Volume 5, No. 3, Art. 40 – September 2004
Von der kommerziellen Marktforschung zur akademischen Lehre – eine ungewöhnliche Karriere
Gerhard Kleining im Interview mit Harald Witt
Zusammenfassung: Vom Kriegsende und der Nachkriegszeit bis in die 90er Jahre erstreckt sich die Darstellung des beruflichen Werdegangs von Gerhard KLEINING.
Die günstigen Bedingungen in der kommerziellen Marktforschung in den 50er und 60er Jahren ermöglichen ihm vielfältige Kontakte zu führenden US-amerikanischen Forschern und Forschungsinstitutionen, die Durchführung umfangreicher quantitativer und qualitativer Studien zu gesellschaftlichen und markenpolitischen Themen und die Veröffentlichung der Ergebnisse in wissenschaftlichen Zeitschriften. Der Wechsel in die akademische Lehre (70er bis 90er Jahre) ermöglicht ihm, sich neue theoretische Themenfelder zu erschließen und nach Wegen zu suchen, die Erfahrungen aus der langjährigen Forschungspraxis zu systematisieren und in der Lehre vermittelbar zu machen. Dies führt u.a. zu KLEININGs methodologischen Grundsatztexten zur qualitativen heuristischen Forschung unter Einbezug vieler historischer Quellen und zu seinem starken Engagement zur Verankerung der qualitativen Forschungsmethoden in der Lehre.
Keywords: Heuristik, Dialektik, Methodologie, Qualitative Methoden, Forschungsmethoden, Soziologie, Psychologie, Marktforschung, Lehre, Psychologiegeschichte, Biographie, Interview, Introspektion, Experiment
Inhaltsverzeichnis
1. Soldat, Schüler, Student (Ausbildung)
1.1 Studium in Erlangen
1.2 Promotion
2. Erste Erwerbsarbeit. Werbung und Marktforschung
2.1 Werbebranche: Elektro
2.2 Marktforschung: Zigaretten
2.3 Erfahrungen in den USA: Qualitative Sozialforschung, Soziologie, Psychologie
2.4 Qualitative und quantitative Markt- und Sozialforschung in Hamburg
2.5 Verbindungen zu Universitäten: Psychologie und Soziologie
3. Die akademische Laufbahn als Soziologe in Hamburg
3.1 Der Zugang zur Universität
3.1.1 Imageforschung
3.1.2 Soziale Schichtung und Mobilität
3.1.3 Qualitative Methodologie
3.2 Die Zeit an der Universität
3.2.1 Lehre an der Universität
3.2.2 Forschung an der Universität
3.2.3 Forschungsthemen
3.2.4 Leitfiguren in der Wissenschaft. Der Weg zur Heuristik
4. Zukunftspläne
4.1 Interessen: Literatur, bildende Kunst, Empirie und Geschichte
4.2 Offene Frage: Wie kann qualitative Forschung institutionell eingebunden werden?
Das Interview zwischen Gerhard KLEINING und Harald WITT fand am 24.Juni 2004 und am 10. August 2004 bei KLEINING in der Wohnung statt. Die erste Sitzung dauerte etwa zwei Stunden und deckte das gesamte hier dargestellte Spektrum ab. Da in der Mitte des Gesprächs durch den Kassettenwechsel ein Teil des Gesprächs nicht aufgezeichnet wurde, wurde die zweite Sitzung (eine Stunde) vereinbart, um die Lücke wieder zu schließen. Dies gelang nicht so nahtlos, wie in der Originalsitzung, so dass im jetzigen Protokoll einige leichte Sprünge sind, die nicht geglättet wurden. [1]
Ansonsten ist das Interview überarbeitet, d.h. die wörtliche Rede des aufgezeichneten Interviews wurde in gut lesbares Schriftdeutsch übertragen, Daten wurden z.T. nachträglich recherchiert und eingefügt oder korrigiert. Da im Text sehr viele Personennamen auftauchen, die ja auch aus weiter zurückliegenden Epochen stammen und nicht jedermann bekannt sein dürften, befindet sich am Ende eine Literaturliste, in der versucht wird, den erwähnten Namen wenigstens eine relevante Veröffentlichung zuzuordnen. Eine zweite Liste enthält die wesentlichen Publikationen von Gerhard KLEINING. [2]
Gerhard KLEINING wurde 1926 in Nürnberg geboren, ist dort zur Schule gegangen, wurde jedoch die letzten Kriegsjahre als Luftwaffenhelfer, im Arbeitsdienst und als Soldat eingesetzt und geriet am Ende des Krieges in amerikanische Gefangenschaft. Er hat dann von 1945 bis 1948 in Erlangen Kunstgeschichte, Anglistik und Psychologie studiert und mit einer Promotion in Kunstgeschichte 1949 abgeschlossen. [3]
Von 1950 bis 1976 war er in der Werbebranche und in der Marktforschung tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeiten hat er umfangreiche Forschungen mit z.T. sehr großen Stichproben im In- und Ausland durchführen können und durch viele Publikationen auch zu grundlagenbezogenen Fragestellungen sich in die soziologischen und methodologischen Diskussionen eingemischt. [4]
Ab 1968 war er Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg im Institut für Soziologie, hat sich 1975 habilitiert und wurde1976 als Professor für Allgemeine Soziologie im Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften berufen. Er war bis 1992 in dieser Position und ist jetzt im Ruhestand. [5]
Während der Universitätszeit hat er sich vermehrt auf die heuristische Sozialforschung konzentriert, in Lehre und Forschung die methodologischen Aspekte weiterentwickelt und durch zahlreiche Publikationen bekannt gemacht. Auch nach seiner Pensionierung ist er auf diesem Felde aktiv und arbeitet z.Z. mit Nachdruck an einer Weiterentwicklung der Methode der Introspektion. Daneben verfolgt er eine Reihe weiterer Themen, die z.T. zurückreichen in die Zeit der kommerziellen Tätigkeit, z.T. in oder auch erst in oder nach der Universitätszeit erschlossen wurden. [6]
Die Breite seiner inhaltlichen und methodischen Interessen spiegelt sich in einer Festschrift wider, die ihm anlässlich seines 77. Geburtstages von seinen Schülern und Kollegen überreicht wurde (HAGEMANN & KROTZ 2003). [7]
1. Soldat, Schüler, Student (Ausbildung)
H. W.: Ich denke, wir gehen mal zurück, Ihre Jugend fällt ja in die Kriegsjahre und vielleicht erzählen Sie erst mal, wo Sie aufgewachsen sind und wie Sie dann eine Ausbildung machen konnten, im Anschluss an die Kriegszeit. [8]
G. K.: Meine Arbeitsbiographie, das ist ja ein Teil der Frage, ist vergleichsweise geordnet. Es gibt eine Zeit der Ausbildung, über die ich gleich noch sprechen werde bis zur Promotion, dann war ich 27 Jahre in der Industrie und 24 Jahre an der Uni. Seit 1992 bin ich im Ruhestand. Ich bin 1926 in Nürnberg geboren und dann in die Kriegszeit geraten während der Oberschule, die damals Reformrealgymnasium hieß, wurde mit 16 Jahren Luftwaffenhelfer, kam mit 17 zum Arbeitsdienst, mit 18 zum Militär und war mit 19 im Gefangenenlager. Die "Endkämpfe" um Berlin habe ich noch mitbekommen, im Kessel, die Russen auf der einen Seite, die Amerikaner auf der anderen, links der Elbe. [9]
H. W.: Welche Gefangenschaft, wo? [10]
G. K.: Zuerst bei den Amerikanern und dann bei den Engländern. Wir sahen immer das Problem, uns vor den Kriegsereignissen und vor allem vor den Russen in Sicherheit zu bringen. Mit zwei Freunden habe ich frühzeitig die Truppe verlassen, Fahnenflucht hieß das damals, um zu den Amerikanern zu entkommen. Zum Kriegsende '45 war ich in Gefangenschaft, ungefähr vier Monate, was mir lang vorkam, im Vergleich mit dem Schicksal anderer aus meiner Truppe aber kurz war, sofern sie die letzten Monate überhaupt überlebt hatten. Ich wurde offiziell entlassen. Damals hatte ich das erste Mal Kontakt mit einem Fragebogen, dem berühmten amerikanischen ellenlangen Fragebogen und bin dann, da ich als Ergebnis der Fragebogen-Recherche kein Nazi, Kriegsverbrecher, Mitläufer etc. war, und auch keinen höheren Dienstgrad hatte, zugelassen worden zur Universität. Ohne Abitur, weil wir ja zur fraglichen Zeit in militärischen Diensten standen. Da ich aber immer ein guter bis sehr guter Schüler war, war es meiner Mutter geglückt, einen so genannten Vorsemesterbescheid zu bekommen, der das Studium nach einer Semesterprüfung ermöglichte. [11]
H. W.: Und dann haben Sie '45 gleich anfangen können zu studieren? [12]
G. K.: Ende '45 konnte ich in Erlangen in einer unzerstörten und von der Besatzungsmacht freigegebenen Universität anfangen, im Wintersemester 1945. Wir lebten in Nürnberg unter sehr begrenzten Umständen, Nürnberg war sehr zerstört durch die Luftangriffe, wir hatten auch unsere Existenz und beinahe das Leben verloren. Ich bin täglich von Nürnberg nach Erlangen zum Studium gefahren unter zumeist abenteuerlichen Verkehrsverhältnissen. [13]
H. W.: Und für was haben Sie sich eingeschrieben? [14]
G. K.: Für Kunstgeschichte als Hauptfach und Anglistik und Psychologie als Nebenfächer. Gehört habe ich noch eine Vielzahl anderer Fächer, Philosophie, Pädagogik, Archäologie, Vor- und Frühgeschichte, Geschichte, Germanistik. Die Kombination von Haupt- und Nebenfächern war für mich ein Glücksfall, obwohl es damals völlig irreal war, ein Fach wie Kunstgeschichte zu studieren in einem Trümmerberg. [15]
H. W.: Was war die Perspektive dabei? [16]
G. K.: Überhaupt keine. [17]
H. W.: Reines Interesse? [18]
G. K.: Man hatte nirgendwo etwas in Aussicht, die Frage stellte sich überhaupt nicht, weil ja dem Eindruck nach und weitgehend faktisch "alles" kaputt war. Wenn wir auch gerade die schlimmsten Lebensbedrohungen überstanden hatten – Perspektiven gab es überhaupt keine. Da hat jeder das gemacht, was er für den Augenblick als nützlich ansah. [19]
H. W.: Aber wie konnte dieses Interesse entstehen? [20]
G. K.: Das Interesse war entstanden durch den Stau an Wissenswünschen und an Bedürfnissen, mich mit Kultur und mit Bildung im weitesten Sinne auseinander zu setzen durch diese frühzeitige Kasernierung und Kriegstätigkeit. Das waren ja weitgehend junge heranwachsende Intellektuelle, die aus Krieg und Gefangenschaft auf die Hochschulen kamen und, wie viele andere der gleichen Altersgruppe, überhaupt nichts im Sinn hatten mit diesen ganzen nazistischen oder militaristischen Absichten, die mit ihnen verfolgt werden sollten und die im Krieg nur noch Überlebenstraining geübt haben. Wer erfolgreich war und Glück hatte, ist durchgekommen. Da bestand ein ungeheurer Run auf Bildung. Die Leute waren alle sehr dünn und abgemagert, aber auch bildungshungrig. So wurden Fächer studiert, die völlig aussichtslos waren, oder damals so erschienen, einschließlich Kunstgeschichte. Wir hatten einen Professor, der immer erklärt hat, wir sollten nicht Kunstgeschichte studieren, bei jeder Vorlesung hat er das als Einleitung gesagt. Das hat uns überhaupt nicht abgeschreckt. Wir waren auch nur etwa zehn Hauptfach-Studierende. [21]
Das war der Hintergrund. Anglistik habe ich studiert, weil mich der vortragende Professor fasziniert hat. Das war Lewin Ludwig SCHÜCKING, Enkel des DROSTE-SCHÜCKING. Die romantische Dichterin Annette von DROSTE-HÜLSHOFF war ja mit einem SCHÜCKING verbandelt. [22]
H. W.: Sagt mir nichts. [23]
G. K.: Er stammte aus dieser Gelehrten-Familie, Westfale, und er war ein ganz berühmter Anglist und Shakespeareforscher, der auch gleich einen Preis oder eine akademische Würde von einer englischen Universität bekam, was damals eine Sensation war, so kurz nach Kriegsende. Da habe ich einfach Anglistik studiert, weil ich von ihm so fasziniert war. Die Professoren, im Programm der amerikanischen Re-education, waren nur solche, die keine Nazis waren und noch in Deutschland lebten. Das waren im wesentlichen Emeritierte und ja auch nicht mehr besonders viele. Ich habe also zumeist bei ganz alten Professoren studiert, sozusagen noch Vorkriegsgelehrten und einigen jungen, übrig gebliebenen; die meisten der mittleren Generation waren Nazis oder tot oder beides. Psychologie habe ich studiert, weil ich dachte, Psychologie sei irgendwie ein interessantes Fach. Ich hatte als Schüler ein Psychologie-Lehrbuch, da waren die Seiten über FREUD überklebt, das war natürlich kein Hindernis. Übrigens habe ich auch etwas von Thomas MANN im Krieg lesen oder besser durchblättern können, in der Nürnberger Stadtbibliothek, Tonio Kröger. Das Buch kam aus dem "Giftschrank", streng verboten, es auszuleihen und ich bekam es nur kurz, auf dringendes Begehr. Ich habe mich sehr gewundert, weil ich nicht feststellen konnte, was daran so gefährlich war. [24]
In Psychologie hatte ich Wilhelm ARNOLD, damals Lehrbeauftragter, der Arbeitsamtspsychologe war, Tests gemacht hat und Personalbeurteilungen. Mein Kunstgeschichte-Professor war Rudolf KÖMSTEDT, auch ein Vorkriegsgelehrter. Er verstand Kunstgeschichte als Geschichte in der Tradition von Jacob BURCKHARDT, dem berühmten Schweizer Historiker des 19. Jahrhunderts, aber auch, wie dessen Schüler und Nachfolger Heinrich WÖLFFLIN, als Phänomenologie. Das war damals völlig neu, für uns allemal, und im scharfen Gegensatz zu den nationalistischen Kunst-Deutungen von Wilhelm PINDER oder dem Antimodernisten und Ideologen Hans SEDLMAYR. Durch Hinsehen musste man das Kunstwerk datieren, lokalisieren und in das Oevre des Künstlers und der Zeit einordnen. Das ging ganz hart um Daten und Fakten, phantasieren und deuten wurde abgelehnt, die Nazi-Kunstdeutung lag ja hinter uns. Deuten war keine Kunstwissenschaft, das hatte man gesehen. Fakten waren angesagt so wie bei Erwin PANOFSKY, einem Kunsthistoriker aus Hamburg, der zur Emigration gezwungen worden war aber in unseren Vorlesungen vorkam, durch sein DÜRER-Buch. Diese Art von KÖMSTEDTs (oder WÖLFFLINs) Phänomenologie hat mich sehr beeindruckt, dass man wissenschaftlich arbeiten kann und etwas an Kunstwerken entdecken kann durch bloßes Hinschauen und "Befragen" von Kunstwerken. Das Kernverfahren war natürlich der kontinuierliche Vergleich und das Finden von Gemeinsamkeiten. Gelernt habe ich "vergleichende Kunstwissenschaft". [25]
Die Anglistik war insofern etwas Besonderes, als SCHÜCKING der erste Literaturhistoriker war, der die Sozialgeschichte in seine Betrachtung einbezogen hat, eigentlich war er Literatursoziologe. Er hat uns gezeigt, dass z.B. SHAKESPEARE als Einzelperson oder Genie nicht verstanden werden kann, wenn man nicht das ganze Umfeld, in dem er gelebt und gearbeitet hat, also die politischen und sozialen Hintergründe des Elisabethanischen Hofes erforscht und berücksichtigt oder dann die puritanische Familie. Das war sehr wichtig für meine späteren Arbeiten. Auch Psychologie hat mich sehr interessiert, aber einen Großteil meiner Studien habe ich im Lesesaal der Erlanger Universitäts-Bibliothek verbracht. Ich habe einmal ein Semester lang überhaupt nur die "Zeitschrift für Psychologie" gelesen, die frühesten Hefte, ich sehe mich da noch sitzen im schönen alten Lesesaal mit diesen vielen Bänden vor mir und dann habe ich einen nach dem anderen durchgelesen, um zu sehen, was da eigentlich gewesen ist. [26]
H. W.: Das war also nicht das Angebot in der Lehre [27]
