was Forschende an Daten erhalten, möglich, aber nicht notwendig ist, und dass die Variationsbreite dessen, was der Fall sein kann, zwar vielfältig, jedoch nicht beliebig ist. Im Sinne von NASSEHI (2016) könnten hier also in einem radikal empirischen Sinne die "Differenz der Perspektiven systematisch auf den Begriff gebracht werden" (S.15), denn es steht jetzt "ein Instrumentarium zur Verfügung, das sich tatsächlich für die empirischen Anschlussfähigkeiten nicht aufeinander abbildbarer und nicht miteinander harmonisierbarer Perspektiven interessiert" (a.a.O.). [101]

BARADs diffraktionale Methode in der qualitativ-rekonstruktiven Forschung anzuwenden, hieße für Sozialforscher*innen im oben benannten Sinne zu rekonstruieren,

Die diffraktionale Methode kann in diesem Sinne als eine Art Hermeneutik verstanden werden, durch die es möglich wird, in "the work of tracing the entanglements" (BARAD et al. 2012, S.21) die zugrunde liegenden "patterns of constructive and deconstructive interference" (S.13) zu rekonstruieren. Das in der Forschungsbeobachtung entstandene Datenmaterial ist nicht das Ergebnis, das es nur noch zu typisieren gilt (wie beispielsweise in einer positivistisch verstandenen Inhaltsanalyse). Es ist nur der Ausgangspunkt für die Suche nach Regelmäßigkeiten, die in einer anfangslosen und nicht enden wollenden Kette von Beobachtungen (Intraaktionen) immerfort erzeugt werden und durch die die Bedingung der Möglichkeit ihrer weiteren Evolution miterschaffen wird. [103]

Wie jede Hermeneutik beruht sie auf Methodologien der komparativen Analyse. Hypothesen über Eigenfunktionen und Anschlusswahrscheinlichkeiten werden im Sinne minimaler und maximaler Kontrastierungen an jeweils veränderte Arrangements herangetragen, um hierdurch ein immer besseres Verständnis darüber zu gewinnen, wie eine Konstellation entsteht, die eine bestimmte Form von Daten entstehen lässt. Damit ist die diffraktive Methode in ihrer Herangehensweise nicht verschieden von anspruchsvollen rekonstruktiven Methodologien (siehe etwa BOHNSACK 2014). Was sie unterscheidet, ist das Interesse für das Ausgeschlossene, das, was durch die Operation der Bestimmung und Beobachtung verdeckt wird und unbestimmt bleibt – also die Sensibilität für das Problem der Kontingenz. [104]

Hiermit erklären sich auch BARADs Affinitäten zum rhizomatischen Denken von DELEUZE und GUATTARI (1992 [1980]) beispielsweise mit der zentralen Figur der Konnexionen im Rahmen ihrer Konzeption von Wissensordnungen,21) besonders aber zur Genealogie und archäologischen Methode FOUCAULTs (1981 [1969]), die ebenfalls genutzt werden kann, um den Auf- und Abbau von ontologischen und epistemologischen Ordnungen (d.h. von Beobachtungsverhältnissen) zu rekonstruieren, ohne dabei jedoch selbst unbegründet zu ontologisieren. FOUCAULTs Herangehensweise ist jedoch alles andere als trivial. Sie beruht darauf, umfangreiches Archivmaterial in neuer, kreativer Weise zusammenzubringen, um hierdurch epistemische Brüche und Kontinuitäten sichtbar zu machen, wobei dann teilweise auch generell abgelehnt wird, einer bestimmten Methodologie zu folgen (NEHER 2024). [105]

