Volume 5, No. 2, Art. 21 – Mai 2004

Der Dritte Golfkrieg: Zur Glaubhaftigkeit der medialen Berichterstattung

Margrit Schreier, Özen Odag & Norbert Groeben

Zusammenfassung: Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die Beurteilung der medialen Berichterstattung während des dritten Golfkriegs im Jahr 2003 unter Gesichtspunkten der Glaubhaftigkeit. Im Mittelpunkt stehen sowohl die Beurteilungen selbst als auch die Gründe, weshalb den Rezipienten/innen ein Beitrag eher glaubhaft oder eher unglaubhaft erscheint. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit wird dabei als ein mehrperspektivisches Urteil unter Rückgriff auf individuelles Welt- und Medienwissen aufgefasst, bei dem sich die Rezipienten/innen sowohl an Inhalts- als auch an Form-Merkmalen der fraglichen Medienberichte orientieren. Die Datenerhebung erfolgte durch Medientagebücher, in denen die Teilnehmer/innen die Quelle, den Inhalt des fraglichen Medienberichts, ihr (Un-)Glaubhaftigkeitsurteil sowie die Gründe für dieses Urteil festhielten und den Untersuchungsleitern/innen per E-Mail zusandten. Bei der Stichprobe handelte es sich um eine ausgewählte Gruppe von Kollegen/innen an verschiedenen Universitäten in Deutschland und Österreich (N=13). Die inhaltsanalytische Auswertung ergibt, dass die Teilnehmer/innen etwa 40% der rezipierten Beiträge durchaus für glaubhaft halten, während sie hinsichtlich der verbleibenden Beiträge meist ambivalent sind. Weiterhin zeigt sich, dass die Rezipienten/innen sich bei ihren Glaubhaftigkeitsurteilen in erster Linie auf Medienwissen sowie Plausibilitätsüberlegungen stützen. Zwar spielt Medienwissen auch bei Unglaubhaftigkeitsurteilen durchaus eine Rolle; hier erweisen sich aber zusätzlich Formmerkmale (wie etwa Unvollständigkeit von Beiträgen) als relevant.

Keywords: politische Psychologie, Medienpsychologie, Rezeptionsforschung, Glaubhaftigkeit, Kriegsberichterstattung, Golfkrieg

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Der vorhergehende Golfkrieg und die Medien

2.2 Glaubhaftigkeitszuschreibungen: Die Rezipienten/innen und die Medien

2.3 Glaubhaftigkeitsattributionen als mehrperspektivische Beurteilungen des Realitätsstatus von Medienprodukten

3. Methode: Durchführung und Stichprobe

4. Auswertung: Inhaltsanalyse

5. Ergebnisse

6. Fazit

Danksagung

Anhang: Kategoriensystem – Kategorienbenennungen

Anmerkungen

Literatur

Zu den Autorinnen und zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Nicht nur hatten sich die Verhandlungen innerhalb der UN über das Jahr 2002 bis in 2003 hinein hingezogen, sondern auch die Suche der UN-Inspektoren im Irak nach Massenvernichtungswaffen, die Aufforderungen der USA an den Irak, sämtlichen UN-Resolutionen nachzukommen, und nicht zuletzt das Taktieren von Saddam Hussein. Am Abend des 19. März 2003 schließlich fand der erste Bombenangriff von amerikanischer Seite auf Bagdad statt: Der dritte Golfkrieg hatte begonnen. [1]

In solchen Krisenzeiten haben Menschen in der Regel ein erhöhtes Informationsbedürfnis (vgl. z.B. KEMPF, PALMBACH & REIMANN 1993; ROESER & SCHAEFER 2002), und schon zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges waren die Medien bemüht, diesem Bedürfnis nachzukommen (WILKE 1995). Eine erhöhte Zuwendung zu den Medien ist allerdings noch nicht gleichbedeutend mit Vertrauen in die mediale Berichterstattung (schon gar nicht nach der Berichterstattung über den zweiten Golfkrieg 1991, die vielfachen Zensurmaßnahmen unterlag: s. unten Abschnitt 2.1); vielmehr hat sich gerade in Krisenzeiten gezeigt, dass lediglich etwa maximal 50% der Rezipienten/innen den Medienberichten Glauben schenken (z.B. für die Berichterstattung über Tschernobyl: BENTELE 1988, S.414). [2]

Im vorliegenden Beitrag steht die Frage im Mittelpunkt, wie Rezipienten/innen die mediale Berichterstattung über den dritten Golfkrieg unter Gesichtspunkten der (Un-)Glaubhaftigkeit einschätzen; dabei liegt der Schwerpunkt auf den Gründen, an denen die Rezipienten/innen sich bei ihren Beurteilungen orientieren. Die Datenerhebung erfolgte durch Medientagebücher, die einen ausführlichen Einblick in die Rezeption der Kriegsberichterstattung durch die Untersuchungsteilnehmer/innen bieten. Wie zu vermuten, waren nur wenige der von uns kontaktierten Personen bereit und in der Lage, den Aufwand auf sich zu nehmen, wie er mit dem Verfassen eines solchen Medientagebuchs verbunden ist. Entsprechend handelt es sich bei den Teilnehmern/innen um eine kleine, ausgewählte Stichprobe von engagierten Kollegen/innen, und die Untersuchung hat lediglich explorativen Charakter – bietet aber dennoch einen Einblick in die partiell durchaus unterschiedlichen Begründungen, wie sie Glaubhaftigkeits- und Unglaubhaftigkeitsurteilen ggf. zugrunde liegen. [3]

Im Folgenden gehen wir zunächst auf die Berichterstattung über den zweiten Golfkrieg ein, die den Hintergrund für die Rezeption der thematischen Berichte über den dritten Golfkrieg bildet (2.1). Anschließend verorten wir die vorliegende Untersuchung in der Forschungstradition zur Glaubhaftigkeit der Medien und medialer Darstellungen (2.2). Dabei wird deutlich, dass bisher kaum Erkenntnisse über die Merkmale von Medienberichten vorliegen, an denen Rezipienten/innen sich bei ihren Glaubhaftigkeitszuschreibungen orientieren. Zum Zweck der theoriegeleiteten Rekonstruktion solcher Merkmale wird im nächsten Schritt auf ein Drei-Perspektiven Modell zurückgegriffen, das im Rahmen der Rekonstruktion von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen entwickelt wurde (2.3). Daran schließt sich die Darstellung der Untersuchung (3.), der inhaltsanalytischen Auswertung (4.) und der Ergebnisse (5.) an. [4]

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Der vorhergehende Golfkrieg und die Medien

Dass die Menschen sich in Zeiten der Unsicherheit den (Massen-) Medien vermehrt zuwenden, bedeutet nicht notwendig, dass sie tatsächlich besser informiert sind oder sich besser informiert fühlen (z.B. BENNETT 1994). Der Informationsstand der Medienrezipienten/innen hängt vielmehr wesentlich von zwei Faktoren ab: von dem Ausmaß, in dem die Berichterstattung als zutreffend und vollständig gelten kann, sowie von der Bereitschaft und Fähigkeit der Rezipienten/innen, diese Informationen aufzunehmen und zu erinnern. Was den ersten Faktor betrifft, so stellt es heute einen medienwissenschaftlichen Gemeinplatz dar, dass die Medien Realität nicht in erster Linie wiedergeben, sondern konstruieren (z.B. SCHULZ 1989). Dennoch sind Journalisten/innen gehalten, ihre Darstellungen nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgetreu zu verfassen, also Informationen beispielsweise nicht wissentlich zu verfälschen oder gar zu erfinden (vgl. z.B. die journalistischen Objektivitätskriterien und Richtlinien in SCHANNE 1995; zur Medienethik im Allgemeinen LESCHKE 2002). Spätestens mit dem Vietnamkrieg wurde deutlich, welche Bedeutung der Kriegsberichterstattung im Zeitalter der Massenmedien zukommen kann:

"Mit guten Gründen ist man z.B. zu der Überzeugung gelangt, die Amerikaner hätten den Vietnam-Krieg weniger aus militärischen Ursachen als verloren gegeben, sondern weil die erschütternden Kriegsbilder über das amerikanische Fernsehen in die Haushalte gelangten und damit in der Heimat der Soldaten den Durchhaltewillen unterliefen. Jedenfalls war dies ein 'unzensierter Krieg', und dies tat seine Wirkung." (WILKE 1995, S.33) [5]

Nicht zuletzt als Konsequenz aus dieser Erfahrung wurde die Berichterstattung über den zweiten Golfkrieg 1991 von den USA systematisch kontrolliert und beschränkt. Zentrale Manifestation dieser Kontrolle war die Einrichtung eines "Newspool-Systems" (z.B. MUSOLFF 1995; OTTOSEN 1994): Berichte vom Kriegsschauplatz waren lediglich 192 ausgewählten US-amerikanischen und britischen Journalisten gestattet, die in 24 "Pools" unterteilt und je einer Militäreinheit zugewiesen wurden; Zugang zu den Kriegsschauplätzen wurde den Journalisten/innen nur in militärischer Begleitung gewährt. Zugleich galten strenge Regeln hinsichtlich der Themen, über die eine Berichterstattung zulässig war. Nicht gezeigt werden durften beispielsweise Ton- oder Bild-Aufzeichnungen von Militärpersonal mit starken Schmerzen, im Schockzustand, in psychiatrischer Behandlung oder mit körperlichen Entstellungen; Aufnahmen getöteter amerikanischer Soldaten waren selbstredend ebenfalls nicht erwünscht (OTTOSEN 1994, S.334f.). Auch machte das Pentagon den Journalisten/innen unmissverständlich deutlich, dass ihr Zugang zu Informationen von einer Berichterstattung abhing, die den zuständigen Stellen in den USA "genehm" war: "For nearly two months, reporter James LeMoyne had a standing request for an interview with General Schwarzkopf. A Pentagon official admitted to LeMoyne that if his articles were not 'liked', the interview would probably be denied." (o.c., S.335) [6]

Bei den Informationen, die der Presse von den USA zur Verfügung gestellt wurden, handelte es sich allerdings partiell weniger um Information im eigentlichen Sinne, als vielmehr um Desinformation. Diese diente zum Teil militärischen Zwecken und war darauf ausgerichtet, die irakische Führung zu verwirren und zu demoralisieren. Andere (Des-)Informationen hatten vermutlich das Ziel, die irakische Führung in einem möglichst negativen Licht erscheinen zu lassen bzw. komplementär die USA in einem positiven. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Bilder der "intelligenten" Bomben der USA zu nennen, die angeblich punktgenau ihre (militärischen) Ziele ansteuerten und zumindest zu Kriegsbeginn wesentlich zum Bild eines "sauberen Kriegs" beigetragen haben, der so gar nichts mit dem Leiden der Menschen zu tun zu haben schien, wie wir es von anderen Kriegen her kennen (z.B. KEMPF 1991). [7]

