Volume 5, No. 3, Art. 30 – September 2004

Die Euro-Einführung im Rückblick einer österreichischen qualitativen Begleitforschung

Karl Kollmann

Zusammenfassung: Im Vergleich zu anderen Euro-Ländern ist die Euro-Einführung in Österreich einigermaßen gut gelungen. Bei näherem Blick – dies ermöglichte die in Österreich als einzigem Land unter den zwölf Euro-Ländern durchgeführte Begleitforschung – hat es dennoch große und nachhaltige Probleme bei den Verbrauchern gegeben. Diese vor allem den Geldwert betreffenden wahrnehmungspsychologischen Probleme skizziert der folgende Beitrag.

Keywords: Euro, Währungsumstellung, Geldwahrnehmung, Verbraucherprobleme

Inhaltsverzeichnis

1. Überblick

1.1 Die neue europäische Währung – Vorgeschichte

1.2 Die österreichische qualitative Begleitstudie

2. Die Währungsumstellung und die Verbraucherprobleme

2.1 Erwartungen von Politik, Wissenschaft und Bevölkerung

2.2 Die Vorbereitungsarbeiten zur Euro-Einführung

2.3 Akzeptanz der neuen Währung

2.4 Gewöhnung an die neue Währung

2.5 Preissteigerungen im Zusammenhang mit der Euro-Einführung

2.6 Wahrnehmungsprobleme der Verbraucher

3. Weitere Ergebnisse

3.1 Fehlkäufe

3.2 Keine Belebung der Haushaltsplanung durch die neue Währung

3.3 Zahlungsverhalten, Preisbeachtung

4. Folgerungen

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Überblick

1.1 Die neue europäische Währung – Vorgeschichte

Die 1957 gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hatte einen gemeinsamen Binnenmarkt zum Ziel. Mit der später folgenden "Einheitlichen Europäischen Akte" (1986) und dem Vertrag über die Europäische Union (1992) wurde auch eine gemeinsame Währung für diesen Binnenmarkt angezielt, was in der Folge zur "Wirtschafts- und Währungsunion" (WWU) führte. 1995 beschloss der "Europäische Rat" diese neue Währung "Euro" zu nennen. 1998 wurde die Europäische Zentralbank (EZB) gegründet. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Per 1. Januar 1999 wurde der Euro in jenen Mitgliedstaaten, die die wirtschaftlichen Konvergenzkriterien erfüllten, als Währung eingeführt (als buchhalterische Währung mit fixierten Wechselkursen); als echtes neues Geld, also Bargeld, wurde der Euro am 1. Januar 2002 in 12 EU-Mitgliedstaaten eingeführt. [1]

1.2 Die österreichische qualitative Begleitstudie

Nach großen Schwierigkeiten, überhaupt eine Begleitforschung zur Euro-Einführung in Österreich zu realisieren – diese war übrigens die einzige systematische Begleitforschung in den zwölf Euro-Ländern – konnte schließlich Ende 2001 unter Förderung der OeNB (Österreichische Nationalbank) eine kleine qualitative Begleitforschungsstudie1) gestartet werden, nachdem ein wesentlich umfassenderes Projekt der österreichischen Universitäten am Desinteresse der Regierung scheiterte. [2]

In insgesamt fünf Wellen wurden vor und nach der Euro-Einführung in Österreich qualitative Interviewserien durchgeführt. Dabei handelte es sich um jeweils an die Vorerhebung angepasste Leitfadeninterviews2) mit anfangs 503), in der Folge dann 30 Interviewteilnehmern. Die konzeptionelle und auswertende Forschungsarbeit wurde von der Arbeitsgruppe Verbraucherforschung (Institut für Technologie und Warenwirtschaftslehre4), Wirtschaftsuniversität Wien) durchgeführt, die empirische Feldarbeit vom kommerziellen Marktforschungsinstitut Fessel+GfK – Austria realisiert. [3]

Der Erhebungszeitraum reichte von Anfang Dezember 2001 (also kurz vor der Bargeldeinführung) bis Anfang Juni 2003 (also etwa eineinhalb Jahre nach der Einführung). Die fünf Interviewserien waren als Panel angelegt, die Interviewpartner wurden bei Beginn der Arbeiten nach demographischen Kriterien so ausgewählt, dass sie nach grundsätzlichen Merkmalen der österreichischen Bevölkerung entsprechen. [4]

