Volume 3, No. 1, Art. 2 – Januar 2002

Rezension:

Tilmann Walter

Maren Lorenz (2000). Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte (Buchreihe: Historische Einführungen – Band 4). Tübingen: Edition Diskord, 239 Seiten, ISBN 3-89295-696-0, DM 32,-

Zusammenfassung: Die Hamburger Historikerin Maren LORENZ hat die erste deutschsprachige Einführung zur "Körpergeschichte" vorgelegt. In einem Durchgang durch die internationale und deutsche Literatur, bei dem die Verfasserin eine beeindruckende Menge an Literatur zu Grunde gelegt hat, werden kursorisch theoretische und politische Ansätze sowie Themenfelder dieser jüngeren Forschungsrichtung, die im letzten Jahrzehnt auch in Deutschland zu einem kulturgeschichtlich zentralen Thema geworden ist, berührt. Ausgewählte Quellenzeugnisse ergänzen diesen Überblick. Für mit dem Thema bereits vertraute Leser/innen hält das Buch wichtige Hinweise und Anregungen bereit. Dabei erscheint der Blickwinkel der Autorin jedoch dadurch eingeschränkt, dass sie sämtliche Positionen des Forschungsfeldes ausschließlich am feministischen Zugang misst. Weniger eignet sich der Text als "Einführung" ins Thema: Da es der Autorin nicht gelingt, theoretische Positionen leicht verständlich herauszuarbeiten, dürfte die Lektüre für Studierende eher zu weiterer Verwirrung (wenn nicht gar Frustration) angesichts der Unüberschaubarkeit des Gegenstandes führen.

Keywords: Körpergeschichte, Geschlechtergeschichte

Inhaltsverzeichnis

1. Ausgangspunkt

2. Theoretische Grundlagen

3. Forschungsperspektiven des Themas

4. Empirische Felder

5. Schlussbetrachtung

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Ausgangspunkt

Eingangs ihres Buches führt Maren LORENZ Grundpositionen der Körpergeschichte vor (S.15-31), die auch außerhalb der Geschichtswissenschaft selbst anerkannt sein dürften: Obwohl "der Mensch" anthropologisch als Einheit begriffen werden kann, zeige der Blick auf die fließenden Grenzen des Begriffs, dass diese Einheit ein soziales Konstrukt ist, das kulturellen und historischen Schwankungen unterliegt (S.15): Morphologische Ausprägungen des Menschen in Abhängigkeit vom Geschlecht, dem Lebensalter, der Hautfarbe (oder "Rasse") und den "Abweichungen" (Monstren, fiktive Hybridwesen) provozierten den diskursiven und sozialen Einschluss oder Ausschluss dieser Mitwesen. Jenseits seiner mythologischen, religiösen oder wissenschaftlichen Bestimmung unterliege der menschliche Körper aber auch realen historischen Veränderungen (S.15): Die kulturellen Umstände, unter denen der Homo sapiens lebte und lebt, führten zu unterschiedlichen Ausprägungen etwa hinsichtlich der Körpergröße, des Gewichts, des Eintretens des Geschlechtsalters, der Resistenz gegen Krankheiten, der psychischen Verfassung usw. [1]

Inzwischen werden die genannten Grenzen auch durch neue Bio- und Informationstechniken in Frage gestellt (S.17). Biowissenschaftlich werde die Grenze zwischen geborenem und "gemachtem" Leben fraglich. In der Informationstheorie werde die Grenze zwischen künstlicher und humaner Intelligenz in Zweifel gezogen und die "Virtualisierung" des Körpers in Aussicht gestellt. Bislang sind solche Grenzüberschreitungen eher im Diskurs als in der Praxis existent, diese Beispiele zeigten aber, dass die Phänomenologie des Körperlichen stets auch von der medialen Vermittlung mitabhängig ist (S.17). [2]

