Volume 4, No. 2, Art. 17 – Mai 2003

Laura promoviert. Eine Satire in sieben Aufzügen1)

Angelika Birck

Zum Tod von Angelika Birck

Zusammenfassung: Zusammenfassung: Dieser Text ist rein literarisch und fiktiv. Alle Angaben sind subjektiv, emotional und frei erfunden. Sie sind das kreative Nebenprodukt einer retrospektiven, erinnerungsverzerrten, ganz und gar nicht wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Prozess des Schreibens einer Doktorarbeit. Die Darstellung erlaubt daher keine Rückschlüsse auf tatsächlich lebende oder schon verstorbene Personen oder darauf, wie es wirklich war.

Erzählt wird die Geschichte der Psychologin Laura Wolf, die zur Verarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kindheit promovieren möchte. Dabei stößt sie auf ein Konglomerat von universitätsinternen Konflikten, undurchdringlichen Machtstrukturen, bürokratischen Hindernissen und persönlichen Eitelkeiten, die durch die Reaktionen, die das Promotionsthema selbst auslöst, noch verstärkt werden.

Keywords: Einzelfallanalyse, Universität als Forschungsobjekt, universitäre Machtstrukturen, Wissenschaft als Beruf, Promotion

Inhaltsverzeichnis

Anmerkung

Zur Autorin

Zitation

 

Handelnde Personen:

die Doktorandin Laura Wolf

außerdem:

im Lande Austerlich:

im Lande Tomania:

Erster Akt: Anfang im Lande Austerlich (anno 1995)

1. Szene: Im Sekretariat eines Universitätsinstitutes

Sekretärin:

 

Nein, Frau Wolf, es ist absolut unmöglich, in den nächsten zwei Monaten einen Termin bei Herrn Prof. Krämer zu bekommen. [1]

Laura:

 

Es geht um eine Doktorarbeit in Psychologie, ich möchte darüber promovieren, wie Frauen, die in der Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt haben, das als Erwachsene in der Psychotherapie verarbeiten. Ich habe das auch schon mit Herrn Dr. Böttcher, dem Assistenten von Herrn Prof. Krämer, besprochen, der meinte, ich muss mich jetzt unbedingt an Herrn Prof. Krämer wenden. [2]

Sekretärin:

 

Aber Sie wissen doch, dass das jetzt nicht geht. Herr Prof. Krämer betreut mehr als 100 Diplomanden, weil er der einzige Professor am Institut ist. Und dann hat er auch noch als Institutsvorstand dauernd Sitzungen und Termine. Sie müssen erst schriftlich formulieren, warum Sie ihn sprechen wollen, und dann kommen Sie auf die Warteliste für einen Termin, wenn Sie auf einem Termin bestehen. Aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass das bestimmt zwei Monate dauert, bis sie drankommen. Bei 2000 Psychologie-Studenten und nur einem Professor geht das nicht anders, das müssen Sie verstehen. [3]

2. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Drechsler

Laura:

 

Vielen Dank Herr Prof. Drechsler, dass ich bei Ihnen einen Termin bekommen habe. Ich habe Ihnen mein Konzept für eine Doktorarbeit geschickt und möchte gerne mit Ihnen darüber reden. [4]

Prof. Drechsler:

 

Ja, das habe ich gelesen. Das finde ich sehr interessant. Wie Sie wissen, habe ich mich ja selber zusammen mit Herrn Prof. Sattler mit der Thematik beschäftigt. Das hat damals so angefangen, dass mir hier auf der psychosomatischen Station auffallend viele Patientinnen erzählt haben, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden sind. Haben Sie denn schon mit dem Herrn Prof. Krämer über Ihr Konzept gesprochen? [5]

Laura:

 

Ich habe es ihm geschickt, aber noch keine Rückmeldung bekommen. Mit den Terminen ist das immer schwierig. Außerdem brauche ich sowieso noch jemanden. Bevor ich die Arbeit im Dekanat anmelden und offiziell damit anfangen kann, muss vom Institutsvorstand ein zweiter Betreuer bestätigt werden. [6]

Prof. Drechsler:

 

Klären Sie das, ob ich als Mediziner Sie überhaupt betreuen darf. Aber auf alle Fälle bin ich sehr an Ihrer Arbeit interessiert und finde das auch sehr wichtig. Mir fallen einige meiner Patientinnen auf Station ein, die Sie befragen könnten, die dazu vermutlich auch bereit wären. Sagen Sie Herrn Krämer, ich würde die Zweitbetreuung übernehmen. Und rufen Sie mich an, wenn Sie etwas Genaueres wissen. [7]

3. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Krämer

Prof. Krämer:

 

Also, worum geht es? [8]

Laura:

 

Ich habe Ihnen vor einigen Monaten ein Konzept zu meiner geplanten Doktorarbeit geschickt und wollte gerne mit Ihnen darüber reden. [9]

Prof. Krämer:

 

(wühlt in Zetteln) Ja, ja, hier ist es. Ich muss Ihnen sagen, dass das ein sehr schwieriges Thema ist. Warum wollen Sie denn überhaupt die Frauen selber befragen? Ich halte es für besser, wenn Sie Experteninterviews machen und mit den Therapeuten darüber reden, was sie in der Therapie für wichtig halten. [10]

Laura:

 

Mich interessiert aber gerade die Sichtweise der betroffenen Frauen, deshalb wollte ich sie befragen. Es gibt auch schon einiges an Literatur dazu, was Therapeuten für wichtig halten, aber kaum etwas über die Sichtweise der Betroffenen. [11]

Prof. Krämer:

 

Wie wollen Sie denn überhaupt an die Frauen heran kommen? Ich sage Ihnen jetzt schon, Sie werden keine genügend große Stichprobe zusammen bekommen. [12]

Laura:

 

Ich habe mit Herrn Prof. Drechsler gesprochen, der meinte, auf seiner Station könne ich bestimmt Betroffene finden, die zu einem Interview bereit wären. Herr Prof. Drechsler würde auch die Zweitbetreuung übernehmen. [13]

Prof. Krämer:

 

Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, das geht nicht, ein Mediziner kann nicht Betreuer sein. Ich muss das machen. Außerdem glaube ich nicht, dass sie so einfach Frauen finden, die darüber reden wollen. Ich halte das übrigens für sehr bedenklich. [14]

Laura:

 

Was genau halten Sie für bedenklich? [15]

Prof. Krämer:

 

Ich halte es für ethisch nicht vertretbar, die Frauen direkt zu befragen. Denken Sie daran, dass Sie damit Schaden anrichten können, wenn die Frauen darüber sprechen müssen. [16]

Laura:

 

Die Gespräche sind natürlich freiwillig, und ich dachte mir, dass ich vor jedem Gespräch mit jeder einzelnen genau bespreche, was auf sie zukommen kann und mit ihr klären möchte, was sie machen kann, wenn sie sich hinterher aufgewühlt fühlt, mit wem sie reden, wohin sie gehen kann, was es für Unterstützungsmöglichkeiten gibt. [17]

Prof. Krämer:

 

Ich halte das jedenfalls für ethisch bedenklich, mit den Betroffenen selbst zu sprechen. Das wird die doch nur belasten. [18]

Laura:

 

Ich werde mich bei Therapeuten, die mit Betroffenen arbeiten, erkundigen, wie sie das einschätzen. [19]

4. Szene: Erneut im Büro von Herrn Prof. Krämer

(Inzwischen sind Monate vergangen.)

Prof. Krämer:

 

Also, worum geht es? [20]

Laura:

 

Um meine geplante Doktorarbeit. Ich habe Ihnen mein neues Konzept zugeschickt, ich habe den Methodenteil ausführlicher beschrieben und wollte mit Ihnen darüber sprechen. [21]

Prof. Krämer:

 

(wühlt in seinen Zetteln) Das habe ich nicht bekommen. Jedenfalls ist es nicht hier. Schicken Sie mir das noch einmal zu. [22]

Laura:

 

Außerdem habe ich mich nach unserem letzten Gespräch mit einigen Psychotherapeuten unterhalten. Ich habe sie gefragt, was sie darüber denken, dass ich mit Frauen, die in der Kindheit sexuelle Gewalt erlebt haben, darüber Interviews führen möchte. Die meinten alle, wenn es freiwillig wäre, ich möglichst offene Fragen stelle und vorher mit ihnen bespreche, dass sie das Gespräch vielleicht aufwühlen wird und wie sie damit umgehen, sähen sie keine ethischen Bedenken. [23]

Prof. Krämer:

 

Sie werden aber kaum Leute finden, die mit Ihnen darüber sprechen werden. Sie werden Ihre Stichprobengröße nicht erreichen. [24]

Laura:

 

Da wird mir Herr Prof. Drechsler behilflich sein, außerdem auch ein paar Therapeuten, mit denen ich gesprochen habe. Außerdem wollte ich noch einmal bei Ihnen nachfragen, was der Grund dafür ist, dass Sie Herrn Drechsler als meinen Zweitgutachter ablehnen. [25]

Prof. Krämer:

 

Der ist Mediziner, und ein Mediziner kann für eine psychologische Doktorarbeit nicht die Betreuung übernehmen. [26]

Laura:

 

Ich habe mich auf der Hochschülerschaft informiert. Die haben mir gesagt, dass der Betreuer auch aus einem anderen, verwandten Fachbereich kommen darf. Herr Prof. Drechsler arbeitet auf der Psychosomatik, und ich weiß von ihm, dass er auch schon andere Psychologen betreut hat. [27]

Prof. Krämer:

 

Da hat man sie falsch informiert. [28]

Laura:

 

Ich habe mir bei der Rechtsberatung Kopien des Universitätsgesetzes gemacht, da steht ausdrücklich drin, dass auch ein Habilitierter aus einem anderen Fachbereich die Zweitbegutachtung einer Doktorarbeit übernehmen darf. [29]