Die Korrektheit und Vollständigkeit von Informationen stellen ihrerseits eine notwendige Voraussetzung für einen hohen Informiertheitsgrad der Rezipienten/innen dar. Angesichts der Schwächen der Berichterstattung wundert es nicht, dass die Rezipienten/innen, die sich zu Beginn des zweiten Golfkriegs zunächst vermehrt den Medien zugewandt hatten, dennoch über die Einzelheiten der Geschehnisse nicht sonderlich gut informiert waren (z.B. BENNETT 1994; KEMPF et al. 1993). Dieser Befund ist einerseits sicherlich in Zusammenhang mit dem generellen Ergebnis zu sehen, dass insbesondere Fernsehnachrichten nicht sehr gut erinnert werden (vgl. etwa De FLEUR et al. 1992; zur Kriegsberichterstattung BENNETT 1994). Andererseits manifestieren sich hier jedoch auch die Auswirkungen der spezifischen Inhalte der Kriegsberichterstattung. So konnten etwa REIMANN und KEMPF (1993) zeigen, dass die Zuschauer/innen, die während des Krieges die Medien intensiv rezipiert hatten, sich nicht vorstellen konnten, dass die Genfer Konvention tatsächlich einen Artikel zum Schutz vor Einschüchterung, Beleidigung und öffentlicher Neugier beinhaltet. Eine intensive Medienrezeption hatte hier also gerade eine Desinformation zur Folge. [8]

2.2 Glaubhaftigkeitszuschreibungen1): Die Rezipienten/innen und die Medien

Allerdings sind Rezipienten/innen auch nicht notwendig bereit, den Medien quasi unbesehen Glauben zu schenken. In repräsentativen Befragungen Erwachsener zur Glaubhaftigkeit der verschiedenen Medien, die sowohl in den USA als auch in Deutschland in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, hat sich mehrfach sichern lassen, dass dem Fernsehen zwar mehr als 50% der befragten Personen Glauben schenken, den Tageszeitungen und dem Hörfunk dagegen weniger als 30% (im Überblick BENTELE 1988; NAWRATIL 1997). Eine gewisse Skepsis den Medien gegenüber zeigt sich auch ganz konkret bei Befragungen zu Berichten über krisenhafte Ereignisse. So waren beispielsweise in einer Untersuchung von BENTELE (1988) zur retrospektiven Wahrnehmung der Berichterstattung über Tschernobyl unter Mediennutzern/innen in Deutschland 40% der Befragten der Ansicht, die Berichterstattung des Fernsehens sei zumindest zum Teil unglaubwürdig und falsch gewesen (BENTELE 1988, S.414; s. auch oben Abschnitt 2.1), und die Berichterstattung der BBC über den zweiten Golfkrieg hielten in einer Untersuchung, die von SHAW in England durchgeführt wurde, zwar 69% für weitgehend glaubhaft, die der Sun oder des Star dagegen nur zwischen 24 und 29% (1996, S.142f.). [9]

Solche Untersuchungen, in denen pauschal nach der Glaubhaftigkeit verschiedener Medien gefragt wird, haben sich jedoch in mehreren Hinsichten als unzureichend erwiesen. Zunächst lässt sich anführen, dass eine solche pauschale Frage der Komplexität des Glaubhaftigkeits- bzw. Glaubwürdigkeits-Begriffs nicht gerecht wird, den etwa BENTELE (1988, S.408) als mehrstelligen Relationsbegriff auffasst, und zwar als eine Eigenschaft, die einem Objekt (sei es ein Text, eine Instanz, ein Medium usw.) von einer Person (hier: den Rezipienten/innen) in Bezug auf etwas (etwa ein bestimmtes Ereignis) zugeschrieben wird. Dieser Auffassung zufolge sind Glaubhaftigkeitsattributionen nicht nur in Abhängigkeit von verschiedenen Medien zu sehen, sondern es sind darüber hinaus auch Merkmale der Rezipienten/innen und des fraglichen Ereignisses in die Modellierung einzubeziehen. Diese Hypothese der Relevanz von Merkmalen der Rezipienten/innen hat sich auch empirisch bestätigen lassen. So tendieren Rezipienten/innen beispielsweise dazu, von vornherein solche Medientypen (z.B. bestimmte Zeitungen oder Fernsehprogramme) auszuwählen, die ihren eigenen Einstellungen entsprechen – wobei letztere dann im Rezeptionsverlauf erneut eine Bestätigung erfahren (z.B. STAMM & DUBE 1994). Auch die Interaktion zwischen Rezipient/in und Ereignis im Sinne der thematischen Involviertheit hat sich als bedeutsam erwiesen, und zwar derart, dass eine hohe Involviertheit die Skepsis gegenüber der medialen Berichterstattung erhöht (zu diesen und anderen Faktoren im Überblick NAWRATIL 1997, Kap. 6.4, 6.7). [10]

Auch die anderen beiden Instanzen der Glaubhaftigkeit als mehrstelligem Relationsbegriff sensu BENTELE sind weiter auszudifferenzieren. Seit HOVLANDs klassischer Unterscheidung zwischen Sachverständigkeit (expertness) und Vertrauenswürdigkeit (trustworthiness) als zentralen Komponenten der Glaubwürdigkeit (z.B. HOVLAND, JANIS & KELLEY 1953; HOVLAND & WEISS 1951), ist im Rahmen mehrdimensionaler Modellierungen eine Vielzahl weiterer Faktoren vorgeschlagen worden, die ebenfalls als Komponenten von Glaubhaftigkeit aufgefasst werden, wie z.B. "dynamism" (z.B. BERLO, LEMERT & MERTZ 1969) oder "objectivity / bias" (LEE 1978; im Überblick NAWRATIL 1997, Kap. 5 und 6), wobei allerdings die Grenze zwischen Komponenten des Glaubhaftigkeitskonstrukts und Indikatoren von Glaubhaftigkeit zunehmend unscharf wird. [11]

Auf der Seite der Medien schließlich erweist sich die Frage nach der Glaubhaftigkeit "der Zeitung" im Vergleich zu der "des Fernsehens" ebenfalls als unterdifferenziert. So konnte BENTELE (1988) zeigen, dass verschiedene Produkte innerhalb eines Mediums je unterschiedliche Glaubwürdigkeitsprofile aufweisen (der Tagesschau wurde beispielsweise deutlich mehr Glaubhaftigkeit zugeschrieben als der DDR-Nachrichtensendung Aktuelle Kamera), intramedialen Differenzen bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Medien also eine vergleichbare Rolle zukommt wie den intermedialen, die in der bisherigen Forschung im Mittelpunkt standen. SCHWEIGER (2000) zeigt im Rahmen eines sechsstufigen hierarchischen Modells auf, dass mediale Glaubhaftigkeitsbeurteilungen sich auf ganz unterschiedliche Instanzen beziehen können: vom Medientyp (wie etwa dem Fernsehen) über eine bestimmte Sendung (wie etwa die Tagesschau) bis hin zur Quelle (beispielsweise einem Politiker, der sich in der Tagesschau äußert) oder dem Presenter (z.B. der Nachrichtensprecherin). Weiterhin ist davon auszugehen, dass sowohl inhaltliche als auch gestalterische Merkmale eines konkreten Medienprodukts (eines Zeitungsartikels, einer bestimmten Nachrichtensendung), wie etwa die Genauigkeit und Vollständigkeit der Berichterstattung, die Glaubhaftigkeitszuschreibung beeinflussen; für diesen Bereich liegen jedoch bisher kaum Ergebnisse vor (im Überblick NAWRATIL 1997, Kap. 6.6.). [12]

2.3 Glaubhaftigkeitsattributionen als mehrperspektivische Beurteilungen des Realitätsstatus von Medienprodukten

Wir gehen im Folgenden davon aus, dass sich Beurteilungen von Medienprodukten unter dem Gesichtspunkt der Glaubhaftigkeit als eine spezifische Form der Einschätzung des Realitätsstatus dieser Produkte auffassen lassen. Nach unserer Modellierung kann eine solche Beurteilung prinzipiell unter drei Perspektiven erfolgen: einer pragmatischen, einer semantisch-inhaltlichen und einer modusbezogen-formalen (im Überblick NICKEL-BACON, GROEBEN & SCHREIER 2000; ROTHMUND, SCHREIER & GROEBEN 2001). Dieses Drei-Perspektiven-Modell wurde ursprünglich zur Rekonstruktion von Abgrenzungen zwischen und Vermischungen von "Realität" und "Fiktion" entwickelt (z.B. SCHREIER, NAVARRA & GROEBEN 2002), lässt sich aber u.E. auch für den hier thematischen Bereich der Glaubhaftigkeitseinschätzungen von Medienberichten nutzbar machen. [13]

Die pragmatische Perspektive bezieht sich auf die Werkkategorie und damit auf die Frage, ob ein Medienprodukt als Fiction, Non-Fiction oder (wie beispielsweise der historische Roman oder die Doku-Soap) als eine Hybridform zu klassifizieren ist. Mit den verschiedenen Werkkategorien sind zugleich je unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen verknüpft: Mit Medienprodukten der Kategorie "Non-Fiction" verbindet sich in der Regel produktionsseitig der Anspruch auf bzw. rezeptionsseitig die Erwartung von Wirklichkeitsentsprechung; bei Produkten der Kategorie "Fiction" sind diese Ansprüche und Erwartungen dagegen gerade suspendiert (vgl. z.B. SCHMIDT 1980). Zeitungsberichte oder Nachrichten über den Golfkrieg unterliegen demnach als Non-Fiction-Produkte der Erwartung der Rezipienten/innen, dass in diesen Produkten – nach bestem Wissen und Gewissen der Produzenten/innen und Journalisten/innen – Aussagen über die "Realität" gemacht werden, die Zuschauer/innen also beispielsweise in Heute etwas über die Geschehnisse im dritten Golfkrieg erfahren. Produzenten/innen sind sich ihrerseits über diese Konventionen und Erwartungen im Klaren, und sie wissen auch, dass eine Nicht-Befolgung Sanktionen nach sich ziehen kann (etwa in Form der Medienkritik in Folge der Berichterstattung zum zweiten Golfkrieg). [14]

