Volume 6, No. 2, Art. 13 – Mai 2005
Die Konstruktion der Beliebigkeit
Barbara Zielke
Kommentar zu Social Constructionism as Cultism, Carl Ratner, Dezember 2004
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Verzerrung des konstruktionistischen Dialogbegriffs
3. Beschuldigungen ohne Evidenz
4. Die Umdeutung von Wahrheitskritik in "anything-goes"
5. Das vereinfachende und problematische Verständnis kultureller Differenz
Nach der Lektüre von Carl RATNERs Kommentar zu Kenneth GERGENs Konstruktionismus hatte ich den Eindruck, dass gewisse Punkte nach einer Stellungnahme verlangen. Ich halte den Sozialen Konstruktionismus für eine innovative, kritische Bewegung in der Psychologie, deren Erstarken bereits dazu geführt hat und hoffentlich auch weiterhin und in verstärktem Maße dazu führen wird, dass die Psychologie sich als kulturelle und soziale Wissenschaft versteht. Eine konstruktionistische Sichtweise legt darüber hinaus die kritische Reflexion der Forschungspraxis des wissenschaftlich-psychologischen Mainstreams nahe und weist auf die historische und kulturelle Kontingenz als gesichert geltender Befunde hin. Aus diesen und noch einigen weiteren Gründen meine ich, dass die Psychologie von solchen "Bewegungen", ihren kritischen Impulsen, aber auch von kontroversen Diskussionen über ihren "Wert" profitieren kann. Soweit ich sehe, teilen bestimmte reflexive, heute einflussreiche Ausrichtungen der heterogenen Kulturpsychologie zentrale Anliegen mit der konstruktionistischen Orientierung: Die Kritik der individualistischen oder individuozentrischen Perspektive, das Widerstreben gegenüber naiven ethnozentrischen Universalismen (die durch eine am Ideal der Naturwissenschaften ausgerichtete Wissenschaftsauffassung gestützt werden), das Verständnis psychischer Funktionen als von kulturellen Bedeutungen durchdrungen, die sich daraus ergebende Verpflichtung der Forschenden zu einer selbstreflexiven Haltung – und vieles mehr. Daher meine ich, dass es triftige Gründe für eine vertiefte und konstruktive Auseinandersetzung zwischen Kulturpsychologie und konstruktionistischen Psychologien gibt, und ich war überrascht, RATNERs scharfen und so "radikal" abweisenden Kommentar zu lesen, der m.E. die Position der Beliebigkeit, die er am Sozialen Konstruktionismus kritisiert, selbst konstruiert. Im Folgenden möchte ich vier Punkte anführen, von denen ich glaube, dass sie RATNERs Kritik in Zweifel ziehen und zu weitere Diskussionen anregen können. [1]
2. Die Verzerrung des konstruktionistischen Dialogbegriffs
RATNER beginnt seine Kritik mit einer Beschreibung dessen, was er für die konstruktionistische Auffassung von Wissen und/oder Erkenntnis hält. Die Annahme, dass "any group of people reflects its own needs and interests" und dass diese Konstruktionen dann keinerlei "information about the world, per se" enthielten, da ja die "Welt" in unserem Wissen nicht abgebildet sei ("since the world cannot be known", Absatz 2), darf man den meisten konstruktionistisch orientierten Psychologen wohl tatsächlich zuschreiben. Nicht so die Schlussfolgerung, die RATNER daraus ableitet: "Consequently", fährt er fort, hat es keinen Wert und erscheint es nicht sinnvoll, "to take an interest into the perspective of others", bzw. die Auffassung anderer sogar zu übernehmen (a.a.O.). Es lässt sich leicht zeigen, was gegen diese "Schlussfolgerung" einzuwenden ist. [2]
Das Argument ist oberflächlich. Die Tatsache, dass Menschen die Motivation fehle (lack of "impetus"), sich in den Dialog mit anderen zu begeben oder sich für die Perspektiven anderer zu interessieren, ist für RATNER die "Konsequenz" der Einsicht, dass alle "Perspektiven" immer relativ zur Sprache einer Kultur sind. Das klingt fast, als sei der Anstoß, andere überzeugen zu wollen oder zu versuchen, deren Sichtweise zu verstehen, an die Annahme eines kulturfreien tertium comparationis gebunden (denn das meint RATNER wohl, wenn er von "the world as it can be 'known'", Absatz 2 oder auch von "empirical evidence" spricht, Absatz 6). Hier sollte RATNER darauf achten, seine Position von der des naiven Realismus zu unterscheiden. [3]