Prof. Krämer:

 

(schreit) An mir führt hier kein Weg vorbei, wenn Sie ihren Doktor machen wollen! Den Herrn Drechsler akzeptiere ich nicht! Der Rest kümmert mich nicht! Wenn Ihnen das nicht passt, können Sie sich mit Ihrem Universitätsgesetz ja ans Bundesministerium wenden, aber seien Sie überzeugt, dass ich da die besseren Verbindungen habe als Sie! Sie werden schon sehen, was Sie davon haben! [30]

5. Szene: Bei der Hochschülerschaftsvertretung

Laura:

 

Wie ist es, wenn man in Austerlich die Universität wechseln möchte, oder wenn man an eine Universität in Tomania gehen möchte, was muss man da machen? [31]

Rechtsberater:

 

Das ist beides ganz schwierig. Hast Du denn schon irgendwo einen anderen Psychologie-Professor, zu dem Du gehen möchtest? Innerhalb von Austerlich kann man vielleicht noch wechseln. Nach Tomania zu gehen ist ganz schwierig. Wir sind ja noch nicht in der EU, und von den Universitäten werden Studienabschlüsse gegenseitig nicht automatisch anerkannt. Da müsstest Du dann bei der anderen Uni vermutlich Prüfungen nachmachen, weil die Studienpläne verschieden sind. Ich würde Dir empfehlen, eventuell an eine andere Uni in Austerlich zu wechseln oder am einfachsten, Dich mit dem Krämer zu arrangieren. [32]

6. Szene: Im Büro von Frau Prof. Ziegler

Prof. Ziegler:

 

Das ist ja alles prinzipiell ganz interessant, was Sie da in Ihrem Konzept schreiben. Leider gehen Sie überhaupt nicht auf die Debatte über falsche Erinnerungen ein! Dabei hat es sich jetzt doch gezeigt, dass Erinnerungen an sexuellen Kindesmissbrauch falsch sein können. Wenn Sie über die Verarbeitung von sexuellem Missbrauch eine Arbeit schreiben wollen, dürfen Sie nicht solche falschen Erinnerungen untersuchen. Sie müssen also die falschen Geschichten über Missbrauchserlebnisse erkennen und ausschließen. [33]

7. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Seiler

Prof. Seiler:

 

(lehnt in einem Sessel und telefoniert) Ich habe mir Ihr Konzept durchgelesen. Ja, so was würde ich betreuen. Da müssen Sie allerdings noch ein paar methodische Änderungen machen. Ich schicke Ihnen mal ein paar Studienblätter zu, die wir hier verwenden. Wie meinen Sie, ethische Bedenken? Wieso denn das? Nein, das glaube ich nicht. Warum sollen die denn nicht erzählen können? Ja das mit der Debatte um falsche Erinnerungen, das ist jetzt wirklich wieder ein Rückschlag. Dabei können die das doch wissenschaftlich gar nicht richtig begründen! Das müssen Sie nicht ernst nehmen. Klären Sie mit dem Herrn Krämer, wie das funktioniert, wenn ich die Betreuung übernehme. Und ich lasse Ihnen schon mal was zuschicken. [34]

8. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Krämer

Laura:

 

Ich habe einen habilitierten Psychologen gefunden, der sich auf psychische Traumatisierung spezialisiert hat und meine Arbeit betreuen möchte. Es ist Herr Prof. Seiler aus Tomania. [35]

Prof. Krämer:

 

So so. Der ist aus Tomania. Und der ist damit einverstanden, ihre Arbeit zu betreuen? [36]

Laura:

 

Ja. [37]

Prof. Krämer:

 

Dann sagen Sie ihm aber gleich, dass unsere Universität keine Gelder für Fahrtkosten hat. Zur Abschlussprüfung muss er hierher kommen. Und wir werden das nicht übernehmen. Wir haben auch kein Geld, damit er hier mal einen Vortrag hält. Sagen Sie ihm das. Wie soll das funktionieren? [38]

Laura:

 

Ich fahre ab und zu hin, schicke ihm Zeug, telefoniere und maile. [39]

Prof. Krämer:

 

Und was ist das für einer? Was hat der überhaupt für Qualifikationen? [40]

Laura:

 

Er ist Professor und Direktor des Instituts für Psychologie an der Universität in Ukbar. [41]

Prof. Krämer:

 

Sagen Sie ihm, dass ich das von ihm schriftlich brauche, dass er Sie betreuen wird. Ich werde mich über ihn erkundigen. Außerdem müssen Sie Doktorandenseminare nachweisen. Hier am Institut finden keine statt. Vielleicht können Sie anderswo Seminare machen. Sonst werde ich Ihnen am Ende die nötigen Stunden bestätigen. [42]

9. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Guten Tag Herr Prof. Krämer, ich wollte mich erkundigen, ob Sie vom Herrn Prof. Seiler schon die Bestätigung bekommen haben, dass er meine Arbeit betreuen möchte. [43]

Prof. Krämer:

 

Habe ich bekommen. [44]

Laura:

 

Und werden Sie zustimmen? [45]

Prof. Krämer:

 

Ich werde es mir überlegen. [46]

Laura:

 

Ich würde gerne noch in diesem Jahr meine Arbeit im Dekanat anmelden, und dazu brauche ich einen Zweitgutachter. [47]

Prof. Krämer:

 

Das hat keine Eile, das können Sie auch noch später machen. Ich sage Ihnen dann Bescheid. [48]

(Nach einigen Wochen und etlichen weiteren Telefonaten mit dem selben Inhalt wird Laura vom Dekanat darüber informiert, dass Prof. Seiler als Zweitgutachter akzeptiert wurde.) [49]

Zweiter Akt: Internationale Kooperation (anno 1996)

1. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Seiler

Prof. Seiler:

 

(hat jede Menge Unterlagen auf dem Tisch, darunter auch Briefe und Texte von Laura) Ja, zum Vorgehen müssen wir uns noch was überlegen. Ich finde das ja ganz gut mit den Interviews, aber Sie müssen auch ein paar Symptome für den Verlauf erheben. Wir haben eben einen neuen Fragebogen konstruiert, er soll demnächst fertig werden. Der ist sehr gut geeignet für Ihre Arbeit, den müssen Sie auf alle Fälle verwenden. Und dann ist da noch der andere Fragebogen, den wir für das Projekt ZAP entwickelt haben, den verwenden Sie auch. Dann bekommen Sie einen guten Überblick und können das mit den Interviews in Beziehung setzen. Telefonieren Sie mit der Frau Wagner, die soll Ihnen den Fragebogen schicken. [50]

Laura:

 

(blättert in Arbeitsversionen beider Fragebogen) Das sind ja mehr als 50 Seiten! Das dauert doch Stunden, bis man so was ausgefüllt hat. Das stelle ich mir schwierig vor, Leute dazu zu motivieren, so einen Fragebogen auszufüllen. [51]

Prof. Seiler:

 

Das ist gar nicht so schlimm wie es aussieht. Wir haben den ja auch schon verwendet. In einer Stunde haben die Leute den ausgefüllt. [52]

Laura:

 

(nicht überzeugt) Ich selber würde allein zum Lesen schon länger brauchen. Und dann muss sich der Ausfüllende auch noch bei jeder Frage überlegen, inwieweit das vor der Therapie, danach und heute zutrifft. So was habe ich noch nie gesehen. [53]

Prof. Seiler:

 

Das hat den großen Vorteil, dass wir da wirklich die subjektiven Veränderungen erfragen können. Wir haben schon recht vielversprechende Ergebnisse aus der Vorstudie, die Sie zum Vergleich verwenden können, und die Daten aus Ihrer Stichprobe können wir dann auch noch mit einbeziehen. Für Ihre Studie ist der Bogen ideal, den müssen Sie verwenden. [54]

Laura:

 

(immer noch nicht überzeugt) Es wird schwierig werden, Herrn Prof. Krämer in Austerlich davon zu überzeugen. [55]

Prof. Seiler:

 

Machen Sie sich mal keine Gedanken, der Bogen wird jetzt gerade in einer bundesweiten Studie der Tomanischen Psychotherapie-Vereinigung verwendet. Frau Kürschner und Herr Messermacher waren an der Konstruktion beteiligt. Also sagen Sie Frau Wagner, dass sie Ihnen den Bogen schicken soll, wenn sie fertig ist. [56]

2. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Krämer

Prof. Krämer:

 

Sie sagen, Sie hätten mir ihren Fragebogen geschickt? Ich habe ihn nicht. Machen Sie mir noch einmal eine Kopie davon. [57]

Laura:

 

Ich habe noch ein Exemplar dabei, ich wollte mich gerne mit Ihnen darüber unterhalten, ob Sie damit einverstanden sind. [58]

Prof. Krämer:

 

Das kann ich jetzt nicht beim Durchblättern entscheiden, das muss ich mir genauer ansehen. Machen Sie mir eine Kopie und wir besprechen das ein andermal.