Die Zeitpunkte der einzelnen Wellen:

Ressourcenbedingt wurde die Erhebung auf Ostösterreich, insbes. Wien und das ländliche Umland von Wien begrenzt; es hatte sich in anderen Studien (siehe z.B. KOLLMANN & SIMPERL 2004 gezeigt, dass bei nicht-regionalspezifischen Fragestellungen eine solche Einschränkung nicht wesentlich stört. [6]

Sich qualitativ der Erforschung der Verbraucherprobleme im Umgang mit der neuen Währung zu nähern, liegt auf der Hand: Zum einen gab es kein (wissenschaftliches) Vorwissen, es war also praktisch forscherisches Neuland zu betreten. Zum zweiten ist der Umgang mit dem Euro eine (paradigmatisch) prozessuale Sache für die Betroffenen. Zum dritten sollte die subjektive Erfahrung der Betroffenen, bzw. ihre Reflexion und ihre persönlichen Strategien beim Umgang mit dem Euro dargestellt werden. [7]

Der Leitfaden wurde daher für jede der Folge-Wellen aufgrund der Ergebnisse adaptiert und in einigen Probeinterviews überprüft. Die Interviewer des kommerziellen Instituts befragten über die Wellen hinweg immer ihre gleichen Interviewpartner, begonnen wurde in der Kernuntersuchung (vgl. Anmerkung 3) in der ersten Welle mit 34 Personen, in der Welle 5 waren es 31 Personen, wobei durch Ausfälle sukzessive 3 Befragte ergänzt wurden. [8]

Die Auswertung geschah nach themenanalytischen Verfahren mit Textreduktion (eine ausführliche Darstellung dazu bspw. RASSINGER 2004). [9]

2. Die Währungsumstellung und die Verbraucherprobleme

2.1 Erwartungen von Politik, Wissenschaft und Bevölkerung

Die meisten Experten aus der Europäischen Kommission wie auch aus den nationalstaatlichen Regierungen und Zentralbanken, aber auch viele Wissenschaftler erwarteten eine relativ rasche Gewöhnung der Verbraucher an die neue Währung. Dabei wurde ein Gewöhnungszeitraum von einigen Wochen bis maximal einigen Monaten erwartet5). Diese Einschätzung stand im Gegensatz zu den Erfahrungen aus der im Jahr 1971 erfolgten Dezimalisierung des britischen Pfundes, die große und langanhaltende Schwierigkeiten der Verbraucher bei dieser vergleichsweise kleinen Umstellung aufzeigten (ARCIDIACO 1997). Anders als bei dieser Dezimalisierung des Pfundes war die Euroeinführung in den zwölf Ländern der Währungsunion eine wesentlich dramatischere Veränderung: denn nicht nur die Währung (also der Wertmaßstab des Geldes) wurde geändert, sondern mit der neuen Währung wurden ja auch die Banknoten und Münzen mit Beginn des Jahres 2002 schlagartig geändert. [10]

Interessant ist, dass die Expertenmeinung auch von den Verbrauchern selbst geteilt wurde. In der Erhebung vor der Bargeldeinführung (Welle 1) meinten nämlich drei Viertel der Befragten, dass es ihrer Einschätzung nach für sie selbst und die Bevölkerung insgesamt keine größeren Probleme geben werde, und dass die Gewöhnung an das neue Geld schnell, etwa in ein paar Wochen – so die mehrheitliche Meinung –, erfolgen werde. [11]

Tatsächlich erwiesen sich diese Erwartungen einer raschen Umgewöhnung der Bevölkerung seitens der Politik, der Wissenschaft und der Bevölkerung selbst als falsch. Die Schwierigkeiten der Verbraucher, mit dem Euro umzugehen, waren erheblich und nachhaltig. [12]

2.2 Die Vorbereitungsarbeiten zur Euro-Einführung

Mit relativ hohem Aufwand wurde die Euro-Einführung – seitens der Europäischen Kommission und auch durch die nationalen Regierungen und Zentralbanken – publizistisch vorbereitet. Es war eine Fülle an Informationsmaterial vorhanden (Broschüren der Nationalbank, der Kreditinstitute, der Interessensvertretungen, Taschenrechner, Umrechnungshilfen, Telefon-Hotlines, eine umfangreiche Medienberichterstattung insbes. auch im Fernsehen, etc.). [13]

