Volume 4, No. 2, Art. 32 – Mai 2003
Ein Wort gibt das andere, oder: Selbstreflexivität als Methode
Olaf Jensen & Harald Welzer
Zusammenfassung: Im folgenden Aufsatz wird anhand von Interviewbeispielen aus der Transitions- und Tradierungsforschung gezeigt, wie das zu untersuchende gesellschaftliche Phänomen bereits unmittelbar in der Erhebungssituation sichtbar wird. Die Interaktionsprozesse im Interview zwischen Forschenden und Befragten, die anhand der Transkripte mit der Hermeneutischen Dialoganalyse ausgewertet und interpretiert werden, sind dabei ein qualitativer Gradmesser dafür, wie auch außerhalb der Forschungssituation mit den untersuchten Phänomenen umgegangen wird. Dies ist keine Schwäche des qualitativen Interviews, sondern als Erkenntnisquelle zu betrachten, da diese Interaktionsprozesse auch Bestandteil von alltäglicher Kommunikation sind – und entsprechend gesellschaftliche Wirkung entfalten.
In Fortführung eines früheren FQS-Beitrages (JENSEN 2000), in dem die Auswertungsmethode der Hermeneutischen Dialoganalyse in Abgrenzung zur Objektiven Hermeneutik im Zentrum stand, soll hier vor allem anhand von Interviewbeispielen gezeigt werden, wie im Forschungsgespräch Themen gemeinsam verhandelt bzw. ausgehandelt werden und wie das interpretativ eingeholt werden kann. Dabei wird gezeigt, dass die Interaktionsprozesse zwischen den beteiligten Personen keineswegs als "Störung" des Forschungsprozesses und als "Verunreinigung" der Daten zu betrachten sind, sondern als Grundprinzip von Kommunikation anzuerkennen und entsprechend produktiv zu nutzen sind.
Keywords: Qualitative Forschung, intersubjektive Produktion von Text, Hermeneutische Dialoganalyse, Transitionsforschung, Tradierungsforschung, Nationalsozialismus, symbolischer Interaktionismus
Inhaltsverzeichnis
1. Methodische Vorüberlegungen
1.1 Verbale Daten als gemeinsame Konstruktion der Sprecher, oder: "wie im richtigen Leben"
1.2 Dialogorientierte Analyse der Interviews
2. Beispiele aus der Transitions- und Tradierungsforschung
2.1 "Woran's tatsächlich liegt" – Kommunikationsstörung als Erkenntnisquelle
2.2 Überwältigung im Interview: "Können Se ja nich' zwischendurch sagen: Auf Wiederseh'n, ich geh' nach Hause oder so"
2.3 Loyalität im Interview: "da war er aber nicht dabei oder war er?"
2.4 Distanzierung im Interview: "Kann ich ehrlich sagen, [...] ich hab da nie was gewußt davon"
2.5 Gemeinsame Verfertigung: "Der Russe nahm ja keine Rücksicht"
3. Schlussbemerkung
1. Methodische Vorüberlegungen
1.1 Verbale Daten als gemeinsame Konstruktion der Sprecher, oder: "wie im richtigen Leben"
Das Interview und das angemessene Verhalten der Interviewerinnen und Interviewer sind ein Standardthema der Methodenliteratur. An die Konzeption und Durchführung von Interviews werden, je nach Untersuchungsgegenstand und -design, hohe Ansprüche gestellt. Eine klassische Definition des Interviews als Pendant zum Experiment lautet z.B.: Das Interview ist "ein planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter Stimuli zu verbalen Reaktionen veranlaßt werden soll" (SCHEUCH 1967, zitiert nach FRIEDRICHS 1984, S.207). Obwohl eine solche einseitige Wirkungsweise des Interviews und die Vergleichbarkeit mit einem naturwissenschaftlichen Experiment u.a. aufgrund des "Eigenlebens" der "Instrumente" dieser Forschung sogleich wieder aufgehoben wird (FRIEDRICHS 1984, S.208), gibt es trotzdem eine Unmenge an Vorgaben und Verhaltensvorschriften für die Durchführung der verschiedenen Formen von qualitativen Interviews (z.B. mit Leitfaden oder ohne), um das Problem des "Eigenlebens" wenigstens auf Interviewerseite in den Griff zu bekommen. [1]
Dies drückt sich z. B. in der wiederkehrenden Forderung nach Neutralität in der Interviewsituation aus, die dabei noch immer das Ideal einer generellen Nichtbeeinflussung des Gesprächspartners im Dienste einer unverzerrten Datenerhebung im Sinn hat. Obwohl zumeist im gleichen Atemzug darauf verwiesen wird, wie sehr z.B. auch nonverbale Aspekte die Interviewsituation prägen und dass es sich prinzipiell um einen "komplexen Interaktionsprozeß" (FRIEDRICHS 1984, S.216) handelt, wird doch meist suggeriert, den "interviewer bias" (S.215) durch intensive, z.T. videogestützte Schulungen im "richtigen" Interviewerverhalten kontrollieren zu können (vgl. z.B. FRIEDRICHS 1984, S.207ff; HOPF 1978; FLICK 1998, S.112ff). [2]
Auf die besonderen Probleme des Leitfadeninterviews – die "Leitfadenbürokratie" – ist z.B. HOPF (1978, S.101) bereits vor 25 Jahren mit diversen Beispielen eingegangen. Aber auch Hopf hat generell die "Spontaneität und Restriktivität" (S.107) im Interview kritisch beleuchtet. Dabei konstatiert sie:
"Das qualitative Interview ist durch ein ganz bestimmtes, im Prinzip nicht aufhebbares Dilemma gekennzeichnet: Es soll, ohne daß die Rollentrennung zwischen Frager und Befragtem aufgegeben wird, einer 'natürlichen' Gesprächssituation möglichst nahe kommen. Die Interview-Situation soll ein spontanes Kommunikationsverhalten des Befragten begünstigen [...] und sie soll dies zugleich auch nicht. Denn in dem Maße, in dem gezieltere Informationsinteressen des Forschers vorhanden sind, wird die Spontaneität des Befragten durch das Informationsinteresse des Forschers gesteuert." [3]
und
"Ob mit oder ohne Leitfaden: Der Interviewer stellt überwiegend die Fragen und nicht der Befragte. Auch das frei geführte qualitative Interview ist insofern ein Pseudo-Gespräch, das Elemente der Alltagskommunikation integriert, ohne zugleich auch die Regeln der Alltagskommunikation – die Reziprozitätsnorm, die Tabuisierung des Ausfragens u.a. – zu übernehmen." (HOPF 1978, S.107) [4]
Für bestimmte Bereiche der Forschung mag der Versuch einer solchen "Rollentrennung" zwischen Forscher und Interviewpartner sinnvoll erscheinen (auch wenn die vielen von HOPF angeführten Beispiele zeigen, dass diese Trennung zumeist nicht funktioniert). Will man zu einem speziellen Thema (z.B. wie HOPF zur Entwicklung und Struktur staatlicher Schulaufsicht) "Fakten" und Zusammenhänge erfragen, oder, wie die klassische Oral History, so etwas wie historische Zusammenhänge anhand von biographischen Interviews mit sog. Zeitzeugen erforschen, steht dabei tendenziell irgendeine Vergangenheit (bzw. die Erinnerung an diese Vergangenheit) im Zentrum des Forschungsinteresses. Erzählte Erinnerungen lassen sich aber sowohl aus gedächtnistheoretischer (SCHACTER 1996; DAMASIO 1997; MARKOWITSCH 2002; WELZER 2002) als auch aus erzähltheoretischer Sicht (z.B. STRAUB 1998) als Funktionen der Gegenwartssituation des sich Erinnernden verstehen. Die soziale Situation des Interviews trägt mithin zu der spezifischen Gestalt der jeweiligen Erinnerungserzählung unmittelbar bei; die erhobenen Daten sind unausweichlich von allen Interakteuren gemeinsam produziert. Dennoch vernachlässigen die meisten Untersuchungen die vielfältigen Interaktionsprozesse, die das Material konstitutieren; die Gesprächsanteile der Interviewer/Forscher werden nur in seltenen Ausnahmefällen in die Analyse und Darstellung mit einbezogen. Vorinterpretativ wird das schon daran deutlich, dass in entsprechenden Publikationen die Intervieweräußerungen fast nie mit präsentiert werden (vgl. für einen Überblick WELZER 1999; WELZER 1996). [5]
Ein Grund dafür könnte sein, dass im Hinblick auf das Neutralitätspostulat die Interaktionsprozesse innerhalb der Interviews sehr häufig als "Ungeschicklichkeiten" der Interviewer gewertet werden und den Forschenden hier zumeist als "Störungen" und "Verzerrungen" der Erhebungssituation und damit ihrer "Daten" erscheinen, obwohl – und dies soll im folgenden anhand von Beispielen gezeigt werden – oft in der konkreten Interaktion gerade das Phänomen zutage tritt, das eigentlich untersucht werden soll. Ein bisschen ist das wie mit dem Brief in Poes Kurzgeschichte vom "entwendeten Brief", den deshalb niemand findet, weil er allen Blicken zugänglich ist. Die Vorstellung, mit intensiver Interviewerschulung ein methodologisches Niveau zu erreichen, das, wie z.B. in der quantitativen Forschung, ein Höchstmaß an Validität und Reliabilität der gewonnenen Daten garantiert, erscheint uns nicht nur aussichtslos, sondern den Ansatz und die Chancen einer qualitativen Sozialforschung geradezu zu konterkarieren, tritt diese doch mit der erkenntnistheoretischen Frage an, wie Menschen ihre soziale Wirklichkeit wahrnehmen und interpretieren und welche Schlussfolgerungen sie aus diesen Interpretationen für ihr Handeln ziehen. [6]