BARADs diffraktive Methode erscheint insofern strenger, als mit dem quantentheoretischen Formalismus die leitenden Theoriefiguren exakt definiert sind und damit die methodologische Reflexion erleichtert wird. Freilich muss bei all dem klar sein, dass auch die Arbeit mit der diffraktiven Methode immer schon ein umfangreiches, multiperspektivisch und idealerweise auch durch unterschiedliche methodologische Zugänge erhobenes Datenmaterial voraussetzt. Sie eignet sich deshalb in besonderer Weise dazu, umfassende Studien, die ihrerseits auf einer multiperspektivischen dichten Beschreibung und umfassenden komparativen Analysen beruhen, neu zu lesen. Denn hier liegen bereits die für die diffraktionale Hermeneutik notwendigen Vergleichshorizonte vor, um auf Beugungen des Apparates in den unterschiedlichen beobachteten Konstellationen rückschließen zu können. [106]

Das Vermächtnis von BARAD besteht daher wohl vor allem in der Eröffnung einer metamethodologischen Perspektive. Die diffraktive Methode ersetzt nicht die bestehenden methodischen Ansätze, sondern erlaubt es, diese im Sinne des BOHRschen Komplementaritätsprinzips in ein produktives Verhältnis zu setzen, um ein dynamischeres Verständnis des Gegenstandes und der in ihm angelegten Beobachtungsverhältnisse zu gewinnen. Durch sie kann von vornherein auf ontologische Festlegungen – z.B. auf Kausalannahmen – verzichtet werden, ohne auf eine systematische Methodologie verzichten zu müssen. Und es wird ein neues Licht auf poststrukturalistische und systemtheoretische Ansätze geworfen, bei denen einerseits postuliert wird, dass Gegenstände nicht unabhängig von den Beobachter*innen sind, deren Protagonist*innen sich andererseits aber aus guten Gründen von subjektphilosophischen Vorstellungen verabschieden. Durch die diffraktive Methode wird ein Zugang zum Gegenstand möglich, bei dem sowohl mit verhärteten Strukturen als auch mit dem Auftauchen subjektiver Perspektiven gerechnet werden kann und muss, ohne diese jedoch ontologisch reifizieren zu müssen. Die methodologische Unterscheidung von Eigenwerten und Eigenfunktionen erlaubt, Diskursgegenstände, Identitäten und die mit ihnen verbundene Subjektivität kontextualisiert, d.h. untrennbar von einer bestimmten Konstellation zu begreifen, ohne die Existenz subjektiver Positionen und damit verbundener Identitäten leugnen zu müssen. [107]

Nicht zuletzt werden durch die diffraktive Methode neue Forschungsfragen eröffnet. Mit der durch sie eröffneten Sensibilität für das durch den jeweiligen Apparat Ausgeschlossene rückt nicht nur das in den Blick, was in einer bestimmten Konstellation als Datum erscheint, sondern auch das, was nicht erscheinen kann. Hiermit kann sich beispielsweise ein neuer methodologischer Zugang zum (kultur)anthropologischen Thema "Tabus" (BATESON & BATESON 1993 [1987], S.103ff.) und zur Thematik des kollektiven Erinnerns und Vergessens ergeben. In manchen sozialen Konstellationen kann etwas nicht gesagt und oft nicht einmal gedacht oder erlebt werden, während dies in anderen Konstellationen leicht passieren kann. Mit Blick auf die in den vorangegangenen Abschnitten angeführten Beispiele aus der Krankenhausethnografie können solche Fragen nun systematisch angegangen werden, indem untersucht wird, wie eine bestimmte Modifikation des Apparats – homolog zum Experiment des Quanten-Radierers – das Auftauchen und Verschwinden bestimmter Formen von Subjektivität und Identität ermöglicht oder verunmöglicht. [108]