Unter der semantischen Perspektive steht die Beurteilung der Plausibilität oder Implausibilität des Produktinhalts im Mittelpunkt. Dabei gehen wir davon aus, dass ein Produkt in dem Maß als plausibel und wirklichkeitsnah wahrgenommen wird, in dem es Elemente enthält, die aus der Sicht des Rezipienten bzw. der Rezipientin als real und wahrscheinlich gelten können. Komplementär wird ein Produkt als eher unplausibel eingeschätzt, wenn es irreale Elemente enthält, von denen die Rezipienten/innen wissen, dass sie so nicht existieren (wie dies etwa auf Zwerge oder Hexen im Märchen zutrifft), oder Elemente, die die Rezipienten/innen für unwahrscheinlich halten. Solche Beurteilungen des Produktinhalts sind nicht in einem "absoluten" Sinn als Einschätzungen der "objektiven Wahrheit" von Medienberichten konzipiert; vielmehr erfolgen sie stets subjektiv, indem Rezipienten/innen den Produktinhalt zu ihrem Wissen über die Welt im Allgemeinen und die Medien im Besonderen in Beziehung setzen. Der Inhalt eines Zeitungsberichts über besonders schwere Bombenangriffe der USA auf Bagdad wird einer Rezipientin also z.B. dann als plausibel erscheinen, wenn in anderen Zeitungen (oder in den Nachrichten) in vergleichbarer Weise über die Angriffe berichtet wurde, oder wenn sie die Zeitung in der Regel für durchaus vertrauenswürdig hält (Medienwissen). Zum Eindruck von Plausibilität wird es weiterhin beitragen, wenn sie der Ansicht ist, dass die Schwere der Angriffe sich nahtlos in die bisherige Strategie der USA einfügt, oder wenn solche Angriffe den Ankündigungen des Pressesprechers der US-amerikanischen Regierung vom Vortag entsprechen (Weltwissen). Die Beurteilung eines Medienprodukts unter semantisch-inhaltlicher Perspektive entspricht der Einschätzung eines Medienprodukts hinsichtlich seiner Glaubhaftigkeit, und Aspekte der Passung zwischen Produktinhalt einerseits sowie dem Medien- und dem Weltwissen der Rezipienten/innen andererseits stellen einen Teilbereich der Kriterien dar, an denen Rezipienten/innen sich dem Modell zufolge bei ihrer Einschätzung orientieren. [15]

Weitere Kriterien ergeben sich unter der dritten, der modusbezogen-formalen Perspektive der Beurteilung des Realitätsstatus von Medienprodukten. In der ursprünglichen Modellierung bezieht sich diese Perspektive auf das Ausmaß, in dem Rezipienten/innen ein Medienprodukt (z.B. auf Grund sensorischer Qualitäten, stilistisch-narrativer oder anderer Form-Merkmale) als dem Real-Life ähnlich erleben. Bei der Beurteilung von Medienprodukten hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit können solche Formmerkmale ihrerseits als Kriterien wirksam werden. So dürfte es beispielsweise gegen die Glaubhaftigkeit eines Nachrichtenberichts sprechen, wenn in dem Bericht lediglich Behauptungen aufgestellt, aber nicht (z.B. durch Live-Berichte, Bilder, Gespräche mit Augenzeugen) belegt werden, wenn die Darstellung unvollständig erscheint oder der Bericht allzu sehr auf Sensationen und Unterhaltung ausgerichtet ist. [16]

Während die Forschung zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Medien sich bisher entweder auf die Einschätzung von Medien insgesamt oder aber (in der Tradition von HOVLAND) auf die Glaubhaftigkeit der Quelle konzentriert hat, ist über die konkrete Glaubhaftigkeitsbeurteilung einzelner Medienberichte nur wenig bekannt. Insbesondere fehlt es unseres Wissens an Forschung zu den inhaltlichen und formalen Merkmalen von Medienberichten, an denen Rezipienten/innen sich bei einer solchen Beurteilung orientieren (s. auch oben). Die Rolle dieser Merkmale steht im Vordergrund der vorliegenden Untersuchung zur Rezeption der Berichterstattung in den Medien zum dritten Golfkrieg. Ziel der Untersuchung war es, zu erfassen, wie die Untersuchungsteilnehmer/innen die Berichterstattung während des Krieges im Hinblick auf ihre Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit einschätzen und auf welche Aspekte der Berichte sie sich bei ihren (Un-)Glaubwürdigkeitsurteilen in erster Linie beziehen. Ob die fraglichen Berichte die Ereignisse auch tatsächlich angemessen wiedergegeben haben, ist dagegen in unserer Untersuchung nicht thematisch. [17]

Eine weitere Zielsetzung bestand darin, uns einen Eindruck vom "Rezeptionsklima", von der generellen Haltung der Untersuchungsteilnehmer/innen gegenüber der Berichterstattung zum dritten Golfkrieg zu machen. Das "Newspool-System", Zensur und Desinformation von US-amerikanischer Seite in Kombination mit einer westlichen Presse, die in der Regel nur allzu bereit war, ihren Teil zum Aufbau des Feindbildes von Saddam Hussein beizutragen (vgl. z.B. KEMPF et al. 1993), wurden nach Beendigung des zweiten Golfkrieges Gegenstand einer ausführlichen medienkritischen Analyse (für die bundesdeutsche Berichterstattung s. ausführlich die Beiträge in KEMPF 1994; für die britische Presse SHAW 1996; für die US-amerikanische Berichterstattung: MUSOLFF 1995; OTTOSEN 1994). Diese Kritik hat möglicherweise zu einer Desillusionierung derart geführt, dass manche Menschen der medialen Berichterstattung heute ausgesprochen kritisch gegenüberstehen. Angesichts unserer Stichprobe (s. unten) soll diese Frage hier jedoch nicht als Hypothese formuliert und überprüft, sondern lediglich bei der Auswertung explorativ berücksichtigt werden. [18]

3. Methode: Durchführung und Stichprobe

Der Untersuchungsbeginn war praktisch mit dem Kriegsbeginn identisch: Am Abend des 19. März 2003 fand der erste Bombenangriff von amerikanischer Seite auf Bagdad statt, und am 20. März 2003 wandten wir uns per E-Mail an potenzielle Untersuchungsteilnehmer/innen. In der E-Mail thematisierten wir den Kriegsbeginn und erläuterten die Zielsetzung der Untersuchung: die Rezeption der Kriegsberichterstattung unter dem Gesichtspunkt der (Un-)Glaubhaftigkeit zu erfassen. Zugleich baten wir potenzielle Teilnehmer/innen, eine Art Medientagebuch zu führen und darin pro Eintrag die folgenden Informationen festzuhalten: auf welchen Medienbericht sie sich beziehen, den ungefähren Inhalt des Medienberichts, was ihnen daran glaubwürdig oder unglaubwürdig erschien und warum. Die Medien waren den Teilnehmern/innen freigestellt; sie konnten also auf Reportagen im Radio, Fernsehsendungen, Zeitungsartikel oder die Berichterstattung im Internet gleichermaßen Bezug nehmen. Ebenso war der Umfang der Tagebücher in das Belieben der Teilnehmer/innen gestellt: Mehrere Einträge pro Tag waren ebenso möglich wie ein Eintrag pro Woche. Die Teilnehmer/innen wurden lediglich gebeten, uns ihre Einträge per E-Mail an eine dafür speziell eingerichtete Adresse an der International University Bremen zuzusenden und uns zu informieren, wenn sie ihr Tagebuch nicht fortführen wollten. Diese Medientagebücher dienten der Datenerhebung. Da ihre Zusendung per E-Mail erfolgte, in der Regel unter der eigenen Mail-Adresse der Teilnehmer/innen, waren die Einträge nicht anonym; eine vertrauliche Behandlung der Daten wurde aber selbstverständlich zugesichert und gewährleistet. [19]

Die erste Information über die Untersuchung (am 20. März 2003) einschließlich der Instruktionen zur Erstellung des Medientagebuchs wurde an Kolleginnen und Kollegen sowie Studierende an der Universität Köln und der International University Bremen verschickt, außerdem an Kolleginnen und Kollegen an anderen Universitäten, bei denen wir ein Interesse am Thema der Untersuchung vermuteten. Denjenigen, die bereit waren, regelmäßig Medientagebuch zu führen, sandten wir zunächst nach drei Tagen, dann in wöchentlichen Abständen eine Erinnerungs-Mail zu, in der wir uns für die Teilnahme bedankten und die Instruktionen kurz wiederholten. [20]

Insgesamt erklärten sich neun (von etwa 60 persönlich angefragten) Personen dazu bereit, ein Medientagebuch zu führen, vier weitere lieferten einen umfassenden Eintrag, in dem sie sich sowohl mit der Kriegsberichterstattung als auch mit ihrem eigenen Umgang mit den Medien während des Krieges auseinandersetzten. Diese geringe Teilnahmequote ist nach unserer Einschätzung (die wir in informellen Gesprächen bestätigen konnten) in erster Linie auf den vergleichsweise hohen Aufwand zurückzuführen, der mit der Untersuchungsteilnahme verbunden war. Bei den Teilnehmern/innen handelt es sich folglich um eine ausgewählte, am Untersuchungsthema außergewöhnlich interessierte und vermutlich auch besonders medienkritische Stichprobe. Zwar wurde die Einstellung gegenüber dem Krieg nicht gesondert erhoben; nach unserem persönlichen Eindruck standen die Teilnehmer/innen dem Angriff der USA auf den Irak jedoch mehrheitlich zumindest skeptisch gegenüber. Auch in dieser Hinsicht ist die Stichprobe also in hohem Maß selektiv. Im Hinblick auf das Alter ist die Stichprobe dagegen breit gestreut; unter den Teilnehmern/innen finden sich sowohl Studierende in den Zwanzigern als auch Professoren/innen Ende Fünfzig. Sieben der Teilnehmer/innen sind Frauen, sechs Männer. [21]

Die Untersuchung wurde bis zum 22. April 2003 fortgeführt, bis zu dem Tag also, an dem Präsident Bush offiziell das Ende des Krieges verkündete. In diesem Zeitraum erhielten wir insgesamt 74 E-Mails bzw. 228 Tagebucheinträge (zum Begriff des "Eintrags" s. unten Abschnitt 4). [22]