Dies wurde aber von den Verbrauchern kaum zur eigenen Vorbereitung benützt. Die mehrheitliche Haltung der Befragten in unserer Untersuchung war, dass man sich erst dann, wenn die neue Währung wirklich vorhanden wäre, mit dieser beschäftigen werde. Etwa drei Viertel der Befragten hatten sich vier Wochen vor der Bargeldeinführung noch nicht mit dem Euro auseinandergesetzt. Dies auch, obschon drei Monate vor der Euro-Bargeldeinführung (in Österreich gesetzlich vorgeschrieben6)) eine doppelte Preisauszeichnung begonnen hatte und daher die Europreise überall präsentiert waren. [14]

Die Vorbereitungsarbeiten wurden von den Verbrauchern also nur in einem geringen Ausmaß angenommen, die neue Währung selbst wurde vielfach als zwangsläufig erlebt, eher mit Widerwillen zur Kenntnis genommen und die Beschäftigung damit offenbar bis zum letzten Zeitpunkt hinausgeschoben, z.B. "Ich werde mich dann damit auseinander setzen, wenn es da ist." (Befragter 84-03, Welle1) Ähnliches auch in der Fremdeinschätzung: "[Vorbereitungen] Habe ich keine bemerkt, die lassen das alle auf sich zukommen." (Befragter 90-04, Welle 1) [15]

2.3 Akzeptanz der neuen Währung

Von der Europäischen Union wurde die ursprünglich vorgesehene Doppelwährungsphase, also der Zeitraum, in dem die alte nationale und die neue europäische Währung gleichberechtigt nebeneinander gelten sollten, von sechs Monaten auf zwei Monate heruntergesetzt. Dies wohl aus der vorhin schon erwähnten Erwartung heraus, dass die Umstellung schnell und reibungslos vor sich gehen würde. [16]

Nun, in der zweiten Welle (also rund vierzehn Tage nach der Bargeldeinführung) zeigte sich, dass die Verbraucher auch von sich aus eine rasche Umstellung realisieren wollten. Sie hatten die Einführung des Euro als zwangsläufig erfahren, mussten sich damit abfinden und wollten nun das Beste für sich selbst daraus machen; daher wurde der rasche Umstieg vom Schilling in den Euro von den Verbrauchern aktiv unternommen. Rund die Hälfte der Befragten wechselten in den ersten Tagen komplett das alte Geld in Euro um, der Grund war, man wollte mit dem schnellen Einstieg in den Euro eine zweifache Bargeldhaltung vermeiden. [17]

Dem Handel und dem Verkaufspersonal wurde auch ein recht gutes Zeugnis für die Euro-Einführung ausgestellt; rund die Hälfte der Befragten hatte keine Probleme beim "Handling" im Handel festgestellt. [18]

Diese schnelle Akzeptanz ist jedoch nicht mit einer Vertrautheit gleichzusetzen. Knapp die Hälfte der Befragten steht der neuen Währung – sowohl nach neun Monaten, wie auch noch nach eineinhalb Jahren – distanziert gegenüber. [19]

2.4 Gewöhnung an die neue Währung

Diese verlief wesentlich weniger problemlos, als es sich die großen Mehrheiten (aus Politik, Experten und der Bevölkerung selbst) vorgestellt hatten. Nach drei Monaten (im Rahmen der dritten Erhebungswelle) hatten sich rund ein Drittel der Befragten ihrer eigenen Meinung nach an die neue Währung "gewöhnt" und konnten im Alltag einigermaßen geläufig und gut damit umgehen. Nach neun Monaten (im Rahmen der vierten Welle) hat sich dieser Anteil erst auf die Hälfte erhöht. Nach eineinhalb Jahren (bei der fünften und letzten Welle) stieg dieser Anteil dann auf rund drei Fünftel der Befragten an. Probleme hatten nahezu alle der Befragten gelegentlich bei größeren und ungewohnten Geldbeträgen. [20]

Auch das neue Geld selbst, also die Banknoten und Münzen bereiteten den Verbrauchern Probleme. Dies in unterschiedlicher Form: Bei den Banknoten waren die Probleme wesentlich geringer als bei den Münzen. Insbesondere bei den Cent-Münzen wurde die schlechte Unterscheidbarkeit bemängelt; bei der letzten Interviewserie, also rund eineinhalb Jahre nach der Nutzung des neuen Geldes, hatten noch immer zwei Fünftel Schwierigkeiten mit den kleinen Münzen. [21]

