Volume 4, No. 2, Art. 13 – Mai 2003

Jugend – Jugendkultur – Techno

Benjamin Stingl

Review Essay:

Ronald Hitzler & Michaela Pfadenhauer (Hrsg.) (2001). Techno-Soziologie: Erkundungen einer Jugendkultur. Opladen: Leske + Buderich, 324 Seiten, ISBN 3-8100-2663-8, EUR 20.-

Zusammenfassung: Das zu besprechende Buch ist ein interdisziplinärer Sammelband zur Untersuchung der sog. Techno-Kultur. Mit der Konzentration auf Erklärungsansätze der sozialen "Entbettung" und Beschreibung einer Szene- und Eventkultur versäumt es der Sammelband, in der Breite stärkere Verbindungslinien zu Institutionalisierungs- und Selbstorganisationsprozessen Jugendlicher herzustellen und verfehlt damit z.T. sein Ziel, die Techno-Kultur von einseitigen Vorurteilen zu befreien.

Die Rezension versucht, unter Rekonstruktion von Paradigmen sozial- und kulturwissenschaftlicher Jugend- und Jugendkulturforschung einen Hintergrund zum Verständnis von Jugendkultur als zeitspezifischer Lösung jugendlicher Verhaltensunsicherheiten anzubieten.

Keywords: Jugend, Jugendforschung, Jugendbewegung, Jugendkultur, Techno, Szene, Generation, Protest

Inhaltsverzeichnis

1. Aspekte sozialwissenschaftlicher Jugendforschung: Die Entstrukturierung (der Theoreme) von Statusübergängen und jugendlichen Entwicklungsaufgaben

2. Jugendkulturen und Jugendkulturforschung im deutschsprachigen Raum: (theoretische) Verhaltensunsicherheit und zeitspezifische Lösungen

3. Forschungsansatz und Aufbau des Sammelbandes: Das Innenleben der Szene gegen die Vorurteile der Öffentlichkeit

4. Die (imaginären) Lösungen des Techno: Das dearrangierende Spiel mit sozialen Körper-Zeichen, das soziale Rearrangement im kooperativen Szenenetzwerk, der Rausch und der Stil (als Fetisch) (ausgewählte Beiträge)

5. Fazit: Die Grenzen des Events oder was bedeutet die Gesellschaft für die Jugendkultur?

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1. Aspekte sozialwissenschaftlicher Jugendforschung: Die Entstrukturierung (der Theoreme) von Statusübergängen und jugendlichen Entwicklungsaufgaben

Sozialwissenschaftliche Jugendforschung setzt ein, als die Voraussetzungen für die Entstehung von Jugend in unserer Gesellschaft zu verblassen beginnen. In stammesgesellschaftlichen Verhältnissen ist eine Jugendphase noch nicht erkennbar. In diesen Gesellschaftsformationen regeln Initiationsriten (zu bestehende Proben) innerhalb kürzester Zeit den Übergang vom Kind zum Erwachsenen. Die dadurch erreichte soziale Position wird bis an das Lebensende behalten, Veränderungen sind keine vorgesehen. Jugend als Lebensphase entsteht erst mit der stratifikatorischen Differenzierung der Gesellschaft. Jetzt bilden sich unterschiedliche Anforderungen und Ansprüche an Rollen der Erwachsenen aus. Die Jugend des Adels ist beispielsweise länger, weil Sprachen und höfische Etikette aufwändig eingeübt werden, die Jugend der Bürger ist kürzer, die Erlernung von Markt- und Bildungstugenden ist im Vergleich weniger anspruchsvoll, kurz ist die Jugend der Arbeiter, ein vorübergehender Ausbruch, der von intensiver Arbeit abgelöst wird. Allerdings ist es für Erwachsene und Jugendliche innerhalb der sich schließenden Klassenlagen jeweils noch relativ leicht erkennbar, was von ihnen erwartet wird. Die Anfänge der Jugendkunde im frühen 19. Jahrhundert richtete ihr Interesse demgemäß vornehmlich auf die Violinespielende Bürgertochter und besonders den gefährlichen Arbeiterjugendlichen. Fortschreitende Differenzierung von Milieus zog eine Entritualisierung von Statusübergängen nach sich. Riten, die einst den Endpunkt von Jugend markierten, wie z.B die Erlangung religiöser Reife, Wehrfähigkeit und Strafmündigkeit, die Aufnahme einer eigenständigen Arbeit und das Verlassen des Elternhauses, sowie die Gründung eines eigenen Hausstandes und die Heirat erfahren in dieser Form eine Entstrukturierung und fallen zeitlich immer seltener zusammen. Zwar führt die Einführung der Schulpflicht zunächst zu einer zentral staatlich festgelegten Normierung und Chronologisierung der Jugendphase, diese erfährt im Zuge von Bildungsexpansion und der Mehrgliedrigkeit des Schulsystems aber erneut eine Entstrukturierung (MITTERAUER 1986). [1]

Während in der vormodernen Gesellschaft Jugendliche noch die gleichen Erfahrungen wie die Erwachsenen machen; in der Familie, im Arbeitsleben, der Öffentlichkeit und Angelegenheiten der Staatlichkeit, stellt sich die Sozialstruktur in der modernen (funktional differenzierten) Gesellschaft auf Industrialisierung, Bürokratisierung und Anonymität um und bildet nun zunehmend einen Gegensatz zur Familie. Die gesellschaftliche Reproduktion hängt nicht mehr von Klasse und Stand ab, sondern vor allem vom Funktionieren der Wirtschaft. In diesem Zusammenhang entwickelt sich ein spezifisches Verständnis einer Generation als Summe aller ungefähr Gleichaltrigen eines Kulturkreises, die durch "eine schicksalsmäßig verwandte Lagerung bestimmter Individuen im ökonomisch-machtmäßigen Gefüge der jeweiligen Gesellschaft" verbunden sind und die die älteren Kulturträger ablösen (HERRMANN 2001, S.31ff., MANNHEIM 1968, S.34). Der Lagerung der Generationen inhärent ist dann die Möglichkeit sozialen Wandels, welcher über Tradierung und Distanzierung der kulturellen Inhalte läuft. So beobachtet Siegfried BERNFELD bereits im Jahr der Inflation 1923 eine spezifisch männliche Form der Pubertät als eine "gestreckte Pubertät", die sich von anderen Jugendformen unterscheidet und wirft damit die zentrale Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Dynamik der Adoleszenz und dem Wandel der Kultur auf.

"Diese Jugend ist von direkter, aktiver kultureller Bedeutung, einerlei ob man sie gegebenenfalls für förderlich oder für schädlich erklärt; denn sie nimmt an den Inhalten der Kultur und an ihren Veränderungen teil. Das Kulturgebiet, an dem sie beteiligt ist, war nicht zu allen Zeiten das gleiche: Religion, Politik, Kunst, Wissenschaft, 'Geselliges Leben', Sport und dgl. mehr (...) mögen abwechselnd oder gleichzeitig davon betroffen sein." (BERNFELD 1923, S.756) [2]

Im deutschsprachigen Raum hat sich ein Jugendkonzept durchgesetzt, das mit dem Begriff der "Statuspassage" bezeichnet wurde. Verbunden damit war die Vorstellung von Jugend als einer Passage von der Kindheit in eine sozial festgelegte Rolle des Erwachsenen, von einer Phase, die einen Schonraum für Selbstfindung und Selbsterprobung zur Vorbereitung auf spezifische Aufgaben des Erwachsenseins bereitstellen sollte. Die amerikanische, struktur-funktionalistische Lesart von Jugend als lineare Abfolge eines Sozialisationsprozesses unter Internalisierung kultureller Normensysteme von der Herkunftsfamilie über die Schule, mit der Einbindung in eine Gruppe von Gleichaltrigen (peer-group), der Einbindung in ein Ausbildungssystem hin zum Ankommen in einer neuen Zeugungsfamilie und einer Verankerung in einer klar verorteten Gemeinschaft brachte dieses Konzept noch optimistisch in Anschlag, als soziale Strukturkonflikte längst für erhebliche Verhaltensunsicherheiten unter Jugendlichen sorgten (LINDNER 1981, PARSONS 1968). [3]

