Volume 6, No. 2, Art. 1 – Mai 2005
Rezension:
Mike Steffen Schäfer
Heinz Bonfadelli (2002). Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Konstanz: UVK / UTB, 212 Seiten, ISBN 3-8252-2354-X, EUR 14,90
Zusammenfassung: Der Band versteht sich als Einführung in die Medieninhaltsforschung – eine Gemengelage unterschiedlicher Forschungstraditionen, die lediglich verbindet, dass sie einen bestimmten Datentypus bearbeiten: Medieninhalte. Ziel ist die Präsentation unterschiedlicher Methoden und Methodologien, Theorien und Anwendungsfelder dieser Forschungen. Dabei hat der Band den Charakter eines Nachschlagewerkes: Unterschiedliche Ansätze werden nebeneinander gestellt und einführend beschrieben, wobei die Schilderungen empirischer Arbeit dominieren, während v.a. die Darstellung basaler Theorien etwas kurz kommt. Auch Querverbindungen zwischen unterschiedlichen Ansätzen werden nur selten präsentiert. Insgesamt eignet sich der Band v.a. für Leser mit wenig Basiswissen – als Sprungbrett zu den jeweils relevanten Quellentexten und -ansätzen.
Keywords: Medien, Kommunikation, Inhaltsanalyse, Diskursanalyse
Inhaltsverzeichnis
1. Forschung zu Medieninhalten: Gegenstand und Anliegen
2. Systematik des Bandes
3. Lehrwert des Bandes
4. Zusammenfassung
1. Forschung zu Medieninhalten: Gegenstand und Anliegen
BONFADELLIs Gegenstand ist ein origineller: Nach seiner Einführung in die Medienwirkungsforschung (BONFADELLI 1999, 2000; vgl. dazu auch SEIFFARTH 2002) widmet sich der Züricher Kommunikationswissenschaftler nun der Medieninhaltsforschung. Mit diesem Buch, dem ein Vorlesungsskript zugrunde liegt, verschiebt sich der Fokus also von den Wirkungen der Medien auf Rezipienten auf das Medienangebot selbst. [1]
Einleitend weist BONFADELLI eine klare Textintention aus: Er wolle eine "breit angelegte Einführung sowohl in die quantifizierenden als auch in die qualitativen Instrumente zur Analyse von Medieninhalten" bieten, inkl. der zugrunde liegenden theoretischen Perspektiven (S.9f., Herv. im Orig.). Dass er mit diesem Anliegen Neuland betritt und sein Buch das erste Einführungsbuch seiner Art ist, überrascht nicht – handelt es sich bei der hier thematisierten "Medieninhaltsforschung" doch um eine Gemengelage von Forschungstraditionen, die sich selbst nicht als einheitlich verstehen und keine klaren institutionellen, disziplinären, theoretischen oder methodischen Grenzen aufweisen. Die Forschungen zu Medieninhalten, die BONFADELLI präsentiert, stammen folgerichtig aus unterschiedlichen Disziplinen und werden auf sehr unterschiedlichen Ebenen präsentiert: Aus der Kommunikationswissenschaft präsentiert er die Methode der Inhaltsanalyse (Kapitel 3, S.79ff.), Studien zu Medien- oder journalistischer Qualität (Kapitel 4, S.109ff.) sowie die Evaluation der Resonanz von Public Relations (Kapitel 7, S.179ff.). Eher aus der Linguistik und der Soziologie stammen die geschilderten Forschungen zu Mediendiskursen und Medienframes bzw. -framings (Kapitel 5, S.133ff.). Zudem wird die Semiotik in einem eigenen Kapitel vorgestellt (Kapitel 6; S.161ff.). [2]
Teile dieser breiten inhaltlichen Palette werden zwar bereits in Einführungsbüchern in die Diskursanalyse (z.B. KELLER, HIRSELAND, SCHNEIDER & VIEHÖVER 2001; VAN DIJK 1997) oder auch in kommunikationswissenschaftlichen Büchern zur Inhaltsanalyse (z.B. FRÜH 1998; MERTEN 1995) behandelt, dort aber je nach Gegenstand in anderer Weise synthetisiert oder verglichen. Daher ist auch BONFADELLIs Anliegen grundsätzlich zu begrüßen: die Zusammenschau verschiedener theoretischer und empirischer Zugriffe auf Medieninhalte als einen zwar spezifischen, aber aufgrund seiner Verbreitung und seiner Wirkmacht hochrelevanten Datentypus. [3]