G. K.: überhaupt nicht [28]
H. W.: sondern Eigenstudium in der Bibliothek. [29]
G. K.: Ja, die Bibliothek existierte eben noch in Erlangen. Und ich hatte auch ein gewisses historisches Interesse. Auf diese Weise habe ich die Gestaltpsychologie entdeckt, deren Wahrnehmungs-Experimente mit dem phänomenologisch-kunsthistorischen Ansatz korrespondieren. Dazu gab es keine Veranstaltungen. Dass es Bibliotheken gibt und sie auch zugänglich sind, habe ich damals sehr schätzen gelernt. [30]
H. W.: Sie sagten vorhin, dass das eine glückliche Kombination war, diese Fächer zu studieren. Für eine spätere berufliche Orientierung, oder? [31]
G. K.: Ja, sowohl für meine Industriepraxis als auch für die Tätigkeit an der Universität, obwohl man meint, dass mit Kunstgeschichte in der Industrie oder der akademischen Soziologie nicht viel zu machen sei. War ja auch richtig in gewisser Weise, es war kein Zweckstudium. Was ich da u.a. gelernt habe, war, dass man den gleichen Gegenstand, also etwa ein historisches Ereignis, von verschiedenen Seiten betrachten kann und dass verschiedene Wissenschaften verschiedene Bilder von diesem Gegenstand erzeugen, also sagen wir einmal Barockarchitektur und Barockliteratur von verschiedenen Positionen her verschiedene Bilder entwerfen, die dann zusammen zu bringen sind. [32]
H. W.: O.k., also bei Kunstgeschichte und Literatur leuchtet mir das noch ein, aber wie kommt die Psychologie da vor – gerade bei ARNOLD? [33]
G. K.: Die Psychologie kommt vor als ihre eigene Geschichte. Die Literaturstudien haben mir gezeigt, dass es um 1900 andere Themen gab als früher oder auch später und dass diese Themen etwas über die jeweilige Zeit aussagen – aus Sicht der Psychologie. [34]
H. W.: Also, Sie haben sich selbst den historischen Aspekt ausgesucht. [35]
G. K.: Den historischen Teil habe ich mir erarbeitet, ja. Soweit mir das möglich war, als einzelner Student, erarbeitet mit viel Fehlern, aber dass gewisse Themen nur zu bestimmten Zeiten diskutiert wurden in diesen Zeitschriften, das war mir dann schon bemerkenswert. Dass vor dem ersten Weltkrieg andere Themen als wichtig angesehen wurden als später. Das ging bis 1933, die Entwicklung war dann sozusagen beendet, die Zeitschriftenaufsätze kippten in den Nazismus, ganz abrupt. Nach dem Krieg gab es Zugang wieder zu den älteren Schriften, die Gestaltpsychologie oder die Würzburger Schule, ARNOLD war ja nach Würzburg berufen worden. FREUD war erst jetzt wieder zugänglich und dessen Texte, anfangs noch Raritäten, habe ich versucht, zu bekommen. Der geschichtliche Teil ist eigentlich immer in diesen Wissenschaften sehr dominant gewesen und dann auch die Art, wie wissenschaftlich gearbeitet wird, welche Methoden es in den einzelnen Wissenschaften gibt, obwohl die eigentlich gar nicht gut reflektiert waren. Es gab keine Methodenvorlesungen in Kunstgeschichte oder Literaturwissenschaft, die Referenten haben einfach gezeigt, wie man das macht, aber nicht warum. [36]
H. W.: Also, eher wie eine Kunstlehre oder? [37]
G. K.: So etwas wie eine Kunstlehre. Wir sind da hingegangen und der Professor hat das vorgemacht und wir haben versucht, es nachzumachen unter Verwendung der Vokabeln. Es wurde schon gesagt, dass man es nicht so machen soll, wie der oder der, aber nicht eigentlich, weil dessen Methode nicht gut war. Das Methodenbewusstsein in unserem heutigen Sinne ist erst viel später in die Kunstwissenschaften und noch einmal später in die Literaturwissenschaften eingezogen. Heute wird das ja reflektiert. Ich erinnere mich an ein persönliches Gespräch mit dem berühmten SCHÜCKING, bei dem ich mich vorstellte als kunsthistorischer Examenskandidat und er die Gelegenheit nahm, die Methoden der Kunst- und Literaturwissenschaften zu vergleichen. Er hat sinngemäß gesagt, die Kunstwissenschaft sei voraus, dort sehe man z.B. dass eine bestimmte Haltung des Kopfes bei GIORGIONE nicht vor, sagen wir, 1504 möglich sei, dagegen in den Literaturwissenschaften: "da wissen wir oft nicht einmal, aus welchem Jahrhundert ein Textfragment stammt". Er hat auch über das Epos Beowulf gearbeitet, wahrscheinlich fünftes/erste Hälfte sechstes Jahrhundert, dadurch relativiert sich die Bemerkung. Sie hat mich aber sehr beeindruckt, auch dass er das einem Studenten sagt. [38]
G. K.: 1948 habe ich promoviert. [39]
H. W.: Und alles in Erlangen? [40]
G. K.: Alles in Erlangen. 1948 war die Währungsreform und da war die Möglichkeit, ohne regelmäßiges Einkommen zu leben, nicht mehr gegeben. Man musste Geld haben, um Mittag essen zu können etc.; vorher konnte man mit Schwarzmarktzigaretten sein ganzes Studium finanzieren. Aber nach dieser Zeit war es wirtschaftlich notwendig, irgendwas zu machen, das regelmäßig Einkommen brachte. Ich habe mein Studium rasch beenden wollen und eine Dissertation geschrieben. [41]
H. W.: Sie haben 1948 schon die Dissertation gemacht? [42]
G. K.: Nein, 1949 habe ich dissertiert, die mündliche Prüfung in den drei Fächern war im Juli. [43]
H. W.: Aber das sind vier Jahre, das ist ein flottes Studium. [44]
G. K.: Mir blieb nichts anderes übrig (lacht). [45]
H. W.: Das ist ja grandios! [46]
G. K.: Ich war sechs Semester eingeschrieben, mit Studiengebühren und habe zwei weitere Semester angehängt, bei denen ich aber nicht immer da war. Mein Kunstgeschichte-Professor hat nach einer Semesterarbeit auf die Arbeit geschrieben "Ich würde überlegen, eine Dissertation in Angriff zu nehmen". Das war alles, was er dazu beigetragen hat. Und dann habe ich die Dissertation in Angriff genommen und eine Arbeit geschrieben und vorgelegt und die ist dann zu meiner großen Freude nicht nur akzeptiert, sondern auch mit einem summa cum laude versehen worden nach der mündlichen Prüfung, auch als Gesamtnote mit den beiden Nebenfächern. [47]
H. W.: Und das war im Fach Kunstgeschichte? [48]
G. K.: Die Dissertation war im Fach Kunstgeschichte und hieß: "Der Stil in der Baukunst. Seine Wandlungen 1050 – 1350. Eine anschauungs-genetische Untersuchung". [49]
H. W.: Oh. [50]
G. K.: Die habe ich mir jetzt noch einmal angesehen. Es gibt zwei Begriffe, die mir auch später wichtig geblieben sind. Das eine ist die "Materienauffassung", das ist ein Konzept, wie die Gestaltung (oder "Gestalt") aufgefasst wird oder der "Stoff", mit dem Bilder gemalt oder Bauten gebaut werden. Ob das als weich oder als hart oder als stabil, als brüchig, als wachsend, als organisch oder anorganisch usw. angesehen wird, das muss man jeweils analysieren. Einen "weichen Stil" gab es schon in der Malerei, auch einen "rayonnant" in der Baukunst. Und das zweite war die "Anschauungsgenese", dass man aus dem Anschauen, also als Phänomenologe – Anschauung ist ja auch ein KANTscher Begriff – wie man aus dem Anschauen eine vermutliche Bewegung erlebt oder herauslesen kann. Es gibt Formen, die scheinen sich zu bewegen oder zu kreisen und Formen, die scheinen starr zu sein oder solche, die sich scheinbar aufeinander aufbauen und eine gewisse Schwere haben und andere, die sehr luftig sind und im Ätherischen sich aufzulösen scheinen. Mit diesen Formen spielen die verschiedenen Stile der Architektur oder der Kunst im allgemeinen. Das habe ich dargestellt, noch eine Baugeschichte von St. Lorenz in Nürnberg hinzugefügt und einen durch Dokumente nicht belegten Bauabschnitt im 14. Jahrhundert nach dieser Methode datiert. Das ist in die offizielle Baugeschichte eingegangen. Die Arbeit ist belobigt worden, für mich war zunächst der größte Effekt, dass ich meine Prüfungsgebühren zurückbekommen habe, [51]
H. W.: (lacht) [52]
G. K.: weil es nämlich die erste Dissertation war in der Philosophischen Fakultät, die nach 1945 mit einem summa cum laude ausgezeichnet wurde. Allerdings war ich einer der schnellsten, das sprach zu meinen Gunsten. Die meisten anderen haben länger studiert. [53]
H. W.: Und was konnten Sie damit anfangen? [54]
2. Erste Erwerbsarbeit. Werbung und Marktforschung
G. K.: Gar nichts. Ich wollte nicht in den Museumsdienst als "wissenschaftlicher Hilfsarbeiter", wie es damals hieß. Schon die Bezeichnung war abschreckend. Vor allem wollte ich erst einmal ins Ausland. Ich habe mich gemeldet als Landarbeiter in die Schweiz und bin als "Fremdarbeiter" vier Monate bei einem Bauern gewesen, im Kanton Basel Land. Das war die einzige Möglichkeit, aus Deutschland heraus zu kommen. Es gab damals sehr starke Reisebeschränkungen. Mit dem wenigen Geld, das ich verdient hatte, habe ich anschließend eine Reise nach Italien gemacht, wo ich bis Rom kam und dann ging mein Geld aus. Das war der Drang, unbedingt etwas zu sehen von der Welt. [55]
H. W.: Da waren Sie ja auch immer noch ganz jung damals, 23 oder 24. [56]
G. K.: Ja. [57]
H. W.: Ja und dann? [58]
G. K.: Dann stellte sich die Frage, wie ich überlebe. Meine Eltern konnten mich nicht auf die Dauer unterstützen, ich wollte dass auch gar nicht. Von Mitstudierenden bekam ich die Idee, dass man vielleicht in der Werbung eine Chance hätte, etwas Geld zu verdienen. [59]
H. W.: '49 gab es schon Werbung? [60]
G. K.: Ja, Industrie, Konsumgüterproduktion und Werbung wurden aufgebaut, die Vor-Wirtschaftswunder-Zeit. [61]
H. W.: Für was haben die denn geworben? [62]
G. K.: Nach einigen Fehlversuchen bei Herstellern und Werbeagenturen – damals herrschte große Arbeitslosigkeit als Kriegsfolge – habe ich mich bei Siemens in Erlangen vorgestellt. Eine kleine Siemens-Tochterfirma, die mich mangels elektrotechnischer Grundkenntnisse nicht haben wollte, gab mir den Rat, es doch einmal in der Hauptverwaltung zu versuchen, die von Berlin gerade nach Erlangen verlegt worden war. [63]
Da wurde ich eingestellt, probeweise. Ich habe mein Psychologiestudium präsentiert und auch Kunstgeschichte, aber die "Hauptwerbeabteilung", eine Art Werbeagentur mit immerhin über 300 Angestellten einschließlich der Ateliers, war nicht an bestimmten Studienrichtungen interessiert, sondern vor allem an jungen Leuten, die als Nachwuchskräfte verwendet werden konnten und haben mir eine Chance gegeben. Mein Gehalt, für das ich kühn 300 DM vorgeschlagen hatte, betrug 229 DM, mit einer Zulage von 21 DM, weil ich promoviert hatte. Fand ich (H. W.: Zahlt sich schon aus) sehr, sehr gut, dass ich überhaupt Geld bekommen habe. Und da wurde ich nach einiger Zeit zum Aufbau der Auslandswerbung des Konzerns abgestellt, die es noch gar nicht gab, in einer kleinen Gruppe von drei Leuten, unter Leitung eines "Erfahrungsträgers", wie die Älteren hießen. Ich bin dann auch ins Ausland gekommen und habe mich mit Prospekten und Anzeigen für die Auslandsvertretungen beschäftigt, sie geschrieben und drucken lassen und verwaltet. Die Vorgesetzten waren mehr interessiert am Management, mein Studium der Kunstgeschichte war nicht so wichtig, eher noch vielleicht Psycho-logie. "Vielleicht können Sie hier mal das Betriebsklima verbessern oder eine Schulung machen", das schien die Aufgabe für einen Psychologen zu sein, oder Graphologie. Während der Zeit habe ich weiter psychologische Literatur gelesen, weil ich in Erlangen war und noch eingeschrieben, hätte beinahe noch diplomiert, aber da war ich schon zu sehr in den Geschäftsbetrieb eingebunden. [64]
H. W.: Wenn Sie sagen Ausland, welche Länder waren das? [65]
G. K.: Das war nur Holland, die anderen Reisen haben die Vorgesetzten gemacht. Ich wurde hingeschickt mit dem Auftrag, die Niederlassung dazu zu bringen, ihre Werbung selber zu bezahlen und keine Zuschüsse von der Zentrale zu erwarten, oder nur wenig, dabei aber die strengen Stilregeln der Zentrale zu befolgen. Da kam ich dann als junger Mann und musste solche Ansinnen vermitteln. Ich bekam damit schon einen Eindruck von den Abläufen in der Verwaltung. Das war überhaupt eine neue Erfahrung: was Bürokratie ist und wie man mit ihr umgeht, darin wurde ich richtig gut. Nach fünf Jahren habe ich dann doch gefunden, dass ich mich verändern sollte. Ich habe mich auf eine Werbungsposition bei Reemtsma in Hamburg beworben und bin dort auch genommen worden. [66]
2.2 Marktforschung: Zigaretten
H. W.: Wann war das ungefähr? [67]
G. K.: Das war 1954. Da gab es noch die witzige Situation, dass mich Siemens nicht hergeben wollte und erst eine Verhandlung stattfinden musste mit meinem früheren und dem zukünftigen Chef, ob ich überhaupt abkömmlich bin und wann. Durch eine Reihe von glücklichen Zufällen ergab es sich, dass ich bei Reemtsma zwar mit Werbung anfangen konnte, mich aber gemeldet habe für Marktforschung, die damals nur in Anfängen existierte. Mein damaliger Chef wurde Max PAULI, er war vorher Leiter der deutschen McCANN Werbeagentur, eine der größten Werbeagenturen in Deutschland, schon seit den zwanziger Jahren. PAULI war zu Reemtsma als Vorstandsmitglied übergetreten. [68]
H. W.: McCANN? [69]
G. K.: H. K. McCANN in Frankfurt, Zentrale in New York, weltweit tätig. Max PAULI war ein ganz internationaler Mann und wie ich mich gemeldet habe für Forschung hat er gesagt: "Ja, ich denke, wir können das hier aufbauen. Ich werde das den Inhabern vorschlagen. Aber bevor Sie anfangen, müssen Sie erst mal nach Amerika, um zu sehen, wie das überhaupt gemacht wird. Und das sage ich Ihnen gleich, unter einem halben Jahr geht überhaupt nichts." [70]
H. W.: Ja, ist ja toll. [71]
2.3 Erfahrungen in den USA: Qualitative Sozialforschung, Soziologie, Psychologie
G. K.: Ja, habe ich gesagt, gut. Halbes Jahr Amerika (lachen beide). [72]
H. W.: Das ist ja ein tolles Angebot. [73]
G. K.: Ja. Und dann hat er mir, das war der zweite Glücksfall, eine Verbindung mit Herta HERZOG hergestellt. Herta HERZOG gehörte zur Wiener Gruppe um die BÜHLERs und LAZARSFELD, war nach Amerika ausgewandert und zu McCANN in New York gekommen, die dann umfirmiert wurde in INTERPUBLIC. Sie war dort zuständig für qualitative Forschung. Für die quantitative Forschung dieser Werbeagentur war Hans ZEISEL zuständig, auch aus der Wiener Gruppe und einer der Autoren der Marienthalstudie. Über Herta habe ich eine Reihe der in die USA ausgewanderten deutschen und österreichischen Intellektuellen kennen gelernt, die aus Frankfurt oder Wien in die USA gekommen waren. Sie hat auch die Verbindung hergestellt zu einer Reihe von Universitäten, Agenturen und Firmen, in denen Psychologen, Soziologen und Marktforscher beschäftigt waren. Mit ihrem zweiten Mann Paul MASSING war ich sehr befreundet, er gehörte zum HORKHEIMER-Kreis des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, kam sofort 1933 wegen antinazistischer Aktivitäten ins KZ, Columbia Haus und Oranienburg, wurde gefoltert, konnte flüchten und kam über Frankreich in die USA, er war zuletzt Professor für Soziologie in Rutgers. [74]