In Sprachspielen gebildetes kulturelles Wissen ist nicht dasselbe wie "subjektive", "idiosynkratische" Glaubenssätze. RATNER spricht recht selbstverständlich von "subjective beliefs", "idiosyncratic ideas" and "the group's view", als ob es sich dabei um monolithische, stabile Gegenstände handle, um dann zu kritisieren, dass diese nicht an "outsiders" weiter kommuniziert würden (Absatz 2). Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass RATNER die konstruktionistische Auffassung davon missversteht, wie kulturelles Wissen oder kulturelle Bedeutungen, wie also auch die unterschiedlichen "Perspektiven" oder "Sichtweisen", von denen er hier spricht, überhaupt entstehen. So impliziert etwa seine Rede von "subjektiven Glaubenssätzen", die an Fremde weitergegeben werden, eine radikale Trennung der "Wissenden" von dem, was sie "wissen". Dagegen ist "Perspektivität" oder "kulturelles Wissen" im Sinne einer konstruktionistischen Bedeutungstheorie an die Teilnahme an einer kulturellen Praxis gebunden und durch diese konstituiert. Es stellt sich also weniger die Frage, ob man sich "entscheidet", dieses Wissen über kulturelle Grenzen hinweg "weiterzugeben" oder aber nicht. Es verhält sich eher umgekehrt: Die Grenzen der Kommunizierbarkeit von Bedeutung machen die Grenzen zwischen Sprachspielen oder "Kulturen" erst sichtbar und dadurch werden manche Menschen für andere zu "Fremden" ("outsiders"). [4]
Konstruktionistische Autorinnen und Autoren haben die Notwendigkeit seit Langem erkannt, Gründe für die Motivation zum Dialog anzugeben, die nicht in der Suche nach einer gemeinsamen "Wahrheit" oder "Perspektive" münden. In vielen konstruktionistischen Arbeiten wird unter erheblichem theoretischen Aufwand erklärt, welche Gründe es für die Auseinandersetzung mit den "Interessen anderer" geben kann, ohne die "richtige" (adäquateste, überzeugendste) Perspektive zu suchen. Dem Dialog, der Polyphonie, der Pluralität von Perspektiven wird großer Wert zugemessen. Darüber hinaus existieren konstruktionistische Theorien, die zeigen, wie – in einem fundamentalen Sinn – Bedeutung grundsätzlich nur im Dialog entstehen kann, und dass die Bedeutung der eigenen Handlungen auf Anschlusshandlungen und Perspektiven anderer angewiesen ist (SHOTTER 1994, 2003; GERGEN 1994, 1999). Der Dialog mit dem anderen, das Interesse für die Perspektiven anderer und auch die Auseinandersetzung um die pragmatischen Folgen der einen oder anderen Perspektive – all dies behält im Konstruktionismus selbstverständlich Gewicht. Nur Folgendes wäre im Sinne der konstruktionistischen Metatheorie tatsächlich auszuschließen: Die Bindung der Möglichkeit, einen Dialog zu führen, an die Suche nach der "Wahrheit" oder einer anderen von allen Beteiligten "geteilten Perspektive". [5]
Ich stimme allerdings zu, dass der konstruktionistische Dialogbegriff zu schwach, zu optimistisch oder normativ ist. Die zentralen Fragen, wie radikal fremde Kulturen in Dialog treten können, wie die "Polyphonie" unterschiedlicher, vielleicht inkommensurabler Stimmen oder Perspektiven tatsächlich einen Dialog (und nicht nur "kakophonisches" Stimmengewirr) zustande bringen kann, und wie denn der konstruktionistische Dialogbegriff (Dialog ohne gegenseitige Anerkennung?) dann genau aussieht – all diese Fragen hat auch der Konstruktionismus meiner Ansicht nach bislang unbeantwortet gelassen bzw. vielleicht gar nicht gestellt. (Für ihre Beantwortung wird man allerdings nicht auf ein naives Konzept von "Wahrheit" oder "Realität" zurückgreifen können, s. auch unter 3.). [6]
3. Beschuldigungen ohne Evidenz