Methodologische Anschlüsse ergeben sich dabei nicht nur an die Arbeiten von FOUCAULT (1978 [1976]) zu den materialen Bedingungen von Subjektivierungsprozessen, sondern auch an die systemtheoretische Methode der Kontexturanalyse (JANSEN, FEISST & VOGD 2020; VOGD & HARTH 2019). Dabei wird im Anschluss an GÜNTHERs Theorie der Polykontexturalität (1979) eine "Leerstellengrammatik" (VOGD & FEISST 2022) als ein Arrangement beschrieben, bei nicht (zwingend) festgelegt ist, was sich als jeweils spezifisches Subjekt-Objekt-Verhältnis manifestiert. Gleichzeitig bestimmt aber das, was an einigen Stellen festgelegt ist, mit, was an einer anderen Stelle erlaubt ist. Ganz im Sinne von BARADs quantentheoretischer Figur des cutting-together-apart (2012a, S.52) gestattet die Leerstellengrammatik damit, "eine Strukturschicht" zu fassen, "in der die Differenz zwischen Subjektivität und Objektivität erst etabliert wird und deshalb dort noch nicht vorausgesetzt werden kann" (GÜNTHER 1976, S.216). Schon um die methodologische Reflexion im Hinblick auf diesbezügliche Prozesse weiter zu schärfen, erscheint die Auseinandersetzung mit den Theoriefiguren von BARAD produktiv. [109]

Gehen wir abschließend noch etwas ausführlicher auf die forschungsethische Perspektive ein, die durch BARAD (2007, S.353ff.) eröffnet wird. Diese Perspektive beruht darauf, dass Forscher*innen Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Forschungsfrage und des damit verbundenen methodologischen Ansatzes übernehmen müssen. Es geht darum, welche Formen der Subjektivität und Materialität des Gegenstandes durch diese Entscheidungen ermöglicht werden. Diese Verantwortung beruht jedoch nicht darauf, von einem normativen Standpunkt – sozusagen von außen – Kriterien für "richtig" und "gut" entwickeln zu können, sondern sie besteht umgekehrt gerade darin, drinnen zu sein,22) also im Sinne von LÉVINAS (1999 [1983], S.222ff.) durch die Verhältnisse in eine spezifische Verantwortung gestellt zu sein und dadurch auch erst im ethischen Sinne zum Subjekt zu werden. Dies führt zu einer radikalen Position im Sinne einer ethisch-epistemisch-ontologischen Totalität:

"Die Trennung der Erkenntnistheorie von der Ontologie ist ein Nachhall einer Metaphysik, die einen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Nicht-Mensch, Subjekt und Objekt, Geist und Körper, Materie und Diskurs annimmt. Die Onto-epistemo-logie – die Untersuchung von Erkenntnispraktiken innerhalb des Seins – ist wahrscheinlich eine bessere Möglichkeit über die Art von Verstehensleistungen nachzudenken, mit denen wir im Hinblick darauf zurechtkommen müssen, wie bestimmte Intraaktionen relevant sind. Oder anders gesagt, wir brauchen so etwas wie eine Ethico-onto-epistemologie – das Ernstnehmen der Verflechtung von Ethik, Erkenntnis und Sein – da jede Intraaktion wichtig ist, da die Möglichkeiten dafür, was die Welt werden mag, in der Pause ausgerufen werden, die jedem Atemzug vorangeht, bevor ein Augenblick ins Sein tritt und die Welt neu gemacht wird, weil das Werden der Welt etwas zutiefst Ethisches ist" (BARAD 2012b [2007], S.100f.). [110]

Man könnte mit HOPPE und LEMKE (2015, S.263) kritisieren, dass der "Verantwortungsbegriff" nun so "weitreichend" gefasst sei, dass die hiermit einhergehende "Ethisierung des Politischen" kaum mehr von der "Entpolitisierung" des Ethischen zu unterscheiden sei. Diese Kritik schwächt sich jedoch ab, sobald man die eigene Weltbezogenheit und die daraus resultierende In-Verantwortung-Setzung nicht mehr als ein abstraktes Geschehen begreift, sondern als eine konkrete Konstellation, nämlich als das unmittelbare Beziehungsgeflecht, in dem Forschende stehen – und hier macht es in der Tat einen ethischen Unterschied, welcher Ontologie und Epistemologie man folgt. [111]

