Volume 4, No. 2, Art. 18 – Mai 2003

Über den Sinn von Thematisierungstabus und die Unmöglichkeit einer soziologischen Analyse der Soziologie

Günter Burkart

Zusammenfassung: Der Beitrag befasst sich mit der Frage, ob und wie eine soziologische Analyse der Soziologie möglich ist, d.h. ob die Soziologie sich selbst mit ihren eigenen Erkenntnismitteln analysieren kann oder nicht. Einer solchen Soziologie der Soziologie steht zunächst ein allgemeines Thematisierungstabu der neuzeitlichen Wissenschaft entgegen, das auch für die Soziologie gilt: De nobis ipsis silemus (von uns selber schweigen wir). Wissenschaft soll objektiv sein, die Ergebnisse sollen unabhängig von Person und sozialem Kontext der Forscher sein. Daher gibt es bestimmte Techniken der Objektivierung, etwa die Konstruktion der Autorenschaft, mit denen die Thematisierung des sozialen Kontexts soziologischer Texte umgangen werden können. Dazu kommt eine Diskrepanz zwischen den offiziellen und den sozialen Kriterien des Erfolgs im Sozialsystem Soziologie. Diese Diskrepanz unterliegt ihrerseits einem Thematisierungstabu, das eine entsprechende Analyse verhindert. Allerdings wäre eine solche Soziologie der Soziologie auch insofern "unmöglich", als sie die Funktionsweise des Sozialsystems Soziologie in erheblichem Maße stören würde.

Keywords: Soziologie der Soziologie, Thematisierungstabu, Autorenschaft, Selbstreferenz, Erfolg im Sozialsystem Soziologie

Inhaltsverzeichnis

1. Thematisierungstabus in der Soziologie?

2. Objektivierungstechniken

3. Soziologische Selbstreferenz

4. Der Autor stellt sich vor – und vor seinen Text

5. Solo-, Ko- und Para-AutorIn

6. Soziale Bedingungen des soziologischen Erfolgs

7. Charisma und Erfolg

8. Klientelismus und Würde

9. Die Praxis des Thematisierungstabus

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Thematisierungstabus in der Soziologie?

De nobis ipsis silemus – "Von uns selber schweigen wir". Dieses Wort von BACON, das KANT seiner Kritik der reinen Vernunft voranstellte, übernahm Martin KOHLI einst als Titel eines Aufsatzes, in dem er der Frage nachging, "was aus Lebensgeschichten von Sozialwissenschaftlern für eine Geschichte der Soziologie zu gewinnen ist" (KOHLI 1981, S.428)1) Das Zitat bringt zum Ausdruck, dass für die moderne Wissenschaft, wo es um die "Sache" und nicht um die "Person" gehe, "streng genommen eine Schweigepflicht" herrsche; "zumindest ist das Reden von sich selber problematisch" (ebd.). Das Produkt des Autors, der wissenschaftliche Text, soll ja "als Ergebnis des Waltens einer überpersönlichen Instanz" (S.433) erscheinen, objektiviert, gelöst von der Subjektivität des Autors, von seinem biographischen und sozialen Kontext – und damit auch vom Kontext "soziales System Soziologie". [1]

Die Soziologie hat zu diesem Diktum ein ambivalentes Verhältnis. Zwar weiß sie nur zu gut, dass es sich dabei um eine soziale Regel handelt, deren Übertretung zumindest thematisiert werden darf, gerade von der Soziologie, weil die Geltungsbedingungen solcher Regeln zu ihrem legitimen Untersuchungsgegenstand gehören. Doch andererseits gibt es Grenzen der soziologischen Thematisierbarkeit von Regeln, denen die Soziologie selbst unterworfen ist. Dafür gibt es gute Gründe – nicht nur Regeln des sozialen Umgangs (Diskretion, Persönliches) sprechen dagegen. Es gibt Regeln, die ihre Wirksamkeit nur entfalten können, wenn sie mit einem Thematisierungstabu belegt sind. Insofern ist der Titel meines Beitrags ernst gemeint: "Unmöglich" ist eine wirkliche Soziologie der Soziologie nicht nur in sachlicher Hinsicht – es fehlen zum Beispiel bestimmte Daten, und die sind auch kaum zu bekommen -, sondern auch in moralischer Hinsicht. Schon der Versuch, die Unmöglichkeit genauer zu begründen, ist zum Scheitern verurteilt, weil man dann das Tabu benennen und dessen Funktion analysieren müsste. Schon die Thematisierung der Grenzen wäre eine Grenzüberschreitung. Sie wird durch eine paradoxe Struktur erschwert: Wenn es das Thematisierungstabu gibt, dann kann man nicht einfach darüber reden, weil man es damit behauptet und zugleich negiert – oder mit Karl VALENTIN: Am besten man sagt garnix – das wird man ja wohl noch sagen dürfen. [2]

Die Soziologie ist damit in der Zwickmühle. Die Grenzüberschreitung wäre natürlich auch, ob man wollte oder nicht, eine Kritik an der Soziologie: als die kritische Wissenschaft par excellence – nur sie kann so radikal auch über ihre eigene Daseinsberechtigung reflektieren, und das betont sie gern mit einem gewissen Stolz – sollte die Soziologie ja eigentlich diese Unmöglichkeit nicht zulassen. Und doch gibt es auch für sie einen blinden Fleck. Gewöhnt sind wir an die Übung: radikale Theorie-Kritik – da gibt es kaum Hemmungen. Eine Zeit lang schien es sogar, als sei ein soziologischer Text nur ernst zu nehmen, wenn er eine scharfe Theorie-Kritik vorträgt. Und im Rahmen von Rezensionen oder Tagungsberichten ist sogar eine Kritik an der Person des Autors möglich, eine Kritik an seiner beruflichen Kompetenz als Soziologe. Da darf auch mal ein Urteil ausgesprochen werden, das andere als vernichtend bezeichnen können. Aber unbehaglich würde uns bei einer öffentlichen Kritik der soziologischen Praxis innerhalb der akademischen Welt, etwa bei der Behauptung einer Bevorzugung inoffizieller gegenüber offiziellen Kriterien oder der Behauptung von "macchiavellistischen Strategien" sozialwissenschaftlicher Lehrstuhlinhaber. Eine soziologische Analyse von Berufungsverfahren? Unmöglich: obwohl doch jeder zu wissen glaubt – selbst wenn er kein Soziologe ist –, dass im Wissenschaftssystem viele Entscheidungen (wer bekommt eine Stelle, wer bekommt einen Preis, wer bekommt ein Projekt?) kontingent sind – vor allem eben sozial und nicht kognitiv-rational. Selbst das Reputationskriterium, obwohl als Selektionsinstrument doch wissenschaftlich von den höchsten Reputationsträgern nobilitiert (MERTON, LUHMANN) darf nur in wenigen Situationen und unter Einhaltung bestimmter Distanzen zum Kontext des Autors thematisiert, muss in anderen Kontexten jedoch offiziell negiert werden, zum Beispiel bei Review- und Begutachtungs-Verfahren, bei den inzwischen so beliebten Evaluationen, bei der Arbeit von Juroren. Zumindest muss der Eindruck entstehen, dass Reputation eng an Kompetenz gebunden bleibt. "Von uns selber schweigen wir" heißt also nur vordergründig: von uns als Privatperson, als Subjekt mit Motiven und Gefühlen. Als soziologische Regel ist gemeint: von uns als Repräsentanten sozialer Kategorien (Klasse, Geschlecht, Statusgruppe, soziologischer Rang), dem klassischen Objekt soziologischer Analyse, wollen wir nicht ernsthaft reden. [3]

Wer sich trotzdem auf ein solches Spiel einlässt – über die Unmöglichkeit einer Soziologie der Soziologie zu sprechen und das Thematisierungstabu zu thematisieren –, tut gut daran, sich mit akademischer Reputation und intellektuellem Kapital zu wappnen. Dazu bietet sich zunächst die etablierte Wissenschaftssoziologie an. Sie zumindest darf ja Wissenschaft als soziales System analysieren, darf etwa nach der Bedeutung von Reputation im Verhältnis zum offiziellen Steuerungsmedium Wahrheit fragen (LUHMANN 1970) oder Fragen der Legitimität von Prioritätsansprüchen bei wissenschaftlichen Entdeckungen stellen (MERTON 1985). Allerdings geht es dort selten um die Soziologie. Es ist ja doch ein Unterschied, ob ich als Soziologe die Fabrikation naturwissenschaftlich-technischen Wissens analysiere oder die des soziologischen Wissens. Immerhin gibt es u.a. eine vierbändige Geschichte der Soziologie, die nicht nur kognitive, sondern auch institutionelle Strukturen thematisiert: Soziologiegeschichte als Sozialgeschichte der Soziologie (LEPENIES 1981). Viele der Beiträge dort verdeutlichen zum Beispiel, dass DURKHEIM seine Stellung als Begründer der französischen Soziologie mehr seiner geschickten Politik als seiner unbestrittenen intellektuellen Führungsrolle verdankt. Auch Universitätsgeschichte wird häufig als Sozialgeschichte dargestellt. Doch je näher man der Gegenwart kommt, desto vorsichtiger werden die Autoren. Dort, wo sich die Soziologie-Soziologie am weitesten vorwagt, bleibt sie in der Vergangenheit, manches darf erst, wenn es "historisch" geworden ist, untersucht werden.2) [4]

Neben der klassischen Wissenschaftssoziologie hat sich vor allem Pierre BOURDIEU der Tabugrenze genähert, auf dem schmalen Grat zwischen dem scheinbar Persönlichen und dem Skandalösen. Nicht erst mit Homo Academicus – eine der ganz wenigen Studien, wo sich ein Soziologe an die soziologische Analyse seines eigenen professionellen Kontextes macht und wenn es sein muss, "Namen nennt", auch den eigenen – hat BOURDIEU die Begrenzungen und Beschränkungen herausgearbeitet, die daraus resultieren, dass wir als Soziologen eben auch einer epistemischen doxa unterliegen, einem Glauben an die Vernunft, den wir nicht als Glauben erkennen und dessen soziale und soziologische Ursprünge wir auch als Soziologen gern leugnen. Nach BOURDIEU gibt es vier Kränkungen für die Menschheit: die Lehren von KOPERNIKUS, DARWIN und FREUD – und die Soziologie (BOURDIEU & WACQUANT 1996, S.167). Für die Soziologie selbst, so könnte man hinzufügen, gibt es nur noch eine Kränkung: die Soziologie der Soziologie. Sie erzeugt zumindest eine gewisse Art von Unruhe.3) In diesem Sinn werde ich im Folgenden einige Aspekte der mit einer möglichen oder unmöglichen soziologischen Analyse verbundenen Thematisierungsverbote und deren institutionellen Umsetzung und Absicherung diskutieren. [5]