4. Auswertung: Inhaltsanalyse

Die Auswertung erfolgte inhaltsanalytisch: Um die Bedeutung der Tagebucheinträge möglichst systematisch zu erfassen, wurden die relevanten Bedeutungen in Form eines Kategoriensystems expliziert, d.h. es wurde erläutert, unter welchen Bedingungen ein Tagebucheintrag die entsprechende Bedeutung aufwies bzw. der Kategorie zuzuordnen war. Im nächsten Schritt wurden die Einträge den Kategorien von zwei unabhängigen Kodiererinnen zugewiesen. Die Erstellung des Kategoriensystems erfolgte zunächst deduktiv-theoriegeleitet auf der Ebene von Oberkategorien (z.B. unter Rückgriff auf das Drei-Perspektiven-Modell). Um eine möglichst gute Passung zwischen dem Datenmaterial und den Kategorien zu gewährleisten, wurden diese Oberkategorien unter Durchsicht des gesamten Tagebuchmaterials induktiv weiter ausdifferenziert, d.h. es wurden weitere Kategorien aus dem Material heraus entwickelt, so dass die verschiedenen Bedeutungsaspekte, wie sie von den Verfassern/innen der E-Mails thematisiert wurden, durch das Kategoriensystem möglichst gut und vollständig abgebildet waren (zum Vorgehen vgl. RUSTEMEYER 1992). Das resultierende Kategoriensystem umfasst sechs Dimensionen bzw. Oberkategorien: (1) Thema des Tagebucheintrags, (2) Richtung des (Un-)Glaubhaftigkeitsurteils, (3) Inhalt des Eintrags, (4) Gründe für die Glaubhaftigkeit eines Berichts, (5) Gründe für die Unglaubhaftigkeit eines Berichts sowie eine Restkategorie (6). Ein Überblick über die Kategorienbenennungen findet sich im Anhang. [23]

Die erste Kategorie "Thema des Tagebucheintrags" dient dazu, zwischen Einträgen zu differenzieren, die ein Glaubhaftigkeitsurteil beinhalten, und Einträgen, bei denen das nicht der Fall ist. Als "Tagebucheintrag" und zugleich Analyseeinheit gilt dabei eine in sich abgeschlossene Stellungnahme zu einem einzelnen Medienbericht; eine Stellungnahme, die sich zusammenfassend auf die Berichterstattung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (z.B. eines Tages oder einer Woche) oder einer Gruppe (z.B. die Berichterstattung in den USA, in Europa, bei CNN) bezieht, ohne dass eine weitere Differenzierung zwischen einzelnen Berichten stattfindet, wird ebenfalls als "Eintrag" in diesem Sinne aufgefasst und analysiert. Induktiv lassen sich unter Durchsicht des Materials auf dieser Analyseebene folgende fünf Themen bzw. Unterkategorien unterscheiden: Dies sind erstens Einträge, in denen das Kriegsgeschehen oder die Berichterstattung wiedergegeben werden, ohne dass deren Glaubhaftigkeit thematisch ist (Kategorie 1.1). Eine zweite Unterkategorie umfasst ebenfalls Einträge zur Kriegsberichterstattung, die jedoch mit einem (Un-)Glaubhaftigkeitsurteil verbunden sind (Kategorie 1.2). Die folgenden beiden Unterkategorien beziehen sich auf Einträge, in denen die (Selbst) Reflexion der Glaubhaftigkeit der Medien durch die Medien thematisch ist. Die dritte Unterkategorie wird kodiert, wenn diese Selbstreflexivität ohne weitere Bewertung Gegenstand eines Tagebucheintrags ist (1.3); mit der vierten Unterkategorie werden Glaubhaftigkeitsurteile über eine solche selbstreflexive Berichterstattung erfasst (1.4). Einer letzten Unterkategorie werden "sonstige" Themen zugeordnet (1.5). Da die Beurteilung der Kriegsberichterstattung unter dem Gesichtspunkt der (Un-)Glaubhaftigkeit bei unserer Untersuchung im Mittelpunkt steht, werden bei der weiteren Auswertung nur solche Tagebucheinträge berücksichtigt, in denen diese Frage in irgendeiner Weise thematisch ist, d.h. Einträge, die den Kategorien 1.2 oder 1.4 zugeordnet wurden. Die folgenden Oberkategorien beziehen sich daher nur auf in diesem Sinne relevante Tagebucheinträge. [24]

Mit der zweiten Oberkategorie wurde erfasst, ob ein/e Untersuchungsteilnehmer/in einen Medienbericht als eher glaubhaft oder eher unglaubhaft beurteilt; auch diese Kodierung bezieht sich somit auf ganze Tagebucheinträge bzw. auf den Bericht, der in einem Eintrag thematisch ist. Unter deduktiven Gesichtspunkten werden drei Ausprägungen bzw. Unterkategorien unterschieden: Teilnehmer/innen halten einen Beitrag entweder insgesamt eher für glaubwürdig (Kategorie 2.1), eher für unglaubwürdig (Kategorie 2.2), oder sie sind sich hinsichtlich der (Un-)Glaubwürdigkeit des Berichts unsicher ("ambivalent"; Kategorie 2.3). Darüber hinaus wurde auch auf dieser Dimension eine Restkategorie (2.4) angesetzt. [25]

Die dritte Dimension des Kategoriensystems diente dazu, die Inhalte relevanter Tagebucheinträge auszudifferenzieren bzw. zwischen (Un-)Glaubhaftigkeitsurteilen und deren Begründungen sowie anderen Eintragungsinhalten zu unterscheiden. Entsprechend unseren Instruktionen für das Verfassen der Medientagebücher an die Untersuchungsteilnehmer/innen wurden die folgenden vier Unterkategorien angesetzt: Quellenangaben (3.1), Inhalt des Medienberichts (3.2), (Un-)Glaubhaftigkeitsurteile und deren Begründungen (3.3) sowie eine Restkategorie (3.4).2) Diese Kodierung dient der Unterteilung der Einträge in Unterabschnitte und bezieht sich somit auf kleinere Segmente innerhalb der Einträge. [26]

Mit der vierten und der fünften Oberkategorie sollte erfasst werden, welche Gründe aus der Sicht der Untersuchungsteilnehmer/innen für die Glaubhaftigkeit oder die Unglaubhaftigkeit eines Medienprodukts sprechen. Eine Kodierung auf diesen beiden Dimensionen wurde entsprechend nur für diejenigen Analyseeinheiten vorgenommen, die zuvor als (Un-)Glaubhaftigkeitsurteile und deren Begründungen (Kategorie 3.3) kodiert worden waren, die zu diesem Zweck noch einmal in kleinere Textsegmente unterteilt wurden. Da das hier zu analysierende Textmaterial sowohl Urteile als auch Begründungen umfasst, ist zunächst sowohl unter der Glaubhaftigkeits- als auch unter der Unglaubhaftigkeitsperspektive je eine Unterkategorie anzusetzen, in der die (Un-)Glaubhaftigkeit des Berichts nicht weiter begründet, sondern lediglich konstatiert wird. Was die Begründungen im eigentlichen Sinne betrifft, ist unter Rückgriff auf das Drei-Perspektiven-Modell zwischen Gründen zu unterscheiden, die auf den Inhalt des Medienberichts rekurrieren, und solchen, in denen Aspekte der Modusperspektive (insbesondere Formmerkmale) thematisiert werden. Außerdem ist auch hier wiederum eine Restkategorie anzusetzen. Es ergeben sich damit für die Begründung von Glaubhaftigkeit und Unglaubhaftigkeit gleichermaßen je vier Unterkategorien: Konstatieren von (Un-)Glaubhaftigkeit (Kategorie 4.1 bzw. 5.1), inhaltliche Gründe (4.2 bzw. 5.2), Gründe unter der Modusperspektive (4.3 bzw. 5.3) sowie die Restkategorie (4.4 bzw. 5.4). Der Schwerpunkt der Kodierung in diesen Dimensionen lag auf inhaltlichen Gründen und Gründen unter der Modusperspektive, die (getrennt nach Glaubhaftigkeits- und Unglaubhaftigkeitsurteilen) induktiv weiter ausdifferenziert wurden. [27]

Unter inhaltlichen Gesichtspunkten lassen sich zunächst die folgenden Unterkategorien bzw. Gründe unterscheiden, die für die Glaubhaftigkeit eines Medienprodukts sprechen: ähnliche Darstellung des fraglichen Ereignisses in anderen Medienprodukten (4.2.1), Passung der Meldung zu den Strategien der gegnerischen Parteien (4.2.2) oder beteiligter Personen (4.2.3), wahrgenommene Realität / Authentizität der Kriegsereignisse (4.2.4) sowie Passung der Meldung zum Wissen der Teilnehmer/innen über andere Kriege (4.2.5) oder über die Medien (wie z.B. die besonders kritische Berichterstattung einzelner Sender; 4.2.6). Unter formalen bzw. Modus-Gesichtspunkten spricht für die Glaubhaftigkeit einer Meldung, wenn sie durch Bildmaterial ergänzt wird (4.3.1.), wenn Berichte ausführlich und gut recherchiert sind (4.3.2), wenn Augenzeugen zu Wort kommen (4.3.3) oder es sich um eine Live-Übertragung handelt (4.3.4). [28]

Komplementär werden unter inhaltlichen Gesichtspunkten die folgenden Unterkategorien bzw. Gründe für die Unglaubhaftigkeit eines Medienberichts angesetzt: Widerspruch zur Darstellung des fraglichen Ereignisses in anderen Medien und Medienprodukten (5.2.1), fehlende Passung der Meldung zu den Strategien der gegnerischen Parteien (5.2.2) oder beteiligter Personen (5.2.3), Zweifel an der Realität / Authentizität von Kriegsereignissen (5.2.4), Einstufung eines Berichts als konstruiert, einer Quelle als unglaubhaft oder einer Meldung als vermutlich zensiert (jeweils vor dem Hintergrund des Medienwissens der Teilnehmer/innen: 5.2.5). In formaler Hinsicht lässt sich entsprechend zwischen den folgenden Gründen für die Unglaubhaftigkeit eines Medienberichts unterscheiden: Mangel an Belegen (5.3.1), Bericht erscheint unklar und/oder unvollständig (5.3.2), die Aufmachung des Berichts ist allzu unterhaltungsorientiert und auf Sensationen ausgerichtet (5.3.3). [29]