Wenn sich beispielsweise ein Atomphysiker wie HEISENBERG (2010 [1969]) die Frage stellte, ob er im Nationalsozialismus weiterarbeiten sollte, um der Physik als Disziplin zu dienen, oder ob er besser emigrieren sollte, dann liegt seine Verantwortung mit BARAD (2015, S.107) letztlich weniger in der getroffenen Entscheidung, zu gehen oder zu bleiben. Sie liegt vielmehr in der mangelnden Bewusstheit über die eigene Fragestellung und den Standpunkt, von dem aus die Entscheidung getroffen wurde. HEISENBERG entschied zu bleiben. Folgt man den Ausführungen in seinen autobiographischen Werken (2010 [1969]), so konnte er als ein Kenner und Bewunderer PLATONs und damit auch als Idealist, der die Physik an sich unabhängig von der Anwendung der Erkenntnisse betreiben wollte, vor genau diesem ontologischen Hintergrund möglicherweise nicht anders entscheiden. Carl Friedrich VON WEIZSÄCKER meldete aus friedenspolitischen Gründen 1941 in Berlin ein Patent für eine Atombombe an (so seine spätere Begründung, vgl. SCHULZ 2010). BOHR wiederum sah sich, verunsichert durch einige Skizzen, die ihm HEISENBERG gezeigt hat,23) trotz seiner ethischen Ambivalenzen dazu veranlasst, britische und amerikanische Politiker zum Bau der Atomwaffe zu drängen (BERNSTEIN 1995). Den Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion lässt sich nicht entziehen. In Hinblick auf die Frage nach der Verantwortung können jedoch unterschiedliche ethisch-epistemisch-ontologische Positionen eingenommen werden, wie das Beispiel der drei Physiker zeigt. [112]

Das relationale Gefüge qualitativer Sozialforscher*innen erscheint zumindest auf den ersten Blick weniger dramatisch als das von Physiker*innen, die das Potenzial der Kernspaltung entdeckten.24) Wenn sie ihre Arbeit ernsthaft betreiben, begeben sie sich zunächst nur in eine Situation, die ihre bestehende ethische Position verunsichert. Denn wenn sie sich ihrem Gegenstand offen nähern, wissen sie noch nicht vorab, was der Fall ist und was gut ist, sondern lassen sich in forschender Intraaktion von ihm berühren. Dies kann dazu führen, dass sie im Sinne von LÉVINAS (1999 [1983], S.222ff.) als ethische Subjekte in Anspruch genommen werden. "Gerade hierin liegt" wie JANSEN und VOGD (2022, S.193f.) schrieben,

"dann die tiefere, bislang kaum beachtete Lesart des Wortes Wertfreiheit. Es ist keine Freiheit von Werten, sondern eine Freiheit für Werte. Die mit der eigenen forschenden Tätigkeit einhergehende Freiheit eröffnet die Möglichkeit, sich für etwas zu entscheiden, also die eigene Einbindung dafür zu nutzen, Beziehungen, d.h. Relationen in einer Weise zu gestalten, dass sie dem eigenen Existential als Wissenschaftler*in gerecht werden." [113]

Dies heißt sowohl Teil einer Beziehung zu sein, als auch Beschreibungen anzufertigen, mit denen im Sinne fungierender Ontologien suggeriert wird, dass man aus der Welt heraustreten könne und die analysierte Situation in Hinblick auf die wesentlichen Wirkbeziehungen und die damit verbundenen ethischen Konsequenzen hinreichend verstanden habe.25) Sich verstricken lassen, aber auch distanziert heraustreten, um sich einen (vermeintlich) wissenden Überblick zu verschaffen – auch diese beiden sich einander ausschließenden Pole sind damit im Sinne von BOHR (1928) als komplementär zu betrachten. Beides, sich auf eine Position festzulegen und dafür Verantwortung zu übernehmen, aber auch offen und verletzlich zu bleiben, wäre damit notwendiger Bestandteil jeder wissenschaftlichen Professionsethik, auch wenn dies verunsichern mag und nicht die moralische Sicherheit verspricht, die man sich insgeheim wünscht.26) [114]

Danksagung

Wir danken den anonymen Gutachter*innen ausdrücklich für ihre produktive Kritik und die wertvollen Hinweise. Ihre Beiträge haben uns dabei geholfen, unsere Argumentation zu schärfen und uns noch tiefer in das Denken von BARAD einzuarbeiten.