Laura:

 

Wenn ich mich bei Ihrer Sekretärin für einen Sprechstundentermin anmelde, dauert es leider immer Monate, bis einer frei ist. [59]

Prof. Krämer:

 

Ja in Amerika ist das ganz anders. Hier kommt man ja überhaupt nicht zum Arbeiten, ständig irgendwelche Sitzungen. Jetzt haben wir wieder mit dem Ministerium die ganzen Verhandlungen wegen der neuen Richtlinien. Ich muss da unbedingt etwas unternehmen. Nächste Woche bin ich erstmal auf dem Kongress in Saalbruck ... (erzählt und erzählt, nach einer Weile wird er unterbrochen). [60]

Laura:

 

Das ist ja ganz spannend, aber sagen Sie, ich habe Ihnen auch zum Interview ein paar Manuskriptseiten ins Fach gelegt, wie ich das machen möchte. Ich würde gerne wissen, was Sie davon halten. [61]

Prof. Krämer:

 

(schaut auf die Uhr) Darüber müssen wir uns das nächste Mal unterhalten, ich habe jetzt leider überhaupt keine Zeit mehr, ich habe einen ganz wichtigen Termin, darf ich Sie hinaus begleiten ... [62]

3. Szene: Nach Monaten erneut im Büro von Herrn Prof. Krämer

Prof. Krämer:

 

Also, diesen Fragebogen können Sie nicht verwenden. Die einzelnen Skalen enthalten ja Fragen, die überhaupt nicht zusammen passen! Der andere Fragebogen ist ja ganz in Ordnung, aber den hier müssen Sie weglassen. Der ist ja auch viel zu lang. [63]

Laura:

 

Das sehe ich ja ähnlich, aber Prof. Seiler besteht darauf, dass ich auch diesen Fragebogen verwende. Der wird übrigens auch in einer großen Studie der Tomanischen Psychotherapie-Vereinigung verwendet. [64]

Prof. Krämer:

 

Da reden wir später nochmal drüber. Die Psychotherapeuten-Gesellschaft in Austerlich bereitet jetzt auch eine Studie vor. Die haben Probleme mit den Interviews, dabei geht es gar nicht um ein so schwieriges Thema wie bei Ihnen. Warum machen Sie nicht Interviews? Letzthin wollte ein Psychologe, der schon in eigener Praxis als Psychotherapeut arbeitet, zu seinen Fällen eine Doktorarbeit schreiben. Das ist immer ganz schwierig, weil er ja doch in der Situation selber auch drin steckt und nicht nur objektiv beobachtet. Das habe ich ihm gesagt, letztendlich hat es dann halt doch für eine Doktorarbeit nicht gereicht. Und bei der Frau Steinmetz war es ähnlich, die hat geschrieben über ... (erzählt und erzählt). [65]

(Zu einem späteren Zeitpunkt am Telefon meint Prof. Krämer zur Frage von Laura, was sie denn nun machen soll mit den Interviews und den Fragebogen, sie solle machen, was sie selber für richtig halte.) [66]

4. Szene: In einem Frauenzentrum

Frau Glaser:

 

Frau Wolf, ich halte das für ein sehr wichtiges Projekt. Leider gibt es in Austerlich noch nicht so viele Arbeiten dazu, und gerade bei uns auf dem Land ist es immer noch tabu. [67]

Laura:

 

Glauben Sie denn, dass Frauen, die sie kennen, bereit wären, mit mir für meine Arbeit darüber zu sprechen? [68]

Frau Glaser:

 

Das wird schwierig werden, aber lassen Sie mich überlegen – ich habe da ein oder zwei Frauen im Kopf, bei denen ich mir gut vorstellen kann, dass sie zu einem Gespräch bereit sind. Eine von den beiden ist auch sonst in der Hinsicht ziemlich aktiv. Das kann ich mir gut vorstellen. Das heißt, ich werde den beiden dann Ihre Telefonnummer geben oder wie? [69]

Laura:

 

Ja. Und sagen Sie ihnen, dass ich sie erst darüber informieren möchte, worum es in dem Gespräch gehen wird und so weiter, und dass sie sich hinterher entscheiden können, ob sie das machen wollen oder nicht. Sie müssen sich nicht schon entschieden haben, wenn sie mich anrufen, sie können erst mal hören, was ich machen möchte, Fragen stellen und es sich dann noch einmal überlegen. [70]

5. Szene: Im Behandlungszimmer eines Psychoanalytikers

Psychoanalytiker:

 

Tja, ich verstehe schon, dass Sie Leute fürs Interview suchen. Aber ich kann Ihnen da wirklich nicht weiter helfen. Man sagt, das würde gar nicht so selten vorkommen. Ich halte das für sehr übertrieben, ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich so häufig ist. [71]

Laura:

 

Wieso glauben Sie denn, dass das übertrieben ist? [72]

Psychoanalytiker:

 

Ich arbeite jetzt immerhin schon seit mehr als zehn Jahren als Analytiker. Und mir ist bisher noch kein einziger Fall untergekommen. Wenn es so häufig wäre, wäre es doch auch mal einer meiner Patientinnen passiert. Aber das ist nie vorgekommen. [73]

6. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Drechsler

Prof. Drechsler:

 

Wann können Sie denn mit den Gesprächen anfangen? [74]

Laura:

 

Von mir aus nächste Woche. [75]

Prof. Drechsler:

 

Nächste Woche können Sie für die Gespräche das Büro vom Herrn Schlosser benutzen, der ist zur Zeit auf Urlaub. Dann stelle ich Ihnen am besten jetzt gleich zwei Patientinnen vor, mit denen können Sie selber Termine ausmachen. [76]

Dritter Akt: Datenerhebung (anno 1997)

1. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Krämer

Prof. Krämer:

 

Sie kommen also mit den Interviews voran? Der Text, den Sie mir gegeben haben, ist ganz o.k. so. Hier habe ich Ihnen ein paar Beistriche korrigiert. Und die Schriftgröße müssen Sie von zehn auf dreizehn Punkt hinauf setzen. Details müssen wir später besprechen, ich bin heute in Eile. Kommen Sie, reden wir im Gehen weiter. [77]

2. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Seiler

Prof. Seiler:

 

( telefoniert ): Ja, ich habe Ihren Text bekommen. Das sind ja echt geile Ergebnisse! Die müssen wir veröffentlichen. Ihre Ergebnisse unterstreichen nämlich genau das, was wir hier auch immer sagen. Es ist deshalb wichtig, dass wir das veröffentlichen. Ich bin Herausgeber einer Reihe beim Importanz-Verlag. Da müssen wir was dazu schreiben. Übrigens hab ich gerade meine eigene Studie fertig gekriegt, war ein kolossaler Erfolg. Da hat sich jetzt einiges getan, da wird sich was ändern. Wir feiern das gerade mit Sekt. Haben Sie die Studie von mir übrigens schon gekriegt? Lasse ich Ihnen zuschicken. Das ist auch für Sie interessant, was wir da heraus gefunden haben. Ja ja, schicken Sie mir ruhig was, wenn Sie wieder was haben. [78]

3. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Krämer

Prof. Krämer:

 

Sie haben das also schon mit Herrn Seiler besprochen? [79]

Laura:

 

Ja, ich wollte es vorher auch mit Ihnen besprechen, aber ich habe keinen Termin mehr bekommen. [80]

Prof. Krämer:

 

Trotzdem müssen Sie das zuerst mit mir besprechen, wenn Sie das so machen wollen. [81]

Laura:

 

Ich habe Ihnen ja deshalb auch meinen Text zugeschickt, und ich habe noch nichts weiter unternommen, wir können das heute besprechen. [82]

Prof. Krämer:

 

Heute ist es schlecht, ich habe gleich wieder einen Termin. Wie viele Interviews haben Sie denn schon geführt? [83]

Laura:

 

Fast zwanzig. [84]

Prof. Krämer:

 

Ich habe Ihren Text gelesen. Aber über die Auswertung der Fragebogen müssen wir noch einmal sprechen. Machen Sie mir eine Kopie Ihres Fragebogens. Und machen Sie die Schrift bei Ihren Texten kleiner, das ist so viel zu groß. [85]

(Daraufhin beschloss Laura, alle inhaltlichen Fragen mit Herrn Prof. Seiler zu besprechen.) [86]

Vierter Akt: Endspurt? (anno 1998)

1. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Seiler

Prof. Seiler:

 

Das ist eine sehr schöne Arbeit geworden. Was sagt denn Prof. Krämer dazu? [87]

Laura:

 

Ich habe ihm die Arbeit vor vier Monaten geschickt, aber noch keine Reaktion bekommen. Ich erreiche ihn auch nicht am Telefon. [88]

Prof. Seiler:

 

Machen Sie sich mal keine Gedanken, die Arbeit ist gut geworden. Jetzt bereden wir das noch mit Herrn Krämer, und dann können Sie von mir aus einreichen. [89]

Laura:

 

Ich hoffe, dass Prof. Krämer das auch so sieht. [90]

Prof. Seiler:

 

Das ist ja auch nicht so sein Fachbereich. Von unserer Methodik hat er ja leider nicht so viel Ahnung. In ein paar Jahren werden die anderen auch darauf kommen, dass diese Methode uns wirklich weiter bringt. Jetzt ist gerade mein neues Buch heraus gekommen, darin ist das wunderbar argumentiert. Das können Sie verwenden, wenn Sie mit Herrn Krämer reden. Ich schicke Ihnen das mal zu. Da zeigen wir, dass das eine ganz hervorragende und brauchbare Methode ist. Wir entwickeln jetzt gerade eine zweite Computer-Version davon. Kennen Sie eigentlich unsere erste Version? [91]

Laura:

 

Nein, ich wusste nicht, dass es eine automatisierte Version gibt. Ich habe die Interviews alle von Hand ausgewertet. [92]

Prof. Seiler:

 

Na das wird in Zukunft sehr viel schneller und einfacher gehen. Mit unserer neuen Methode kann man das ganz einfach auswerten. Jetzt müssen noch andere Einrichtungen das verwenden, dann können wir unsere Daten vergleichen. Gehen sie mal zum Herrn Kessler, der kann Ihnen das erklären! Außerdem sind wir jetzt an einem neuen Projekt beteiligt, da haben wir uns mächtig drangehängt an die Leute, bis wir die Zusage bekommen haben. Das wird eine ganz große Sache. [93]

2. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Guten Tag, Herr Prof. Krämer. Ich habe von Ihrer Sekretärin einen Termin für die Sprechstunde am 23.12. um 14 Uhr bekommen. Ich wollte fragen, ob nicht ein Termin eine Woche früher möglich wäre, ich lebe nämlich nicht mehr in Austerlich, sondern 800 km weit weg in Tomania, ich habe da Arbeit gefunden. Am 23.12. ist es mir einfach schwer möglich, nach Austerlich zu kommen. [94]

