Zum politischen Anspruch der Oral History. Über das epistemische Schweigen und die ontologische Taubheit der Mehrheitsgesellschaft

Autor/innen

  • Nicole Immler Universität für Humanistik
  • Eva Kovacs Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien

DOI:

https://doi.org/10.17169/fqs-22.2.3745

Schlagworte:

Oral History, Framing, epistemic injustice, Biografieforschung, othering, subaltern studies, Roma-Genozid, niederländische Kolonialgeschichte, Ungarn

Abstract

Zuhören ist die Kunst derer, die Oral History ausüben. Doch hören wir, was uns erzählt wird? Und können wir die Stimmen jener, die wir interviewt haben, adäquat (re)präsentieren? Dieser implizite politische Anspruch der Oral History wird in diesem Artikel mithilfe empirischer Fallstudien kritisch befragt. Anhand von Interviewsammlungen zur niederländischen (post)kolonialen Geschichte und zur Geschichte der ungarischen Roma wird gezeigt, wie das zu untersuchende gesellschaftliche Phänomen bereits in der Forschungssituation selbst sichtbar wurde, dass nämlich Lebenserzählungen marginalisierter Randgruppen stets auch von der Wissensproduktion der Mehrheitsgesellschaft abhängig waren. Wir untersuchen die Dynamik zwischen den Interviewer*innen und den Interviewten, um zu verdeutlichen, welches Framing es uns erlaubt, Stimmen (nicht) zu hören, und wir analysieren damit das epistemische Schweigen und die ontologische "Taubheit" einer Gesellschaft. Als Resümee werden alternative methodische Zugangsweisen aufgezeigt und es wird dafür plädiert, dass partizipative Forschung auch epistemische Forschung sein muss. Unser zentrales Anliegen ist es nicht, das "Fremde", sondern das "Eigene" und dessen ontologische Ausschlussmechanismen deutlicher zu markieren und als wichtiges zukünftiges Forschungsfeld auf die Agenda zu setzen.

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Autor/innen-Biografien

Nicole Immler, Universität für Humanistik

Nicole L. IMMLER ist Professorin am Lehrstuhl für Historical Memory and Transformative Justice an der Universität für Humanistik in Utrecht. Seit 2020 leitet sie das Forschungsteam "Dialogics of Justice", welches die sozialen Auswirkungen von Anerkennungs- und Entschädigungspraktiken von diversen Formen historischen Unrechts im globalen Kontext untersucht. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschichtsschreibung und Erinnerungsforschung zu Holocaust und Kolonialismus sowie diverse Formen von transitional justice, Generationenforschung und Familiengedächtnis, Oral History und narrative Theorie.

Eva Kovacs, Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien

Éva KOVÀCS ist Professorin für Soziologie, stellvertretende Direktorin des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Forschung sowie Forschungsprofessorin am Zentrum für Sozialwissenschaften in Budapest. Sie studierte Ökonomie und Soziologie an der Corvinus Universität Budapest. Ihre Forschungsfelder sind Geschichte und Geschichtsschreibung des Holocaust in Osteuropa, Gedächtnis- und Erinnerungsforschung, jüdische Identität in Ungarn und der Slowakei und Studien zur Roma und Sinti; veröffentlicht als Monografien, in Editionen und zahlreichen Journal-Artikeln. Sie ist die Gründerin des Archivs Voices of the Twentieth Century in Budapest.

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Veröffentlicht

2022-05-30

Zitationsvorschlag

Immler, N., & Kovacs, E. (2022). Zum politischen Anspruch der Oral History. Über das epistemische Schweigen und die ontologische Taubheit der Mehrheitsgesellschaft. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 23(2). https://doi.org/10.17169/fqs-22.2.3745

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Rubrik

Einzelbeiträge