Das frühe homosexuelle Selbst zwischen Autobiografie und medizinischem Kommentar

Autor/innen

  • Tilmann Walter

DOI:

https://doi.org/10.17169/fqs-6.1.522

Schlagworte:

Geschichte der Homosexualität, Geschichte der Psychotherapie

Abstract

Die Geschichte des frühen homosexuellen Selbst lässt sich in drei Phasen unterteilen: eine Zeit "latenter" Selbstzeugnisse, die bis ca. 1865 andauerte, dann eine Phase der Aktivierung des "homosexuellen" Wissens durch medizinische Experten und eine seit ca. 1895 andauernde Phase der zunehmenden Entmündigung dieser Stimme im Expertendiskurs. Um 1900 war Homosexualität als Verhalten bereits auf das "Skript" "homosexuelles Selbst" festgelegt: In den Augen der meisten Experten handelte es sich dabei um eine behandlungsbedürftige Krankheit, in den Augen der betroffenen Personen meistens nicht. In historischen Darstellungen werden "die Homosexuellen" deshalb häufig als Opfer medizinischer Machtausübung dargestellt. Hier soll demgegenüber argumentiert werden, dass sich Subjekte im Rahmen einer "flexiblen Normalisierung" selbst gesellschaftlichen Normen unterworfen haben. Historische Dokumente werden von mir mit Hilfe eines Modells der Persönlichkeitsentwicklung in der therapeutischen Beziehung interpretiert. Inzwischen hat die Einheitsanthropologie, die die Scientia sexualis anfangs geprägt hat, stark an Bedeutung verloren: Geschlecht und Sexualität gelten weithin als "Verhandlungssache", die Lebensweisen "heterosexueller" und "homosexueller" Männer – und inzwischen auch vieler berufstätiger Frauen – unterscheiden sich immer weniger deutlich. Von entscheidendem Einfluss scheint dafür der Wandel von der Produktions- hin zur Konsumtionsgesellschaft gewesen zu sein: "Die Homosexuellen" um 1900 können als "Avantgarde" des konsumistischen Habitus interpretiert werden. URN: urn:nbn:de:0114-fqs0501107

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Autor/innen-Biografie

Tilmann Walter

Tilmann WALTER, Dr. phil., studierte Geschichte und der Germanistik in Heidelberg; 1997 Promotion über "Unkeuschheit und Werk der Liebe. Diskurse über Sexualität am Beginn der Neuzeit in Deutschland" (Berlin / New York: de Gruyter 1998); 1998 bis 2001 Forschungsassistent am Sonderforschungsbereich 511 "Literatur und Anthropologie" an der Universität Konstanz; er lehrt derzeit Geschichte an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftsgeschichte, Historische Anthropologie und Geschichte der Sexualität.

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Veröffentlicht

2005-01-31

Zitationsvorschlag

Walter, T. (2005). Das frühe homosexuelle Selbst zwischen Autobiografie und medizinischem Kommentar. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 6(1). https://doi.org/10.17169/fqs-6.1.522

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