H. W.: Wo ist das? [75]
G. K.: Das ist in New Brunswick/New Jersey, südwestlich von New York, eine sehr renommierte Universität. Mit ihm habe ich mich sehr gut verstanden und er hat mir wieder einen ganz anderen Bereich, den der dialektischen oder kritischen Soziologie, nahe gebracht, überhaupt auf die Wichtigkeit der Soziologie hingewiesen für das Verständnis von gesellschaftlichen Vorgängen. Wir haben über vieles gesprochen, was ich an Amerika und der Moderne nicht verstanden habe und einmal hat er gesagt: "Ja, vielleicht lesen Sie mal die 'Deutsche Ideologie'." So bin ich zu MARX gekommen. [76]
Da haben sich ganz verschiedene Verbindungen hergestellt. Durch mein Studium die zur vor-nazistischen Kunst- und Literaturwissenschaft und der Psychologie aus den Bibliotheken, in den USA zu den aus Wien und Frankfurt geflüchteten Psychologen, Soziologen und Sozialphilosophen, zu den damals wichtigen amerikanischen Sozialwissenschaftlern und dann auch natürlich zur kommerziellen Forschung. Ich bin durch das ganze Land gereist in diesem halben Jahr, mit einem von mir gekauftem Auto, das ich dann wieder verkauft habe, ich habe das Land besichtigt und die Universitäten besucht und mit den Leuten gesprochen, von denen ich dachte, das sie berühmt sind oder wichtig. Die Kontakte herzustellen war vergleichsweise einfach. Zum Beispiel wollte ich mit David RIESMAN sprechen, der "The Lonely Crowd" geschrieben hatte, ein ganz wichtiges Buch, das in Deutschland zur Individualisierungs-These beigetragen hat, aber hier erst mit 30 Jahren Verspätung, da war das Thema dort schon vorbei. Oder mit Herbert BLUMER, der die Vorlesungen von George Herbert MEAD übernommen hatte und damals Präsident der American Sociological Association war. Ich habe mich jeweils angemeldet, als reisender Student aus Deutschland, habe immer und meistens in sehr kurzer Zeit einen Termin bekommen, musste aber pünktlich da sein und konnte dann eine dreiviertel Stunde mit der betreffenden Person reden, über ihre Bücher und Pläne. Vorher habe ich mich in der Bibliothek informiert, was sie eigentlich geschrieben hat. Jede meiner Kontaktpersonen wollte wissen, wo ich schon gewesen war, welchen Eindruck ich hatte und mir empfohlen, wohin ich noch gehen soll. Nach kurzer Zeit war ich sehr gut informiert durch das Herumreisen und Befragen und kannte die Netzwerke und Themen. Das war eine Art Sozialforschung über die Forscher und Forscherinnen. [77]
H. W.: Und es war dann wirklich ein halbes Jahr? [78]
G. K.: Es war ein halbes Jahr. Der Start war bei Herta HERZOG und deren Empfehlungen und Kontakte. Sie hat mich dann auch in ihre eigenen Forschungen eingeweiht, es gab eine Bibliothek mit Berichten, die ich studieren konnte. Ich habe selbst noch eine zweite Gruppe aufgetan, die ebenfalls ganz wichtig für mich geworden ist, Social Research Inc. in Chicago. Das war ein mit der University of Chicago durch Personalunion verbundenes kommerzielles Institut, Mitgründer war W. Lloyd WARNER, ein einflussreicher (kultureller) Anthropologe und Soziologe. Seine Mitarbeiter waren Burleigh GARDNER, auch Anthropologe, der Direktor von Social Research und William E. HENRY , ein klinischer Psychologe und TAT-Spezialist und jüngere wie Harriett B. MOORE, Sidney LEVY, Lee RAINWATER. Dort wurde qualitative Sozialforschung entwickelt und angewandt. Anselm STRAUSS gehörte auch zu den Chicago Leuten und Herbert BLUMER. Hier habe ich qualitative Forschung der soziologischen Art kennen gelernt, wohingegen bei Herta HERZOG, wie bei den LAZARSFELD-Leuten, der Fokus auf Sozialpsychologie lag. [79]
An der Westküste habe ich verschiedene Leute in Berkeley besucht und Stanford, besonders beeindruckt hat mich Else FRENKEL-BRUNSWIK, auch aus Wien, die bedeutende klinische Analysen für die "Authoritarian Personality" beigetragen hat, qualitative Analysen von Interviews, wie auch ADORNO in diesem Buch zur Ideologiekritik. Die Publikation von 1950 erscheint mir als die letzte herausragende Schrift, in der qualitative und quantifizierende Verfahren (F-Scale) noch neben einander stehen. Später ist dann die quantitative Forschung, etwa die über Sozialstruktur und Mobilität von BLAU und DUNCAN, eigene Wegen gegangen, da finden Sie keine qualitativen Analysen mehr. Ebenfalls in San Francisco lebte Leo LÖWENTHAL vom Frankfurter Institut für Sozialforschung, bedeutender Literatursoziologe in Berkeley, mit dem ich gut bekannt war und den ich mehrfach dort und in Hamburg getroffen habe. Später sind ja auch Anselm STRAUSS und Herbert BLUMER nach San Francisco übergesiedelt. [80]
Die qualitative Forschung war in den 40er und 50er Jahren in New York, Chicago und in Berkeley voll entwickelt, aufbauend auf den Traditionen von LAZARSFELDs Wirtschaftspsychologischer Forschungsstelle in Wien, der frühen Chicago School und dem Frankfurter Institut für Sozialforschung und auch im akademischen Bereich präsent, wie man an der später berühmte Dissertation von William F. WHYTE 1941 über die "Street Corner Society" sieht, bei der WARNER beratend tätig war und deren etwas schwierige akademische Akzeptanz er unterstützt hat. [81]
H. W.: Ah, dann sind Sie über die Methoden zur Soziologie gekommen? [82]
G. K.: Ja. Und auch über das inhaltliche Interesse an dem, was WARNER untersucht hat. Er hat diese fünf Bücher der "Yankee City Series" veröffentlicht. Sein Hintergrund war die "cultural anthropology", sein Forschungsfeld eine Kleinstadt in den USA, Newburyport in Massachusetts. Er hat aus der Anthropologie stammende Methoden angewandt, die teilnehmende Beobachtung und Befragung, qualitativ aber auch quantifizierend, um Gruppengrößen oder soziale Schichten zu bestimmen. Vor allem waren die Methoden entdeckend. Damals bestand beispielsweise die Ansicht, die amerikanische Gesellschaft sei ein "Schmelztiegel", alle Leute seien mehr oder weniger sozial gleich und zudem hätte jeder die gleichen sozialen Chancen, vom Tellerwäscher zum Generaldirektor oder zum Großkapitalisten aufzusteigen, was logisch ein Widerspruch ist, denn wenn alle gleich sind, sind Chancen zur Ungleichheit Unsinn. Die Sozialstruktur der Gemeinde hat WARNER mit Feldarbeit, wie ein Anthropologe einen fremden Volksstamm, untersucht und dabei das amerikanische Schichtungssystem entdeckt und beschrieben. Über Sozialverhalten ergab sich die Verbindung von Psychologie und sozialen Organisationen. Das hat mich auch sehr interessiert. [83]
H. W.: Haben Sie immer Bericht erstatten müssen nach Hamburg? [84]
G. K.: Ich habe berichtet, wo ich gewesen bin, mit wem ich gesprochen habe und was mir aufgefallen ist an Amerika, wie ein Journalist habe ich berichtet. In Hamburg haben sie offenbar das meiste gut gefunden – "die jungen Leute muss man ausbilden, die sollen mal die Welt kennen lernen" und haben mir Freiheiten eingeräumt. Einmal habe ich über den Umfang der New York Times berichtet, was da alles drinsteht. Damals bestand sehr großes Interesse an Nord-Amerika und wie die Menschen dort leben, weil zu erwarten war, dass sich die europäischen Verhältnisse den amerikanischen nach Kriegsende angleichen, was ja auch in gewissen Bereichen der Technologie eingetreten ist. Der "Schmelztiegel" und andere Ideologien natürlich nicht. [85]
H. W.: Aber Sie waren ja jetzt kein verdienstvolles Mitglied der Firma. [86]
G. K.: Überhaupt nicht. [87]
H. W.: Sie waren ja völlig neu. [88]
G. K.: Ich war ein Jahr da und außer tachistoskopischen Untersuchungen über die Wahrnehmung von Werbung im psychologischen Institut Würzburg, ganz zu Beginn meiner Marktforschungs-Karriere, hatte ich noch nichts gebracht. Allerdings hatte ich mich zu einer damals für die Firma sehr wichtigen Marketing-Entscheidung – wird der Zigarettenmarkt der Zukunft von Filterzigaretten oder von Orientzigaretten beherrscht, die wegen ihres Tabaks als gesünder galten und zunehmend Verbreitung fanden –, richtig geäußert, unter Anwendung phänomenologischer Kriterien, das half wohl auch. Im wesentlichen sah man in mir ein Potenzial, denke ich. [89]
H. W.: Ja, also ein Vorschussunternehmen. [90]
G. K.: Ein Vorschuss, ja. Finanziell war ich nicht besonders reichlich ausgestattet, habe natürlich nicht in Hotels gewohnt oder in Restaurants gegessen, bin aber gut zurecht gekommen zumal in diesem Alter. Ich hatte immer noch aus der Kriegszeit den Gedanken im Hinterkopf, das man auch auf der Erde schlafen kann und vor allem sehen muss, wie man überlebt, da war das natürlich der Himmel. [91]
H. W.: Luxus. [92]
G. K.: Ja, viel von dem, was man sich überhaupt nur denken konnte. Und da bin ich dann durch das ganze Land gefahren. [93]
H. W.: Daher stammen Ihre ganzen Kontakte noch? [94]
G. K.: Ja. [95]
H. W.: Das war eine Basis, die Jahrzehnte später noch tragfähig war? [96]
G. K.: Ja. Mit Herta HERZOG bin ich immer noch sehr befreundet, sie ist hoch betagt und lebt in Tirol bei ihrer österreichischen Familie. Vieles, von dem, was ich früher geschrieben habe, habe ich ihr zur Kritik gesandt. Die Kontinuität war mir ganz wichtig. Die zweite Verbindung mit Social Research in Chicago war eigentlich noch enger. Ich habe angeregt, in Deutschland ein Institut zu gründen, das mit qualitativen Methoden arbeitet, das "Institut für Absatzpsychologie" in Hamburg. Erste Leiterin war Harriett MOORE von Social Research, das Institut entstand 1957 und hat bis Ende der 70er Jahre existiert. Es war das erste rein amerikanische Sozialforschungsinstitut in Deutschland, das qualitative Forschung dieser Art gemacht hat. Wir haben auch Wissenschaftler eingeladen, um uns weiter zu bilden, z.B. war Everett HUGHES da, auch aus Chicago oder vorübergehend Gastforscher von Social Research. Qualitative Forschung wurde damals auch durch die Forschungsabteilungen der großen amerikanischen Werbeagenturen verbreitet, vor allem durch Herta HERZOG bei McCANN. Es gab etwas später ein von Ernest DICHTER gegründetes Institut in Frankfurt (1971). DICHTER war in der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle Wien von LAZARSFELD in den dreißiger Jahren als Interviewer beschäftigt und in den USA sehr erfolgreich mit den LAZARSFELD-Methoden. Die Forschungsrichtung lief unter dem Stichwort "Motivforschung", ein Name, der auch von LAZARSFELD stammt. DICHTER ist stark in das Kommerzielle übergewechselt, was bei anderen Psychologen aus Wien nicht der Fall war. Herta HERZOG hat sich immer als Wissenschaftlerin verstanden, die Social Research Mitarbeiter ebenso, die dann auf Universitätslehrstühle abgewandert sind, nachdem sich die Forschungsrichtung nicht hat akademisieren lassen. [97]
Die Verbindung des Instituts für Absatzpsychologie mit Social Research war auch personell eng, die ersten drei Psychologen, die ich selbst angestellt habe, wurden nacheinander nach Chicago geschickt, um dort ausgebildet zu werden. Nach Harriett MOORE wurde das Institut von einer deutschen Psychologin, Renate MARTENS, geleitet. [98]
H. W.: Ja, das ist ja enorm, dass das so tragfähig war. [99]
G. K.: Das Institut hat von Reemtsma Aufträge bekommen, es hat genau die Forschung gemacht, die in der Praxis gebraucht wurde. Ich war der Auftraggeber und habe immer auch Protokolle gelesen. Wie ich wieder zurück war, wurde ich Leiter der Marktforschung bei Reemtsma. [100]
H. W.: Ja, erzählen Sie mal, wie Sie dann zurückgekommen sind, angefüllt mit all den Erfahrungen. Was hat Reemtsma mit Ihnen gemacht? [101]
2.4 Qualitative und quantitative Markt- und Sozialforschung in Hamburg
G. K.: Max PAULI hat gesagt, machen Sie mal einen Entwurf für diese Abteilung. Ich habe einen großzügigen Entwurf gemacht, das war so ein Anfängerfehler. Ich habe eine Abteilung konzipiert mit, weiß ich, fünf Leuten, die alle verschiedene Dinge machen sollten, für jede Wissenschaftssparte einen. Das war so ähnlich wie bei dem damaligen Studenten WHYTE, der für seine Street Corner Society 10 Leute haben wollte und dann alles alleine gemacht hat. In meinem Fall hat Max PAULI gesagt: "Ist ja alles sehr schön mit fünf Leuten, aber fangen Sie mal mit einem an." Und dann habe ich also einen eingestellt, mit dem ich auch immer noch befreundet bin, Ludolf REETZ, weder Soziologe noch Psychologe, sondern gelernter Buchhändler und ungeheuer belesen und forschungsinteressiert. In einer neuen Tätigkeit kommt es vornehmlich auf Interesse und Engagement an, etwas zu lernen. Ich habe dann langsam die Abteilung aufgebaut mit Psychologen und Volkswirten und Schreibkräften und einem Sekretariat, hatte aber mehr als sechs Leute überhaupt niemals. [102]
H. W.: Und das war die Marktforschungsabteilung in der Firma Reemtsma. [103]
G. K.: Ja. [104]
H. W.: Und es ging um Reemtsma Produkte? [105]
G. K.: Es ging zunächst um Zigaretten in Deutschland, sie waren das Hauptprodukt, aber forschungsmäßig habe ich gleich den europäischen Markt beobachtet. Später waren Getränke auch ein Interessensgebiet von Reemtsma. Dazu kamen Südamerika-Interessen, Brasilien und Argentinien, so dass ich dort auch intensiv Forschung gemacht habe, zum Teil auch in Australien und Südostasien. [106]
H. W.: Da sind Sie auch immer hingefahren ... [107]
G. K.: Da bin ich dann auch immer hingefahren. [108]
H. W.: ... und haben an Ort und Stelle geforscht? [109]
G. K.: Bis zu viermal im Jahr bin ich nach Südamerika gereist und habe Untersuchungen angelegt und die Feldarbeit ausführen lassen und bin dann nach einem Vierteljahr wieder hin gefahren und habe selbst die Analysen gemacht. Die mussten ganz schnell gemacht werden, weil sofort zu entscheiden war, was zu tun ist auf Grund der Forschungsergebnisse. Die Ergebnisse wurden den örtlichen Leitungspersonen und dem Chef vorgetragen, der ebenfalls aus Deutschland angereist war. Und dann wurden neue Projekte angelegt, das war da schon eine sehr organisierte Forschung mit Stunden-Planung. Das Wichtigste lief unter Grundlagenforschung. Dahinter stand auch die Firmenleitung. [110]
H. W.: Aber es ging doch um konkrete Entscheidungen? [111]