Der Rekurs auf "das Reale", die Grunderfahrung des Leibes z.B. im Schmerz oder in der Lust sei dadurch begrenzt, dass eine solche Erfahrung in der Kommunikation symbolisiert werden muss (S.17, 25). Im lebensweltlichen wie wissenschaftlichen Diskurs unterlägen Erfahrungen des Realen also der Notwendigkeit, sprachlich oder bildlich gefasst werden zu müssen (S.18). Umgekehrt wird heute nicht mehr bestritten, dass der Weltzugang des Menschen stets an den Körper zurückgebunden ist (S.20f.). Anthropologische Erkenntnis bewege sich deshalb insofern innerhalb eines Zirkels, als sie einerseits die leibliche Verfasstheit und andererseits den sprachgebundenen Weltzugang nicht hinter sich lassen kann (vgl. dazu grundlegend NAGEL 1974). Die Körpergeschichte verfolge somit ein grundlegendes anthropologisches Anliegen, weil sich "auch die eigenen Fragen" dabei veränderten. Und Fragen hinsichtlich von "Wahrheit, Ethik und der daraus oft abgeleitete Vorwurf des totalen Relativismus" (S.22), die daraus erwüchsen, seien schließlich für alle Humanwissenschaften von Bedeutung. Generell lassen sich die Pole dieser Debatten nach LORENZ als "Essentialismus" und "Sozialer Konstruktivismus" fassen (S.22), wobei die Autorin selbst dem Konstruktivismus zuneigt. Auch wenn diese Auseinandersetzungen etwa hinsichtlich der theoretischen Verästelungen von aktuellen gender- und queer-Debatten oftmals esoterisch wirken, sitzen sie LORENZ zufolge stets auf alltagsweltliche Erfahrungen auf (S.23, 28). Hieraus ergebe sich für historische Fragestellungen ein besonderes Problem: Da rezente Erfahrungen des Körpers durch das anthropologische Denken des späten 18. Jahrhunderts vorgeprägt seien (S.26), sei es fraglich, wie erfolgreich Versuche von Historiker/innen sein können, vormoderne Erfahrungen zu beschreiben (S.27, 31). Das Scheitern der "Einfühlung" stehe immer zu befürchten, und was schlimmer ist: diese Aussagen können praktisch weder verifiziert noch falsifiziert werden. Damit scheine es unausweichlich, innerhalb körpergeschichtlicher Arbeiten Entscheidungen zu treffen, die in ihrem Gehalt letztlich nicht wissenschaftlich, sondern nur politisch begründet werden können. [3]

2. Theoretische Grundlagen

Unter der Überschrift "Begriffliche Fußangeln der Körpergeschichtsschreibung" verhandelt LORENZ dann drei zentrale Schlagwörter der Forschung (S.32-41): Verwendung findet auch in der historischen Körperforschung die terminologische Trennung von "Leib" und "Körper" – ersterer dabei semantisch gefasst als Raum unmittelbarer phänomenologischer Erfahrung, letzterer als objektivierter Gegenstand zivilisatorischer und epistemischer Zurichtung (S.32-35). Dabei falle auf, dass eine solche Begrifflichkeit nicht für alle Sprachen Sinn macht. Der zweite Begriff, der erläutert werden soll, lautet "Diskurs" (S.35-38), der dritte "Kultur" (S.38-41). Diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass Körpergeschichte aufgrund der Notwendigkeit, leibliche Erfahrungen zu symbolisieren, stets diskursanalytisch verfahren müsse (S.38; vgl. auch SARASIN 1996, 1999, TANNER 1999). "Kultur" andererseits sei das Schlagwort, unter dem sich die jüngere Forschung in gezielter Abgrenzung vom Strukturfunktionalismus, der als "Historische Sozialforschung" das Fach Geschichte seit den 60er Jahren beherrscht hat, "weichen" Themen wie Weltbildern, Medialität, subjektiven Erfahrungen und Identitäten zugewandt habe (vgl. DANIEL 1993, VAN DÜLMEN 1995, SIEDER 1994). Begriffliche "Fußangeln" entstehen hier aber vor allem durch die unklaren Erläuterungen der Verfasserin, denn ihre selbstgesetzte Aufgabe, die genannten Aufsätze (auf die sie sich auch bezieht), kurz und verständlich zusammenzufassen, hat sie dabei verfehlt. [4]

