Call for Papers FQS-Schwerpunktausgabe "Herausfordernde Zeiten -- Methodologien und methodische Ansätze zur qualitativen Erforschung von Zeit"

2018-06-10

Gastherausgeberinnen

Elisabeth Schilling (Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW), Alexandra König (Universität Duisburg-Essen), Maggie O'Neill (University of York).

Hintergrund des geplanten FQS-Themenschwerpunkts

Zeit ist ein Querschnittsthema, dem sich verschiedene Disziplinen zuwenden. In den Sozialwissenschaften interessiert Zeit vor allem als ein soziales Phänomen bzw. als Element sozialer Ordnung (BURZAN & SCHÖNECK 2014; ELIAS 1984; SCHILLING 2005). Dabei sind die Perspektiven sehr heterogen, wie dies beispielsweise bereits im FQS-Schwerpunkt "Zeit und Diskurs" (HANNKEN-ILLJES, KOZIN & SCHEFFER 2007) gezeigt wurde. Diskutiert werden auf der Makroebene etwa der Wandel gesellschaftlicher Zeitverhältnisse (ROSA 2005), Zeit als Kontroll- und Herrschaftsinstrument (DELEUZE 1993; FOUCAULT 1977, 1978, 2003) oder auch "Interdependenzen von Zeit- und Wirtschaftsstrukturen" (BOURDIEU 2000). Auf der Mikroebene wenden sich Arbeiten der Zeitverwendung, dem subjektiven Zeiterleben oder time projections zu (CARMO, CANTANTE & DE ALMEIDA ALVES 2014; SCHILLING & KOZIN 2009). Die subjektive Zeitperspektive und der daraus resultierende Zeitumgang werden dabei auch in ihrer Gebundenheit an bestimmte Ressourcen untersucht (DRESSEL & LANGREITER 2008; KÖLBL & STRAUB 2001; MÜNCH 2014; ZIMBARDO & BOYD 2011 [2009]). Zahlreiche Arbeiten im Bereich der Biografieforschung (LUTZ, SCHIEBEL & TUIDER 2018; ROBERTS 2011; ROSENTHAL & BOGNER 2017) liegen vor, in denen Biografien als "kommunikative Strukturierungen" verstanden werden, "die soziale und individuelle Zeit nutzen und erzeugen" (FISCHER 2018, S.461). Untersucht werden sinnhafte (etwa: schichtspezifische oder generationenübergreifende) Konstruktionen von Lebenszeitgestaltung. Veränderungen der Zeitgestaltung werden vor allem mit Blick auf das Familienleben diagnostiziert sowie geschlechtsspezifische Zeitungleichheiten identifiziert (HEITKÖTTER, JURCZYK, LANGE & MEIER-GRÄWE 2009; WINGARD 2007). Darüber hinaus wird Zeit von und in Institutionen auf vielfältige Weise untersucht: etwa in Bezug auf die strukturelle Verlängerung der Zeit, die in Bildungseinrichtungen verbracht wird (KING 2017), auf die Öffnung, Schließung und als Folge die Notwendigkeit des Controllings von Zeitstrukturen im Unterricht (RABENSTEIN 2018) oder hinsichtlich der stärkeren Verschulung des Studiums durch vorgegebene Zeitschemata (LIAO et al. 2013) und der beschleunigten Zeitstrukturen (O'NEILL 2014; ROSA 2005; VOSTAL 2016). Die Langeweile im Unterricht ist ebenso Thema (BREIDENSTEIN 2006) wie die Investition von Zeit für das Studium (PIPKIN 1982). Auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Beschleunigung und die Erkundung der Möglichkeiten zur Entschleunigung wurden bereits im FQS-Schwerpunkt "The Slow University" (O'Neill, Martell, Mendick & Müller 2014) diskutiert.

So divers wie die zeitbezogenen Themengebiete und Forschungsfragen sind auch die Methoden und Methodologien zu ihrer Erforschung. Der geplante Themenschwerpunkt hat das Ziel, die diversen Ansätze auf der Ebene methodisch-methodologischer Fragen zur qualitativen Zeitforschung zusammenzuführen. Eingeladen werden Beiträge zu beispielsweise folgenden Fragestellungen:

