Volume 5, No. 3, Art. 8 – September 2004
Rezension:
Dagmar Hoffmann
Nathalie Iványi & Jo Reichertz (Hrsg.) (2003). Liebe (wie) im Fernsehen. Eine wissenssoziologische Analyse. Opladen: Leske + Budrich, 308 Seiten, ISBN 3-8100-3594-7, EUR 18,00
Zusammenfassung: Die Autoren beabsichtigen mit der vorliegenden Sammlung von Einzelstudien, einen Einblick in ihr von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Forschungsprojekt "Mediale (Re)Präsentation von Liebe" zu geben. Vorgestellt werden acht Studien, die sich zum einen mit der medialen Inszenierung von Liebesbekundungen und Heiratsanträgen in populären Beziehungsshows auseinandersetzen und zum anderen mit den alltäglichen Praktiken von Liebe, Liebeserklärungen und Trauungszeremonien. In ihren Analysen fühlen sich die Autoren der hermeneutischen Wissenssoziologie verpflichtet, wobei ein breites Spektrum von Methoden Anwendung findet. Die Aufsatzsammlung bündelt viele interessante Perspektiven auf eins der zentralen Ereignisse partnerschaftlicher Beziehungen: der Entäußerung des Gefühls Liebe.
Keywords: Hermeneutische Wissenssoziologie, Beziehungsshows, Medienwirkungsforschung, Konversationsanalyse
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Genre
3. Fragestellungen und Methoden
4. Wirkung und Nutzen
5. Leistung
Was gibt es für eine Motivation, seiner Partnerin vor laufender Kamera einen Heiratsantrag zu machen? Warum fordert man im Beisein eines Massenpublikums dem geliebten Partner ein Liebesgeständnis ab? Warum müssen Liebesbekundungen überhaupt öffentlich erfolgen? Gilt es vielleicht, über die Entäußerung des Gefühls "Liebe" dem trauten Glück eine Verbindlichkeit zu geben? Oder bedarf es einer Inszenierung coram publico, um den erklärten Liebesbeweis emotional stark aufzuladen? Diesen und noch anderen Fragen widmen sich die Kommunikationswissenschaftler Nathalie IVÁNYI und Jo REICHERTZ, die in ihrer wissenssoziologischen Untersuchung die Beziehungsshows "Traumhochzeit" und "Nur die Liebe zählt" analysieren. Beide Sendungen sind exemplarisch für verschiedene mediale Inszenierungen des Privaten und Intimen, für eine "Enthüllungskultur (HAHN 2002, S.7) wie sie für die Fernsehprogramme der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts sicherlich bezeichnend waren. Millionen von Fernsehzuschauer konnten an den intimen Offenbarungen und Enthüllungen gewöhnlicher Menschen teilhaben, waren gar fasziniert und fühlten sich oder wurden durchaus auch für ihre Alltagspraxis inspiriert. [1]
Was Liebe wirklich ist und wie man sie empfindet, fühlt und lebt, kann im Prinzip nur jeder für sich selbst definieren. Andere können das Maß der Zuneigung erahnen oder aber auch über demonstrative Liebesbekundungen erfahren. Die Autoren des vorliegenden Buches gehen davon aus, dass die Demonstration von Liebe den meisten Menschen ein sehr wichtiges Bedürfnis ist. Die Art und Weise allerdings wie Liebe bekundet und dargestellt wird, hängt dabei ganz wesentlich von den kulturellen Bedingungen und Praktiken der jeweiligen Gesellschaft ab, in der sie stattfindet. Die sozialen und medialen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben mit einer gewissen Logik und Selbstverständlichkeit eine mediale Inszenierung der Liebesbekundung möglich gemacht. Denn mal ehrlich: Was ist moralisch oder ethisch daran verwerflich, seiner Liebe im Fernsehen – wenn auch theatralisch inszeniert – Ausdruck zu verleihen? [2]