G. K.: Ja, immer auf dem Hintergrund von Grundlagenforschung. Verwender von Konsumgütern habe ich immer als Teil der gesamten Gesellschaft verstanden, über die man zuerst Bescheid wissen muss. Ich habe deswegen große Untersuchungen gemacht über gesamtgesellschaftliche Bedingungen, z.B. über soziale Schichtung und nationale Ideologien und hatte dabei auch Verbindung mit Wissenschaftlern, die sich mit den gleichen Problemen in den Forschungsinstituten beschäftigt haben. [112]
Die Grundlagenforschung war außerdem von allgemeinerem, d.h. auch akademischem Interesse und konnte veröffentlicht werden, während die alltägliche Forschungsarbeit zwar methodische Einsichten erbrachte, aber inhaltlich für Außenstehende nicht interessant und natürlich firmenspezifisch und vertraulich war. Man stellt sich immer vor, dass da Geheimnisse ausgekocht würden – tatsächlich werden sehr konkrete und oft sehr spezielle Fragen beantwortet oder deren Beantwortung vorbereitet, die z.B. die Marktbewegungen, Produktgestaltung oder Kommunikation betreffen. [113]
Ich habe auch Grundlagenforschung gemacht in Ländern, in denen keine kommerziellen Interessen der Firma existierten oder Zigaretten-Monopole herrschten wie in Frankreich. Das Argument war die Vorbereitung auf globale Marktverhältnisse, die ja inzwischen auch eingetreten sind. Die Firma schien damals großzügig, aber Kenntnisse mussten akkumuliert werden zum Ausgleich gegenüber den internationalen Konkurrenzunternehmen, die schon seit Jahrzehnten lokal vertreten waren. Die Besonderheit war das Vertrauen in junge Forscher. Es hieß: "lass 'mal die jungen Leute, die müssen ihre Erfahrungen machen, die müssen auch ihre Fehler machen können." Das waren völlig andere Bedingungen als heute. Heute, so scheint es mir, ist die betriebliche Marktforschung eingeengter und reduzierter in vieler Hinsicht, sie wird etwa aufgefordert, eine bestimmte Frage zu beantworten, ohne zu fragen, ob die Frage überhaupt berechtigt ist. Marktforscher oder Sozialforscher, so mein Eindruck, müssen sich heute mehr um Legitimation kümmern, warum sie etwas machen wollen, was das kostet, wo der "return on investment" liegt, was dabei vielleicht heraus kommt. Die Markt- oder Sozialforschung ist heute vielfach, wie auch andere Lebensbereiche, ökonomisiert, auf das reine Geldverhältnis zurück geführt. Sie orientiert sich nicht nur an der Realität, sondern auch am Auftraggeber, dem Interessenten. Der "dienstleistende" Marktforscher hat damit nicht nur ein Zeitproblem – das haben alle angewandten Wissenschaften – sondern auch ein soziales und oft auch noch ein hierarchisches Problem. Damals hatte ich dagegen große Freiheit, zu erforschen, was mir interessant und wichtig erschien, eben auch Grundlagen. Ich habe bis zu 120 Untersuchungen im Jahr angelegt, ausführen lassen und darüber berichtet, kleine und große, auch die damals größten kontinuierlichen Befragungen in (West-) Deutschland mit ca. 50 000 persönlichen Interviews im Jahr. Die Legitimation für Sozialforschung in einem Wirtschafts-Betrieb beruhte damals darauf, dass wichtige Marktentwicklungen, das sind immer auch Sozialentwicklungen, richtig prognostiziert werden. Man konnte nicht auf Dauer vor sich hinforschen und Ergebnisse präsentieren und dann stellte sich heraus, die stimmen nicht. Nicht: die waren methodisch angreifbar. Für Methoden hat sich im Anfang niemand interessiert, erst in den 70er Jahren haben die Lehrbuch-Betriebswirte gegen qualitative Forschung polemisiert. Kriterium war vordringlich die Marktveränderung. Wenn Sie hier irreführende Ergebnisse produzieren, wie "richtig" die Methoden auch gewesen sein mögen, wären Sie nicht mehr lange der Leiter geblieben. In der Konsumindustrie verändern sich die Märkte sehr schnell und vielfach erfahren Sie in relativ kurzer Zeit, nach einem halben Jahr, ob die Einführung eines Produktes erfolgreich war oder nicht. Dagegen können Sie dann ihre Prognose halten. Und da häufig große Geldbeträge auf dem Spiel standen, war die vermeintliche Großzügigkeit auch berechtigt. [114]
H. W.: Also das hatte dann schon einen Grund, dass Sie durften? [115]
G. K.: Es hatte den genannten Grund, eine bessere Vermutung über zukünftige Entwicklungen mit wissenschaftlichen Methoden zu erhalten, als durch die Alltagserfahrung allein. Deswegen hat es auch LAZARSFELD so nützlich gefunden, Kaufverhalten zu untersuchen. Ich war dann auch in der internationalen Zusammenarbeit mit anderen Großfirmen im Ausland tätig, das ging alles in Englisch und hat meinen Horizont erweitert, weil ich Methoden auch in weiteren Ländern ausprobieren konnte. Die amerikanische Forschung, die ich in New York und Chicago kennengelernt und adaptiert hatte, war leicht zu vermitteln, weil sie praxisbezogen war, wenn auch sehr unterschiedlich zu dem, was sonst auf dem Markt war. [116]
2.5 Verbindungen zu Universitäten: Psychologie und Soziologie
H. W.: Gab es auch Kontakte zu deutschen Universitäten? Sie haben von amerikanischen Universitäten gesprochen und sind in verschiedenen Ländern gewesen, um diese Forschung durchzuführen, aber wie war das hierzulande? [117]
G. K.: Als ich Psychologen für das Institut für Absatzpsychologie angestellt habe, habe ich mir gedacht, ich will die Art ihrer Ausbildung variieren. Ich habe also bei Curt BONDY in Hamburg angefragt, ob er jemanden hat, der das machen würde. Mit Peter R. HOFSTÄTTER, noch in Wilhelmshaven, habe ich auch geredet und mit Kripal Singh SOHDI an der FU Berlin. [118]
H. W.: SOHDI? [119]
G. K.: Ein indischer Sozialpsychologe, der leider früh verstorben ist. Bei ihm habe ich auch vorgesprochen, er hat einen seiner Absolventen vorgeschlagen. Mein zweites Bemühen war, akademische Psychologen für die Übernahme von Forschungsaufgaben zu gewinnen. Und das ist mir eigentlich überhaupt nicht gelungen. [120]
H. W.: An den Universitäten? [121]
G. K.: An den deutschen Universitäten. Ich war zum Beispiel bei Phillip LERSCH, Lehrstuhlinhaber in München, er hat auf das Angebot überhaupt nicht reagiert, seine Assistenten auch nicht. Niemand von ihnen hat sich für Verhaltensforschung und qualitative Methoden wirklich interessiert. Die waren weit weg vom Alltagsverhalten, ganz anders als die Wissenschaftler, die ich in Amerika getroffen habe. Wilhelm ARNOLD in Würzburg war eine Ausnahme und Bernhard HERWIG, Betriebspsychologe an der TH Braunschweig. Ich habe ja schon gesagt, dass ich mit Tachistoskopie in Würzburg angefangen habe, ausgerechnet mit Psycho-Physik, vor meiner ersten Amerika-Reise. Mir war damals nicht bekannt, dass Karl MARBE, der Würzburger Schule zugehörig, auch schon Werbung tachistoskopisch untersucht hat. Reinhold BERGLER war Assistent bei ARNOLD in Erlangen und Würzburg und hat sich dann auf dem Gebiet der Marktpsychologie profiliert, allerdings mit von HOFSTÄTTER übernommenen quantitativen Methoden, die damals der letzte Schrei waren. Mit den deutschen Universitäts-Psychologen bin ich zu keiner dauernden Zusammenarbeit gekommen. [122]
Mit den Soziologen war das anders – HORKHEIMER, wieder zurück in Frankfurt, hat mich eingeladen, dort zu referieren, und René KÖNIG in Köln hat mich sehr gefördert und ermutigt zu publizieren. Da war die Verbindung zur amerikanischen Sozialwissenschaft und besonders zur Chicago-Schule natürlich gegeben. Später haben mir Hamburger Soziologen, Heinz KLUTH und Janpeter KOB, einen Lehrauftrag am Institut für Soziologie angeboten, was zu einer dauernden Zusammenarbeit geführt hat. Meine Neigung zur Psychologie habe ich aber nie aufgegeben. [123]
H. W.: Bei BONDY kann ich mir vorstellen, dass das nicht sein Interessengebiet war. Aber bei HOFSTÄTTER wundert mich das ein bisschen. [124]
G. K.: HOFSTÄTTER habe ich auch nicht gefragt, weil er methodisch in eine andere Richtung gegangen ist als zur qualitativen Forschung. [125]
H. W.: Ja, er ist ja sehr quantitativ. [126]
G. K.: Sehr quantitativ geworden, er hat ja die quantitative Forschung in der Psychologie nach Deutschland ... [127]
H. W.: importiert sozusagen. [128]
G. K.: ... importiert, ja. Das war für mich nicht so gut geeignet, Quantifizierung und Statistik habe ich mit größeren Samples in Verbindung gebracht, aber Strukturen immer mit qualitativen Daten. Die deutsche akademische Psychologie der damaligen Zeit, der 50er und 60er Jahre habe ich nicht auf dem Stand gefunden wie die amerikanische und zumal die deutsche und österreichische Emigration. Das hat sich dann wohl geändert über die Zeit. Deswegen bin ich hier mit niemandem gut zurecht gekommen und habe selbst mit Importen gearbeitet und natürlich auch den meines Erachtens richtigen Zugriff zu den Entwicklungen in den USA gehabt. [129]
H. W.: Aber Sie haben deutsche Psychologen eingestellt, die hier ausgebildet waren. [130]
G. K.: Ja. [131]
H. W.: Aber mit den Ausbildern sind Sie nicht zu Rande gekommen. [132]
G. K.: Nein. Die Psychologen wurden ja nochmals ausgebildet, neu geschult in Chicago, bei Social Research, ihre hiesige Ausbildung war nur die Grundlage. Einer von diesen dreien ist immer noch in der qualitativen Forschung tätig, sein Institut leitet jetzt sein Sohn. [133]
H. W.: Und über welche Zeit reden wir jetzt? Das ist von 1954 bis 1976. [134]
G. K.: Ja. [135]
3. Die akademische Laufbahn als Soziologe in Hamburg
H. W.: Wie ist Ihnen denn der Übergang zur Universität gelungen? Sie wurden ja 1976 als Professor berufen. [136]
G. K.: Das ist der akademische Abschnitt meiner Biografie, gekennzeichnet durch die Daten 1968, wo ich Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg im Institut für Soziologie geworden und geblieben bin bis 1975, wo ich mich habilitiert habe und 1976 als Professor für Allgemeine Soziologie im Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften berufen worden bin, nach einer Ausschreibung. Ich blieb bis 1992 in der aktiven Arbeit und bin dann in den Ruhestand übergetreten. [137]
3.1 Der Zugang zur Universität
H. W.: Das heißt, dass Sie in der Zeit, wo Sie die angewandte Forschung gemacht haben, auch publiziert und sich habilitiert haben, so dass Sie überhaupt diesen Zugang zur Universität gewinnen konnten? [138]
G. K.: So war das. Ich habe frühzeitig im sozialwissenschaftlichen Bereich publiziert und zwar im Anschluss an meine amerikanischen Erfahrungen, weil ich gedacht habe, dass das, was in Amerika gemacht wird von den Forscherinnen und Forschern, die ich kennen gelernt habe, den Emigranten und den Forschern in der pragmatischen Tradition, dass das doch ziemlich verschieden ist von dem, was in Deutschland akademisch vorzufinden war. Ich hatte ja darüber gesprochen, dass ich von den hiesigen Universitäten, deren Psychologie-Abteilungen ich besucht habe, eigentlich nur von ARNOLD eine Unterstützung bekommen habe, der offen war für alle Art von Forschung, die aus Amerika kam. Aber er hat keine eigenen Beiträge liefern wollen oder können. Die Publikationen waren auf bestimmte Bereiche abgestellt, von denen ich gedacht habe, dass sie hier Interesse finden, und um zu zeigen, wie man mit den Verfahren umgehen kann, welche Ergebnisse man erhält. Der methodologische Aspekt spielte dabei immer eine Rolle. [139]
Publiziert habe ich zur qualitativen Forschung zunächst über Imageforschung. Ich habe den ersten Aufsatz in Deutschland geschrieben, der das Konzept im forschungstechnischen Sinne verwendet, er erschien 1959 in "Psychologie und Praxis" und behandelte die damalige Situation und die Möglichkeiten, die es bietet in der qualitativen Forschung. Dann gab es eine Reihe von Publikationen über angewandte Imageforschung, konkrete Imageanalysen, alle qualitativ. Ich habe über Politikerimages, ADENAUER, OLLENHAUER, BRANDT, bei den jeweiligen Wahlen berichtet, auch bei dem Internationalen Psychologenkongress in Kopenhagen (1961) mit damals sehr großem Interesse der Zuhörer, das natürlich auch den vermutlichen Wahlausgang betraf und die Frage, welche Images von den Politikern vermittelt wurden. Ich habe auch über das Image des "echten Mannes" berichtet, was Männer aus einfachen Sozialverhältnissen von sich selber halten und worin ihre Männlichkeit besteht, ein anderer Bereich der Ideologie-Produktion. Dazu gehört auch eine Reihe von verschiedenen nationalen Images: über die Deutsch-Schweizer 1962, die Deutschen 1963, die Österreicher 1964, empirische Forschungen, alle rein qualitativ. Zu dieser Zeit habe ich den Imagebegriff auch den Soziologen vorgestellt in Aufsätzen in der "Kölner Zeitschrift" 1960 und 1961 über soziale Schichtung und deren Images. Am vergnüglichsten war eine Untersuchung über den Gartenzwerg (1961), welches Image der Gartenzwerg hat (lachen H. W.). Da gibt es noch die lustige Geschichte, dass ich für die Publikation den Titel gewählt habe "Der Gartenzwerg und das deutsche Gemüt" und einer der Herausgeber eingewandt hat, der Titel sei nicht so gut geeignet für eine wissenschaftliche Zeitschrift ... [140]
H. W.: War das auch "Psychologie und Praxis"? [141]
G. K.: "Psychologie und Praxis", aber den Bedenkenträger kenne ich nicht, die Herausgeber waren ARNOLD, ROHRACHER und HOFSTÄTTER. Dann habe ich ihn umbenannt in: "Zur Phänomenologie des Gartenzwerges" (beide lachen), unter diesem Titel ist er auch erschienen. Ich bin nachträglich noch stolz darauf, weil es eine empirische, ich würde heute sagen qualitativ-heuristische Untersuchung ist und ein kulturanthropologisches oder ethnografisches Vorstellungsbild beschreibt mit dem Kern einer ver(klein)bürgerlichten, aber genuin mythischen Symbolik. Außerdem war es eines der ersten Beispiele für die qualitative Analyse alltäglicher Objekte. [142]
H. W.: Da wundert mich das jetzt umso mehr, dass Sie zum Beispiel nicht mit HOFSTÄTTER kooperieren konnten, das sind ja auch seine Themen gewesen. [143]
G. K.: Er hat aber ganz andere Verfahren und Instrumente verwendet, z.B. das semantische Differential, das er auch importiert hat. Meine Untersuchungen waren rein qualitativ und meine methodischen Vorbilder waren Herta HERZOG oder Harriett MOORE oder die Social Research Leute und Lloyd WARNER, die hätten das so ähnlich angegangen, obwohl sie es nicht gemacht haben, aber mit diesen Methoden hätten sie das gemacht. Damals bestand ja auch, das war Ende der fünfziger Jahre, die Meinung, dass die Sozialwissenschaften den Umschwung von einer nicht-quantitativen zu einer quantitativen Sozialpsychologie vollziehen sollten, alles Quantifizierte galt als wissenschaftlicher als qualitative Forschung. Aber die qualitativen Untersuchungen, wenn sie auf eine professionelle Weise gemacht wurden, nicht bloß deutendes Gerede waren oder nachträgliche Quantifizierungen, haben viel weiter geführt und auch die kulturellen Hintergründe der einzelnen Images erhellt und aufgeklärt, die alle nicht fassbar sind durch eine Skalierung, ein semantisches Differential oder durch eine Auflösung in Zahlenverhältnisse. [144]
