"Sie meinen, sie ist verrückt?" Die Erklärung nicht-epileptischen Anfallsleidens in klinischen Begegnungen
DOI:
https://doi.org/10.17169/fqs-17.1.2418Schlagworte:
Medizinsoziologie, soziale Konstruktion von Gesundheit und Krankheit, Gesundheitskommunikation, Neurologie, Arzt-Patient-Beziehung, Film, Beobachtung, Diskursanalyse, kritische DiskursanalyseAbstract
Körperliche Phänomene, die mittels modernen biomedizinischen Wissens und moderner Technologie schwer zu identifizieren, zu lokalisieren, zu erklären und zu heilen sind, bieten einen breite Fläche für kulturelle Deutungen und sind ein idealer Ausgangspunkt, um die kulturelle Dimension medizinischen Wissens und medizinischer Praxis zu untersuchen. Ausgehend von dieser Annahme haben wir in einer englischen Fachklinik die Kommunikation zwischen Neurolog/innen und Frauen mit Anfallserkrankungen unklarer Ätiologie untersucht, oft auch als psychogene nicht-epileptische Anfälle bezeichnet (PNEA). Unter Nutzung von Filmaufzeichnungen aus acht "natürlichen" Konsultationssituationen behandeln wir die folgenden Fragen: Wie bezeichnen und erklären Neurolog/innen Verursachung und Behandlungsoptionen der Erkrankung? Wie reagieren die Patientinnen und deren Angehörigen hierauf? Und schließlich: Was macht diese Interaktionen so schwierig? Unser eigener Interpretationsansatz ist in der kritischen Diskursanalyse und innerhalb einer sozial-konstruktionistischen Herangehensweise an medizinisches Wissen und medizinische Praxis beheimatet.
In unserer Studie präsentierten Neurolog/innen die Verursachung der Erkrankung (ein ungenügendes Stress-Management) und ihre Diagnose in einer objektivierten Sprache und mit einem sehr hohen Grad an Gewissheit. Aufseiten der Patientinnen und der Angehörigen erntete die Annahme einer psychischen Verursachung körperlicher Symptome zumeist Misstrauen. Häufig agierten die Angehörigen dabei im Aushandlungsprozess mit den Ärzt/innen als Fürsprecher/innen der Patientinnen. Die folgende polarisierende Auseinandersetzung zwischen einem psychogenen und einem somatischen Krankheitsverständnis verdeutlicht, wie sehr der Cartesianische Dualismus zwischen Körper und Geist klinische Begegnungen erschwert; ein Dualismus, den die Ärzt/innen explizit zurückwiesen, aber vermutlich zugleich akzeptierten. Wir versuchen zu zeigen, dass diese Polarisierung ohne die Anerkennung der kulturellen Dimension medizinischen Handelns nicht ausgeräumt werden kann.
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