Der zweite maßgebliche Grund für RATNER, den Konstruktionismus als "Kultismus" zu kritisieren, wird der Leserschaft in einem Bündel von Beschuldigungen präsentiert: Der Konstruktionismus "weise Kritik zurück", und dies sei nicht nur "eine Form von Intoleranz", sondern auch "totalitär" (Absatz 5) und biete überdies eine "license for demagougery, dogmatism and mindlessness" (Absatz 6). Erstens: Mich stört der aggressive Tonfall dieser Zeilen. Zweitens: Es ist doch fraglich, ob die Abwesenheit übergreifender moralischer Prinzipien tatsächlich mehr (Lizenz für) Dogmatismen bietet, als deren Etablierung. Drittens: Dies ist der Aspekt von RATNERs Argumentation, wo seine Verzerrung konstruktionistischen Denkens besonders deutlich wird (da z.B. dogmatische oder totalitäre Behauptungen stets im Zentrum der konstruktionistischen Kritik stehen). Viertens: Viele konstruktionistische Autoren haben sich bemüht, kritische Fragen bezüglich ihres eigenen Standpunktes aufzunehmen und zu diskutieren (so etwa GERGEN 1999, 2001a, 2002 und BURR 2003). Zudem existieren mehrere Buchpublikationen, in denen kontroverse "interne Debatten" innerhalb der konstruktionistischen Psychologie offen verhandelt werden (so etwa in PARKER 1998, NIGHTINGALE & CROMBY 1999 und in den beiden Themenheften der Zeitschrift "Theory & Psychology" 11[3] und 12[5]). Dieser Stil der Selbstpräsentation als selbstreflexive und auch selbstkritische wissenschaftliche Bewegung passt kaum zum Bild eines dogmatischen, hermetischen "Kults", welches RATNER hier zeichnet. [7]
4. Die Umdeutung von Wahrheitskritik in "anything-goes"
Ein vierter inhaltlicher Aspekt von RATNERs Angriff gegen den Konstruktionismus befasst sich schließlich mit einem Problem, das innerhalb und außerhalb des Konstruktionismus seit Längerem und durchaus kontrovers diskutiert wird: Die wahrheitskritische, kontextualistische Auffassung von Wissen und Erkenntnis verpflichtet – in gewisser Hinsicht – zum epistemischen und moralischen Relativismus. (RATNER unterscheidet nicht ganz trennscharf zwischen diesen beiden Formen des Relativismus, er kritisiert oft den epistemischen Relativismus anhand von Beispielen oder Schlussfolgerungen, die auf moralische Fragen, mithin auf Probleme des moralischen Relativismus hinweisen, so etwa den "Holocaust"; vgl. Absatz 6.) Es gibt aber in jedem Fall mehr zu diesen Fragen zu sagen, als sein kritischer Kommentar impliziert. [8]
Das Problem des moralischen Relativismus ist nicht zu leugnen. In der Tat gehen auch konstruktionistische Argumente häufig von moralischen Institutionen oder normativen Standards aus, ob sie nun implizit voraussetzen, dass es "gut" und "richtig" sei, in Dialog zu treten und so viele Perspektiven wie möglich zu reflektieren, oder ob sie explizit vertreten dass es "falsch" oder moralisch bedenklich sei, Identitäten zu unterdrücken oder zu fixieren (vgl. z.B. GERGEN 1999, 2001b). Hier wäre die Forderung also durchaus legitim und angebracht, dass der Konstruktionismus die moralischen Prämissen der von ihm vertretenen pragmatischen oder dialogischen Ideale in Bezug auf die relativistische Metatheorie (derzufolge auch das, was wir für gut oder schlecht, richtig oder falsch halten, bare Konstruktion und historisch kontingent ist) diskutiert und erläutert. Allerdings verliert das "Relativismusproblem" in RATNERs Definition seine Schärfe. Meiner Ansicht nach zieht RATNER aus dem epistemischen Relativismus falsche Schlüsse für die konstruktionistische Praxis des Theoretisierens und Forschens. RATNER schließt aus der Kritik "absoluter" Wahrheiten nicht nur, dass diese Auffassung automatisch zur "Zurückweisung" anderer Sichtweisen führen müsse (Absatz 5). Er schließt weiter, dass das konstruktionistische Zugeständnis, demzufolge "Wahrheiten" immer auf kulturellen Übereinkünften beruhen – wie beständig und persistent diese auch sein mögen – dazu zwingt, die