Prof. Krämer:

 

Das ist der einzige Termin, den ich Ihnen anbieten kann. Früher hab ich keine Termine frei, und hinterher bin ich im Urlaub. [95]

Laura:

 

Ich habe jetzt acht Monate auf diesen Termin gewartet. Kann ich Sie dann vielleicht anrufen, und wir besprechen meine Arbeit telefonisch? [96]

Prof. Krämer:

 

Was denken Sie, das ist bestimmt nicht möglich. Sie müssen schon vorbei kommen. [97]

Laura:

 

(verärgert) Ich sehe nicht den Unterschied, ob wir uns in Ihrem Büro eine viertel Stunde unterhalten oder ob ich Sie anrufe. [98]

Prof. Krämer:

 

(gereizt) Sie müssen schon vorbei kommen! [99]

Laura:

 

Und wenn Sie mir schon mal was schriftlich zukommen lassen könnten, und wir machen einen neuen Termin nach Ihrem Urlaub? [100]

Prof. Krämer:

 

Entweder Sie kommen zu dem Termin oder Sie lassen sich von meiner Sekretärin wieder auf die Warteliste setzen. [101]

3. Szene: Im Büro von Prof. Krämer

Prof. Krämer:

 

Also, was Sie mir da geschickt haben, das kann ich so nicht akzeptieren. Mit Ihrem Thema kann man keine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Aber das ist nun nicht mehr zu ändern. Der Fragebogen, den Sie verwendet haben, ist völlig unwissenschaftlich! Wie wollen Sie denn damit retrospektiv etwas erheben? Und was ist das überhaupt für ein Fragebogen? [102]

Laura:

 

Das ist der Fragebogen, den ich Ihnen schon etliche Male kopiert habe. Sie meinten vor etwa einem Jahr, ich soll ihn verwenden, wenn ich will. [103]

Prof. Krämer:

 

Aber jedenfalls können Sie so keine Auswertung machen. Das müssen Sie alles neu machen. Die Fragen müssen Sie anders zusammen zählen, die Skalen sind ja völlig unbrauchbar. [104]

Laura:

 

Ich habe die Skalen so berechnet, wie es die Leute, die den Fragebogen konstruiert haben, empfehlen. Ich habe da auch die Literatur angegeben. [105]

Prof. Krämer:

 

Trotzdem müssen Sie das anders machen. So kann man das jedenfalls nicht auswerten. [106]

Laura:

 

Aber ich kann doch nicht einfach einen Fragebogen auswerten, wie ich will! Ich hab mich an die Anweisungen der Autoren gehalten. [107]

Prof. Krämer:

 

Es ist ja nicht nur der Fragebogen. Das ganze Konzept der Arbeit ist nicht wissenschaftlich. Sie erfassen so keine objektiven Veränderungen. [108]

Laura:

 

Aber ich wollte ja auch die subjektiven Einschätzungen der Frauen erfragen, und das sind natürlich nicht objektive Symptomveränderungen! Warum kritisieren Sie mein Konzept erst jetzt, wo die Arbeit so gut wie fertig ist! Ich habe Ihnen immer wieder Texte geschickt und Sie gefragt. Sie haben nie inhaltlich begründet, warum ich was anders machen soll! [109]

Prof. Krämer:

 

Wenn Sie nicht öfter in meine Sprechstunden kommen! [110]

Laura:

 

Ich habe immer Monate auf einen Termin warten müssen! Wenn ich da war, haben wir nie länger als 15 Minuten über formale Dinge gesprochen. [111]

Prof. Krämer:

 

Das lasse ich mir nicht sagen! So jedenfalls werde ich Ihre Arbeit nicht annehmen. Sie werden das neu schreiben müssen! [112]

Laura:

 

Ich kann doch jetzt nicht nochmals von vorne anfangen! Ich kann ja an der Interpretation was ändern, oder am Theorieteil, aber ich kann doch nicht noch einmal die Untersuchung neu auswerten! Und wenn ich keinen Termin bei Ihnen bekommen konnte, habe ich die einzelnen Schritte mit dem Prof. Seiler besprochen. Der ist mit meiner Arbeit einverstanden. Ich glaube nicht, dass er das akzeptiert, wenn ich den Fragebogen anders auswerte als die Autoren das machen. [113]

Prof. Krämer:

 

(brüllt) So akzeptiere ich jedenfalls die Arbeit nicht! Und so etwas Dummes höre ich mir nicht von einer Studentin an, diese dummen Argumente! Das ist eine dumme Arbeit! [114]

Laura:

 

(unterbricht ihn) Ich lasse mich von Ihnen nicht als dumm bezeichnen! So lasse ich mich nicht behandeln! Und dazu verändere ich meine Weihnachtspläne und fahre hierher zum Termin! Das hätten Sie mir auch am Telefon sagen können, dass ich alles neu machen muss! [115]

Prof. Krämer:

 

(brüllt immer noch) Sie wollen es ja nicht einmal einsehen, mit Ihnen kann man ja nicht einmal argumentieren! Dann sehen Sie doch zu, wo Sie mit Ihrer Arbeit bleiben! [116]

(Laura stürmt hinaus.) [117]

4. Szene: Auf der Straße mit Prof. Drechsler

(Ein zufälliges Treffen am selben Tag.)

Laura:

 

(verstört) Und das war noch das Harmloseste, was er zu mir gesagt hat. Jedenfalls kann ich bei ihm nicht bleiben. [118]

Prof. Drechsler:

 

(beruhigt) Da wird sich schon noch eine Lösung finden. Wenn ich etwas für Sie tun kann, rufen Sie mich an. [119]

Laura:

 

Ich muss mich erst erkundigen, wie das überhaupt geht, den Betreuer zu wechseln. Ich habe tatsächlich für morgen noch einen Termin beim Dekan Herrn Kesselflicker bekommen. [120]

Prof. Drechsler:

 

Dann sagen Sie Bescheid, wenn Sie etwas Näheres wissen. Ich wünsche Ihnen trotzdem noch schöne Weihnachten! [121]

5. Szene: Im Büro des Dekanats

Laura:

 

Ich wollte mich erkundigen, ob das geht und wie das funktioniert, während der Doktorarbeit den Erstbetreuer zu wechseln. [122]

Dekan Prof. Kesselflicker:

 

(trägt eine schwarze Lederhose) Prinzipiell ist das schon möglich, aber das muss begründet werden und der Institutsvorstand muss dem zustimmen. [123]

Laura:

 

Es handelt sich um Herrn Prof. Krämer, er ist mein Erstgutachter und gleichzeitig Institutsvorstand. Er wird einem Wechsel bestimmt nicht zustimmen. [124]

Dekan Prof. Kesselflicker:

 

Das sollten Sie aber trotzdem mit ihm besprechen. [125]

Laura:

 

Er hat zu mir schon mal gesagt, dass an ihm kein Weg vorbei führt. Deshalb wende ich mich an Sie. [126]

Dekan Prof. Kesselflicker:

 

(rutscht tiefer in seinen Sessel und nimmt eine breitbeinige Haltung an) Das stimmt schon, dass der Dekan zuständig wäre. Nur in diesem Fall ist es so, dass ich Chemiker bin und von der Psychologie keine Ahnung habe. Ich kann daher psychologische Dinge nicht entscheiden. Und darum habe ich mit allen Belangen der Psychologie Herrn Prof. Krämer als meinen Stellvertreter beauftragt. [127]

Laura:

 

Aber hier geht es doch um formale Angelegenheiten, die könnten Sie doch entscheiden! [128]

Dekan Prof. Kesselflicker:

 

Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, müssen Sie in allen Angelegenheiten, die das psychologische Institut betreffen, Herrn Prof. Krämer ansprechen, als ob er der Dekan wäre. [129]

Laura:

 

(ungläubig) Aber wie ist denn so etwas möglich! Dann hat er für mich gleichzeitig die Funktion von Erstgutachter, Institutsvorstand und Dekan in einer Person! Wie soll es denn da möglich sein, im Zweifelsfall eine Auseinandersetzung zu schlichten? Das kann doch nicht sein, dass alle Funktionen dreier verschiedener Hierarchieebenen in einer Hand sind! An wen soll ich mich denn da wenden? [130]

Dekan Prof. Kesselflicker:

 

(lächelt) Sie können sich immer noch ans Bundesministerium wenden, damit es entscheidet. Aber in der Regel wird man sich dann doch der Ansicht des Institutsvorstandes oder des Dekans, also meines Stellvertreters Herrn Prof. Krämer anschließen. [131]

6. Szene: Laura in einer Telefonzelle

(Es schneit.)

