Volume 3, No. 4, Art. 22 – November 2002
Rezension:
Christian Carls
Willfried Althoff (2000). Lost in Cyberspace? Möglichkeiten Sozialer Arbeit mit dem Internet. Münster: LIT, 112 Seiten, ISBN 3-8258-4899-x, EUR 15.90
Zusammenfassung: Das Buch beschreibt virtuelle Kommunikationsräume im Internet und Formen ihrer Nutzung durch Jugendliche und jüngere Erwachsene. Gezeigt wird, wie die neuen Interaktionsräume als "Probebühnen" für spielerische Identitätsbildung genutzt werden können. In einem weiteren Kapitel wird auf das "Lernen über das Internet" eingegangen. Die Qualität dieses Kapitel sowie die Bezüge zu Ansätzen sozialer Arbeit fallen gegen die anschaulichen Darstellungen neuer Kommunikationsformen im Internet stark ab. Ergänzt wird die Rezension mit Hinweisen zu online verfügbarer Literatur zur Nutzung des Internets für Bildung und soziale Arbeit.
Keywords: virtuelle Interaktion, Identität, virtuelle Gemeinschaften, soziale Arbeit,
E-Learning
Inhaltsverzeichnis
1. Internet & soziale Arbeit
2. "Lost in Cyberspace?" – Fazit
3. Inhalte im Einzelnen
3.1 Kommunikation über das Internet
3.2 Lernen im Internet
3.3 "Jugendsozialarbeit im Cybercafe" und "Cybercafe als Sozialarbeit"
4. Hinweise auf Online-Literatur zum Themenbereich
5. Hinweise auf weitere Online-Ressourcen zur Nutzung des Internets in Bildung und sozialer Arbeit
Die zunehmend verbreitete Nutzung des Internets bietet der sozialen Arbeit ein weites Spektrum neuer Herausforderungen und Handlungsfelder. Dazu gehören, um nur einige zu nennen,
der Abbau von Benachteiligungen, denen jene ausgesetzt sind, die noch keinen Zugang zum Internet haben,
die Förderung von Medienkompetenzen im Umgang mit den neuen Internet basierten Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für ausgewählte Zielgruppen,
die Nutzung des Internets zur Bereitstellung relevanter Informationen für Zielgruppen der sozialen Arbeit,
die Entwicklung von Bildungsangeboten für benachteiligte Gruppen,
die Interaktion mit "Klienten" oder die Bereitstellung und Moderation von virtuellen Plattformen für Selbsthilfe und selbstorganisiertes Weiterlernen. [1]
2. "Lost in Cyberspace?" – Fazit
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Wer unter dem Titel "Lost in Cyberspace? Möglichkeiten sozialer Arbeit mit dem Internet" Methoden und Beispiele zur sozialen Arbeit mit dem Internet erwartet, wird enttäuscht sein. In dem Buch finden sich ausführliche Darstellungen zu "Diensten des Internet" und zu Nutzungsformen. Möglichkeiten sozialer Arbeit werden – meist zum Abschluss der einzelnen Kapitel – lediglich angedeutet. Die Passagen wirken dabei oft aufgesetzt und erschöpfen sich zum Teil bereits in dem Appell, den neuen virtuellen Interaktionsräumen, die das Internet bietet, in der sozialen Arbeit mehr Beachtung zu schenken. Lediglich in einem der späteren Kapitel (Einführung in die Benutzung von Suchmaschinen für Jugendliche, S.71ff) werden beispielhaft konkrete Methoden dargestellt, aber leider nicht weiter diskutiert. Erläuternd ist zu erwähnen, dass das Buch 1998 als Diplomarbeit geschrieben wurde – als der erste frei verfügbare Browser gerade fünf Jahre alt war und erst wenige Modelle sozialer Arbeit mit dem neuen Medium vorlagen. Und als noch viele SozialarbeiterInnen dem Netz ablehnend und unwissend gegenüber standen – eine Vermutung, die jedenfalls der Autor auf den ersten Seiten äußert und mit der er konkludent die Zielgruppe absteckt, die er beim Schreiben des Textes vorrangig im Sinn gehabt haben dürfte: "Leider ist die Kenntnis der Vorgänge im Internet unter den pädagogischen Fachdisziplinen nur sehr unzureichend verbreitet ... Dieses erscheint um so unverständlicher, da vor allem Jugendliche, die traditionell in das Betätigungsfeld der Sozialarbeit fallen, das Internet nutzen" (S.6). Das Motiv, Vorurteile gegen die Nutzung des Internets abzubauen, begegnet dem Leser/der Leserin im Buch an vielen Stellen, etwa wenn wiederholt gegen die Vermutung argumentiert wird, die Nutzung des Internets lasse Menschen vereinsamen, bis hin zum Schlusskapitel, in dem sich der Aufruf findet: "Die traditionelle Technikfeindlichkeit der Pädagogik muß überwunden werden." (S.94) [2] |
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Aus diesem aufklärerischen Motiv heraus ist ein Buch entstanden, das zwar wenig Bezug zu Ansätzen und Methoden sozialer Arbeit nimmt, aber eine gute Einführung in Formen der Nutzung des Internets durch Jugendliche und jüngere Erwachsene darstellt (Besonderheiten der Nutzung durch Kinder und ältere Menschen bleiben in dem Buch unberücksichtigt). [3] |
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Die Beschreibungen hierzu sind anschaulich und interessant. Es ist zu spüren, dass der Autor sich im Internet viel bewegt und sich mit Bedingungen Internet basierter Kommunikationsformen vertraut gemacht hat – durchaus keine Selbstverständlichkeit in der sozialwissenschaftlichen/sozialpädagogischen Literatur zum Internet. [4] |
3.1 Kommunikation über das Internet
"An die Qualität von verbaler Kommunikation mit visuellem Kontakt reicht keine der im Internet üblichen Kommunikationsformen heran. Bei einem Telefongespräch kann man die Gefühle des Gesprächspartners an der Stimme erkennen ..." (S.21). Mit solchen Affirmationen an die oben beschriebene Zielgruppe leitet Willfried ALTHOFF die Darstellung der Besonderheiten Internet vermittelter Kommunikation ein. Nicht nur an solchen Sätzen ist zu merken, dass der Text schon etwas älter ist. So wird neben dieser "Unzulänglichkeit" der schriftlichen Kommunikation über das Internet die Geschwindigkeit als Besonderheit hervorgehoben, aus der eine schon etwas überholte Internetfaszination der ersten "www-Jahre" zum Vorschein kommt.
