Call for Papers Schwerpunktausgabe "Digitale Bilder und visuelle Artefakte in Alltagswelten. Medien, Gebrauchsweisen und Methoden im Wandel"

2023-07-20

Herausgegeben von Roswitha Breckner, Michael Müller & Anne Sonnenmoser

Die Verbreitung digitaler Medien hat neue alltägliche Gebrauchsweisen von Bildern und anderen visuellen Artefakten hervorgebracht und verändert das Sozialleben und die Sozialkommunikation in nicht unbeträchtlicher Weise. Face-to-Face-Beziehungen werden medialisiert und Körperbezüge dabei transformiert, nicht zuletzt auch in technisierten Interaktionen wie etwa im Umgang mit Robotern. In digitalen und insbesondere sozialen Medien werden Fotografien zum Ausdrucksmittel personaler Selbstdarstellung und sozialer Selbstverortung. Videos werden nicht nur zur Dokumentation von Erlebnissen und Ereignissen herangezogen, sondern erweisen sich im Gebrauch auf Videoportalen wie Youtube oder TicToc und vor dem Hintergrund visueller Medien auch als Möglichkeit zur Beteiligung an öffentlichen Diskursen. All dies hat Konsequenzen für das sozialtheoretische Verständnis des Zusammenspiels von Kommunikation, Interaktion und Handlung. Mit der sozialtheoretischen Herausforderung, angesichts der neuen gesellschaftlichen Realitäten adäquate Konzepte zu entwickeln, geht die methodologisch-methodische Herausforderung einher, passgenaue sozialwissenschaftliche Analysen dieser sich ständig verändernden und neu entstehenden Phänomene zu konzipieren.

Die Auseinandersetzung mit körperbezogenen Bildphänomenen und die Erfindung künstlicher Bildmedien ist gattungsgeschichtlich bereits früh anzusetzen. Aus ihrer steten Weiterentwicklung resultieren vielfältige Möglichkeiten der Selbstgestaltung, der Darstellungsvariation, der Ausdeutung von Sachverhalten, der Imagination von Unwahrscheinlichem, der Ideografie, der Beweisführung, aber auch der Selbst- und Fremdtäuschung. Dass Bilder sozial ausgetauscht werden, dass mit ihrer Hilfe "Identitäten" markiert oder Biografien verhandelt werden, dass sie soziale Beziehungen belegen oder ermöglichen, dass sie der Instrumentalisierung, der Ökonomisierung und der Konventionalisierung unterliegen, ist bei alledem kaum überraschend. Gleichwohl sind Bilder und die Vielfalt visueller Artefakte ein nach wie vor schwieriger, das heißt sozialtheoretisch nur unvollständig durchdrungener bzw. unvollständig in bestehende Sozialtheorien integrierter Gegenstand.

Mit Blick auf zeitgenössische Gebrauchsweisen technischer Bildmedien ergeben sich verschiedene Forschungsfragen oder gar Desiderate. So gilt es zum Beispiel, die vielfältigen Lebensbereiche und Formen sozialen Handelns zu identifizieren und zu untersuchen, die sich in ihrer soziohistorischen Besonderheit und Gestalt nicht zuletzt dem Gebrauch technischer Bildmedien verdanken. Daran schließen Fragen nach dem Körperbezug von Sozialkommunikation und dessen Veränderungen in verschiedenen medialen Umgebungen an. Während Prozesse personaler Zuordnung und wechselseitiger Deutung in Face-to-Face-Beziehungen an den gesamten Körper gebunden sind, ermöglichen es technische Medien, an Interaktionen nur mit einzelnen oder auch verfremdeten körperlichen Ausdrucksmitteln teilzuhaben. Aber auch für die virtuelle Herstellung sozialer Situationen sind Bildmedien mitunter konstitutiv. Das ist etwa dann der Fall, wenn mittels Emojis die Gesichtsmimik nachgeahmt wird und der sprachlichen Kommunikation eine zusätzliche Ebene sozialer Rahmung erschlossen wird, oder wenn durch Profilbilder oder Avatare virtuelle Körperbilder in digitale Interaktionssituationen integriert werden und so das Instrumentarium nicht-sprachlicher Kommunikation um vielfältige Ausdrucksformen erweitert wird. Entstehen also im Gebrauch digitaler Bilder neuartige kommunikative Gattungen, neue Typen sozialen Handelns, neue Organisationsformen sozialer Interaktion und des Selbst? Was ist unter den sich gegenwärtig verändernden Bedingungen unter Interaktion, Kommunikation und Handlung zu verstehen? Damit verbunden ist die Frage, ob es neuer Begriffe bedarf, um den sozialen Gebrauch digitaler Bilder beschreiben zu können, durch die die Gegenstandserfassung nicht mehr ausschließlich an herkömmliche Konzepte gebunden wird, sondern es möglich wird, letztere auch auf empirischer Basis weiterzuentwickeln.