2. Objektivierungstechniken

De nobis ipsis silemus: Wissenschaftliche Texte sollten also keine zu deutlichen Spuren der Subjektivität des Autors und seines sozialen Kontexts hinterlassen. Schon allein die Textform ist eine Objektivierung, gelöst von allen Kontexten. Darüber hinaus wurden Techniken der Objektivierung entwickelt, die aber immer etwas unzuverlässig sind, denn niemand hat die Textproduktion vollständig im Griff. Der Text schreibt sich in geheimnisvoller Weise immer ein Stückweit von alleine, er ist immer mehr, als der Autor wollte oder kontrollieren konnte. Sein Buch Soziale Systeme, sagt LUHMANN im Vorwort, habe sich in bestimmter Hinsicht "wie von selbst" geschrieben.4) [6]

Um persönliche und kontextuelle Spuren zu tilgen, führen die Autoren einen Kampf mit ihrem Autoren-Ich. Es ist ein Kampf zwischen dem subjektiven, dem sozialen und dem soziologischen Ich – ein Versuch, die Balance zu halten zwischen dem eigenen Ausdrucksinteresse und dem Ausdrucksinteresse des Feldes, wie BOURDIEU zu sagen pflegte. Schon PLATON hat die Regel eingeführt, das Ich des Autors zu vermeiden. Nur im Vorwort darf dieses Ich noch einmal auf die Bühne treten, aber sobald das Stück beginnt, spielt der Autor nicht mehr mit. In der Textgattung "Sozialwissenschaft" ist kein Ich-Erzähler vorgesehen, auch wenn es wohl-definierte Ausnahmen gibt: Eine publizierte Vorlesung darf erkennen lassen, dass es sich ursprünglich um einen von einem personalen Ich an ein Auditorium gerichteten Text handelte, und natürlich darf ein als Brief publizierter wissenschaftlicher Text ebenso das Ich benutzen.5) Und schließlich sollte ein Forschungsbericht über eine teilnehmende Beobachtung und allgemein über eine Feldforschung eine Erzählung über die Arbeit im "Feld" enthalten, und dabei darf durchaus Persönliches geschrieben werden; über Schwierigkeiten des Autors, zum Beispiel Zugang zu sozialen Außenseitern oder geheim gehaltenen Informationen zu bekommen, über die Belastung eines Doppellebens und so weiter. [7]

Darüber hinaus gibt es durchaus noch Möglichkeiten, dass sich das Wissenschaftler-Ich auch im Text (nicht nur im Vorwort) direkt an die Leser richtet. "Zunächst werde ich Grundbegriffe einführen, die der Gegenstand erfordert ... Der Leser muss zunächst im Zweifelsfall nachsichtig sein, damit wir beide an das herankommen, was (meiner Meinung nach) weniger zweifelhaft ist" (GOFFMAN 1980, S.19). Das ist allerdings eine riskante und schwierige Übung, für Ungeübte nicht ungefährlich, sie kann bei Anfängern leicht daneben gehen.6) Sicherer ist da schon das polyvalente "wir", das eine Reihe von Bedeutungen in der Schwebe hält: wir = ich (pluralis majestatis; als Autor; als soziologische Figur); wir = ich und du (Autor und Leser), wir = wir (scientific community oder Mitglieder der Menschheit). Das "wir" ist deshalb besser als das "ich" geeignet, den Leser zu verführen, dem Autor zu folgen.7) [8]

Weitere Objektivierungsmöglichkeiten sind die Verwendung von indikativ-apodiktischen Formulierungen oder suggestiven Evidenzformeln ("Es bleibt festzustellen ...", "Wir sehen also ...", "Damit wird deutlich ..."); es können Passivsätze gebildet werden ("Dieser Interpretation soll hier gefolgt werden ...", "Behauptet wird im Folgenden ...") oder man kann den Text zum Autor-Subjekt machen ("Der Text geht von der Überzeugung aus ...", "Die Absicht des Buches ist ..."). Außerdem kann in das neutrale man ausgewichen werden, das in Verbindung mit einer Möglichkeitsform eine weitere Distanzierung vom bekennenden oder glaubenden Ich ermöglicht: "Schlagwortartig formuliert kann man sagen, dass ..." Weibliche Autoren wiederum versuchen neuerdings aus nahe liegenden Gründen, das "man" zu umgehen. Aus "Man schmückt sich mit fremden Federn" wird dann "Es wird sich mit fremden Federn geschmückt". Oder: "Es wird sich gestritten." [9]

Ein gewichtiger Vorteil des Romanautors gegenüber dem Soziologen ist, dass er die Wahrheit seiner Geschichte nicht beweisen muss; er darf apodiktisch und allwissend sein. Auktoriale Erzählung in der Theorie wirkt dagegen wenig überzeugend, wenn sie sich nicht auf fachgerecht erzeugte Empirie, Methodik oder auf einen reputierten Autor, auf Autoritäten aus der Wissenschaftsgeschichte berufen kann. Allerdings darf das Reputationskriterium nicht zu direkt in den Vordergrund rücken: "Was ich glaube, hat auch schon der berühmte Meister XY gesagt, deshalb kann ich es hier getrost sagen." Das Credo allein genügt nicht, muss verborgen bleiben, wird in den Mantel der Vernunft oder der Kritik oder der Empirie gehüllt. Und speziell in der Soziologie in den Mantel des "Klassikers", typischerweise im transhistorischen Präsens, was eine Art unmittelbare Evidenz erzeugt: "WEBER sagt ..."8) [10]

Das Beispiel Lolita zeigt eine weitere Möglichkeit der Objektivierung: Der Autor kann andere für sich sprechen lassen.9) In der Soziologie ist diese Technik ansatzweise in der empirischen Forschung, besonders in Biographieforschung und Oral History entwickelt worden, wo der sozialwissenschaftliche Autor in gewisser Weise nur als Sprachrohr fungiert; er stellt nur ein Forum oder eine Form zur Verfügung, er zieht sich zurück, ist nur Verstärker anderer Stimmen. Diese Stimmen dürfen dann aber umso mehr mit dem Anspruch radikaler Subjektivität ausgestattet werden. Der Autor kann dies nutzen, um seine eigene subjektive Sicht (durch Objektivierung) zu legitimieren.10) [11]

3. Soziologische Selbstreferenz

Wie ausgefeilt auch immer die Objektivierungsstrategie ist – sie stößt an eine der Soziologie eigentümliche Grenze, die sich aus deren Selbstbezüglichkeit ergibt. Der soziologische Beobachter ist Teil seines Objektbereichs, der Forscher ist mit seinem Gegenstand verstrickt, und es gehört zu seiner soziologischen Kompetenz, dies zu wissen – in dieser Hinsicht ist die Soziologie einzigartig.11) Das verleiht dem Silemus-Diktum eine besondere soziologische Würze. Deshalb ist es für die Soziologie nur bis zu einem bestimmten Grad möglich, den Beobachterposten zu wechseln, um auf Distanz zum Gegenstand zu gehen. [12]

Das Buch von György KONRÁD und Iván SZELÉNYI, Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht, ist ein Beispiel dafür, dass soziologische Autoren zwar ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft mit in die Analyse einbringen können. "Wir sind selber Angehörige der Intelligenz, Angehörige jener Klasse, die wir zum Gegenstand unserer Untersuchung gemacht haben" (1980, S.11). Sehr weit geht die Selbstreflexion der Autoren dabei jedoch nicht.12) BOURDIEU geht weiter und thematisiert die Selbstreferenz der Soziologie, die einen fast aussichtslosen Kampf des Forschers um Objektivierung einschließt, einen Kampf, die eigenen Befangenheiten und Blindheiten gegenüber dem Gegenstand überhaupt zu erkennen (geschweige denn auszuschalten). Man kann also die Selbstreferenz der Soziologie selbst zum Thema machen. Doch auch da gibt es Grenzen. Die ersten 80 Seiten von Homo Academicus sind denn auch eine einzige endlose Anspielung, ein Spiel mit Reflexionen über die Selbstreflexion des Soziologen, der dem Sozialsystem Soziologie und der akademischen Profession angehört. BOURDIEU umkreist seinen Gegenstand, indem er dieses Um- und Einkreisen thematisiert und so den Gegenstand wieder entwischen lässt. [13]

Vordergründig, so scheint es zunächst, will BOURDIEU der Silemus-Norm widersprechen. Doch tatsächlich will er sie, im Gegenteil, radikalisieren. Wie Max WEBER, der ja nicht einfach "Wertfreiheit" forderte, sondern die Offenlegung der Wertgrundlage, auf der ein Autor argumentiert, verlangt BOURDIEU, dass sich der Autor Klarheit über seine eigene soziale Stellung im jeweiligen Untersuchungsfeld verschafft – aber gerade nicht, um für Transparenz zu sorgen oder sich selbst öffentlich zu analysieren, sondern im Gegenteil: Um die Kontrolle darüber zu behalten, wie und auf welche Weise diese strukturelle Verwobenheit mit dem Untersuchungsgegenstand die Ergebnisse und die Argumentation beeinflusst und wie er unter Umständen sein Ich einbringt; Selbst-Kontrolle auch darüber, wie "politisch" oder missionarisch ein Text sein darf, um nicht seine Wirkung einzubüßen – das ist BOURDIEUS eigentliches Anliegen. Gerade in ausführlichen Vorworten, besonders von Anfängern oder bei Arbeiten, die viel Zeit und Energie gekostet haben, wird dies häufig missachtet, wird sozusagen drauflosgeplappert, werden Schreibmotive genannt, die den nachfolgenden Text entwerten: Wer traut schon einem Autor, der gleich zu Beginn seine Parteilichkeit eingesteht (oder gar seine Inkompetenz).13) [14]