Anmerkungen

1) Um einen besseren Lesefluss zu ermöglichen, verwenden wir die teilweise die Begriffe aus der deutschen Übersetzung (BARAD 2012b [2007]), bleiben aber bei Formulierungen wie "entangled reconfigurings of spacetimemattering“ beim Englischen, da sich in der deutschen Übersetzung die vielfältigen Bedeutungsschattierungen des Originals nicht fassen lassen. <zurück>

2) Wir empfehlen zur Einführung in die Verbindung von Quantenphysik und Soziologie VOGD (2014, 2020). <zurück>

3) Begriffe wie "existieren" oder "Teilchen" werden von uns in Anführungszeichen gesetzt, da die Deutungen der Quantentheorie etwa bei HEISENBERG (1925) und BOHR (1928) deutlich machen, dass der quantentheoretische Formalismus unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten bietet. Man kann die Sachlage mehr epistemisch auffassen (es ist eben keine Erkenntnis darüber möglich, deshalb bleibt es unbestimmt) oder platonisch (die Formel verweist auf eine universelle Idee). Wie auch immer, wir können "Existentia" hier auch vom Lateinischen her als das "Hervortreten" bei einer Messung verstehen. <zurück>

4) Wir verstehen den Begriff System an dieser Stelle zunächst im klassisch physikalischen Sinne als eine abgegrenzte Menge von Elementen, die durch physikalische Gesetzmäßigkeiten beschrieben und analysiert werden können. Hier ist also nicht der Systembegriff von LUHMANN (1984) gemeint, bei dem das System als Funktion seiner selbst und seiner Umwelt gefasst wird, so dass man letztlich "Tänzer vom Tanz" (FUCHS 2001) nicht mehr unterscheiden kann. Eine zentrale Idee in der Quantentheorie ist, dass das messende System (z.B. ein Messgerät) und das gemessene System (z.B. ein Teilchen) nicht unabhängig voneinander existieren. Bei einer Messung verschmelzen beide zu einem neuen, vereinigten System, was zu einer neuen epistemologisch-ontologischen Konstellation führt. Dies führt nach BOHR (1928) zu dem Dilemma, dass einerseits weiterhin der in der klassischen Physik übliche Begriff von System als getrennter Einheit verwendet werden muss (denn sonst könnte man keine Versuche durchführen), theoretisch aber von einer Verschränkung und Nichtabtrennbarkeit ausgegangen werden muss. Auch hier bringt die Quantentheorie zwei logisch inkompatible Beschreibungen der Realität mit sich (Systeme als zugleich isolierbar und nicht trennbar), die jedoch beide bereits konzeptionell in ihrem mathematischen Formalismus angelegt sind (VON NEUMANN 1932). <zurück>

5) Die Notation ∣Ψ˃ = |A˃ + |B˃ drückt in äußerst knapper Form die Überlagerung zweier quantenmechanischer Zustände aus. Dabei ergibt sich die Wellenfunktion ∣Ψ˃ aus der linearen Kombination der Zustände |A˃ und |B˃. <zurück>

6) Quantenphysiker*innen gehen mittlerweile davon aus, dass nicht nur (menschliche) Beobachter*innen messen können, sondern auch Materie, wie hier zum bzw. ein Luftmolekül (WANG, ZOU & MANDEL) den Quantenzustand einer Superposition auflösen kann. <zurück>

7) BARAD (2007, S.132ff.) relativierte mit dem Adjektiv "agentiell" jegliche Naivität des Realismus, weil auf diese Weise die dafür notwendige Objektivitätsannahme unterlaufen wird (siehe ausführlicher zur Notwendigkeit wie auch zur Problematik, den Konstruktivismus vom Realismus abzugrenzen KARAFILLIDIS 2017). <zurück>