Anhand der Analysen von je 12 Folgen der genannten Beziehungsshows, die die Autoren als performative Fernsehformate bezeichnen, versuchen sie, neue Zeichen und Praktiken der (Re-) Präsentationen von Liebe zu identifizieren. Sie wollten wissen, ob Liebe und Hochzeit zum Ende des letzten Jahrhunderts neue Theatralisierungen und Idealisierungen erfahren haben. Außerdem sind sie in ihrer Untersuchung der Frage nachgegangen, inwieweit es zwischen der medialen Versendung idealisierter bzw. theatralisierter Darstellungen von Liebe und den Liebesdarstellungen in der alltäglichen Lebenspraxis zu Austauschprozessen kommt. Die Ergebnisse bzw. Teilergebnisse ihrer Analysen sind in insgesamt neun Aufsätzen nachzulesen. Die Autoren berichten zunächst in ihrem Einleitungskapitel über die Hintergründe, Fragestellungen und Methoden der von der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie "Mediale (Re)Präsentationen von Liebe". REICHERTZ resümiert seine Überlegungen zur Theatralisierung von Liebe und standesamtlicher Trauung in zwei Beiträgen. Die sechs Aufsätze von IVÁNYI beleuchten die Darstellungslogik von Liebe im Fernsehen wie auch im Alltag, die Tyrannei der Theatralität von Liebe sowie den Umgang mit den Kandidaten und die Reaktionen des Publikums. Es handelt sich bei dem vorliegenden Buch nicht um eine Projektdokumentation, sondern um eine Selektion – wie die Autoren einräumen – fokussierter Einzelstudien. Dieser Hinweis lässt bereits auf einen Patchworkcharakter des Buches schließen und die Erwartungen im Hinblick auf Theorieüberblick und ausführliche Empirie kleiner werden. [3]
Die Idee, Brautpaare in Fernsehshows zu inszenieren, ist fast so alt wie das zweite deutsche Fernsehprogramm, in dem 1963 erstmals die Show "Ihre Vermählung geben bekannt" mit dem damals überaus populären Hans-Joachim Kuhlenkampff als Moderator stattfand. Die Sendung floppte nach nur drei Folgen – aus heutiger Perspektive kaum vorstellbar – aufgrund mangelnder Kandidaten. Es fanden sich kaum Brautpaare, die bereit waren, vor laufender Kamera ihre Beziehungsgeschichte zu offenbaren, die Trauungszeremonie zu vollziehen und an Quiz- und Übereinstimmungsspielen teilzunehmen. Hochzeiten schienen in der Zeit Privatangelegenheiten zu sein, wo Zaungäste fremder Wohnstuben unerwünscht waren. Da das Spiel mit Privatpersonen nicht funktionierte, unternahm nach US-amerikanischen Vorbild der Moderator Peter Frankenfeld mit prominenten Ehepaaren den Versuch, in verschiedenen Spielen die harmonische Übereinstimmung und Rollenmuster der Paare in der Show "Sie und er im Kreuzverhör" (ZDF) zu testen. Damit war er schon erfolgreicher als sein Kollege Kuhlenkampff. Wiederum mit unbekannten frisch Verheirateten praktizierte dann Dietmar Schönherr 1977/78 auch im ZDF in der Show "4+4=Wir" ebenfalls das Paarverhalten im Hinblick auf Geschlechtsstereotypen. Da von dieser Show immerhin 14 Folgen ausgestrahlt wurden, schienen die gesellschaftlichen Gelegenheitsstrukturen doch deutlich günstiger zu werden, woraufhin in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sich weitere Beziehungsshows (vgl. MÜLLER 1999) entwickelten, wobei besonders die Sendung "Flitterabend" in der ARD (von 1988 bis 1996) mit Michael Schanze und auch "Herzblatt" (ARD) seit 1987 mit Hunderten von Folgen und wechselnden Moderatoren – u.a. Rudi Carell, Hera Lind – größere Verbreitung fanden. Das Unterhaltungsformat "Beziehungsshow" schien damit erfolgreich erprobt worden zu sein. Über die Jahrzehnte bekam es lediglich inhaltlich und strukturell eine etwas andere Form und szenische Ausgestaltung. So gehen die Kandidaten in den Shows "Traumhochzeit" und "Nur die Liebe zählt" nicht nur spielerisch, sondern auch alltagspraktisch, verbindlich und zukunftsorientiert mit ihrer Beziehungswirklichkeit um, was es rechtfertigt, hier vom "performativen Realitätsfernsehen" (bzw. -formaten) (KEPPLER 1994, siehe auch IVÁNYI 2003) zu sprechen. [4]