Die Geschlechterforschung ist ein gutes Beispiel für diese Schwierigkeiten. Frauenforschung, das war klar, konnte zunächst nur von Frauen betrieben werden, im Interesse der unterdrückten Gattung. Selbstverständlich war klar: Wir sprechen als Frauen für Frauen – was sich vielleicht bloß vordergründig unterscheidet von den marxistischen Autoren der sechziger und Siebzigerjahre (die sich ja nicht als Arbeiter für die Arbeiterklasse stark machten). Männerforschung, das war auch klar, konnte eine Zeit lang nur in demütiger, selbstkritisch-larmoyanter Haltung von Männern, die sich als pro-feministisch zu bezeichnen wagten, betrieben werden. Sie zogen das Büßerhemd an und beklagten öffentlich, stellvertretend für alle Männer, wie "unwürdig" der patriarchale Mann doch bisher war. Diese Art von Frauen- oder Männerforschung hatte es einfach und war einfach, war durchschaubar, aber war gerade deshalb eben auch ohne Reputation. "Kritische Männerforscher" wurden von normalen männlichen Forschern ebenso belächelt wie parteiliche Frauenforschung. Wollten solche Forscherinnen und Forscher aber wirklich ernst genommen werden, genügte es nicht, Parteilichkeit und Larmoyanz abzulegen; sie müssten auch ihr Geschlecht ablegen können. Sie müssten Geschlechterforschung betreiben in einer Haltung, als ob sie selber kein Geschlecht hätten. Erst dann wird Wissenschaft ernst genommen. Nun weiß aber jeder, dass die Omnirelevanz des Geschlechtes schon wirksam ist, bevor auch nur der erste Satz gesagt ist: Der Vorname des Autors verrät – fast immer – sein Geschlecht. Die Nennung des Vornamens macht daher einen Teil der Objektivierungsleistung zunichte, die gerade mit der Position der Autorenschaft ermöglicht wurde. Wie soll er oder sie nun verhindern, dass die Omnirelevanz der dualisierenden Zuschreibung auf der Ebene der soziologischen Praxis, etwa bei der Beurteilung von Manuskripten, wirksam wird, dass zum Beispiel bei jedem Satz, der die latente Moral des Geschlechts anspricht, der Leser, die Leserin denken wird: ob das ein Autor des anderen Geschlechts genau so geschrieben hätte?14) Diese unvermeidliche Thematisierung des Autorengeschlechts weckt ebenso Unbehagen wie die Hinweise auf Geschlechtergerechtigkeit in Ausschreibungstexten (seien sie auch noch so kunstvoll15)), weil beides in diesem Punkt die Silemus-Regel verletzt. Das ist vielleicht das Hauptproblem in dieser Frage. [15]

4. Der Autor stellt sich vor – und vor seinen Text

Vorworte, einschließlich Danksagungen und Widmungen, gehören zu den wenigen erlaubten Mitteln für Autoren wissenschaftlicher Texte, etwas von sich und ihren Problemen preiszugeben.16) Hier finden sich oft die einzigen persönlichen Spuren, die ein wissenschaftlicher Autor hinterlässt. Gleichwohl sind selbst diese Spuren noch verwischt, durch soziale Regeln des Vorwortschreibens gefiltert und objektiviert. Man kann das noch zuspitzen: Das Vorwort dient vor allem dazu, den Blick auf einen bestimmten Ausschnitt des Privaten und Kontextuellen zu lenken, nur um davon abzulenken, was auf keinen Fall gesagt werden soll. Diese Regeln sind, wie üblich, nicht fixiert – und weil gleichzeitig Originalitätsdruck herrscht, scheint es keine Regeln zu geben. Deshalb finden sich hier meist weniger aufschlussreiche Enthüllungen als sich neugierige Leser wünschen mögen. [16]

Vorworte und Danksagungen sind eine Art Rahmenhandlung für die nachfolgende soziologische Erzählung. Sie sind die Bühnenrampe vor dem geschlossenen Vorhang, wo der Autor des Stückes oder der Theaterdirektor (Herausgeber) sich an das Publikum wenden können, bevor dieses sich von der trügerischen Realität des Stückes gefangen nehmen lässt, bevor es sich der Illusion hingibt, etwas Wirkliches (Erwiesenes) zu erfahren. Hier darf der Autor ein letztes Mal Privatperson sein, hier darf er auch seine Familie oder seine Geliebte präsentieren, wenn auch mit gebührender Zurückhaltung. Hier kann er sein "Stück" erklären, den Interpreten und Rezensenten zuvorkommen, einschließlich persönlicher Begründungen, die kein Rezensent wissen könnte (dem damit beiläufig Vorsicht bei der Kritik angeraten wird). Hier können Autoren, in einer ambivalenten Geste der arroganten Bescheidenheit, um "Vergebung für ein unvollendet gebliebenes Werk" bitten. Häufig klagen sie über die Mühe der Arbeit und bitten den Leser, dies zu berücksichtigen und zu honorieren. [17]

Es gibt sehr bescheidene und ritualisierte, aber auch sehr prätentiöse Vorworte. Originalität ist hier insbesondere für die zweite Gruppe ein wichtiges Kriterium, wenigstens hier im Vorwort können Autoren meistens noch sehr originell sein.17) Originalität kann aber auch ein Mittel der Entsoziologisierung der Selbstdarstellung sein, denn zum Beispiel sollen die Motive der Themenwahl oder der speziellen Bearbeitung des Themas, die der Autor im Vorwort anführt, nicht soziologisch typisierbar sein – keine soziologische Selbst-Analyse ist gefragt ("Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich als Angehöriger des akademischen Mittelbaus ..." oder "... als sozialer Aufsteiger aus der Arbeiterklasse ein Bedürfnis verspürte ..."), keine Beweggründe im Sinne sozialer Herkunft (Klassenhabitus) oder der Zugehörigkeit zu problematisierten sozialen Gruppen. Wenn der Autor soziologischer Werke soziologische Kategorien zur Erklärung der Beweggründe einführt, setzt er sich der Gefahr aus, "Betroffenheitsliteratur" zu produzieren. [18]

Hier wird also deutlich, dass die Silemus-Regel gerade auch in Vorworten gilt, wenn man sie als soziologische Regel versteht: "Uns selber wollen wir lieber nicht zum Gegenstand unserer spezifischen Untersuchungsmethode machen." Das Vorwort ist insofern keine soziologische Textgattung. In der Tat findet man nur selten Hinweise auf den sozialen Hintergrund der Autoren, selbst in autobiographischen Berichten von Soziologen, von denen es ja eine ganze Reihe gibt.18) Vielmehr soll das Vorwort einen individuellen Autor, am besten ein originelles Genie, konstruieren. Insbesondere im prätentiösen Vorwort stilisiert sich der Autor zu einer ganz einzigartigen Originalgestalt – und die nachgeschobene Geste der Bescheidenheit ("ohne ... wäre dieses Buch nie entstanden") hat eine paradoxe Wirkung. [19]

Wie Martin KOHLI schon betonte, sind Leser wissenschaftlicher Texte häufig neugierig in dem Sinn, dass sie über die Lektüre nicht nur gern erfahren würden, wie es der Autor gemacht hat, einen solchen Text zu schreiben oder eine solche Theorie zu entwickeln; gern würde man manchmal auch mehr erfahren über das Scheitern, über Hindernisse und Irrwege, Holzwege und Nebelbänke oder gar verheerende Sackgassen, auf die ein guter Freund aufmerksam gemacht hat. [20]

In vielen Danksagungen gegenüber Sekretärinnen, Schreiberinnen und technischen Hilfskräften schwingt eine durch scherzhafte Anerkennung verkappte Statusdifferenzmarkierung durch. So zum Beispiel, wenn ein Autor drei seiner Gehilfinnen dankt – Jessie, Debbie, Huey -, dass sie in und durch die Bibliotheken gerannt seien und fotokopierten, bis sie grüne Augen bekamen. Ein anderer dankt seiner Sekretärin unter anderem auch für ihre "palaeographical skill", mit der er aber wohl vor allem kokett auf seine schreckliche Handschrift hinweisen möchte. [21]

Auch der Dank an die Ehefrauen und Ehemänner, Freundinnen, Freunde und Eltern ist ein schwieriges und heikles Geschäft, am besten man hält sich an rituelle Formeln. (Die allerdings von Zeit zu Zeit modernisiert werden sollten: Man sollte heutzutage besser vermeiden, der Ehefrau "für das sorgfältige Abtippen des Manuskriptes" zu danken.) In Vorworten und Danksagungen finden sich aber immerhin, wenn überhaupt, oft die einzigen Hinweise auf den sozialen Hintergrund der Autoren, wenn etwa dem Vater gedankt wird, der zum Beispiel die Anregung zur HEGEL-Lektüre gegeben hat. Doch wofür sollten die armen sozialen Aufsteiger ihren Eltern danken? [22]

Bei der Erwähnung der eigenen Kinder findet man häufiger den normativen Hinweis, dass Kinder kein Verständnis für die Arbeit der schreibenden Mutter oder des Vaters aufbringen müssten, dass es Kindern erlaubt sei, sich überhaupt nicht für das merkwürdige Treiben der Eltern (stundenlanges Sitzen am Schreibtisch) zu interessieren. Das weiß auch Umberto ECO, der einen seiner Streichholzbriefe dem Vorwort- bzw. Danksagungsschreiben gewidmet hat: "Meine Kinder sind mir ein großer Trost gewesen... Ihrem gänzlichen und olympischen Desinteresse an meiner Arbeit verdanke ich die Kraft, die es mir erlaubt hat, diesen Streichholzbrief ... abzuschließen." (ECO 1999, S.84f.)19) Eine Steigerung findet sich neuerdings, wenn männliche Autoren, die zugleich Väter sind, sich bei ihren Kindern "wohl eher entschuldigen als bedanken" müssten, weil diese "viele Stunden, die eigentlich ihnen zustanden, auf mich verzichten mussten". In all diesen Fällen gehen die Autoren ein gewisses Risiko ein: Sie sagen dem Leser, dass es für sie als Person auch noch ein Leben neben der Wissenschaft gibt, wahrscheinlich sogar ein authentischeres Leben. Aber sie sagen uns damit eben auch, dass sie sich nicht immer so, wie es das System wünscht, auf ihre Arbeit konzentriert haben. Welches Maß an Konzentration auf die Familie darf das akademische System seinen Mitgliedern zugestehen? [23]

5. Solo-, Ko- und Para-AutorIn

Auch Danksagungen (im Rahmen des Vorworts oder unter einer eigenen Überschrift) sind ein Mittel der Entsoziologisierung der Autorenschaft, weil sie die persönlichen Beziehungen (zu jenen, welchen gedankt wird) in den Vordergrund rücken (statt eine soziologische Analyse des eigenen Arbeitskontextes und Beziehungsnetzes vorzunehmen). Prominente Autoren können hervorheben, dass nicht nur Freunde und Kollegen, sondern auch "Schüler", nicht nur Anregungen geliefert, sondern die Anregungen des Autors aufgegriffen haben. Wollte man, wie BOURDIEU (1988, S.332ff.), eine "Hitparade der Intellektuellen" aufstellen, könnte man einen Reputationsindex der im Vorwort bzw. der Danksagung genannten Personen errechnen. An der Spitze der Hitparade stünden dann diejenigen, die am meisten Danksagungskapital vorzuweisen hätten.20) [24]