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass von Welle zu Welle die Einschätzung der Dauer, bis zu der sich "die Verbraucher im großen und ganzen" an den Euro gewöhnen werden, zugenommen hat. Zuletzt, also rund eineinhalb Jahre nach der Euroeinführung, meinte mehr als die Hälfte der Befragten, dass es noch länger als ein weiteres Jahr dauern werde, bis sich "die Verbraucher" an die neue Währung gut gewöhnt haben werden. [22]

Typisch für die Einschätzung vor der Euro-Einführung – Frage: Wie lange, glauben Sie, wird man da eigentlich brauchen, um sich an die Preise in Euro zu gewöhnen, Monat, Jahr, länger? – war bspw. die Antwort:

"Nein, unter einen Monat, so 14 Tage, weil wenn man im Urlaub ist, tut man das auch irgendwie und dann kann man es einschätzen in Schilling, und wir werden es dann auch in EURO einschätzen können. So 14 Tage, 3 Wochen." (Befragter 84-02, Welle 1) [23]

In der Welle 5, also mehr als eineinhalb Jahre nach der Einführung, meint derselbe Befragte: "Na das wird wahrscheinlich noch länger dauern als ein Jahr, weil einfach bestimmte Dinge, die man nicht braucht, von denen hat man dann in Euro keine Ahnung." (Befragter 84-02, Welle 5) [24]

2.5 Preissteigerungen im Zusammenhang mit der Euro-Einführung

Kontinuierlich gestiegen war die Wahrnehmung von Preissteigerungen "durch die Euroeinführung", Preiserhöhungen also, die von den Verbrauchern als durch das neue Geld verursacht erfahren wurden. Diese Haltung wurde in der letzten Welle von allen Befragten geteilt. Reziprok dazu vertraten alle Befragten die Meinung, dass es zu keinen Preissenkungen gekommen war, was sich bei näherem Nachfragen dann doch relativierte. Hier – im Hinterfragen dieser ersten geäußerten Meinung – gaben dann bspw. rund ein Sechstel an, dass es bei Elektro- bzw. bei elektronischen Geräten zu Verbilligungen gekommen sei. Rund zwei Fünftel orteten bei Lebensmitteln und anderen Artikeln des täglichen Bedarfs eine Verteuerung, etwas mehr als zwei Fünftel in der Gastronomie. Allerdings meinte dann auch hier mehr als die Hälfte, dass alles teurer geworden wäre. [25]

Nun hatte es tatsächlich in der Gastronomie und in einigen Dienstleistungsbranchen Preiserhöhungen gegeben. So hatten im Gastgewerbe im ersten Halbjahr der Einführung etwa die Hälfte der Betriebe ihre Preise erhöht, bei einigen Betrieben waren die Erhöhungen beachtlich.7) Ingesamt blieb die Verbraucherpreisentwicklung in Österreich8) im EU-Vergleich sehr niedrig. Trotzdem wurden von den Verbrauchern immer wieder "hohe Preissteigerungen" berichtet – die in dieser Form objektiv überhaupt nicht nachvollziehbar waren. [26]

2.6 Wahrnehmungsprobleme der Verbraucher

Was sind nun die Diskrepanzen zwischen objektiver Preisentwicklung und massenpsychologischer Wahrnehmung, bzw. wie es in den Medien ausgedrückt wurde: der "gefühlten Inflation"? [27]

In psychologischen Studien in Deutschland wurden Wahrnehmungsexperimente im Zusammenhang mit der Einschätzung des Euro durchgeführt (vgl. SCHULZ-HARDT, GREITEMEYER, TRAUT-MATTAUSCH & FREY 2003). Dabei zeigte sich, dass auch bei exakter Umrechnung der Euro-Preis als teurer wahrgenommen wird. Erst deutliche Preissenkungen in der Preisangabe in Euro lassen die DM- und Euro-Preise als gleich erscheinen. Als mögliche Gründe dafür wurden der "prior belief effect" und eine selektive Fehlerkorrektur angeführt. [28]