Eine beliebte entwicklungspsychologische Begleitmusik lieferte dazu das Konzept der sog. Entwicklungsaufgaben. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben (HAVIGHURST 1948, 1956, 1973) ging davon aus, dass die verschiedenen Anforderungen, die in einem bestimmtem Lebensabschnitt erfüllt werden müssen, durch eine besondere Kombination von inner-biologischen, sozio-kulturellen und psychologischen Einflüssen erwachsen. Das Konzept besagte, dass Menschen innerhalb bestimmter Zeitabschnitte bestimmte Anforderungen erfüllen müssen, deren erfolgreiche Bewältigung zu Glück und Erfolg bei später gestellten Entwicklungsaufgaben beitrage, während Misserfolg zu Unglück des Individuums, zu Missbilligung von Seiten der Gesellschaft und zu Schwierigkeiten bei der Bewältigung späterer Aufgaben führen könne (vgl. die strukturelle Verwandtschaft zum Identitätskonzept ERIKSONs 1973). Zu den Aufgaben für 12-18jährige Jugendliche zählte nach damaliger Auffassung z.B. das Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung und effektive Nutzung des Körpers, der Erwerb von männlichen resp. weiblichen Rollen, das Anstreben emotionaler und wirtschaftlicher Unabhängigkeit von den Eltern und Einleitung einer beruflichen Karriere samt der Entwicklung der dafür notwendigen intellektuellen Kompetenzen für ein "bürgerliches Auskommen" und der Erwerb und Aufbau eines Wertsystems für ein sozial-verantwortliches Verhalten auch als Basis der Vorbereitung auf Heirat und Familienleben. Dass das Konzept eher kulturrelativ und historisch zu verstehen ist, zeigte sich später, als nach Vorversuchen bei Schülern der 9. und 10. Klassen in München der Aufgabenkatalog leicht revidiert wurde und weitere Aufgaben hinzugenommen wurden. Neu hinzu zählten jetzt die Aufnahme und der Aufbau intimer Beziehungen, die Entwicklung einer Identität und die Errichtung einer Zukunftsperspektive. Bei Entwicklungsaufgaben, die die Jugendlichen selber nennen konnten, wurde insbesondere die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, besonders der Selbständigkeit, Selbstsicherheit und Selbstkontrolle genannt (DREHER & DREHER 1985, 1991). Eine weitere, pädagogisch wertvolle Entwicklungsaufgabe wurde zeitgleich in der Entwicklung der Nutzung des Konsumwarenmarktes und des kulturellen Freizeitmarktes (einschließlich Medien und Genussmitteln) postuliert, mit dem Ziel, einen eigenen Lebensstil zu entwickeln und zu einem autonom gesteuerten und Bedürfnisorientierten Umgang mit den entsprechenden Angeboten zu kommen (HURRELMANN, ROSEWITZ & WOLF 1985). [4]

Das traditionelle Konzept der Entwicklungsaufgaben suggerierte allerdings, dass es jemanden gibt, der die Aufgaben stellt und ihre Erfüllung fordert (FLAMMER 1991). Wenn es um die soziale Basis der Entwicklungsaufgaben geht, bleibt die Frage bestehen, wer die Aufgaben stellt oder die Ziele zumindest widerspruchsfrei sozial repräsentiert, wie es um die allgemeine Akzeptanz dieser Aufgaben in einer gegebenen Zeit bestellt ist und wie das soziale Umfeld auf Erfüllung, Nichterfüllung und verspätete Erfüllung von Entwicklungsaufgaben überhaupt reagiert. Der Wunsch der Jugendlichen nach Erreichung des Aufgabenzieles der Selbstkontrolle ist also auch im Zusammenhang damit zu sehen, dass Entwicklungsfortschritt weitestgehend undurchsichtig bleibt und es kaum Indikatoren gibt, die unzweifelhaft über den Fortschritt der Entwicklung Auskunft geben. Die Bedingungen, die tatsächlich für die eigene Entwicklung relevant sind, sind hochgradig komplex strukturiert. Selbst unter optimalen Bedingungen kann niemand volle Einsicht in einem angemessenen Zeitraum gewinnen. In Zeiten, die durch Effekte von Kriegen und raschem technologischen Wandel, insbesondere durch einen explosionsartigen Anstieg von Kommunikationsmöglichkeiten geprägt sind, verschärft sich diese Situation noch einmal (MCCLUSKEY & REESE 1984). [5]

2. Jugendkulturen und Jugendkulturforschung im deutschsprachigen Raum: (theoretische) Verhaltensunsicherheit und zeitspezifische Lösungen

Jugendbewegungen und Jugendkulturen können als zeitgeschichtliche Versuche der Jugend gedeutet werden, für die o.g. Probleme der Orientierung und Verhaltensunsicherheit eine Lösung zu finden. Mit der Sichtbarkeit einer Jugendgeneration in einem kollektiven Zusammenschluss, wird es auch leichter möglich, dieser ein Protestpotential zuzuschreiben. Von der Generation der Wandervogelbewegung und der Jugendbewegung zur Generation der politischen Jugend (WYNEKEN 1928, AUFMUTH 1979, KLÖNNE 1995), über die sog. skeptische Generation und Generation der Halbstarken und 68er (SCHELSKY 1956, FISCHER-KOWALSKI 1983, DOWE 1986, LINDNER 1996), immer ließen sich Ablehnung gegen Orientierungen von Erwachsenen und Protest gegen gesellschaftliche Entwicklungen identifizieren. Die Flucht aufs Land der Wandervogelbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Zusammenhang mit der Industrialisierung und Kommerzialisierung der Städte gebracht. Die Phase nach dem Ende des ersten Weltkrieges, der die Jugendbewegung unterbrochen hatte, war dann von politischen Gegensätzen zwischen organisiertem Kapitalismus und der Arbeiterbewegung geprägt. Diese führten zu einem hohen Maß an wirtschaftlicher und sozialer Dysfunktionalität und zu einer ideologischen Verunsicherung des Bürgertums. Die Jugend sah man in diese innere Polarisierung einbezogen und mit der Idee eines Jungenstaates geriet diese in eine symbolische Nähe zum Nationalsozialismus, für den es später einfach war, die Leitbegriffe der Bewegung in die der eigenen Ideologie zu überführen. Verschiedene Ausprägungen von Tendenzen der Abgrenzung oder Protesthaltungen von Jugendkulturen wurden seither versucht, innerhalb verschiedener jugendlicher Wahrnehmungszusammenhänge und unterschiedlichen Erfahrungsräume zu rekonstruieren (KÖHLER 2002, S.7ff., KOSELLECK 1989, S.354f.). Die Entstehung des Nationalsozialismus und seine Folgen etablieren ein intergenerationelles Trauma gestörter Beziehungsfundamente, das die Erfahrungsräume von Jugend seit dem Ende des zweiten Weltkrieg entscheidend geprägt hat. So wurden die Halbstarkenkrawalle zunächst als Reaktion auf eine von gesellschaftlichen Verdrängungen und Verengungen gekennzeichnete Phase der Restauration gedeutet. Im technisch gestützten Medium des Rock 'n' Roll begann sich "Jugend zu verselbständigen". Im Wahrnehmungszusammenhang der 68er wurde dann ein zukünftig für Jugend zunehmend wichtiger Aspekt thematisiert, die Perspektive auf die Arbeit in der Gesellschaft. Kritik erfuhren die Entwertung geistiger Arbeit als Folge technischer Modernisierung und die Kontinuitäten des Faschismus besonders im Protest gegen die Ordinarienuniversität. Bei allen politischen Wendungen jedoch wurde vor allem die Umstellung von normativen auf kognitive Erwartungen eingefordert. Damit einher geht ein Stil sozialen Experimentierens, der sich auf neue Erfahrungen einlässt (Sexualität, Gewalt, Rausch). Diese "blinden Flecken der Erwachsenenkultur" bilden Leitmotive und Dauerchancen für jeden zukünftigen Jugendprotest, weil sie in sich keinen Anhalt zur Beobachtung bieten und damit in der Kommunikation keine Lösungen für sie gefunden werden können. Es lässt sich zwar hoch assoziativ über sie räsonieren, aber da diese Phänomene sozial zwischen Regulierung und Nicht-Regulierung oszillieren, bleibt meist unklar, wie sie wirklich beschaffen sind (HERRMANN 2001, S.41f., CLAUSEN 1994, S.111f.). [6]