Eine Persönlichkeit, die auf ein langes, erfülltes Forscherleben mit zahllosen Kontakten (Lehrern, Kollegen, Freunden, Schülern) zurückblicken kann – oder auf dem Höhepunkt ihrer akademischen Autonomie angekommen ist, kann es sich leisten zu behaupten, sie wisse nun beim besten Willen nicht mehr, wem sie diesen oder jenen Gedanken zu verdanken habe, woher ihre Anregungen und Quellen kommen. Man dankt dann pauschal oder bittet alle um Vergebung, die eigentlich hätten genannt werden müssen. Oder man kann betonen, dass der Dank eigentlich gar nicht formulierbar sei. Oder man geht ironisch in die Offensive:

"Alle Ideen in diesem Essay stammen von anderen; das einzig Originelle an ihm ist die Form der Argumentation. Aber weil es hier ja um die Semantik kultureller Formen geht – die Form stammt von mir, folglich also auch ihr semantischer Gehalt" (LEACH 1978, S.9). [25]

Da über jedem Gedanken der Plagiatsvorwurf schwebt, ist es am besten, man dankt einer Reihe von Kollegen "für Einblicke in unveröffentlichte Papiere" (das verhindert zugleich den Vorwurf des antizipatorischen Plagiats21)). Besonders kritisch wird es, wenn ein Autor einen Teil eines mit einem anderen zusammen veröffentlichten Textes für eine Re-Publikation22) nimmt, in der ehrlichen Annahme, dieser Teil sei primär von ihm verfasst.23) Deshalb kann man dem früheren Koautor an dieser Stelle schlecht danksagen, dessen Mitautorenschaft wäre dadurch explizit negiert, so wie in jenen Fällen berühmter Autoren, die im Vorwort einem treuen Assistenten auf eine so deutliche Weise für ungewöhnlich sorgfältige oder intensive Mitarbeit danken, dass sich jeder Leser fragt, wer nun eigentlich der oder die Autoren sind. [26]

Aber auch die explizite Koautorenschaft kann genauso wie die implizite ein heikles Problem sein. Sie kommt heute in Soziologie und Sozialforschung immer häufiger vor, und sie steht unter Beobachtung von Ethik-Kommissionen, die demokratische Prinzipien einfordern, wo früher professionalistische oder paternalistische Prinzipien vorherrschten. Die Ko-Autorenschaft und die Reihenfolge (alphabetisch, statusgemäß, anteilsgemäß) müssen also ausgehandelt werden. Das kann nicht immer in Gerechtigkeit enden. Manchmal werden im Vorwort die Anteile der einzelnen Autoren im Detail benannt, am einfachsten geht das, wenn man eine kapitelweise Zuordnung vornehmen kann ("Aus Qualifizierungsgründen verweisen wir an dieser Stelle auf die Arbeitsteilung für die Publikation"). Demgegenüber ist es geradezu harmlos, wenn ein Herausgeber, der seinen eigenen Beitrag zuletzt schreibt, gar nicht merkt, dass er seine KoautorInnen (antizipatorisch) plagiiert. [27]

Die Koautorenschaft, oft ein Mittel der Reputationsumverteilung, ein Tauschgeschäft zwischen verschiedenen Aspekten der wissenschaftlichen Arbeit, ein Instrument der Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Positionen im Reputationsgefüge, ist eine soziale Konstruktion par excellence. Authentische Koautorenschaft gibt es daher in der Romanliteratur so gut wie gar nicht und kaum häufiger in den Sozialwissenschaften.24) Die Übergänge zwischen Solo- und Ko-Autorenschaft bis hin zur Para- und parasitären Autorenschaft sind fließend. Alle diese Probleme kann man vermeiden durch eindeutige Autorenschaft, die klare Trennung zwischen dem allein verantwortlichen Autor und einflussreichen Personen, denen gedankt wird. Die Danksagung dient also auch zur Abgrenzung zwischen dem wahren Autor und jenen, denen lediglich ein Einfluss zukommt, und sei er noch so groß. Sollte eine Radikalsoziologie daran interessiert sein, dieses komplexe Regelgeflecht von Danksagung und Koautorenschaft, Prioritätsanspruch und Kooperationsprätention genauer zu entschlüsseln? Würde sie dabei nicht, ohne es zu merken und gegen ihre Absicht, an der Aufrechterhaltung der genialisch-charismatischen Illusion der isolierten Schreibleistung mitwirken? [28]

6. Soziale Bedingungen des soziologischen Erfolgs

Objektivierungstechniken wie die Konstruktion der Autorenschaft, mit denen die Thematisierung des sozialen Kontexts soziologischer Texte umgangen werden können, dienen also der Absicherung der Silemus-Regel. Zum Kontext gehört auch der akademische Rang, als Ausdruck soziologischen Erfolgs. Sind die Regeln und Bedingungen soziologischen Erfolges thematisierbar? Die Wissenschaftssoziologie hat sich mit dieser Frage befasst; sie hat eine Reihe von sozialen Mechanismen im sozialen System Wissenschaft festgestellt, etwa den Matthäus-Effekt25) oder den Widerstand und die Ignoranz gegenüber neuen und originellen Ideen, besonders solche von Außenseitern oder Unbekannten. Aber sie befasste sich, wie eingangs schon gesagt, nur selten mit der Soziologie.26) Und sie war, in ihrer Hauptströmung in der MERTON-Tradition, nicht konsequent genug. Zwar wird dort ausführlich über Normen im Wissenschaftssystem diskutiert, doch sind damit bloß ethische Standards gemeint, im Sinne einer Moral des Guten: Rationalität, Universalismus, Uneigennützigkeit und so weiter.27) Man bleibt auf der Ebene des diskursiven Ideals von objektiv-rationaler Wissenschaft stehen, das dann als Richtschnur für die Feststellung von Devianz, etwa in Form von Plagiaten oder Fälschungen oder bösen Strategien beim Durchsetzen eines Prioritätsanspruchs, gilt. Zumindest implizit wird daran festgehalten, dass es illegitime Mechanismen sind, mit denen die Wissenschaftler (sie sind auch nur Menschen) immer wieder versuchen, die Idealnormen zu umgehen.28) [29]

Eine konsequentere Analyse dagegen würde die latenten, die praktischen Normen, die Regeln der Praxis untersuchen, ohne dabei gute und schlechte, legitime und illegitime Regeln unterscheiden zu wollen, es sei denn mit der Absicht, die Propagierung der legitimen Ideale als ideologisches Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Regeln der Praxis zu enttarnen. Man würde also die Frage stellen, nach welchen Kriterien das soziologische System seine Auszeichnungen vergibt, wer gefördert wird, wer Karrierechancen und schließlich eine Professur bekommt – einschließlich der Regeln der Nichtthematisierung dieser Regeln. Das Ergebnis einer solchen Analyse könnte wie folgt aussehen.29) Zweifellos gibt es zunächst einen bestimmten Anteil am Karriere-Erfolg, der auf objektive, unstrittige Leistung, Qualität und Kompetenz, zurückführbar ist. Immerhin sind bestimmte Basisleistungen unabdingbar. Man muss zum Beispiel vollständige Sätze schreiben können, und diese müssen außerdem genre-kompatibel sein. Niemand kann ohne einigermaßen gelungene Diplom- oder Magisterarbeit eine Professur für Soziologie bekommen. Auch eine Dissertation und in der Regel auch eine Habilitationsschrift müssen vorliegen. Allerdings ist nur die Diplomarbeit eine echte Hürde. Wer diese geschafft hat, schafft auch (wenn der Wille da ist) die anderen Arbeiten – für den akademischen Erfolg sind diese daher nicht mehr entscheidend. [30]

Zweitens, so würde die Analyse ergeben, spielen soziale Merkmale eine bestimmte Rolle, etwa die soziale Herkunft und andere Formen der sozialen Zugehörigkeit, die geeignet sind, das Bildungskapital und das Sozialkapital zu erhöhen. Es gibt jedoch keinen eindimensional-linearen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, Generationszugehörigkeit, Alter oder Geschlecht und akademischem Erfolg.30) Sicherlich ist, drittens, gute Netzwerkarbeit von besonderem Vorteil, weil sie den Anteil an sozialem Kapital erhöht. Den richtigen Betreuer für die Dissertation finden, eine Mentorin für erste Auftritte, Tagungspräsenz, Sektionsgründung, Pflege von Zitationsclubs, Funktionsübernahme und so weiter. Am effektivsten ist es, wenn das Freundschafts-Netzwerk mit dem professionellen Netzwerk engmaschig verknüpft ist. Für die höheren Ränge des sozialen Systems Soziologie kommen auch professionsexterne Anerkennungsformen ins Spiel, etwa Medienprominenz, deren Umsetzung in professionsinterne Reputation allerdings komplizierten Konvertierungsregeln folgt. [31]

Ferner könnte es von Vorteil sein, gut angepasst zu sein, nicht negativ aufzufallen. Das ist allerdings eine zwiespältige Sache in einer Disziplin wie der Soziologie, die zur Devianz ein gewissermaßen liebevolles Verhältnis hat – sie gilt als subversiv, alternativ, innovativ; wo eher widersprüchliche Talente gefragt sind oder vielleicht ein hohes Maß an Ambivalenz-Toleranz: Originalität und Kreativität auf der einen, solides Handwerk und Pedanterie auf der anderen Seite; wo aus dem Originalitätsdruck Variationsfülle erwächst, die jede Abweichung von der Regel als Regelerfüllung interpretierbar macht. Eine gewisse Portion Arroganz, gepaart mit Bescheidenheit, beides subtil aufeinander abgestimmt – hier ist es besonders wichtig, eine gute Balance zu finden. Es ist also nicht leicht zu sagen, was relevante Devianz ist.31) Nicht leicht ist es außerdem, die offiziellen, aber vielleicht unwirksamen von den wirksamen Normen (der Praxis) zu unterscheiden – erst recht, wenn diese mit einem Thematisierungstabu belegt sind. Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, dass all diese Erfolgskriterien mit einem Ungewissheitsvorbehalt ausgestattet sind. You never know. Man muss wissen, dass der Erfolg ungewiss ist, dass die Kriterien des Erfolgs unzuverlässig sind, dass diese Kriterien nur bedingt diskursfähig sind. Sie können immer erfolgreich bestritten werden. Das Thematisierungstabu hätte damit die Funktion, die Kriterien des Erfolgs im Diffusen, im Dunkeln, zu lassen. [32]

7. Charisma und Erfolg

Die akademische Karriere, das wusste schon Max WEBER, ist Resultat eines Glücksspiels, dem sich derjenige eher aussetzen kann, der bereits über soziales Kapital verfügt. Man kann, wie Martin SCHMEISER, der sich mit den Kriterien des akademischen Erfolgs der deutschen Universität des 19. Jahrhunderts befasste, als allgemeine Bedingung des Hasard-Charakters der Karriere die fehlende Professionalisierung ansehen, und wiederum als deren Ursache die Geltung der Idee des Charisma (nach Constans SEYFAHRT jener Rest menschlichen Handelns, der nicht sozialisierbar ist).32) Der deutsche Professor des 19. Jahrhunderts durfte sich im Glauben wähnen, seine Tätigkeit auf Grund einer ganz besonderen Begabung auszuüben. Seine Werke konnte er als Emanation außergewöhnlicher Qualitäten begreifen, als "außeralltägliche und geniale Einzelleistung". Den begabten Privatdozenten würde folgerichtig früher oder später die Berufung erreichen – ein Denkfehler, wenn man davon überzeugt ist, dass über die Frage, ob jemand Charisma hat oder nicht, keine Behörde und kein Gremium entscheiden kann. [33]