Die von IVÁNYI und REICHERTZ ausführlich untersuchte Sendung "Traumhochzeit" startete 1992 und lief bis 2000 im Programm von RTL. Moderiert wurde die Show von der Niederländerin Linda de Mol. Insgesamt wurden neun Staffeln von Endemol produziert, wobei nach eigenen Angaben der Produzenten im Durchschnitt mehr als 4,5 Millionen Zuschauer pro Folge erreicht wurden. Dem Publikum werden zunächst in einem Video die drei konkurrierenden Paare vorgestellt. Das Video demonstriert die mit versteckter Kamera aufgenommene Liebeserklärung der Braut oder des Bräutigams, die in der Öffentlichkeit erfolgt (z.B. im Vorlesungssaal oder auf der Baustelle) sowie den folgenden Heiratsantrag. Nach einem kurzen Eröffnungsgespräch sind die Paare dann in mehreren Spielrunden in verschiedenen Rollen-, Einschätzungs- und Wissensspielen gefordert. Das Siegerpaar gewinnt die Zelebrierung ihrer Hochzeit mit Hochzeitskleid und anderem Equipment sowie der standesamtlichen Trauung im Fernsehstudio. Die in der Regel gerührte Moderatorin gratuliert dem Paar und führt ihm das Ziel der Hochzeitsreise per Film vor, die sie als Prämie der Offenbarung und des damit verbundenen Aufwands gewinnt. [5]
Die ebenfalls von derselben Firma produzierte Show "Nur die Liebe zählt" wurde von 1993 bis 1994 auf RTL ausgestrahlt und seit 1995 bei SAT.1 gesendet. Moderiert wird die Sendung von Kai Pflaume. Sie erreicht im Durchschnitt etwa 4,0 Millionen Zuschauer (MÜLLER 1999, S.250). Die Show konzentriert sich im Gegensatz zur "Traumhochzeit" mehr auf die Bewältigung von Beziehungsproblemen. Die Kandidaten erhalten mittels Videoeinspielungen Gelegenheit, zum Beispiel Kontaktschwierigkeiten und Liebesgeständnisse zu kommunizieren, dem geliebten Partner für Gewichtiges zu danken oder sich für grobes Fehlverhalten zu entschuldigen. Der Moderator vermittelt in "pseudo-therapeutischer Manier" (MÜLLER 1999, S.251) zwischen dem Initiator und dem Adressaten des Anliegens. Die Paare können im Falle der Versöhnung bzw. eines positiven Arrangements im Studio ihre Rührung, Erleichterung, Freude und Betroffenheit vor laufender Kamera offenbaren. Bemühen sich nicht-theatrale bzw. nicht-medial inszenierte Liebes(re)präsentationen vor allem um die Vermittlung von Authentizität, setzen nach Auffassung von REICHERTZ theatrale sehr stark auf "die Macht der anwesenden Zuschauer und Zeugen" (REICHERTZ, S.54). Dabei besteht für die Akteure die Aufgabe, glaubhaft darzustellen, was sie eigentlich in der gegebenen Situation nicht wirklich darstellen können. Es ist paradox, überzeugt aber im Regelfall die Rezipienten. Sie beurteilen etwas als authentisch, was es vom Vorgehen gar nicht sein kann. So werden oftmals bei den Akteuren in der medialen Öffentlichkeit Gefühlsausbrüche möglich, die im Privaten unter Umständen nicht erfolgt wären. Das Ausmaß der Liebe wird im Prinzip nicht mehr daran gemessen, wie "rein und wie tief sie im Inneren des liebenden Individuums gründet, sondern daran, was Liebende bereit sind, füreinander unter den Augen der Öffentlichkeit zu tun bzw. zu geben." (ebd.) [6]
3. Fragestellungen und Methoden
Die übergeordneten Fragestellungen widmen sich der medialen Präsentation bzw. Repräsentation von "Liebe" in den beiden Fernsehshows. Die Autoren haben sich auf die Suche nach neuen Zeichen und Praktiken gemacht, die bei der Inszenierung von Liebe verwendet werden. Außerdem war ihr Anliegen, Theatralisierungen von "Liebe" und "Hochzeit" auszumachen sowie deren individuelle und gesellschaftliche Funktionen zu hinterfragen. Nicht zuletzt haben sich IVÁNY und REICHERTZ für die Austauschprozesse zwischen den medialen Darstellungen von Liebe und den alltagspraktischen Formen der Liebe interessiert. [7]