8) Siehe hierzu etwa den wenig überzeugenden Versuch von GEHLERT (2020), Gruppeneffekte systemischer Aufstellungen auf Quantenfelder zurückzuführen. <zurück>

9) HEISENBERG (1930) bezeichnete dies als die "Verschieblichkeit des Schnitts zwischen Beobachter und Objekt" (zit. nach VON WEIZSÄCKER 1994 [1985], S.520). <zurück>

10) LATOUR (2014 [2012], S.113) sprach hier lakonisch von einem "Problem der ''Software-Kompatibilität", um auszudrücken, dass der "Hiatus" zwischen diesen beiden komplementären Beschreibungsebenen logisch unüberbrückbar ist. <zurück>

11) Die Superposition, durch die die empirischen Verhältnisse quantenphysikalischer Prozesse korrekt beschrieben werden, beruht auf einer Linearkombination von Wahrscheinlichkeitsamplituden. Es wäre theoretisch denkbar, dass sich bei der Übertragung für die Modellierung sozialer Prozesse herausstellt, dass diese nicht in jedem Fall auf Basis einer linearen Algebra beschrieben werden können. Für die Argumentation in diesem Artikel ist dies nicht von Belang, da es hier reicht, darauf hinzuweisen, dass Anschlusswahrscheinlichkeiten von vielen Seiten positiv oder negativ beeinflusst werden. Dennoch ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Übertragung von Theoriefigurationen von einer Disziplin in die andere bei genauerer Betrachtung noch Anpassungen erfordert. <zurück>

12) Dies würde jedoch nicht prinzipiell ausschließen, dass an diesem Paradigma anschließende quantitative Forscher*innen exaktere Formulierungen von Wahrscheinlichkeitsverteilungen bei bestimmten sozialen Konstellationen feststellen und formulieren können. <zurück>

13) Hiermit ergibt sich für Sozialwissenschaftler*innen dann auch das Kriterium, ob sie rekonstruktiv arbeiten (den Eigenfunktionen des untersuchten Feldes folgen) oder die Ergebnis- und Datenproduktion subsumptionslogisch, d.h. primär an den Eigenfunktionen des von außen herangetragenen Forschungsparadigmas orientiert ist. Siehe zu den Eigenfunktionen ausführlicher Abschnitt 4.2. <zurück>

14) Salopp gesagt: Aus Sicht der Verantwortungsträger*innen in Institutionen und Organisationen bleibt nichts anderes übrig, als solche Varianzen hinzunehmen und etwa darüber hinwegzusehen, dass ihre Rollenträger*innen neben den formal vorgesehen Aufgaben auch anderes machen, auch wenn dies in unkontrollierbarer Weise die eigenen Funktionsabläufe beeinflusst. Doch genau dies stellt eben keine Eigenfunktion der Institution dar, sondern bleibt im Bereich des Unbestimmten. <zurück>

15) Hier gilt homolog zu VON NEUMANN (1932), dass die Grenzziehung der Forscher*innen, welche Aspekte noch zum Apparat gehören, beliebig sind, also allein dem Erkenntnisinteresse und der hiermit einhergehenden Selektionen geschuldet sind. Mit Blick auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen lässt sich jetzt wiederum zwischen rekonstruktiver Forschung und einer etwa durch normative Eigeninteressen geleiteten Forschung unterscheiden. Mit Blick auf das Krankenhausbeispiel können Sozialforscher*innen beispielsweise im oben genannten Sinne rekonstruieren, was die Eigenfunktionen eines bundesdeutschen Krankenhauses sind, oder es lässt sich beispielsweise untersuchen, ob die Mitarbeiter*innen glücklich sind, ob genug gegen soziale Ungleichheiten getan wird (was beides nicht zu den Eigenfunktionen des Krankenhauses gehört). <zurück>