SCHMEISER kann zeigen, dass es Spätfolgen der sozialen Herkunft gibt, die in unterschiedlichen Endpositionen und Kapitalsummen, die sich im Verlauf der Karriere akkumulieren, zum Ausdruck kommen. Ob es diesen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und den späteren Stufen der akademischen Karriere auch heute noch und auch in der Soziologie gibt, wissen wir nicht. Es existieren lediglich einige empirische Hinweise allgemeiner Art, dass die "verzögerte Selektion", wie sie BOURDIEU für Frankreich untersucht hat, auch hier und heute genauso funktioniert.33) Für unsere Fragestellung ist nicht so wichtig, dies genauer zu wissen. Es genügt, auf die Unruhe hinzuweisen, welche die (soziologisch alles andere als überraschende) Vorstellung bei vielen Soziologie-Professoren auslösen kann, der Berufsverlauf könnte durch die soziale Herkunft determiniert sein. Wir rechnen uns den Berufserfolg lieber selber zu, gerade im Zeitalter von Individualisierungs- und Rational-Choice-Ideologien. Als Soziologen unserer selbst sind wir eben lieber keine guten Soziologen. Dabei sind sich alle einig: die einen, weil sie sich nicht nachsagen lassen möchten, sie hätten lediglich ihr vorbestimmtes Ziel erreicht.34) Aufsteiger-Professoren wollen natürlich erst recht am charismatischen Glauben partizipieren, der wie für sie gemacht erscheint. Sie müssen ihren Berufserfolg, der jeglicher soziologischer Erfahrung widerspricht, auf ihre eigene, ganz außergewöhnliche Begabung zurückführen. Für die Erfolglosen wiederum gibt es dann auch eine einfache und einleuchtende Erklärung. Sie sind – aus der Sicht der Erfolgreichen – eben nicht gut genug gewesen.35) Aber vielleicht wichtiger noch, dass auch die Erfolglosen selber sich für ihre eigene Erklärung auf das Charisma-Prinzip berufen können. Schuld an ihrem Misserfolg ist die Mediokrität der Etablierten, die kein Augenmaß für Genialität haben. [34]

Langfristig, so glauben wir deshalb, werde sich Qualität durchsetzen, das System hat ja – so unser kollektives praktisches Wissen – ein raffiniertes Objektivitäts-Kontrollsystem entwickelt, das allen Versuchen partikularistisch-feudaler Einflussnahme ebenso überlegen ist wie jedem Versuch, Transparenz und Objektivität durch die Demokratie des Mittelmaßes durchzusetzen, aber auch effektiv verhindern kann, dass Originalismus und Kreativismus, die immer mit dem Risiko der Anarchisierung einhergehen, die Oberhand gewinnen. [35]

8. Klientelismus und Würde

Und doch halten sich hartnäckig einige Gerüchte, denen zufolge Normen von Rationalität und Objektivität oft verletzt werden, und damit wenn auch nicht die Demokratie des Mittelmaßes so doch das Mittelmaß der Klüngelei sich durchsetze. Gerüchte über Berufungskommissionen, die häufig nicht die besten Bewerber nehmen würden, sondern jene, die ihren Mitgliedern "ungefährlich" erschienen; Gerüchte über mehr oder weniger versteckten Partikularismus (Hausberufungen, "Seilschaften" usw.); Gerüchte über Verfahren, die nach Jahren im Sande verlaufen, bloß weil jemand nicht "seinen Kandidaten" durchbringen konnte.36) [36]

Nun haben wir aber bereits festgestellt, dass Netzwerkarbeit eine wesentliche Erfolgsbedingung ist. Wenn hier trotzdem von "Gerüchten" gesprochen wird, so deshalb, weil diese ein zuverlässiger Indikator für Thematisierungsvorbehalte sind. Sie sind eine bestimmte Form des Wissens, das einer soziologischen Analyse nicht ohne Weiteres zugänglich ist. Es eignet sich als eine Art von Empörungswissen, ein Mittel der Skandalisierung, das wir brauchen können, wenn wir von Auswüchsen sprechen wollen, wo das System seine Mechanismen schlecht verhüllt oder die sozialen Regeln überstrapaziert. Aber es wäre vergeblich, dieses Wissen wissenschaftlich fundieren zu wollen, etwa unter Hinweis auf Netzwerkabhängigkeiten oder Klientelismus. Die wissenschaftliche Analyse würde vor allem die Naivität oder gar Boshaftigkeit der Entlarvungsabsicht enthüllen und die Empörung ins Leere laufen lassen, denn sie würde nachweisen, dass das System Soziologie rational ist, wenn es Netzwerke fördert statt einem abstrakten Universalismus zu huldigen, weil es, wie jedes Sozialsystem, nur mit einer Mischung aus offiziellen und inoffiziellen Regeln und Mechanismen, zum Beispiel Demokratie und Macht, Transparenz und Reputation, Objektivität und Hinterbühne, Kollegialität und Freundschaft, funktionieren kann. Kein soziales System kommt ohne Networking aus. Aber dieses ist als Erfolgskriterium nur beschränkt legitim. Zu viel davon, bei zu wenig fragloser Kompetenz, schafft Legitimationsprobleme: Unweigerlich wird der Klientelismus-Vorwurf kommen, der Vorwurf der Günstlingswirtschaft. Wer aber den Klientelismus analysieren will, steckt von Anfang an in der Falle der Seltsamen Schleifen (HOFSTADTER 1979), weil er nicht umhin kommt, ihn qua Analyse zugleich zu kritisieren – im Namen einer Moral der Objektivität von Kompetenzkriterien zum Beispiel. Aber diese Kritik wirkt scheinheilig, hat man doch, wenn man "gut" ist, selbst vom Klientelismus profitiert. Wer dagegen vom Klientelismus nicht profitiert und ihn kritisiert, ist automatisch ein Nestbeschmutzer aus Neid, kein legitimer Kritiker. [37]

Man kann auch raffinierter vorgehen und bescheiden sagen: "Ich persönlich habe meine Stelle nur bekommen, weil ich im Netzwerk soundso gut verankert war." Ist eine solche Person glaubwürdig? Man wird misstrauisch sein. Sie spekuliert darauf, so wird man argwöhnen, dass man ihre Bescheidenheit als Tarnung durchschaut und ihr dies als Koketterie auslegt und ihr dadurch Kompetenz unterstellt. Und man wird Recht haben damit: Sie ist kompetent – weil sie im Netzwerk soundso war. Niemand ist allein "wegen" seines Netzwerkes erfolgreich, Netzwerk-Förderung ist gleichzeitig wirksame Zuschreibung von Kompetenz. Wer aber die beiden Kriterien trennt um sie kausal mit Erfolg zu verknüpfen, sucht lediglich nach einem Grund, die Legitimität oder Illegitimität des Erfolgs behaupten zu können. Aber diese Art von kausalanalytischer Variablensoziologie führt hier ebenso in die Irre wie die Versuche der Rational-Choice-Theorie, Entscheidungen kausal auf rationale Impulse von Akteuren zurückzuführen (BURKART 2002a) oder sie als Ursachen ihrer Wirkungen zu betrachten.37) [38]

Wo es gelingt, den Klientelismus wirksam zu kritisieren, ist er nur die unverhüllte Form des immer schon vorhandenen Netzwerk-Klientelismus, der von Kompetenz nicht zu trennen ist. Der unverhüllte Klientelismus dient dazu, der Kritik ein Ziel zu geben, einen Köder für Empörung und Skandalisierung auszulegen. "Der will ja nur seinen Favoriten durchbringen." Die Konsequenz ist, wie oft bei legitimer Kritik: eine Verbesserung und Verfeinerung des kritisierten Systems; denn die eigentliche Kritik ist: "Der" hat das offenbar ungeschickt gemacht. Wenn der Klientelismus zu offensichtlich wäre, verlören die Geförderten eines ihrer wichtigsten Qualitätsmerkmale: ihre Würde. Der Grund: Weil die Verbindung zwischen Wahrheit und Erfolg (Reputation) zu offensichtlich entkoppelt wäre. Vielleicht ist das sein Hauptproblem – die Gefahr der Verselbstständigung von Reputation (Erfolg, egal auf welcher Basis, wie ja Sighart NECKEL allgemein vermutet). Und genau dazu, zur Abwehr dieser Gefahr, dienen Thematisierungsverbote, die wiederum die Basis der Möglichkeit für Empörung und Skandalisierung bilden. Sie sorgen für das nötige Maß an Ungewissheit, Unruhe und Undurchschaubarkeit. [39]

Der Beobachter des Thematisierungstabus kommt nur schwer aus der Falle heraus, von denen, die er beobachtet, als jemand beobachtet zu werden, der keine wissenschaftlichen Interessen hat, sondern soziale, also normative, interessen- und wertgebundene. Als jemand also, der zu keiner objektiven Analyse fähig ist. Man hat also immer das Problem (Paradoxie, Selbstreferenz), dass man das System von innen heraus nicht nur beobachtet, sondern zwangsläufig auch kritisiert. Denn man stellt die Legitimität des Tabus – wenn es eines gibt – in Frage, mehr noch: Die offensichtliche Funktion des Tabus ist es doch, einen Mechanismus zu verbergen. Wird dieser nun aufgedeckt, fühlt sich das System sozusagen erwischt – und dem System Soziologie müsste dies ja besonders peinlich sein – also wird es alles tun, die Aufdeckung zu verhindern bzw., wenn das schon nicht möglich ist, dann wenigstens die Aufdecker sanktionierten: Sie irgendwie lächerlich machen oder nicht ernst nehmen – sie sozusagen in die Falle der Paradoxie locken, dass ihre Analyse ja gar nicht wissenschaftlich sein könne, weil sie ja offensichtlich von einer normativen Position aus gemacht würde – und wenn sie richtig wäre, ohnehin nur zeigen würde, dass sie den eigenen Maßstäben von Wissenschaftlichkeit gar nicht gerecht werden könne. [40]