Analysiert wurden sehr detailliert je 12 Folgen der Sendung "Traumhochzeit" und "Nur die Liebe zählt". Aufzeichnungszeitraum waren die Jahre von 1992 bis 2000. Berücksichtigung fanden zudem ausgewählte Sendungen von Daily Talks. Im Zeitraum 1998 bis 2000 wurden 30 Sendungen u.a. Andreas Türck (Pro7), Arabella Kiesbauer (Pro7), Nicole – Entscheidung am Nachmittag (Pro7), Vera am Mittag (SAT.1) aufgezeichnet, die ebenfalls Liebesinszenierungen zum Thema machen bzw. gemacht haben. Herausgefunden werden sollte, inwieweit Kontext, Rahmung und der Einsatz von Symbolen und Zeichen die Darstellung von Liebe – sei es in Form einer Entschuldigung, eines Heiratsantrags, einer Danksagung oder Kontaktanbahnung – beeinflussen oder auch Reaktionen der Beteiligten vorhersagen können. Angefertigt wurden dazu u.a. hermeneutische Einzelfallanalysen. Auf der Grundlage eines Handlungsprotokolls der jeweiligen Filmszenen wurden die nichtsprachlichen Ausdrucksformen der Liebenden sequenzanalytisch ausgewertet und nach dem Prinzip minimaler und maximaler Fallkontrastierung an weiteren Einzelfällen überprüft. [8]
Die Interpretation der medialen Inszenierungen des Traurituals in der Sendung "Traumhochzeit" erfolgte hingegen anhand der von REICHERTZ entwickelten Bildhermeneutik. Diese Methode geht folgendermaßen vor: Es werden zwei Typen von Handlungen untersucht. Zum einen Handlungen, die vor der Kamera von verschiedenen Protagonisten vollzogen werden (Typ I) und zum anderen Handlungen, die als so genannte Mediatisierungs- und Rahmungshandlungen der Kamera die Handlungen vor der Kamera auf eine spezifische Art und Weise präsentieren (Typ II). Bei letzterem Typ von Handlungen werden alle Handlungslogiken, die an der Aufnahme der Fernsehshow mitwirken, in die Analysen miteinbezogen. Dazu gehört zum Beispiel die Wahl des Ortes, der Kulissen und des sozialen Setting der Inszenierung von Handlung vor der Kamera, die Auswahl und Gestaltung des Bildausschnitts, die Schnittfolgen, die Auswahl von Filtern, eingeblendeten Grafiken, Texten, Tönen und der Musik. [9]
Es wurden im Hinblick auf die Anwendung eines breiten Methodenrepertoires keine Mühen und kein Aufwand gespart. So beobachteten und analysierten IVÁNYI und REICHERTZ die Aufzeichnungen zweier Daily Talks und einer Sendung "Traumhochzeit". Sie verfolgten den genauen Ablauf der Sendung, Kommunikationsprozesse, Rollen- und Kompetenzverteilungen von Experten und Laien. Sie führten Interviews mit Kandidaten der Beziehungsshows und auch einem Redakteur der Daily Talkshow "Bärbel Schäfer". [10]
Die Autoren fühlen sich in ihrer gesamten methodischen und methodologischen Herangehensweise der hermeneutischen Wissenssoziologie verpflichtet, die – knapp ausgedrückt – die gesellschaftliche Bedeutung jeder Form von Interaktion und aller Arten von Interaktionsprodukten zu (re-) konstruieren versucht. Es gilt den Umgang mit dem vorhandenen Wissen und den gegebenen Handlungskontexten zu identifizieren. Der Umgang und die Auseinandersetzung mit Handlungskontexten machen mitunter Neuauslegungen von Wissen möglich, das dann wiederum in gesellschaftliche Handlungsfelder eingebracht wird. IVÁNYI und REICHERTZ nehmen bei ihren Analysen nach eigenen Aussagen eine hermeneutische Perspektive ein, die "nicht nur die alltägliche Interaktion und Interaktionsprodukte methodisch angeleitet deutend verstehen will, sondern ebenfalls die bei diesem Verstehen zum Einsatz kommenden Verfahren des wissenschaftlichen Deutens" (S.15). Damit bemühen sie sich um einen reflexiven und interpretativen Umgang mit sozialwissenschaftlich-qualitativer Forschung. Ihrer Ansicht nach gilt das Handeln von Akteuren erst dann als verstanden,
"wenn der Interpret in der Lage ist, dieses Handeln in Bezug zu dem vorgegebenen und für den jeweiligen Handlungstypus relevanten Bezugsrahmen zu setzen und es in dieser Weise für diese Situation als eine (für die Akteure) sinn-machende (also nicht unbedingt gültige!) 'Lösung' eines Handlungsproblems nachzuzeichnen" (ebd.; Herv. im Orig.). [11]