Doch Wahrnehmen und Interpretieren sind konstitutiv keine einsamen Akte; die Fähigkeiten dazu sind in Prozessen sozialer Interaktion erworben und geformt und werden in fortlaufender Kommunikation beständig nicht nur reformuliert, sondern auch reformiert. [7]
Wie bereits in einem früheren FQS-Beitrag dargestellt (JENSEN 2000), gehen wir in unserer Forschung (WELZER 1993; WELZER et al. 1997; WELZER et al. 2002) in Erhebung und Auswertung im Anschluss an SCHÜTZ (1971) und DEVEREUX (1967) und im Sinne der Theorie des Symbolischen Interaktionismus (MEAD, BLUMER) davon aus, dass Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler in der qualitativen Forschung grundsätzlich Akteure in einem sozialen Raum sind, der durch ihre Anwesenheit konstituiert wird und der das Verhalten aller Beteiligten bestimmt (vgl. WATZLAWICK et al. 1972, S.51f; FRIEDRICHS 1984, S.215ff). [8]
Geht es, wie in den folgenden Beispielen, um Integrationsprozesse vor dem Hintergrund einer Flucht aus der DDR oder um den gegenwärtigen kommunikativen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, muss u.E. der Anspruch einer strikten "Rollentrennung" im Interview in Frager und Befragte aufgehoben und durch eine Konstellation ersetzt werden, die die Wechselseitigkeit der Kommunikation in Rechnung stellt. In solchen Gesprächen unter Forschungsbedingungen wird entsprechend – genau wie in Alltagsgesprächen auch – eine jeweils einmalige soziale Wirklichkeit produziert, die im Unterschied zum Alltagsgespräch im Falle des Forschungsinterviews zumeist eine "Verdinglichung" in Form des Transkriptes findet, was sie einer Analyse zugänglich macht, die in der Alltagskommunikation systematisch nicht möglich ist (vgl. STEMPEL 1984, S.155). [9]
Alltagskommunikation wird, die "Urtexte" der qualitativen Sozialforschung haben das herausgearbeitet, gespeist aus dem Alltagswissen der Menschen. Dieses "Alltagswissen ist das, was sich die Gesellschaftsmitglieder gegenseitig als selbstverständlichen und sicheren Wissensbestand unterstellen müssen, um überhaupt interagieren zu können", wie es die Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (MATTHES & SCHÜTZE 1981, S.20) in Anlehnung an MEAD und SCHÜTZ definiert hat. Will man erfahren, woraus diese "selbstverständlichen Wissensbestände" genau bestehen, muss man zulassen, dass sich Menschen auch in der Forschungssituation mit den Mitteln der Alltagskommunikation verständigen. Außerdem gilt für Interviews wie für Alltagssituationen gleichermaßen: Die Beteiligten können "nicht nicht kommunizieren" (WATZLAWICK et al. 1972, S.51, Herv. i. Orig.), und sie sprechen jeweils so, wie sie erwarten, dass die anderen erwarten, dass sie sprechen werden, "denn Interaktion im spezifisch menschlichen Sinne, in der der eine vom anderen ein bestimmtes Verhalten erwartet und zugleich erwartet, dass der andere ebenfalls ein ganz bestimmtes Verhalten umgekehrt von ihm erwartet, setzt eine gemeinsame – oder doch zumindest als gemeinsam unterstellte – Verständigungsbasis für die wechselseitige Orientierung und Abstimmung der Handlungszüge der an der Interaktion Beteiligten voraus" (MATTHES & SCHÜTZE 1981, S.20; GOFFMAN 1971; GOFFMAN 1980). [10]
Qualitative Interviews – und besonders das biographische Interview – als Erhebungsmethode stellen u.E. zumeist eine solche unmittelbare und wechselseitige Interaktionssituation dar (vgl. LUCKMANN 1984, S.58), in der – ähnlich wie in Alltagssituationen – bei den Gesprächspartnern ein implizites und explizites Wissen darüber besteht, wie eine Lebensgeschichte erzählt und über bestimmte Themen gesprochen werden kann – oder eben auch nicht. Eine Forschungssituation ist zwar per definitionem kein direktes Abbild einer alltagsweltlichen Situation, sie unterscheidet sich strukturell aber nicht von vielen anderen asymmetrischen Kommunikationsformen (z.B. der Anamnese, dem Beratungsgespräch, der Beichte, der Prüfung etc.). Es gibt deshalb aus unserer Sicht keinen vernünftigen Grund, die Situation des Forschungsinterviews artifizieller zu machen als sie ohnehin schon ist. [11]
1.2 Dialogorientierte Analyse der Interviews
Für die Auswertung der Interviewtranskripte, die wir im Rahmen unserer Forschung erhoben haben, war uns also besonders wichtig, die Interaktion aller Beteiligten mit ihren wechselseitig antizipierten Erwartungen, ihren gegenseitigen Beobachtungen und formalen wie inhaltlichen Interaktionsnormen in den Blick zu nehmen. Das von uns hierfür verwendete Interpretationsverfahren der Hermeneutischen Dialoganalyse (WELZER 1990, 1993, 1995, 1998a; JENSEN 2000, JENSEN 2003b) lässt sich als eine pragmatische Weiterentwicklung der Objektiven Hermeneutik (OEVERMANN et al. 1979) beschreiben. Im Gegensatz zum OVERMANNschen Verfahren der Objektiven Hermeneutik stehen bei dem von uns verwendeten Verfahren die situativ gegebenen Beiträge aller Interakteure im Mittelpunkt und es ist durch folgende Modifikationen der Objektiven Hermeneutik von OEVERMANN et al. (1979) gekennzeichnet: Wie auch bei OEVERMANN wird zunächst der Kontext geklärt, in dem die zu untersuchende Sequenz steht (Ebene 0, Leitfrage: "Was ist passiert?"). Darauf folgt die Paraphrase (Ebene 1, Leitfrage: "Was sagt der Sprecher gemäß dem Wortlaut?") und die Explikation der Intentionen des Sprechers (Ebene 2, Leitfrage: "Was will der Sprecher sagen?"). Anschließend kommt in der dritten Ebene in dem von uns verwendeten Verfahren die von OEVERMANN et al. als "weniger wichtig" (1979, S.399) bezeichnete Ebene 4 zum Zuge. Hier geht es uns, wie oben dargestellt, um die Klärung der Funktion eines Interakts in der Verteilung der Interaktionsrollen (Leitfrage: "Wie entwickelt sich situativ die Interaktion?"). Dabei betrachten wir nicht lediglich die Aussagen des oder der Befragten, sondern analysieren die entstandenen Paarsequenzen des Gesprächs – die pragmatische Ebene der Kommunikation. Dies sind u.E. die zentralen Stellen, an denen erst deutlich werden kann, welche Motive1) hinter dem Interakt stehen (hier Ebene 4, Leitfrage: "Was bringt der Sprecher (nicht-intentional) zum Ausdruck?", bei OEVERMANN et al. Ebene 3.). Gerade die situativ gegebenen Beiträge beider bzw. aller Interakteure – auch die der Interviewerinnen und Interviewer – stehen also bei dieser Analyse im Zentrum. Der Vorteil eines solchen Vorgehens ist, dass sich die Interpretation eines Interakts auch damit validieren lässt, wie der nächste Sprecher auf diesen reagiert; wie die Äußerung also von den Beteiligten aufgenommen bzw. interpretiert wird. [12]
Des weiteren werden die bei OEVERMANN et al. als Ebenen 6 und 7 bezeichneten Schritte der Extrapolation der Interpretation des Interakts auf die Struktur vorausgehender Kommunikationsfiguren (hier Ebene 5, Leitfrage: "Gibt es eine verallgemeinerbare Struktur?") und schließlich die Explikation allgemeiner Zusammenhänge vollzogen (hier Ebene 6, Leitfrage: "Gibt es Verbindungen zu (Sozialisations-) Theorien?"). Die sprachlichen Merkmale des Interakts (bei OEVERMANN Ebene 5, Leitfrage: "Wie spricht der Sprecher?") werden, soweit notwendig, im Rahmen der Ebenen 1 und 2 berücksichtigt (vgl. WELZER 1993, S.98; WELZER at al. 1997, S.37). Schematisch lassen sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen folgendermaßen darstellen:
Ebene bei OEVERMANN et al. (1979) |
Ebene bei WELZER (1993) |
Feinanalyse |
0 |
0 |