3. Forschungsperspektiven des Themas

Der Wunsch nach einer klaren Darlegung wird auch auf den nun folgenden rund 60 Seiten, auf denen die Forschungsperspektiven der Körpergeschichte vorgestellt werden sollen (S.42-103), nicht erfüllt. Neidlos soll dabei anerkannt werden, dass LORENZ bei der Ausarbeitung ihres Buches eine gewaltige Menge Literatur bewältigt hat. Das Literaturverzeichnis umfasst 1156 (!) Titel. Doch leider gewinnt der Leser / die Leserin häufig keinen hilfreichen Einblick in diese Arbeiten. Theoretisch und methodologisch werden sie allenfalls grob eingeordnet, denn LORENZ beschränkt sich bei der Beschreibung auf Verweise auf weitere Autoren, die Darstellung einzelner episodischer Inhalte und (oftmals polemische) Bewertungen. Der Gang der Darstellung beginnt beim "Essentialismus" (S.42-47) von Medizinhistorikern mit ärztlicher Ausbildung (z.B. Roy PORTER, Edward SHORTER, Heinrich SCHIPPERGES), denen LORENZ erkennbar wenig Sympathie entgegenbringt – wie schon die negativ besetzte Klassifizierung als "Essentialisten" deutlich macht. (Dieser Ausdruck wird in der Körperdiskussion eigentlich nur als polemische Fremdzuschreibung verwendet.) Gemäß dem Gliederungsprinzip "Vom Licht zum Dunkel" enden ihre Ausführungen bei der dekonstruktivistischen Feministin Judith BUTLER (S.98-103). Wenig Positives findet LORENZ auch an der Psychoanalyse Jaqcues LACANs (S.47-51) und an den komplementären Ansätzen einer "Psychohistorie" (die tiefenpsychologische Modelle als überhistorisch gültig behandelt) und einer "Historischen Psychologie" (die Gegenstände und Begrifflichkeiten der Psychologie als historisch kontingent begreift; S.51-59). Um zu verdeutlichen, wie die Autorin verfährt, sei exemplarisch ihre Zusammenfassung der "Psychohistorie" zitiert (S.51f.):

"Die weniger auf motivationale Textexegese als auf das dahinter verborgene soziale Verhalten konzentrierte 'Psychohistorie' wendet bei der Suche nach kollektiven wie individuellen Handlungsmotiven direkt die klassische Freudsche Psychoanalyse als nomologische Methode auf alle Menschen der Vergangenheit und fremder Kulturen an, wie es Ende der Siebziger etwa Jean Delumeau in bezug auf abendländische kollektive Ängste getan hatte." [5]

Nun erscheinen dem Rezensenten diese Bemerkungen einerseits sachlich falsch zu sein. Lloyd DeMAUSE (1989), der wohl prominenteste Vordenker und Namensgeber der "Psychohistorie", bezieht sich eben doch auf tiefenpsychologisch fassbare Motive kollektiven sozialen Handelns und nicht auf das "dahinter verborgene soziale Verhalten". Auch argumentiert er seit Jahren nicht mehr mit Hilfe der "klassischen Freudschen Psychoanalyse", sondern unter Verweis auf prä- und perinatalpsychologische Konzepte, die zu Zeiten FREUDs noch gar nicht existiert haben. Schwerer wiegt andererseits der Einwand, dass Studienanfänger/innen erfahrungsgemäß mit Wortungetümen wie "motivationale Textexegese" oder "nomologische Methode" nichts erklärt werden kann, Rezipient/innen also, die ja auch in der Regel Jean DELUMEAUs (1985) monumentale Studie über die "Angst im Abendland" noch nicht gelesen haben und von daher in der Lage wären zu verstehen, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. [6]