Unabhängig von disziplinären Schwerpunkten und Zugängen stand jede Jugend- und insbesondere die Jugendkulturforschung bei der Rekonstruktion von jugendlichen Erfahrungsräumen also vor einer Problematik, die sich aus der Differenz verschiedener Sichtweisen ergab. Einerseits lief die Annahme mit, dass es einen bestimmbaren Zustand des Erwachsenseins gibt, auf den hin sich Jugendliche zu bewegen. Andererseits wurde auch angenommen, dass Jugendliche, die in die Erwachsenenwelt hineinwachsen, eine Veränderung bewirken. Das Paradox der "guided reinvention" (LOCK 1980) der Kultur und Gesellschaft durch die Jugend wirft immer auch die Frage des Zusammenhangs sozialen Wandels und der Reaktion der Jugend auf diesen Wandel auf. Für die Forschungsdesigns der Jugendkulturforschung erfordert dies eine Entscheidung, ob sie sich auf beschreibende Ansätze beschränken, welche dokumentieren, wie Jugend zu gegebenen Zeitpunkten an gegebenen Orten agiert, oder ob sie etwaig auch eine theoretische Perspektive in Anschlag bringen, mit deren Hilfe dann sozial-strukturelle Gegebenheiten oder Veränderungen als Ursachen jugendlichen Verhaltens plausibilisiert werden (MERKENS 2002, S.5ff.). [7]

Die (Sub-) Kultur-Analyse des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham (z.B. BRAKE 1985, CLARKE et al. 1976) verortete z.B. das Aufkommen von unterschiedlichen jugendlichen Erlebniszusammenhängen unter Berücksichtigung klassenspezifischer Herkunftskulturen und versuchte die Beziehung von jugendlichen Sub- und Gegenkulturen und kulturindustriell beeinflussten Jugendkulturen als gegenseitiges Spannungsverhältnis zu interpretieren. Die hegemonial operationalisierte Jugendfreizeitkultur lieferte Subkulturen einerseits ein kulturelles Spielmaterial, aus dem diese oppositionelle Bedeutungen herausarbeiteten. Dieser Deutung nach wurden Jugendliche nicht als Opfer eines omnipräsenten Konsumzwanges gesehen, sondern als aktive Gestalter kulturellen und gesellschaftlichen Wandels. Andererseits gelingt es jedoch den kulturindustriell erzeugten Jugendkulturen, die subkulturellen Gruppenstile zu reintegrieren, indem sie oppositionelle stilistische Neuerungen aufgreifen, abmildern und als Innovationen neu auf den Markt bringen. Der kulturtheoretische Ansatz des CCCS fand insbesondere in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Eingang in die westdeutschen Kinder- und Jugendkulturforschung und eine Reihe von empirischen Jugendkulturstudien (THOLE 2001, S.3, BAACKE & FERCHHOFF 1993). [8]

Daneben versuchte die hiesige Jugendkulturforschung in Fortführung des sog. sozialökologischen Ansatzes (BRONFENBRENNER 1977, 1981), Entwicklungsprozesse Jugendlicher in Beziehung zu personalen und sozialen Ressourcen vor allem im Mikrobereich der Gesellschaft zu verorten. Dieser teilt die räumliche und soziale Umwelt von Jugendlichen in Zonen ein, die als konzentrische Kreise um ein sozialökologisches Zentrum, die Familie, gruppiert sind. Durch die Einteilung in die Handlungsräume eines nachbarschaftlichen Nahraums, vergrößerter Ausschnitte wie etwa die Schule, Vereine und die Konsumsphären der Kaufhäuser und eine Peripherie als Zone vereinzelter Kontakte, in der auch Veranstaltungen jugendkulturellen Charakters als zeitweilige Alternativen und Abwechslungen stattfinden, versuchte sie neben der Beschreibung der Handlungsräume auch die mesosystemischen Wechselbeziehungen zwischen Schule, Eltern und Peer-Group in den Focus zu nehmen und weitere exo- und makrosystemische Einflüsse wie ökonomische, politische, mediale und nicht zuletzt weltanschaulich-ideologische zu berücksichtigen. Um die generellen Funktionen jugendkultureller Szenenbildung aufzuzeigen, fragte Dieter BAACKE (1993) z.B. nach dem Grad der Konnexität und möglichen Intimität in den Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen sozialökologischen Zonen und nach den Mechanismen der gesellschaftlichen Konstruktion von Werten. Seiner Ansicht nach traten hier verstärkt Brüche auf. Jugendliche erfuhren ihren Lebenszusammenhang zunehmend widersprüchlich im Hinblick auf divergierende Erziehungs- und Bildungsanforderungen, Lebensstile und Medieninhalte. In Jugendkulturen wurde dann versucht, über Stile, Mode und Meinungen diese Erfahrungen wiederzugeben. Eine durch Rollenanforderungen in den unterschiedlichen Zonen eingeschränkte Intimität und Erlebnisfülle kann nach dieser Lesart in den Jugendkulturen vervollständigt werden. Diese böten auch eine Plattform, auf der sich Jugendliche selbst zum Thema machen und altersspezifische Thematiken und Bedürfnisse artikuliert und Fähigkeiten eingebracht werden können. Gesellschaftliche Wert- und Normsetzungen würden in Jugendkulturen hinterfragt, kritisiert oder negiert. Die dort übernommen Rollen seien in der Hauptsache weniger institutionalisierte Situationsrollen, sondern Rollen, denen ein konsumptiver Charakter im Gegensatz zu den Sozialisationssystemen zueigen ist. Die nicht institutionalisierten Situationsrollen produzierten Wertsetzungen, die sich durch Kreativität, Genuss, Experimentierfreudigkeit auszeichneten, oder auch lediglich einem Hedonismus in Reinkultur glichen (MÜLLER-BACHMANN 2002, S.133ff., BAACKE 1993a, 1993b, 1994, 1999). [9]

Das Theorieangebot der Cultural Studies, insbesondere der Schwerpunkt der Behandlung von Stilphänomenen bescherte der hiesigen Jugendkulturforschung einen sehr flexiblen Deutungsrahmen. Die Syntheseleistung dieses Angebots hatte darin bestanden, ethnologische, linguistische und semiotische Forschungsansätze strukturalistischer Provenienz mit materialistischen Überlegungen so zu kombinieren, dass daraus eine elegante Argumentationslinie entstand: Die Regelhaftigkeit der Kodes aller sprachlichen und außersprachlichen Diskurssysteme repräsentieren die Interessen herrschender Allianzen gesellschaftlicher Gruppierungen. Somit eignete sich abweichender Zeichengebrauch für eine Praxis des Aufbegehrens durch Stil. Die Verletzungen von Kodes und Regeln sind eine Provokation, durch das Anderssein lässt sich Identifikation gewinnen aber auch Unruhe stiften. Gleichzeitig bedeutet die Verletzbarkeit von Kodes auch die Möglichkeit der Reflexion auf die angegriffenen Diskurssysteme. In detaillierten ethnographischen Studien wurde versucht, Verbindungen zwischen dem Stil von Jugendsubkulturen und dessen Verhältnissen z.B. zur Elternkultur herauszuarbeiten. Nach Ansicht der Forscher zeigte sich sowohl das Bedürfnis, Unabhängigkeit und Verschiedenheit von der Elternkultur auszudrücken als auch das Bedürfnis, die elterliche Identifikation zu wahren. Der Stil eignete sich sowohl dafür, verborgene oder ungelöst in der Elternkultur verbliebene Widersprüche auszudrücken, als auch magisch zu lösen. Nahezu alle Themen des Erwachsenwerdens fanden sich hier in die Praxis des Stils übersetzt: Herkunfts- und Sexualängste, Spannungen zwischen Konformität und Abweichung, Familie und Schule, Arbeit und Freizeit. Aber auch Reaktionen auf den Einfluss der Massenmedien wurden unter diesen Vorzeichen lesbar: Das sich selbst perpetuierende Krisengerede der Medien wurde z.B. vom Punk stilistisch vereinnahmt und in sichtbare Begriffe übersetzt. Die künstliche Zusammenstellung von Kleidern und Emblemen durch Jugendkulturen (Bricolage) bedeutete die Möglichkeit zur symbolischen Attacke oder der Affirmation des sozialen Systems der Unterscheidungen, in dem die verwendeten Kleider jeweils ihren normierten Kontext hatten. Auf diese Weise konnte man empören, als Zeichenguerillero verwirren und durch Konservierung eines bestimmten Kleiderstils eine ausgewählte historische gesellschaftliche Position fetischisieren. (HEBDIGE 1983) [10]