Zur Vorbereitung der Inhaltsanalyse wurden die E-Mails zunächst pro Oberkategorie in Analyseeinheiten unterteilt, also in Einträge sowie in kleinere Segmente ("idea units" nach RUSTEMEYER 1992, S.75). Kriterien für die Einheitenunterteilung waren in erster Linie Themenwechsel, beispielsweise signalisiert durch Beginn eines neuen Textabschnitts, durch Voranstellen einer Bezeichnung wie "Quelle" zu Abschnittsbeginn, durch Zeichensetzung oder auch Verwendung von "und", "oder", "aber" usw. Aus dem gesamten Material wurden im nächsten Schritt für eine erste Probekodierung zehn E-Mails entnommen, und zwar so, dass in dieser Stichprobe möglichst viele Verfasser/innen sowie E-Mails aus allen Phasen des Untersuchungszeitraums vertreten waren. Im Anschluss an die Probekodierung wurde zur Abschätzung der Übereinstimmung zwischen den Kodiererinnen ein Übereinstimmungsmaß ermittelt.3) Im Anschluss an die erste Probekodierung wurde das Kategoriensystem überarbeitet und einer Überprüfung mittels einer zweiten Probekodierung anhand weiterer zehn E-Mails unterzogen. Sämtliche Kodierungen wurden unabhängig voneinander von zwei Raterinnen durchgeführt; Nicht-Übereinstimmungen wurden (im Anschluss an die Kodierung und die Berechnung der Interkoderübereinstimmung) konsensual im Gespräch aufgelöst, indem die Kodiererinnen einander ihre Wahl einer Kategorie erläuterten und begründeten. In den ausgesprochen seltenen Fällen, in denen die beiden Kodiererinnen sich nicht auf eine Kategorie einigen konnten, wurde eine dritte Kodiererin in die Entscheidung einbezogen, die mit dem Untersuchungsmaterial und dem Kategoriensystem ebenfalls vertraut war.4) [30]

An die Kodierung schloss sich pro Dimension bzw. Oberkategorie eine frequenzanalytische Auswertung an, z.T. ergänzt durch Chi-Quadrat-Analysen (exakte Tests nach Fisher). Aufgrund des geringen Materialumfanges wurden sämtliche Tagebucheinträge in die Auswertung einbezogen (siehe den Anhang für einen Überblick über die Kategorien).5) [31]

5. Ergebnisse

Die Untersuchungsteilnehmer/innen schickten uns insgesamt 74 E-Mails zu, die sich weiter in 228 Einträge unterteilen lassen. Wie bereits erwähnt (vgl. oben Abschnitt 3), beschränkten sich vier der Teilnehmer/innen auf ein oder zwei ausführlichere Darstellungen ihres Umgangs mit Medien und ihrer Beurteilung der Kriegsberichterstattung unter Gesichtspunkten der (Un-)Glaubhaftigkeit; die übrigen neun führten kontinuierlich Medientagebuch.

Thema des Eintrags

Häufigkeit

Prozent

1.1 Inhalt des Berichts

63

27,6

1.2 Glaubhaftigkeit des Berichts

110

48,2

1.3 Selbstreflexionen im Medienprodukt

12

5,3

1.4 Glaubhaftigkeit der Selbstreflexionen

8

3,5

1.5 Sonstiges

35

15,4

Gesamt

228

100

Tabelle 1: Thema des Tagebucheintrags – absolute und prozentuale Besetzungshäufigkeiten der Kategorien 1.1 bis 1.56) [32]

Mittels Kodierung der ersten (Ober-)Kategorie sollte erfasst werden, zu welchen Anteilen die Tagebucheinträge Glaubhaftigkeitsbeurteilungen der rezipierten Medienprodukte umfassen. Hier zeigen sich zunächst in etwa gleiche Anteile von "relevanten" und "irrelevanten" Einträgen (48.2% irrelevante im Vergleich zu 51.8% relevanten); in etwa der Hälfte der Einträge ist also die Glaubhaftigkeit der Berichterstattung thematisch. Vergleicht man darüber hinaus die Anteile "relevanter" und "irrelevanter" Einträge pro Person, ergibt sich weiterhin, dass fast alle Teilnehmer/innen, die regelmäßig Medientagebuch führen, dies im Hinblick auf die (Un-)Glaubhaftigkeit der Berichterstattung tun; lediglich ein/e Untersuchungsteilnehmer/in beschränkt sich in ihren Einträgen weitgehend darauf, den Inhalt der Kriegsberichterstattung wiederzugeben. Schließlich zeigt die Verteilung der Einträge über die Unterkategorien, dass die E-Mails sich in erster Linie auf Berichte über das Kriegsgeschehen konzentrieren (vgl. Tabelle 1). Selbstreflexive Formen der Thematisierung der eigenen Glaubhaftigkeit durch die Medien (oder Glaubhaftigkeitsbeurteilungen solcher Selbstreflexionen) spielen demgegenüber (mit 8.8% über die Kategorien 1.3 und 1.4) eine deutlich geringere Rolle. Stärker besetzt ist dagegen mit 15.4% die Restkategorie. Dieser Prozentsatz ergibt sich vor allem aus dem vergleichsweise hohen Anteil an Meta-Kommentaren zur Bereitschaft oder zu den Schwierigkeiten, ein solches Medientagebuch zu führen (z.B. Tn 5:7) "Ein kontinuierliches Berichten darüber ist mir leider nicht möglich und würde sich vermutlich auch rasch in Wiederholungen erschöpfen. Ich lege jedoch gerne summarisch Rechenschaft ab: ..."), und ist daher nicht als mangelnde Validität des Kategoriensystems zu bewerten. [33]

Aus den Einträgen geht hervor, dass die Teilnehmer/innen ihre Informationen meist aus unterschiedlichen Medien beziehen.8) Zwei Teilnehmer/innen erwähnen ausschließlich Radioberichte, ein/e weitere/r Teilnehmer/in informiert sich nur über das Fernsehen; typischer ist jedoch die Kombination von beispielsweise Fernsehen und Zeitung oder Fernsehen und Internet. Unter den Nennungen dominiert dabei (mit n=53) eindeutig das Fernsehen, wobei englischsprachige Kanäle wie BBC World oder CNN jedoch nur von zwei Teilnehmern/innen genutzt werden. Die übrigen Medien Zeitung, Radio und Internet liegen mit je 18 bzw. 19 Nennungen praktisch gleichauf. Zumindest in der hier untersuchten Stichprobe wird das Internet somit bereits vergleichbar den traditionellen Medien als Nachrichten- und Informationsquelle genutzt. Wie dies angesichts des teilnehmenden Personenkreises auch zu erwarten ist, werden im TV-Kontext in erster Linie ARD und ZDF sowie N-TV als Informationsquellen genannt; unter den Zeitungen finden sich etwa die Süddeutsche, die taz und die FAZ.

Glaubhaftigkeitsurteile

Häufigkeit

Prozent

2.1 glaubwürdig

46

39,0

2.2 unglaubwürdig

12

16,1

2.3 ambivalent

52

44,1

2.4 Sonstiges

1

0,8

Gesamt

118

100

Tabelle 2: (Un-)Glaubhaftigkeitsurteil – absolute und prozentuale Besetzungshäufigkeiten der Kategorien 2.1 bis 2.4 [34]

Die weitergehende Auswertung bezieht sich auf diejenigen 118 Einträge, die ein (Un-)Glaubhaftigkeitsurteil beinhalten und in diesem Sinne für die vorliegende Untersuchung als "relevant" gelten können (s. Tabelle 2). In 39% dieser Einträge wird das fragliche Medienprodukt für glaubhaft gehalten, in 16.1% für unglaubhaft; in 44.1% der Einträge sind die Teilnehmer/innen sich hinsichtlich der (Un-)Glaubhaftigkeit des Berichts unsicher (auf die Restkategorie entfallen lediglich 0.8% der Einträge). Diese Ergebnisse zeigen, dass ein Glaubhaftigkeitsurteil selbst den vermutlich in hohem Maß medienkritischen Teilnehmern/innen an unserer Untersuchung leichter fällt als ein Unglaubhaftigkeitsurteil. Die Teilnehmer/innen halten einen Medienbericht entweder für glaubhaft oder sie äußern Zweifel an seiner Glaubhaftigkeit; dass sie einen Bericht eindeutig für unglaubhaft halten, ist deutlich seltener der Fall. Eine Aufschlüsselung der Urteile nach Personen zeigt außerdem, dass die Unglaubhaftigkeitsurteile sich nicht gleichmäßig über alle Teilnehmer/innen verteilen, sondern mehrheitlich auf drei Personen zurückgehen. Dieses Ergebnis lässt sich als Hinweis auf eventuelle Persönlichkeitsunterschiede beim Fällen von Unglaubhaftigkeitsurteilen deuten.9)

Inhaltliche Segmente

Häufigkeit

Prozent

Quelleninformation

89

19,7

Inhaltsangabe

129

28,6

Urteil / Begründung

219

48,6

Sonstiges

14

3,1

Gesamt

451

100

Tabelle 3: Inhaltliche Segmente in relevanten Tagebucheinträgen – absolute und prozentuale Besetzungshäufigkeiten der Kategorien 3.1 bis 3.4 [35]

Im nächsten Schritt der inhaltsanalytischen Kodierung wurden die relevanten Einträge in inhaltliche Segmente unterteilt, um auf diese Weise die (Un-)Glaubhaftigkeitsurteile und deren Begründungen für die weitere Analyse zu isolieren. In unseren Instruktionen hatten wir die Teilnehmer/innen gebeten, uns pro Medienbericht die Quelle, eine kurze Zusammenfassung des Inhalts, ihre Beurteilung des Berichts als (un-)glaubwürdig sowie die Gründe für ihre Einschätzung zu nennen. Entsprechend diesen Instruktionen enthält knapp die Hälfte der Segmente innerhalb der relevanten Einträge Quellen- und Inhaltsangaben (zusammen 48.3%; s. Tabelle 3), ein vergleichbarer Prozentsatz der Segmente beinhaltet Einschätzungen der Berichte hinsichtlich ihrer (Un-)Glaubhaftigkeit und Begründungen dieser Einschätzungen (48.6%). Die verbleibenden Segmente (3.1%) sind der Restkategorie zugeordnet. Dabei handelt es sich meist um Segmente, in denen die Verfasser/innen zum Ausdruck bringen, was sie von der Kriegsberichterstattung erwarten bzw. wie sie die erhaltenen Informationen bewerten und beurteilen (z.B. Tn 5: "Grundsätzlich hoffe ich bereits durch die Medienwahl an bestmöglich recherchierte und kritisch reflektierte Beiträge zu gelangen. An einseitiger Berichterstattung, wie ich sie – hurrapatriotisch – z.B. bei Fox News erwarte, setze ich mich im Dienste meiner persönlichen Informiertheit nicht auseinander. ..."). Eine Kodierung auf den Dimensionen 4 und 5 des Kategoriensystems und damit im Hinblick auf die Begründungen von (Un-)Glaubhaftigkeitseinschätzungen wurde nur für diejenigen 48.6% bzw. 219 Segmente vorgenommen, die solche Urteile und Begründungen enthielten.10)