Möglichkeit der kritischen Hinterfragung dieser kulturellen Übereinkünfte zu leugnen (Absatz 4). Das muss aber nicht der Fall sein. Wenn in einer Sprachgemeinschaft eine bestimmte Auffassung als intelligibel gilt, so ist der Inhalt dieser Auffassung – wie fundamental er auch sein mag – tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als eine lokale Übereinkunft, nur als solche ist der den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft zugänglich. Aber auch wenn man diese epistemologische Position vertritt, gibt es Gründe und Wege, eine solche "lokale" Übereinkunft zu kritisieren, ohne auf "objektive Evidenz", absolute "Wahrheit" oder universelle "Moralstandards" zurückzugreifen: Man kann jeden Standpunkt vom "eigenen" Standpunkt aus kritisieren und dabei auf die situativen, pragmatischen Konsequenzen einer Äußerung oder Handlung hinweisen; darüber wurde auf einer Meta-Perspektive versucht, prozedurale Kriterien für einen produktiven Dialog festzuhalten; so etwa in HABERMAS' Diskursethik. (So weit mir bekannt ist, würde GERGEN einer solchen formalen Meta-Perspektive respektvoll widersprechen, da sie auf Rationalitätszuschreibungen zurückgreift – solange jedoch seine Meta-Perspektive auf das nicht weiter definierte Kriterium "Viabilität" beschränkt bleibt, bin ich auch mit ihm nicht einig.) Aber wie man sich auch entscheidet – es ist durchaus möglich, eine bestimmte Vorstellung von Wahrheit oder eine bestimmte moralische Haltung in einer konkreten Situation zu verteidigen und zugleich moralische Normen oder Wahrheiten prinzipiell als relationale, prozedurale und kontingente Konstruktionen zu verstehen. Bereits in diesem Sinne trifft RATNERs Argument den Konstruktionismus nicht. [9]
Das "Relativismus-Dilemma" wurde von konstruktionistischen Autorinnen vielfach kritisch diskutiert und es führt nicht zu einer "anything-goes"-Attitüde. Eine allgemein kritische Einstellung, ein genuines Interesse für gesellschaftliche Fragen, insbesondere die Kritik ungleicher Machtverhältnisse und last but not least gerade die Einsicht in den konstruierten Charakter von Wissen und Erkenntnis haben den Konstruktionismus schon immer zu einer kritischen Bewegung gemacht (und der kritische Gestus ist bis heute deutlich in Fragestellung und Zielrichtung konstruktionistischer Theoriebildung und Forschung präsent). Auch wenn zwischen dem Bestreben, Unterdrückung oder Machtungleichgewicht zu bekämpfen und der relativistischen Metatheorie des Konstruktionismus nach wie vor ein problematisches Verhältnis bestehen mag – so ist der Effekt dieses "Dilemmas" alles andere als eine Lizenz zur Beliebigkeit, die RATNER dem Konstruktionismus immer wieder zuschreibt, z.B. durch die stereotype Wiederholung des Satzes "that's fine, as a local truth" (Absatz 6). Nein, die Auswirkungen der relativistischen Einstellung auf die konstruktionistische Praxis ist eher damit charakterisiert, dass – was auch immer zur Disposition stehen mag: Völkermord, Erziehungspraktiken oder Terrorismus – konstruktionistisch argumentierende Psychologinnen und Psychologen dazu verpflichtet sind, die pragmatischen Bedingungen und Umstände zu analysieren, die den Kontext jeder interessierenden Äußerung oder Praxis bilden. Sie wird immer dazu tendieren, nachzufragen: "Was gewinnt oder verliert der Akteur oder die Sprecherin durch eine Äußerung/Handlung? Wer wird vielleicht sein Gesicht verlieren, wenn er dies oder jenes ausspricht; welche Praxis wird damit unterstützt? Und so weiter. Und das ist gerade das Gegenteil der "disinterested" oder schlicht "beliebigen" Haltung, die RATNER dem Konstruktionismus vorhält. [10]