Weitere Themen dieses Abschnitts sind das zivilisationstheoretische Modell des Soziologen Norbert ELIAS (S.59f.), die französische Mentalitätsgeschichte und der deutsche Philosoph Arnold GEHLEN (S.61-64; eine etwas merkwürdige Zusammenstellung, da zwischen GEHLEN und den Mentalitätshistorikern in Frankreich keine direkte Verbindung bestand) und modernisierungstheoretische Ansätze der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 (S.64-71). Unter dem Schlagwort "Konstruktivismus" äußert sich LORENZ dann zu körpergeschichtlichen Richtungen, denen sie offenbar mehr zuneigt, namentlich dem Feminismus (S.71-81), dessen theoretischer Beitrag "gar nicht hoch genug" eingeschätzt werden könne (S.71). Als "Neue Kulturgeschichte" bespricht LORENZ volkskundliche und mikrohistorische Studien (in diesem Umfeld bewegt sich die Autorin mit ihren eigenen empirischen Arbeiten; S.81-85). Weiterhin sind Kultursoziologie (S.85-90) und Wissenschaftssoziologie (S.90-94) Themen ihrer Darlegungen. Unter der Überschrift "Poststrukturalismus" beschränkt sich LORENZ auf Michel FOUCAULT (S.94-98) und Judith BUTLER (98-103), eine so begrenzte Auswahl, dass sie der zentralen Bedeutung dekonstruktivistischer Theorien für das (spät-) moderne Körperverständnis (und vice versa) sicherlich nicht gerecht werden kann. [7]

4. Empirische Felder

Als "Ergebnisse einer Geschichtsschreibung durch die historischen Körper" stellt LORENZ empirische Ergebnisse der Körpergeschichtsschreibung im chronologischen Durchgang durch die abendländische Geschichte vor (S.104-144). Neben dem Eingangskapitel ist dieser Abschnitt mit dem größten Gewinn zu lesen. Als "symbolische Körper" werden Konzepte von Staatskörpern in der jüdischen und griechischen Antike, dem europäischen Mittelalter und der Frühen Neuzeit vorgestellt (S.104-112). Im ausgehenden 18. Jahrhundert habe sich dabei die Konzeptualisierung des "eigentlichen" Körpers verändert: Als exemplarisch wurde der bürgerliche, männliche und weiße Körper in Abgrenzung von adligen, proletarischen, weiblichen und andershäutigen Körpern behandelt. Diese Grenzziehungen bekamen durch hegemoniale wissenschaftliche Programme der Moderne besonderes Gewicht (S.113-121): Seither diene ein bestimmtes Körperkonzept als Grundlage zu sozialen Praktiken der Steuerung und Zurichtung von Körpern, wie wir sie noch heute kennen. An diesem Punkt zeigt sich, dass sich die Trennung von (symbolischen) Kollektivkörpern und individuellen Leibern bzw. Körperpraktiken (S.122-144) nicht recht durchhalten lässt, denn individuelles (Körper-) Schicksal existiert niemals außerhalb sozialer Ordnungssysteme. Hierzu bezieht sich LORENZ auf besonders prominente Themen der Körpergeschichte: die universale Bedeutung der Penetration für die Sexualität in Griechenland (S.122-125; vgl. kritisch dazu DAVIDSON 2001), die intellektuelle Amalgamierung heidnischer (Natur-) Philosophie mit dem jungen Christentum (S.126; vgl. BROWN 1991), das für heutiges Denken exotische, religiös aufgeladene Körperbild des Mittelalters (S.126-132; vgl. vor allem BYNUM 1996) und das demgegenüber eher prosaisch wirkende Menschenbild der anatomischen Renaissance (S.132-135; vgl. SAWDAY 1996). Typisch für die Frühe Neuzeit sei die "Synthese aus Theologie und Anatomie/Physiologie" gewesen (S.136), während sich die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts endgültig von der religiösen Rückbindung des Menschenbildes losgemacht habe (S.139; vgl. dazu neuerdings SARASIN 2001). Seither sei das wissenschaftliche Körperverständnis dominant geworden, zugleich hätten diese Körperbilder durch Medien wie die Fotografie in einem zuvor unbekannten Ausmaß Verbreitung gefunden (S.143). Am Ende der Entwicklung stehe das postmoderne reflexive Verhältnis zum Körper (S.143). [8]