Glaubhaftigkeitsurteil bzw. -gründe

Häufigkeit

Prozent

4.1 Konstatieren von Glaubhaftigkeit

65

50,4

4.2.1 Kenntnis vergleichbarer Medienprodukte

14

10,9

4.2.2 Passung der Meldung zu Strategien der Gegner

2

1,6

4.2.3 Verhalten der Hauptpersonen plausibel

3

2,3

4.2.4 Realität der Kriegsereignisse

0

0

4.2.5 Erfahrungswissen aus anderen Kriegen

2

1,6

4.2.6.1 Kritische Berichterstattung

6

4,7

4.2.6.2 Glaubwürdigkeit der Quelle

6

4,7

4.3.1 Bilder oder Photos

1

0,8

4.3.2 Ausführlichkeit und Detailreichtum der Berichte

3

2,3

4.3.3 Aussagen von betroffenen Personen (Augenzeugen)

1

0,8

4.3.4 Live-Übertragung: Originalton / Simultanübersetzung

3

2,3

4.4 Sonstiges

23

17,8

Gesamt

129

100

Tabelle 4: Urteil bzw. Gründe für die Glaubhaftigkeit eines Kriegsereignisses bzw. Kriegsberichts – absolute und prozentuale Besetzungshäufigkeiten der Kategorien 4.1 bis 4.4 [36]

In etwas mehr als der Hälfte dieser Segmente (n=129) thematisieren die Teilnehmer/innen einen glaubhaften Medienbericht oder zumindest glaubhafte Aspekte eines Berichts. Bei etwa der Hälfte dieser Segmente handelt es sich um Urteile, in denen die Glaubhaftigkeit des Berichts zunächst konstatiert wird (n=65); die verbleibenden 64 Segmente stellen Begründungen dieser Einschätzung dar (s. Tabelle 4). Hier zeigt sich, dass die Teilnehmer/innen sich bei ihren Glaubhaftigkeitseinschätzungen in erster Linie auf den medialen Vergleich stützen: Kenntnis anderer Berichte, in denen ein Ereignis in vergleichbarer Weise dargestellt ist (n=14), sowie Einschätzung der Quelle als glaubwürdig und/oder kritisch (n=12) erweisen sich überindividuell als die "stärksten" Gründe dafür, einem Medienbericht über den Krieg Glauben zu schenken. Demgegenüber spielen die anderen Gründe nur vereinzelt eine Rolle.11) [37]

Hoch besetzt (mit n=23) ist allerdings die Restkategorie, und zwar mehrheitlich mit Plausibilitätsüberlegungen, wie z.B. von Tn 2 "... da das Herunterspielen solcher Nachrichten im Interesse der US-Regierung sein dürfte" oder Tn 10 "Weil dieser Bericht in die gegenwärtige Stimmung passt, in der nicht mehr von einem schnellen billigen Krieg, sondern von einem langen, teuren verlustreichen Krieg gesprochen wird". Innerhalb des Drei-Perspektiven-Modells sind solche Plausibilitätsüberlegungen der semantisch-inhaltlichen Perspektive zugeordnet und durch Kategorien wie etwa "Passung der Meldung zu Strategien der beteiligten Gegner" oder "Plausibilität des Verhaltens der beteiligten Personen" prinzipiell auch im Kategoriensystem enthalten. Allerdings lässt sich die hohe Besetzung der Restkategorie dahingehend interpretieren, dass die Plausibilitätsüberlegungen der Teilnehmer/innen inhaltlich zu unterschiedlich sind, als dass eine Erfassung durch inhaltlich spezifizierte Unterkategorien (wie "Plausibilität des Verhaltens der beteiligten Personen") sinnvoll wäre – es können eben ganz unterschiedliche Aspekte eines Berichts Gegenstand von Plausibilitätsüberlegungen werden. Fasst man die Besetzungshäufigkeiten für die inhaltlichen Kategorien 4.2.2 bis 4.2.4 und der Restkategorie zusammen, so resultiert eine Häufigkeit von n=30. Plausibilitätsüberlegungen und Medienvergleich/Medienwissen im Sinne der Kategorien "Kenntnis vergleichbarer Medienprodukte" (4.2.1) und "Medienwissen" (4.2.6) erweisen sich somit bei den Teilnehmern/innen an unserer Untersuchung als die zentralen Gründe für die Glaubhaftigkeit eines Medienberichts. Formmerkmale von Medienberichten, wie etwa Ausführlichkeit, Live-Schaltungen u.ä. spielen demgegenüber als Begründung der Glaubhaftigkeit in unserer Stichprobe praktisch keine Rolle.

Unglaubhaftigkeitsurteil bzw. -gründe

Häufigkeit

Prozent

5.1 Konstatieren von Unglaubhaftigkeit

44

32,1

5.2.1 Widersprüchlichkeit zwischen versch. Medienprodukten

6

4,4

5.2.2 Implausibilität der Kriegsführungsstrategie

2

1,5

5.2.3 Zweifel an der Realität des Ereignisses

1

0,7

5.2.4.1 Empfundene Konstruiertheit des Berichts

2

1,5

5.2.4.2 Unglaubhaftigkeit der Quelle

4

2,9

5.2.4.3 Militärzensur

5

3,6

5.3.1 Mangel an Belegen

2

1,5

5.3.2 Unvollständigkeit / Fehlende Klarheit

34

24,8

5.3.3 Format impliziert Unterhaltungsorientierung

2

1,5

5.4 Sonstiges

36

26,3

Gesamt

137

100

Tabelle 5: Urteil bzw. Gründe für die Unglaubhaftigkeit eines Kriegsereignisses bzw. Kriegsberichts – absolute und prozentuale Besetzungshäufigkeiten der Kategorien 5.1 bis 5.4 [38]

Die Unglaubhaftigkeit der Berichterstattung ist komplementär in 137 Segmenten thematisch; 44 davon enthalten lediglich die Einschätzung eines Medienberichts als unglaubhaft, so dass 93 Segmente verbleiben, in denen die Teilnehmer/innen näher auf die Gründe für ihre Einschätzung eingehen (s. Tabelle 5). Am häufigsten genannt (mit n=34) wird hier als Grund, dass ein Bericht den Teilnehmern/innen unklar oder unvollständig erscheint, so z.B. Tn 8:

"[...] in diesem Beitrag finden sich viele Aussagen, deren Informationsgehalt (und Faktizität) ich vor allem wegen ihrer Allgemeinheit und Oberflächlichkeit anzweifle: wer fordert beispielsweise in Kirkuk die Leute auf, ihre Stadt nicht zu zerstören? Wie gelangt die Nachrichtenagentur AFP zu der Meldung über den Tod von Husseins Halbbruder? [...] Meldungen sind sehr allgemein und abstrakt und vermitteln eher den Eindruck, dass niemand genau weiß, was sich derzeit im Irak abspielt und warum." [39]

Auch auf ihr Medienwissen stützen sich die Teilnehmer/innen in zehn Fällen, wenn sie einen Bericht als unglaubhaft beurteilen – weil ihnen der Bericht beispielsweise zu konstruiert erscheint; weil sie die Quelle des Berichts von vornherein für unglaubwürdig halten; oder weil sie der Meinung sind, dass der Bericht vor seiner Publikation vermutlich die Zensur durchlaufen musste. Widersprüche zwischen verschiedenen Medienberichten werden in sechs Fällen ebenfalls als Grund geltend gemacht, einem Medienbericht eher keinen Glauben zu schenken, so z.B. von Tn 6: "Der irakische Informationsminister teilt mit, dass am Vorabend beim ersten großen Luftangriff lediglich 19 Raketen Bagdad erreicht hätten, [...]. Absolut unglaubhaft: Die Fernsehbilder am Vorabend zeigten eine sehr große Anzahl schwerer Explosionen." [40]

Auch unter den Gründen für die Beurteilung eines Beitrags als unglaubhaft entfällt schließlich eine erhebliche Anzahl (n=36) auf die Restkategorie. Während es sich bei den Glaubhaftigkeitsbegründungen, die der Restkategorie zugeordnet waren, in erster Linie um inhaltliche Plausibilitätsüberlegungen handelte, erweisen sich die Begründungen für Unglaubhaftigkeit in der Restkategorie als ausgesprochen heterogen. Sofern überhaupt eine weitergehende inhaltliche Zusammenfassung möglich ist, umfasst diese Restkategorie zum einen (wie auch die Restkategorie der Glaubhaftigkeitsbegründungen) Plausibilitäts- bzw. Implausibilitätsüberlegungen, z.B.: "... da es zweifelhaft erscheint, ein hochmodernes Kriegsgerät mit einem einfachen Gewehr abschießen zu können" (Tn 6). Zum anderen weisen die Teilnehmer/innen darauf hin, dass die gesamte Kriegssituation im Irak es für die Medien schwierig macht, überhaupt an verlässliche Informationen heranzukommen, z.B. "... the coverage about the battle of Bagdad seems very unreliable at the moment" (Tn 11). Es wird auch die Vermutung geäußert, dass den USA generell an einer beschönigenden Darstellung des Kriegsgeschehens in den Medien gelegen sein könnte, etwa: "Außerdem lenken solche Meldungen von den Schwierigkeiten in Basra, mit denen man ja nicht gerechnet hat, ab" (Tn 3). [41]

Lässt man die inhaltlich heterogene Restkategorie hier zunächst außer acht, so ist zusammenfassend festzuhalten, dass die Untersuchungsteilnehmer/innen ihre Beurteilung eines Medienberichts als eher unglaubhaft in erster Linie zum einen auf Formmerkmale stützen; dabei sind es insbesondere unklare und unvollständige Medienberichte, in denen viele Fragen offen gelassen werden, die den Untersuchungsteilnehmern/innen eher unglaubhaft erscheinen. Zum anderen machen die Teilnehmer/innen bei ihren Unglaubhaftigkeitsurteilen auch ihr Medienwissen geltend und beurteilen solche Berichte als eher unglaubhaft, deren Quelle ihnen fraglich erscheint, ebenso Berichte, die im Widerspruch zu anderen Medienberichten stehen, die vermutlich eine Zensur durchlaufen haben und anderes mehr. Bei Glaubhaftigkeitsurteilen stützen die Verfasser/innen der E-Mails sich dagegen (neben ihrem Medienwissen) vor allem auf Plausibilitätsüberlegungen auf der Grundlage ihres Weltwissens, während Formmerkmale der Medienberichte kaum eine Rolle spielen. Dieser Eindruck lässt sich auch inferenzstatistisch bestätigen (c² = 43.35; df=2; p=0.001; s. Tabelle 6).