Die in Deutschland öffentlich registrierten Jugendkulturen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre, "Punk", "Waver" und "Popper" ließen sich in ihrer wechselseitigen Ausschließlichkeit mit diesem Ansatz formal noch gut beschreiben, aber die in der Folge eintretende "Explosion der Stile" (RICHARD 1987) bereitet der Jugendkulturforschung einige Probleme. Weitestgehende Einigkeit besteht seither über die Wichtigkeit der Rolle der Medien. Argumentiert wird, durch eine beschleunigte Vereinnahmung, Manipulation und Vermittlung und damit Ausdifferenzierung von Jugendkulturen und deren Stilen kommt es zu einer Koexistenz von Subversion und Kommerz, d.h. ein Großteil der Jugendkulturen beziehe Marken und Signets von vornherein in die symbolische Arbeit mit ein (RICHARD 1995, VOLLBRECHT 1995). In Aufnahme des Lebensstilansatzes handelte man sich aber auch Schwierigkeiten ein, umstritten bleibt, inwieweit diese so genannten "Stile" und die Lebensstilführung von der sozialen Lage abgekoppelt zu sehen sind und was jenes für den Analysezusammenhang von Jugendkulturen bedeutet. Ungesicherte Prämisse der Vertreter dieses Ansatzes ist, dass ein Modernisierungsschub in den letzten Jahrzehnten mit einem kollektiven Zuwachs an Geld, Freizeit und Bildung, automatisch die Handlungsspielräume eröffnet haben soll, die Akteure dazu befähigt, ihre Lebensweise bewusster und selbständig zu gestalten. Ein Einwand könnte aber lauten, dass Methoden der Werbung und Wirtschaft auch informiert durch die clusternden Methoden eben dieses Zweiges der Sozialwissenschaft und verstärkt durch mediale Vermittlung zu einer stärkeren Fokussierung und Segmentierung dieses Wahrnehmungszusammenhanges beigetragen haben, der zwar wirkmächtig, aber dennoch ein Artefakt ist und wenig Erklärungskraft besitzt. Denn die Ursachen, Entstehungsprozesse und Dispositionen des Verhaltens werden hier ausgeblendet, aber gleichzeitig eine zunehmende selbstbestimmte Wahlfreiheit der Lebensführung unterstellt (MEYER 2001, S.262f.). Daneben führt die Individualisierungsannahme durch exklusive Berufung auf makrosoziologische Theoreme wie die der Individualisierung und Entbettung mit der Betonung von Intensivierung von Ästhetisierung und Subjektivierung zu Fehlschlüssen: Die Aufstiegsdynamik des Modernisierungsschubes ist bereits seit Beginn der 80er Jahre beendet und die Dynamiken sozialer Schließung nehmen zu. Es existieren vermehrt soziale Absteiger, und die Zahl derer, die ihre berufliche Stellung mehrmals in gegenläufiger Richtung wechseln mussten, nahm zu. Solche Forschungsergebnisse lassen sich jedoch nur in der Betrachtung von Lebensverläufen in der Abfolge von Generationen und Kohorten fundieren. In der Auswertung narrativer Interviews, in denen Aussagen der Eltern- und Kindergenerationen verglichen wurden, zeigten sich folgenreiche Brüche in den Tradierungen von Habitusschemata. Im spannungsreichen Wandel von Mentalitäten ist also ein spezifischer Begründungszusammenhang für die Entstehung und die Phänomenologie von Jugendkulturen zu vermuten. Es stellt sich die Frage der jugendlichen Identität besonders unter den Vorzeichen der Spannung zwischen einst (z.B. von den Eltern) erworbenen Dispositionen, Austauschprozessen, bei denen die fiktionale und soziale Welt von Medien im Akt der Aneignung mit der eigenen Lebenswelt zu einer Einheit verschmelzen und der Emergenz eines neuen kulturellen Selbstverständnisses (VESTER, von OERTZEN, GEILING, HERMANN & MÜLLER 2001, S.145f., S.324f., MIKOS 1994, S.398). VESTER et al. sprechen bei diesem kulturellen Selbstverständnis von einer integrierenden Funktion einer "Individualisierungsideologie" einer pluralisierten, aber im Kern fortbestehenden Klassengesellschaft, die über alle Mentalitätstypen ihrer untersuchten Sozialmilieus hinweg die Sozialbindungen motivieren: Dazu zählt ein Recht auf individuelle Besonderheit, dass sich gegen Konformitätszwänge traditioneller Milieus richtet, das Streben nach Authentizität gegenüber gesellschaftlicher Standardisierungen, die Suche nach Selbstbestätigung gegenüber Erfahrungen der Anomie und Ausgrenzung, der Wunsch nach Entpflichtung von verordneten Solidaritäten und Normen, der aber auch die Bereitschaft zu eigener Verantwortung, Disziplin und Leistung einschließt, der Wunsch nach Teilhabe an sinnstiftender Arbeit, an Familie, an Gemeinschaftserlebnissen, an Kultur, an gesellschaftspolitischer Mitbestimmung jenseits der Trennung verschiedener Sphären sowie die hohe Wertschätzung kulturellen Kapitals (S.367). [11]

Für die Analyse von Techno kann eine Frage also lauten, wie es möglich ist, wie in diesem, auf jugendlicher Seite genauer zu bestimmenden, Gemengelage der Orientierungen eine Jugendkultur eine bestimmte Form annehmen kann. Die nicht zu unterschätzende Aufgabe der Jugendkulturforschung ist es dabei, wie unter diesen Vorzeichen die Präsenz diskontinuierlicher und heterogener formaler Prozesse im historischen Text einer Jugendkultur als sedimentierte Überbleibsel älterer, aktuell nebeneinander vorhandener oder antizipierter "kultureller Produktionsweisen" oder "Programmierungen" auch in ihrer Bedeutung für Jugendliche dekodiert werden können. In dieser strukturellen Kombinatorik zwischen Text und Kontext kann also keine einfache Kausalität zwischen einer verkürzenden Gesellschaftstheorie und der Phänomenologie einer Jugendkultur hergestellt werden, es muss auch der Umweg über die Geschichte als "abwesende Ursache" gegangen werden, d.h.

"die semantischen Ausgangsmaterialien des sozialen Lebens und der Sprache, die Zwänge gesellschaftlicher Widersprüche, die Schnittpunkte (...) der Historizität der Strukturen von Gefühl und Wahrnehmung und grundlegend von körperlicher Erfahrung, ferner die Konstitution von Psyche bzw. Subjekt, schließlich die Entwicklungsdynamik sowie die spezifischen Zeitrhythmen von Geschichtlichkeit" müssen berücksichtigt werden (JAMESON 1988, S.88 u. S.142f.). [12]

3. Forschungsansatz und Aufbau des Sammelbandes: Das Innenleben der Szene gegen die Vorurteile der Öffentlichkeit

Der von Ronald HITZLER und Michaela PFADENHAUER herausgegebene Sammelband "Techno-Soziologie" sieht seine Aufgabe zunächst primär darin, das durchschnittliche Wissen der Zeit- und Fachgenossen über die Jugendkultur des Techno sozialwissenschaftlich und mithilfe benachbarter Disziplinen zu verbreitern und damit von einseitigen Vorurteilen zu befreien. Die Reduktion von Techno auf ohrenbetäubende Musik, nichtendenwollende Partys und exzessiven Drogenkonsum lieferte nach Ansicht der Herausgeber bisher ein Zerrbild einer Jugendkultur als einer kommerziell interessierten Verdummung junger Menschen. Hervorgegangenen ist der Band u.a. aus der Zusammenarbeit HITZLERs mit dem Soziologen Winfried GEBHARDT und dem Professor für Betriebswirtschaftslehre, Franz LIEBL, im Kontext des kultursoziologischen und betriebswirtschaftlichen Forschungsprojekts "Szene-Entwicklung und Szene-Events". [13]