Auf den Seiten 145-172 werden dann Auszüge exemplarischer Quellen zur Körpergeschichte abgedruckt, die interessant zu lesen sind, von LORENZ allerdings nicht weiter kommentiert werden. Dabei unterliegt sie offenbar dem bekannten historiographischen Irrtum, die Quellen "sprächen für sich selbst". Diese Vorstellung widerlegt sich bei der Lektüre gewissermaßen selbst: Dämonologische Argumente des "Hexenhammers" (S.145-147) oder das humoralmedizinische Körperverständnis im Rahmen von Robert BURTONs "Anatomie der Melancholie" (S.147-151) werden sich Nicht-Historiker/innen oder Studienanfänger/innen ohne weitere Erläuterung sicherlich nicht erschließen: Zu zeigen, wie das andersartige anthropologische Denken vergangener Epochen funktioniert, wäre die Aufgabe einer "Einführung in die Körpergeschichte" gewesen. [9]

5. Schlussbetrachtung

Der von LORENZ sich selbst auferlegte theoretisch ausgerichtete Zugang (immerhin 103 Seiten des Buches beschäftigen sich mit theoretischen Aspekten) erweist sich als eine Fehlentscheidung, da ihr die systematisierende Aufbereitung der vorliegenden Ansätze nicht recht gelingt: Im Durchgang durch die Literatur entsteht kein Surplus an Übersichtlichkeit, der hätte gewonnen werden können, indem eingangs grundlegende systematische Punkte oder wissenschaftstheoretische Perspektiven klar herausgearbeitet werden. Für Wissenschaftler/innen, die sich empirisch mit der Körpergeschichte beschäftigen, ist das Buch aufgrund seiner umfangreichen Bibliographie und des Darstellungsteils hilfreich. Für Studierende wirkt die Lektüre vermutlich eher frustrierend, da sich die Autorin fast durchgehend einer Form der Erklärung bedient, bei der eine Unbekannte "A" durch den Verweis auf die Unbekannten "N" bis "Z" erläutert werden soll. Dieses Verfahren wirkt in einer Einführung fehl am Platz. [10]

Ein gewisses Übergewicht besitzen demgegenüber forsche Urteile der Autorin im Sinne ihrer eigenen feministischen Perspektive, die aus zweierlei Gründen nicht recht überzeugend wirken: Zum einen verabsolutiert sie dabei die feministische Sichtweise. Michel FOUCAULTs grundlegende körpergeschichtliche Arbeiten zu Wahnsinn, Krankheit, Verbrechen, dem anthropologischen Denken und zur Sexualität kritisiert sie z.B. dahingehend (S.94f.), dass FOUCAULT den Körper dabei selten als geschlechtlichen Körper analysiert hat. In einer pluralen Wissenschaftslandschaft ist ein solcher partikularer Zugang allerdings vollkommen legitim. Zum anderen verhält sich LORENZ feministisch ausgerichteten Arbeiten gegenüber auffallend unkritisch, was bei ihr in bloßes Wunschdenken übergehen kann: Dass "die Auswirkungen der feministischen Kritik auf die Naturwissenschaften [...] in den letzten Jahren gravierend" waren (S.90), trifft für weite Teile des entsprechenden Wissenschaftsbetriebs wohl kaum zu – deshalb fordern Feministinnen ja noch immer ein grundlegendes Umdenken im Sinne ihrer Meinung. So muss gesagt werden, dass die Art und Weise, wie hier der Feminismus als einzig legitimes Weltdeutungsmuster vorgeführt wird, auch dann wenig Sympathien weckt, wenn man als Leser oder Leserin diesem Ansatz selbst nicht fern steht. Eine gut gefestigte politische Überzeugung ersetzt nicht die Fähigkeit, andere kommunikativ für diesen Standpunkt zu begeistern; auf eine weltanschaulich neutrale und deshalb wirklich hilfreiche deutschsprachige "Einführung in die Körpergeschichte" wird der Leser / die Leserin also noch weiter warten müssen. [11]

Literatur

Brown, Peter (1991). Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit am Anfang des Christentums. München/Wien: Hanser.