H. W.: Kann man sagen, dass in der angewandten Psychologie damals tatsächlich mehr mit qualitativer Forschung gearbeitet wurde, während in der akademischen Psychologie das Quantitative favorisiert wurde, obwohl es sozusagen gar nicht nachgefragt war? [145]
G. K.: ... nur in der empirischen Forschung der Art, wie sie in Amerika betrieben wurde, in New York, Chicago und Berkeley. Das war nicht der Mainstream, sondern es waren bestimmte Personen oder kleine Gruppen, die qualitativ gearbeitet haben. Ich meine jetzt in der Psychologie und den Sozialwissenschaften, nicht in der Ethnologie oder der Psychoanalyse, da stellte sich das Quantifizierungsproblem nicht, deren klassische Verfahren sind ja qualitativ. In der amerikanischen akademischen Psychologie begann auch der Umschwung zum [146]
H. W: zum Quantitativen? [147]
G. K.: Weg von, beispielsweise, der qualitativen Tradition der Chicago-Schule zur Quantifizierung und in der Psychologie zum Behaviorismus, der ja sehr stark nach dem Krieg in Erscheinung getreten ist und sich mit Quantifizierung leicht hat verbinden lassen, obgleich das im Behaviorismus WATSONs nicht angelegt ist. Der Trend – oder soll man sagen, die Mode – wurde durch die in den 60er Jahren sich verbreitenden elektronischen datenverarbeitenden Maschinen gefördert, da war es naheliegend, zu deren Speisung Quantifiziertes zu verwenden, die Entwicklung begann aber schon vor der Elektronik und wurde durch sie nur noch verstärkt. HOFSTÄTTER hat das hier voll mitgemacht und viele akademische Psychologen haben sich entweder als unzuständig für Empirie erklärt, wie Phillip LERSCH oder Erich ROTHACKER, die haben ihre Persönlichkeits-Schichtenmodelle entwickelt und gepflegt, oder Gerhard PFAHLER mit anthropologischem Hintergrund. Andere, die empirisch gearbeitet haben, wie Robert HEISS in Freiburg, haben sich konzentriert auf Diagnostik und keine allgemein verwendbaren Methoden zur Verfügung gestellt, obgleich das mit dem Farbpyramidentest einmal versucht wurde. Wolfgang METZGER in Münster war der führende Gestaltpsychologe der klassischen Schule, Edwin TAUSCH in Frankfurt auch ein akademischer Gestaltpsychologe, beide auf ihre jeweiligen Fachgebiete bezogen, die Wahrnehmungspsychologie, wie es mir damals erschien. [148]
H. W.: Aber ich meine die Anforderung aus der Praxis, auch in Deutschland, was Sie ja gemacht haben, hat die akademische Psychologie nicht angefochten? [149]
G. K.: Überhaupt nicht erreicht. Die haben die Zeitschrift "Psychologie und Praxis" wahrscheinlich schon deswegen nicht gelesen, weil da "Praxis" stand. Also das ist dann eher von den jüngeren Leuten nachgeholt worden. [150]
H. W.: Aber, Sie sagten vorhin, dass HOFSTÄTTER einer der Herausgeber war. [151]
G. K.: Er war einer von drei Herausgebern, hat aber den qualitativen Ansatz nicht übernommen. Seine Spezialität, wenn man es so sagen kann, war eben, Alltagsverhalten umzusetzen in Quantifizierungen. Er hat sich dann auch stark auf die statistisch-methodische Ebene begeben. Sozusagen sein "Image" und sein akademischer Erfolg bestanden darin, dass er quantifiziert hat, wenngleich er früher auch offen war für Klinische Psychologie und qualitative Zusammenhänge. [152]
Meine frühen qualitativen Untersuchungen waren Erstuntersuchungen auf diesem Gebiet. Dann kam der Umschwung zur Quantifizierung und andere, die den Imagebegriff aufgenommen haben, haben ihn quantitativ gefasst, mit meines Erachtens eher begrenzten Ergebnissen. [153]
3.1.2 Soziale Schichtung und Mobilität
H. W.: Gut, aber Sie wollten sagen, dass Sie noch andere Themen hatten. [154]
G. K.: Der andere Bereich reflektiert auch meine amerikanischen Erfahrungen. Meine Untersuchungen über soziale Schichtung und Mobilität wurden angeregt von den Chicago-Leuten, besonders Lloyd WARNER, den ich schon mehrfach erwähnt habe. Die Ergebnisse seiner Gemeindestudie waren natürlich nicht ohne weiteres übertragbar auf andere Gesellschaften. Ich hatte große bevölkerungs-repräsentative Samples in Deutschland eingerichtet, ich war immer überzeugt, quantitative Forschung kann und solle repräsentativ für die Gesamtbevölkerung angelegt werden, das ist ihre Stärke. Da ist die Frage bei mir aufgetreten, ob ich die Repräsentativumfragen nicht nutzen kann für eine Sozialforschung über soziale Schichtung in Deutschland. Ich habe dazu ein Verfahren entwickelt und 1968 veröffentlicht, das SSE-Verfahren, die Soziale Selbsteinstufung. Sie bestand darin, dass man den Befragten eine Liste vorlegte mit Gruppen von verschiedenen Berufen, deren Sozialstatus man empirisch festgestellt hatte und die betreffende Person bat, ihrem eigenen Beruf danach einzustufen. Das war ein ganz einfaches und sehr kostengünstiges Verfahren, weil man nur eine oder zwei Listen vorlegen musste und die Angaben unmittelbar verwenden konnte – bei kommerzieller Sozialforschung, ob qualitativ oder quantifizierend, kostet jede Frage und jede Bearbeitung Geld. Es ist viel Vorbereitung in das Instrument und seine Validierung gegangen – aber es konnte dann viele Jahrzehnte verwendet worden, weil es hohe Stabilität über Zeit besitzt. [155]
Die akademische Alternative in den Sechzigern war ein Punktesystem mit Experten-Einstufung auf verschiedenen Skalen, das wissenschaftlich aussah, aber aufwendig und vor allem nicht verlässlich war. Die Skalen waren zeitabhängig durch Steigerung der Nominaleinkommen oder Zunahme des Besitzes von Sachgütern, etwa Radio, Bügeleisen, Kühlschrank, Pkw, so dass allein dadurch ein Aufstieg in höhere Schichten verursacht war, und man die Indizierten bei Zeitreihen wieder herabstuften musste, dann natürlich nach Gutdünken des Forschers, damit nicht alle in der Oberschicht endeten. Fraglich war auch, ob "Mixer und/oder Beschäftigung eines Dienstmädchens" (4 Punkte) als Statusmerkmale dienen konnte und beides einem Mittelschulbesuch entsprach (ebenfalls 4 Punkte). [156]
Die Selbsteinstufung allein über den Berufsstatus erwies sich dagegen als stabil, valide und korrekturunabhängig. Damit wurde soziale Schichtung kontinuierlich gemessen von der ersten Erhebung 1958 bis heute, nachdem die Reemtsma-Untersuchungen mit einem modernisierten Verfahren von der Gesellschaft für Konsumforschung GfK Nürnberg fortgesetzt wurden, so dass vergleichbare Daten über Sozialschichtung in Deutschland über fast fünfzig Jahre vorliegen. Sie haben das etwas irritierende Ergebnis, dass über lange Zeit mit den riesigen Bevölkerungsveränderungen, von Zu- und Abwanderungen, Umschichtungen, Gastarbeiteranwerbung und so weiter, sich die Anteile der sozialen Schichten sehr wenig verändert haben. Das Hauptergebnis ist die hohe Stabilität der gesellschaftlichen Verteilung von höheren und niederen Positionen. [157]
Gegenentwürfe waren die von Helmut SCHELSKY, der die "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" propagiert hat, dass wir durch die wirtschaftliche Entwicklung alle zu Kleinbürgern werden oder von Ulrich BECK, der behauptet hat, die Klassen und Schichten würden sich überhaupt auflösen durch Individualisierung. Die Schichtungs-Untersuchungen wurden, in der "Kölner Zeitschrift" veröffentlicht auf Anregung von René KÖNIG, Co-Autorin war Harriett MOORE. Sie sind dann in Mobilitätsuntersuchungen überführt worden und da hat sich auch ergeben, dass eine hohe Stabilität der Mobilitätsrate existiert, dass also die Gesellschaft nicht durchlässiger geworden ist über lange Zeiträume. Es gab eine akademische Diskussion in der Kölner Zeitschrift, ob die statistischen Indices in diesem Sinne aussagefähig waren, inzwischen, denke ich, ist die Stabilitätsthese weitgehend akzeptiert. Vergleichbare Untersuchungen in Brasilien haben dagegen eine sehr hohe Mobilitätsrate durch die Land-Stadt-Übertritte erbracht, bei der fast keine frühere soziale Position in die neue "gerettet" werden konnte, was zeigt, dass Durchlässigkeit per se nicht schon ein positives Kennzeichen einer Gesellschaft ist. Hier hätten sich qualitative Untersuchungen anschließen müssen. [158]
3.1.3 Qualitative Methodologie
Ein anderer Bereich des Interesses und von Veröffentlichungen war die qualitative Methodologie. Ich habe während meiner ganzen Reemtsma-Zeit eine sehr große Anzahl von Untersuchungen nicht nur geleitet, sondern immer auch Teile davon selber analysiert, qualitative Untersuchungen allzumal, weil ich unter dem Druck stand, etwas vorweisen zu müssen, das sich als stimmig oder wenigstens nicht als unsinnig herausgestellt haben sollte. Innerhalb einer Firma geraten Marktforschungsergebnisse, besonders wenn sie unerwartete Handlungsalternativen aufzeigen, manchmal in scharfe Diskussionen – da ist es schon sinnvoll, sich sehr um die Methoden und ihre Leistungsfähigkeit zu kümmern. [159]
Was nun die Lehre der Verfahren qualitativer Sozialforschung an der Universität betrifft, so war ich anfangs der Meinung, dass man sie überhaupt nur durch Nachmachen und Ausprobieren an vielen unterschiedlichen Beispielen erlernen kann, also durch Tun und nicht durch Zuhören oder Lesen von Büchern. Dies betrifft besonders die Analyse, den Knackpunkt einer jeden qualitativen Untersuchung, während die quantitativen Verfahren leichter kodifizierbar und lehrbar sind. Nun verlangt die akademische Profession aber auch die Lehre. Ich habe also versucht, eine qualitative Methodologie zu formulieren, die die Essenz dessen, was ich durch eigene Tätigkeit erfahren hatte, in einer verständlichen Form als Anleitung zum Selbst-Forschen weitergibt. Weil Forschung in meinem Falle vor allem Herausfinden von Unbekanntem war, nicht Reproduzieren oder Beschreiben oder gar Deuten aus der einen oder anderen Perspektive – damit kommen sie in der Praxis überhaupt nicht weiter – habe ich versucht, den Entdeckungsprozess zu systematisieren. Der Kern der Lehre war aber, dass man es selbst tun muss. [160]
H. W.: Dass man es vormachen muss, zeigen muss oder? [161]
G. K.: Dass man es lernen muss von jemandem, der das kann und dann muss ich das nachmachen und selbständig ausprobieren [162]
H. W.: So wie Sie es in Amerika gelernt haben? [163]
G. K.: Ja. Ich habe versucht, beides zu verbinden, einerseits es vorzumachen in Vorlesungen oder Veranstaltungen, andererseits die Leute anzustiften, es selber zu machen, nachzumachen und sie dabei zu beobachten und gegebenenfalls zu helfen und gleichzeitig eine Methodologie zu entwickeln, die sagt, warum man es so machen soll, in welcher Weise und nach welchen Regeln. Die haben sich als sehr einfach und nachvollziehbar herausgestellt, weil es nämlich Regeln aus der Alltagspraxis waren, die uns helfen, im täglichen Leben zurecht zu kommen und nur zu systematisieren waren. [164]
H. W.: Und haben Sie denn dazu veröffentlicht? [165]
G. K.: Die erste Veröffentlichung war die 1982. [166]
H. W.: Da waren Sie aber schon an der Uni? [167]
G. K.: Ja. [168]
H. W.: Also die methodologischen Themen waren nicht der Zugang zur Uni, sondern eher die ... [169]
G. K.: nein, überhaupt nicht [170]
H. W.: ... die Schichtung. [171]
G. K.: Die Schichtung, ja. Und die Schichtung war natürlich quantitativ, obwohl ich meine, dass sie auch einen heuristischen, entdeckenden Aspekt hatte, man wusste ja nicht, wie groß die Schichten waren und wie sie von einander abgegrenzt werden sollten und was ihnen zugrunde lag. Ich habe qualitative und quantitative Verfahren kombiniert, aber letzten Endes haben die großen quantitativen Studien Eindruck gemacht und ich galt als jemand, der Eingang gefunden hat in die akademische Forschung. Dieses Schichtsystem haben viele Leute verwendet. Ich sehe immer noch eines mit größtem Vergnügen: ich habe ja die sogenannte "Mittlere Mittelschicht" gefunden, es hat sich herausgestellt, dass das einfache Schema von Lloyd WARNER mit den sechs Klassen: obere/untere Oberschicht, obere/untere Mittelschicht, obere/untere Unterschicht aus der Untersuchung einer amerikanischen Kleinstadt für Deutschland in nationalen Untersuchungen zwar als Grob-Schema geeignet war, aber modifiziert und verfeinert werden musste. Auf Grund der Daten habe ich die beiden obersten Schichten, die obere und untere Oberschicht, zusammengefasst, die in kommerziellen Umfragen mit Fragebogen nicht unterscheidbar sind – die Oberschicht wird sich überhaupt nicht befragen lassen durch einen Interviewer. Die Mittelschichten haben sich differenzierter gezeigt, es gab eine "mittlere Mittelschicht" zwischen der oberen und unteren Mittelschicht, die auch nach WARNER gut fassbar sind. WARNERs beide Unterschichten habe ich identifiziert, aber dann noch die "Sozial Verachteten" gefunden, das ist das MARXsche "Lumpenproletariat" und da doch gleich vier Prozent gemessen in Deutschland. International spricht man vom Subproletariat oder der underclass. Das ist dann auch akzeptiert worden. Wenn ich heute eine Schicht-Gliederung sehe, fallen die untersten Gruppen oft weg, so, als ob es sie nicht gäbe, aber die mittlere Mittelschicht ist geblieben und wann auch immer ich sie sehe, weiß ich sie stammt aus meiner ersten Untersuchung. [172]
Aber wir sprachen von der qualitative Methodologie. Ich habe gedacht, ich will es doch mal versuchen, ob man etwas aus der Praxis abstrahieren kann und in eine Regel gießen, als Anleitung für die Praxis. [173]
H. W.: Und das ist dann dieser Aufsatz von '82 [174]
G. K.: Da ist der Aufsatz erschienen und später 1995 das Lehrbuch erschienen und eine Aufsatzsammlung zum gleichen Thema. An der Uni habe ich mich beteiligt an den Methodenvorlesungen, da habe dann sowohl quantitative und qualitative Untersuchungen und immer Klassiker vorgestellt, dass die Studenten sehen, da ist ganz viel da, man kann ganz viel lernen von den Klassikern. Ich habe dann auch gezeigt, wie die das gemacht haben, mit dem methodologischen Interesse, dass man das auch nachmachen kann. [175]
H. W.: Das waren aber dann soziologische Klassiker. [176]