Explikation des einem Interakt unmittelbar vorausgehenden Kontextes ("Was ist passiert?") |
1 |
1 |
Paraphrase der Bedeutung eines Interakts gemäß dem Wortlaut der begleitenden Verbalisierung ("Was sagt der Sprecher gemäß dem Wortlaut?") |
2 |
2 |
Explikation der Intention des interagierenden Subjekts ("Was will der Sprecher sagen?") |
3 |
4 |
Explikation der objektiven Motive des Interakts und seiner objektiven Konsequenzen ("Was bringt der Sprecher (nicht-intentional) zum Ausdruck?") |
4 |
3 |
Explikation der Funktion eines Interakts in der Verteilung von Interaktionsrollen ("Wie entwickelt sich situativ die Interaktion?") |
5 |
1 u. 2 |
Charakterisierung der sprachlichen Merkmale des Interakts ("Wie spricht der Sprecher?") |
6 |
5 |
Extrapolation der Interpretation des Interakts auf durchgängige Kommunikationsfiguren, kennzeichnende Beziehungsprobleme, Persönlichkeitsmerkmale u.a. ("Gibt es eine verallgemeinerbare Struktur?") |
7 |
6 |
Explikation allgemeiner Zusammenhänge ("Gibt es Verbindungen zu (Sozialisations-) Theorien?") |
Tabelle 1: Gegenüberstellung Objektive Hermeneutik/Hermeneutische Dialoganalyse [13]
In der Interpretation halten wir uns sowohl an das Gruppenprinzip als auch an das Prinzip der sequentiellen Interpretation, d.h. kein Interakt wird im Lichte zeitlich nachfolgender Interakte interpretiert. Forschungspraktisch ist das Analyseschema wie auch bei OEVERMANN et al. kein starres Raster, das "mechanisch" (1979, S.349) abzuarbeiten ist, sondern die einzelnen Ebenen können sich in der Interpretation durchaus überschneiden. Entscheidende Aufgabe der Ebenen ist weiterhin, "zur Sorgfalt der Explikation anzuleiten" (1979, S.402). Mit Hilfe der so modifizierten und mit einem dialog-orientierten Schwerpunkt versehenen hermeneutischen Methode ist es unserer Meinung nach möglich, Bedeutungsstrukturen in Interviews, denen familial und gesellschaftlich begründete Handlungsregeln und Sinnfiguren zugrunde liegen, zu analysieren. [14]
Im folgenden möchten wir zeigen, dass mit dieser Analysemethode gerade in scheinbar missglückten oder klassisch als "verzerrt" zu definierenden Interviewpassagen das Phänomen sichtbar werden kann, das im Zentrum des Forschungsinteresses liegt. [15]
2. Beispiele aus der Transitions- und Tradierungsforschung
2.1 "Woran's tatsächlich liegt" – Kommunikationsstörung als Erkenntnisquelle
Am folgenden Beispiel können wir zeigen, wie das Interdependenzverhältnis, in dem wir uns als soziale Wesen immer befinden, wenn wir kommunizieren, in einer auf den ersten Blick harmlosen und wenig bemerkenswerten Interaktionssequenz wirksam wird. Das Beispiel entstammt einem Forschungsprojekt, in dem von 1989 bis 1990 ehemalige Bürger der DDR, die noch vor dem Mauerfall über die Prager Botschaft in den Westen geflohen waren, darüber befragt wurden, wie sie sich an ihrem Arbeitsplatz und in ihrem sozialen Umfeld in Westdeutschland zurechtfanden (WELZER 1993, S.205). Die Teilnehmer an dieser Studie wurden insgesamt dreimal in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren befragt; der folgende Ausschnitt entstammt einem zweiten Gespräch, das Anfang 1990 stattfand. [16]
Es ging in diesem Projekt um die Frage der sozialen Integration, und der 19jährige Befragte, nennen wir ihn Stephan Komor, erzählt seinem etwa zehn Jahre älteren westdeutschen Interviewer, dass er in seiner neuen Umgebung noch nicht so richtig Fuß gefasst hat. Dabei erzählt er über seine frühere Lebenssituation in der (zu diesem Zeitpunkt noch existierenden) DDR und über seinen dortigen Freundeskreis, der ihm nun völlig fehlt: "Und der Freundeskreis," erzählt Stephan, "den ich da drüben hatte, das ist also bei weitem ... ja also ... 'n Minimum davon, also das ist." Die damalige Situation unterscheidet sich von der gegenwärtigen so stark, dass Stephan regelrecht die Worte dafür fehlen, den Unterschied zu beschreiben. Wenn er die neue Situation als "Minimum davon" bezeichnet, charakterisiert er sie, so könnte man sagen, als absolute Untergrenze von Sozialbeziehungen überhaupt. Nach einer Pause fährt er fort:
Stephan K.: "Und die Gegend kenn' ich drüben locker. Immer noch, immer noch. Das, ach, das zehnfache Leute, was ich hier kenne. Auch vom Sehen schon alleine. Gut, es ist auch, hat sich in neunzehn Jahren aufgebaut, aber ich dachte eigentlich nach einem Jahr, daß man bißchen mehr integriert ist, sich selbst integriert hat hier. Aber irgendwie, weiß ich auch nicht, ich mein, ich geh auch selten irgendwie, daß ich nun, daß ich sage, ich bin Stammgast irgendwo. Daß ich zehnmal in dieselbe Kneipe laufe, das ist auch nicht so. Vielleicht liegt's auch 'n bißchen an dadrinnen selbst, daß wir uns, nicht so richtig da reinkommen, aber es steht auch keiner so da [breitet die Arme aus] [Lachen] Also, so ist das." [17]
Diese Passage ist durch Vergleichen und Schwanken zwischen Vergangenheit und Gegenwart geprägt. Stephan erzählt, dass er sich "drüben" "immer noch, immer noch" auskennt – wobei die damit verdeutlichte soziale und emotionale Eingebundenheit durch die Betonung des Zeitraums seiner Abwesenheit noch unterstrichen wird. Wider sein Erwarten also zentrieren sich seine Sozialkontakte um das "Drüben" und nicht um das "Hier". Aber, überlegt er, schließlich habe sich das soziale Umfeld dort auch in "neunzehn Jahren aufgebaut". Nach einer Pause des Überlegens wechselt er wieder in die Gegenwart und kommt auf die Zeitdimension zurück: "nach einem Jahr" hätte er erwartet, "daß man bißchen mehr integriert ist, sich selbst integriert hat hier". Mit diesem Satz bringt Stephan nicht nur einen zeitlichen Erwartungshorizont zum Ausdruck, sondern auch die Interdependenz des Integrationsprozesses: Man wird integriert, man integriert sich. Beide Seiten der Medaille sehen aus Stephans Perspektive nicht gut aus, wobei er sich selbst ein wenig Schuld zuschreibt. "Zehnmal in dieselbe Kneipe" gehe er nicht, aber so sei man eben, da wo er herkommt ("daß wir uns"). [18]
Stephan gehört also zu einer Wir-Gruppe, in der jeder so ähnlich handeln würde wie er – und dazu kontrastiert er nun das Verhalten der "Gegengruppe", die durch mangelnde Aufnahmebereitschaft charakterisiert ist: Mit offenen Armen jedenfalls stehe "keiner" da: "So ist das." Damit bringt er einerseits zum Ausdruck, dass er wenig Hoffnung auf eine Veränderung seiner Situation hat – andererseits liegt hierin auch eine Botschaft an den Interviewer, denn der ist ja ein Mitglied der Gegengruppe und steht gleichsam mit verschränkten Armen da. Dessen Reaktion ist denn auch bezeichnend:
Interviewer: "Jaja. Nee, aber was meinste denn, woran's tatsächlich liegt, also meinste, daß hier die Kontakte sowieso nicht so dicke sind, oder daß es äh ... anders irgendwie abläuft als bei Euch früher? Oder ist es allgemein so etwas kühler, distanzierter ...?" [19]
Der Interviewer stimmt Stephan also zunächst zu ("Jaja"), verweist seine Überlegungen aber gleich darauf in den Bereich des Irrealen ("woran's tatsächlich liegt") – was offensichtlich in einer Anknüpfung an Stephans Scherz mit den ausgebreiteten Armen möglich ist, ohne dass die Kommunikation völlig gestört wird. Dies hat für den Interviewer ganz offenbar die Funktion, den ihm zugewiesenen Anteil an Stephans scheiternden Integrationsbemühungen zurückzuweisen: Er transformiert Stephans Problem in ein allgemeines: "daß hier die Kontakte sowieso nicht so dicke sind". Entlarvend ist dann aber, dass er Stephans Konstruktion von Wir-Gruppe und Gegengruppe voll übernimmt, indem er "bei Euch früher" sagt, womit er Stephan nicht nur einer Gegengruppe zuordnet, sondern ihm zugleich die Legitimation abspricht, sich heute noch als Vertreter dieser Gruppe zu verstehen! Das heißt, dass er Stephan kommunikativ zugleich von seinem früheren Sozialzusammenhang abschneidet und ihn in einen neuen, nämlich seinen eigenen, nicht hineinlässt – er selbst positioniert ihn also in einem sozialen Niemandsland (womit er nun zweifellos bestätigt, dass hier "keiner so da[steht]" – nämlich mit ausgebreiteten Armen). Stephans Antwort darauf "Ja, also, ich glaube schon, hier macht jeder sein eigenes Ding so'n bißchen", liest sich wie eine präzise Beschreibung der Interviewsituation! Auf der Ebene der sozialen Situation des Gesprächs vollzieht sich also exakt das, wonach das Forschungsprojekt gefragt hatte – ein schwieriger und schmerzhafter Prozess der sozialen Integration, in der es auf der einen Seite (in Norbert ELIAS' Begriffen) Etablierte und auf der anderen Seite Außenseiter gibt (ELIAS & SCOTSON 1990). [20]