  • Welche zeitbezogenen Grundlagentheorien bieten hilfreiche Ansätze zur Erforschung von Zeitperspektiven?
  • Wie wird Zeit in Beobachtungen, Interviews oder nicht-verbalen Daten erfasst bzw. produziert?
  • Auf welchen impliziten Zeittheorien basieren klassische Studien?
  • Wie lässt sich der Wandel gesellschaftlicher Zeitverhältnisse bzw. von kollektiven und individuellen Zeitvorstellungen erfassen?
  • Wie lässt sich Zeit als Herrschaftsinstrument untersuchen?
  • Mit welchen Methoden können zeitbezogene Orientierungen bzw. subjektives Zeiterleben erfasst werden?
  • Sind biografische und kreative Methoden hilfreich zur Erforschung von Zeit, beispielsweise von beschleunigten Zeitstrukturen?
  • Wie lassen sich institutionelle Zeitordnungen und individuelles Zeiterleben methodisch und theoretisch triangulieren?
  • Welche sozialen Differenzlinien lassen sich mithilfe von Zeitkonzepten erfassen; wie lässt sich Zeit als ein Unterscheidungsmerkmal konzeptualisieren und systematisch erforschen?
  • Welche Möglichkeiten eröffnen Längsschnittstudien für zeitbezogene Fragestellungen?

Gewünscht sind methodisch-methodologische Reflexionen zu den genannten und benachbarten Fragen zum Thema qualitative Zeitforschung. Eingereicht werden können auch kurze Berichte aus der Forschungspraxis, die methodische und methodologische Fragen zum Thema Zeit und ihren Umgang damit reflektieren. Zusätzlich möchten wir auch Forscher und Forscherinnen, die sich bisher nicht explizit mit zeitbezogenen Fragen befasst haben, einladen, im Rahmen des Themenschwerpunkts ihren Forschungsgegenstand in Bezug auf die Relevanz der Zeitdimension neu zu reflektieren.

Vorgehen und Format

Die Beiträge können in englischer und deutscher Sprache eingereicht werden. Der Einreichungsprozess erfolgt in mehreren Schritten:

  1. Einreichung von Arbeitstitel und einer kurzen Zusammenfassung (ca. 200 Wörter) an elisabeth.schilling@fhoev.nrw.de, alexandra.koenig@uni-due.de und Maggie.oneill@York.ac.uk bis zum 1. Oktober 2018.
  2. Nach Sichtung der eingegangenen Beitragsangebote erhalten alle, die einen Beitrag eingereicht haben, bis zum 1. November 2018 eine Rückmeldung.
  3. Ausgewählte AutorInnen werden gebeten, ein ausgearbeitetes Manuskript bis zum 1. März 2019einzureichen.
  4. Eingereichte Manuskripte laufen im Weiteren durch ein doppelt-blindes Begutachtungsverfahren und müssen ggf. überarbeitet werden.
  5. Das Erscheinen der Schwerpunktausgabe ist für Januar 2020 geplant.

Das geplante Themenheft knüpft an das wissenschaftliche Netzwerk "Jung sein – älter werden: Zeitlichkeiten im Wandel" an, das seit 2017 von der DFG gefördert wird. Für 2020 ist eine Abschlusstagung geplant, auf der die Beiträge des Themenhefts mit den AutorInnen des FQS-Themenschwerpunkts und andere Interessierten diskutiert werden können.

Richtlinien für die Beiträge

Bitte verfassen Sie Ihre Beiträge entsprechend der FQS-Richtlinien; bitte dort auch die "Checkliste zur Beitragseinreichung" beachten, siehe http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/about/submissions#authorGuidelines.

Kontakt & Fragen

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Elisabeth Schilling (elisabeth.schilling@fhoev.nrw.de) und Alexandra König (alexandra.koenig@uni-due.de).

Literatur

Breidenstein, Georg (2006). Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum Schülerjob. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Bourdieu, Pierre (2000). Die zwei Gesichter der Arbeit. Interdependenzen von Zeit- und Wirtschaftsstrukturen am Beispiel einer Ethnologie der algerischen Übergangsgesellschaft. Konstanz: UVK.

Burzan, Nicole & Schöneck, Nadine M. (2014). Zeit. In Günter Endruweit, Gisela Trommsdorff & Nicole Burzan (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie (S.638-639). Konstanz: UVK.

Carmo, Renato Miguel; Cantante, Frederico & de Almeida Alves, Nuno (2014). Time projections: Youth and precarious employment. Time & Society, 23(3), 337-357.

Deleuze, Gilles (1993). Unterhandlungen 1972-1990. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Dressel, Gert & Langreiter, Nikola (2008). Wissenschaftlich Arbeiten – schneller, höher, weiter? Zum (Un-)Verhältnis von Arbeit und Freizeit in den (Kultur-)Wissenschaften. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 9(1), Art. 38, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-9.1.313 [Zugriff: 22. Mai 2018].