G. K.: Die Klassiker waren auch Psychologen, zum Beispiel die HAWTHORNE Experimente, deren sozialpsychologische Seiten, oder die Gestaltpsychologen. Die Marienthal-Studie wird auch als sozial-psychologisch angesehen, die Ausführenden waren ja Schüler und Schülerinnen der BÜHLERs und sie ist methodisch qualitativ mit eingestreuten quantitativen Verfahren. Vor allem war mein Anliegen, den Studierenden zu zeigen, dass sehr viel mit Offenheit der Methodik zur Ausrichtung auf neue Erkenntnisse gemacht werden kann. Wenn ich etwas Neues erfahren will, ist es hilfreich, verschiedene Methoden anzuwenden und es kann an der Literatur gezeigt werden, dass die als klassisch angesehenen Untersuchungen viele unterschiedliche Wege gegangen sind. [177]
3.2 Die Zeit an der Universität
H. W.: Ich wollte noch mal zurückkommen zu Ihrem Übergang von der Praxis zur Universität; das ist ja ein ziemlicher Sprung gewesen ... [178]
G. K.: ja. [179]
H. W.: ... zumal Sie vorher ja den Zugang nur über diesen Lehrauftrag hatten und nicht durch irgendwelche Kooperationen mit anderen Instituten oder Hochschullehrern und auf einmal sind Sie Professor und machen Lehrveranstaltungen und haben ein völlig anderes Arbeitsfeld als vorher? Das stelle ich mir nicht so ganz einfach vor. [180]
G. K.: Der Übergang war durch meine Tätigkeit als Lehrbeauftragter erleichtert. Das eigentlich neue Arbeitsfeld war nicht die Empirie, da habe ich einfach das erzählt, in geordneter Form, was ich schon wusste oder habe mich dann in die Klassiker eingearbeitet. Ich habe natürlich nicht alle Methoden genau gekannt, oder alle Bücher so genau gelesen, wie man sie lesen muss, wenn man darüber berichtet, aber im Ganzen war mir das Gebiet sehr vertraut. Und ich hatte schon einen eigenen Ansatz, den heuristischen. Ich habe gefragt: Was haben die Leute eigentlich gefunden durch dieses oder jenes Verfahren oder warum ist das eine Erkenntnis gewesen, die immer wieder zitiert wird und von der spätere Wissenschaftler meinen, dass es eben gut war, diese Untersuchung zu machen. [181]
3.2.1 Lehre an der Universität
Neu für mich war die Lehre der soziologischen Theorie und der Theorienvergleich. Ich war ja für allgemeine Soziologie berufen worden und die beiden Bereiche, die abzudecken waren, waren Methoden und Theorien. Die Besonderheit war, dass ich eigentlich berufen worden bin auf dem Hintergrund, dass ich Empirie machen kann, nämlich große quantitative Untersuchungen. Wie es soweit war, habe ich gedacht, quantitative Sozialforschung ist eigentlich sehr gut vertreten in Hamburg, wir können mit einer Reihe von exzellenten Leuten aufwarten, aber was fehlt, ist die qualitative Forschung. Also habe ich angefangen mit qualitativen Methoden. Das war etwas irritierend für manche. [182]
Aber noch mehr war irritierend, dass ich bei den Theoretikern mit MARX angefangen habe. Das passte überhaupt nicht in das Vorstellungsbild, dass ich jemand war, der von der Industrie kam und jetzt vielleicht industriefreundliche Theorien hätte mitteilen wollen. Aber ich habe die akademische Freiheit äußerst genossen und das gemacht, von dem ich gedacht habe, das fehlt hier und ich will es jetzt noch mal genau wissen, was es mit MARX auf sich hat. HEGEL und MARX waren natürlich vertreten in den theoretischen Einführungen, aber nicht Gegenstand intensiveren Studiums, obgleich Siegfried LANDSHUT vor seiner Emigration in Hamburg die Frühschriften erstmals herausgegeben hatte. Mit MARX Lektürekursen bin ich auf großes Interesse bei den Studierenden gestoßen und ich selbst habe wahnsinnig viel gelernt davon und habe mehrfach, ich glaube dreimal, den ganzen Zyklus vom frühen bis zum späten MARX durchgemacht in jeweils drei Semestern. Eine Querverbindung zur qualitativen Methodologie hat sich insofern hergestellt, als die Dialektik, die ja bei MARX besonders ausgeprägt ist, meines Wissens in der praktischen empirischen Sozialforschung bis dahin überhaupt nicht vertreten war. Es ergab sich auch ein Ansatz für kritische Sozialforschung durch das Hinterfragen von Ergebnissen oder eine Verbindung von scheinbar positivistischem Beginn und Kritik. [183]
H. W.: Da sind Sie erst durch die MARX-Studien drauf gestoßen? [184]
G. K.: Durch die MARX-Studien wurde mir die Alltagsdialektik bewusst. Der Alltag ist ja reich an dialektischen Widersprüchen und Verläufen. [185]
H. W.: Und vorher war das noch nicht Ihr Thema? [186]
G. K.: Die Dialektik ist da erst dazu gekommen. Ich habe HEGEL gelesen und die sozialistischen Klassiker, die ganze dialektische Tradition hat mich interessiert, auch die Frankfurter Schule. Sie ist ja theoretisch sehr weit fortgeschritten, aber empirisch doch eher etwas schwach entwickelt. [187]
H. W.: Oh, das sind doch auch berühmte Untersuchungen? [188]
G. K.: Ja, aber sie sind doch eher durch ihre Themen berühmt als durch ihre Ergebnisse. Bei der "Authoritarian Personality" ist es mir sehr zweifelhaft, ob man den Hitlerismus allein auf autoritäre Familienstrukturen zurückführen kann und ob sie eine so entscheidende Rolle spielen, weil es Autoritarismus auch dort gibt, wo sich der Nazismus nicht entwickelt hat wie in den USA. [189]
H. W.: Aber z.B. die Untersuchungen von POLLOCK, die Gruppenexperimente, sind doch sehr methodenorientiert ... [190]
G. K.: Die große Bedeutung der Frankfurter, denke ich, sind theoretischen Analysen über den Zusammenhang von Gesellschaftsstruktur und Individuum und das Verhältnis von Nazismus und Kapitalismus. Die Frankfurter waren keine Empiristen und schon gar nicht Methodologen, sondern Sozialphilosophen und da liegt ihre große Leistung. Es gibt bedeutende Untersuchungen, wie die von ADORNO über Ideologie und über Musik, von Leo LOWENTHAL über Literatur und Agitation, von Paul MASSING über den Antisemitismus oder die Frankfurter Gruppenexperimente über Vorurteile, aber ohne Methodologie und Reflexion über die Verfahren selbst. [191]
Die qualitative Methodologie, wie man etwas findet mit qualitativen Daten, hat mich dagegen immer sehr beschäftigt, das war mein Fokus. Es ist der Vorteil der universitären Lehre, im Gegensatz zur Praxis, dass man über das ganze Feld nachdenken kann. [192]
Bei einer Systematisierung der Methoden ist mir aufgefallen, dass bestimmte Methoden für qualitative Untersuchungen nicht mehr bekannt sind und gelehrt werden, die früher eine Rolle gespielt haben. Ein Beispiel ist das qualitative Experiment aus den Naturwissenschaften (MACH) das von den Würzburger Psychologen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts verwandt wurde. Ich habe 1986 darüber einen Aufsatz geschrieben, der eigentlich ein historischer Aufsatz ist und zeigen wollte, wie man das Verfahren heute verwenden kann. Introspektion ist ein anderes, ursprünglich historisches Verfahren. Dann gibt es Methoden, die aus der Alltagspraxis stammen und die auch nicht verwendet werden, aber auch ergiebig sind, wie das rezeptive Interview als Befragung, die mit einer stark rezeptiven Haltung des Interviewers arbeitet, wodurch die Befragungsperson angeregt wird, eine zumeist lange Geschichte mit eigenem Thema zu erzählen. Es funktioniert nicht immer, aber wenn es dazu kommt, sind die Geschichten äußerst interessant. Oder auch die Entwicklung der heuristischen Textanalyse, also die Verwendung von Experiment und Beobachtung bei der Analyse von Texten. Das sind alles Methoden, die zu entdecken oder zu entwickeln mir erst durch die universitäre Tätigkeit ermöglicht wurde. [193]
3.2.2 Forschung an der Universität
H. W.: Haben Sie, nachdem Sie zur Universität gewechselt waren, noch weiterhin im in dem vorigen Feld geforscht, gab es noch Verbindungen, noch Aufträge, die Sie dann mitgenommen haben an die Uni? [194]
G. K.: Nein, fast gar nicht. [195]
H. W.: Sondern es war ein richtiger Bruch. [196]
G. K.: Es war ein richtiger Bruch, ja. [197]
H. W.: Das eine zu Ende und etwas völlig Neues angefangen. [198]
G. K.: Ich habe das Gleiche mit Studierenden weiter gemacht, was früher kommerziell war. Ich habe beispielsweise zwei Semester ein empirisches Praktikum über den Fremden gemacht. Da haben Studierende selbst Interviews ausgeführt und Beobachtungen und Experimente ausgeführt und Protokolle angelegt und sie analysiert. Die Themen haben gewechselt, aber die Methoden haben sich zwar erweitert, sind aber dann nicht völlig neu entwickelt worden. [199]
H. W.: Ich erinnere mich an ein Gespräch, das wir einmal hatten über Forschungsprojekte. Das finde ich jetzt umso erstaunlicher, weil Sie ja in der Industrie große Forschung mit großen Mitteln gemacht haben und im Universitätsbereich eigentlich ohne Mittel gearbeitet haben. Wenn ich unser Gespräch richtig erinnere, dann haben Sie gesagt, dass die Drittmittelvergabe für Sie völlig unzumutbar war, dass sie da überhaupt keine Versuche mehr gemacht haben, da auch nur eine müde Mark zu kriegen, sondern stattdessen nur mit den Möglichkeiten, die Ihnen die Universität bot durch Studierende, die Untersuchungen machen mussten oder konnten, gearbeitet haben. [200]
G. K.: Dem ist leider so. Das heißt, ich hätte liebend gerne mit Forschungsgeldern gearbeitet, ich habe mich aber, nachdem ich es zweimal versucht habe, so geärgert über dieses Unverständnis, ein möglicherweise nur vermeintliches Unverständnis der kontrollierenden Institution, dass ich mir sagte, das will ich überhaupt nicht mehr machen. Das erste Beispiel war eine sehr kleine Untersuchung mit einem Studenten über soziale Normen bei türkischen Immigrantenfamilien bei Gelegenheit einer Befragung von türkischen Mädchen. Wir haben, glaube ich, 30 qualitative Interviews erbeten, die haben wir auch bekommen. Nach 10 Interviews war das Problem völlig durchschaubar, die Rolle des Vaters, der Mutter und der anderen Familienmitglieder gegenüber einem fremden Interviewer und welche Regeln einzuhalten waren und wie sie in Konflikt standen zu den Regeln der deutschen Gesellschaft, und welche Vorstellungen die jungen Mädchen hatten. Ich habe dann nochmals 10 Interviews machen lassen mit gleichem Ergebnis und dann einen Bericht vorgelegt auf Basis von 20 Interviews. Den habe ich zurückbekommen mit der Aufforderung, 10 Interviews nachzumachen, weil es so im Antrag stand. Ich habe gedacht: welches Unverständnis! Bei Forschung geht es meines Erachtens um die Ergebnisse, nicht, ob ich die Anzahl der Interviews erfülle, von denen ich ja vorher gar nicht weiß, wie viele ich brauche, um zu einem Ergebnis zu kommen. Ich habe gedacht, ich werde mich in Zukunft besser fühlen, wenn ich nicht wieder so jemanden als Aufsicht habe. Das andere Beispiel waren die großen Mobilitätsstudien in 10 Ländern, für die ich Repräsentativsamples verwendet habe, in Europa und Lateinamerika. Ich habe Stiftungsgelder beantragt, um darüber einen Bericht zu schreiben. Das ist mir nach Begutachtung abgelehnt worden. Da habe ich gedacht, ich war noch neu an der Uni, ich werde überhaupt nicht mehr solche Anträge stellen an Leute, die nicht reif sind, Forschung zu begutachten und gerne auf dieses Geld verzichten. Ich werde in Zukunft Forschung mit Studierenden machen, so weit vom Thema her möglich. [201]
Da kam mir entgegen, dass man qualitative Forschung auch mit kleinen Samples machen kann und die Studierenden ohnehin lernen sollen, mit den verschiedenen Methoden zu arbeiten und warum soll ich das nicht bündeln zu Projekten. Hinzu kam, dass ich nach einer Anlaufphase immer große Zuhörerzahlen hatte, ich konnte ohne weiteres hundert Interviews machen lassen oder fünfzig Beobachtungen oder sechzig qualitative Experimente, das waren überhaupt keine Schwierigkeiten. Die Studierenden, die Empirie lernen wollten, haben das mit Begeisterung gemacht, das war alles sehr viel besser, als was ich kommerziell hätte machen können oder auch über Stiftungen hätte machen können. Zum Großteil konnten die Studierenden ihre Forschungsfähigkeiten bei eigenen empirischen Untersuchungen im Rahmen von Magister- oder Diplomprüfungen nutzen, so war allen geholfen. [202]
G. K.: Ich möchte noch die qualitativen Analysen erwähnen, die ich zuerst für die Lehre gemacht habe und die in dem genannten Aufsatzband veröffentlicht sind, etwa über KOHL-Reden [203]
H. W.: Das ist im Fechner Verlag. [204]
G. K.: Ja, Fechner, das habe ich dann im Rahmen der Methodenvorlesungen verwendet. Oder über RILKEs Grabspruch, ein ganz schwieriger Text, um zu prüfen, wie weit meine Methoden der Textanalyse reichen. [205]
Ich will noch zwei Forschungsbereiche erwähnen. Der eine ist die Lebensweltforschung, das ist auch ein wichtiges Forschungsgebiet. Sie geht zurück auf die 70er Jahre und hat mich schon bei Reemtsma beschäftigt. Damals war die Markt-Segmentation ein großes Thema, weil Computer verfügbar waren für die Verarbeitung von quantitativen Daten. Ich habe sehr lange, über viele Jahre, an Segmentationen gearbeitet, sie aber als Segmentation der Bevölkerung aufgefasst, also grundsätzlicher, nicht als solche der Produktverwendung. Die konnten dann zu "Lebenswelten" verdichtet werden, zu empirisch vorfindbare Lebensformen, die sich vornehmlich durch Geschlecht, Alter und Sozioökonomie unterscheiden und weitgehend vorgegeben sind im Gegensatz zum Lifestyle, einer von mehreren Verhaltensalternativen oder Moden. Die Lebenswelt-Forschung ist die Fortsetzung meiner Untersuchungen über soziale Schichtung. Hier arbeitet man zunächst rein quantitativ mit vielen Verhaltens- und Einstellungs-Items und mit großen Samples. Friedrich KROTZ hat den Stand der Forschung in seiner Dissertation vorgestellt (1990) mit einem von ihm entwickelten Verfahren der Gliederung. Ich führe diese Forschungen weiter, die Ergebnisse werden verwendet im Markt- und Medienbereich. Hier ist die Verbindung der quantitativen und qualitativen Ansätze charakteristisch insofern, als Strukturen von quantitativen Daten identifiziert werden durch Clusteranalysen und diese dann qualitativ untersucht werden. Die Heuristik ist die Klammer für verschiedene Datenformen, sie ist sehr ähnlich für qualitative und quantitative Daten. [206]
Der zweite derzeitige Forschungsbereich ist die Introspektion, deren Untersuchung wir ja gemeinsam ins Leben gerufen haben in unserer Hamburger Arbeitsgruppe Introspektion. Die Forschungsmethode ist psychologisch, sie hat aber auch mit den jeweiligen sozialen Bedingungen zu tun, das macht sie besonders interessant. Introspektion war die Hauptmethode der Psychologie zum Anfang ihrer wissenschaftlichen Entwicklung und durchaus qualitativ. Auch jemand, der so stark für die Entwicklung der quantitativen Sozialforschung bekannt ist, wie Paul LAZARSFELD, hat die Introspektion als eine wichtige Methode der Sozialforschung angesehen. Wir können uns auch auf die frühen Psychologen berufen. [207]