16) Um es prägnant aus einer physikalischen Perspektive zu formulieren: Quantenphysiker*innen wissen sehr genau, dass Elektronen, Atome und Moleküle im Vakuum keine klassischen Eigenschaften mehr besitzen und dass selbst größere Moleküle bei entsprechender Versuchsanordnung durch zwei Spaltöffnungen gleichzeitig gehen können (ARNDT et al. 1999). Dennoch können sie sich in ihren Experimenten mit gutem Grund darauf verlassen, dass sich die verwendeten Materialien – wie Versuchstische, Halterungen, Messinstrumente mit Zeigern und Aufzeichnungssysteme – klassisch "verhalten", d.h., also hinreichend in ihrem Kontext verankert sind, sodass die Quanteneigenschaften in Hinblick auf das, was sie vorhaben, kaum eine Rolle spielen. <zurück>

17) Das hier vorgestellte Material stammt aus der Studie "Ärztliche Entscheidungsfindung im Spannungsfeld von System- und Zweckrationalität" (VOGD 2004, VOGD 2006), die von Januar 2000 bis Juni 2006 an der FU Berlin durchgeführt wurde (die letzten beiden Jahre gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft). Die Untersuchung basierte auf teilnehmenden Beobachtungen in vier Krankenhäusern auf vier Stationen. Das Material wurde mit der dokumentarischen Methode ausgewertet und erlaubte aufgrund der Dichte der Erhebung in besonderem Maße eine Restudie mit der diffraktiven Methode. Die vorgestellten Fälle wurden aus dem Material ausgewählt, weil sich gerade an ihnen gut zeigen lässt, wie die ärztlichen Identitäten sich je nach Beobachtungs- und Interaktionskontext veränderten. <zurück>

18) Wir verwenden die genderspezifische Form ("Patient", "Chirurgin", "Oberärztin" nur dann, wenn diese Personen im Feld als Mann und Frau gelesen und bezeichnet wurden. Wenn das Geschlecht unbestimmt blieb, verwenden wir die genderneutrale Form ("Ärz*tin", "Patient*in"). <zurück>

19) Aus diesem Grunde war LÉVINAS (1999 [1983]) für BARAD zentral, um aus dem agentiellen Realismus eine ethische Haltung entwickeln zu können: "For Emmanuel Levinas, responsibility is not a relation between two subjects; rather the otherness of the Other is given in responsibility. [...] Ethics grounds human experience (not the other way around). Levinas rejects the metaphysics of the self that serves as a foundation for conventional approaches to ethics. Subjectivity is not a matter of individuality but a relation of responsibility to the other" (2007, S.391). <zurück>

20) Persönliche Idiosynkrasien der Chirurginnen, welche dann auch die Handlungen oder Entscheidungen formatierten, waren zwar weiterhin prinzipiell möglich. Es war aber zu erwarten, dass die hiermit einhergehenden Abweichungen auf weitere Intraaktionen treffen würden, welche die Varianzen mit der Zeit wieder dämpften. Zur Illustration: Es wurde beobachtet, dass Assistenzärzt*innen von erfahreneren Kolleg*innen darauf hingewiesen wurden, bei den Visiten nicht zu lange mit den Patient*innen zu reden (VOGD 2004, S.212). <zurück>

21) Auch DELEUZE und GUATTARI (1992 [1980], S.549) kritisierten eine Form der Wissenschaft, in der stets eine vollständige Einheit des Wissens angestrebt wird. Die Ausrichtung, Forschungsräume in allen Aspekten besetzen zu wollen, bezeichneten sie als "Königswissenschaften" (S.504). In diesen werde versucht, durch extensive Bewegungen Forschungsfelder in zählbare, vektorielle oder topologische Räume zu verwandeln. Im Gegensatz dazu entwarfen sie eine Wissenschaft, die "nomadologisch" (S.505) ist, indem man sich im Forschungsraum bewegt, ihn bewohnt und die Mannigfaltigkeit entlanggeht, ohne ihn jedoch in allen Punkten zu affizieren. Hier stehen die Universalität des Singulären, das Werden, die Verwandlung und Heterogenität im Mittelpunkt. So weit würde BARAD nicht gehen, sondern vielmehr vermeiden, sich auch hier innerhalb dieser Konzepte ontologisch festzulegen. <zurück>