Mit dem Anliegen einer solchen Zusammenschau handelt sich BONFADELLI jedoch unweigerlich systematische und begriffliche Schwierigkeiten ein, da hinter "Medien", "Inhalten" und "Forschung" sehr heterogene disziplinäre Konzepte lagern. BONFADELLI versucht, gegenzusteuern und im ersten Kapitel (S.11ff.) die verwendeten Begrifflichkeiten zu klären: Er schildert unterschiedliche (technische, zeichentheoretische, sozial-institutionelle) Medienbegriffe (S.11f.) und -typologien (S.18ff.) sowie verschiedene "Inhalts"-Begriffe wie Bedeutung, Text, Botschaft usw. (S.12f.). Es gelingt ihm hier jedoch nicht, über eine Typologie hinaus eine Integration der Begriffe anzubieten. [4]
Dementsprechend unterbleibt auch die im Text angekündigte (S.11) Herleitung einer Definition von Medieninhaltsforschung. Statt dessen postuliert BONFADELLI an anderer Stelle, Anliegen der Medieninhaltsforschung sei die Beschreibung und Erklärung von Medieninhalten (S.14). Die Trennschärfe des Begriffs Medieninhaltsforschung, den er eingangs klären wollte, leidet dadurch. Denn durch dieses Postulat, v.a. durch dessen erklärenden Anspruch, werden zuvor ausgeschlossene und als Kontrastfolie verwendete Bereiche wieder in BONFADELLIs implizite Definition von Medieninhaltsforschung re-integriert: etwa die Charakteristika, Arbeitsabläufe und Intentionen der Kommunikatoren, die z.B. in der Gatekeeperforschung (S.15, 49) thematisiert werden, oder die Wirkungen der Medien auf Rezipienten, die etwa in der Resonanzforschung der Public Relations Gegenstand sind (S.179ff.). [5]
Diese Schwierigkeiten überraschen nicht angesichts der unterschiedlichen, jeweils höchst voraussetzungsvollen Begrifflichkeiten der hier behandelten Ansätze. Sie weisen aber auf ein grundlegendes Charakteristikum des Buches hin: Darin finden sich v.a. Kategorisierungen und Typologien, die von BONFADELLI zwar nebeneinander gestellt, aber nicht inhaltlich systematisiert werden (können), da ihm – ohne Fragestellung, ohne theoretische Führung Forschungen zu einem bestimmten Datentypus präsentierend – das Systematisierungskriterium fehlt. [6]
Diese Dominanz kategorisierender Präsentationen prägt auch den Charakter des Bandes überhaupt: Statt eines narrativ angelegten Lesebuches ist er lediglich als Nachschlagewerk nutzbar, für Leser also, die Interesse an einem konkreten Forschungsfeld haben und gezielt Informationen über dessen Theorie und Methoden sowie über dessen Einbettung suchen. [7]
Der Charakter eines Nachschlagewerkes gibt dann auch die Erwartungen an den Band vor: Die dargestellten Theorien und Methoden sollten in ihren zentralen Entwicklungen, Prämissen, Methoden und Anwendungen präsentiert werden. Zudem sollten Querverweise zu anderen Theorien des gleichen Bandes hergestellt werden – v.a. darin müsste der Mehr- und Lehrwert eines solchen Bandes liegen. [8]
Allerdings werden "Grundlagen, Methoden und Anwendungen" (so der Untertitel) nicht hinreichend dargestellt. V.a. Methoden und empirische Studien dominieren den Band, während sowohl Grundlagen resp. Theorien als auch Anwendungen recht kurz gehalten werden. Die Diskursanalyse etwa, als voraussetzungsvolles, gesellschaftstheoretisch aufgeladenes Konzept, wird hier kaum theoretisch eingeführt oder elaboriert (S.134f.), Michel FOUCAULT bspw. nicht einmal erwähnt. BONFADELLI schildert statt dessen Operationalisierungen, Fallstudien und Beispielbefunde ausgiebiger als Theorien oder Anwendungen. [9]
Auch Verweise zu anderen Ansätzen innerhalb der Medieninhaltsforschung, mithin Querverweise innerhalb des Bandes, werden nur selten hergestellt. BONFADELLI stellt die Ansätze weitgehend unverbunden nebeneinander. Er schließt den Band auch nicht durch ein synthetisierendes bzw. komparatives Fazit ab – ein solches unterbleibt gänzlich. Dies ist zu bedauern, hätte doch mit dem Erkennen von Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Ansätze auch das Erkennen wechselseitiger Lernpotentiale stärker befördert werden können. Diese Leistung wird so dem Leser überlassen. [10]