Trotz der interdisziplinären Ausrichtung des Sammelbandes tritt HITZLER auch mit dem soziologischen Anspruch des Erklärens an, indem er einen Zusammenhang zwischen Prozessen des sozialen Wandels und der Erscheinungsform der Technokultur postuliert. In seinem in den Band einleitenden Beitrag "Erlebniswelt Techno: Aspekte einer Jugendkultur" macht HITZLER seine zunächst mit den wichtigsten Begriffen des Techno-Diskurses vertraut und gibt Hinweise auf die einschlägige Literatur auf diesem Gebiet. Seine Ausführungen zentrieren sich dabei um den Begriff der "Techno-Szene". Szenen bilden sich nach seinem Verständnis vor dem Hintergrund von Umstrukturierungen des sozialen Lebens im Zuge von Pluralisierungs- und Individualisierungsprozessen. Es entwickelten und vermehrten sich neuartige Vergemeinschaftungsformen, deren wesentlichstes Kennzeichen darin bestehe, dass sie nicht mit den herkömmlichen Verbindlichkeitsansprüchen einhergehen, sondern dass sie in einer – typischerweise nicht-exkludierenden – Verführung hochgradig individualitätsbedachter Einzelner zur (grundsätzlich partiellen) habituellen, intellektuellen, affektuellen und vor allem ästhetischen Gesinnungsgenossenschaft wurzelten. Solche als "posttraditional" etikettierten Vergemeinschaftungsformen seien die Basis zur Ausbildung von Szenen: Thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und die Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln (HITZLER 2002). In Abgrenzung zu einer "traditionalen Gemeinschaft", in der sowohl Integrations- als auch Distinktionsbestrebungen der Mitglieder auf die Etablierung eines klar definierten und geregelten Innen-Außen-Verhältnisses abzielt, postuliert HITZLER für Techno lauter "eigene" Gemeinschaften, die abhängig vom individuellen Standort und Bezugspunkt nur den engsten Freundeskreis umfassen und in deren Begleitung und Schutz man sich dem Partyvergnügen hingibt. Gleichzeitig existiert die Idee einer dislozierten Techno-Gemeinschaft, derzufolge es anscheinend völlig irrelevant ist, woher die Raver bei einem Event zusammenkommen. Zur internen Differenzierung der Szene trägt die Ausbildung einer Organisationselite bei, die auf vielfältige Arten und Weisen die finanziellen Ressourcen beschafft, die über Eintrittsgelder hinaus für die Planung, Koordinierung und Durchführung von Technoveranstaltungen unabdingbar sind. [14]

Der Sammelband gliedert sich in insgesamt sechs Kapitel. Mit der theoretischen Ausrichtung auf den Szene- und damit der Betonung eines Eventgedankens ist diesem unter der Überschrift "Techno-Events" das erste Kapitel gewidmet. Hier findet sich neben einer Ethnographie von Julia WERNER zu Clubabenden der Berliner-Techno-Szene ein Beitrag von Oliver DUMKE, der Form und Funktion von Gottesdiensten mit Techno-Events vergleicht, ein Beitrag von Erik MEYER, der der Technobewegung im Zusammenhang mit der Loveparade mit dem begrifflichen Instrumentarium einer politischen Soziologie untersucht und ein Aufsatz von Winfried GEBHARDT, der WAGNERianer und Technoide zueinander in Beziehung setzt. Das zweite Kapitel "Techno-Identität" versammelt Beiträge, die die stärksten Verbindungslinien zu den hier von mir eingangs skizzierten Aspekten sozialwissenschaftlicher Jugend- und Jugendkulturforschung aufweisen. Michael CORSTEN versucht, für das Geflecht der Technoszene eine spezifische symbolische Ordnung der Teilnehmer freizulegen, während Barbara STAUBER im Kontext traditioneller Übergänge zwischen Jugend und Erwachsensein eine technospezifische Lektüre der dort vorgefundenen symbolischen "Riten" verfolgt. Holger HERMA schließlich sucht in seinem Beitrag "Generationelle Erfahrung und kollektive Mentalität: Techno als historischer Kommentar" für die Technobewegung den historischen Anschluss an jugendliche Wahrnehmungszusammenhänge seit den 68ern. Das dritte Kapital "Techno-Tanz-Musik" beinhaltet jeweils einen Artikel zur Phänomenologie des Techno-Tanzes und der Techno-Musik. Gabriele KLEIN vertritt in ihrem Beitrag u.a. die These, dass der Tanz der Rave-Kultur der Lust am Erleben der körperlichen Physis in einer Zeit gleichkommt, in der diese für den Arbeitsprozess immer unwichtiger würde. Ansgar JERRENTRUPs kenntnisreicher Beitrag zur Produktion, Ästhetik und Wirkung von Techno-Musik überzeugt vor allem in der Erläuterung der Besonderheiten der rhythmisch-metrischen Gestaltung des Techno und dessen Wirkung auf die Tänzer bei entsprechender elektronischer Verstärkung. Im folgenden Kapitel unter der Überschrift "Techno-Drogen" berichtet Artur SCHROERS über Erkenntnisse der Drogentrendforschung im Zusammenhang des Drogengebrauchs in der Techno-Szene. Das fünfte Kapitel bildet mit dem Titel "Techno-Videos" einen medienwissenschaftlichen Exkurs. Michaela PFADENHAUER liefert in ihrem Beitrag eine Ikonographie von Techno-Videos und deren jeweils abweichende Rezeption durch unterschiedliche Gruppen. Mit Mitteln der Bildinhaltsanalyse und einer hermeneutischen Wissenssoziologie rekonstruiert Jo REICHERTZ anhand eines Techno-Videos die Inszenierungspraxis von Techno-Events. Das abschließende, sechste Kapitel mit der Überschrift "Techno-Codes" versammelt Einschätzungen zur Ästhetik und zu Stilbildungen innerhalb des Techno. Hier veröffentlichen Waldemar VOGELSANG, Birgit RICHARD und Franz LIEBL ihre Beiträge. [15]

4. Die (imaginären) Lösungen des Techno: Das dearrangierende Spiel mit sozialen Körper-Zeichen, das soziale Rearrangement im kooperativen Szenenetzwerk, der Rausch und der Stil (als Fetisch) (ausgewählte Beiträge)

Dass Jugend keinen reibungslosen Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein darstellt und Jugendkulturen auf die Dysbalancierung von sozialen Systemen reagieren, die keine einheitlichen Rollenanforderungen, Normen und Wertekataloge liefern können, kommt paradigmatisch im Beitrag von Barbara STAUBER zum Ausdruck. Sie thematisiert die Selbstinszenierungen des Techno vor dem Hintergrund eines unhinterfragten Verständnisses von Jugend als einer Phase mit klar markierbarem Endpunkt. Aufgrund von prekärer werdenden Arbeitsverhältnissen und Familienstrukturen, veränderten Geschlechterbeziehungen und Lebensstilmustern hätten sich strukturelle Bedingungen für Übergänge zwischen Jugend und Erwachsensein tiefgreifend verändert: Das Erwachsenenalter als biographischen Ort des Ankommens gebe es vielleicht noch in der Vorstellung, real entgleite es zunehmend. Junge Frauen und Männer seien in ihren Suchbewegungen zunehmend auf sich gestellt und hätten einen großen Bedarf an Orientierung und Halt, den sie aber eigentlich so nicht deutlich machen können, da andere Gebote ihnen vorschreiben, ihren Weg alleine finden zu müssen. In dieser paradoxen Lage, für die es keine wirkliche Lösung gebe, nehmen sie sog. "imaginäre Lösungen" in Anspruch (HELFFERICH 1994, BRAKE 1985, CLARKE et al. 1976). Der Erklärungsansatz dieses Begriffes liegt in der Überlegung, dass imaginäre Lösungen strukturelle Widersprüche aufgreifen, diese spiegeln und somit bearbeitbar machen. Auf der Ebene dieser Lösungen kann individuell und kollektiv ein Verhältnis zu diesen Widersprüchen entwickelt werden. So werde Handlungsfähigkeit bewahrt und die Möglichkeit eröffnet, die eigene soziale Lage (symbolisch) zu transzendieren. Die These lautet, dass die Bedeutung von Selbstinszenierungen als Lösung für die Bewältigung von komplizierter werdenden Übergangsprozessen wächst, dass sie immer mehr die Funktion übernehmen, einen (sozialen, kulturellen, ästhetischen) Halt zu vermitteln. STAUBER wählt nun zwei Themen des Erwachsenswerdens an denen sie imaginäre Lösungen im Techno ins Werk gesetzt sieht: Die Geschlechterfrage und die Generationenfrage. Im Falle beider geht es ihr im Kontext von "Übergängen" um Positionierungen. Das "In-Szene Setzen des Körpers" deutet sie z.B. mit Gabriele KLEIN (1999) als wichtiges Mittel "generationenspezifischer Distinktion": Insbesondere die ironisch gebrochene Weiblichkeit, der männliche Körper mit seinen vielfältigen androgynen Brechungen, Umgangsformen, die aber trotz ihrer Berührungs- und Körperorientierung weitgehend asexuell blieben, irritierten die Erwachsenen. Der Körper dient als Ebene der Vergewisserung in vielerlei Hinsicht; STAUBER übersieht aber auch nicht die Problematik, die der Aneignung des Körpers durch Zur-Schau-Stellen innewohnt und grenzt sich damit wohltuend von durchgehend euphorischen Diskursen ab, indem sie zumindest die Frage stellt, was in so manchen Körpern vorgeht, die den Idealen der Leistungsfähigkeit und der Ästhetik nicht entsprechen (können)? In den interaktiven Settings der Szene-Praxis vermutet STAUBER ein Moment "intersubjektiver Anerkennung", welche Fremdzumutungen und Selbstansprüche außerhalb der Szene transzendieren. Allerdings biete die problemvermeidende und dezidiert de-thematisierende Haltung des "Spaß-Habens" im Kontext von Techno trotz ihrer Wohltaten nur einen Schonraum. Es bestehe, so STAUBER, eine Tendenz zur Konfliktvermeidung, die junge Erwachsene mit allem, was sie real beschäftigt, alleine lässt. [16]