Aus Sicht der sozialwissenschaftlichen Fraktion quantitativ Forschender erscheint ein solcher Anspruch kaum einlösbar zu sein und fordert die Frage des Verbindlichen heraus: Lassen sich anhand von derartigen wissenssoziologischen Untersuchungen brauchbare, d.h. überzeugende gesellschaftliche Zeitdiagnosen zum Umgang mit dem Phänomen "Liebe" erkennen? Lassen sich einheitliche kulturelle Deutungs- und Handlungsmuster auf Seiten der Akteure und der Rezipienten identifizieren? Und können verallgemeinerbare Medienwirkungen festgeschrieben werden? Und nicht zuletzt: Steht der Ertrag solch aufwendiger Untersuchungen in einem angemessenen Verhältnis zum Aufwand? [12]
Den Antworten auf die Fragen nach Wirkung und Nutzen der Studienlektüre gehen einige Bemerkungen voraus: Auch ohne je eine Sendung von "Traumhochzeit" oder "Nur die Liebe zählt" gesehen zu haben, kann ich dem Leser bzw. der Leserin versichern, dass sich ihm nach kurzer Zeit des Einlesens ein plastisches, weitgehend wertneutrales Bild dieses besonderen Fernsehformats bietet – und das auf nüchterne, aber doch unterhaltsame Art und Weise. Nur selten gehen Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerinnen so in ihrem Forschungsgegenstand auf, ohne dass sich gleich die Frage nach der Motivation für die Studien aufdrängt. Es ist durchaus beeindruckend, wie man sich mit so viel Hingabe und über einen doch recht langen Zeitraum einem solchen Format widmen kann, das sich gegenwärtig nun doch allmählich auszuleben scheint. Von beiden Autoren liegen bereits einige Publikationen zur Produktion und Rezeption der untersuchten Beziehungsshows vor (siehe IVÁNYI, 2001, REICHERTZ, 1993, 1994, 1995a, 1995b, REICHERTZ & IVÁNYI, 2002) [13]
Wie steht es nun mit dem Erkenntnisgewinn? Da die Autoren sich in jedem Beitrag mit einer etwas anderen Fragestellung zum selben Forschungsgegenstand aus einer anderen Perspektive mit anderem methodischen Zugang beschäftigen, finden sich viele interessante Einzelergebnisse, die sich im Verbund vielleicht folgendermaßen zusammenfassen lassen: Das Verhalten von Liebenden ist immer von der Liebeskultur der jeweiligen Gesellschaft, in der sie leben, geprägt. Es stellt sich im öffentlichen Raum anders als im intimen Kontext dar. Werden Liebesbekundungen mittels Speichermedien festgehalten, so wird versucht, ihnen auf diese Weise eine besondere Verbindlichkeit, Dauerhaftigkeit und Intensität bzw. Bedeutung zu geben. Oftmals wird aber bei der medialen Gefühlsoffenbarung die Authentizität riskiert, denn die Handlungslogik bestimmen nicht nur die zwei unmittelbar Beteiligten, sondern auch wesentlich die am Geschehen beteiligten "Dritten": Moderatoren, Kameraleute, Produzenten und nicht zuletzt das Publikum. Die Strukturierung des Ablaufs, die gestalterische Rahmung und Moderation sind neben vielen anderen Aspekten ganz entscheidend für die Interaktion und Kommunikation der Beziehungsakteure. Die Dramaturgie der medialen Liebesbekundung lässt sich eigentlich nicht vorhersagen, unterliegt aber etwa durch rituelle Überhöhungen und auch zum Teil dem Einsatz von Symbolen (Blumen, Ringen etc.) gewissen Logiken, die im Falle der "Traumhochzeit" immer zum Erfolg führen. Manche Szenenbeschreibungen von Heiratsanträgen haben geradezu einen nötigenden Charakter, der der Erwählten oder dem Erwähltem keinen wirklichen Entscheidungsspielraum in der öffentlichen Situation lässt. [14]