Wir haben es in diesem Beispiel mit einer Reihe situativer Überlagerungen von sozialen Positionen zu tun, oder, um mit Erving GOFFMAN (1980) zu sprechen, mit unterschiedlichen "Rahmen" der Situation: Erstens handelt es sich um ein Forschungsinterview, das per definitionem Daten darüber erbringen soll, wie eine Person einen biographischen Übergang mit all seinen Schwierigkeiten erlebt. Wie man am Verhalten des Interviewers sieht, interferiert dieser Rahmen mit einem sozialen Aushandlungsprozess zwischen einem Einheimischen und einem Fremden; dieser informelle, nicht definierte und beiden Gesprächspartnern unbewusste Rahmen bestimmt die Interaktion deutlich mehr als der formelle Rahmen, der ursprünglich die Definition der Situation vorgab. Ein dritter Rahmen besteht in der sozialen Beziehung zwischen den Gesprächspartnern und basiert wiederum auf eher bewussten Situationsdefinitionen: man möchte den anderen nicht kränken, ihn schon gar nicht ausgrenzen, ihm sympathisch sein. Insofern gehen hier in die wechselseitigen Beobachtungen und Interpretationen Motive ein, die an der Aufrechterhaltung der sich entwickelnden persönlichen Beziehung interessiert sind. [21]
Diese drei Rahmen (und vermutlich noch eine ganze Reihe weiterer) überlagern sich situativ, wobei der soziokulturelle Rahmen, der die Etablierten-Außenseiter-Beziehung bildet, wohl den stärksten Einfluss auf die Entwicklung der Situation hat – wohlgemerkt, ohne dass die Sprecher das bemerken würden; dieser Rahmen zeigt sich erst in der Interpretation des verschrifteten Gesprächs. Deutlich spielen hier soziale und kulturelle Hintergrundannahmen eine Rolle, die in der Gesprächssituation unwillkürlich aktiviert werden. Die beiden Sprecher agieren hier nicht autonom, sondern auch vor dem Hintergrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Wir-Gruppe, also zu einer viel größeren Interaktionsgemeinschaft. Kurz: Wir haben es in dieser Situation mit der Aktivierung kultureller Schemata zu tun, die sich unterhalb der Bewusstseinsschwelle abspielen. [22]
Man könnte nun einwenden, dass der Interviewer schlecht geschult war und sich deshalb nicht an die Regeln gehalten hat – und in der Tat ist uns dieser Vorwurf im Rahmen des Übersiedler-Projekts wie auch hinsichtlich unserer anderen Projekte regelmäßig gemacht worden. Dieser Vorwurf beansprucht implizit, dass mit einem solchen Verfahren "bessere", weil "kontrolliertere" Daten erhoben worden wären. Freilich wäre diese "Kontrolle" (von was eigentlich?) um den Preis gewonnen worden, die Dynamik und die Praxis dieses sozialen Interaktionsprozesses in einem Transkriptausschnitt wie unter dem Mikroskop betrachten zu können. [23]
Folglich erscheint es uns unerlässlich, die Bedingungen, unter denen die Äußerungen der Befragten und ihre biographischen Erzählungen entstehen und vermittelt werden, in der Interpretation im Blick zu halten, was nicht zuletzt eine kritische Selbstreflexion der Interviewenden bzw. Forschenden erfordert, und zwar im Medium des Interpretationsverfahrens selbst (vgl. WELZER et al. 1997, S.34f). Dieser Aspekt war auch bei unseren Forschungsprojekten zu den Nachwirkungen der Zeit des Nationalsozialismus zentrales Element in Erhebung und Auswertung. [24]
2.2 Überwältigung im Interview: "Können Se ja nich' zwischendurch sagen: Auf Wiederseh'n, ich geh' nach Hause oder so"
Was für die Konstellation von westdeutschem Interviewer und ostdeutschem Interviewtem gilt, trifft in noch stärkerem Maße für die Konstellation von NS-Zeitzeuge und Angehörigem der Nachfolgegeneration zu. Kaum ein Thema ist in den vergangenen Jahrzehnten in so vielfältiger Weise beforscht und diskutiert worden, wie die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Die soziale und intersubjektive Konstitution besonders der biographischen Erzählungen der Zeitzeugen des Nationalsozialismus wird hier besonders deutlich, denn es ist ihnen situativ weder möglich, unabhängig von gesellschaftlicher Bewertung über ihr Leben im Nationalsozialismus zu berichten, noch ist es den Interviewern möglich, nicht-normativ mit solchen Erzählungen umzugehen. Die Themen Schuld, Verstrickung und Rechtfertigung auf der einen, Vermutungen, Anklagen und Verurteilung auf der anderen Seite sind als wechselseitig antizipierte Gesprächserwartungen immer schon präsent, was direkte Auswirkungen auf das entstehende Datenmaterial hat. Aber auch hier argumentieren wir schlicht: Warum denn auch nicht? In den Interviews reproduzieren sich doch notwendig genau jene Gesprächsrestriktionen, Stereotype und Tabuisierungen, die die gesellschaftliche Kommunikation über den Nationalsozialismus allgemein prägen (zur Kritik an ausgewählten Beispielen der Forschung vgl. WELZER 1997, S.50ff.) und die Gegenstand der Untersuchung waren: das gemeinsame Sprechen der verschiedenen Generationen über den Nationalsozialismus. [25]
Im folgenden Beispiel aus einem früheren NS-Projekt (WELZER et al. 1997, S.208ff.), in dem der Zeitzeuge ausführlich Kampfhandlungen und Verletzungen schildert, wird zwischen den beteiligten Akteuren etwas sichtbar, was wir Perspektivenübernahme durch "Überwältigung" genannt haben. Der Zeitzeuge, den wir Herrn Seidel genannt haben, ist Jahrgang 1921, war "Panzermann" der Waffen-SS in Russland, und seine Erinnerungen beziehen sich sowohl auf die Etappensiege der Deutschen wie auf den Rückzug. Seine Haltung zu seiner Vergangenheit ist ambivalent: Einerseits ist er stolz auf seine Kampfbereitschaft und Geschicklichkeit, andererseits bewertet er seinen Einsatz im Licht der späteren Niederlage als vergeblich. [26]
Zunächst berichtet Herr Seidel mit großer Begeisterung von einzelnen Gefechten und von der Technik des Panzers. Er beschreibt sehr ausführlich die Enge im Panzer, die Aufgabenverteilung und den Ablauf eines Panzerkampfes. Diese Schilderungen des Veteranen faszinieren den Interviewer und dieser bemüht sich, die Abläufe bis ins kleinste Detail nachzuvollziehen. Die Kommentare des Interviewers sind schließlich von der Binnenperspektive eines Kriegsteilnehmers nur noch dadurch zu unterscheiden, dass er sie als Vorstellungsversuche kennzeichnet: "Das is' ja unheimlich eng – also ich stell' mir das mal einfach so vor – das is' ganz eng is' ganz laut und man kann nich' raus" (Seidel, 652-653). Diese Binnenperspektive, in der ihn besonders die Enge im Panzer beunruhigt, behält der Interviewer auch bei, als der Zeitzeuge selbst die Legitimität seiner Kriegshandlungen in Frage stellt. Der Tod von Gegnern war im Kampf zwar nicht zu vermeiden, ist für ihn in der Gegenwart aber ein moralisches Problem. Nicht jedoch für den Interviewer: Dieser verbleibt in der Binnensicht auf die Kampfhandlungen:
Herr Seidel: "Wenn wir jetzt 'ne PAK gesehen haben (Hm) oder irgendwo geseh'n: Aha, da aus der Richtung hinter der Böschung, da sitzt 'ne PAK.' Ne. An und für sich Sprenggranate, 'ne (Hm) und dann war die PAK weg (Hm), ne. Man hat das äh, die hab'n 's ja mit uns genauso gemacht, also was soll's, ich mein/"
Interviewer: "Ja, ja, das is' klar."
Herr Seidel: "Wir ham ja genauso viel Verluste gehabt wie die auch, (Hm) also blöde war'n die Russen auch nicht, ne, die wußten auch äh äh, worum es ging, 'ne (Hm). Und äh schießen konnten sie auch (Hm) und die Kanone, die die hatten mit ihrem T-34, also die war nich' schlechter als unsere (hm-hm-hm), ne."