9. Die Praxis des Thematisierungstabus

Noch einmal: Darf die Soziologie über soziale Bedingungen soziologischen Erfolgs sprechen? Es gibt Kontexte und Foren, wo bestimmte Formen der Thematisierung erlaubt sind, so etwa Vorworte, Tagungsklatsch, wissenschaftssoziologische Studien. Das Thematisierungsverbot greift erst voll, wenn bestimmte Grenzen zur soziologischen Praxis überschritten werden. Der Autor BOURDIEU durfte selbstverständlich Homo Academicus schreiben – sogar mit dem üblichen Reputationsgewinn, auch wenn mancher Gelehrte die Nase rümpfte. Aber BOURDIEU wird sich gehütet haben, diese Analyse auf den Umgang mit seinen Kollegen im Rahmen seiner akademischen Praxis anzuwenden. Er wird ihnen nicht in öffentlicher Rede oder im Kollegium Motive zugeschrieben haben, die sich aus seiner veröffentlichten Analyse ergeben konnten. Eine soziologische Analyse von Berufungsverfahren wäre denkbar, einschließlich der soziologischen Analyse der sozialen Bedingungen dieser Analyse. Aber es wäre nicht möglich, in den Berufungsverfahren selber die Kriterien offen zu benennen, die für oder gegen eine Kandidatin sprechen. [41]

Wie kann man soziologische Praxis und soziologische Analyse unterscheiden? Es gibt zunächst verschiedene Ebenen der soziologischen Arbeit – die eigentliche Forschung, methodologische Reflexionen darüber und schließlich die Wissenschaftssoziologie. Dabei wird mit jeder Ebene das Problem der Selbstreferenz brisanter. Mit "soziologischer Praxis" meine ich hier noch etwas anderes: Die "Praxis" im sozialen System Soziologie, also nicht das Forschen und Schreiben von Texten, sondern die Kommunikationen oder die Praxis, die das soziale System Soziologie am Laufen halten, jenseits der offiziellen Ebene von publizierten Texten. Dazu gehören Gespräche zwischen Gutachtern, alles, was in Gremien-Sitzungen, aber vor allem vor und nach den Sitzungen in Begutachtungsverfahren gesagt und getan wird. Es geht dabei vor allem um die Praxis der Reputations-Zuteilung. Hier, so glaube ich, gilt das Thematisierungstabu ganz besonders oder besonders stark. Diese Praxis darf nicht soziologisch analysiert werden. Das Tabu sorgt dafür, dass die Kopplung von Reputation an das Wahrheitskriterium nicht gefährdet wird. Wissenschaft und Wahrheit, das gilt auch für die Soziologie, dürfen sozusagen nicht ganz profanisiert werden, das aber wäre zwangsläufig das Ergebnis einer solchen soziologischen Analyse. Es darf sozusagen keine Letzt-Beobachter geben, die nur noch soziologisch beobachten und zum Beispiel Herrschaftsmechanismen identifizieren würden. Deshalb wäre eine radikale Soziologie der Soziologie eine "Kränkung" für die Soziologie.38) [42]

Die Soziologie ist keine klinische Disziplin, die Kriterien des soziologischen Erfolgs im konkreten Fall zu benennen ist ihr nicht möglich. Deshalb sind in Ablehnungsbegründungen keine Urteile möglich, weder persönliche noch soziale, obwohl das System legitim auf Kompetenzzuschreibungen basiert (und obwohl manchen Bewerbern geholfen wäre, wenn sie von ihren Schwächen wüssten). Aber soziologische Kompetenz ist eben nicht von Persönlichkeit und diese nicht von sozialer Einbettung zu trennen. Deshalb wären Kompetenzurteile immer auch, mehr oder weniger explizit, Urteile über persönliche und soziale Hintergründe, über den sozialen und soziologischen Kontext, über die Legitimität und das Reputationspotenzial eines Netzwerks, also auch Urteile über Kollegen. Solche Urteile würden darüber hinaus auch die charismatische Illusion zerstören, die auch der Abgelehnte noch haben darf: Man habe eben seine Stärken nicht erkannt. Weil der Abgelehnte nicht gesagt bekommt, warum, kann er sich aus dem Reservoir des Empörungswissens bedienen ("Die nehmen eben keinen Parsonianer", "Die wollen nun mal keine Frau"). [43]

Eine radikale Soziologie der Soziologie hätte den Anspruch, die Mechanismen aufzudecken, mit denen das Sozialsystem Soziologie funktioniert, einschließlich der Analyse und damit der Durchbrechung der Thematisierungsverbote. Sie würde zeigen, dass es zu den Funktionsmechanismen des Systems gehört, an bestimmten Stellen Transparenz und Selbstthematisierungen zuzulassen, an anderen Stellen aber bestimmte Prozesse und Regeln geheim zu halten, mit Schweigegeboten zu belegen und diese mit Devianz-Zuschreibungen abzusichern ("Querulantentum"); oder angemessene Thematisierungsformen zu schaffen, zum Beispiel Tagungsklatsch, der mit Andeutungen und Anspielungen arbeitet, die geeignet sind, Gerüchten Nahrung zu geben, die wiederum problematische Folgen der anderen Regeln abfedern. [44]

Wer eine radikale Soziologie der Soziologie machen wollte, eine "soziologische Analyse der sozialen Bedingungen der soziologischen Analyse" (BOURDIEU 1988, S.12), käme früher oder später an den Punkt, wo er mit den paradoxen Folgen seiner Einsichten für seine Praxis konfrontiert wäre. Er müsste zwangsläufig – wenigstens zeitweise – den Glauben an die Wissenschaftlichkeit des eigenen Tuns preisgeben, denn auch seine Analyse etwa des Klientelismus ist nur möglich und kann nur als richtig angesehen werden, weil sie genau auf diesem Zusammenhang von Kompetenz und Klientelismus beruht, den sie aufdecken will. Er müsste die Fiktion aufgeben, frei von klientelistischen Kontaminierungen zu sein. Ist meine soziologische Analyse noch eine soziologische Analyse, wenn ich weiß, dass meine soziologische Kompetenz nur scheinbar, nur vordergründig "wissenschaftlich", aber tatsächlich "sozial" ist oder zu Stande gekommen ist? Was fange ich mit einer wissenschaftlichen Analyse an, die mir zeigt, dass meine wissenschaftliche Praxis gar nicht den Standards der Wissenschaft – Objektivität, usw. – folgt? Warum sollte man eine solche Analyse ernst nehmen, und von welchem Standpunkt aus? [45]

Diese paradoxe Struktur kann auch eine radikale Soziologie der Soziologie nicht aufbrechen ohne selbst in die Krise zu geraten, wenn sie den letzten radikalen Schritt unternimmt: sich selbst zu analysieren. Welche geheimen Mechanismen regeln die Soziologie der Soziologie? Steht sie über diesen Dingen? Kann sie von außen agieren? Und wenn sie es von innen tut: Wo ist ihr Standort, wenn sie sich den Ast absägt, auf dem sie sitzt? Will sie das, kann sie das wollen, darf sie das können? Die Radikalsoziologie setzt sich somit ständig der Gefahr aus, auf eine naive Form einer Empörungssoziologie zurückzufallen, die in moralischer Pose etwas "aufdecken" wollte, was ohnehin alle zu wissen glauben ohne es immer wissen zu wollen – der Aufdecker wäre nur ein Eiferer mit möglicherweise heimtückischen Motiven. Eine würdevolle Radikalsoziologie kennt ihre eigenen Grenzen und den Sinn von Tabus und schweigt an dieser Stelle. Deshalb ist eine Soziologie der Soziologie unmöglich. Quod erat demonstrandum. [46]

Anmerkungen

1) Eine frühere Fassung dieses Beitrags ist erschienen in einer Festschrift für Martin KOHLI (BURKART 2002b). Für wertvolle Hinweise zu früheren Fassungen danke ich Ingo SCHULZ-SCHAEFFER und Jo REICHERTZ. Der Beitrag "Erfolgreich Sozialwissenschaft betreiben – Ethnographie der Karrierepolitiken einer Berufsgruppe" (ROTH, REICHERTZ & BREUER 2002) lieferte ebenfalls Anregungen zur Verbesserung. <zurück>

2) Immerhin haben einige Soziologen autobiographische Notizen, auch zu Lebzeiten, veröffentlicht (PARSONS, SHILS & LAZARSFELD 1975, sowie zahlreiche Beiträge in FLECK 1996, BOLTE & NEIDHARDT 1998 und SAHNER 2000). Manchmal gelingt es Wissenschaftlern oder Journalisten, bekannte Soziologen zu Interviews zu bewegen; dabei bleibt das Biographische nicht ganz ausgespart (LUHMANN 1987; BOURDIEU 1986, S.141ff.); einige Soziologen und Soziologinnen bei PONGS (1999, 2000). <zurück>

3) Im Sinne der Unruhe im Begriff "Kultur der Kultur", von der Dirk BAECKER (2000, S.34) spricht. <zurück>

4) In einem Interview macht LUHMANN seinen Zettelkasten zum Koautor: "Ich denke ja nicht alles allein, sondern das geschieht weitgehend im Zettelkasten" (LUHMANN 1987, S.142). Auch Thomas MANN meinte, seine Buddenbrooks seien "geworden, nicht gemacht". Beim Schreiben, so scheint es, entsteht ein Geist, der dem Autor die Hand führt; ein Erzähler entsteht, der sich gegenüber dem Autor verselbständigt. <zurück>

5) Nur noch selten werden wissenschaftliche Texte als "Brief" gekennzeichnet (SCHELSKY 1980). Ein schönes Beispiel für einen publizierten "Brief" ist MERTONS Auf den Schultern von Riesen (MERTON nutzt die Gelegenheit der deutschen Übersetzung, seine Widmung zu erläutern – eine Regelverletzung, die in diesem Fall unproblematisch ist, weil das ganze Buch satirischen Charakter hat). <zurück>

6) So kann es befremdlich wirken, wenn sich in einer Dissertation die Formel findet: "... möchte ich der Soziologie eine ... Theorie an die Hand geben." – Zur Zitierweise der hier und im folgenden herangezogenen Beispiele: Meist wird der Autor des Zitats nicht genannt, nicht nur dann, wenn vermutet werden kann, dass dies für irgend jemand peinlich sein könnte. Dass es sich um ein Zitat handelt, wird dann durch Kursivsetzung kenntlich gemacht. Ohne Kursivsetzung ist das Zitat erfunden bzw. einem gefundenen Beispiel nachgebildet. <zurück>

7) BOURDIEU beginnt einige seiner Bücher mit "ich" – zweifellos kein persönliches "ich", sondern eine Anspielung auf seinen soziologischen Rang. Je bekannter ein Autor ist, desto selbstverständlicher kann er sein "ich" als bekannt im Sinne einer Autorenfigur voraussetzen. BOURDIEU kann sich sicher sein, dass der Leser den Autor schon "kennt". <zurück>