Interessant ist der Befund, dass öffentliche Liebesinszenierungen und Heiratsanträge in der Alltagspraxis häufiger zu finden sind und selbstverständlicher zu werden scheinen, soweit man das anhand von Einzelfallstudien so allgemein sagen kann. Auch den Anspruch auf eine perfekt und außergewöhnlich inszenierte standesamtliche Trauungszeremonie finden die Autoren vermehrt und schließen anhand ähnlich verlaufender Handlungsabläufe darauf, dass es hier offensichtlich zu Austauschprozessen von medial idealisierten Darstellungen von Liebe und den Liebesdarstellungen in der alltäglichen Lebenspraxis kommt. Trauungsrituale – so die Zeitdiagnose von REICHERTZ – erleben eine Renaissance; sie differenzieren und potenzieren sich nicht nur in Einzelfällen. Es wird für gewöhnlich nichts ausgelassen, d.h. man spart nicht an Einladungs- und Dankeskarten, an Dekoration, Ausstattung und an der visuellen Dokumentation des Ganzen. Standesamtliche Trauungen werden zunehmend prachtvoller und dienen dem Zweck, ein Gefühl der Verbundenheit und Sicherheit zu produzieren, welches bis vor wenigen Jahrzehnten der Kirche vorbehalten war. Allerdings kommt IVÁNYI in ihren Auswertungen narrativer Interviews mit Brautpaaren zu dem Schluss, dass Paare nicht nur von medialen Hochzeitsinszenierungen bei der Gestaltung ihrer persönlichen Traumhochzeit inspiriert werden, sondern vor allem eigene (auch traditionelle) Vorstellungen der Partner, auch die soziale Umwelt wie Arbeitskollegen, Freunde und Familienangehörige eine ganz wesentliche Rolle bei der Planung der Festaktivitäten spielen. [15]
Verbleibt zuletzt noch die Frage danach, was derartige Einzelstudien leisten können und inwieweit der Aufwand der Untersuchungen in einem angemessenen Verhältnis zum Ertrag steht. Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag ist aus meiner Sicht dann akzeptabel, wenn am Ende der Untersuchung keine Fragen offen bleiben und Thesen generiert werden können, die nicht nur dem ursprünglichen, wissenschaftlichen Anspruch der Antragsteller, sondern auch dem Wissensdurst der "scientific community" gerecht werden. Nach meiner Einschätzung mangelt es der vorliegenden Sammlung von Einzelstudien zum Thema Liebes(re)präsentationen im Fernsehen nicht an Ergebnissen. Allerdings lässt sich nicht beurteilen, ob der Verzicht auf die ein oder andere Herangehensweise Gleiches hervorgebracht hätte. Von daher halte ich das methodische Vorgehen für angemessen, ohne es zum Standard erklären zu wollen, denn wissenssoziologische Analysen sind auch problematisch. Problematisch sind sie insofern, als der auserwählte Forschungsgegenstand von den Wissenssoziologen oftmals so kleinteilig, ja bis zur Unkenntlichkeit analysiert wird, dass man das Gefühl hat, vorher doch irgendwie schlauer als hinterher gewesen zu sein. Dieses Resultat ist von den Wissenssoziologen nicht beabsichtigt, aber stellt sich trotz aller Professionalität ein und hat zur Folge, dass der Wissenssoziologie derzeit kein besonders artikuliertes Interesse zuteil wird (vgl. MAASEN 1999). Es wäre wünschenswert, wenn das vorliegende Buch von IVÁNYI und REICHERTZ einen Beitrag zur größeren Popularität der Disziplin liefern und wissenssoziologische Mehrmethodenansätze etablieren könnte. Dafür bedarf es aus meiner Sicht einer ausführlicheren Begründung der Auswahl der Methoden und einer Fokussierung von Perspektiven, die ihre Detailtreue nicht aufgeben muss, aber ihre logische Struktur plausibilisieren sollte. Letzteres scheint mir zum Beispiel in der Dissertation von Nathalie IVÁNYI mit dem Titel "Die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Konstruktion", auf die ich hier sehr gerne verweisen möchte, recht überzeugend gelungen zu sein. [15]
Hahn, Kornelia (2002). Einleitung: Öffentlichkeit und Offenbarung in der medialen Kommunikation. In Kornelia Hahn (Hrsg.), Öffentlichkeit und Offenbarung. Eine interdisziplinäre Mediendiskussion (S.7-20). Konstanz: UVK.
