Review Essay: Auf dem steinigen Weg zur Einlösung eines literaturwissenschaftlichen Desiderats: Empirisch-klinisch gestützte Forschung über Literatur und Psychotrauma

Autor/innen

  • Harald Weilnböck Universität Zürich

DOI:

https://doi.org/10.17169/fqs-7.2.119

Schlagworte:

Psychotraumatologie, tiefenpsychologische Literaturuntersuchung, interdisziplinäre / qualitative Kulturforschung, Narratologie, narrative turn, geisteswissenschaftliche Rephilologisierung

Abstract

Der Autor nimmt FRICKEs Buch über Zusammenhänge von Literatur, Film und Psychotrauma zunächst zum Anlass, mittels allgemeiner Beobachtungen zur nach wie vor prekären Lage der interdisziplinären Literatur- und Kulturforschung an die Absurditäten der postmodern inspirierten Trauma-Philosophie zu erinnern. Er unterstreicht, wie sehr diese Minderheitenposition insgeheim in den Interpretationsgewohnheiten der angestammten Geisteswissenschaften verankert ist. Diese scheinen sich im Moment in einer epistemologisch nach rückwärts gewandten Phase der Rephilologisierung zu befinden, die dem narrative turn – jener Entwicklung eines fächerübergreifenden Interesses am Erzählen als Basisprozess der menschlichen Psyche und Interaktion – nicht mit der gebotenen methodologischen Konsequenz folgen mag. Vielmehr sind institutionsdynamische Impulse der Abwehr handlungswissenschaftlicher Zugänge und der Entempirisierung und Ontologisierung von psychosozialen Sachverhalten wirksam, die sich neuerdings sogar bei sozialwissenschaftlichen und psychoanalytischen Autor/innen finden. Die psychologisch orientierte Literaturforschung scheint dagegen in ein inneres Exil gedrängt. So legt der nicht germanistisch institutionalisierte FRICKE eine beeindruckende Sammlung von theoretisch und klinisch gut fundierten psychotraumatologischen Literaturkommentaren zu Texten und Filmen der internationalen (Off-) Kanon-Kultur vor. Der Band ist kasuistisch gegliedert und folgt den Rubriken der speziellen Psychotraumatologie. Dass die Interpretation nicht in jedem Fall maximal textnah verfährt, kann bei 23 Titeln nicht ausbleiben; und dass FRICKE entgegen seinem Vorsatz, die "Bewältigungsmöglichkeiten" für traumatische Erfahrungen "in der und durch die Literatur" zu erforschen, kaum rezeptionsästhetische und interaktionsanalytische Überlegungen zur Autor-Text-Leser-Interaktion anstellt, ist verständlich, wenn man den Aufwand einer qualitativ-empirischen, rekonstruktiven Literaturforschung bedenkt. In jedem Fall stellt FRICKE vortrefflich die Relevanz psychotraumatologischer Fragestellungen für das Verständnis von Literatur und Film unter Beweis. URN: urn:nbn:de:0114-fqs0602256

Downloads

Keine Nutzungsdaten vorhanden.

Autor/innen-Biografie

Harald Weilnböck, Universität Zürich

Harald WEILNBöCK ist Germanist, Literatur- und Filmwissenschaftler sowie Gruppenanalytiker in freier Praxis; er hat am German Studies Department der University of California in Los Angeles mit einer literaturpsychologischen Arbeit über Friedrich HöLDERLIN promoviert, habilitiert derzeit zum Thema "Borderline, literarische Interaktion in frühen Kriegsschriften Ernst Jüngers" an der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig und führt in der Abteilung der klinischen Psychologie und Narratologie der Universität Zürich ein qualitativ-empirisches Forschungsprojekt der Europäischen Union (sechstes Rahmenprogramm, Marie-Curie) im Bereich der Literatur- und Medienforschung durch: "Narrative media interaction and psycho-trauma therapy". Hierbei werden Methoden und Ansätze der qualitativen Sozialwissenschaft, Tiefenpsychologie und Psychotraumatologie für Fragen der qualitativ-empirischen Literaturforschung in den Sektoren der Rezeptions- und Textanalyse furchtbar gemacht.

Downloads

Veröffentlicht

2006-03-31

Zitationsvorschlag

Weilnböck, H. (2006). Review Essay: Auf dem steinigen Weg zur Einlösung eines literaturwissenschaftlichen Desiderats: Empirisch-klinisch gestützte Forschung über Literatur und Psychotrauma. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 7(2). https://doi.org/10.17169/fqs-7.2.119