Interviewer: "Und was is' das, ich meine ja eigentlich so auch so was, stell' ich mir so vor, halt so'n beengtes Gefühl, oder so auch daß man halt (Is, is) nich' raus kann, wenn man drin ist, ist man drin. (Ja, ja, ja). Könn/ können Se ja nich' zwischendurch sagen: Auf Wiederseh'n, ich geh' nach Hause oder so." (Seidel, 659-671) [27]
Herr Seidel rechtfertigt die Abschüsse von gegnerischen Stellungen mit der Lebensgefahr, in der er während der Gefechte schwebte, und mit der Normalität von Kampfhandlungen im Krieg allgemein. Diese Argumentation wird durch den Interviewer unterbrochen und die Legitimität der Kampfhandlungen bestätigt. Trotz dieser Hilfestellung setzt Herr Seidel seine Rechtfertigung fort: Die Russen erwiesen sich als strategisch und technisch gleichwertige Gegner, die es ernst zu nehmen galt. Herrn Seidels Rechtfertigungen interessieren den Interviewer jedoch überhaupt nicht. Während der Zeitzeuge um eine kritische Bilanzierung seiner Handlungen bemüht ist, die auch bei einem Angehörigen der jüngeren Generation Anerkennung finden könnte, beschäftigt sich der Interviewer weiterhin mit den subjektiven Empfindungen eines Panzermannes. Aus dieser Binnenperspektive leitet der Interviewer schließlich eine Rechtfertigung ab, die Herrn Seidel viel umfassender entlastet als seine eigene Argumentation: Unabhängig von der Kampfkraft der Russen und der Legitimität von Abschüssen gab es für einen Panzermann im doppelten Sinne überhaupt keine Gelegenheit zum Aussteigen. Die klaustrophobische Enge im Panzer, die den Interviewer emotional gefangennimmt, löst Herrn Seidels moralisches Problem in Wohlgefallen auf: "Wenn man drin ist, ist man drin." [28]
Diese Interviewpassage dokumentiert verdrehte Generationsrollen: Es ist nicht etwa der Interviewer, der die Kriegsteilnahme moralisch überprüft und eine Außenperspektive an die Schilderungen anlegt, sondern der Zeitzeuge selbst bricht aus seiner zuvor entfalteten Binnenperspektive aus. Der Interviewer eliminiert das moralische Problem Herrn Seidels, indem er ihn wieder auf jene erlebnisorientierte Sicht des Krieges zurückweist, die ihm der Zeitzeuge im Verlauf des Interviews vermittelt hatte. So entlastet, setzt Herr Seidel seine Beschreibung des Panzerkampfes dann erleichtert fort und schildert stolz, wie er mehrere bedrohliche Situationen überlebt hat. Dies ist mit Sicherheit ein recht extremes Beispiel dafür, wie ein Interviewer im Interview von erzählten Geschichten "überwältigt" werden kann. Was aber an diesem und auch den weiteren Beispielen gezeigt werden soll, ist, dass in biographischen Interviews mit zum Teil außergewöhnlichen Geschichten beinahe zwangsläufig Perspektivübernahmen durch die weiteren Beteiligten stattfinden. Gerade darin zeigt sich, was die Mechanismen der Weitergabe von Vergangenheitsvorstellungen sind, die Angehörige der Tätergesellschaft regelmäßig in historischen Situationen imaginieren, in denen sie selbst Opfer oder zumindest ohnmächtige Befolger heteronomer Entscheidungen sind (WELZER et al. 2002). [29]
2.3 Loyalität im Interview: "da war er aber nicht dabei oder war er?"
Das nun folgende Beispiel stammt aus der Studie "Tradierung von Geschichtsbewußtsein" (WELZER et al. 2002, S.44ff.)2). Die Zeitzeugin Johanna Kurz ist 1927 geboren, ihr Vater war in der SS, ihre Mutter kurzzeitig in der NS-Frauenschaft, aus der sie aber "nach zwei oder drei Jahren" ausgetreten ist, "die hat mit denen nichts am Hut gehabt" (F39ZZ, 234-235.), wie sie betont. All dies hat Frau Kurz bereits im Interview erzählt, als sie auf die brennende Synagoge in Hannover zu sprechen kommt:
Johanna Kurz: "Ich weiß nur, daß wir diese rauchenden Trümmer da angeguckt haben. Trümmer waren das dann, mhm, mhm, die Synagoge war nicht zerstört, die war nur ausgebrannt, nicht, alles schwelte und so, nicht, und meine Mutter ist bald verrückt geworden. Hat sie gesagt, wie kann man denn sowas machen, nicht, das hatte ja was kirchliches für sie, nicht. Aber ich hab' das, dann hörte man auch, daß in anderen, das war ja nicht nur in Hannover so, sondern im Gegenteil, das war ja überall, nicht. Und dann weiß ich, daß meine Mutter zu meinem Vater gesagt hat: 'Ich weiß, daß Du dabei warst, Du brauchst mich nie wieder anzureden!' Also/"
Interviewerin: "Und da war er aber nicht dabei oder war er?"
Johanna Kurz: "Das kann ich nicht sagen, ich ... Ich glaube es nicht, aber ich weiß es nicht. Ich möchte, da kann ich nichts zu sagen, das weiß ich nicht."
Interviewerin: "Das war einfach so eine ausgesprochene Drohung von/"
Johanna Kurz: "Ja, ehm, die beiden sind dann auch nie wieder zusammengekommen, also, also dann brach der Krieg aus, und äh, dann lief die Ehe nur so nebenher, also nichts Gewaltiges mehr. Und als er dann nach Hause kam, 1947, ich glaube, ist er aus der Gefangenschaft gekommen und 48 sind sie geschieden worden." (F39ZZ, 386-405) [30]
Die Interviewerin, Jahrgang 1971, kann in dieser Sequenz nicht glauben, dass der Vater von Frau Kurz bei der "Reichskristallnacht" als Akteur "dabei" war. Ihre suggestive Rückfrage verunsichert Frau Kurz beträchtlich und diese Verunsicherung scheint die Interviewerin in ihrer Auffassung nochmals zu bestärken: "Das war einfach (...) eine Drohung", interpretiert sie und veranlasst Frau Kurz dazu, zu antworten und zugleich nicht zu antworten, indem sie vom Ergebnis her erzählt. Bei der Drohung ist es nicht geblieben, offenbar war der Konflikt so ernst, dass ihre Eltern "nie wieder zusammengekommen" sind. [31]
Die Interviewerin, die im Interviewrapport berichtet, dass Johanna Kurz ihr ausgesprochen sympathisch gewesen sei, kann es situativ offenbar nicht für möglich halten, dass deren Vater einer der Akteure der "Reichskristallnacht" war. Die Interviewerin ist bis ins Detail über die Geschichte des "Dritten Reiches" informiert, und trotzdem scheint sie sich dagegen zu sträuben, dass auch nur ein Verwandter der alten Dame, die sie gerade interviewt, Mitläufer oder gar Täter im Prozess der Judenverfolgung gewesen ist. [32]
Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass die Befragten den Lesarten ihrer Zuhörer nur selten widersprechen, sondern meist eine narrative Form wählen, die unterschiedliche Lesarten parallel bestehen lassen kann. So entscheidet sich Frau Kurz zunächst dafür, der Suggestion der Interviewerin beizupflichten. Im weiteren Verlauf des Dialogs erzählt sie dann über die spätere Trennung der Eltern, ein Hinweis, der es erlaubt, ihre eigene Lesart des Geschehens aufrechtzuerhalten, ohne der Interviewerin dezidiert zu widersprechen. [33]
Das Beispiel zeigt aber auch, wie schnell sich in der sozialen Situation des Gesprächs Loyalitätsbeziehungen generalisieren können, denn die Interviewerin versucht ja mit ihrer hoffnungsvollen Rückfrage nicht etwa nur ihre direkte Gesprächspartnerin von jedem Verdacht auszunehmen, in verbrecherische Handlungen involviert gewesen zu sein, sondern sie weitet dieses Bedürfnis auch auf die nächsten Verwandten von Frau Kurz aus, die ihr weder bekannt sind noch überhaupt bekannt sein können. Es ist, als habe sie gar nicht zur Kenntnis genommen, was Frau Kurz ihr unmittelbar zuvor über die Vergangenheit ihres Vaters erzählt hatte. [34]
Auch hier führt die Interaktion unmittelbar zur Aufschlüsselung des interessierenden Phänomens, und es zeigt sich, dass die Herstellung spezifischer Vergangenheitssichten mit spezifischen Rollenzuschreibungen eine kommunikative Leistung ist, die keineswegs allein von den Angehörigen der sog. Erlebnisgeneration erbracht wird, sondern zu der die Angehörigen der Enkelgeneration substantiell beitragen. [35]
2.4 Distanzierung im Interview: "Kann ich ehrlich sagen, [...] ich hab da nie was gewußt davon"
Im Interview mit Otto Rust (Jg. 1924) wird diese Form der Verständigung und Solidarisierung zwischen Interviewer und Zeitzeugen besonders deutlich (JENSEN 2003a). Herr Rust vermittelt in seinem Einzelgespräch einen Eindruck, der stark an die Romanfigur des "Braven Soldaten Schwejk" erinnert. Unverschuldet und ohne jede Verantwortung, so scheint es, ist er in die Wirren des Nationalsozialismus und des Krieges geraten, tut trotzdem "brav", aber distanziert seine Pflicht und versucht darüber hinaus lediglich, mit List und Tücke am Leben zu bleiben. Schon nach wenigen Minuten antwortet er im Interview auf die Frage, was er in seiner Jugend für "prägnante Sachen erlebt" hat, mit dem Hinweis, dass er immer ein Mensch gewesen sei, der "seelisch verspielt" war und noch an "Märchen" geglaubt habe. Darüber hinaus habe er immer "die Natur geliebt", konnte den "politischen Unfrieden" dieser Zeit nicht ertragen und besonders die "Angst vor Gewalt und Schlägereien" habe ihn "gewurmt". Herr Rust habe diese Dinge "total abgelehnt", "wie es vielleicht jedes Kind ablehnt, wenn man Gewalt und Terror sieht" (F3Z1, 16-26). [36]
Und auch später, so vermittelt er den Eindruck, hat er von Nationalsozialismus und Krieg nicht viel gehalten – obwohl er seine militärische Karriere fortsetzte und bei der Luftwaffe war und später auch an der V1 ausgebildet wurde. Jede Form von Autorität kommt bei ihm in der retrospektiven Betrachtung schlecht weg. Bezüglich seiner Zeit als Soldat äußert sich Herr Rust sehr distanziert und abgeklärt. Vor allem die Befehlshaber werden von ihm im Interview scharf verurteilt:
Otto Rust: "Das war 'ne sehr große [Funk-] Anlage. Und der Kompaniechef, das war'n Oberidiot, ne. (hm) Und wenn da einer ein Schuß Munition verloren hat, der mußte drei Tage in Bau, ne. Also, so'n Schwachsinn war das da. Totaler Schwachsinn." (F3Z1, 181-183) [37]
Aufgrund solcher sehr distanzierten Äußerungen zu Krieg und Nationalsozialismus entwickelt sich zwischen ihm und dem Interviewer rasch eine Kommunikationsebene, die für beide gleichermaßen durch Distanz und fehlende Sympathie für das NS-System geprägt ist. Dies wird auch nicht durch Erzählungen des Zeitzeugen aufgebrochen, die ihn direkt mit dem Holocaust in Verbindung bringen. Der Interviewer fragt nach einiger Zeit, ob Herrn Rust noch etwas Prägnantes zum Krieg einfällt, das er erzählen möchte und der Zeitzeuge antwortet:
Otto R.: "Ach, eigentlich nich'. Wissen Sie, das Ganze hat mich nich' sehr berührt. Was mir eigentlich, wenn ich jetzt so im Nachhinein das höre, und von KZ und sowas, nich' wahr. Kann ich ehrlich sagen, so ich bin, ich hab da nie was gewußt davon. Aber das erste mal hab ich's, hab ich's gesehen. In Peenemünde"
Interv.: "Ach ja!"