Laura:

 

Das ist die Situation. Meine einzige Möglichkeit ist, an eine andere Universität zu wechseln. [133]

Prof. Seiler:

 

Das ist ja wirklich unerfreulich. Herr Krämer hatte aber auch öfter seltsame Ansichten. [134]

Laura:

 

Glauben Sie denn, dass ich an Ihrem Institut abschließen kann? [135]

Prof. Seiler:

 

Das dürfte kein Problem sein. Ich werde dann zum Betreuer Ihrer Arbeit. Da schreiben Sie sich am besten gleich an unserer Universität ein. Einen Zweitgutachter finden wir, das ist kein Problem. Kopf hoch, das regeln wir im neuen Jahr. [136]

Fünfter Akt: Wechsel an die Universität in Tomania (anno 1999)

1. Szene: Laura telefoniert

Universitätsangestellte:

 

Also, wenn Sie sich bei uns zum Studium einschreiben wollen, dann brauchen Sie erstmal eine Zulassung. Wofür wollen Sie sich denn einschreiben? [137]

Laura:

 

Für die Promotion in Psychologie. [138]

Universitätsangestellte:

 

Für ein Doktoratsstudium brauchen Sie vielleicht auch keine Zulassung. Da müssen Sie sich nochmals erkundigen. [139]

Laura:

 

Und was brauche ich sonst noch alles für die Einschreibung? [140]

Universitätsangestellte:

 

Na, die ganzen Zeugnisse, Abitur, Abschlusszeugnis und so. Und die Exmatrikulationsbestätigung, wenn Sie schon mal an einer anderen Universität eingeschrieben waren. Ich schicke Ihnen eine Liste, da steht drauf, was Sie alles brauchen. [141]

Laura:

 

Reicht es Ihnen, wenn ich Ihnen von allem Kopien schicke? [142]

Universitätsangestellte:

 

Die müssen Sie dann aber beglaubigen lassen. [143]

Laura:

 

Und wie ist es mit der Anerkennung eines Psychologie-Abschlusses aus Austerlich? [144]

Universitätsangestellte:

 

Sind Sie denn Diplom-Psychologin? [145]

Laura:

 

Nein, Magistra, aber das ist in Austerlich dasselbe wie in Tomania die Diplom-Psychologin. [146]

Universitätsangestellte:

 

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Haben Sie denn in Tomania Abitur gemacht? [147]

Laura:

 

Nein, in Austerlich die Matura. [148]

Universitätsangestellte:

 

Wenn Sie EU-Ausländer sind – Moment mal, ich hole da eine Broschüre (es raschelt) – da steht, Sie müssen eine Sprachprüfung machen. [149]

Laura:

 

Ich komme aus Austerlich, da spricht man deutsch, ich werde doch keine Sprachprüfung machen! [150]

Universitätsangestellte:

 

Da steht aber, dass EU-Ausländer durch eine Sprachprüfung nachweisen müssen, dass sie der deutschen Sprache mächtig sind. [151]

Laura:

 

Die Regeln sind vermutlich aus einer Zeit, als Austerlich noch nicht in der EU war und es noch keine deutschsprachigen EU-Ausländer gab. Austerlich ist ein deutschsprachiges Land und ich werde daher keine Sprachprüfung machen. Notfalls werde ich das rechtlich durchsetzen. [152]

Universitätsangestellte:

 

(blättert) Die Leitlinien sind aus den 80er Jahren. Na dann müssen Sie jetzt vielleicht doch keine Deutschprüfung machen. Dann lassen wir das mal ausnahmsweise so durchgehen. [153]

Laura:

 

Sie schicken mir eine Liste, auf der steht, was ich alles brauche? [154]

Universitätsangestellte:

 

Ja. Einschreiben können Sie ja schon mal, aber Sie brauchen auf alle Fälle noch eine Anerkennung ihres Studienabschlusses aus Austerlich, wenn Sie bei uns promovieren wollen. [155]

Laura:

 

Und wie bekomme ich die? [156]

Universitätsangestellte:

 

Da müssen Sie mal im Studentensekretariat fragen, ich gebe Ihnen die Telefonnummer. [157]

2. Szene: Laura telefoniert mit dem Studentensekretariat

Laura:

 

Ich möchte wissen, wie ich mir einen Studienabschluss in Psychologie, den ich in Austerlich gemacht habe, anerkennen lassen kann. [158]

Universitätsangestellte:

 

Wofür brauchen Sie denn das? [159]

Laura:

 

Ich möchte an Ihrer Uni promovieren. [160]

Universitätsangestellte:

 

Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Kommen Sie mal vorbei. [161]

Laura:

 

Wissen Sie es denn eher, wenn ich da bin? Ich lebe nicht in Ukbar, sondern einige hundert Kilometer weit entfernt. Ich reise nicht extra an, wenn gar nicht klar ist, welche Unterlagen ich brauche. [162]

Universitätsangestellte:

 

Ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Fragen Sie doch mal bei den Psychologen nach, die haben im Institut jemanden, der für Anerkennungsfragen zuständig ist. [163]

3. Szene: Laura telefoniert mit Herrn Dr. Zimmermann, zuständig für Anerkennungen

Dr. Zimmermann:

 

Da hat man Ihnen eine falsche Information gegeben, ich bin nur für die Anerkennung von Reifeprüfungszeugnissen zuständig. Wie das mit dem Psychologie-Abschlusszeugnis ist, das kann ich Ihnen nicht sagen. [164]

Laura:

 

Wer ist denn dafür zuständig? [165]

Dr. Zimmermann:

 

Fragen Sie mal beim Landesministerium nach, da gibt es eine Anerkennungsstelle. [166]

4. Szene: Laura telefoniert mit dem Landesministerium

Sachbearbeiter:

 

Nein, so eine Anerkennung gibt es bei uns nicht. Das brauchen Sie auch gar nicht, Austerlich ist doch in der EU, da werden Diplome gegenseitig anerkannt. [167]

Laura:

 

Auf der Uni verlangen sie aber eine Anerkennung. [168]

Sachbearbeiter:

 

Dann sind die da falsch informiert. Wir stellen jedenfalls keine Anerkennungen für EU-Diplome aus. Sagen sie denen, dass Sie das gar nicht brauchen! [169]

5. Szene: Laura telefoniert mit dem Dekanat

Laura:

 

Sowohl der Zuständige vom Institut wie auch das Landesministerium haben mir gesagt, dass sie gar keine solche Anerkennung ausstellen, weil in der EU Diplome automatisch gegenseitig anerkannt würden, da gibt es Richtlinien. [170]

Universitätsangestellte:

 

Ich sage Ihnen nur, dass Sie spätestens bei der Doktorprüfung ihre fachliche Anerkennung der Studienleistungen brauchen, ohne die können Sie nicht promovieren. Die sollen sie Ihnen im Institut ausstellen. [171]

6. Szene: Laura telefoniert mit Herr Dr. Zimmermann

Laura:

 

Das ist der Stand der Dinge, ich wurde wieder an Sie zurück verwiesen. [172]

Dr. Zimmermann:

 

Ich kann höchstens ihre ganzen einzelnen Zeugnisse anschauen und vergleichen, ob sie alle Prüfungen über Fächer abgelegt haben, die bei uns verlangt werden. Aber das ist höchst unwahrscheinlich, verschiedene Universitäten haben immer unterschiedliche Studienpläne. Was Ihnen fehlt, müssten Sie dann nachmachen. [173]

Laura:

 

Ich kann nicht verstehen, warum ich das überhaupt brauche, alle staatlichen Stellen sagen mir, die Uni-Abschlüsse würden zwischen Austerlich und Tomania gegenseitig anerkannt. [174]

Dr. Zimmermann:

 

Das denke ich auch. Ich kann Ihnen höchstens schreiben, dass Sie das in meinen Augen gar nicht brauchen. [175]

Laura:

 

Mit so einer schriftlichen Bestätigung von Ihnen hätte ich zumindest mal was in der Hand. Aber im Dekanat werden sie wohl weiterhin eine Anerkennung verlangen. [176]

7. Szene: Laura telefoniert mit der Kultuskonferenz

Beamter:

 

Ich verstehe das alles nicht, sie brauchen doch gar keine Anerkennung! Und zwar nicht, weil Austerlich in der EU ist, sondern weil es zwischen Tomania und Austerlich seit 1983 ein zwischenstaatliches Abkommen gibt, das die gegenseitige Anerkennung von Studienabschlüssen regelt. Danach müssen die Universitätsdiplome aus dem jeweils anderen Land anerkannt werden. [177]

Laura:

 

Auf der Uni hat scheinbar noch keiner was davon gehört. Können Sie mir vielleicht eine Kopie des Abkommens zuschicken? [178]

Beamter:

 

Werde ich machen. Die müssen das anerkennen, das braucht nicht nochmals einzeln geprüft zu werden. Sie können das sonst auch mit einem Anwalt klären. Wobei das schwierig werden wird, weil der sich nicht nur in Hochschulrecht, sondern auch in EU-Recht auskennen muss. Ich schicke Ihnen erst mal das Abkommen, wenn das nichts nützt, kann ich auch selbst der Universität schreiben, wie die zwischenstaatlichen Vereinbarungen sind. [179]

8. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Jedenfalls hat auch das zwischenstaatliche Abkommen im Dekanat nichts genützt. Die verlangen weiterhin vom Psychologie-Institut eine fachliche Anerkennung. Und im Institut ist niemand zuständig. Oder sie wollen nur einzelne Prüfungen vergleichen, mit dem Ergebnis, dass ich bestimmt Prüfungen nachmachen müsste. Können nicht einfach Sie mir die fachliche Anerkennung bestätigen? [180]

Prof. Seiler:

 

Momentan kann ich das noch nicht machen, weil mein Antrag auf ein eigenes Institut noch nicht offiziell bestätigt ist. Es gibt da auch noch einen anderen Antrag, und vermutlich wird nur einer von beiden genehmigt. Warten Sie mal ab, unsere Chancen stehen ganz gut, und wenn ich Direktor des Instituts bin, kann ich Ihnen das Formular unterschreiben. [181]

(Und tatsächlich: Nach Monaten wird Prof. Seiler offiziell Direktor eines eigenen Institutes, das Anerkennungsformular wird ausgefüllt – wobei sich zeigt, dass Laura zum Abschluss in Austerlich sogar mehr Leistungen nachweisen musste, als an der Universität Ukbar gefordert werden – Herr Prof. Seiler unterschreibt und das Dekanat akzeptiert. Ein Jahr ist so vergangen.) [182]

Sechster Akt: Endlich anerkannt! (anno 2000)

1. Szene: Im Büro von Frau Prof. Sattelmacher

Frau Prof. Sattelmacher:

 

Ja, ich habe Ihre Arbeit gelesen. Mit den inhaltlichen Dingen müssen wir uns noch ausführlich beschäftigen. Aber eins gleich vorne weg: Sie haben eine unübliche Art zu zitieren. Sie müssen sich in einer Doktorarbeit schon an die Zitationsweise entsprechend der Richtlinien der Psychologischen Gesellschaft Tomania halten. [183]