Darüber hinaus ließen sich im Rahmen der qualitativen Begleitforschung einige Umstände ausfindig machen, die jene Teuerungswahrnehmung miterklären helfen können. [29]

a) Geänderte Preisschwellen

Für viele Verbraucher waren die "Preisschwellen", die sich in der alten Schillingwährung für die verschiedenen Produktgruppen gebildet hatten, eine vertraute und habitualisierte Angelegenheit bei der Auswahl bzw. Kaufentscheidung. Mit der neuen Währung haben sich die Preisschwellen optisch deutlich verändert – die neue Währungsrelation war ja: 13,7603 Schilling = 1 Euro, was einer offenbar doch größeren Verbrauchergruppe Schwierigkeiten machte. Diese Preisschwellen wurden nach oben hin erweitert, und sind damit heute höher als früher. [30]

b) "Optische" Ausgaben

Immer wieder wurde von Verbrauchern erwähnt, dass etwas, das früher 100 Schilling gekostet hätte, nun 10 Euro kostet, beispielsweise in der Freizeit bei einem Gastronomiebesuch. Tatsächlich hat es in der Gastronomie Euro-orientierte Preisaufrundungen gegeben, insbesondere Aufrundungen auf optisch orientierte 10 Cent-Beträge und glatte Eurobeträge. Daneben haben sich im Lauf des Jahres 2002 natürlich auch die in Intervallen von ein bis zwei Jahren üblichen Preiserhöhungen eingestellt. [31]

Zu einem gewissen Teil spielt jedoch für den entstandenen Eindruck ("Was einen Hunderter [Schilling] gekostet hat, kostet jetzt 10 Euro") auch die andere Banknoten- und Münzenstruktur eine Rolle. 4 Euro sind heute zwei Münzen und etwas mehr Geldwert als der frühere 50 Schilling-Schein, wirken aber "optisch" wesentlich weniger. [32]

c) Verändertes neues (altes) Spenden/Beitrags-Verhalten

Bei Spenden oder Beiträgen für soziale Gelegenheiten wurden bislang runde Schilling-Beträge gegeben, etwa für die Feier (bspw. am Arbeitsplatz) zum Geburtstag eines Kollegen/einer Kollegin oder zur Heirat, zur Geburt eines Kindes usw. 50 oder 100 Schilling. Hier hat sich die alte übliche "Rundheit" der Beträge erhalten, was aber umgesetzt auf den Euro heute nun 5 oder 10 Euro heißt. [33]

d) "Sichere" Zahlungsgewohnheiten

Immer wieder berichteten Verkäufer bzw. Gastgewerbepersonal, dass nun in einem wesentlich höherem Ausmaß mit der 10 Euro-Banknote bezahlt werde als früher mit der 100-Schilling-Banknote. Die 5 Euro, 20 und 50 Euro-Banknote kämen vergleichsweise selten vor, die gängigen Banknoten wären 10 Euro und 100 Euro. [34]

Durchgängig wird das mit einer gewissen Unsicherheit der Verbraucher begründet, denen es offenbar ausgeprägt lieber ist, Wechselgeld zu bekommen als punktgenau oder zusammengesetzt zu bezahlen. Im wesentlichen ist dabei die von den Verbrauchern im Alltagsleben verwendete Banknoten-Struktur durch die Geldausgabeautomaten bedingt, die in Österreich überwiegend 10 und 100 Euro-Banknoten ausgeben (dazu noch später). [35]

Andererseits geben die Befragten jedoch an, heute etwas mehr als früher "betragsgenau" zu bezahlen. [36]

e) Gekauftes "Ereignis" anstelle des Kaufs von Wert bzw. Menge

Viele Verbraucher haben die Erfahrung gemacht, dass Leistungen, die früher 10 Schilling gekostet haben, nun 1 Euro kosten (also knapp 40 Prozent mehr). [37]

Tatsächlich haben eine Reihe von Automatenaufstellern ihre Preise ohne Wertausgleich erhöht (Süßwarenautomaten, Kondomautomaten), andere haben einen entsprechenden Wertausgleich durchgeführt. Jedoch auch bei einem solchen Wertausgleich ist für viele Verbraucher insofern eine deutliche Preiserhöhung eingetreten, als der Kauf primär nicht auf den Erwerb von Werten oder Mengen abstellt, sondern auf das "Ereignis" – beispielsweise bei einem Spielautomat, einem Los und ähnlichen Dingen: hier ist nicht die längere Spieldauer oder die höhere Gewinnchance interessant, sondern das Ereignis, also der "Gewinnreiz", den man sich einmal wöchentlich leisten möchte. [38]

f) Generell gestiegene Preisreflexion

Die durch die Währungseinführung gewissermaßen miterzeugte höhere Preisbeachtung führte häufig auch zu einer reflexiven Neubewertung der vorhanden Preisniveaus. Dass etwa eine Geldkartensperre 36,40 Euro (500 Schilling) kostet, oder eine Hepatitis-Impfung 65 Euro (rund 900 Schilling), würde im Jahr 2001 häufig gar nicht sonderlich aufgefallen sein. Nun, in dieser Phase der höheren Preisbeachtung empfindet man derartige Beträge als teuer ("geworden"). [39]