Der darin enthaltene Gedanke, dass Techno keine lediglich rebellierende Jugendkultur mehr ist, der so auch ein Leitmotiv des Sammelbandes bildet, findet seine differenziertere Begründung darin, dass nur eine bloße Rebellion gegen widersprüchliche Rollenanforderungen nicht nur unmöglich ist, sondern eher eine Aneignung und Ausbildung von kontextsensitiven Kompetenzen für die "Permanenz der Übergänge" erforderlich ist. Auf der Ebene der geschilderten Ausdrucksformen des Techno deutet dies zunächst auf eine spielerische Bewältigungsstrategie der Selbstironisierung und Selbstmedialisierung hin. Nicht der Modus der Anklage ist bestimmend, sondern der Versuch, "die Phänomene des Alltags zu de- und rearrangieren" und eine Vielzahl von Identitäten auszuprobieren (ADAMOWSKY 2000, S.20). Es gibt aber nicht nur eine tendenziell perturbierende Seite dieser Jugendkultur, sondern auch eine Tendenz zur Adaption an vorhandene soziale Orientierungen. So ist Vergemeinschaftung – "posttraditional" oder nicht – offensichtlich eine unhintergehbare Voraussetzung für das Entstehen einer Jugendkultur und dafür lassen sich dann doch auch relativ traditional anmutende Strukturen und entsprechende Bedürfnisse angeben. In der Ethnographie einer Club-Party von Julia WERNER wird z.B. die Rolle der Kommunikation und die Besonderheit der Atmosphäre auf den Veranstaltungen deutlich. Die Kommunikation mit Freunden und vor allem fremden Partygästen spielt laut WERNER eine herausragende Rolle auf Techno-Partys. Gelegenheiten für Gespräche finden sich insbesondere, wenn Clubs sog. Chill-Out-Rooms bereitstellen. Die Art zu kommunizieren wird in den Interviews als leicht und offen geschildert: "... die Leute erzählen sich manchmal die halbe Lebensgeschichte" (S.44). Auch werde auf Techno-Parties die Bekanntschaft mit Personen gemacht, zu denen in der Lebenswelt außerhalb der Veranstaltung kein Kontakt gesucht würde. Stärker begrifflich operationalisierend geht Michael CORSTEN diesem Gedanken nach bei der Beantwortung der Frage "Was hält Event-Szenen in Schwung?" In der Deutung narrativer Interviews entwickelt er die Sozialform des Szene-Netzwerks als ein Beziehungsgeflecht, welches einer spezifischen symbolischen Ordnung unterliegt. Es herrschen Kooperationsregeln vor, die auf gemeinsame Produktivität im Kontext kollektiven Lernens ausgerichtet sind und darüber allen Beteiligten einen persönlichen biographischen Entwicklungsgewinn verschaffen. Die Sozialform der Szene vollziehe sich in der Atmosphäre einer gefühlsmäßigen Gleichartigkeit, einer Art "kollektiven Intentionalität", die in der Abgrenzung zur normalen Entwicklung im alltäglichen Miteinander, welche eher durch Entsolidarisierung gekennzeichnet sei, als beziehungsintensivierend erlebt werde. Das Element des Tanzes stellt nach CORSTEN das Motiv der Entfesselung, der Selbstbefreiung, des "Nur-Noch-Körper-Sein-Wollen" in den Vordergrund. Voraussetzung für den individuellen Beitrag körperlicher Verausgabung und das Aufgehen in einer Masse, die kollektive Verschmelzung bei einem rituellen Fest sei einerseits das Vertrauen in die lokale Öffentlichkeit. Neben der Funktionsfähigkeit reziproker Kommunikation und Kooperation seien für die Intensivierung eines gegenwartsbezogenen Situationserlebnisses aber auch und vor allem die individuellen Selbstdarstellungen, Selbsterfahrungen und Selbstverausgabungen verantwortlich. Trotzdem ist laut CORSTEN soziale Voraussetzung für Techno ein Höchstmaß an Öffnung bzw. Nicht-Exklusivität des Einzelnen. [17]

Erik MEYER versucht der Techno-Szene, mit einer Historiographie der Love Parade Politisierungsphänomene zu bescheinigen. Sowohl in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Veranstaltung als auch in der Ausnutzung ordnungspolitischer Freiräume manifestierten sich seiner Auffassung nach weiterhin Formen politischen Protests. Neben der Beschreibung der Love Parade als einer karnevalesken, präsentativ-expressiven Form der Selbstdarstellung und Inszenierung von Andersartigkeit vergleicht MEYER diese mit anderen, (neuen) sozialen Bewegungen wie der Arbeiter- und Friedensbewegung. Die kommerziellen Musikveranstalter der Love Parade GmbH werden dabei analog zu einer Erwerbswirtschaft politischer Aktivisten gesetzt, die die Mitglieder der Bewegung mit Gütern und Dienstleistungen versorgt, die Bewegungsziele symbolisieren. Als Ziel wird der Bewegung vom Verfasser das Stattfinden der Veranstaltung selbst (!) zugeschrieben, die durch die Quantität der potentiellen Anwesenden per se legitimiert sei. Der potentiellen Vielzahl der Teilnehmer wird wiederum eine "Politik der körperlichen Präsenz" attestiert. Die analytische Unschärfe des Beitrages ist unübersehbar. Eingangs wird die Auseinandersetzung um die Genehmigung der Veranstaltung als politischer Demonstration noch als Form politischen Protests der Love Parade-Veranstalter charakterisiert, um den Vergleich mit einer sozialen Bewegung plausibel erscheinen zu lassen. So tritt der suggestive Effekt ein, die im Zusammenhang der Veranstaltung stehende massenhafte Mobilisierung von Akteuren, sei ebenfalls eine Form des Protests (in diesem Falle der Teilnehmer der Love Parade). Auf welche Weise sich das Zusammenspiel der Akteure einer Love Parade, die Teil dieser Bewegung sein sollen, vollzieht, wird nicht systematisiert. Die Politisierung der Veranstaltung durch die Love Parade GmbH zu einer Friedensdemonstration im Laufe des Genehmigungsverfahrens läuft dem Anspruch der partizipierenden Akteure auf die Anerkennung ihres politischen Anliegens, der Love Parade als einer reinen Veranstaltung für Techno-Liebhaber doch eigentlich diametral entgegen. MEYER verzichtet letztlich in seiner Schlussfolgerung ganz darauf, die Love Parade als Reaktion auf eine etwaig beschränkte Selbstgestaltungsmöglichkeit der Teilnehmer zu präsentieren, was den Vergleich mit einer sozialen Bewegung gerechtfertigt hätte. Dazu hätte m.E. auch der Versuch gehört, dem "Sozialen" dieser Bewegung genauer auf die Spur zu kommen, als dieses mit der bloßen Anführung der "Selbstemblematisierung" und der "Ästhetisierung des Alltagslebens" zu bewerkstelligen ist. Anstatt einer wortreichen Affirmation eines vorgeblich neuen Politikverständnisses der Techno-Szene, hätte eine genaue Analyse der rhetorischen, medialen und juristischen Strategien der Love Parade GmbH in der Auseinandersetzung mit der Stadt Berlin und ihre Verflechtungen in die "Szene" unter Verwendung der vorhandenen Quellen kurzweiligere Ergebnisse gezeitigt. [18]