8) Obwohl richtig wäre: "WEBER hat geschrieben ..." bzw. noch richtiger: "Wenn wir Marianne glauben dürfen, hat WEBER geschrieben ..." – Und wer als Mann den Feminismus kritisieren will tut gut daran, sich auf eine feministische Kritikerin zu berufen. Oder ein männlicher Autor kann, im feministischen Kontext, die postmodernen Theorien über den Umweg kritisieren, den Feminismus zu warnen, mit der Adaptation dieser Theorien sich die männliche Herrschaft gleich wieder ins Haus zu holen (weil diese Theorien besonders deutlich Ausdruck männlich-hegemonialen Theorie-Denkens seien) (so BOURDIEU 1998). <zurück>

9) Es gibt in NABOKOVs Roman mehrere ineinander verschachtelte Perspektiven: die des Autors, der sich in einem Nachwort direkt an seine Leser wendet (da das Nachwort allerdings in späteren Auflagen zum Roman dazugehört ist nicht ganz klar, ob es sich hier um die wirkliche Person des Autors handelt oder nur um einen "Autor NABOKOV"); die Perspektive des Psychiaters, der das Vorwort schreibt, in dem er einen Bericht ankündigt; und die des Autors dieses Berichts, dem eigentlichen Ich-Erzähler des Romans, Humbert Humbert, der sich durch die Rahmenhandlung, die das Vorwort konstruiert, mit seinem Bericht an die "Geschworenen" richtet (und über diesen Umweg wendet sich "NABOKOV" mit der Stimme Humberts an den Leser). <zurück>

10) Aus dieser Forschungsrichtung stammt daher auch ein großer Teil jener Buchtitel, die ein Zitat aus einem Interview benutzen ("'... als das Wünschen noch geholfen hat.' Biographische Dimensionen des Glücks"). <zurück>

11) Die Psychologin kann natürlich ihre Theorien auf ihre eigene Psyche anwenden, der Ökonom kann seine Geldtheorie auf seine eigene Geldbörse übertragen – aber es würde in beiden Fällen nicht sehr weit führen, ihre Disziplinen mit den je eigenen Mitteln zu analysieren. Die Psychologie hat keine Psyche; die Ökonomie als Wissenschaftsdisziplin funktioniert nicht nach dem Marktprinzip. <zurück>

12) Dennoch war das Buch dort und damals (im Ungarn der 70er Jahre) insofern brisant, weil es die Angehörigen der Klasse der Intelligenz nicht als Sympathisanten der unterdrückten Klassen, sondern als strukturell Verbündete der herrschenden Parteiklasse und Staatsbürokratie darstellte. Es nahm den Intellektuellen den bequemen Mythos, sie seien die wahren Unterdrückten ("Dissidenten") im Sozialismus. Aber gerade diese Kritik nahm die Autoren aus der eigenen Analyse heraus und damit aus der politischen Schusslinie. <zurück>

13) "Auch dieses Buch ist weit davon entfernt, an jedem Punkt und in jeder Hinsicht gut durchdacht zu sein, denn schon seit Monaten 'muß es endlich fertig werden'." Es handelt sich ironischerweise um ein Buch über Werbung! <zurück>

14) Mit einem "Autorenkollektiv" lässt sich das Problem zwar umgehen, allerdings um welchen Preis? Oder mit einem Autoren-Paar; aber wie kann man dann wiederum falsche Assoziationen beim Leser verhindern, wenn etwa BERGER und BERGER über die Ehe, HAHN und BURKART über die Liebe, KOPPETSCH und BURKART über die Illusion der Emanzipation schreiben? <zurück>

15) Die xy-Hochschule "erwartet von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sensibilität in Gender-spezifischen Fragen". <zurück>

16) Vgl. dazu auch SCHÜTZE und HOLLSTEIN (2002), mit der Konzentration auf Widmungen. Insgesamt zu "Paratexten", d.h. den Texten, die den eigentlichen Text einrahmen (vom Titel bis zu den Fußnoten) vgl. GENETTE (1989). <zurück>

17) Zum Spannungsverhältnis von Originalität und Bescheidenheit vgl. erneut SCHÜTZE und HOLLSTEIN (2002). – Als ein schönes Beispiel für Ersteres das (insgesamt originelle) Buch von Hans Ulrich RECK, Zugeschriebene Wirklichkeit (1994). Der Autor geht sozusagen das ganze Register durch, er schreibt kein Vorwort, sondern ein Kapitel mit der Bezifferung 0 und dem Titel: "Motiv, Intention, Anspruch und Hintergrund einer aktuellen Medientheorie". Das Ganze ist etwa 30 Seiten lang und natürlich nicht nur ein Vorwort oder eine Selbstthematisierung, sondern auch eine Einleitung in das Thema. Aber es kommt auch viel Persönliches zum Ausdruck. Es gibt einen furiosen Beginn, wo gesagt wird, was die Arbeit alles nicht sei, zum Beispiel "nicht eine nach den peinlich einzuhaltenden formalen Regeln akademischer Gelehrsamkeit abgefasste enzyklopädische Darstellung"; auch nicht ein "Wissenschaftsepos" oder auch nicht ein "kommentierender Ideenroman". Es geht noch eine Weile so weiter, gefolgt von einer komplizierten Formulierung, was die Arbeit im positiven Sinne sei. Schließlich wird, einige Seiten später, gesagt, was die Arbeit auch ist, nämlich "eine strukturell auf Dauer angelegte Grundlagentheorie" (S. 33). <zurück>

18) PARSONS, SHILS und LAZARSFELD (1975); FLECK (1996); BOLTE und NEIDHARDT (1998). <zurück>

19) Ich verdanke diesen Hinweis auf ECO Angelika WERNICK. <zurück>

20) Man könnte einen einfachen Reputationsindex konstruieren: Sehr berühmte der in der Danksagung genannten Personen bekommen drei, weniger berühmte zwei, wenig berühmte einen Reputationspunkt. Die Gesamtpunkte müssen dann auf die Zahl der Nennungen bezogen werden. Dann würde Jürgen HABERMAS in seiner Theorie des kommunikativen Handelns (1981) einen Reputationsindex von 1.65 erreichen (48 Punkte, bei Nennung von 29 Personen), Kathleen GERSON (Hard Choices, 1985) trotz Nennung von 50 Personen dagegen nur einen Index von 1.25. <zurück>

21) Das antizipatorische Plagiat ist eine subtile Form, jemandem einen Gedanken zu entlocken und ihn dann zuerst auf dem Markt zu platzieren – oder besser noch: dafür zu sorgen, dass die Meinung entsteht, man sei der Erste auf dem Markt gewesen. Diese zweifelhafte Leistung gebührt hier MERTON, der in Auf den Schultern von Riesen (1980, S.32ff.) NEWTON in diesem Sinn angreift. <zurück>

22) Je länger die Koproduktion zurückliegt, desto mehr neigen Autoren dazu, ihren eigenen Anteil größer und gewichtiger zu machen als er tatsächlich war; dies um so mehr, je höher der soziologische Rang – gemäß einem allgemeinen psychologischen Mechanismus der Revision der persönlichen Erinnerung (GREENWALD 1980), der Konstruktion einer erfolgreichen Biographie. Diesen Hinweis verdanke ich Harald KÜNEMUND. <zurück>

23) Vgl. etwa PARSONS (1988) im Vorwort über seinen Assistenten LIDZ. <zurück>

24) NEGT und KLUGE gelten als die große Ausnahme, weil sie ihr Buch Geschichte und Eigensinn Satz für Satz zusammen geschrieben haben sollen. <zurück>

25) So wird, nach einem Bibel-Wort im Matthäus-Evangelium ("Wer hat dem wird gegeben") das in der Wissenschaftsforschung häufig bestätigte Faktum genannt, dass Wissenschaftler, die bereits Reputation besitzen, leichter noch mehr davon bekommen (vgl. MERTON 1975). <zurück>

26) Viele Untersuchungen beziehen sich auf die Naturwissenschaften, so etwa die Studie von COLE (1972) zum Matthäus-Effekt in der Physik. Siehe auch die anderen Beiträge in WEINGART (1972); FLECK (2000a). <zurück>

27) Vgl. zu dieser Kritik an der MERTON-Tradition auch BARNES und DOLBY (1972). <zurück>

28) Auch PARSONS und PLATT (1973) tendieren zu einer Idealisierung der "kognitiven Rationalität". An historischen Organisations- und Institutionsanalysen der Soziologie fehlt es gewiss nicht. Wir wissen eine Menge über die "Frankfurter Schule" oder über die Politik von DURKHEIM; persönliche Animositäten werden in aktuellen Auseinandersetzungen manchmal nur flüchtig getarnt, etwa beim Streit um die Max-WEBER-Gesamtausgabe. Auch Soziologie, das Organ der DGS, bietet hier immer wieder Anschauungsmaterial. Das alles bleibt für eine Radikalsoziologie jedoch unbefriedigend. <zurück>

29) Die folgenden Vermutungen sind natürlich gerade nicht belegbar, wenn meine Grundthese zutrifft. <zurück>

30) Apropos Geschlecht: Das wichtigste Problem ist die Segregation von Forschungsfeldern nach Geschlecht und nach Reputation der Felder. Frauen sollten daher, wenn sie ihre Karrierechancen erhöhen wollen, aus ihrer Forschungsterminologie das Label "Frauen-" oder "Geschlechterforschung" streichen. Vgl. zu diesen Fragen auch ALLMENDINGER (2000). <zurück>

31) Zur Frage, was in der Soziologie Devianz sein könnte, vgl. auch FLECK (2000b). Klar scheint zumindest eines: Relevante Devianz besteht gerade nicht in jenen Verhaltensweisen, die von Ethik-Kommissionen untersucht und kontrolliert werden, also etwa Betrug und Plagiat, Fälschung und Mobbing, Ausbeutung von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Täuschung von Interviewpartnern und Laborprobanden über die wahren Absichten der Forscher. Devianz ist eine praktisch wirksame Zuschreibung durch soziologische Herrschaftsinstanzen, nicht durch Moralinstanzen. <zurück>

32) Einige der folgenden Bemerkungen gehen zurück auf eine Rezension des Buches von SCHMEISER (1994) über den "akademischen Hasard" (BURKART 1995). SCHMEISERs historische Analyse bietet einige Ansatzpunkte für eine Analyse des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und dem Erreichen einer Professur. <zurück>

33) BOURDIEU und PASSERON (1971), BURKART (1990). <zurück>

34) Gar: sie hätten es auch mit weniger Anstrengung erreicht, mit Unterstützung aus dem Herkunftsmilieu. Oder, besonders unangenehm, wenn die soziologische Professur weniger bedeutet als das familial angestrebte Ziel (zum Beispiel Chefarzt, Staranwalt oder Großunternehmer). <zurück>

35) Falls sie – die Erfolgreichen, die bereits Inthronisierten – überhaupt nach einer solchen Erklärung suchen und sich bei ihnen nicht einfach der psychologische Effekt des charismatischen Übergangsrituals durchsetzt, die Zurück- und Draußengebliebenen zu vergessen, wenn sie als Stelleninhaber einen Reputations- und Machtzuwachs erleben (den sie wiederum ihren individuellen Fähigkeiten zuschreiben dürfen, und so rechtfertigt sich diese Ideologie gewissermaßen von selbst). <zurück>

36) Dem Versuch von "WUNDERLICH" (1993, S.71ff.), eine solche Kritik als Satire vorzutragen, fehlt es an der nötigen Schärfe, denn dort wird inhaltlich weniger gesagt als viele Leser aus eigener Erfahrung wissen oder als in Campus-Romanen zu lesen ist. <zurück>

37) "Entscheidungen werden oft als Ursachen ihrer Wirkungen angesehen" stellt LUHMANN (1993, S.87) fest, um dann auszuführen, dass mit dem kausalanalytischen Zugang ein wesentliches Element von Entscheidungen, nämlich eine gewisse Willkür der Wahl, nicht erfassbar sei; dazu brauche es paradoxe Denkfiguren. <zurück>

38) Vgl. dazu die Hinweise in Paragraph 5. <zurück>

Literatur

Allmendinger, Jutta (2000). Soziologie, Profession und Organisation. In Jutta Allmendinger (Hrsg.), Gute Gesellschaft. Verhandlungen des 30. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Köln 2000 (S.21-25). Opladen: Leske + Budrich.