Laura:

 

Ich habe die Arbeit noch in Austerlich geschrieben, und da sind die Zitationsrichtlinien aus Tomania nicht verbindlich, wir zitieren da nach anderen Richtlinien. [184]

Frau Prof. Sattelmacher:

 

In jedem Fall müssen sie das alles ändern, wenn sie in Tomania abschließen wollen. [185]

2. Szene: In Lauras Zimmer, nachts

(Sie sitzt am PC, bringt die inzwischen veraltete Arbeit auf den neuen Stand und ändert jeden einzelnen Literaturhinweis so, dass er den Richtlinien der Psychologischen Gesellschaft Tomania entspricht.) [186]

3. Szene: Im Büro von Prof. Seiler

Prof. Seiler:

 

(telefoniert): Wegen des Zweitgutachters, da muss ich mal überlegen... Ja, damals habe ich Ihnen Herrn Hufschmied vorgeschlagen, aber den kann ich jetzt nicht mehr empfehlen. Der wollte nämlich auch sein eigenes Institut, und dann haben sie meines genehmigt und seines nicht. Gerade in der letzten Woche hat er die Doktorarbeit einer meiner Studentinnen aus nichtigen Gründen völlig zerrissen. Dabei haben wir früher immer so gut zusammen gearbeitet! Den kann ich Ihnen also nicht empfehlen. Wissen Sie, das ist nicht so ganz einfach, Ihre qualitative Methode ist ja nicht unumstritten. Natürlich habe ich Ihnen die empfohlen, die ist ja auch wirklich sehr brauchbar, aber in Tomania halt noch nicht so bekannt. Da ist es schon wichtig, dass Ihr Zweitgutachter sich ein bisschen damit auskennt. Da fällt mir Herr Prof. Bogner ein, der ist an der Universität Tlön. Der hat damit schon gearbeitet. Schicken Sie dem doch Ihre Arbeit zu! Gut, dann werde zuerst ich mit ihm reden. Ja ja, das ist gar kein Problem, dass er von einer anderen Uni in Tomania ist. Sie machen dem Dekanat den Vorschlag und ich stimme dem zu, das können wir auch gut mit Ihrer Methode begründen, dass wir da einen Externen brauchen. Und dann stimmt der Dekan zu. Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Das gab noch nie Probleme. [187]

4. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Sie haben meine Arbeit bekommen, Herr Prof. Bogner? Was glauben Sie, bis wann Sie dazu kommen werden, sie anzusehen? Ja, das ist bestimmt viel Arbeit. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie damit einverstanden sind, die Begutachtung zu übernehmen. Wann kann ich mich denn wieder bei Ihnen melden? Also in einem halben Jahr. Nicht vor dem Sommer. Ja dann also danach, im September. [188]

5. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Da bin ich ja froh und erleichtert, dass Sie mit meiner Arbeit einverstanden sind, Herr Prof. Bogner! Ja natürlich, ein paar Kleinigkeiten. Und wie geht es denn jetzt weiter? Ja, der Herr Seiler ist auch einverstanden. Dann kann ich jetzt also einreichen? Gut, da bin ich ganz Ihrer Meinung, ich möchte auch noch gerne in diesem Semester die Prüfung machen! [189]

(Laura reicht die Arbeit im Dekanat ein. Sie stellt einen begründeten Antrag, dass Herr Prof. Bogner von der Universität Tlön zum Zweitgutachter bestellt wird. ) [190]

6. Szene: Laura telefoniert

Universitätsangestellte:

 

Das hätte ich Ihnen gleich sagen können. Herr Dekan Drahtzieher lehnt Professoren, die von außerhalb kommen, als Zweitgutachter immer ab. [191]

Laura:

 

Da habe ich ganz andere Informationen bekommen. Herr Prof. Seiler und ich haben doch inhaltlich begründet, warum das Herr Prof. Bogner machen soll! [192]

Universitätsangestellte:

 

Unser Dekan ist der Ansicht, dass wir hier genügend Psychologen haben. Da kann einer von denen das beurteilen. Da brauchen wir keinen von außen beauftragen. [193]

Laura:

 

Aber ich habe eine Methode verwendet, die nicht so bekannt ist! Da ist es wichtig, dass der Gutachter die kennt, um die Arbeit zu beurteilen. Und mit Prof. Bogner habe ich schon zusammen gearbeitet, der ist bereit, die Begutachtung zu übernehmen. Es wurde sogar schon abgesprochen, dass Ihrer Universität keine Kosten entstehen. Herr Seiler und Herr Bogner arbeiten doch auch sonst zusammen, warum soll denn der nicht die Arbeit begutachten! [194]

Universitätsangestellte:

 

Ich kann Ihnen nur sagen, dass das schon so entschieden ist. Es ist schon ein anderer Gutachter bestellt. [195]

Laura:

 

Dann möchte ich Herrn Dekan Drahtzieher sprechen. [196]

Universitätsangestellte:

 

Den können Sie jetzt nicht sprechen, der ist für drei Wochen in Amerika. [197]

Laura:

 

Da wird man ihn doch auch am Telefon erreichen können! [198]

Universitätsangestellte:

 

Sie können ihn frühestens erreichen, wenn er wieder zurück kommt. Aber davon würde ich Ihnen abraten. Er wird seine Entscheidung bestimmt nicht zurück nehmen. [199]

Laura:

 

Und wen hat er zu meinem Zweitgutachter bestellt? [200]

Universitätsangestellte:

 

Das darf ich Ihnen nicht sagen. [201]

Laura:

 

Wie, das dürfen Sie mir nicht sagen? Ich soll nicht mal wissen, wer jetzt meine Arbeit beurteilt? [202]

Universitätsangestellte:

 

Sie bekommen Bescheid, wenn das Gutachten vorliegt. Vorher darf ich Ihnen das nicht sagen. [203]

7. Szene: Laura telefoniert

Sekretärin:

 

Nein, Herrn Prof. Seiler können Sie heute nicht erreichen, der hat den ganzen Tag Termine. [204]

Laura:

 

Aber es ist wichtig, es geht um die Begutachtung meiner Doktorarbeit! [205]

Sekretärin:

 

Ja, davon hab ich schon gehört. Ich hab Herrn Seiler gestern und heute die Faxe reingelegt, die Sie ihm geschickt haben. Hat er Sie denn nicht inzwischen zurückgerufen? [206]

Laura:

 

Nein, ich habe nichts von ihm gehört. Seit zwei Tagen versuche ich es mit allen Telefonnummern, die ich von ihm habe. [207]

Sekretärin:

 

Tja, ich kenne ihn. In solchen Fällen pflegt er sich tot zu stellen. Ich lege ihm nochmals einen Zettel von Ihnen rein, dass er Sie zurückrufen soll. [208]

Laura:

 

Ich weiß ja noch nicht mal, wer denn nun mein Zweitgutachter ist. [209]

Sekretärin:

 

Das hat man Ihnen nicht gesagt? Ja, ich dürfte es Ihnen wahrscheinlich auch nicht sagen, aber ich habe das Schreiben vom Dekanat gesehen. Herr Prof. Tuchweber soll das machen. [210]

Laura:

 

Und was ist das für einer? [211]

Sekretärin:

 

Das ist eigentlich ein ganz Netter. Der hat auch ein Ohr für die Studenten. Machen Sie sich da mal nicht allzu viele Sorgen. [212]

Laura:

 

Können Sie mich denn zu ihm durchstellen? [213]

Sekretärin:

 

Er ist noch nicht da, ich weiß auch nicht, wann er kommt, aber ich gebe Ihnen mal seine Telefonnummer. [214]

8. Szene: Laura telefoniert

Prof. Tuchweber:

 

Wie sind Sie denn ausgerechnet auf die Idee gekommen, mich als Ihren Zweitgutachter vorzuschlagen, wir kennen uns doch gar nicht! [215]

Laura:

 

Das ist ein Missverständnis, ich habe Sie gar nicht vorgeschlagen, ich habe Herrn Prof. Bogner aus Tlön vorgeschlagen, aber den hat der Dekan abgelehnt, und stattdessen Sie zu meinem Zweitgutachter bestimmt. [216]

Prof. Tuchweber:

 

So was hab ich ja noch nie gehört! Darüber hat man mich gar nicht informiert! [217]

Laura:

 

Ich habe auch nur zufällig und nur über Umwege erfahren, dass Sie jetzt mit dem Gutachten beauftragt sind. [218]

Prof. Tuchweber:

 

Ja aber hat denn da Herr Seiler nicht mit dem Dekan geredet? [219]

Laura:

 

Er hat sogar schriftlich Herrn Prof. Bogner vorgeschlagen und das mit der Methode meiner Arbeit begründet. [220]

Prof. Tuchweber:

 

Aber da muss er doch jetzt zum Dekan gehen und das ändern! [221]

Laura:

 

Der Dekan ist jetzt anscheinend für drei Wochen in Amerika. [222]

Prof. Tuchweber:

 

Das ist ein ungeheuerliches Vorgehen! Da werden fakultätsinterne Konflikte auf dem Rücken der Studenten ausgetragen. [223]

Laura:

 

Ich überlege mir, ob ich mit dem Dekan reden soll, wenn er wieder da ist. [224]

Prof. Tuchweber:

 

Das würde ich an Ihrer Stelle bleiben lassen. Wenn einer mit dem reden kann, dann der Prof. Seiler. Aber wenn er das nicht tut – Dekan Drahtzieher wird bestimmt nicht nochmal seine Meinung ändern, wenn Sie mit ihm reden. Und selbst wenn er seine Entscheidung ändern sollte, dann beauftragt er sicher nicht Prof. Bogner, sondern nochmal einen anderen. Sonst würde er ja sein Gesicht verlieren. Da kann genauso gut ich das machen. [225]