Eine dezidiert historisch vergleichende Perspektive nimmt Holger HERMA in seinem Beitrag ein. Ausgehend von der These, dass (musikalische) Jugendbewegungen in der Vergangenheit jeweils oft als symbolische Schnittstellen kollektiver Neuorientierungen fungierten, werden die Weltaneignungspraktiken zurückliegender Jugendlagerungen generationenspezifisch im Hinblick auf deren Authentizitätsbestrebungen durchgemustert. Durch den Fokus auf die intergenerationellen Wechselwirkungen der verschiedenen Weltaneignungen soll die Aufmerksamkeit auf die einheitsstiftenden Brüche mit den älteren und den nachfolgenden Generationen gelenkt werden. Zunächst wird mit einer Diskursanalyse des Textes eines Sexualwissenschaftlers die prinzipielle Deutungsgestalt heutiger Sexualitätsformen durch die 68er Generation herausgearbeitet: der Verdacht kulturellen Zerfalls einer "sexuellen Dispersion" als anomischer Entwicklungsprozess der Gesellschaft, in deren Verlauf die Koordinaten zusammengehörender Denk-, Handlungs-, und Verhaltensabläufe ihrer Mitglieder unkontrolliert verschwänden. Die Angst vor der Vergesellschaftung der Sexualität sei ein Generationenmotiv der 68er, die sich gegen die neopuritanistische Sexualmoral der Kriegsgeneration mit deren Prinzip der aufgeschobenen Befriedigung wendete, und mittels entsprechender ideologischer Deutungsangebote in eine soziale und politische Utopie überführt wurde. HERMA bescheinigt den 68ern dabei zwei zentrale Inszenierungspraktiken: (a) eine affektiv-rituelle Praktik des revoltierenden Befreiungsakt und (b) einen kognitiv-moralischen Akt der Entlarvung. Beide Praktiken richteten sich in destruierender Absicht auf das Bestehende – ein lebenspraktisch konstitutives Realitäts-Ich konnte darüber, so HERMA, nicht entstehen. Das Generationsdilemma der 78er dagegen sei die Spaltung von systemischer Rationalität und individueller Autonomie: die 78er erleben die Zerstörung der Natur, die Systemprozesse einer Risikogesellschaft als Bedrohlichkeit für das Subjekt in seinem Inneren. Die Bewältigungsstrategie ist eine diskursive, permanent selbstreflexive Aneignung der Welt. Die Impulsgeber der Technobewegung gehören nun dem jüngeren Teil dieser Generation an. Techno, das in der Musik jedwede textuell symbolisierte Sinnstiftung oder kritische Reflexionspraxis abgestreift hat, ermöglicht es, die fragile Selbstwahrnehmung von Ich und Gesellschaft auf die eigene im Rave fokussierte Körperlichkeit zu verlagern. Die 89er, als Kinder der 68er, konnten mit der Elterngeneration einfach brechen: ihr Inszenierungsverhalten mit Tattoos und leichter Bekleidung zeige durch spielerisches Unterlaufen sozialer Zuschreibungen eine Form der Selbstvergewisserung, die in einer selbstreflexiven Auseinandersetzung auf der Ebene des eigenen Körpers liegt. Die 89er erkennen somit als gegenkulturelles Bewährungsprogramm allenfalls noch einen ironischen Anti-Dogmatismus an: Anders als die vorangegangenen Generationen suchten sie kein Selbst unter gesellschaftlichen Masken, sondern betrieben ein Spiel mit sozialen Emblemen, das sich auf den Körper übertragen hat. [19]

Vor dem Hintergrund dieser situativen Anforderungen einer Techno-Veranstaltung kann es dann nicht verwundern, dass Artur SCHROERS als häufigstes Gebrauchsmuster des Drogenkonsums die Kombination von Ecstasy (für die erforderliche Kontaktfähigkeit) mit Speed (für die anregende- und antriebssteigernde Wirkung u.a. für den Tanz) feststellt. Seine These lautet, bestimmte Drogenkombinationen werden in Techno-Settings zielgenau zur bewussten Herbeiführung bestimmter gewünschter Wirkungsweisen eingesetzt. SCHROERS konzeptualisiert in seiner Studie zum Drogenkonsum auf Technopartys den Drogengebrauch in der Techno-Szene vor dem Hintergrund einer Trendwende in den 90er Jahren, weg von sog. "Downer-Drogen" (z.B. Heroin) hin zu Substanzen, die eher der Kontaktfähigkeit steigern und vorwiegend die Psyche aktivieren. Die Partydroge Ecstasy fördere die Wahrnehmung eigener Gefühlsbereiche und das Einfühlungsvermögen in die emotionale Verfasstheit von anderen Menschen. Der Beitrag versucht mit dem sog. Behavior-Setting-Konzept, den Drogenkonsum hinsichtlich aufwendig entwickelter Merkmalsbereiche, die den Verhaltensrahmen einer Technoparty dimensionieren, zu erklären. Es gelingt dem Verfasser in der Folge aber nicht, den vorangestellten Fokus auf die Emotionalität des Drogenkonsums in der Analyse beizubehalten. Das Fazit des Drogenkonsums als Optimierung von Genuss und Vermeidung unerwünschter Wirkungen bleibt hinsichtlich der Motive zum Drogen-Einstieg ein wenig unterkomplex. Beachtlich erscheint doch z.B. die Überlegung, dass sich im Vergleich zur Verbreitung des Drogenkonsums im Kontext von Protestbewegungen der 60er und 70er Jahre in den 90er Jahren eine offen drogenkonsumierende Jugendkultur gebildet hatte, die von Produzenten legaler Stoffe und Alkohol mit Sponsoring und Werbung unterstützt wurde (GERHARD 2001, S.219). [20]

Birgit RICHARD versucht in ihrem Beitrag dem Stilbild der Techno-Szene auch durch die Rekonstruktion von stilistischen Analysen früherer Jugendkulturen trotz disparater Referenzen feste Plätze im sozialen Bedeutungsgewebe zuzuweisen. In der Präferenz von Arbeitskleidung beispielsweise visualisiere sich ihrer Ansicht nach die Vergangenheit und Zukunft der Arbeit. Neben Jacken von Straßenarbeitern und Müllmännern finden sich auch Kleidungsstücke aus der High-Tech-Produktion. Auch sei die Symbolik oft einem speziellen Arbeitsbereich entnommen, dem der extremen Situationen. Die spielerische Vorliebe für Militärisches deutet sie als eine Infantilisierung des Krieges, bei dem aggressive Züge außer Kraft gesetzt würden. Franz LIEBL wählt in seinem Beitrag den Zusammenhang von Trendforschung, als Kombination von Sozial- und Marktforschung mit dem Begriff des Fetisch, um so zu Einsichten in die Techno-Kultur zu kommen. Fetisch wird im Sinne der Aura einer Ware und der Projektionsfläche, die sie für Imagination und sinnliche Erfahrung, bietet, verstanden. LIEBL beobachtet einen Prozess der Entmaterialisierung der Ware. Die Marke als pures Zeichen werde zum Fetisch, es würden nur mehr Zeichen konsumiert. Vor diesem Hintergrund lasse sich auch der Techno-Sound seine klangliche Oberfläche als Markenzeichen und damit als Fetisch verstehen. Mit HORX/TRENDBÜRO (1994) argumentiert er: Die Fetische des Techno repräsentierten als "Instant-Form, Emotionen, Gefühlswelt, Vertrautheit, Erinnerung, Geborgenheit", mit anderen Worten organisiere sich das emotionale Gedächtnis zunehmend über Fetische. Der ethnographische Beitrag von Waldemar VOGELSANG postuliert noch einmal Bricolage, das Bastel-Design als konstituierendes Prinzip der Techno-Kultur. Szenetypische Stilelemente und Settings würden kompetent und autonom zur Selbstinszenierung und erlebnismäßigen Handlungsdramaturgie eingesetzt. Sowohl die DJs verwirklichten dieses Prinzip mit dem intensiven Gebrauch der Sampling-Technik als auch die Raver in einem spielerischen Markenfetischismus, der Produktzeichen in die ständig wechselnden Kleiderzusammenstellungen mit einbezieht. Auch im Bereich der Fanzines und Flyer der Techno-Kultur wird eifrig zitiert und collagiert. In einer sprach- und bildhermeneutischen Analyse arbeit VOGELSANG drei Aspekte von besonderer Relevanz heraus: direkte Appelle an den Gemeinsinn, die Verwendung von Comicfiguren, welche ebenfalls Gemeinsamkeiten aus der Vergangenheit kommunizieren sollen, jedoch auch spielerisch abgewandelt werden und schließlich die exzessive Darstellung von nackten Körpern. Mit Erving GOFFMANN (1981) wird diese Überbetonung des Körpers und der Erotik als "Hyperritualisierung" identifiziert. Es gehe um die Herauslösung aus Verwendungskontexten, in denen erotische Abbildungen noch Aufforderungscharakter zugeschrieben werden. Durch die Ritualisierung des Rituals wird also durch Parodie und Ironie darauf aufmerksam gemacht, dass die Absichten ursprünglicher Verwendungskontexte unterlaufen werden. Erotik bleibt kommunizierbar, aber ohne die unabsehbaren Folgen sozialer Experimente, die auf die Einlösung des Versprechens bestanden hatten. [21]