22) HESSE drückte in seinem "Glasperlenspiel" (2021 [1943]) die unterschiedlichen epistemologisch-ethischen Haltungen anhand der inneren Wandlung des Protagonisten Josef Knecht aus. Irgendwann muss dieser seine detachierte Haltung zu Welt verlassen, um ins Leben hineinzuspringen, freilich mit der Konsequenz, dass die ethische Verantwortung, die er nun in der Praxis übernimmt, sein eigenes Leben bedrohen wird. <zurück>

23) So nach den Erinnerungen seines Sohnes Aage Niels BOHR (ROZENTAL 1967 [1964], S.191) und im Hinblick auf die Aufarbeitung der Biografie BOHRs durch PAIS (1991). <zurück>

24) Beim zweiten Blick erscheint die Verantwortung von Sozialwissenschaftler*innen keineswegs geringer auszufallen, wenn man mit PIRKTINA (2019, S.472) bedenkt, mit welcher Leichtfertigkeit sie manchmal dazu neigen, eine "ontische [...] Situation zu behaupten", was "bedeutet, eine gewaltige und gefährliche Ontologie zu schaffen. Philosophisch bedeutet eine solche Behauptung den Rückfall in die Metaphysik, aber im Allgemeinen bedeutet sie das Konstruieren einer Ideologie." <zurück>

25) Genau in diesem Sinne hat auch TAGUCHI (2013) mit ihrer Studie aufgezeigt, dass die Subjektivität der Forschenden und die hiermit einhergehenden ontologischen Festlegungen selbst dann nicht verschwinden, wenn die Beteiligten in einen diffraktiven Dialog verwickelt werden. In einer bestimmten Intraaktion als Wissenschaftler*in enaktiert zu werden, geht unweigerlich mit der Einnahme von bestimmten fungierenden Ontologien einher, selbst wenn man dies nicht möchte. <zurück>

26) Um es mit BARAD zu formulieren: "And likewise, yes, scandalous as it may be to some, agential realism could ultimately prove to be wrong, or at least not sufficiently responsive to various 'human' and 'nonhuman' intra-active engagements that matter. That vulnerability to my mind, is a real strength of any theory ('scientific' or otherwise), not a failing" (2011, S.446). <zurück>

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Zum Autor und zur Autorin

Werner VOGD ist Professor für Soziologie an der Universität Witten/Herdecke. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen qualitative Methoden, Systemtheorie, Religions-, Organisations- und Medizinsoziologie.

Kontakt:

Prof. Dr. Werner Vogd

Universität Witten/Herdecke
Lehrstuhl für Soziologie
Alfred-Herrhausen-Straße 50
58558 Witten

E-Mail: werner.vogd@uni-wh.de
URL: http://www.werner-vogd.de

 

Kathleen NEHER ist Geschäftsführerin des Zentrums für Forschung, Weiterbildung und Beratung an der Evangelischen Hochschule Dresden. Sie hat an der Universität Witten/Herdecke promoviert zu dem Thema: "Ontologische Ordnungswechsel mit Michel Foucault: Vorschlag einer polykontexturalen Lesart der Diskurstheorie".

Kontakt:

Dr. Kathleen Neher

Evangelische Hochschule Dresden
Lehrstuhl für Soziologie
Dürerstraße 25
Postfach 20 01 43
01191 Dresden

E-Mail: Kathleen.Neher@ehs-dresden.de

Zitation

Vogd, Werner & Neher, Kathleen (2025). Von der Quantenphysik zur sozialwissenschaftlichen Forschung: Versuch einer systematischen Annäherung an Karen BARADs diffraktive Methodologie [114 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 26(1), Art. 10, https://doi.org/10.17169/fqs-26.1.4237.

Revised: February 2025

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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