Viele Preise und Preisveränderungen sind in der Vor-Eurozeit bei einer damals geringeren Preisbeachtung sozusagen untergegangen, man hat sie vielfach nur mit "halber Aufmerksamkeit" wahrgenommen, jetzt jedoch erfolgt diese Beachtung mit einer skeptischen Beurteilung, die die neue Währung für den jetzt als hoch empfundenen Preis verantwortlich macht. [40]

g) Zeitgleiche Präferenzveränderungen der Verbraucher

Im Beobachtungszeitraum haben sich – unabhängig von der Euroeinführung – auch merkbare Veränderungen in manchen Verbraucherpräferenzen ergeben. Werblich wurde insbesondere das Feld so genannter "Gesunder Produkte" im Bereich der alkoholfreien Getränke und bei Milchprodukten gepusht, was unter dem Thema "Wellness" und Gesundheit zu einer vergleichsweise hohen Nachfrage bei Verbrauchern geführt hat (Marktanteilsgewinne der neuen, Marktanteilsverluste der alten Produkte). [41]

Begünstigt wurde dies wohl auch durch die "optisch" höheren bzw. subjektiv geringer wirkenden neuen Preisgrenzen (vgl. Punkt a.). [42]

Häufig wird von den Verbrauchern, die in einem gewissen Maß ihre Präferenzen verändert haben, die Preisstellung der neuen Produkte als Euro-bezogen oder Euro-orientiert verstanden ("das ist durch den Euro so teuer geworden"). [43]

h) Banknoten-Bezug als Ausgaben-Planungshilfe

Die Ausgabenplanung der Verbraucher bzw. der privaten Haushalte – im klassischen Sinn (Führung eines Haushaltsbuches usw.) – ist heute nur mehr wenig ausgeprägt. Die Euroeinführung hat hierbei nichts geändert, obschon anzunehmen gewesen wäre, dass mit der neuen Währung die Ausgabenplanungsbereitschaft etwas zunehmen würde. [44]

Dennoch scheint es bei einer Gruppe von Verbrauchern eine Art indirekter Planung durch den Bargeldbezug beim Geldausgabeautomaten zu geben. Für bestimmte Gelegenheiten, etwa für das Ausgehen am Abend, für den Wochenend-Einkauf oder einen Ausflug, wird Bargeld in bestimmter Höhe behoben, der Betrag wirkt hier als Anlass-bezogenes Ausgabenlimit. [45]

Mit der Euroeinführung wurde diese Form der Ausgabenplanung beibehalten und auf die entsprechende Eurobanknoten-Größe angepasst – also statt 1000 Schilling nun 100 Euro. Damit wurde aber der persönliche Ausgabenrahmen um knapp 40 Prozent erweitert, ohne dass dem eine entsprechende Einkommenserhöhung gefolgt wäre. Eine solche wiederholte Vorgangsweise im Zusammenhang mit dieser indirekten Ausgabenplanung kann dann relativ schnell zum Eindruck führen, dass nun mit der Euroeinführung finanzielle Engpässe entstehen. [46]

3. Weitere Ergebnisse

Im Folgenden sollen, um kurz und übersichtlich zu bleiben, nur noch einige wichtige Probleme und Ergebnisse aus der Studie referiert werden. [47]

3.1 Fehlkäufe

Viele Befragte berichteten – dies war allerdings zu erwarten – von zum Teil sogar mehreren Fehlkäufen, die sich durch eine falsche Wertzuordnung ergeben hatten ("man hat sich mit dem Euro-Preis vertan", man hat geglaubt: "das ist aber ein besonders günstiges Angebot"). Gewissermaßen hatte sich dabei der "Schilling-Wert-Raster" auf den Euro-Preis gelegt; ein Problem, das in den ersten Monaten viele Befragte auch beim Trinkgeld-Geben (in der Gastronomie) hatten. [48]