Baecker, Dirk (2000). Wozu Kultur? Berlin: Kulturverlag Kadmos.

Barnes, S.B. & Dolby, R.G.A. (1972). Das wissenschaftliche Ethos: Ein abweichender Standpunkt. In Peter Weingart (Hrsg.), Wissenschaftssoziologie 1. Wissenschaftliche Entwicklung als sozialer Prozess. (S.263-286). Frankfurt/M.: Fischer Athenäum.

Berger, Brigitte & Berger, Peter L. (1984). In Verteidigung der bürgerlichen Familie. Frankfurt: Fischer.

Bolte, Karl Martin & Neidhard, Friedhelm (Hrsg.) (1998). Soziologie als Beruf. Erinnerungen westdeutscher Hochschulprofessoren der Nachkriegsgeneration. Soziale Welt, Sonderband 11, Baden-Baden: Nomos.

Bourdieu, Pierre (1986). Der Kampf um die symbolische Ordnung. Pierre Bourdieu im Gespräch mit Axel Honneth, Hermann Kocyba und Bernd Schwibs. Ästhetik und Kommunikation, 16(61/62), 142-164.

Bourdieu, Pierre (1988). Homo academicus. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Bourdieu, Pierre (1997). Méditations pascalienne. Paris: Seuil.

Bourdieu, Pierre (1998). La domination masculine. Paris: Seuil.

Bourdieu, Pierre & Passeron, Jean-Claude (1971). Die Illusion der Chancengleichheit. Stuttgart: Klett.

Bourdieu, Pierre & Wacquant, Loic J.D. (1996). Reflexive Anthropologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Burkart, Günter (1990). Statusentwicklung, Familienbildung und Bewusstseinsveränderung bei den Maturanten des Jahrgangs 1973 aus Kärnten. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 15(4), 71-86.

Burkart, Günter (1995). Glücksgöttinnen als Wegbereiter deutscher Professorenkarrieren? (Rezension von Martin Schmeiser: Akademischer Hasard. Das Berufsschicksal des Professors und das Schicksal der deutschen Universität 1870-1920. Eine verstehend soziologische Untersuchung. Stuttgart 1994) BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History, 8(2), 271-277.

Burkart, Günter (2002a). Entscheidung zur Elternschaft revisited. Was leistet der Entscheidungsbegriff für die Erklärung biographischer Übergänge? In Norbert F. Schneider & Heike Matthias-Bleck (Hrsg.), Elternschaft heute. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und individuelle Gestaltungsaufgaben (Zeitschrift für Familienforschung, Sonderheft 2) (S.23-48). Opladen: Leske und Budrich.

Burkart, Günter (2002b). Über die Unmöglichkeit einer Soziologie der Soziologie oder De nobis ipsis non silemus. In Günter Burkart & Jürgen Wolf (Hrsg), Lebenszeiten. Erkundungen zur Soziologie der Generationen. Martin Kohli zum 60. Geburtstag (S.457-478). Opladen: Leske und Budrich.

Cole, Stephen (1972). Wissenschaftliches Ansehen und die Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen. In Peter Weingart (Hrsg.), Wissenschaftssoziologie 1. Wissenschaftliche Entwicklung als sozialer Prozess (S.165-187) Frankfurt/M.: Fischer Athenäum.

Eco, Umberto (1999). Wie man mit einem Lachs verreist und andere nützliche Ratschläge. München: Hanser/dtv.

Fleck, Christian (Hrsg.) (1996). Wege zur Soziologie nach 1945. Autobiographische Notizen. Opladen: Leske und Budrich.

Fleck, Christian (Hrsg.) (2000a). Soziologische und historische Analysen der Sozialwissenschaften (Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Sonderband 5). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Fleck, Christian (2000b). Auf der Suche nach Anomalien, Devianz und Anomie in der Soziologie. In Christian Fleck (Hrsg.), Soziologische und historische Analysen der Sozialwissenschaften (Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Sonderband 5) (S.13-53). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Genette, Gérard (1989). Paratexte. Frankfurt/M.: Campus.

Gerson, Kathleen (1985). Hard choices: How women decide about work, career, and motherhood. Berkeley/Los Angeles: University of California Press.

Goffman, Erving (1980). Rahmenanalyse. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Greenwald, Anthony G. (1980). The totalitarian ego. Fabrication and revision of personal history. American Psychologist, 35, 603-618

Habermas, Jürgen (1981). Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Hahn, Kornelia & Burkart, Günter (Hrsg.) (2000). Grenzen und Grenzüberschreitungen der Liebe. Studien zur Soziologie intimer Beziehungen II. Opladen: Leske und Budrich.

Hofstadter, Douglas (1979). Gödel, Escher, Bach. Stuttgart: Klett-Cotta.

Kohli, Martin (1981). "Von uns selber schweigen wir". In Wolf Lepenies (Hrsg.), Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin (Bd. 1, S.428-465). Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Konrád, György & Ivan Szelényi (1980). Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Koppetsch, Cornelia & Burkart, Günter unter Mitarbeit von Maja S. Maier (1999). Die Illusion der Emanzipation. Zur Wirksamkeit latenter Geschlechtsnormen im Milieuvergleich. Konstanz: Universitätsverlag.

Leach, Edmund (1978). Kultur und Kommunikation. Zur Logik symbolischer Zusammenhänge. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Lepenies, Wolf (Hrsg.) (1981). Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin. 4 Bände. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Luhmann, Niklas (1970). Selbststeuerung der Wissenschaft. In Ders.: Soziologische Aufklärung (S.232-252). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Luhmann, Niklas (1987). Archimedes und wir (Interviews, hrsg. von Dirk Baecker & G. Stanitzek). Berlin: Merve.

Luhmann, Niklas (1993). Die Paradoxie des Entscheidens. Verwaltungsarchiv, 84, 287-310.

Merton, Robert K. (1980). Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit. Frankfurt/M.: Syndikat.

Merton, Robert K. (1985). Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Aufsätze zur Wissenschaftssoziologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Neckel, Sighart (2002). Ehrgeiz, Reputation und Bewährung. Zur Theoriegeschichte einer Soziologie des Erfolges. In Günter Burkart & Jürgen Wolf (Hrsg.), Lebenszeiten. Erkundungen zur Soziologie der Generationen. Martin Kohli zum 60. Geburtstag (S.103-117). Opladen: Leske und Budrich.

Negt, Oskar & Kluge, Alexander (1981). Geschichte und Eigensinn. Frankfurt/M.: Zweitausendeins.

Parsons, Talcott (1988). Gesellschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Parsons, Talcott; Shils, Edward & Lazarsfeld, Paul (1975). Soziologie – autobiographisch. Drei kritische Berichte zur Entwicklung einer Wissenschaft. Stuttgart: Enke.

Parsons, Talcott & Platt, Gerald M. (1973). The American University. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.

Pongs, Armin (1999/2000). In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Gesellschaftskonzepte im Vergleich (2 Bände). München: Dilemma.

Reck, Hans Ulrich (1994). Zugeschriebene Wirklichkeit. Alltagskultur, Design, Kunst, Film und Werbung im Brennpunkt von Medientheorie. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Roth, Wolff-Michael; Reichertz, Jo & Breuer, Franz (2002). Erfolgreich Sozialwissenschaft betreiben – Ethnographie der Karrierepolitiken einer Berufsgruppe. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research [On-line Journal], 3(3). Verfügbar über: http://www.qualitative-research.net/fqs/fqs-d/debate-2-d.htm.

Sahner, Heinz (Hrsg.) (2000). Soziologie als angewandte Aufklärung. Baden-Baden: Nomos.

Schmeiser, Martin (1994). Akademischer Hasard. Das Berufsschicksal des Professors und das Schicksal der deutschen Universität 1870-1920. Eine verstehend soziologische Untersuchung. Stuttgart: Klett-Cotta.

Schütze, Yvonne & Hollstein, Betina (2002). "Für C." – Widmungen in der Soziologie. In Günter Burkart, & Jürgen Wolf (Hrsg.), Lebenszeiten. Erkundungen zur Soziologie der Generationen. Martin Kohli zum 60. Geburtstag (S.437-455). Opladen: Leske und Budrich.

Weingart, Peter (Hrsg.) (1972). Wissenschaftssoziologie 1. Wissenschaftliche Entwicklung als sozialer Prozess. Frankfurt/M.: Fischer Athenäum.

Wunderlich, Otto (Hrsg.) (1993). Entfesselte Wissenschaft. Beiträge zur Wissenschaftsbetriebslehre. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Zum Autor

Günter BURKART, Professor für Soziologie an der Universität Lüneburg. Derzeitige Arbeitsschwerpunkte: Kultursoziologie, Familien- und Geschlechterforschung, Individualismus, Mobiltelefon, Körpersoziologie.

Kontakt:

Prof. Dr. Günter Burkart

Universität Lüneburg
D-21332 Lüneburg

E-Mail: burkart@uni-lueneburg.de

Zitation

Burkart, Günter (2003). Über den Sinn von Thematisierungstabus und die Unmöglichkeit einer soziologischen Analyse der Soziologie [46 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4(2), Art. 18, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0302181.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

Creative Common License

Creative Commons Attribution 4.0 International License