Iványi, Nathalie (2001). Alltagsmenschen als inszenatorische Ressource von Fernsehshows. Eine Skizze produktionstheoretischer Erklärungsansätze. montage/av, 10(1), 55-70.
Iványi, Nathalie (2003). Die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Konstruktion. Ein institutionalisierungstheoretischer Medienwirkungsansatz. Konstanz: UVK.
Keppler, Angela (1994). Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realitätsprinzip der Fernsehunterhaltung. Frankfurt/M.: Fischer.
Maasen, Sabine (1999). Wissenssoziologie. Bielefeld: transcript.
Müller, Eggo (1999). Paarungsspiele. Beziehungsshows in der Wirklichkeit des neuen Fernsehens. Berlin: Edition Sigma.
Reichertz, Jo (1993). "Ist schon ein tolles Erlebnis!" Motive für die Teilnahme an der Sendung Traumhochzeit. Rundfunk und Fernsehen, 41(3), 359-377.
Reichertz, Jo (1994). "Ich liebe, liebe, liebe Dich!" Zum Gebrauch der Fernsehsendung Traumhochzeit durch die Kandidaten. Soziale Welt, 45(1), 98-119.
Reichertz, Jo (1995a). "... da war ich verheiratet." Magische Elemente in der Sendung Traumhochzeit. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, 21(3), 705-740.
Reichertz, Jo (1995b). Nur die Liebe zählt. Zum Verhältnis von Fernsehen und Kandidaten. In Stefan Müller-Dohm & Klaus Neumann-Braun (Hrsg.), Kulturinszenierungen (S.114-140). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Reichertz, Jo & Iványi, Nathalie (2002). Tyrannei der Theatralität. Heiratsanträge in der Traumhochzeit als neue Formen des öffentlichen Lebens. In Kornelia Hahn (Hrsg.), Öffentlichkeit und Offenbarung. Eine interdisziplinäre Mediendiskussion (S.193-211). Konstanz: UVK.
Dagmar HOFFMANN, Studium der Soziologie an der Freien Universität Berlin, Promotion an der Technischen Universität Chemnitz. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Audiovisuelle Medienwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg. In ihrer Habilitation beschäftigt sie sich mit der medialen Aneignung der Inszenierungen von Nacktheit und Sex in Film und Fernsehen. Weitere Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Medien-, Geschlechter- und Evaluationsforschung, Sozialisationstheorien und Politische Soziologie. – Dagmar HOFFMANN hat in FQS mehrere Besprechungen veröffentlicht, zu: Stadt und Kommunikation im digitalen Zeitalter, eine Sammelbesprechung zu zwei Themenbänden der Buchreihe Cultural Studies (gemeinsam mit Markus WIEMKER) und zu Geschlechterkonstruktionen und -differenzen in Technik- und Naturwissenschaften (gemeinsam mit Sören BOTT) verfasst.
Kontakt:
Dr. phil. Dagmar Hoffmann
Hochschule für Film und Fernsehen
"Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg
AV-Medienwissenschaft/Präsidialamt
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E-Mail: d.hoffmann@hff-potsdam.de
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Hoffmann, Dagmar (2004). Rezension zu: Nathalie Iványi & Jo Reichertz (Hrsg.) (2003). Liebe (wie) im Fernsehen. Eine wissenssoziologische Analyse [15 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 5(3), Art. 8, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs040380.
Revised 6/2008