Es auch deutlich, dass bei der Mehrheit der Verbraucher sich die Preisbeurteilungsschwellen, also die "Ankerpreise" für die Preisbeurteilung im Alltag, erhöht haben. [49]

3.2 Keine Belebung der Haushaltsplanung durch die neue Währung

Ein weiteres Ergebnis der Interviews war, dass niemand aus dem Panel heute planerischer mit den finanziellen Gegebenheiten im eigenen Haushalt umgeht – private Finanzplanung bleibt durch eine Art von "muddling through" ersetzt. Hier hatte es bei der Konzeption der Studie die Erwartung gegeben, dass die Währungsumstellung einen gewissen Beitrag zu einem geplanteren Umgang mit den wirtschaftlichen Mitteln leisten könnte. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. [50]

Im Zusammenhang mit der Erhebung der Vertrautheit von Schilling-Euro-Relationen – die sich im Längsschnitt verbesserte – zeigte sich auch, dass die ökonomischen Kenntnisse und Fertigkeiten der Verbraucher mehrheitlich eigentlich wenig entwickelt sind. Bei Preisschätzungen von Gütern des Alltags zeigten sich zum Teil schwere Irrtümer. [51]

3.3 Zahlungsverhalten, Preisbeachtung

Die Verbraucher haben ihrer Meinung nach merkbar ihr Zahlungsverhalten geändert. Sie bezahlen mit dem Euro nun etwas "betragsgenauer" als während der alten Schilling-Währung. Jedenfalls haben die bargeldlosen Zahlungsformen (Plastikkarte, elektronische Geldbörse) zugenommen, dies ergibt sich auch aus den Nutzungsdaten dieser Zahlungsformen (so die von Europay Austria und den Kreditkartenunternehmen im Laufe des Jahres 2002 präsentierten Daten). [52]

Erwartungsgemäß ist die Preisbeachtung im Zusammenhang mit dem Euro und sicherlich auch durch die erlebten Fehlkäufe gestiegen. [53]

4. Folgerungen

In Österreich ist die Euro-Einführung im Vergleich zu anderen Euro-Ländern ganz gut gelungen. Wesentlichen Anteil hatten dabei zwei Dinge: zum einen eine rechtliche Absicherung (Doppelpreisauszeichnung, Verbot von unbegründeten Preiserhöhungen, Euro-Preiskommission), und zum anderen eine vehemente Wachsamkeit der Verbraucherverbände. [54]

Trotzdem gab es viele Schwierigkeiten, die bei sorgsamerer Vorbereitung vermieden oder besser gelöst hätten werden können. Hier ist insbesondere an eine wahrnehmungspsychologische Vorbereitung der Verbraucher zu denken und an didaktisch bessere Vorbereitungsformen. Im wesentlichen waren die Vorbereitungen der Bevölkerung zur Währungsumstellung werblicher und Public Relations-orientierter Art – sie wurde in erster Linie von Werbeagenturen und nicht von Pädagogen gestaltet. Dies scheint übrigens, nebenbei angemerkt, ein weitgehendes Dilemma zeitgenössischer Politik. [55]

Als ganz wesentlicher Mangel ist anzuführen, dass es bei der Euro-Einführung in den Euro-Ländern keine umfassende wissenschaftliche Vorbereitungsarbeit und Begleitforschung – sieht man von der hier zusammengefassten, kleinen österreichischen Begleitforschung ab – gegeben hat. Im 21. Jahrhundert wäre an sich die wissenschaftliche Begleitung so großer ökonomischer Veränderungen wie der Einführung einer neuen Währung in zwölf EU-Ländern eigentlich eine Grundvoraussetzung von Politik und politischer Pragmatik.9) [56]

Zu bedauern ist auch, dass die Euro-Einführung zwar eine tiefgreifende alltagspraktische ökonomische Veränderung war, dass aber, was eigentlich nahe liegend gewesen wäre, diese Veränderung nicht auch für die Vermittlung von alltagsorientierter ökonomischer Bildung in diesem Bereich genutzt wurde. Die Chance, diese Veränderung als Transportmechanismus für Verbraucherbildung und für eine Verbesserung ökonomischen Basiswissens – in der Marktgesellschaft an sich eine demokratiepolitische conditio sine qua non – breitflächiger zu nützen, wurde leider nicht wahrgenommen. [57]

Anmerkungen

1) Siehe Arbeitsgruppe Verbraucherforschung/KOLLMANN, SIMPERL und HUBER (2003) zur Konzeption und Durchführung der Studie. <zurück>