3.2.4 Leitfiguren in der Wissenschaft. Der Weg zur Heuristik
H. W.: Sie beziehen sich in Ihrer Argumentation zur Heuristik ja nicht nur auf Sozialwissenschaftler, sondern vorrangig auch auf Naturwissenschaftler, z.B. auf Ernst MACH. Wie und wann sind Sie denn auf den gestoßen? [208]
G. K.: Ich kannte seine "Analyse der Empfindungen" von 1886 aus meinem psychologischen Literaturstudium und dachte, das Buch ist ein Beispiel der Elementen-Psychologie, durch die Gestaltpsychologen und FREUD überholt. Dann habe ich LENINs Buch "Materialismus und Empiriokritizismus" gelesen, das sich vor allem mit MACH auseinander setzt und ihn kritisiert, als "Empiriokritizist" in der Nachfolge von BERKELEY, HUME und KANT. Das hat mich hellhörig gemacht, dass ihm eine solche Bedeutung zugemessen wird. Ich habe dann angefangen, MACH selbst zu lesen und war fasziniert nicht nur von der Person, die ja einen großen Einfluss auf die Wissenschaftstheorie des Anfangs des letzten Jahrhunderts gehabt hat, nicht nur auf den Wiener Kreis, sondern auch die Ganzheits- oder Gestaltpsychologie und natürlich die Physik. Er war in Prag und dann in Wien zu einer geistesgeschichtlich ganz wichtigen Zeit. Ich habe dann ziemlich viel von MACH gelesen, die naturwissenschaftlich-historischen Werke, die populärwissenschaftlich geschrieben sind. Ein Fund war das Buch "Wahrheit und Irrtum. Zur Psychologie der Forschung" von 1905, basierend auf Vorlesungen vom Ende des vorhergehenden Jahrhunderts. Er beschreibt, wie ein Naturwissenschaftler vorgehen kann, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen mit sehr vielen Beispielen aus der Geschichte der naturwissenschaftlichen Entdeckungen. Wenn das jemand wie MACH geschrieben hat, der ja selbst ein Entdecker war und wichtiger Vorläufer für EINSTEIN, der ihn hoch geschätzt hat, hat das ein besonderes Gewicht. Ich habe gefunden, dass die Methode, wie man etwas entdeckt, bei ihm ganz zentral ist und mit ganz anderen Regeln und Vorgehensweisen arbeitet, wie sie dann z.B. vom Wiener Kreis propagiert wurden im so genannten Physikalismus oder Scientismus oder auch in POPPERs Deduktionismus, wo die großen Entdeckungen der Naturwissenschaften mit der Hypothesenbildung und der Prüfung von Hypothesen – Bestätigung oder Ablehnung – in Verbindung gebracht werden. Das ist bei MACH überhaupt nicht der Fall – die Hypothese spielt eine Rolle, aber das Entdecken ist eigentlich der Kernpunkt seiner Wissenschaftsrichtung und die Überwindung der Vorannahme. Dann habe ich auch Schriften anderer Naturwissenschaftler daraufhin angesehen, was sie über ihre Methoden geschrieben haben und gefunden, dass die Naturwissenschaften vor allem seit GALILEI den entdeckenden Aspekt als ihre Leitlinie angesehen haben. Man kann auf diese Weise verfolgen, dass die Entwicklung der Naturwissenschaften über die Natur-Entdeckung erfolgt ist (und über ihre Unterwerfung und Ausbeutung, die MACH nicht behandelt). Das ist ja keine besonders neue Erkenntnis, aber es gibt auch, was ich nicht wusste, parallel zu den Entdeckungen, eine bedeutende philosophische Literatur über Heuristik oder die Wissenschaft von der Entdeckung. [209]
Unser Methodologie-Problem in den Sozialwissenschaften, aber auch in der Psychologie, beginnt mit der Abspaltung der Geistes- von den Naturwissenschaften vornehmlich durch Wilhelm DILTHEY, welche die Psychologie selbst auch gespalten hat. Die Geisteswissenschaften haben sich, vereinfacht gesagt, zunehmend auf das Narrative, das vielleicht noch Nachempfindende, Einfühlende oder Deutende und auf den Einzelfall, das Idiographische letzten Endes zurückgezogen, auf die Hermeneutik als Deutungskunst, obwohl das z.B. bei SCHLEIERMACHER, auf den sich DILTHEY auch bezieht, so nicht angelegt war, bei ihm gibt es auch eine Heuristik. Die Geisteswissenschaften finden sich jetzt in die zweite Reihe gestellt nach den Naturwissenschaften. Naturwissenschaftliche Entdeckungen bestimmen das Leben heute und nicht die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse. Ich denke, darin zeigt sich eine Grundschwäche der Geisteswissenschaften und ihrer Methoden, sie fassen die sozialen Probleme nicht, wenn sie sich zurückziehen auf eine Interpretation der jeweiligen von Naturwissenschaft und Technik im bestehenden Wirtschaftssystem geschaffenen Fakten. Die Geisteswissenschaftler sollten die gesellschaftlichen Bedingungen untersuchen, unter denen wir leben, einschließlich der Herrschaft der Naturwissenschaften und deren Einbindung in das Wirtschaftssystem und dieses selbst zu erkennen suchen in seinem Wesen und seinen Auswirkungen und sich nicht auf seine Deutung zurückziehen. Es gab in der Soziologie, die als eine Krisenwissenschaft im 19. Jahrhundert angetreten war, in den späten 70er Jahren sogar das so genannte "interpretative Paradigma", das behauptet, die eigentliche Methode der Geisteswissenschaften sei, zu interpretieren, das sich später auf die "Interpretation des Interpretierten" erweiterte. Mit der Hermeneutik als Grundmethode, wie von DILTHEY vorgeschlagen, sind die Geisteswissenschaften, denke ich, auf einem falschen Weg. Selbst die Theologie, die als Transzendentallehre Deutung erfordert, verwendet neben der Hermeneutik ("was will uns der Text sagen?") die kritisch-historische Exegese, die einen Text danach beurteilt, wie er historisch einzuordnen ist. Dies ist die wissenschaftliche Seite, sie erforscht, welcher Text der Bibel von wem stammt und von wann und welche verschiedenen Autoren man da entdecken kann und wie sich ein Text mit anderen vergleicht und wieso er zu einem Autor, zu einer Region, einer Zeit und schließlich zu einer Gesellschaftsform passt etc. Was in den Geisteswissenschaften ansteht, ist die Erforschung dessen, was passiert ist und passiert, im physisch-materiellen und im geistig-ideologischen Bereich. [210]
H. W.: Da schließt sich unter Umständen der Bogen zu Ihrem Studium. Sie haben Glück gehabt, dass sie in Ihrem Studium auf diese Richtung gestoßen sind. [211]
G. K.: Ja. [212]
H. W.: Oder ist es umgekehrt: dass da schon so etwas wie eine Prägung stattgefunden hat, eine Ausrichtung in diese Richtung? [213]
G. K.: Die sich aber dann durch die Dialektik des Fragens und Antwortens verstärkt hat. Denn die Phänomenologie, sie war ja meine Ausgangswissenschaft, ist im Prinzip nicht dialektisch. Wenngleich sich das bei Jean-Paul SARTRE mischt, er war sowohl kritischer Philosoph als auch Phänomenologe. Aber eigentlich ist HUSSERL nicht dialektisch oder SCHÜTZ. Dialektik fällt auch den amerikanischen Sozialforschern schwer, zum Beispiel Anselm STRAUSS, dessen Ansatz ich sehr schätze, aber doch den früheren mehr, den aus der Zeit der Zusammenarbeit mit Barney GLASER, der auf Entdeckung ausgerichtet ist, "Discovery" steht im Titel des gemeinsamen Buches. Die spätere Schrift STRAUSS/CORBIN ist mehr dem Deuten verfallen. Dialektisch und damit kritisch sind beide nicht. Dieses Interesse am Herausfinden hat sich bei mir früh gezeigt, ich habe Glück gehabt durch mein Studium, die industrielle Praxis und die spätere universitäre Forschungs- und Lehrtätigkeit, dass die Grundthemen geblieben sind, und Vieles sich dann doch geschlossen hat. Insofern bin ich froh, dass ich diesen Weg weiter gehen konnte. Ich habe natürlich während der Industriezeit nicht nachgedacht über das Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaften, was mir jetzt als sehr wichtig erscheint und als Fehlweg der Geisteswissenschaften in vieler Hinsicht. Nicht überall, es gibt natürlich Ausnahmen und Gegenbewegungen, ich will das nicht pauschalieren, aber die Gefahr sehe ich doch sehr. [214]
H. W.: Und hat es Auseinandersetzungen gegeben, Diskussionen zwischen diesen verschiedenen Orientierungen, aus denen etwas Neues entstanden ist? Haben Sie zum Beispiel Diskussionen mit Frau HOFFMANN-RIEM gehabt, die ja eher den narrativen, interpretativen Weg verfolgt hat oder mit OEVERMANN zum Beispiel oder anderen, die Sie kritisieren? Hat es Debatten gegeben, um einen Konsens zu finden oder die Differenzen heraus zu arbeiten oder ist das so nebeneinander her gelaufen? [215]
G. K.: Mit Christa HOFFMANN-RIEM war eigentlich die Gemeinsamkeit das Entscheidende, weil wir beide als einzige in einem methodologisch deduktiv-nomologisch und quantitativ ausgerichteten Institut waren. Wir haben uns als sehr ähnlich empfunden, stimmen ja auch in der "Offenheit" qualitativer Forschung überein, obwohl dies eigentlich ein heuristisches Merkmal ist. Sie wusste, dass ich eine breitere und auch offenere qualitative Methodologie anbiete, eben eine entdeckende, bei der eine Reihe von Methoden verwendet werden können, die nicht zum soziologischen Kanon gehören, wie zum Beispiel das qualitative Experiment oder verschiedenen Formen der Fragebogenerhebungen, ich also auch die psychologische Tradition der qualitativen Forschung nutzen will. Aber das Narrative, das ja z.B. im TAT auch als eine sozialpsychologische Technik angesehen werden kann, ist in ihrem Adoptionsbuch wunderbar genutzt. Die Methodenbeschränkung gibt es auch bei STRAUSS, er verwendet die Kombination von Beobachtung und Befragung, die klassische Form der soziologischen Erhebung, was viel bringt, aber noch ergänzt werden sollte durch andere Verfahren. Mit Wissenschaftlern, die einen streng hermeneutischen Ansatz vertreten, bin ich in direkte Auseinandersetzung nicht eingetreten, im meinem "Lehrbuch" habe ich aber an Beispielen gezeigt, was meines Erachtens daran falsch ist. Im Augenblick scheint der Konsens im Fach eher zu sein, dass die qualitative Datenform zur Deutung herausfordere und nicht zur Entdeckung, die natürlich auch bei Texten möglich ist. Jedoch gibt es Übereinstimmung mit manchen Psychologen, wie zum Beispiel mit Jarg BERGOLD oder Gerd JÜTTEMANN, der auch historisch arbeitet. [216]
H. W.: Aber von Außen gesehen, aus der quantitativen Perspektive, wird es wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen, dass es innerhalb der "Qualitativen" so gravierende Differenzen gibt, Unterschiede und unterschiedliche Positionen? [217]
G. K.: Die Deutungskunst ist derzeit nur eine akademische Angelegenheit, in der Forschungspraxis kann sie sich nicht behaupten, was nicht heißt, dass wieder große Gurus auftreten können. Für mich kommt noch hinzu, dass ich bei einigen Leuten, die eine deduktiv-nomologische Position vertreten, als quantitativer Forscher angesehen wurde, weil sie meine Studien über Mobilität und Schichtung in Erinnerung hatten. Manche glauben, ein qualitativer Forscher könne keine Statistik, also arbeite er qualitativ. Unter diesen Vorurteilen habe ich aber nicht leiden müssen. [218]
H. W.: Na, ja. Sie haben aber auch eine andere Haltung den Quantitativen gegenüber. Sie propagieren die Kombination von qualitativ und quantitativ, was ja manche Qualitative überhaupt nicht tun. Und insofern sind Sie natürlich nicht der Buhmann. [219]
G. K.: Ich habe ja auch in der Industrie-Zeit, wo ich "nur" Forscher war, nicht Lehrer, viel quantitativ gearbeitet. Und da eben auch gelernt, dass die Datenform nicht schon per se ein Wahrheitskriterium ist, dass auch Quantifizierungen irreführen können. Man kann sowohl mit qualitativen als auch mit quantitativen Daten unterschiedlich umgehen. Beide kann man interpretativ verwenden, auch quantitative Forschung. Jede Wahlprognose ist weitgehend Deutung: ob 13 Prozent viel ist oder wenig, ist nach Interessenlage verschieden. [220]
Quantitative und qualitative Daten können aber auch entdeckend, heuristisch verwendet werden. Faktoren- und Clusteranalysen in der quantitativen Forschung entsprechen der "Analyse auf Gemeinsamkeiten" der qualitativ-heuristischen Forschung. Schon Kreuztabellen können zu einem gewissen Grade indikativ sein. Manches kann man überhaupt nur quantitativ untersuchen, aber viele psychologische Abläufe sind in Kleingruppen oder mit wenigen Interviews erforschbar. Wenn eine sinnvolle Variation des Samples gelingt, kann man auch mit kleinen Samples Strukturen herausfinden. Auch um Kommunikation oder Interaktion zu studieren, kann man manchmal mit wenigen Fällen arbeiten, unsere gemeinsame Forschung über Introspektion ist ein solches Beispiel. Die Psychoanalyse basiert auf wenigen Fällen, auch die Gestaltpsychologie, wie übrigens auch die Erkenntnisse der klassischen Mechanik, etwa NEWTONs "Eimerexperiment", dessen Erklärung durch MACH für die Entwicklung der Relativitätstheorie wichtig war. Da wird ein Eimer mit Wasser an einem Seil aufgehängt, in Drehbewegung versetzt und die Forscher denken darüber nach, wie man das Aufsteigen des Wassers gegen die Eimerwände erklären kann im Innenraum gegen den Außenraum. Das ist ein qualitatives Experiment. Man kann nicht sagen, dass mit einem oder wenigen Fällen in den Naturwissenschaften nichts entdeckt worden wäre. [221]
Qualitative und quantitative Datenformen und kleine und große Datenmengen und Samples sind verschiedene Instrumente, wie es Beobachtung, Befragung, Experiment sind, die kann man nicht gegeneinander ausspielen. Man kann auch nicht sagen, wie die Scientisten es tun, das Experiment sei das wissenschaftlichste Verfahren, die Krone der Methoden, Beobachtung dagegen sei so lala. Das sind verschiedene Möglichkeiten der Forschung; von verschiedenen Positionen aus wird der gleiche Gegenstand untersucht und dann muss man herausfinden, wo die Gemeinsamkeiten liegen. [222]