Otto R.: "wo die Raketenversuchsanstalt war."
Interv.: "Ach ja."
Otto R.: "Da war ein Lager, da stand auch noch drüber: 'Arbeit macht frei', ne."
Interv.: "Ach ja."
Otto R.: "Und da kamen die jeden Morgen raus zum arbeiten."
Interv.: "Hm." (F3Z1, 406-417) [38]
Otto Rust leitet hier selbst vom Thema Zweiter Weltkrieg zum Thema Holocaust über. Mit dem Krieg hatte er nach eigener Aussage nicht viel zu tun, er hat ihn "nicht sehr berührt", sagt er, um dann auf ein Thema zu sprechen zu kommen, das ihn im Gegensatz dazu mehr beschäftigt. Und auch hier zeigt sich, dass von den Zeitzeugen im Interview häufig auf unausgesprochene Vorwürfe bzgl. der NS-Verbrechen reagiert wird. [39]
Er beginnt den Satz, als ob er weiterhin über seine Befindlichkeit hinsichtlich Nationalsozialismus und Krieg sprechen möchte: "Was mir eigentlich, wenn ich jetzt so im Nachhinein das höre ...", kommt dann aber direkt auf die Konzentrationslager zu sprechen: "und von KZ und sowas nich' war". Mit "und so was" meint er hier vermutlich den Judenmord und andere Verbrechen des NS-Systems. [40]
Anschließend verwendet er eine Figur, die wir häufiger beim Tradierungstyp Rechtfertigung gesehen haben (vgl. WELZER et al. 2002, S.81ff.; JENSEN 2003a): Er nimmt in Anspruch, dass er von solchen Vorgängen damals überhaupt keine Kenntnis erlangte ("Kann ich ehrlich sagen (...) ich hab da nie was gewußt davon"), um im nächsten Moment eine Beobachtung wiederzugeben, die im direkten Zusammenhang mit dem Holocaust steht: "Aber das erste mal hab ich's (..) gesehen. In Peenemünde." Nun ist der Interviewer doch einigermaßen überrascht ("Ach ja!"), die gemeinsame Distanzierungsebene gegenüber dem Nationalsozialismus ist plötzlich durchbrochen, denn der Zeitzeuge berichtet immer weitere Details über das Konzentrationslager in Peenemünde.3) [41]
Spätestens mit der Mitteilung, über dem Lagereingang hätte das Schild "Arbeit macht frei" gehangen, macht Herr Rust unmissverständlich deutlich, dass sich seine Geschichte nun inmitten des Holocaust befindet, er also nicht versucht, seine damaligen Beobachtungen zu relativieren.4) Auch dass die Gefangenen "jeden Morgen raus zum arbeiten" mussten, macht deutlich, dass es sich weder um eine zufällige, noch um eine heimliche Beobachtung des Zeitzeugen handelt. Der Interviewer kommentiert die Beschreibungen des Zeitzeugen im Interview anschließend dreimal in Folge mit der gleichen stereotypen Redewendung: "Ach ja" und drückt damit sein Erstaunen über dieses plötzliche Eingeständnis des Wissens über zumindest ein Konzentrationslager aus. Herr Rust fährt in seiner Erzählung fort und macht im Anschluss an seinen oben unvollständig gebliebenen Satz ("Was mir eigentlich...") deutlich, was ihn wirklich gestört hat:
Otto R.: "Und wissen se, was ich da so widerlich empfunden habe?"
Interv.: "Was denn?"
Otto R.: "Da warn die Kapos, was ja eigentlich Kumpel waren. Die ham' ihre eigenen Kumpel mit Knüppel zur Arbeit getrieben."
Interv.: "hm, hm"
Otto R.: "Wenn ich das nicht selbst gesehen hätte, würde ich es nich' sagen. Aber es ist so gewesen." (F3Z1, 417-422) [42]
Otto Rust sind vor allem die sogenannten Funktionshäftlinge, die Kapos, die die Arbeitskommandos leiten mussten, in negativer Erinnerung geblieben. Er fand "widerlich", dass sie die eigenen Kameraden mit dem Knüppel zur Arbeit antrieben. [43]
Anschließend bestärkt Herr Rust noch einmal dem Interviewer gegenüber seinen Augenzeugenstatus. Wenn er es nicht "selbst gesehen hätte", würde er diese Episode nicht erzählen. Grundsätzlich ist also für Herrn Rust nicht das KZ, in dem die Zwangsarbeiter für die Raketenproduktion eingesperrt waren und arbeiten mussten ein Problem, sondern das Verhalten der (Funktions-) Häftlinge. Seine Beschreibung der Szene bringt zum Ausdruck, dass er die Behandlung der Häftlinge im Grunde genommen für angemessen hielt, dass die Misshandlungen allerdings ebenfalls durch Häftlinge erfolgten, ist für ihn das besonders Verabscheuungswürdige. Interessant ist auch die Doppelstruktur dieser Erzählung: Nachdem er erst versicherte, von Konzentrationslagern keine Kenntnis gehabt zu haben, legt er später besonderen Wert auf seinen Augenzeugenstatus bzgl. der brutalen Kapos. Der Interviewer fühlt sich nicht genötigt, an dieser Stelle noch einmal nachzuhaken oder die Position von Herrn Rust in Frage zu stellen. Statt dessen fragt er weiter, ob der Zeitzeuge noch etwas anderes "mitbekommen" habe:
Interv.: "Ja. ... Und ham' Sie sonst etwas mitbekommen, von diesem Lager in Peenemünde?"
Otto R.: "Nein, wir sind ja nur auf die Technik geschult worden. Das ham' wir nur am Rande gesehen. Sonst sind wir mit denen ja gar nicht in Berührung gekommen. Die sind ja auch nie in die Produktionsstätten reingekommen, sondern nur auf die Abschußbasen. Wo die Dinger abgeschossen worden sind, ne."
Interv.: "Ja."
Otto R.: "Zur Schulung." (F3Z1, 417-429) [44]
Obwohl er über einen längeren Zeitraum auf der Raketenbasis stationiert war, hat Herr Rust das "nur am Rande gesehen", und ist mit den Häftlingen "nicht in Berührung gekommen". Er relativiert also deutlich seine detaillierten Beschreibungen, obwohl die Frage des Interviewers durchaus im Sinne seiner Geschichtsdeutung gestellt ist: Durch die Formulierung, ob er "sonst etwas mitbekommen" habe von dem KZ, billigt er dem Zeitzeugen weiterhin eine distanzierte Position zum Holocaust zu, stellt die bisherigen Schilderungen nicht in Frage und gibt ihm dadurch die Möglichkeit, trotz des direkten Bezugs und der Nachbarschaft zu den Häftlingen eines Konzentrationslagers nun wieder eine unbeteiligte und distanzierte Haltung einzunehmen. [45]
Der Interviewer folgt der Gesprächsdynamik und Dramaturgie, die der Interviewte aufgebaut hat, befindet sich also mitten in der Geschichte und folgt der Logik der Erzählung: Das bisher von Herrn Rust geschilderte Szenario mit KZ-Häftlingen und "Arbeit macht Frei"-Schild über dem Lagereingang hatte nach seiner Darstellung bzw. Deutung nichts mit NS-Verbrechen oder Holocaust zu tun. Der Interviewer, bisher auf gemeinsamer distanzierter Ebene mit dem Zeitzeugen über das NS-System sprechend, verlässt hier zwar mit seiner mehrfach zum Ausdruck gebrachten Überraschung ("Ach ja!") diese gemeinsame Ebene, kehrt aber umgehend auf diese zurück, denn er fragt anschließend:
Interv.: "Wie war das für Sie dann, als Sie nach dem Krieg von dem Holocaust, der Judenvernichtung gehört haben?"
