"Emergence" vs. "Forcing"? Ein grundlegendes Problem der Methodologie der "Grounded Theory" – neu überdacht
DOI:
https://doi.org/10.17169/fqs-6.2.467Schlagworte:
Grounded Theory, Induktion, Abduktion, Theoretische Sensibilität, Kodierparadigma, TheoriebildungAbstract
Seit den späten 1960er Jahren haben Barney GLASER und Anselm STRAUSS, die Begründer der Methodologie der "Grounded Theory", eine Reihe von Versuchen unternommen, grundlegende Konzepte und Annahmen dieses Ansatzes zu explizieren und zu rekonzeptualisieren. Hieraus sind unterschiedliche und zum Teil einander widersprechende Konzeptionen hervorgegangen, die schließlich sogar einen Bruch zwischen GLASER und STRAUSS mit sich brachten. Wichtige Aspekte der Überarbeitung und Weiterentwicklung der "Grounded Theory" beziehen sich auf das Verhältnis zwischen empirischen Daten und theoretischen Konzepten und auf die Bedeutung theoretischen Vorwissens. Die Monographie, die die Popularität der methodologischen Ideen von GLASER und STRAUSS ursprünglich begründete, "The Discovery of Grounded Theory", enthält dabei zwei divergierende Konzepte des Empirie-Theorieverhältnisses: das Konzept des "Emergierens" theoretischer Konzepte einerseits und andererseits das Konzept der "theoretischen Sensibilität". Die späteren Entwicklungen der Grounded Theory lassen sich als Versuche verstehen diese ursprünglich konfligierenden Konzepte miteinander zu vereinbaren, wobei GLASER empfiehlt, bei der empirisch begründeten Theoriebildung auf eine große Zahl sog. "Kodierfamilien" zurückzugreifen, wohingegen STRAUSS die Verwendung einer allgemeinen Handlungstheorie als "Achse" der Konstruktion der entstehenden Theorie empfiehlt. Der Beitrag fasst zuerst die wichtigsten Entwicklungen der "Grounded Theory", die das Verhältnis zwischen Theorie und Daten betreffen, zusammen. Dabei werden die zentralen Unterschiede zwischen GLASERs und STRAUSS' Konzepten behandelt und ausführlich auf GLASERs Kritik eingegangen, wonach die von STRAUSS und CORBIN beschriebenen Begriffe des "Kodierparadigmas" und der "axialen Kodierung" dazu führen, dass den Daten theoretische Konzepte "aufgezwungen" werden, anstatt aus ihnen zu "emergieren". Es wird gezeigt, das GLASERs Kritik tatsächlich bestehende Schwächen des STRAUSS'schen und CORBIN'schen Ansatzes thematisiert, die hierin liegenden Risiken aber in ihrer Bedeutung weit überschätzt. Ein zentrales Argument dieses Beitrags lautet, dass grundlegende Probleme empirisch begründeter Theoriebildung wesentlich effektiver behandelt werden können, wenn man explizit Bezug nimmt auf zeitgenössische wissenschaftsphilosophische Debatten und auf dort entwickelte, heute allgemein akzeptierte Konzepte. Dies betrifft insbesondere die Kritik des Naiven Realismus und Empirismus, die Konzepte des hypothetischen und abduktiven Schließens und das Konzept des empirischen Gehalts bzw. der Falsifizierbarkeit von Aussagen. URN: urn:nbn:de:0114-fqs0502275Downloads
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Veröffentlicht
2005-05-31
Zitationsvorschlag
Kelle, U. (2005). "Emergence" vs. "Forcing"? Ein grundlegendes Problem der Methodologie der "Grounded Theory" – neu überdacht. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 6(2). https://doi.org/10.17169/fqs-6.2.467
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