"Sie meinen, sie ist verrückt?" Die Erklärung nicht-epileptischen Anfallsleidens in klinischen Begegnungen

Autor/innen

  • Catherine M. Robson University of York
  • Olaug S. Lian University of Tromsø

DOI:

https://doi.org/10.17169/fqs-17.1.2418

Schlagworte:

Medizinsoziologie, soziale Konstruktion von Gesundheit und Krankheit, Gesundheitskommunikation, Neurologie, Arzt-Patient-Beziehung, Film, Beobachtung, Diskursanalyse, kritische Diskursanalyse

Abstract

Körperliche Phänomene, die mittels modernen biomedizinischen Wissens und moderner Technologie schwer zu identifizieren, zu lokalisieren, zu erklären und zu heilen sind, bieten einen breite Fläche für kulturelle Deutungen und sind ein idealer Ausgangspunkt, um die kulturelle Dimension medizinischen Wissens und medizinischer Praxis zu untersuchen. Ausgehend von dieser Annahme haben wir in einer englischen Fachklinik die Kommunikation zwischen Neurolog/innen und Frauen mit Anfallserkrankungen unklarer Ätiologie untersucht, oft auch als psychogene nicht-epileptische Anfälle bezeichnet (PNEA). Unter Nutzung von Filmaufzeichnungen aus acht "natürlichen" Konsultationssituationen behandeln wir die folgenden Fragen: Wie bezeichnen und erklären Neurolog/innen Verursachung und Behandlungsoptionen der Erkrankung? Wie reagieren die Patientinnen und deren Angehörigen hierauf? Und schließlich: Was macht diese Interaktionen so schwierig? Unser eigener Interpretationsansatz ist in der kritischen Diskursanalyse und innerhalb einer sozial-konstruktionistischen Herangehensweise an medizinisches Wissen und medizinische Praxis beheimatet.

In unserer Studie präsentierten Neurolog/innen die Verursachung der Erkrankung (ein ungenügendes Stress-Management) und ihre Diagnose in einer objektivierten Sprache und mit einem sehr hohen Grad an Gewissheit. Aufseiten der Patientinnen und der Angehörigen erntete die Annahme einer psychischen Verursachung körperlicher Symptome zumeist Misstrauen. Häufig agierten die Angehörigen dabei im Aushandlungsprozess mit den Ärzt/innen als Fürsprecher/innen der Patientinnen. Die folgende polarisierende Auseinandersetzung zwischen einem psychogenen und einem somatischen Krankheitsverständnis verdeutlicht, wie sehr der Cartesianische Dualismus zwischen Körper und Geist klinische Begegnungen erschwert; ein Dualismus, den die Ärzt/innen explizit zurückwiesen, aber vermutlich zugleich akzeptierten. Wir versuchen zu zeigen, dass diese Polarisierung ohne die Anerkennung der kulturellen Dimension medizinischen Handelns nicht ausgeräumt werden kann.

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs160122

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Autor/innen-Biografien

Catherine M. Robson, University of York

Catherine M. ROBSON completed her doctoral studies at the Centre for Advanced Study in Language and Communication, University of York, United Kingdom; where she explored the differential topical, linguistic and interactional features of seizure patient talk (differences in how people with epilepsy and psychogenic non-epileptic seizure (PNES) describe their seizure experiences). Her PhD studentship was fully funded by Epilepsy Action UK. Before joining the Centre Catherine worked as a medical social worker, National Health Service (NHS) clinical auditor, and as a research consultant on numerous health, social care and redevelopment projects throughout England. Her research interests include medical sociology, health communication (particularly doctor-patient interactions), social inequalities in health, and applied research methods. She is currently on maternity leave and living in South Africa.

Olaug S. Lian, University of Tromsø

Olaug S. LIAN, Dr. Polit. in sociology (1999), is a professor of medical sociology and chair of the research group Medical Humanities at the Department of Community Medicine, Faculty of Health Sciences, University of Tromsø, The Arctic University of Norway. She also works as a research advisor at the University Hospital of Northern Norway. Her research relates to a wide range of topics within the field of medical sociology, with a special interest in culturally contingent aspects of health and illness, medical knowledge, medical practice, and the organization of health care services. During her academic life she has published three books, in addition to many journal articles, both nationally and internationally. She is currently working on a research project financed through a grant from the Norwegian Research Council that relates to medically contested chronic conditions.

Veröffentlicht

2015-11-29

Zitationsvorschlag

Robson, C. M., & Lian, O. S. (2015). "Sie meinen, sie ist verrückt?" Die Erklärung nicht-epileptischen Anfallsleidens in klinischen Begegnungen. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 17(1). https://doi.org/10.17169/fqs-17.1.2418

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Rubrik

Einzelbeiträge