"Was sie [Internetkommunikation, C.C.] von herkömmlichen Formen der Kommunikation unterscheidet ist die Geschwindigkeit. Ob E-Mail, IRC, MUD's oder News, überall läuft der Austausch von Informationen schneller ab als bei vergleichbaren Kommunikationsformen außerhalb der Netze" (S.25) [5]
Wer heute das Internet nutzt weiß, dass diese Geschwindigkeit eher theoretisch-technischer Natur ist, weil die "Nettogeschwindigkeit" der Kommunikation vom Verhalten der Interaktionspartner abhängt und durch das wachsende Mail-Aufkommen zum Beispiel nicht überall beschleunigt wird. [6]
Aber dann wird es interessant. Der Autor beschreibt, wie "tiefgehende emotionale und intellektuelle Bindungen auch bei einer Kommunikation über das Internet entstehen können" (S.45). Anschaulich wird dargestellt, wie sich – vermittelt über Chats, Foren und MUDs – virtuelle Gemeinschaften mit neuen "soziale[n] Umgangsformen" und neuen Kontexten für Identitätsbildung entwickeln. Er begreift das Internet in diesem Kontext als "Probebühne" für Identitätskonstruktionen und stellt dies in den Kontext "postmoderner" Identitätsbildung (S.38). Besonders ausführlich wird dabei auf MUDs eingegangen, "virtuelle Welten, in denen man herumwandern kann und dabei andere MUD-Spieler treffen und mit ihnen kommunizieren kann" (S.32). Die augenfällige Funktion der MUDs zur spielerischen Identitätsbildung werden überzeugend auf andere Formen Internet basierter Kommunikation übertragen und im Begriff "virtueller Gemeinschaften" zusammengeführt. In der parallelen Darstellung konkreter Interaktionsräume (der MUDs oder von Newsgruppen), Interaktionsziele ("Selbsthilfegruppen im Netz") und abstrakterer Reflexionen über die Entstehung von Gemeinschaften ("Ist nicht die Gesamtheit aller Internetnutzer schon eine virtuelle Gemeinschaft?", S.43) gelingt es ihm, das Konstrukt "virtuelle Gemeinschaften" auch für Internet unerfahrene LeserInnen nachvollziehbar und plausibel darzustellen. [7]
Ein Kapitel des Buchs ist dem "Lernen im Internet" gewidmet. Richtig bemerkt der Autor, dass "es weder im Jugendzentrum noch in der Schule" genüge, "einen Computer mit Internetanschluß" zur Verfügung zu stellen. Als Aufgabe für PädagogInnen und SozialarbeiterInnen/SozialpädagogInnen sieht er die Förderung von "Medienkompetenz", die mal als "Schlüsselkompetenz" (S.62), mal als "Kulturtechnik" (S.94) bezeichnet wird. Wie dies geschehen soll, bleibt offen. Auch in der Zusammenfassung bleibt es bei folgender auffälligen Affirmation: "Als Lernmedium leistet das Internet große nützliche Dienste, wenn es auch den Präsenzunterricht niemals ersetzen kann." (S.93) [8]
Interessant bleibt allerdings die Idee, MUDs als Lernumgebungen einzusetzen. Der Autor beschreibt beispielsweise eine MUD der amerikanischen Diversity University, in der Lernende sich über eine grafisch gestaltete Oberfläche virtuell in Zeit und Raum bewegen, Informationen über historische Persönlichkeiten Ereignisse abrufen und mit anderen Lernenden synchron kommunizieren können (S.70). [9]
3.3 "Jugendsozialarbeit im Cybercafe" und "Cybercafe als Sozialarbeit"
In diesen Kapiteln wird das Verhalten von Jugendlichen in Internet-Cafes in sozialen Einrichtungen anschaulich beschrieben. Die Aufgaben und Methoden der SozialarbeiterInnen in den Einrichtungen bleiben dagegen vage. [10]
Im Kapitel "Cybercafe als Sozialarbeit" wird vorgeschlagen, "reale" Gespräche anzubieten und Wertorientierung zu geben, die "bei dem Wertechaos unserer Zeit" als "Fels in der Brandung" (S.89) dienen müssten. Dieser Vorschlag macht den Schwachpunkt der Publikation in Hinblick auf Bedarfe der Sozialarbeit nochmals deutlich und wiederholt leider nur die Vagheit ähnlicher Hinweise aus den vorhergehenden Kapiteln, beispielsweise zum Abschluss des Kapitels zur "Identitätsbildung im Internet", in dem es bereits hieß:
"Wer mit Hilfe sozialer Beziehungen in seiner Persönlichkeit wachsen kann, ist im Internet gut aufgehoben. Wer dies nicht kann, braucht Hilfestellung. Aufgabe der sozialen Arbeit ist es, die Entwicklung eigenständiger, verantwortlicher, selbstbewußter Identität zu fördern, die der Würde des Menschen und dem Allgemeinwohl und der demokratischen Gesellschaftsform der BRD entsprechen. Besonders sei hier auf Artikel 1(1) (Die Würde des Menschen ist unantastbar) und Artikel 2(1) (Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.) erwähnt." (S.61) [11]
4. Hinweise auf Online-Literatur zum Themenbereich
Wer sich weiter für das Thema "Soziale Arbeit & Internet" interessiert und Anregungen zu Konzepten und Methoden sucht, kann diese am einfachsten in eklektizistischer Sammelarbeit online zusammentragen (und die wiederholten Darstellungen der "Dienste" des Internet und technische Erläuterungen in der Literatur zu diesem Thema überspringen). Auch das hier besprochene Buch von Willfried ALTHOFF war geraume Zeit online verfügbar, aber leider zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Werks in Print aus dem Netz genommen worden. [12]
Internet-Arbeit mit Kindern und Jugendlichen:
Persch, Christian (1998). Aufbau und Konzeptionierung eines Internetcafes zur pädagogischen Nutzung des Mediums Internets in der Jugendarbeit. Verfügbar über: http://www.sozialarbeit.de/download/jaincafe/Online-Diplomarbeit.html.
Lamaack, Ariane (2000). Kinder nutzen das Internet: Eine Betrachtung des Kindernetzes des Südwestrundfunks unter sozialpädagogischen Aspekten. Diplomarbeit, Fachbereich Sozialpädagogik, Universität Köln. Verfügbar über: http://www.lamaack.de/diplomarbeit/.
Jakubowski, Artur (2000). Jugendarbeit mit dem Medium Internet. Diplomarbeit am Fachbereich I, Universität Trier. Verfügbar über: http://mitglied.lycos.de/accuro/.
Internet-Arbeit mit älteren Erwachsenen und im Austausch Alt-Jung:
Carls, Christian (2001). Das Senior-Info-Mobil – Internet für Menschen ab 50. Verfügbar über: http://www.lerncafe.de/lerncafe2, Rubrik "Modellprojekte".
Stadelhofer, Carmen & Carls, Christian (2001). "gemeinsamlernen": Virtuelle Selbstlerngruppen in Deutschland. Verfügbar über: http://www.lerncafe.de/lerncafe2, Rubrik "Modellprojekte".
5. Hinweise auf weitere Online-Ressourcen zur Nutzung des Internets in Bildung und sozialer Arbeit
http://www.digitale-chancen.de: Portal mit laufend aktuellen Informationen über die Erschließung des Internets für (hinsichtlich des Zugangs zu neuen Technologien) benachteiligte Bevölkerungsgruppen
http://www.lerncafe.de: Online-Journal u.a. mit Informationen über Lerngruppen, die mit dem Internet arbeiten (zur Zeit nur noch sporadische Erscheinungsweise; ältere Ausgaben sind über das Archiv verfügbar)
http://www.gemeinsamlernen.de: Plattform für virtuelle Lerngruppen
Christian CARLS; M.A. (Kommunikationswissenschaft/Sozialmedizin), Dipl. Sozialpädagoge am Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Ulm (ZAWiW); bisherige Forschungsschwerpunkte: Medien für Ältere & Altenbild in den Medien, Soziale Kontakte im Alter, Erschließung des Internets für Ältere Menschen, virtuelle Lernprojekte mit älteren Menschen und im Austausch zwischen Alt und Jung.
Kontakt:
Christian Carls
St. Jakob Str. 21
89081 Ulm
E-Mail: ChristianCarls@t-online.de
URL: http://www.ccarls.de; http://www.kritische-gerontologie.de
Carls, Christian (2002). Rezension zu: Willfried Althoff (2000). Lost in Cyberspace? – Möglichkeiten Sozialer Arbeit mit dem Internet [12 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 3(4), Art. 22, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0204220.
Revised 6/2008