 

Inhalt

Medienwissen

Modus

Gesamt

Urteil: glaubhaft

Absolute Häufigkeiten

Erwartete Häufigkeiten

 

21

12,55

 

12

9,2

 

8

19,24

 

41

41,0

Urteil: unglaubhaft

Absolute Häufigkeiten

Erwartete Häufigkeiten

 

9

17,45

 

10

12,8

 

38

26,76

 

57

57,0

Gesamt

30

22

46

98

Tabelle. 6: Anzahl der (Un-)Glaubhaftigkeitsurteile gruppiert nach Urteilsperspektiven – absolute und erwartete Häufigkeiten (c²= 22,53; df=2; p<0,000) [42]

Glaubhaftigkeits- und Unglaubhaftigkeitseinschätzungen rekurrieren also auf hohem Abstraktionsniveau gleichermaßen auf die Kenntnis anderer Medienprodukte und das Medienwissen der Rezipienten/innen. Während im Einzelnen allerdings für Glaubhaftigkeitseinschätzungen in erster Linie Plausibilitätsüberlegungen inhaltlicher Art ausschlaggebend sind, werden Unglaubhaftigkeitsurteile primär aufgrund von Formmerkmalen getroffen. [43]

Im Verlauf der Probekodierungen hatte sich gezeigt, dass manche der Gesichtspunkte, die die Teilnehmer/innen anführten, nicht eindeutig als Gründe für oder gegen die Glaubhaftigkeit eines Medienberichts eingestuft werden konnten. Solche Gründe wurden, ebenso wie andere nicht eindeutig klassifizierbare Äußerungen, der Restkategorie 6. zugeordnet. Diese ist mit n=43 vergleichsweise hoch besetzt, was jedoch nicht in erster Linie auf die Nennung uneindeutiger Gründe zurückzuführen ist, sondern darauf, dass die Teilnehmer/innen ihre (Un-)Glaubhaftigkeitseinschätzungen häufig in generellere Überlegungen einbetten, z.B. "Das bedeutet, dass hohe Verluste und evtl. nur 'unsaubere Methoden' zum Ziel führen" (Tn 10). Bei den nicht eindeutig klassifizierbaren Gründen, die dieser Kategorie zugeordnet wurden, handelt es sich mehrheitlich um Äußerungen genereller Verunsicherung, z.B. "Zudem weiß ich auch nicht was ich glauben soll ..." (Tn 13); "Mich beruhigt, dass viele Reporter/innen sich diesbezüglich ebenfalls nicht auf eindeutige Interpretationen festlegen lassen ..." (Tn 5); "Das Internationale Rote Kreuz hat dazu gesagt, dass jetzt nicht mehr die Glaubhaftigkeit von Meldungen überprüft werden könne" (Tn 10). Solche Äußerungen zeigen, dass einige der Untersuchungsteilnehmer/innen ganz grundsätzlich nicht mehr wissen, was sie glauben können und was nicht. [44]

Betrachtet man die Tagebucheinträge über den gesamten Erfassungszeitraum, so entsteht der deutliche Eindruck, dass über die Zeit hinweg eine qualitative Veränderung stattfindet. Zunächst ist das Entsetzen über den Kriegsbeginn spürbar; hinzu kommt der Wunsch, sich möglichst genau über die Ereignisse zu informieren; in dieser ersten Untersuchungsphase berichten die Teilnehmer/innen häufig detailliert über die verschiedenen Medien, die sie nutzen, und über die Inhalte der Berichterstattung. Es folgt eine zweite Phase, in der die Teilnehmer/innen die rezipierten Berichte, wie von uns erbeten, einzeln im Hinblick auf deren (Un-)Glaubhaftigkeit beurteilen. Je länger der Krieg sich jedoch hinzieht, desto mehr scheint die Berichterstattung den Teilnehmern/innen vor den Augen zu verschwimmen: Es fällt ihnen zunehmend schwer, zwischen einzelnen Berichten zu differenzieren; entsprechend häufen sich Einträge, in denen mehrere Berichte gemeinsam beurteilt werden oder in denen die Teilnehmer/innen sich ganz grundsätzlich mit den Problemen der Kriegsberichterstattung und deren Glaubhaftigkeit auseinandersetzen. [45]

Um zu überprüfen, ob dieser Eindruck in dem Sinne zutreffend ist, dass die Anzahl von (Un-)Glaubhaftigkeitsurteilen über den Untersuchungszeitraum hinweg abnimmt, wurden die Einträge in "frühe" und "spätere" unterteilt. Als Einteilungskriterium diente uns dabei der Kriegsverlauf, der u.E. am 28. März 2003 einen ersten bedeutsamen Einschnitt aufweist. Dieser Zeitpunkt markiert sowohl das Ende der ersten Kriegswoche als auch den Abschluss mehrerer zentraler Kriegsereignisse: Am 21. März beginnt die Großoffensive der Amerikaner auf Bagdad; am 22. März wird Basra eingenommen, amerikanische Soldaten werden von irakischer Seite gefangen genommen, und Bilder der Gefangenen werden im Fernsehen über Al Jazeera ausgestrahlt; am 25. März stürzt ein Kampfhubschrauber der Amerikaner ab und "aus Versehen" beschießen sich Amerikaner und Engländer gegenseitig (das sog. "Friendly Fire"); am 26. März wird ein Marktplatz von den Alliierten unter Beschuss genommen. Diese Reihe von Ereignissen wird nach dem 28. März durch ein weniger markantes Geschehen abgelöst, das zwar für die beteiligten Personen ebenfalls katastrophale Folgen hat, an einem Kriegsschauplatz aber doch zu erwarten ist und daher nicht weiter überrascht. Dazu gehören etwa das Vordringen der Amerikaner nach Kerbela, die Flüchtlingsbewegung aus Basra, die Einnahme des Flughafens von Bagdad oder der Beginn des Guerillakrieges und Häuserkampfes. Die Tagebucheinträge werden entsprechend in solche "vor"12) und solche "nach dem 28. März" unterteilt. Chi-Quadrat-Berechnungen ergeben, dass die Tagebucheinträge der ersten Kriegswoche, wie vermutet, signifikant mehr Urteile zur Glaubhaftigkeit von Medienprodukten umfassen als Einträge, die nach dem 28. März eingegangen sind (c² = 13.532; df=1; p=0.000; s. Tabelle 7). In der ersten Woche des Krieges scheinen die Teilnehmer/innen sich somit besonders intensiv mit der Glaubhaftigkeit einzelner Berichte auseinanderzusetzen (wobei allerdings nicht auszuschließen ist, dass nach der ersten Woche auch ein gewisser Ermüdungseffekt in Bezug auf das Verfassen der Medientagebücher zum Tragen kommt).

Glaubwürdigkeitsurteil

Bis zum 28. März

Ab dem 29. März

Gesamt

Mit Urteil

Absolute Häufigkeit

Erwartete Häufigkeit

Standardisierte Residuen

 

78

64,2

1,7

 

40

53,8

-1,9

 

118

118,0

Ohne Urteil

Absolute Häufigkeit

Erwartete Häufigkeit

Standardisierte Residuen

 

46

59,8

-1,8

 

64

50,2

2,0

 

110

110,0

Gesamt

124

104

228

Tabelle 7: Anzahl der Tagebucheinträge vor und nach dem 28. März 2003 – absolute und erwartete Häufigkeiten; standardisierte Residuen, (c² = 13.53; df=1; p = 0.000) [46]

Schließlich wäre von Interesse, ob Glaubhaftigkeits- und Unglaubhaftigkeitsurteile sich überindividuell jeweils auf unterschiedliche Quellen und/oder Berichte beziehen. Für eine solche vergleichende Auswertung erwies sich die untersuchte Stichprobe jedoch als zu klein, die Variabilität der genannten Quellen und Ereignisse dagegen als zu hoch. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die Untersuchungsteilnehmer/innen kein Medium und keinen Medientyp (wie etwa eine bestimmte Zeitung oder eine bestimmte Sendung) als besonders glaubwürdig oder unglaubwürdig auszeichnen – was angesichts der Konzentration auf (innerhalb des TV-Mediums) Sendungen öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten auch durchaus plausibel erscheint. Solche Quellen, denen sie grundsätzlich eher skeptisch gegenüberstehen, ziehen die Teilnehmer/innen bei ihrer Suche nach Informationen gar nicht erst heran. [47]

6. Fazit

Unsere Untersuchung zeigt zunächst, dass die Teilnehmer/innen der medialen Berichterstattung über den dritten Golfkrieg durchaus kritisch gegenüberstehen, wenn auch nicht übermäßig kritisch. Zwar äußern einige Teilnehmer/innen eine ganz grundsätzliche Verunsicherung in Bezug auf die Glaubhaftigkeit der Kriegsberichterstattung, – jedoch werden immerhin knapp 40% der in den Tagebucheinträgen thematisierten Medienberichte durchaus für glaubhaft gehalten. In dieser Hinsicht stimmen die Ergebnisse dieser Untersuchung von der Tendenz her mit denen anderer Untersuchungen zur Glaubhaftigkeit der medialen Berichterstattung in Krisenzeiten überein. Darüber hinaus zeigt die vorliegende Untersuchung allerdings auch, dass fehlende Glaubhaftigkeit nicht notwendig ein Unglaubhaftigkeitsurteil nach sich zieht: Eindeutig als unglaubhaft werden nur 16% der Medienberichte beurteilt; häufiger sind ambivalente Urteile, denen zufolge bestimmte Elemente eines Berichts durchaus glaubhaft, andere dagegen zweifelhaft erscheinen. Angesichts der scharfen Kritik an der Berichterstattung über den zweiten Golfkrieg hätten wir insbesondere in der von uns untersuchten selektiven Stichprobe eine höhere Medienskepsis erwartet. Dass dies nicht der Fall war, führen wir im Nachhinein ebenfalls, wenn auch auf andere Weise, auf eben diese Medienkritik zurück: Nach unserer Einschätzung hat die Kritik dazu geführt, dass die mediale Berichterstattung über den dritten Golfkrieg deutlich selbstkritischer erfolgte: Journalisten/innen waren sich der Beschränkungen ihrer Möglichkeiten der Berichterstattung stärker bewusst und thematisierten diese auch in den Berichten selbst. Wie hoch der Anteil einer solchen selbstkritischen Berichterstattung tatsächlich ist, soll in einer Folgeuntersuchung mittels einer inhaltsanalytischen Auswertung von Medienberichten geklärt werden. [48]