Laura:

 

Ich habe mit Herrn Prof. Bogner gesprochen, er ist bereit, Auskunft zu meiner Arbeit zu geben. Ich kann Ihnen ja vielleicht mal seine Telefonnummer geben. [226]

Prof. Tuchweber:

 

Zuerst muss ich selbst zu einem Urteil kommen. Dann werde ich mal mit Prof. Seiler reden. [227]

Laura:

 

Was denken Sie, wie lange die Begutachtung dauern wird? [228]

Prof. Tuchweber:

 

Also, jetzt fahre ich erst mal auf einen Kongress, und dann bin ich zwei Wochen auf Urlaub. Und dann geht das natürlich auch nicht so schnell. Aber Sie werden informiert, wenn ich so weit bin. [229]

9. Szene: Laura telefoniert

Prof. Seiler:

 

Nein, Frau Wolf, da müssen Sie sich überhaupt keine Sorgen machen. Das ist ja eine gute Arbeit, die Sie da geschrieben haben. [230]

Laura:

 

Aber Sie haben doch selbst gesagt, der Gutachter sollte jemand sein, der von der Methode eine Ahnung hat, und Herr Prof. Tuchweber kommt doch aus einer ganz anderen Richtung! Jedenfalls misst er Hautwiderstand! Wie wird er denn meine qualitative Methode beurteilen? Können Sie nicht noch einmal mit dem Dekan sprechen? [231]

Prof. Seiler:

 

Ach, bis der wieder aus Amerika zurück ist, bis dahin hat Herr Tuchweber das auch schon begutachtet. Und das wird auf alle Fälle positiv werden, da bin ich mir ganz sicher. Schließlich bin ja ich der Chef von Herrn Tuchweber, er arbeitet ja bei mir am Institut, da brauchen Sie sich gar keine Sorgen machen. [232]

10. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Jedenfalls habe ich erfahren, dass der Dekan nicht Sie, sondern einen gewissen Herrn Prof. Tuchweber zum Zweitgutachter bestimmt hat. Die Begründung war, dass es an der Uni in Ukbar genügend Psychologen gäbe und deshalb keine Gutachten nach außen abgegeben würden. Mir ist das ganze äußerst unangenehm, auch weil Sie sich schon die ganze Arbeit gemacht haben. [233]

Prof. Bogner:

 

Also so etwas habe ich ja noch nicht erlebt! Das ist an unserer Universität undenkbar, so ein Vorgehen! Die scheinen an der philosophischen Fakultät in Ukbar ja ziemlich altmodisch zu sein, und provinziell außerdem, wenn kein Externer beteiligt werden soll! [234]

Laura:

 

Außerdem finde ich es unerhört, dass die Arbeit jetzt von jemandem beurteilt werden soll, der eigentlich einen ganz anderen Arbeitsbereich hat. [235]

Prof. Bogner:

 

Es spricht auch nicht gerade für die Szene-Kenntnis von Herrn Seiler, wenn er über solche Vorgehensweisen an seiner Uni nicht unterrichtet ist und mich trotzdem vorgeschlagen hat. Ich bin ziemlich verärgert, weil es für mich ja auch nicht wenig Arbeit war. [236]

Laura:

 

Ich bin verwundert, dass offenbar das Dekanat oder Herr Prof. Seiler Sie noch nicht informiert haben. [237]

Prof. Bogner:

 

Nein, ich bin nicht informiert worden. Da ist ein ganz großes Schweigen, das ist unerhört. Ich rate Ihnen, den beiden Herren mal ein bisschen auf die Füße zu treten, damit Ihre Sache vorankommt und doch noch einen guten Ausgang findet. [238]

11. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Und weil inzwischen Wochen vergangen sind, wollte ich mich mal nach dem Stand der Dinge erkundigen. [239]

Prof. Tuchweber:

 

Ja, hm, ich darf Ihnen eigentlich nichts sagen, solange die Begutachtung läuft. [240]

Laura:

 

Sind Sie denn inzwischen zu einem Ergebnis gekommen? [241]

Prof. Tuchweber:

 

Ich muss Sie schon mal vorwarnen, ich bin mit einigen Dingen nicht einverstanden. [242]

Laura:

 

Was heißt das, muss ich mir den prinzipiell Sorgen darüber machen, ob Sie zu einem positiven Ergebnis kommen? [243]

Prof. Tuchweber:

 

Dazu kann ich Ihnen momentan nichts sagen, Sie werden vom Dekanat informiert werden. [244]

(Nach einigen ziemlich ruhelosen Tagen erfährt Laura, dass Herr Prof. Tuchweber ihre Arbeit positiv beurteilen wird, aber Veränderungen verlangt, die erneut vorgelegt werden müssen.) [245]

12. Szene: Laura telefoniert

Sekretärin:

 

Für die Doktorprüfung werden wir in diesem Jahr wohl keinen Termin mehr hin bekommen. [246]

Laura:

 

Aber es sind doch noch zwei Monate! [247]

Sekretärin:

 

Zu den möglichen Terminen in diesem Jahr haben nicht alle sechs Leute, die an der Prüfung teilnehmen müssen, Zeit. Der nächste Termin ist der 10. Januar. [248]

Siebter Akt: Ende in Sicht? (anno 2001)

1. Szene: Die Doktorprüfung

Prof. Tuchweber:

 

Sie haben jetzt erklärt, warum standardisierte psychologische Diagnostik mit traumatisierten Flüchtlingen aus nicht-westlichen Kulturen so schwierig ist. Da frage ich mich, bei all diesen Schwierigkeiten, warum verwenden Sie nicht physiologische Parameter und messen zum Beispiel einfach Pulsfrequenz und Hautwiderstand? [249]

Laura:

 

Wie soll ich denn einem Folterüberlebenden erklären, dass ich ein Elektrokabel an seinen Finger anschließen möchte? [250]

Prof. Tuchweber:

 

Aber dann können Sie doch die Schreckreaktionszeit messen, die hat sich als valider Indikator für posttraumatische Belastungsstörungen heraus gestellt. Das müsste doch zuzumuten sein. [251]

2. Szene: Im Büro von Herrn Prof. Seiler

Prof. Seiler:

 

Sie müssen sich die Veränderungsauflagen genau ansehen. Herr Tuchweber hat viele Punkte nur als Vorschläge formuliert, und die müssen Sie nicht ändern. Nur bei diesen zwei Punkten besteht er auf Änderungen, diese Auflagen müssen Sie erfüllen. Das andere sind Vorschläge, da können Sie sehen, was Sie damit machen. Dann ist es jedenfalls für Sie gelaufen! Und dann schicken Sie die veränderte Fassung Herrn Tuchweber und mir und wir unterschreiben sie. [252]

3. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Wie, ich soll das Formular für die Bestätigung der Veränderung noch einmal schicken? [253]

Sekretärin:

 

Ja, das ist verloren gegangen. [254]

Laura:

 

Aber ich habe es in die veränderte Fassung der Arbeit geheftet, vielleicht ist es ja da noch drin und ist nicht gesehen worden, können Sie nicht nachsehen? [255]

Sekretärin:

 

Es ist leider so, dass auch die Arbeit momentan nicht auffindbar ist. Da musste ich noch einmal die andere Version anfordern und eine Kopie machen. Schicken Sie doch nochmals das Formular. [256]

4. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Ich wollte mich erkundigen, ob Sie mit den Veränderungen einverstanden sind. [257]

Prof. Seiler:

 

Aber ja, das können Sie jetzt im Dekanat abgeben. [258]

Laura:

 

Ich brauche dazu noch Ihre Unterschrift auf dem Formular, das ich Ihnen inzwischen noch einmal zugeschickt habe. [259]

Prof. Seiler:

 

Regeln Sie das am besten mit meiner Sekretärin, die soll das machen. [260]

Laura:

 

Aber Sie müssen das unterschreiben! Und dann auch Herr Prof. Tuchweber. [261]

Prof. Seiler:

 

Reden Sie mit meiner Sekretärin, dass Herr Tuchweber unterschreibt, dann soll sie mir das Formular reingeben, dann unterschreibe ich auch. [262]

5. Szene: Laura telefoniert

Prof. Tuchweber:

 

Nein, mit Ihren Veränderungen bin ich nicht einverstanden. Sie verwenden ja immer noch den Ausdruck "sexualisierte Gewalt", ohne das hinreichend zu begründen. Dabei habe ich Ihnen doch gesagt, Sie müssen Ihren alten Titel "Die Verarbeitung sexualisierter Gewalt" ändern in "Die Verarbeitung einer sexuellen Missbrauchserfahrung". [263]

Laura:

 

Jetzt bin ich einigermaßen irritiert! Ich dachte, das wäre ein Vorschlag von Ihnen gewesen, den Titel zu ändern. Ich wusste nicht, dass ich das ändern muss! [264]

Prof. Tuchweber:

 

Ich verstehe Sie nicht. Natürlich müssen Sie das ändern, wenn ich das vorschlage! Den Begriff sexualisierte Gewalt haben Sie einfach nicht begründet. Sie können nicht einfach die Terminologie ändern, ohne das zu begründen! Sie müssen schon erklären, warum Sie nicht den Begriff Missbrauch verwenden wollen! [265]

Laura:

 

Aber in der Einleitung habe ich doch begründet, warum das in meinen Augen gerechtfertigt ist, und auf die feministische Debatte verwiesen. Außerdem bin ich nicht die einzige, die den Begriff sexualisierte Gewalt verwendet. Ich habe Ihnen doch eine ganze Liste von Einrichtungen, darunter auch eine Bundesarbeitsgemeinschaft, geschickt, die ebenfalls in diesem Zusammenhang von sexualisierter Gewalt gegen Kinder sprechen! [266]

Prof. Tuchweber:

 