Otto R.: "Na, ja. Ein Teil ham wa' geglaubt. Ein Teil ham wa' nich' geglaubt."
Interv.: "hm"
Otto R.: "Weil eben, die eigene Empörung über diese elendig, elendige Kriegserlebnisse groß genug war. Das eigene Schicksal."
Interv: "Ja."
Otto R.: "War das andere nebensächlich." (F3Z1, 430/436) [46]
Die Frage des Interviewers impliziert hier erstaunlicherweise, dass der Zeitzeuge tatsächlich entsprechend seiner einleitenden Worte ("von KZ und sowas, nich' war. Kann ich ehrlich sagen, (...) ich hab da nie was gewußt davon") keine Kenntnis von Konzentrationslagern hatte – trotz der nachfolgenden dezidierten Beschreibung eines KZ's und einiger Handlungselemente des Holocaust! Der Interviewer fragt dezidiert danach, was der Zeitzeuge nach dem Krieg vom Holocaust gehört hat – als ob er die Ausführungen von Herrn Rust über das KZ in Peenemünde gar nicht gehört hätte. Und auch Herr Rust befindet sich nun wieder auf der distanzierten Gesprächsebene und beantwortet die Interviewerfrage in der Weise, dass er nicht erzählt, was er vom Holocaust "gehört" hat, sondern was er "geglaubt" bzw. "nicht geglaubt" hat. Dies korrespondiert durchaus mit seinen vorherigen Schilderungen. Denn, so könnte man seine Erzählung vom KZ Peenemünde deuten, dies alles hatte nichts damit zu tun, was erst viel später, ab Ende der siebziger Jahre, "Holocaust" genannt wurde: Es gab eben ein Lager mit Zwangsarbeitern, die von ihren eigenen Mitgefangenen geschlagen wurden. [47]
Diese Darstellungsform, die sich in unserem Material oft findet, wird hier interaktiv vom Zuhörer geteilt und durch die spezifische Frageformulierung selbst fortgeführt. Interessant ist das für uns wiederum nicht deswegen, weil sich ein Interviewer hier "falsch" verhält, sondern weil wir mit dieser Interaktionssequenz einmal mehr über einen Abschnitt kommunikativer Wirklichkeit verfügen, in dem sich Angehörige der Zeitzeugen- und der Enkelgeneration auf eine Lesart der Vergangenheit verständigen, die zwar weniger den Geschichtsbüchern, dafür aber der Logik des deutschen Geschichtsbewusstseins entspricht. [48]
2.5 Gemeinsame Verfertigung: "Der Russe nahm ja keine Rücksicht"
Auch im nächsten Beispiel geht es um immanente Widersprüche in erzählten Geschichten, die von den am Gespräch Beteiligten nicht nur nicht wahrgenommen, sondern z.T. sogar produziert werden. Unser an anderer Stelle ausgearbeiteter Befund, dass die Beteiligten vor, während und nach dem Gespräch ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Vergangenheit hegen und auch verschiedene Versionen der erzählten Geschichten wahrnehmen, führt im Rahmen der Vergegenwärtigungssituation häufig gerade nicht zu Konflikten, sondern zu kommunikativen Lösungen, die für alle Beteiligten das Gefühl zulassen, man habe gemeinsam über dasselbe gesprochen. Dieser Befund verdient im methodischen Zusammenhang noch einmal eine genauere Aufschlüsselung: Im Gespräch mit der Familie Beck findet sich eine ganze Reihe von Geschichten, die zeigen, dass alle beteiligten Sprecherinnen und Sprecher Anteile unterschiedlicher Versionen der vermeintlich gleichen Geschichte im Gespräch realisieren – übrigens unter aktiver Beteiligung der Interviewerin (WELZER et al. 2002, S.32ff.). Frau Beck hat gerade eine Fluchtgeschichte erzählt, die zunächst in der russischen Besatzungszone endet. Nun beginnt, wie sie erzählt, eine "böse Zeit":
Mathilde Beck: "Denn der Russe nahm ja keine Rücksicht, und wenn er merkte, wo junge Mädchen waren, o wei o wei." (F9G, 502-503) [49]
Was sie dann schildert, trägt deutlich alptraumhafte Züge:
Mathilde Beck: "Eine Nacht haben wir auf 'nem Glasdach verbracht, das war Konradshofen, das hat da vorne ein Glasdach, die hätten nur unten Licht machen brauchen, dann hätten sie uns oben gesehen, nicht." (F9G, 503-506) [50]
Auch wenn hier vieles offen bleibt: wer mit ihr gemeinsam die Nacht auf dem Glasdach verbracht hat, sagt Frau Beck ebensowenig, wie sie andeutet, was dazu führte, gerade dieses offensichtlich untaugliche Versteck zu wählen. Der mit der Situation verbundene Schrecken teilt sich jedoch vielleicht gerade deshalb unmittelbar mit. Die Interviewerin fragt nach:
Interviewerin: "die waren da unten drin in dem Haus und Sie haben oben auf dem Dach gelegen?" (F9G, 507-508) [51]
Zwar hatte Frau Beck davon gesprochen, dass in dem Moment, in dem im Haus Licht gemacht worden wäre, sich ihr vermeintliches Versteck unweigerlich in das Gegenteil verkehrt hätte. Bei ihr blieb es jedoch Möglichkeit, Erinnerung an eine Situation, in der ihre gesamte Lebensgeschichte durch einen einfachen Handgriff eine dramatische Wendung hätte erfahren können. Nicht so bei der Interviewerin. Sie macht aus der Angst vor möglicher Entdeckung eine sehr reale Bedrohung, verleiht dem Schrecken konkrete Gestalt: Russische Soldaten suchen ihr zufolge im Haus nach jungen Mädchen, während diese oben auf dem Dach liegen. Was sie als Nachfrage formuliert, verändert zugleich also die Geschichte. [52]
Frau Beck bestätigt zunächst, was sie vorher schon gesagt hatte, "Wir haben ja auf dem Glasdach gelegen, nich'", um anschließend noch einmal deutlich zu machen, wie schlechterdings untauglich dieses Versteck war: "Da haben wir uns aber schön festgehalten" (F9G, 509). Nicht nur also, daß ein Glasdach keinen Schutz vor dem Gesehen-Werden bietet; es bietet auch wenig Halt. Mit keinem Wort jedoch erwähnt Frau Beck Soldaten, die tatsächlich das Haus durchsuchten. Vielmehr scheint für sie die Bedrohung, die die Interviewerin in Gestalt der Soldaten sieht, im Umstand begründet zu sein, auf einem Glasdach gelegen zu haben. [53]
Die Interviewerin fragt nun noch einmal nach: "Wie kam das denn, daß Sie da oben gelandet sind und die ...?" "Weil die nach jungen Mädchen suchten im Haus" (F9G, 511-512.), antwortet Frau Beck. Auch hier bleibt offen, ob die Soldaten in der geschilderten Situation tatsächlich im Haus waren oder nicht. Schließlich hatte die Interviewerin nach dem Anlass gefragt, sich zu verstecken, und der kann gegeben sein, wenn Soldaten tatsächlich im Haus sind, wie die Interviewerin annahm; er kann aber auch gegeben sein, wenn man Angst vor genau der Situation hat. [54]
Dass wohl eher letzteres der Grund dafür war, dass die Mädchen damals eine Nacht auf einem Glasdach verbrachten, zeigt ein einfaches Gedankenexperiment: Wie wäre die Geschichte erzählt worden, hätten sowjetische Soldaten tatsächlich das Haus durchsucht? Abgesehen davon, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie kein Licht gemacht hätten, wäre Frau Becks Erzählung vermutlich durch andere Elemente geprägt gewesen: durch die Ankunft der Soldaten, durch die bedrohliche Nähe zu ihnen, vielleicht durch Stimmen, Blicke, Bewegungen, und schlußendlich wieder durch ihr Weggehen und das Gefühl der Erleichterung, die Sache gut überstanden zu haben. Aber gerade diese Geschichte erzählt Frau Beck nicht. Inmitten dieser Geschichte jedoch befindet sich die Interviewerin, die jetzt noch einmal nachfragt: "Und sie haben sich dann versteckt, als sie gemerkt haben, die kommen?" Und wiederum bestätigt Frau Beck nur einen Teil der Rückfrage, den Teil, den sie selber ins Spiel gebracht hatte: "Versteckt, ja" (F9G, 513-514), um dann unmittelbar darauf das Thema zu wechseln. [55]
Es sind zwei Geschichten, die hier erzählt werden: Frau Beck erzählt eine, die Interviewerin eine andere Geschichte. Beide Geschichten haben ihr eigenes Zentrum: Bei Frau Beck ist es das Bewusstsein, ein Versteck gewählt zu haben, das eigentlich kein Versteck ist. Bei der Interviewerin hingegen ist es das konkrete Aufeinandertreffen von potentiellen Vergewaltigern und ihren möglichen Opfern. Die Tatsache jedoch, dass die Gesprächspartnerinnen unterschiedliche Geschichten erzählen, impliziert nicht, dass diese Geschichten nicht doch gemeinsam verfertigt werden. Im Gegenteil: Frau Beck hätte ihre Geschichte nicht in der Form erzählen können, in der sie sie erzählte, hätte die Interviewerin nicht emphatisch reagiert, hätte sie die Andeutung, "der Russe nahm ja keine Rücksicht, und wenn er merkte, wo junge Mädchen waren, oh wei oh wei", nicht im Sinne von Frau Beck verstanden. Umgekehrt erzählt auch die Interviewerin ihre Geschichte mit Frau Becks Unterstützung. Zwar bestätigt Frau Beck immer nur das, was auch Teil ihrer eigenen Geschichte ist; sie korrigiert die Interviewerin aber nicht, und ermöglicht es ihr so, den Hergang der Geschichte auf ihre Art und Weise zu rekonstruieren. [56]