Wie "souverän" dieser Zeichengebrauch ist und inwiefern er eine "verlässliche Selbstvergewisserung" (VOGELSANG, S.268) garantiert, sei dahingestellt. Aber ohne gleichzeitige Lustempfindungen im eigenen Körper als Entschädigung lässt sich ein vorübergehend auf Dauer gestelltes Projekt, das sozial angelieferte Unterscheidungen und Konventionen demontiert und als überkommenen Plunder in Ironie auflöst, nicht in die Tat umsetzen. Insofern ist der Lesart der Stützung des emotionalen Gedächtnisses durch selbst gewählte Accessoires zuzustimmen. Notwendig wird auch der Zugang über Drogen und ekstatischem Tanz für die Erreichbarkeit der Lust am Körper, der im besten Fall durch veränderte Körperschemata Verbundenheitsgefühle induziert. Reiht man die Technobewegung auf dieser Folie in eine historische Betrachtung des Verhältnisses von Jugendbewegungen und ihren ästhetischen Wirklichkeiten ein, so hat sich die "ästhetische Desavouierung aller Verbindlichkeiten", die sich beispielsweise in der sog. "Neuen Deutschen Welle" noch in der ständig wechselnden An- und Umordnung von Wirklichkeitsfragmenten in Form von semantischen Versatzstücken auf der Ebene der Songtexte gezeigt hat, im Techno auf die Ebene der Kleidung verschoben. Auf diskursive Entwürfe ganzheitlicher Lebenserfahrung, wie sie z.B. in den positiv religiösen Trostbildern der Jugendbewegung oder der Lyrik Jim MORRISONs noch gegenwärtig war, wird seither vermehrt verzichtet (RODENBERG 1984, S.139ff.). Der Körper als Adresse von technisch bearbeiteter und verstärkter Popmusik wird immer wichtiger. Eine optimistische Deutung dieser Entwicklung wäre, das eine Gesellschaft, die sich einseitig auf Progression ausgerichtet hat, systemisch an eine Grenze geraten ist. In dieser Popmusik können, wenn auch wie gesehen im Techno durch Selbstbeschränkungen in einen gebremsten Hedonismus begrenzt, die Lüste des Körpers zurückkehren (WINKLER & BERGERMANN 2001). [22]

5. Fazit: Die Grenzen des Events oder was bedeutet die Gesellschaft für die Jugendkultur?

Die Chance, gängige Assoziationen jugendlichen Verfalls, die das Thema "Techno" bisher geweckt hatte, entscheidend in eine andere Richtung zu lenken, wurde mit dem Sammelband vorangestellten Argumentationszusammenhang vergeben. Vorwürfen angeblich erodierter Ausprägungen von Jugend (zumindest in diesem Band) mit kaum fundierten Zusammenhängen mit Paradigmen und Theoremen zu begegnen, die ebenfalls vornehmlich soziale Entbettungen betonen und wieder und wieder auf die Auflösung von festgefügten Klassen- und Schichtsystemen und klassischen Gemeinschafts- und Gesellungsformen wie Familien, Vereinen oder Parteien verweisen, haben über den (erlebten) sozialen Wandel der Positionierungen von Jugend herzlich wenig zu berichten. Dabei klingen relevante Forschungslinien durchaus an: die Problematisierung von Entwicklungsaufgaben, der MANNHEIMsche Generationenbegriff mit der Varianz synchroner und diachroner Generationsgestalten, zwei ethnographische Studien sowie die Stilanalysen in der Tradition der Subkulturforschung der Cultural Studies. Was jedoch in der Breite fehlt, ist der Blick über den Tellerrand des Techno-Events. Man kann dies als Zurückhaltung angesichts der Tatsache interpretieren, dass die Auswertung der empirisch relevanten Daten des seit 1999 laufenden Forschungsunternehmens zum Thema "Szene-Entwicklungen und Szene-Events" diesbezüglich noch keine Ergebnisse gezeitigt hat. Einblicke in die Operationalisierung etwaiger Forschungsleitender Fragestellungen im Sinne einer möglichen Anschlussfähigkeit hätte man sich dennoch gewünscht. Auch von der Einleitung in einen Band, der zeitgleich mit zwei anderen Bänden einer Reihe erscheint, darf dennoch, insbesondere wenn er sich als vorurteilsbeseitigendes Aufklärungsprogramm verstanden wissen will, und sich, zumindest dem Namen nach, in die Traditionsreihe einer sozialwissenschaftlichen Jugend(kultur)forschung stellt, eine angemessene Kontextualisierung eingefordert werden. Die Beschäftigung mit sog. "Erlebniszeiträumen", die die alltägliche Wirklichkeit und ihre Relevanzstrukturen auf Zeit angeblich aufhebt, entbindet nicht gänzlich von der Aufgabe auf den Komplex sozialer (Jugend-) Zeit einzugehen. Wird auf ein differenzierteres Interesse an (dem Wandel von) Institutionalisierungsprozessen im Kontext von Schule, Ausbildung und Arbeit und selbstorganisierten Aneignungsprozessen im Kontext einer durch Markt und Medien vermittelten Konsumkultur verzichtet, versäumt es eine eher "erlebnisweltlich" interessierte Jugendkulturforschung, die spielerische Inhaltsleere des Techno plausibel als "deutliches Zeichen für schwierigste Konfliktlagen zwischen unterschiedlichen Orientierungen" (HERRMANN 2001, S.43) auszuweisen, die es in ihrem Verzicht auf Bestimmung dennoch geschafft hat, Jugend als Einheit weiterhin wahrnehmbar zu erhalten. [23]

So kann es dann leicht geschehen, dass man sich mit dem Versuch, überwiegend die raffinierte Inhaltsleere des Techno avanciert auf den Begriff zu bringen, den Spott jener ewig jugendlichen, aber früh ergrauten Literaten einhandelt, die den DJs auf Techno-Partys einst jahrelang das Plattenköfferchen getragen hatten.

"Er fuhr zu einer Tagung, in Tutzing, Soziologie, aus Dortmund. 'Systemtheorie?', hatte Katharina gefragt. Nee, überhaupt nicht, vom sogenannten Hitzler-Lehrstuhl, ob sie den kennt? 'Ehrlich gesagt, nein.' – 'Sollte man aber kennen', meinte er, wahrscheinlich ein Scherz. Und dann erzählte er von seinen Forschungen, spezialisiert auf den, wie er sagte 'Ekstase-Korpus der Ravenden Gesellschaft'. Katharina lachte. 'Du meinst, ihr geht auf Partys, nehmt da Drogen, und dann wird das wissenschaftlich aufgebauscht?' Er: 'Ganz so schlimm ist es nicht. Aber natürlich geht's in die Richtung'" (GOETZ 2000, S.40). [24]

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Zum Autor

Benjamin STINGL, M.A., Studium der Germanistik, Anglistik, Philosophie und Psychologie an den Universitäten Freiburg und Hamburg. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informatik und Gesellschaft Freiburg, Abt. 1 Modellbildung und soziale Folgen.

Kontakt:

Benjamin Stingl M.A.

Institut für Informatik und Gesellschaft
Abt. 1 Modellbildung und soziale Folgen
Friedrichstr. 50
D-79098 Freiburg

E-Mail: stingl@modell.iig.uni-freiburg.de

Zitation

Stingl, Benjamin (2003). Jugend – Jugendkultur – Techno. Review Essay: Ronald Hitzler & Michaela Pfadenhauer (Hrsg.) (2001). Techno-Soziologie: Erkundungen einer Jugend-Kultur [24 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4(2), Art. 13, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0302133.

Revised 6/2008

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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