Elias, Norbert (1984). Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Fischer, Wolfram (2018). Zeit und Biographie. In Helma Lutz, Martina Schiebel & Elisabeth Tuider (Hrsg.), Handbuch der Biographieforschung (S.461-472). Wiesbaden: Springer VS.

Foucault, Michel (1977). Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Foucault, Michel (1978). Dispositive der Macht: über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve-Verlag.

Foucault, Michel (2003). Die Ordnung der Dinge: eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Hannken-Illjes, Kati; Kozin, Alexander & Scheffer, Thomas (Hrsg.) (2007). Zeit und Diskurs. Forum: Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(1), http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/issue/view/6 [Zugriff: 22. Mai 2018].

Heitkötter, Martina; Jurczyk, Karin; Lange, Andreas & Meier-Gräwe, Uta (Hrsg.) (2009). Zeit für Beziehungen? Zeit und Zeitpolitik für Familien. Opladen: Barbara Budrich.

King, Vera (2017). Die Macht der Dringlichkeiten: vom Umgang mit der Zeit: gesellschaftlicher Wandel und psychische Verarbeitungsmuster. Frankfurt: Forschung, 1, 40-45, http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/year/2017/docId/43715 [Zugriff: 22. Mai 2018].

p>Kölbl, Carlos & Straub, Jürgen (2001). Geschichtsbewusstsein im Jugendalter. Theoretische und exemplarische empirische Analysen. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research2(3), Art. 9, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-2.3.904[Zugriff: 22. Mai 2018].

Liao, Tim F.; Beckman, Joshua; Marzolph, Emily; Riederer, Caitlin; Sayler, Jeffrey & Schmelkin, Leah (2013). The social definition of time for university students. Time & Society, 22(1), 119-151.

Lutz, Helma; Schiebel, Martina & Tuider, Elisabeth (2018). Einleitung: Ein Handbuch der Biographieforschung. In Helma Lutz, Martina Schiebel & Elisabeth Tuider (Hrsg.), Handbuch der Biographieforschung (S.1-8). Wiesbaden: Springer VS.

Münch, Anne (2014). "Also dieses enge Korsett ist nicht mehr da." Zur Zeitsouveränität im Alter. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 15(3), Art. 19, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-15.3.2167 [Zugriff: 22. Mai 2018].

O'Neill, Maggie (2014). The slow university: Work, time and well-being. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 15(3), Art. 14, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1403146 [Zugriff: 22. Mai 2018].

O'Neill, Maggie; Martell, Luke; Mendick, Heather & Müller, Ruth (Hrsg.) (2014). The Slow University. Forum: Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 15(3), http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/issue/view/50 [Zugriff: 24. Mai 2018].

Pipkin, Ronald (1982). Moonlighting in law school: A multischool study of part-time employment of full-time students. Law & Social Inquiry, 7(4), 1109-1162.

Rabenstein, Kerstin (2018). Monitoring von Arbeitsprozessen im Unterricht der autonomen Schule als Bürokratisierung von Lernbiografien: Eine explorative Instrumentenanalyse. In Elisabeth Schilling (Hrsg.), Verwaltete Biografien (S.27-40). Wiesbaden: Springer VS.

Roberts, Brian (2011). Interpreting photographic portraits: Autobiography, time perspectives, and two school photographs. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 12(2), Art. 25, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-12.2.1687 [Zugriff: 22. Mai 2018].

Rosa, Hartmut (2005). Beschleunigung. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Rosenthal, Gabriele & Bogner, Artur (2017). Biographies – discourses – figurations: Methodological considerations from the perspective of social constructivism and figurational sociology. In Gabriele Rosenthal & Artur Bogner (Hrsg.), Biographies in the Global South. Life stories embedded in figurations and discourses (S.15-49). Frankfurt/M.: Campus.

Schilling, Elisabeth (2005). Die Zukunft der Zeit: Vergleich von Zeitvorstellungen in Russland und Deutschland im Zeichen der Globalisierung. Aachen: Shaker.

Schilling, Elisabeth & Kozin, Alexander (2009). Migrants and their experiences of time: Edward T. Hall revisited. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research10(1), Art. 35, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-10.1.1237 [Zugriff: 22. Mai 2018].

Vostal, Filip (2016). Accelerating academia. The changing structure of academic time. Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan.

Wingard, Leah (2007). Constructing time and prioritizing activities in parent-child interaction. Discourse & Society, 18(12), 75-91.

Zimbardo, Philip & Boyd, John (2011 [2009]). Die neue Psychologie der Zeit. Heidelberg: Spektrum.