Das ist übrigens noch eine Differenz meiner Methodologie zu der von Anselm STRAUSS, mit dem ich darüber geredet habe und kritisiert habe, dass er sich nur auf den Vergleich festlegt und nicht angibt, in welche Richtung man vergleichen soll. Seit dem 19. Jahrhundert weiß man, dass die "vergleichende Methode" der erste Schritt zur Analyse ist. Aber soll man auf Gemeinsamkeiten oder auf Unterschiede vergleichen? STRAUSS sagte: auf beide. Und da habe ich gesagt, das ist ein Fehler. Wenn ich zwei Gegenstände auf Unterschiede vergleiche, dann komme ich auf unendlich viele Unterschiede. Aber es gibt ganz wenig Ähnlichkeiten und Ähnlichkeiten sind das, worauf es bei qualitativer Forschung ankommt. Steht auch wieder schon bei MACH, der über Ähnlichkeit und Analogie in den entdeckenden Naturwissenschaften ein ganzes Kapitel schreibt. Mein zweiter Vorbehalt gegenüber der GLASER-STRAUSS-Methode, um das bei dieser Gelegenheit noch zu sagen, ist, dass die Dialektik nicht verstanden wird. Dass zum Beispiel ein Gegenstand, Thema oder Argument mit seinem entsprechenden Gegenteil in einem engen Zusammenhang steht, das Ich mit dem Nicht-Ich, das Soziale mit dem Nicht-Sozialen, oder, nach HEGEL, das Sein mit dem Nichts. Ich kann etwas positiv ausdrücken, aber es auch ironisch, negativ sagen und dann wird es auch verstanden. Diese Verbindung durch Negation ist das große Thema der Dialektik, die Bewegung entsteht durch Negation der Negation. Das ist Pragmatisten nicht so leicht zugänglich und Positivisten erst recht nicht, obwohl das Umspringen in das Gegenteil auch eine Alltagserfahrung ist. Ich bin froh, dass ich zur deutschen Tradition direkten Zugang habe, dass ich MARX und SIMMEL (auch einer meiner Lieblingsautoren) und DILTHEY und Max WEBER im Original lesen kann, nicht eine Übersetzung ins Englische benötige, wo viele Begriffe nicht mehr richtig fassbar werden, man denke nur an "Entfremdung" als "alination". [223]
H. W.: Noch zum Abschluss. Sie sind seit 1992 im Ruhestand. Was sind Ihre Pläne in Richtung Wissenschaft, Forschung? Was haben Sie seitdem gemacht? Was wollen Sie machen? [224]
4.1 Interessen: Literatur, bildende Kunst, Empirie und Geschichte
G. K.: Einmal bin ich sehr aufgeschlossen für klassische Literatur. Kürzlich ist mir Don Quijote als Analyse-Thema zugefallen, den habe ich dann, nochmals, ziemlich genau gelesen, mit großem Vergnügen und Gewinn. Ulysses habe ich gelesen unter dem besonderen Blickwinkel des Zeitgeistes. Der Humor bei Laurence STERNEs "Tristam Shandy" interessiert mich und was überhaupt Humor ist. Was sind die Gemeinsamkeiten zwischen dem Humor bei CERVANTES und STERNE, die Differenzen sind ja offensichtlich. Das ist eine Art des Interesses. [225]
Eine andere, bildende Kunst neu zu genießen, Museen erneut anzusehen und mehr von der "großen Kunst" zu lernen, was mir leicht fällt, weil ich Kunstgeschichte studiert habe und schon ein paar Grundkenntnisse besitze. [226]
Jetzt im engeren Sinne zur qualitativen Sozialforschung: ich denke, dass wir gemeinsam die Introspektionsmethode zu Ende bringen, wir sind schon ganz gut vorangeschritten. Der Kern ist ja der, dass eine historische Methode, die sehr erfolgreich war, dem Verdikt des Behaviorismus verfallen ist, sie sei subjektivistisch und dass wir in unserer Hamburger "Arbeitsgruppe Introspektion" eine Methode gefunden haben, wie man diesen subjektiven Aspekt, der ja existiert, in einen intersubjektiven überführen kann. [227]
Das zweite "qualitative" Thema ist, dass ich mich mit Textanalysen nach wie vor beschäftige und denke, dass die Texte, besonders wenn sie anspruchsvolle Texte sind ... [228]
H. W.: also, jetzt literarische Texte? [229]
G. K.: ... dass sich literarische Texte mit den qualitativen Methoden der Psychologie und der Sozialwissenschaften schlecht analysieren lassen. Die dort entwickelten Methoden, wie die Inhaltsanalyse, betreffen eher die einfachen Texte, wobei sich dann die Frage stellt, ob das, was bei den anspruchsvollen Texten nicht geht, richtig sein kann bei einfachen Texten oder Trivialliteratur. [230]
Der dritte Bereich ist die Verbindung von Empirie und Geschichte. Die klassischen Autoren in der Psychologie und in der Soziologie und vielleicht auch in anderen Wissenschaften wie der Ethnologie haben Methoden verwandt, die heute nicht mehr rezipiert werden, weil sie als nur historisch gelten. Wenn man unter dem Gesichtspunkt, "wie haben die das eigentlich gemacht?", ich meine handwerklich oder forschungspraktisch, berühmte Studien ansieht, da kann man sehr viel mehr daraus lernen, als wenn man sie nur als einen Vorläufer unseres heutigen Methodenarsenals betrachtet, etwa der Skalierung, dem semantischen Differential oder den Computerprogrammen. Da muss man sich eigentlich nicht wundern, dass nicht viel dabei herauskommt. Das bedarf natürlich, das ist der Kernpunkt der ganzen Sache, einmal des Interesses an den historischen Entwicklungen, das ja nicht automatisch gegeben ist, aber zum anderen und vor allem der Fähigkeit, die Methoden nach ihrer Effektivität zu beurteilen. Dazu ist Erfahrung nötig, die man nur durch eigene Forschung erwerben kann. [231]
H. W.: Ob es funktioniert? [232]
G. K.: Ob die Methode funktioniert, das Verfahren verwendbar ist, ob man es heute noch oder wieder verwenden kann. Das bedarf der Erfahrung des Umgangs mit empirischer Forschung. Und dies auch bei der Verwissenschaftlichung von Alltagsverfahren, dem Reservoir aller entdeckenden Methoden. [233]
4.2 Offene Frage: Wie kann qualitative Forschung institutionell eingebunden werden?
H. W.: Haben wir jetzt ein Thema vergessen? Irgendwas Wichtiges? [234]
G. K.: Mich beschäftigt die Frage, wie man qualitative Forschung weiter entwickeln kann im Hinblick auf ihre institutionelle Einbindung. [235]
H. W.: Wir haben ja beide versucht, qualitative Forschung in die Ausbildung zu bringen. [236]
G. K.: Die Ausbildung innerhalb eines Studienganges Psychologie oder Soziologie ist die eine Seite, sie muss mit der Einführung der Bachelor- und Magister-Prüfungen neu geregelt werden. Was aber fehlt, sind die Möglichkeit der Ausbildungen in qualitativen Forschungsinstituten, die mit einer universitären Einrichtung verbunden sind, vergleichsweise selbstständig arbeiten und sich auch auf dem Markt etablieren, nach dem Modell der LAZARSFELD-Gründungen. Er hat ja vier Institute im Lauf seines Lebens eingerichtet und ein fünftes entworfen, dabei die Ausbildung in Sozialforschung stark berücksichtigt. Social Research Inc. in Chicago ist ein anderes Beispiel, das war ein vornehmlich qualitativ arbeitendes Institut, mit Bindung an die University of Chicago. [237]
Die Differenz zwischen dem, was die Industrie an qualitativer Forschung betreibt und dem, was die Universitäten hierzu anbieten, ist außerordentlich groß. Die industrielle Forschung versucht die soziale Realität zu erforschen, wie auch immer eingeschränkt auf einen "Markt". Die Lehrenden an den Universitäten stützen sich im wesentlichen auf Literatur. Vielleicht, um Bücher zu kritisieren und neue Bücher zu schreiben, die sich aber dann wieder beziehen auf das, was andere Leute früher geschrieben haben. Daraus entsteht eine Diskrepanz zwischen diesen beiden Herangehensweisen, die sich auch in der Diskrepanz der Volumina ausdrückt, die riesig ist. Ich habe einmal nachgesehen, was für Marktforschung ausgegeben wird derzeit pro Jahr (2002). Allein die führenden Marktforschungsinstitute melden 16,6 Milliarden US-Dollar Umsatz weltweit, für qualitative Forschung allein 2,5 Milliarden US-Dollar. Und wie viel passiert da an den Universitäten? [238]
H. W.: Läge da nicht die Gefahr, dass nur dort geforscht wird, wo Geld ist? Es gibt ja viele Themen, die ganz bedeutsam sind, die relevant sind, die aber keine Chance haben, beforscht zu werden, weil keiner bereit ist, dafür zu zahlen? [239]
G. K.: Dafür sind eigentlich die Stiftungen vorgesehen. Bei ihnen besteht aber das Problem, dass Anträge von den Kollegen bewertet werden und dass dieses Bewertungssystem, wenigstens in den Sozialwissenschaften, es erschwert, dass neue Methoden oder Methodologien eingesetzt oder ausprobiert werden, wie qualitative Methoden oder heuristische Sozialforschung, denn die Bewertungskriterien für "Wissenschaftlichkeit" sind ja zunächst die etablierten. Qualitative Methoden wurden lange Zeit überhaupt nicht akzeptiert, auch nicht durch die Stiftungen. Das ändert sich jetzt langsam, nach 60 Jahren. [240]
In der Industrie machen sie das wahrscheinlich so, wie ich das gemacht habe: hole dir intelligente Leute und bilde sie selber aus. Sieht das Hartmut SCHULZE bei seiner Tätigkeit als Psychologe in der Industrie auch so? [241]
H. W.: Es gibt große Probleme, wenn es Leute sind, die überhaupt keine Ausbildung in qualitativer Methodik haben, die dann bei ihm Untersuchungen machen sollen. Es gibt eine Menge Auseinandersetzungen. [242]
G. K.: Er muss sie erst schulen. [243]
H. W.: Er muss mehr machen, als sie schulen. Er muss sie erst mal dahin bringen, offen zu sein für qualitative Methoden. [244]
G. K.: In der quantitativen Forschung ist das Problem eher lösbar, Statistik wird in vielen Fächern gelehrt und quantitative Forschung kann man auch in Forschungsinstituten lernen, wie ZUMA in Mannheim. Für qualitative Forschung gibt es derzeit nichts dergleichen. Das institutionelle Problem ist eines der Kernprobleme für die qualitative Ausbildung. Im Augenblick basiert die Ausbildung auf dem Engagement, dem Können und der Erfahrung von Einzelpersonen, so wie bei Ihnen in der Psychologie oder bei mir in der Sozialforschung oder auch bei anderen Kolleginnen und Kollegen, die einen Kreis von Leuten ausbilden, der dann immer nur so gut sein kann wie die Ausbilder selbst. Wie viel Zeit haben sie überhaupt dafür? Ein Großteil Zeit an den Universitäten ist abgedeckt durch Lehre. Wenn ich in der Industrie in der Marktforschung tätig bin, mache ich Tag für Tag nichts anderes als Forschung – da muss ich noch Kontakt halten und präsentieren und mich um vieles Bürokratische kümmern, wie ja auch an der Uni, aber im wesentlichen besteht die Arbeit aus Forschung. Die wesentliche Arbeit an den Universitäten ist die Lehre. Das ist ja auch richtig so. Aber wie sollen die zukünftigen Psychologen und Sozialforscher(innen) qualitative Forschung lernen, möglichst aus der Praxis? Das ist ein großes Problem. [245]
H. W.: Sie haben ja einen Weg vorgezeichnet. [246]
G. K.: Ich habe ausprobiert, wie eine Kombination von Vorlesungen und empirischen Praktika Studierende in den Stand setzt, Diplom- oder Magisterarbeiten mit qualitativen Methoden zu erstellen. Ich habe zwei 2-stündige Vorlesungen pro Woche und Semester über qualitative Sozialforschung und über qualitative Textanalyse zu einem Block zusammengeschlossen, jeweils mit Übungsbeispielen bei freiwilliger Teilnahme, damit die Studierenden ausprobieren konnten, ob ihnen das Spaß macht. Etwa einen Fragebogen mit fünf Fragen zu entwerfen und drei Interviews mit ihm zu machen, in einer Woche. Die eingereichten Arbeiten habe ich individuell korrigiert und bei der nächsten Vorlesung über die Fehler berichtet und wie man es richtig macht. Die Hauptfachstudierenden konnten sich für die Teilnahme an einem empirischen Praktikum bewerben, Voraussetzung war der Besuch der Vorlesungen und ein akzeptables selbstgewähltes Thema. Das empirische Praktikum lief über zwei Semester, nach Prüfungsordnung 4-stündig, mit Betreuung durch Tutoren und mich selbst. Die Planung, Feldarbeit mit kleinem Sample und Anwendung von mindestens zwei Methoden, Variation der Perspektiven, Analyse und mündlicher und schriftlicher Bericht über die Ergebnisse wurden verlangt und das Vorlegen der erstellten qualitativen Daten. Die maximale Teilnehmerzahl habe ich auf 80 Studierende beschränkt, das konnte mit zwei Tutoren gut bewältigt werden mit vielen Einzelgesprächen. Die Ausbildung lief also über 4 Semester in 2 Jahren. War die Praktikumsarbeit akzeptabel, konnte sich eine Diplom- oder Magisterarbeit anschließen, mit Erweiterung der Feldarbeit und Analyse und einer methodologischen und inhaltlichen Diskussion mit Theorieentwicklung und Einordnung der Arbeit in den existierenden Wissensstand. Bei einigem Organisationstalent kann man auch größere Interessentenkreise von Studierenden in qualitativer Forschung schulen. [247]
Selbständige qualitativen Forschungseinrichtungen als Kombination universitärer Anbindung und kommerzieller Praxis würden die für jede empirische Tätigkeit notwendige Erfahrung schaffen und wären eine große Aufgabe für die Zukunft der qualitativen Forschung insgesamt. [248]
Im Interview erwähnte Schriften von Gerhard KLEINING
Kleining, Gerhard (1959a). Die Idee des "echten Mannes" in Deutschland. Bedeutungs-Analyse eines Images. Psychologie und Praxis, 3, 57-65.
Kleining, Gerhard (1959b). Zum gegenwärtigen Stand der Image-Forschung. Psychologie und Praxis, 3,198-212.
Kleining, Gerhard (1959c). Publikumsvorstellungen von Adenauer und Ollenhauer. Psychologie und Praxis, 3, 250-259.
Kleining, Gerhard & Moore, Harriett (1959d). Das Bild der sozialen Wirklichkeit, KZSS (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie), 3, 353-376.
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Kleining, Gerhard (1961b). Zur Phänomenologie des Gartenzwerges. Psychologie und Praxis, 5, 118-129.
Kleining, Gerhard (1961c). Über soziale Images. KZSS Sonderheft, 5, 145-170.
Kleining, Gerhard (1962). Das nationale Selbstbild der Deutschschweizer. Analyse der Struktur eines Images. Psychologie und Praxis, 6, 49-61.
Kleining, Gerhard (1963). Über das nationale Selbstbild der Deutschen. Qualitative Analyse eines Images. Psychologie und Praxis, 7, 49-59.
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Kleining, Gerhard (1991c). Das qualitativ-heuristische Verfahren der Textanalyse am Beispiel der Neujahrsansprachen des Bundeskanzlers Kohl. In Manfred Opp de Hipt & Erich Latniak (Hrsg.), Sprache als Politik? (S.246-277). Opladen: Westdeutscher Verlag. (auch in 1994)
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Kleining, Gerhard (1995). Lehrbuch Entdeckende Sozialforschung. I. Von der Hermeneutik zur qualitativen Heuristik. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union.
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Im Interview erwähnte Autoren und Schriften
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Harald WITT war Professor für Psychologie am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg, Psychologisches Institut I, Arbeitsbereich Arbeits-, Betriebs- und Umweltpsychologie. Arbeitsschwerpunkte: Arbeit und Technik, qualitative Forschungsmethoden, Introspektion. Seit 2003 ist er im Ruhestand. In FQS hat Harald WITT gemeinsam mit Gerhard KLEINING die Beiträge Discovery as Basic Methodology of Qualitative and Quantitative Research und The Qualitative Heuristic Approach veröffentlicht.
Kontakt:
Prof. Dr. Harald Witt
Universität Hamburg, FB 16
Von-Melle-Park 11
D-20146 Hamburg
E-Mail: HWitt@rrz.uni-hamburg.de
Witt, Harald (2004). Von der kommerziellen Marktforschung zur akademischen Lehre – eine ungewöhnliche Karriere. Gerhard Kleining im Interview mit Harald Witt [248 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 5(3), Art. 40, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0403404.
Revised 6/2008