2) Die Leitfäden werden unter ftp://ftp.wu-wien.ac.at/wuw/kollmann/euro/ eingestellt. <zurück>

3) Durch die Parallelführung der ersten Interviewserien im Rahmen einer Diplomarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, vgl. Roland SCHOPPER (2002). <zurück>

4) Das Institut heißt nunmehr: Institut für Technologie und nachhaltiges Produktmanagement (Department for Technology and Sustainable Product Management). <zurück>

5) So in Medienstellungnahmen die Vertreter der Österreichischen Nationalbank, der EZB (Europäischen Zentralbank) und Wirtschaftspsychologen. <zurück>

6) Österreich hat im Vergleich zu den anderen elf Euro-Ländern eine Einführung auf gesetzlicher Basis vorgenommen, die eine Doppelpreisauszeichnung vorsah und mit der auch Maßnahmen gegen die vielfach im Zusammenhang mit der Euro-Einführung befürchteten Preiserhöhungen vorgesehen waren. Unter anderem wurde für das Jahr der Einführung und für einen längeren Zeitraum davor eine Euro-Preis-Kommission beim zuständigen Wirtschaftsministerium eingerichtet. <zurück>

7) Die Preise im Gastgewerbe und generell bei Dienstleistungen steigen in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich und deutlich über dem gesamten Verbraucherpreisindex. <zurück>

8) Aber auch bspw. in Deutschland. <zurück>

9) Dies war übrigens bei der Dezimalisierung des Pfundes in Großbritannien anders, hier gab es eine umfassende wissenschaftliche Begleitung durch einen Universitäten-Verbund (vgl. ARCIDIACO 1997). <zurück>

Literatur

Arbeitsgruppe Verbraucherforschung (Institut für Technologie und Warenwirtschaftslehre, Wirtschaftsuniversität Wien) / Karl Kollmann, Kurt E. Simperl, Roland Huber (2003). Endbericht zur qualitativen Euroeinführungs-Begleitforschung "Euro-Einführung in Österreich". Gefördert vom Jubiläumsfonds der OeNB, Wien, Juli 2003. Verfügbar über: ftp://ftp.wu-wien.ac.at/wuw/kollmann/euro/Endbericht%20Euro-Begleitforschung.pdf.

Arcidiaco, Francesca (1997). Decimalisation and the Consumer – Lessons to be Learned. Vortrag, Konferenz der EU-Kommission: Euro-Einführung, Luxemburg, 2. 12. 1997.

Kollmann, Karl & Simperl, Kurt (2004). Konsumten 2004. Wien: Schriftenreihe der AK-Wien, Konsumentenpolitik, Nr. 21/ 2004.

Rassinger, Birgit (2004). e-Learning in Notebook-Klassen: Wie Neue Informations- und Kommunikationstechnologien den konventionellen Unterricht verändern. Diplomarbeit WU-Wien, Wien.

Schopper, Roland (2002). Die Euro-Einführung – was bedeutet die Währungsumstellung für Haushalte und Verbraucher wirklich? Unveröffentlichte Diplomarbeit, Wirtschaftsuniversität Wien, Wien.

Schulz-Hardt, Stefan; Greitemeyer, Tobias; Traut-Mattausch, Eva & Frey, Dieter (2003). Die Teuro-Illusion: Was bringt uns dazu, Preissteigerungen zu sehen, wo gar keine sind? Arbeitspapier Institut für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie, TU-Dresden, Dresden.

Zum Autor

Karl KOLLMANN, Stv. Abteilungsleiter Konsumentenpolitik AK-Wien; tit. a.o. Univ. Prof. der Wirtschaftsuniversität Wien; Institut für Technologie und nachhaltiges Produktmanagement (Schwerpunkte: Konsumökonomie, Verbraucherforschung, Verbraucher und Neue Kommunikationstechnologien).

Kontakt:

A.o. Univ. Prof. Ing. Dr. Karl Kollmann

Wirtschaftsuniversität Wien
Institut für Technologie und nachhaltiges Produktmanagement
Augasse 2-6
A-1090 Wien

E-Mail: kollmann@wu-wien.ac.at

Zitation

Kollmann, Karl (2004). Die Euro-Einführung im Rückblick einer österreichischen qualitativen Begleitforschung [57 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 5(3), Art. 30, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0403305.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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