BONFADELLI will seine "Medieninhaltsforschung" als eine breite Einführung verstanden wissen. Als solche muss das Buch kein Lesebuch sein (obwohl es dies auch als Einführung sein kann, wie bspw. Michael SCHENKs "Medienwirkungsforschung" [2002] zeigt). Es kann auch ein Nachschlagewerk sein – und BONFADELLIs Buch entspricht eher diesem Anspruch. Er zeigt methodische und, mit Abstrichen, auch theoretische Ansätze auf und stellt sie nebeneinander. Dass die Schilderungen der Ansätze für eine Einführung verkürzt werden müssen, bleibt unbestritten – allerdings bleiben BONFADELLIs Ausführungen mitunter doch recht oberflächlich. [11]
Zudem wird eine weitere mögliche Leistung des Buches, nämlich das Aufzeigen von Querverbindungen zwischen den einzelnen Ansätzen, kaum eingelöst. Statt dessen dominiert fast ausnahmslos eine klassifikatorische Präsentation, mit zahlreichen Typologien, Gliederungen, Kategorisierungen usw. Damit wird das Feld sehr zergliedert präsentiert. Teilweise ist dies sicherlich dem breiten und sehr heterogenen Forschungsstand der verschiedenen Medieninhaltsforschungen anzulasten. Teilweise wird jedoch auch der Band den selbstgesteckten Anforderungen nicht gerecht. Er vermittelt basales Wissen, eignet sich aber nicht zur tieferen Beschäftigung mit den unterschiedlichen vorgestellten Ansätzen. Angesichts der präsentierten inhaltlichen Grundordnungen und v.a. der Literaturhinweise zu den einzelnen Ansätzen kann "Medieninhaltsforschung" wohl am ehesten als Sprungbrett zu den jeweils relevanten Quellentexten und -ansätzen dienen. [12]
Bonfadelli, Heinz (1999). Medienwirkungsforschung I. Grundlagen und theoretische Perspektiven. Konstanz: UVK Medien.
Bonfadelli, Heinz (2000). Medienwirkungsforschung II: Anwendungen in Politik, Wirtschaft und Kultur. Konstanz: UVK Medien.
Früh, Werner (1998). Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. Konstanz: UVK Medien.
Keller, Reiner; Hirseland, Andreas; Schneider, Werner & Viehöver, Willy (Hrsg.) (2001). Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Opladen: Leske + Budrich.
Merten, Klaus (1995). Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Schenk, Michael (2002). Medienwirkungsforschung. Tübingen: J.C.B. Mohr.
Seiffarth, Achim (2002). Medien, schwarz auf weiß. Rezensionsaufsatz zu Heinz Bonfadelli: Medienwirkungsforschung [26 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research [Online-Journal], 3(4), Art. 12. Verfügbar unter: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/4-02/4-02review-seiffarth-d.htm [Zugriff: 06.01.2005]
van Dijk, Teun (Hrsg.) (1997). Discourse Studies. London: Sage.
Mike Steffen SCHÄFER; M.A. (Soziologie, Journalistik, Publizistik), 1996-2002 Studium in Leipzig, Wien und Cork, 2002-2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin; momentane Forschungsschwerpunkte: 1) Wissenschaft, v.a. Biotechnologie, in der Öffentlichkeit; 2) Kultursoziologie von Fans. In zurückliegenden Ausgaben von FQS hat Mike Steffen SCHÄFER die Bücher Vertrauen (von Martin ENDRESS) und Genomprojekt und Moderne (von Andreas LÖSCH) besprochen.
Kontakt:
Mike Steffen Schäfer
Freie Universität Berlin
Institut für Soziologie
Garystrasse 55
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E-Mail: msschae@zedat.fu-berlin.de
URL: http://userpage.fu-berlin.de/~gerhards/mike_steffen_schaefer.html, http://www.fanforschung.de/
Schäfer, Mike Steffen (2005). Rezension zu: Heinz Bonfadelli (2002). Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen [12 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research], 6(2), Art. 1, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs050212.