Bynum, Caroline Walker (1996). Fragmentierung und Erlösung. Geschlecht und Körper im Glauben des Mittelalters. Frankfurt/M. Suhrkamp.

Daniel, Ute (1993). "Kultur" und "Gesellschaft". Überlegungen zum Gegenstandsbereich der Sozialgeschichte. Geschichte und Gesellschaft, 19, 69-99.

Davidson, James (2001). Dover, Foucault and Greek Homosexuality: Penetration and the Truth of Sex. Past & Present, 170, 3-51.

Delumeau, Jean (1985). Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18.Jahrhunderts (Kulturen und Ideen), 2 Bände. Reinbek: Rowohlt.

deMause, Lloyd (1989). Grundlagen der Psychohistorie (herausgegeben von Aurel Ende). Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Dülmen, Richard van (1995). Historische Kulturforschung zur Frühen Neuzeit. Entwicklungen – Probleme – Aufgaben. Geschichte und Gesellschaft, 21, 403-429.

Nagel, Thomas (1974). What is it like to be a bat? Philosophical Review, 83, 435–450.

Sarasin, Philipp (1996). Subjekte, Diskurse, Körper. Überlegungen zu einer diskursanalytischen Kulturgeschichte. In Wolfgang Hardtwig & Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Kulturgeschichte heute (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 16, S.130-164). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.

Sarasin, Philipp (1999). Mapping the Body. Körpergeschichte zwischen Konstruktivismus, Politik und "Erfahrung". Historische Anthropologie, 7, 437–451.

Sarasin, Philipp (2001). Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765–1914. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Sawday, Jonathan (1996). The Body Emblazoned. Dissection and the Human Body in Renaissance Culture. London: Routledge.

Sieder, Reinhard (1994). Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft? Geschichte und Gesellschaft 20, 445-468.

Tanner, Jakob (1999). Wie machen Menschen Erfahrungen? Zur Historizität und Semiotik des Körpers". In Bielefelder Graduiertenkolleg Sozialgeschichte (Hrsg.), Körper Macht Geschichte. Geschichte Macht Körper. Körpergeschichte als Sozialgeschichte (S.16–34). Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte.

Zum Autor

Tilmann WALTER, Studium der Geschichte und der Germanistik in Heidelberg; 1997 Promotion in Germanistik über "Unkeuschheit und Werk der Liebe. Diskurse über Sexualität am Beginn der Neuzeit in Deutschland" (Berlin/New York: de Gruyter 1998); derzeit Forschungsassistent am Sonderforschungsbereich 511 "Literatur und Anthropologie" an der Universität Konstanz; Arbeitsschwerpunkte: Historische Anthropologie, Wissenschaftsgeschichte, Geschichte der Sexualität; in zurückliegenden Ausgaben von FQS finden sich weitere Rezensionen von Tilmann WALTER; zu Literarische Imagologie und historische Anthropologie der Haut, Körperbewegungen und ihre Bedeutungen und When Men Meet. Homosexuality and Modernity.

Kontakt:

Dr. phil. Tilmann Walter

Universität Konstanz
FG Geschichte - Fach D11
D-78457 Konstanz

E-Mail: Tilmann.Walter@uni-konstanz.de

Zitation

Walter, Tilmann (2001). Rezension zu: Maren Lorenz (2000). Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte [11 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 3(1), Art. 2, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs020122.

Revised 2/2007

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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