Das ist aber keine wissenschaftliche Begründung, die Sie da verwenden. Und die Autoren, auf die sie verweisen, verwenden den Begriff sexualisierte Gewalt ja auch nicht in einem wissenschaftlichen Verständnis. Sie können nicht einfach so von Gewalt sprechen, wenn Sie Missbrauch meinen, und dann irgendwelche Einrichtungen nennen. [267]

Laura:

 

Liegt in Ihren Augen denn keine Gewalt vor, wenn ein Kind vergewaltigt wird? [268]

Prof. Tuchweber:

 

Aber da ist doch nicht immer Gewalt im Spiel! Es gibt doch auch Täterinnen! Sie müssen schon begründen, warum das für Sie immer Gewalt ist. Das können Sie von mir aus mit der Schwere der Übergriffe tun oder mit dem Alter des Kindes, aber Sie müssen es begründen! Schließlich hat der Begriff Gewalt ja auch juristische Implikationen! Und wenn Sie an die Debatte über sexuellen Missbrauch in der Psychotherapie denken, das ist ja auch nicht immer Gewalt. [269]

Laura:

 

Da haben wir wohl ein anderes Verständnis nicht nur was den Begriff "Vorschlag" angeht, sondern auch was den Gewalt-Begriff anbelangt. [270]

Prof. Tuchweber:

 

Sie können nicht die Nomenklatur ändern, ohne das hinreichend wissenschaftlich zu begründen! Wenn Sie nur behaupten, dass es sich um Gewalt handele, dann ist das ist nicht wissenschaftlich! Das ist nicht die übliche Auffassung, und deshalb müssen Sie das begründen, warum Sie eine andere Auffassung und eine andere Terminologie vertreten! Und es wird nicht leicht sein, auch gegenüber Juristen Ihr Verständnis von Gewalt plausibel zu begründen! Das hätte doch auch juristische Konsequenzen, wenn das Gewalt wäre! Es ist bei Missbrauch doch nicht immer Gewalt im Spiel! Außerdem vermengen Sie in Ihrer Arbeit ständig wissenschaftliche und therapeutische Aspekte. [271]

Laura:

 

Auch hier haben Sie mir vorgeschlagen, das zu begründen, und ich denke, das habe ich in der Einleitung getan. [272]

Prof. Tuchweber:

 

Da haben Sie einfach geschrieben, dass die Konfrontation mit traumatischem Erleben bei Therapeuten und Wissenschaftlern heftige emotionale Reaktionen auslöse, und das kann so nicht sein. Wenn das tatsächlich der Fall wäre, verlören zum Beispiel die Therapeuten ihre Professionalität im Umgang mit den Klienten, zu denen ja auch Täter gehören können. Mit so einer Haltung können Sie Tätern doch nicht gerecht werden! Sie können doch nicht einfach behaupten, dass das immer emotionale Reaktionen auslöse, das ist doch unprofessionell! Stattdessen müss en Sie die Leser um Verständnis dafür bitten, dass es Ihnen als Neuling auf dem Gebiet nicht gelungen ist, emotional neutral zu bleiben, und dass deshalb die wissenschaftlichen Aspekte manch mal durch therapeutische Aspekte überlagert sind. Wenn Sie das schon nicht trennen konnten, dann sollten Sie zumindest um Verständnis dafür bitten, dass das so vermischt ist. [273]

Laura:

 

Es wäre für mich zumindest leichter gewesen, wenn Sie von Anfang an klar gesagt hätten, dass ich das alles so ändern muss, wie Sie das wollen, damit Sie die Arbeit annehmen. An den Stellen, an denen Sie Vorschläge gemacht haben, dachte ich, es handele sich tatsächlich um Vorschläge. Jetzt sehe ich, dass ich das alles so schreiben muss, wie Sie das möchten, damit ich meine Arbeit irgendwann doch noch beenden kann. Und ich werde es ändern, weil ich muss, aber nicht, weil ich Ihre Ansichten teile! [274]

Prof. Tuchweber:

 

Ich weiß gar nicht, was Sie meinen! Das haben wir doch besprochen! Ich habe Ihnen das doch alles erklärt! Natürlich müssen Sie alles ändern, was ich Ihnen vorgeschlagen habe, damit ich Ihre Arbeit akzeptiere! [275]

(Laura muss nachgeben und verändert alles nach den Anordnungen von Prof. Tuchweber, sie muss ihre Arbeit so veröffentlichen, obwohl das ihrem Verständnis der Thematik zutiefst widerspricht.) [276]

6. Szene: Laura telefoniert

Universitätsangestellte:

 

Ja, inzwischen haben wir das Formular erhalten, auf dem Herr Prof. Seiler und Herr Prof. Tuchweber Ihre Arbeit bestätigt haben. [277]

Laura:

 

Das heißt, ich kann jetzt die Arbeit einfach elektronisch veröffentlichen und auf den Uni-Server legen. [278]

Universitätsangestellte:

 

Nein, zuerst müssen Sie das beantragen, dass Sie die Arbeit elektronisch veröffentlichen wollen. [279]

Laura:

 

Aber es gibt doch schon vom Oktober 1999 einen Beschluss der Philosophischen Fakultät, dass Doktorarbeiten in elektronischer Form auf dem Uni-Bibliotheks-Server veröffentlicht werden können! [280]

Universitätsangestellte:

 

Trotzdem müssen Sie das noch einmal einzeln beantragen, da wird dann in der nächsten Fakultätssitzung darüber beraten und dann bekommen Sie Bescheid. [281]

Laura:

 

Und wann ist die nächste Fakultätssitzung? [282]

Universitätsangestellte:

 

Oh, die ist erst wieder im nächsten Semester. Aber schicken Sie uns schon mal einen formlosen Antrag. [283]

(Dem Antrag wird zwei Monate später statt gegeben. Laura übergibt die elektronische Fassung der Universitätsbibliothek und schickt dem Dekanat die Belegexemplare. Nach zwei Monaten erhält sie eine Doktor-Urkunde.) [284]

7. Szene: Laura telefoniert

Laura:

 

Jetzt habe ich zwar eine Doktor-Urkunde erhalten, aber da steht der alte Titel meiner Arbeit drauf und nicht der, den ich für die Veröffentlichung verwenden musste. [285]

Universitätsangestellte:

 

Und der Titel, den sie haben wollen, ist von den Gutachtern bestätigt worden? [286]

Laura:

 

Nicht nur bestätigt, sondern sogar vorgeschrieben. Sie müssen doch das Formular für die Bestätigung der Veränderung erhalten haben, da steht alles drauf. [287]

Universitätsangestellte:

 

Auf alle Fälle, wenn wir den Titel auf der Urkunde ändern sollen, müssen Sie uns die Urkunde zurück schicken, und wir stellen dann eine neue aus, vorausgesetzt, das Formular mit der Bestätigung des Titels ist da. [288]

(Nach mehreren Wochen und wiederholten Telefonaten erhält Laura schließlich die korrekte Urkunde.) [289]

Zum Tod von Angelika Birck

Unsere Autorin Angelika Birck ist tot. Sie starb – ganz plötzlich – am 7. Juni 2004 im Alter von 32 Jahren. Ihr Tod hat uns sehr bewegt. Ihr wissenschaftliches, praktisch-psychologisches und persönliches Engagement galt vor allem der Hilfe für Opfer von Gewalt – sexualisierter Gewalt und Folter-Opfern. Für unsere FQS-Debatte "Erfolgreich Sozialwissenschaft betreiben – Ethnographie der Karrierepolitiken einer Berufsgruppe" [Vol. 4, No. 2 (Mai 2003)] schrieb sie diesen Text mit dem Titel "Laura promoviert. Eine Satire in sieben Aufzügen". Sie kennzeichnete den Text damals als "rein literarisch und fiktiv" – was er naturgemäß nicht war. Er repräsentiert vielmehr ziemlich minutiös ihr Erleben der Geschichte ihres Promovierens im Dschungel der Bürokratie und des gutsherrlichen Gehabes in universitären Milieus in zwei Ländern. Von dieser Geschichte hatte ich einige Etappen mitbekommen und habe sie ermutigt, ihre "literarische Verarbeitung" als Text in unserer FQS-"Debatte" zur Ethnographie sozialwissenschaftlicher Milieus herauszubringen. Im Angesicht ihres plötzlichen Todes und ihrer kurzen Lebensspanne liest sich dieser Bericht noch einmal bedrängender. Wir sind froh und stolz, sie als Autorin zu haben.

Der Lebensgefährte von Angelika Birck – Dinu Gherman – hat zu ihrer Würdigung eine Website eingerichtet: Siehe http://www.angelika-birck.info/.

Für die FQS-Redaktion: Franz Breuer

Anmerkung

1) Dieser Text ist eine leicht veränderte Version der Erstveröffentlichung: Birck, Angelika (2001). Chronologie einer Doktorarbeit. In Angelika Birck, Die Verarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kindheit bei Frauen in der Psychotherapie (S.269-287). Berlin: Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin. <zurück>

Zur Autorin

Angelika BIRCK, Mag., Dr. phil., Psychologin, Verhaltenstherapeutin in Ausbildung. Promotion über die Verarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kindheit. Seit 1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin.

Arbeitsschwerpunkte: chronische und komplexe Traumafolgen, politische und soziale Rahmenbedingungen für traumatisierte Flüchtlinge in Deutschland, Beurteilung der Glaubhaftigkeit traumatisierter Flüchtlinge, frauenspezifische Verfolgung und Asylproblematik, Psychotherapie im interkulturellen Kontext.

Kontakt:

Angelika Birck

Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin
Spandauer Damm 130
D-14050 Berlin

E-Mail: angelika.birck@t-online.de

Zitation

Birck, Angelika (2003). Laura promoviert. Eine Satire in sieben Aufzügen [289 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, Art. 17, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0302171.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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