Dieses Beispiel zeigt einen Prozess der aktiven Aneignung von Erzähltem im Dialog – es handelt sich hier nicht um das Hören, sondern um das Bilden einer Geschichte. Indem die Zuhörerin Frau Becks Geschichte aktiv miterzählt, wird die Erzählsituation für sie selbst zu einer Erlebnissituation: "Da hat mir eine Frau erzählt, wie sie sich auf dem Vordach eines Hauses versteckt hat, in der die Russen nach ihr suchten, weil sie sie vergewaltigen wollten" – so oder so ähnlich könnte die Zuhörerin dieses Erlebnis Dritten dann weitergeben. Das, was wir als Tradierung bezeichnen, braucht die aktive Aneignung des Berichteten – das heißt, tradierbare Geschichten brauchen einen Anknüpfungspunkt an die eigene Lebenswirklichkeit und Vorstellungswelt des Zuhörers (hier: die Angst, vergewaltigt zu werden), eine Erzählgestalt, die Raum für Einfügungen lässt, sowie eine Erzählsituation, die selbst Erlebnisqualität hat (was im intergenerationellen Gespräch durch den Erfahrung- und Erlebnisvorsprung der Zeitzeugen per se gegeben ist). Unter diesen Bedingungen wird eine Erzählung tradierbar, d.h. zu einer Erzählung, die von einer fremden zu einer eigenen wird. Ein solcher Befund würde sich nicht zeigen, wenn man die Befragtenäußerungen allein interpretieren würde. Auch hier erlaubt erst die Analyse der vollständigen Interaktion eine realitätsangemessene Interpretation der relevanten Strukturen des Sprechens über die Vergangenheit. [57]
Die Beispiele und ihre Diskussion haben, so hoffen wir, deutlich gemacht, dass eine interaktionstheoretisch begründete Auswertungsmethode wie die Hermeneutische Dialoganalyse wirklichkeitsangemessene Befunde gerade dadurch bereitstellen kann, dass sie auf die klassischen Neutralitätspostulate verzichtet und sich damit die Möglichkeit eröffnet, jene Kommunikationen zu interpretieren, die für die Forschungsfragestellung relevant sind. Mit Selbstreflexivität auf Seiten der Forschenden hat das nur insoweit zu tun, als ihr soziales und kommunikatives Verhalten im Interview genauso Gegenstand der interpretatorischen Arbeit ist wie das der Befragten. Fassen wir also zusammen: Aus unserer Sicht ist es bei vielen Forschungsgegenständen und Fragestellungen, die sinnvollerweise qualitativ erschlossen werden, kontraproduktiv, sich an die Neutralitätspostulate der Methodenliteratur zu halten. Kommunikationstheoretisch basieren diese auf einem Missverständnis, wissenschaftshistorisch sind sie an einem Paradigma orientiert, das mit interpretativen Forschungsstrategien und ihrer Begründung nichts zu tun hat. Wohlgemerkt: wir halten Neutralität etwa in der quantifizierenden Umfrageforschung durchaus für geboten, weil es in abstrahierenden Techniken bekanntermaßen nicht unerheblich, aber hochgradig manipulierbar ist, wo die Befragten ihr Kreuzchen machen. Es geht einfach darum, dass unterschiedliche Gegenstände unterschiedliche Zugänge erfordern, methodisch und methodologisch. Mit dem Festhalten an methodisch unreflektierten Neutralitätspostulaten bleibt qualitative Sozialforschung hinter ihrem eigenen Begründungszusammenhang zurück. Unser Vorschlag, diesen Rückstand abzubauen, besteht im Kern nicht darin, den Forschern Selbstreflexivität abzuverlangen (die sie so viel oder wenig haben können wie jeder andere auch), sondern die Reflexivität in die Methoden selbst einzubauen. Der Rest ergibt sich dann schon ganz von selbst. [58]
Vielen Dank der FQS-Redaktion für Hinweise und Anmerkungen zu diesem Text.
1) Wir würden dabei nicht von "objektiven" Motiven sprechen wollen wie OEVERMANN et al. (1979, S.398). <zurück>
2) Auf die Ergebnisse des Projektes kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden; diese sind mittlerweile an verschiedenen Stellen publiziert (WELZER et al. 2002; WELZER 2001; WELZER 1998b; MOLLER 2002; MOLLER & TSCHUGGNALL 1999; MOLLER 1998; JENSEN 2003a). <zurück>
3) Peenemünde war die Raketenentwicklungs- und -versuchsanstalt des "Dritten Reiches". Hier wurde mit Sklavenarbeit von Zwangsarbeitern u.a. die Rakete A4 (V1 und V2) entwickelt und gebaut. Ab 1943 wurde die Produktion wegen der Luftangriffe in eine Stollenanlage in Dora im südlichen Harz verlegt. Häftlinge wurde aus verschiedenen KZ's geholt und gezwungen, unter schwersten Bedingungen und mit tödlichen Folgen die Schachtanlage hierfür auszubauen. Es entstand das KZ Dora-Mittelbau mit insgesamt ca. 60.000 Gefangenen (vgl. BENZ et al. 1999, S.433 ff.). <zurück>
4) Ob dieses Schild tatsächlich über dem Eingang des Lagers von Peenemünde hing oder auch andere Elemente der Geschichte "stimmen", ist für die Analyse der intergenerationellen Tradierung eigentlich nicht von Bedeutung, denn solche Details können im Gespräch nicht geprüft werden. Um importierte Erinnerungen zu lokalisieren und den Leser nicht z.T. verwirrt zurück zu lassen, kann es aber sinnvoll sein, Interviewsequenzen im Zuge der Auswertung durch externes Material zu ergänzen. Nach Informationen des Leiters der KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora hat es z.B. dieses Schild über dem Lagereingang nicht gegeben (vgl. auch WAGNER 2000). Daraus lässt sich schließen, dass Herr Rust dieses Detail aus vielfach präsentierten medialen Vorlagen über NS-Konzentrationslager in seine Erinnerung importiert hat (vgl. dazu WELZER et al. 2002, S.105ff.). <zurück>
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Welzer, Harald (1998a). Hermeneutische Dialoganalyse. Psychoanalytische Epistemologie in sozialwissenschaftlichen Fallanalysen. In Gerd Kimmerle (Hrsg.), Zur Theorie der psychoanalytischen Fallgeschichte (S.111-138). Tübingen: edition diskord.
Welzer, Harald (1998b). Erinnern und weitergeben. Überlegungen zur kommunikativen Tradierung von Geschichte. BIOS, 2, 155-170.
Welzer, Harald (1999). Verdrängen, abspalten, aufarbeiten. Zur Psychologisierung biographischer Erzählungen von NS-Zeitzeugen. Journal für Psychologie, 3, 44-54.
Welzer, Harald (2001). Kumulative Heroisierung. Nationalsozialismus und Krieg im Gespräch zwischen den Generationen. Mittelweg 36, 10(2), 57-73.
Welzer, Harald (2002). Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. München: C.H. Beck.
Welzer, Harald, Montau, Robert & Plaß, Christine (1997). "Was wir für böse Menschen sind!". Der Nationalsozialismus im Gespräch zwischen den Generationen. Tübingen: edition diskord.
Welzer, Harald; Moller, Sabine & Tschuggnall, Karoline (2002). "Opa war kein Nazi." Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main: Fischer.
Olaf JENSEN, Diplom-Sozialwissenschaftler; 1997-2000 Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Tradierung von Geschichtsbewußtsein" am Psychologischen Institut der Universität Hannover; zur Zeit Dissertationsprojekt zu den Strukturmerkmalen des intergenerationellen Sprechens über die NS-Vergangenheit und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Erinnerung und Gedächtnis" am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI), Essen.
Prof. Dr. Harald WELZER, Sozialpsychologe und Soziologe; Leiter mehrerer Forschungsprojekte zur Erinnerungs- und Tradierungsforschung am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI), Essen und Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität Witten/Herdecke.
Kontakt:
Forschungsgruppe "Erinnerung und Gedächtnis"
Kulturwissenschaftliches Institut (KWI)
Postfach 10 27 45
D-45128 Essen
E-Mail: jensen@kwi-nrw.de
URL: http://www.memory-research.de/
Jensen, Olaf & Welzer, Harald (2003). Ein Wort gibt das andere, oder: Selbstreflexivität als Methode [58 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4(2), Art. 32, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0302320.
Revised 6/2008