Als weiteres zentrales Ergebnis ist festzuhalten, dass zumindest die Teilnehmer/innen an der vorliegenden Untersuchung bei Glaubhaftigkeitseinschätzungen partiell auf andere Aspekte eines Medienberichts zurückgreifen als bei Unglaubhaftigkeitseinschätzungen. Für beide Urteilsformen gleichermaßen von Bedeutung ist Medienwissen, etwa über die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit bestimmter Quellen – oder deren Fehlen. Auch der Vergleich verschiedener Medienprodukte spielt hier eine zentrale Rolle: Ein Bericht erscheint glaubwürdig, wenn der Inhalt sich auch in den Berichten anderer Sender oder Zeitungen wiederfindet; komplementär verliert ein Bericht an Glaubwürdigkeit, wenn der Inhalt zu anderen Meldungen im Widerspruch steht. Neben dem Medienwissen erweisen sich jedoch für Glaubhaftigkeitseinschätzungen vor allem Plausibilitätsüberlegungen inhaltlicher Art als relevant, während bei Unglaubhaftigkeitsurteilen eher auf Formmerkmale wie etwa Unvollständigkeit, Unklarheit oder interne Widersprüchlichkeit zurückgegriffen wird. Auch in Bezug auf dieses Ergebnis sind Folgeuntersuchungen geplant. Zum einen ist vorgesehen, das für die Medientagebücher entwickelte und hier zugrunde gelegte Kategoriensystem auf ein anderes Materialcorpus anzuwenden, nämlich sog. Weblogs – Tagebücher, z.B. von Privatpersonen, die im Internet veröffentlicht werden (z.B. http://www.hootinan.com/ [Broken link, FQS, August 2005]; http://blogs.salon.com/0001561/). Einträge aus der Zeit des dritten Golfkriegs enthalten häufig auch Überlegungen zur Zuverlässigkeit und Glaubhaftigkeit der medialen Berichterstattung, die sich von dem hier analysierten Material nicht zuletzt darin unterscheiden, dass es sich um spontane Äußerungen handelt. Zum anderen wird auf Dauer zu prüfen sein, ob die Merkmale der Medienberichte, die sich in der vorliegenden Untersuchung für Glaubhaftigkeits- und Unglaubhaftigkeitseinschätzungen differentiell als relevant erwiesen haben, auch für andere Inhaltsbereiche und für einen weiteren Personenkreis Gültigkeit besitzen. [49]

Danksagung

Die dargestellte Untersuchung wurde im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts "Realitäts-Fiktions-Unterscheidung(en)" (AZ SCHR 594/1; Leitung: Margrit SCHREIER und Norbert GROEBEN) durchgeführt. Wir danken der DFG für ihre Unterstützung. Wir bedanken uns ebenfalls ganz herzlich bei den Teilnehmern/innen, die sich die Zeit für das von uns erbetene Medientagebuch genommen und damit diese Untersuchung erst ermöglicht haben.

Anhang: Kategoriensystem – Kategorienbenennungen

1. Thema des Tagebucheintrags

1.1 Inhalt des Berichts

1.2 Glaubhaftigkeit des Berichts

1.3 Selbstreflexionen im Medienprodukt

1.4 Glaubhaftigkeit der Selbstreflexionen

1.5 Sonstiges

2. Beurteilung der (Un-)Glaubwürdigkeit des Berichts

2.1 Glaubwürdigkeit des Berichts

2.2 Unglaubwürdigkeit des Berichts

2.3 Ambivalenz in Bezug auf die Glaub- bzw. Unglaubwürdigkeit des Berichts

2.4 Sonstiges

3. Inhalte der Segmente innerhalb der Tagebucheinträge

3.1 Quelleninformation

3.2 Inhaltsangabe

3.3 (Un-)Glaubhaftigkeitsurteil und/oder -begründung

3.4 Sonstiges

4. Glaubhaftigkeitsurteil bzw. -gründe

4.1 Konstatieren von Glaubhaftigkeit

4.2 Inhalt

4.3 Modus

4.4 Sonstige Gründe für Glaubwürdigkeit

5. Unglaubhaftigkeitsurteil bzw. -gründe

5.1 Konstatieren von Unglaubhaftigkeit

5.2 Inhalt

5.3 Modus

5.4 Sonstige Gründe für Unglaubhaftigkeit

6. Sonstige Begründungen für die (Un-)Glaubhaftigkeit des Berichts

Anmerkungen

1) In der kommunikationswissenschaftlichen Literatur ist häufig von der "Glaubwürdigkeit" von Medienprodukten die Rede. Im Folgenden wird jedoch in Anlehnung an die psychologische Terminologie, die zwischen der Glaubwürdigkeit von Personen und der Glaubhaftigkeit von Äußerungen und Texten unterscheidet, der Glaubhaftigkeitsbegriff vorgezogen (zu den Begriffen der Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit in der Psychologie vgl. KÖHNKEN 1990; SCHREIER 1997). <zurück>

2) Eine Unterscheidung zwischen Urteilen und Begründungen, die zunächst angestrebt wurde, ergab keine hinreichende Übereinstimmung zwischen den Kodiererinnen. Urteile und Begründungen wurden daher auf dieser Dimension zu einer Kategorie zusammengefasst. <zurück>

3) Als Übereinstimmungsmaß wurde der zufallskorrigierte Koeffizient Fleiss' kappa verwendet (FLEISS 1971). Dieser lag nach der ersten Probekodierung (je nach Kategorie) zwischen 0.65 und 0.75, was nach LANDIS und KOCH (1977, S.165) als "substantial" gelten kann. Die Kodierung ist somit hinreichend reliabel. Durch eine Überarbeitung des Kategoriensystems konnte in der zweiten Probekodierung eine Erhöhung der Übereinstimmung auf (nach l.c. beinahe perfekte) Werte zwischen 0.80 und 0.90 erzielt werden. <zurück>

4) Wir danken Rita KLAUKIEN und Yvonne THIES für die zügige und zugleich kompetente Durchführung der Kodierungen. <zurück>

5) Die E-Mails der ersten Probekodierung nach einer früheren Fassung des Kategoriensystems wurden im Anschluss an die Erstellung der endgültigen Fassung nachkodiert. Diese Nachkodierungen wurden in die Berechnung der Interkoderübereinstimmung für die Hauptkodierung nicht einbezogen. <zurück>

6) Die Kategorien 1.2 und 1.4 umfassen Besetzungshäufigkeiten der in unserer Untersuchung relevanten Kategorien. In relevante Kategorien fallen Tagebucheinträge mit Glaubhaftigkeitsbezug. <zurück>

7) Im Folgenden wird "Tn" als Abkürzung von "Teilnehmer/in" verwendet. <zurück>

8) Da die Medien von den Teilnehmern/innen explizit benannt werden, halten wir eine inhaltsanalytische Erfassung nicht für erforderlich. Die Nennungen wurden lediglich ausgezählt. <zurück>

9) Darunter gibt eine Person, Tn 4, überhaupt nur Unglaubhaftigkeitsurteile ab; in den Einträgen der anderen beiden finden sich alle drei Urteilsrichtungen (glaubhaft, unglaubhaft, ambivalent) gleichermaßen. <zurück>

10) Dass die Anzahl relevanter Segmente mit 219 höher ist als die zuvor identifizierte Anzahl relevanter Einträge (nämlich 118), erklärt sich daraus, dass es sich bei den Segmenten innerhalb der Einträge um kleinere Einheiten handelt, von denen jeder Eintrag in der Regel mehrere umfasst. Dies ist insbesondere bei ambivalenten Personen der Fall, die beispielsweise zunächst die Gründe aufführen, die für die Glaubhaftigkeit des Berichts sprechen, dann auf die Gesichtspunkte eingehen, die den Bericht eher zweifelhaft erscheinen lassen. <zurück>

11) Um auszuschließen, dass den Urteilen einzelner Personen ein unangemessen hohes Gewicht zukommt, wurde für sämtliche Begründungen sowohl der Glaubhaftigkeit als auch der Unglaubhaftigkeit der Berichterstattung überprüft, ob hohe Besetzungshäufigkeiten auf mehrfache interindividuelle Nennungen durch unterschiedliche Teilnehmer/innen oder auf mehrfache intraindividuelle Nennungen durch eine/n einzelne/n Teilnehmer/in zurückgehen. Es zeigte sich, dass Begründungen mit hohen Nennungshäufigkeiten, wie sie im Folgenden zusammenfassend aufgeführt sind, stets überindividuell hohe Besetzungshäufigkeiten aufweisen. <zurück>

12) Der 28. März selbst ist in die Gruppe "vor dem 28. März" eingeschlossen. <zurück>

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Zu den Autorinnen und zum Autor

Margrit SCHREIER, Prof. Dr., Professor of Empirical Methods in the Humanities and Social Sciences an der International University Bremen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Integration "qualitativer" und "quantitativer" Methoden, Medienpsychologie, Sprachpsychologie, Attributionstheorie, Empirische Literaturwissenschaft.

Kontakt:

Margrit Schreier

International University Bremen
School of Humanities and Social Sciences
P.O. Box 75 05 61
D-28725 Bremen

E-Mail: m.schreier@iu-bremen.de

 

Özen ODAG, Diplom-Psychologin und Research Associate in the Humanities and Social Sciences an der International University Bremen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Medienpsychologie, Rezeptionsforschung, Empirische Literaturwissenschaft.

Kontakt:

Özen Odag

International University Bremen
School of Humanities and Social Sciences P.O. Box 75 05 61
D-28725 Bremen

E-Mail: o.odag@iu-bremen.de

 

Norbert GROEBEN, Prof. Dr., Prof. für Allgemeine Psychologie und Kultupsychologie, Universität zu Köln; Hon. Prof. für Allgemeine Literaturwissenschaft, Universität Mannheim. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Medien-, Sprach-, Denkpsychologie; Wissenschaftstheorie, Methodologie, Anthropologie; Empirische Literaturwissenschaft.

Kontakt:

Norbert Groeben

Universität zu Köln
Psychologisches Institut
Lehrstuhl f. Allgemeine Psychologie und Kulturpsychologie
Herbert-Lewin-Str. 2
D-50931 Köln

E-Mail: n.groeben@uni-koeln.de

Zitation

Schreier, Margrit; Odag, Özen & Groeben, Norbert (2004). Der Dritte Golfkrieg: Zur Glaubhaftigkeit der medialen Berichterstattung [49 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 5(2), Art. 21, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0402214.

Revised 6/2008

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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