Die Vielgestalt zeitgenössischer Bildmedien, die Komplexität sozialer Gebrauchsweisen sowie die Vielzahl sozialwissenschaftlicher Erkenntnisinteressen, die Bildphänomenen entgegengebracht werden (können), erfordern zugleich auch grundlegende methodologische Reflektionen. Was wird unter Bild und visueller Kommunikation verstanden, etwa im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Einzelbild, Bildcluster, Bewegtbilder und anderen visuellen Artefakten? Welche bereits etablierten methodologisch-methodischen Zugänge sind dafür dienlich oder/und müssen weiterentwickelt werden?

Mit dem vorliegenden Call for Papers erbitten wir Beiträge, in denen unterschiedliche, insbesondere aber zeitgenössische Gebrauchsweisen digitaler Bilder und visueller Artefakte sozialwissenschaftlich reflektiert werden. Hierbei sollen idealerweise thematische, methodologische und methodische Gesichtspunkte verknüpft, d.h. die methodologischen Implikationen kenntlich gemacht werden, die sich aus Besonderheiten des soziohistorischen Mediengebrauchs oder des jeweiligen sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses ergeben.

Folgende Themen bzw. die Adressierung folgender Aspekte sind dabei von besonderem Interesse:

Konzeptionelle Aspekte

  • Zentrierung auf Körperbilder bei gleichzeitiger Entgrenzung, Transformation und Ablösung oder Entfernung von real existierenden Körpern
  • Visuelle Präsentation, Re-Präsentation, Performanz, Handlung (im Spiel, in sozialen Medien, in sozialen Maschinen bzw. Robotik, etc.)
  • Modifikation von Interaktionskonzepten in Bezug auf digitale soziale Arenen (Verhältnisse von Ko-Präsenz versus Ko-Referenz in virtuellen Räumen; Galerie versus Vorder-/Hinterbühnen und jeweiliger Zuschauer*innen/Publika; wechselseitige Bild-Text und Bild-Bild-Kommunikation; Sehschulen/Sehgemeinschaften)

Spezifische Phänomene

  • Formen der Bewährung in digitalen Räumen
  • Entstehung und Umgang mit Vulnerabilität und Gewalt in digitalen Räumen
  • (Generationale und mediale) Identitätsnormen und -formationen (z.B. in Dating-Apps oder Jugendkulturen)
  • Bildbiografische Konstruktionsprozesse in sozialen Medien

Methodische Aspekte

  • Einzelbild versus Bildcluster
  • Fixierte Bilder versus Bewegtbilder
  • Bild-Text Sequenzen
  • Hermeneutische Sinnrekonstruktion versus dokumentarische Methode versus Feldanalysen mit visueller/textlicher Grounded-Theory-Methodologie
  • Feld-Ethnografie versus Fokus auf Analysen vorgefundener Bildwelten

Veröffentlichungsprozess

Alle Abstracts können auf Englisch und/oder Deutsch eingereicht werden. Das Begutachtungsverfahren umfasst die folgenden Schritte:

  1. Abstracts von etwa 300-400 Wörtern sind bis zum September 2023 einzureichen. Bitten senden Sie Ihren Beitragsvorschlag an die Gastherausgeber*innen Roswitha Breckner, Michael R. Müller & Anne Sonnenmoser (digital_images@qualitative-research.net).
  2. Alle Abstracts werden einem Peer-Review-Verfahren unterzogen, wobei die Gastherausgeber*innen innerhalb eines Monats (Oktober) über die Annahme entscheiden.
  3. Im Falle der Annahme werden die Autor*innen gebeten, einen vollständigen Beitrag an die Gastherausgeber*innen (digital_images@qualitative-research.net).zu senden (Januar 2024). Dabei sind die Hinweise zur Beitragseinreichung zu beachten (https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/submission/checklist).
  4. Alle eingereichten Beiträge werden einem doppelblinden Peer-Review-Verfahren unterzogen.
  5. Die Veröffentlichung der Sonderausgabe ist für September 2024 geplant.