Es existieren auch innerhalb der konstruktionistischen Psychologie unterschiedliche Auffassungen darüber, wie dieses Problem zu lösen ist. Einige kritisch orientierte Autoren haben es vorgezogen, "nicht-relativistische", kritische Varianten des Konstruktionismus zu postulieren und dafür Etiketten wie "Foucauldian studies" oder "critical discourse analysis" geprägt (vgl. etwa PARKER 1998; WILLIG 1999; vgl. auch das Interview mit PARKER in FQS 5[3], 2004, Absätze 19 und 20). Andere, wie z.B. GERGEN, weisen auf die Möglichkeit hin, dass man ein Relativist auf der Metaebene, aber dennoch Vertreter einer kritischen und damit auch im philosophischen Sinne "realistischen" Position auf der Ebene des praktischen Theoretisierens und Forschens sein kann (Letzteres lässt sich übrigens auch in GERGENs Interviewtext nachlesen, z.B. Absatz 20). Die Argumente einer lebendigen und kontroversen "Debatte" sollte RATNER für seine Generalanschuldigung nicht einfach ignorieren. [11]
5. Das vereinfachende und problematische Verständnis kultureller Differenz
Ich wäre nicht so erstaunt gewesen, RATNERs "radikale", wenn auch nicht wirklich treffende Kritik zu lesen, wenn der Verfasser nicht als Kulturpsychologe bekannt wäre. So aber möchte man doch gerne von ihm erfahren, welchen Reim er sich auf die zahlreichen kulturellen Praktiken in Rechnung macht, die wir aus der Perspektive der "westlichen" Normen und Standards kaum verstehen oder akzeptieren können – seien es extreme religiöse Praktiken oder patriarchale Familienstrukturen, seien es extreme gesellschaftliche Hierarchien, wie etwa das Kastensystem oder kulturelle Praktiken, die "Frauenrechte" einschränken, seien es autoritäre Erziehungsstile oder Ähnliches. Können wir in solchen oder vergleichbaren Fällen das Inkommensurabilitätsproblem einfach leugnen, indem wir die "(Auf-) Lösung von Differenz" ["resolving difference"] propagieren (was immer das heißen mag) und einfach angeben, die anderen "hätten Unrecht" oder schlicht auf einen allgemeinen "Wahrheitswert" hinweisen, so wie RATNER es von GERGEN fordert (alle Absatz 7)? Ich meine auch, dass das Konzept einer vermeintlich normfreien "Viabilität", welches GERGEN im Interview stark macht, nicht allzu aussagekräftig ist, aber vielleicht kann es ein Hinweis darauf sein, dass es manchmal dort die Möglichkeit einer geteilten Praxis gibt, wo die Etablierung einer expliziten, auf Konsens aller Beteiligten drängenden "Lösung" nichts anderes bedeuten würde als erneut eine hegemoniale Perspektive einzurichten. Nochmals: Nur "gemeinsame Viabilität" reicht als Perspektive für den Umgang mit kultureller Differenz sicher nicht aus. Aber ich halte es für noch bedenklicher, wenn wir – wie RATNER vorzuschlagen scheint – ethnische oder kulturelle Konflikte angehen, indem wir denen, die in kulturell differenten oder konfligierenden Welten leben, "echte Harmonie" und eine (unsere) "Lösung" ("resolution") verschreiben (Absatz 9). [12]
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Barbara ZIELKE lehrt Psychologie an der Universität Erlangen. Zu ihren aktuellen Arbeitsgebieten zählen Wissenspsychologie, Kulturpsychologie, Sozialer Konstruktionismus, qualitative Methodologie und Methodik, Diskursanalyse und Interkulturelle Kommunikation. Aktuelle Buchpublikationen sind: "Kognition und soziale Praxis. Der Soziale Konstruktionismus und die Perspektiven einer postkognitivistischen Psychologie", Bielefeld, 2004, "Sozialer Konstruktionismus", Göttingen, 2005; "The pursuit of meaning. Theoretical and methodological advances in cultural and cross-cultural psychology" (Herausgeberin, zusammen mit Jürgen STRAUB, Carlos KÖLBL, Doris WEIDEMANN), Bielefeld, 2005.
Kontakt:
Dr. Barbara Zielke
Universität Erlangen
Institut für Psychologie
Kochstr. 4
D-91054 Erlangen
E-Mail: bazielke@phil.uni-erlangen.de
Zielke, Barbara (2005). Die Konstruktion der Beliebigkeit. Kommentar zu: "Social Constructionism as Cultism," Carl Ratner, Dezember 2004 [12 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 6(2), Art. 13, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0502131.
Revised 3/2007